Veranstaltung: | 44. Bundesdelegiertenkonferenz Bielefeld |
---|---|
Tagesordnungspunkt: | WKF Wirtschaft, Klima, Finanzen |
Status: | Beschluss (vorläufig) |
Beschluss durch: | Bundesdelegiertenkonferenz |
Beschlossen am: | 16.11.2019 |
Eingereicht: | 19.11.2019, 16:18 |
Antragshistorie: | Version 1 |
Handeln – und zwar jetzt! Maßnahmen für ein klimaneutrales Land
Beschlusstext
„Wenn wir jetzt versagen, werden unsere Kinder uns nicht verzeihen.“[1]
Mit diesen Worten verpflichtete sich die Weltgemeinschaft 2015 in Paris, die Erhitzung des
Planeten bis zum Ende des Jahrhunderts auf „deutlich unter zwei Grad, möglichst 1,5 Grad“ zu
halten und ab der zweiten Hälfte des Jahrhunderts nur noch so viel Treibhausgase
auszustoßen, wie das natürliche Ökosystem aufnehmen kann. Die Industriestaaten sind
verpflichtet, voranzuschreiten und schneller klimaneutral zu werden.
Doch das Gegenteil ist passiert. Zu Recht demonstrieren weltweit Millionen Menschen auf der
Straße für den Schutz der Erde. Denn der Ausstoß von Treibhausgasen[2] ist weltweit
ungebrochen. Mehr als 36 Milliarden Tonnen CO2 emittiert unsere noch immer auf fossilen
Energien wie Kohle, Öl und Gas basierende Weltwirtschaft jedes Jahr. Deutschland liegt dabei
im Vergleich der am meisten CO2-produzierenden Länder an sechster Stelle. Allein auf
Deutschland entfallen rund 800 Millionen Tonnen CO2. Wir haben auch heute noch einen doppelt
so hohen CO2-Fußabdruck wie der weltweite Durchschnitt.
Seit Beginn der Industrialisierung ist Deutschland für fast fünf Prozent der
Treibhausgasemissionen verantwortlich, bei einem heutigen Anteil an der Weltbevölkerung von
lediglich 1,1 Prozent. Diese Emissionen heizen die Atmosphäre immer weiter auf und vermüllen
unsere Erde. Die Klimakrise spitzt sich dramatisch zu. Die vergangenen vier Jahre waren
weltweit die wärmsten seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Bereits jetzt ist die globale
Durchschnittstemperatur im Vergleich zum vorindustriellen Niveau um etwa ein Grad[3]
angestiegen. Die Eisschilde schmelzen immer schneller und der Anstieg des Meeresspiegels
verdoppelt sich. Werden die für das Weltklimasystem sensiblen Kipppunkte erreicht, steuert
die Erde auf eine Erhitzung von vier und mehr Grad zu.
Der Sonderbericht des Weltklimarats 2018 hat verdeutlicht, dass bei zwei Grad globaler
Erwärmung - im Vergleich zu 1,5 Grad - Kipppunkte im Klimasystem überschritten werden
können, über 99% aller Korallenriffe absterben und hunderte Millionen Menschen unter
schweren Klimafolgen zu leiden haben werden. Zerstörte Infrastrukturen, Nahrungs- und
Wassermangel, politische und soziale Instabilität, Ressourcenkonflikte, Flucht, Vertreibung
und Krankheiten sind die Folgen.
Am stärksten von der Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen betroffen sind die Ärmsten
der Armen, die sie am wenigsten verursacht haben, sich am wenigsten dagegen schützen und
aufbegehren können. Im Globalen Süden sind viele Menschen aufgrund von Dürren oder
Meeresspiegelanstiegen bereits jetzt gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Dies zeigt die
historische Verantwortung Deutschlands und der Industrienationen gegenüber dem Rest der
Welt, der wir uns jetzt konsequent stellen müssen. Die Klimakrise ist auch eine soziale
Krise - sie spitzt Verteilungskonflikte und Machtverhältnisse zu und verstärkt damit
insbesondere im Globalen Süden, aber auch innerhalb von Europa bestehende Ungerechtigkeiten.
Auch in Deutschland ist die Klimakrise angekommen. Am stärksten betroffen sind Kinder,
kranke und alte Menschen sowie ärmere Menschen. Erhöhte Sterblichkeit und
Erkrankungshäufigkeit in extremen Hitzeperioden sind eine brisante Entwicklung. Auch unsere
Felder und Wälder leiden. Mehr als 180.000 Hektar Waldfläche, das entspricht 250.000
Fußballfeldern, sind bereits durch die Klimaveränderung zerstört. Doch statt vier Jahre nach
dem Pariser Abkommen endlich zu reagieren, verabschiedete die Bundesregierung nun ein
Klimapaket, welches das 1,5-Grad-Limit endgültig beerdigt und selbst für einen 2-Grad-Pfad
viel zu wenig ist. Damit wird Deutschland seiner internationalen Klimaverantwortung nicht
gerecht. Denn gemäß dem Sachverständigenrat für Umweltfragen[4] ergibt sich aus dem jüngsten
Sonderbericht des UN-Weltklimarats IPCC für uns bei gleichmäßiger Aufteilung auf die
Weltbevölkerung ein verbleibendes nationales Kohlenstoffbudget von 6.600 Millionen Tonnen
CO2 ab 2020[5]. Bei fortdauernden Emissionen auf heutigem Niveau wäre das Budget in weniger
als neun Jahren verbraucht, bei einer linearen Reduktion rund um 2035. Ein längerer
Zeitverlauf zur Treibhausgasneutralität bis 2050, wie auf europäischer Ebene angestrebt,
erfordert überproportionale Reduktionserfolge in den nächsten Jahren.
Daran wird deutlich: Die Uhr tickt und wir müssen schnell und zügig umsteuern. Je rascher
wir die Emissionen senken, desto länger reicht unser CO2-Budget, um den Übergang in die
klimaneutrale Gesellschaft gemeinsam gestalten zu können. Jedes weitere Jahr hingegen, in
dem nichts getan wird, verschärft die Krise, da sich CO2 in der Luft ansammelt und der
Erhitzung der Atmosphäre weiter Vorschub leistet. Wir brauchen eine Radikalität, die sich in
entschlossenem Handeln ausdrückt.Entsprechend der verschärften Dringlichkeit streben wir die
Umsetzung rasch und effektiv wirkender Klimaschutzmaßnahmen und das Erreichen der
Klimaneutralität Deutschlands so früh wie möglich an, um im Hier und Jetzt das möglich zu
machen, was notwendig ist, um langfristige Ziele zu erreichen.
Jetzt wird über den EU-Haushalt für die kommenden Jahre entschieden. Jetzt wird entschieden,
ob wir die europäische Landwirtschaftspolitik neu justieren. Es geht jetzt darum, den Ausbau
des Schienenverkehrs voranzubringen. Jetzt müssen wir entscheiden, dass öffentliche Mittel
für den Ausbau der Erneuerbare-Energien-Infrastruktur und nicht für Öl- und Gaspipelines
ausgegeben werden. Es gilt jetzt zu entscheiden, wie wir aus Handelsabkommen mit
gravierenden Auswirkungen auf das Klima rauskommen. Die EU muss als eine Hauptverursacherin
der Klimakrise ambitioniert vorangehen – jetzt! Europa hat die historische Verantwortung
vorzumachen, wie das Wirtschaften in planetaren Grenzen demokratisch erreicht werden kann.
Der Aufbruch ins klimaneutrale Zeitalter lohnt sich
Wir sehen nie dagewesene Chancen für eine neue Lebensqualität und nachhaltigen Wohlstand.
Die Herausforderungen sind jedoch ohne Zweifel enorm. Klimaschutz macht unsere Städte
grüner, leiser, sauberer und sicherer. Er hilft, die Artenvielfalt zu bewahren. Er macht uns
unabhängig von russischem Gas, von Fracking und vom Öl. Klimaschutz eröffnet unseren
Unternehmen neue Geschäftsfelder. Er schafft neue Arbeitsplätze und sichert bestehende.
Ja, Klimaschutz kostet viel Geld. Aber es ist volkswirtschaftlich völlig klar, dass uns kein
Klimaschutz deutlich mehr kosten wird: Der Stern-Report machte bereits 2006 deutlich, dass
die jährlichen Kosten für Maßnahmen zur Stabilisierung der Treibhausgaskonzentration bei
etwa einem Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts liegen. Die jährlichen Kosten einer
ungebremsten Klimaerhitzung hingegen werden dem Verlust von mindestens fünf Prozent des
globalen Bruttoinlandsprodukts entsprechen. Wenn man eine breitere Palette von Risiken und
Einflüssen berücksichtigt, könnten die Schäden sogar auf 20 Prozent oder mehr ansteigen.
Zudem wird Klimaschutz enorme neue Werte schaffen: Wirtschaftsstudien sehen ein
Geschäftspotenzial von etwa elf Billionen Euro durch neue, digital-basierte klimafreundliche
Geschäftsmodelle im Jahr 2030. Die sozial-ökologischen Innovationen in allen Sektoren können
Europa zu deutlich mehr Wohlstand verhelfen, Schäden für Mensch und Umwelt verhindern und
eine intakten Planeten bewahren. Dafür müssen wir Wohlstand materiell und sozialökologisch
neu definieren. Die finanzielle Belastung durch die radikale Transformation, die in den
nächsten fünf Jahren auf die Spur gebracht werden muss, werden wir sozial gerecht
ausgestalten.
Wir müssen im Hier und Heute eine erhebliche Transformation einleiten. Und wir werden das
nur gemeinsam als Gesellschaft schaffen. Die dafür notwendigen tiefgreifenden Änderungen
werden nicht für alle einfach. Arbeitsplätze werden wegfallen, neue werden entstehen.
Menschen werden neu lernen und sich verändern müssen, das ist nichts Neues. Deshalb ist eine
aktive politische Gestaltung dieser Veränderung ebenso wichtig wie ihre kluge soziale
Absicherung und ihre kulturelle und gesellschaftliche Balance. Klimaschutz erfordert eine
aktive Arbeitsmarkt- und Weiterbildungspolitik, eine sozial faire Rückerstattung der CO2-
Bepreisung, eine kluge Regional- und Strukturpolitik. Und schließlich gilt: Die notwendigen
Veränderungen werden nur demokratisch gelingen, also wenn wir es schaffen, gemeinsam die
notwendigen Veränderungen und Handlungskonsequenzen anzugehen, neue Wege auszuhandeln und so
die Menschen mit auf den Weg nehmen.
Am 20. September 2019 haben wir zwei Parallelwelten erlebt: Auf der einen Seite standen
weltweit mehrere Millionen Menschen, die für Klimaschutz auf die Straße gegangen sind. Wir
bringen uns in diese Klimagerechtigkeitsbewegung ein, die mit vielen unterschiedlichen
friedlichen Aktionsarten auf die drängenden Probleme hinweist, und begleiten auch Aktionen
zivilen Ungehorsams. Auf der anderen Seite sahen wir eine völlig ermüdete Koalition, die
nicht in der Lage war, mehr als Trippelschritte zu liefern.
Die Lücke zwischen wissenschaftlich Notwendigem und gesellschaftlich Möglichen auf der einen
und der politischen Realität auf der anderen Seite klafft immer weiter auseinander. In
dieser Situation liegt es gerade auch an uns, das Vertrauen einer ganzen Generation in die
Gestaltungs- und Handlungsfähigkeit der Politik zu erhalten. Demokratie zeigt gerade dort
ihre Stärke, wo es uns gelingt, radikale Umbrüche im Sinne der universellen Freiheit und
Gleichheit zu gestalten und die gesellschaftlichen Verhältnisse so zu verändern, dass wir
eine klimaneutrale Gesellschaft erreichen.
Für uns bedeutet das: Jetzt erst recht! Die Gesellschaft ist viel weiter als die deutsche
Bundesregierung. Wir starten einen neuen Anlauf in der Klimapolitik: Wir machen ein
politisches Angebot an all jene, die vorangehen wollen, von Fridays for Future über
Gewerkschaften, progressive Unternehmer*innen bis hin zu Klimakommunen, Kulturschaffenden
und allen, die sich noch anschließen wollen. Ihre Anliegen wollen wir im Dialog
weiterentwickeln und in die Parlamente tragen. Gemeinsam, im Bündnis und Solidarität mit
ihnen wollen wir die Wende in der Klimapolitik schaffen und die Chancen des Klimaschutzes
für mehr Gerechtigkeit und Zusammenhalt nutzen.
Ziel dieses Antrags und unserer Politik ist es, einen radikal realistischen und
sektorenübergreifenden Maßnahmenplan vorzulegen. Die entscheidende Messlatte ist dabei für
uns das nationale Klimabudget, also die Menge an Emissionen, die noch ausgestoßen werden
dürfen, um den deutschen Anteil am Pariser Abkommen einzuhalten; wissentlich, dass auch
Budgets nur modellhaft gerechnet sind und dass weder technologische noch gesellschaftliche
Entwicklungen linear verlaufen. Durch soziale und technologische Innovationen, die wir heute
noch gar nicht kennen können, werden unsere momentanen Annahmen selbstverständlich in den
kommenden Jahren angepasst werden müssen. Aber wir widersprechen allen, die daraus ableiten,
eigentlich müssen wir doch in der Gegenwart gar nichts tun, denn irgendwann kommt die
Wundertechnik, die alle unsere Probleme löst. Es ist genau umgekehrt: Positive Innovationen
und Eigeninitiative als Katalysatoren der Veränderung müssen durch Abschied vom Alten
überhaupt erst ermöglicht sowie gefördert und angereizt werden. Wir müssen jetzt schnell
loslaufen, damit wir eine Chance haben, auf dem Weg zu lernen.
Die Grundlage unseres Handelns sind das Pariser Klimaabkommen und der aktuelle Stand der
Klimawissenschaft. Wir werden auf dem weiteren Weg um jedes Zehntel Grad weniger
Erderhitzung kämpfen, um das 1,5-Grad-Ziel überhaupt noch erreichen zu können. Daran
orientieren wir unsere Politik. Es ist unsere Verantwortung, dass Deutschland seinen Teil
tut, damit die erforderliche Transformation in Schwung kommt. Wir müssen deshalb sowohl bei
uns entschiedenen Klimaschutz umsetzen als auch andere Länder beim Klimaschutz unterstützen.
Klar ist: Die Menschen müssen diesen Weg zur Klimaneutralität unterstützen, sonst wird es
unmöglich sein, die vorgeschlagenen Maßnahmen umzusetzen. Wir erkennen dabei den
Klimanotstand an. Damit ist explizit keine juristische Grundlage für Notstandsmaßnahmen
gemeint, sondern ein politisches Zeichen verknüpft mit klimapolitischen Maßnahmen.
1. Ein Klimaschutzgesetz für einen verbindlichen planungs- und ordnungsrechtlichen Rahmen
Nur mit klar festgelegten Zielen und Zwischenzielen, verknüpft mit einem verbindlichen
Monitoring der Maßnahmen und Ergebnisse sowie verankerten Korrekturmechanismen bei
Zielverfehlung können wir wieder auf den erforderlichen Zielpfad von Paris beim Klimaschutz
kommen. Durch ein Klimaschutzgesetz müssen endlich Verbindlichkeiten innerhalb der
jeweiligen Sektoren und der zuständigen Ressorts festgeschrieben werden. Denn die
Verantwortung für das Erreichen der Klimaschutzziele kann nicht länger allein beim
Bundesumweltministerium liegen, sondern muss als Querschnitt der Regierung auch die
Ministerien, die zuständig sind für Verkehr, Landwirtschaft, Bauen und Wirtschaft in die
Pflicht nehmen. Was wir brauchen ist eine Klimaregierung.
Dazu gehört auch, dass wir Klimaschutz ins Grundgesetz schreiben. Wir möchten:
- die international vereinbarten Klimaschutzziele in die Verfassung aufnehmen,
- eine „CO2-Bremse“, die Transparenz und einklagbare Korrekturen klimaschädlicher
Politikvorhaben schafft, verbindlich in der Verfassung verankern. Jedes neue Gesetz
muss auf seine „Klimawirksamkeit“ überprüft werden („climate mainstreaming“). Bei
Bedarf muss ein Klimavorbehalt dafür sorgen, dass klimafreundliche Alternativen oder
Ausgleichsmaßnahmen erarbeitet werden. So bekommt Klimaschutz endlich Priorität und
muss von allen stets mitgedacht werden.
Zudem wollen wir ein Klimaschutzgesetz, das den Rahmen für alle Klimaschutzmaßnahmen bildet
und das sich bei allen Maßgaben auf ein verbleibendes Restbudget für CO2 stützt, dem gemäß
wir die Ziele des Pariser Abkommens erreichen können. Wir wollen:
- klare Maßnahmen für alle Sektoren,
- klar festgelegte Ziele, Zwischenziele und CO2-Minderungspfade für alle Sektoren mit
dem verbindlichen Ziel, das Pariser Klimaschutzabkommen zu erfüllen,
- dichte Kontrollen, ob die Maßnahmen wirken sowie empfindliche Sanktionen,
- gesetzliche Festlegung einer klimaneutralen öffentlichen Verwaltung.
Klare ordnungsrechtliche Maßnahmen müssen in einem Klimaschutzgesetz die zentrale Rolle
spielen. Alle großen umweltpolitischen Errungenschaften wurden über das Ordnungsrecht
erreicht. Zudem wäre es fatal, allein auf Preissignale zu setzen. Denn wollte man die
Klimaziele allein über die Bepreisung von CO2 erreichen, müsste dieser so hoch sein, dass er
unweigerlich zu erheblichen negativen sozialen Auswirkungen führen würde. Einige könnten
sich rauskaufen, andere nicht mehr teilhaben. Damit Klimaschutz eben nicht zu Lasten der
Menschen mit geringeren Einkommen geht, brauchen wir einen klugen Mix aus CO2-Preis,
Anreizen und Förderung sowie dem Ordnungsrecht. So kann man die jeweiligen Vorteile der
Instrumente nutzen und gleichzeitig Nachteile minimieren. Gut gemacht, wird der ordnende
Rahmen zum notwendigen Innovationstreiber.
Klar gibt es gegen Ordnungsrecht, also auch Verbote, immer Vorbehalte. Aber Regeln zu
setzen, also zu sagen, was geht und was nicht, ist Sinn von Politik und zugleich der beste
Innovationsmotor. Heute stört sich niemand mehr daran, dass Blei im Benzin verboten ist,
Asbest nicht mehr eingebaut werden darf und Weichmacher in Kinderspielzeug verboten sind.
Das gleiche gilt ganz besonders für den Bereich der Chemikalien. Nach Verboten entwickelt
die Branche meist innerhalb kürzester Zeit ungefährlichere Alternativen oder bereits
vorhandene Alternativen bekommen ihre Chance auf dem Markt. Deshalb machen wir Klimaschutz
mit definierten Zwischenzielen in einem nationalen Klimaschutzgesetz planbar und rechtlich
verbindlich.
2. Planungen beschleunigen
Die Energie- und Verkehrswende braucht zügige, bürger*innennahe und effiziente
Planungsprozesse. Zentrale Herausforderung dafür ist die Aufstockung und Qualifizierung von
Personal in den Planungs- und Genehmigungsbehörden. Seit 1990 wurde in den Kommunen knapp
die Hälfte des Bau- und Planungspersonals abgebaut. Daher ist es dringend erforderlich, hier
wieder Personal einzustellen. Wir werden den Kommunen und genehmigenden Behörden das Planen
und Steuern erleichtern. Durch planbare, verlässliche Investitionshilfen, finanzielle
Entlastung der Kommunen sowie leichtere Planungsinstrumente für Klimaschutz.
Zu einem wirkungsvollen ordnungsrechtlichen Rahmen gehört es auch, den Kommunen und
Genehmigungsbehörden das Planen und Steuern von Klimaschutzmaßnahmen zu erleichtern. Ebenso
bedarf es einer Modernisierung des Planungsrechts. Denn die Zeit läuft uns davon und wir
brauchen rasch Baugenehmigungen für Photovoltaik- und Windkraftanlagen,
Übertragungsleitungen wie auch Schienenverbindungen. Planungs- und Genehmigungsverfahren
können deutlich vereinfacht und beschleunigt werden, wenn man im Verkehrswegebau bei
Ersatzneubauten ohne Ausbau bzw. Erweiterung die Maßstäbe für Sanierungen statt für
Neubauten heranzieht.
Die Planungs-, Bau- und Realisierungszeiten sind zu lang und wir wollen sie für alle CO2-
mindernde Infrastruktur halbieren, indem
- wir eine Priorisierung der zu bauenden Infrastrukturprojekte vornehmen, auch, um sich
bei geringen Planungskapazitäten nicht zu verzetteln,
- frühzeitig Bürger*innen und Nichtregierungsorganisationen beteiligt werden und so die
Entwicklung von Optionen und Varianten sowie das frühe Ausräumen von Konflikten
ermöglicht wird; hierbei sollen auch weitere Möglichkeiten zur Bürgerbeteiligung
erprobt und gegebenfalls eingeführt werden,
- wir für Verkehrsprojekte eine bessere Verzahnung von Raumordnungs- und
Planfeststellungsverfahren gewährleisten, etwa indem die Untersuchungsergebnisse des
Raumordnungsverfahrens für das Planfeststellungsverfahren genutzt werden können; sich
wiederholende Verfahrensschritte in beiden Verfahren könnten zusammengeführt werden,
- die Regelungen des Gesetzes zur Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren
für ÖPNV bei der anstehenden Novelle des Personenbeförderungsgesetzes übernommen
werden,
- Arten- und Naturschutz von vornherein in die Planungen einbezogen werden, um Verfahren
schneller und rechtssicherer zu machen. Für den erforderlichen Ausgleich bei
Eingriffen in die Natur müssen Kompensationsmaßnahmen verstärkt und vereinfacht
werden. Abwägungen zum Artenschutz müssen auf wissenschaftlicher Grundlage erfolgen.
Dabei muss der Schutz der Gesamtpopulation das zentrale Beurteilungskriterium sein.
- wir die behördlichen Abstimmungsprozesse effizienter gestalten. Beim Artenschutz etwa
gibt es ein großes Potenzial für den Wissensaustausch zwischen Behörden und für
vorgezogene Großmaßnahmen über ein Ökokonto und andere Anrechnungsvereinfachungen,
- wir die Digitalisierung in den Planungs- und Genehmigungsbehörden konsequent
voranbringen,
- eine verbindliche Frist bis zur Eröffnung von Gerichtsverfahren bei gleichzeitiger
personeller Stärkung der Gerichte eingeführt wird.
3. Ökonomische Anreize richtig setzen
Ergänzend zum planungs- und ordnungsrechtlichen Rahmen wollen wir die notwendigen
ökonomischen Anreize setzen, damit der Klimaschutz vorankommt.
Dafür setzen wir auf eine CO2-Preiskomponente auf alle fossilen Brennstoffe über den
bestehenden europäischen Emissionshandel (ETS) hinaus. Dem Preis kommt in einer
Marktwirtschaft eine zentrale Steuerungswirkung zu. Wir brauchen eine ökologisch wirksame,
sozial gerechte und ökonomisch vernünftige CO2-Bepreisung. Das ist eine wesentliche
Voraussetzung dafür, dass erneuerbare Energien, Energieeffizienz und innovative
Klimaschutztechnologien sich durchsetzen. Das Umweltbundesamt schätzt die Kosten der
Schäden, die durch den Ausstoß einer Tonne CO2 entstehen, auf 180 Euro – in Preisen von 2016
gerechnet. Doch die Preiskomponente ist nur ein Hebel für Klimawirksamkeit neben den
ordnungsrechtlichen Maßnahmen wie dem Kohleausstieg.
Wir brauchen also einen Preis, der lenkt, Innovationen schafft und zugleich nicht sozial
verzerrt oder schnellere und wirkungsvollere ordnungsrechtliche Maßnahmen konterkariert. In
der Schweiz liegt der nationale Preis pro Tonne CO2 bei rund 90 Euro für fossile Brennstoffe
wie Heizöl, Erdgas oder Kohle. Globaler Spitzenreiter ist derzeit Schweden mit rund 110 Euro
pro Tonne CO2 für alle fossilen Brennstoffe. Als Sofortmaßnahmen werden wir uns für
Folgendes einsetzen:
- Die Energiesteuern beginnend im Bereich Verkehr und Wärme wollen wir mit einer CO2-
Komponente reformieren. Dabei wird parallel ein sozialer Ausgleich eingeführt; alle
Einnahmen aus dem CO2-Preis fließen nach Absenkung der Stromsteuer als Energiegeld an
jede*n Einwohner*in zurück. Der Einstiegspreis in diesen Sektoren soll bei 40 Euro pro
Tonne liegen und ab 2020 auf 60 Euro pro Tonne erhöht werden. Danach muss er jedes
Jahr planbar analog ansteigen, auch das Energiegeld erhöht sich entsprechend. Zugleich
schlagen wir für Deutschland ein unabhängiges Gremium vor, das bis zu einer Einigung
auf europäischer Ebene die Preissteigerung und die sozialen Auswirkungen kontrolliert
und den Preis wenn notwendig anpasst, um ein optimales Zusammenwirken mit den
begleitenden ordnungsrechtlichen Maßnahmen zum Klimaschutz herzustellen. Damit soll
die erforderliche Lenkungswirkung zum Einhalten des Paris-kompatiblen CO2-Budgets
erreicht werden.
- Auf europäischer Ebene muss die Bundesregierung bei der Neufassung der
Energiesteuerdirektive für eine ambitionierte CO2-Mindestbepreisung eintreten. Wir
werden uns dafür einsetzen, dass ein CO2-Preis im Non-ETS-Bereich europaweit
eingeführt wird.
- Im europäischen Emissionshandel, der vor allem Industrieanlagen und Kraftwerke
abdeckt, sollte Deutschland, idealerweise in Abstimmung mit anderen europäischen
Ländern wie Frankreich und die Niederlande, einen gemeinsamen Mindestpreis in Höhe von
40 Euro festlegen. Zeigt sich, dass der Mindestpreis keine Wirkung erzielt, muss hier
nachgesteuert werden.
- Zu den Sektoren, die bislang nicht durch den europäischen Emissionshandel erfasst
werden, gehört auch die Landwirtschaft. Wir führen die Bepreisung von Klimagasen daher
auch für landwirtschaftliche Produkte ein, angefangen mit tierischen Lebensmitteln.
- Wir wollen die Wirksamkeit der Marktstabilitätsreserve im europäischen
Emissionshandelssystem erhöhen, damit die immer noch vorhandenen überschüssigen
Emissionszertifikate stärker reduziert und schneller vom Markt genommen werden.
- Im Zuge der Stilllegung von Kraftwerksblöcken werden wir entsprechend den vom Netz
gehenden CO2-Emissionen Emissionszertifikate vom Markt nehmen, indem wir dafür das
nationale Versteigerungsbudget entsprechend kürzen. Damit wird vermieden, dass hier
eingesparte Emissionen an anderer Stelle in Europa emittiert werden können.
4. Umweltschädliche Subventionen abbauen
Damit ökonomische Anreize ihr volles Potenzial entfalten können und zusätzliche finanzielle
Spielräume für Zukunftsinvestitionen entstehen, wollen wir umwelt- und klimaschädliche
Subventionen konsequent abbauen. Insgesamt betragen diese in Deutschland über 57 Milliarden
Euro. Staatliche Subventionen, die dem Klima schaden, wollen wir endlich beenden, wie zum
Beispiel
- die Steuerbefreiung von Rohöl zur Plastikherstellung,
- den immer noch gewährten Beschaffungszuschuss für neue Öl- und Gasheizungen,
- die Nichtbesteuerung von Kerosin,
- das Dieselprivileg,
- Privatfahrten, die als betriebliche Kosten absetzbar sind,
- die weitgehende Befreiung von EEG-Umlage und Netzentgelten von energieintensiven
Unternehmen.
5. Klimafreundlich wirtschaften
Klimaschutz geht nur in einem System, das klimafreundliches Verhalten belohnt. Heute wird
dieses Verhalten strukturell erschwert und klimaschädliches Verhalten noch subventioniert.
Wir beschreiben im Rahmen des Antrags „Anders Wirtschaften für nachhaltigen Wohlstand“
ausführlich unsere Vision für ein in seiner Gesamtheit positiv transformiertes
Wirtschaftssystem, das die planetarischen Grenzen einhält. Hier stellen wir ausgewählte
wesentliche Aspekte vor, die auch das Klima betreffen:
- Unser gesellschaftlicher Erfolg soll in Zukunft auch nach Nachhaltigkeitskriterien,
wie dem absoluten CO2-Ausstoß bewertet werden. Dadurch soll der einseitige Fokus auf
das Bruttoinlandsprodukt (BIP) bei der Wohlstandsmessung und -steuerung um wichtige
Aspekte ergänzt werden.
- Entsprechend ändern wir auf betriebswirtschaftlicher Ebene die Buchhaltungsregeln und
Erfolgsrechnung hin zu einer nachhaltigen Bilanzierung von Unternehmen, die nicht nur
den finanziellen, sondern auch den ökologischen Wert von Unternehmen misst und
steuert. Hier wollen wir praxisnah mit führenden Wirtschaftsinitiativen
zusammenarbeiten und Konzepte wie das der Gemeinwohlökonomie aufgreifen.
- In der Digitalisierung fördern wir gezielt klimawirksame Innovation, damit sie ihr
Potenzial für die notwendige Suffizienz, Effizienzsteigerungen und Dematerialisierung
entfalten kann und nicht unkontrollierbaren Schaden durch immer mehr Energiehunger
anrichtet. Auch mithilfe der Digitalisierung könnten wir es schaffen, wirtschaftliches
Wachstum von steigenden CO2-Emissionen zu entkoppeln. Dabei ist die Überwindung des
Rebound-Effekts, also des Effekts, dass Einsparungen durch mehr Energieeffizienz durch
mehr Konsum wieder aufgezehrt werden, die größte Herausforderung.
- Bei öffentlichen Investitionen und der Vergabe wenden wir auf allen politischen Ebenen
sozial-ökologische Kriterien bei der Entscheidungsfindung und Planung an.
- Wir stärken die kommunalen Ebenen. Gesetzliche Rahmenbedingungen dürfen die
Kreativität und regional spezifische Maßnahmen und Erfordernisse zum Schutz des Klimas
und zur Einhaltung der Klimaziele in den Kommunen nicht blockieren. Kommunen müssen
zum Vorbild anderer voranschreiten können.
- Klimaagenturen mit beratender Funktion geben „Best Practice“-Beispiele weiter,
unterstützen bei Förderanträgen und organisieren Bildungsveranstaltungen und
Bürger*innenforen.
- Wir brauchen eine Kampagne für das Handwerk und Umschulungsangebote, auch für
Unternehmen, und oft in Verbindung mit digitalen Technologien. Der immense Ausbau der
Erneuerbaren, die Sanierung von Gebäuden, das 100.000-Wärmepumpen-Programm oder auch
die arbeitsintensivere Öko-Landwirtschaft – der Klimaschutz wird zig Tausende neue
Jobs bringen, vor allem in Technologie und Handwerk.
6. Sektorspezifische Maßnahmen zur Umsetzung der Klimaschutzziele
Um die Ziele des Klimaschutzgesetzes in den einzelnen Sektoren zu erreichen, wollen wir die
nachfolgenden Maßnahmen auf den Weg bringen:
6a. Stromerzeugung erneuerbar
Derzeit liegen die ausgestoßenen Mengen CO2 für die Energiewirtschaft bei über 300 Millionen
Tonnen jährlich, das sind über 30 Prozent. Das ist meilenweit von einem Pfad zur Einhaltung
der Pariser Klimaziele entfernt. Schlimmer noch: Deutschland hinkt beim Ausbau der
erneuerbaren Energien weit hinterher. Sie sind jedoch das Herzstück jedes Klimaschutzes. Um
die Pariser Klimaziele zu erreichen, ist der schnelle Ausbau der erneuerbaren Energien nicht
mehr nur entscheidend für wirksamen und erfolgreichen Klimaschutz im Strombereich, sondern
auch der Wärme- und Verkehrssektor werden zukünftig größtenteils auf elektrischer Basis
betrieben und massiv erneuerbare Energie benötigen. Hinzu kommt der zusätzliche Bedarf an
erneuerbarem Strom, um Wasserstoff und andere Gase (zum Beispiel als Speicher oder für
erneuerbare Treibstoffe) zu produzieren, gerade auch für den Stahl- und den Chemiebereich.
Es geht nun also nicht mehr nur um die 100 Prozent Strom aus erneuerbaren Energien zur
reinen Elektrizitätsversorgung, die wir 2030 erreichen wollen, sondern um 100 Prozent
erneuerbaren Strom für eine klimaneutrale Wirtschaft insgesamt.
Der stockende Ausbau und die Politik der Bundesregierung führen dazu, dass wir uns derzeit
aber nur auf einem Ausbaupfad von maximal 45 Prozent bewegen. Das ist auch das größte
Hindernis für den Kohleausstieg, den wir sofort beginnen und schnell abschließen müssen. Die
von der Bundesregierung eingesetzte Kohlekommission hat einen Plan zum Kohleausstieg
vorgelegt, der nicht Paris-kompatibel ist und bei Weitem nicht ausreicht. Sowohl beim
Ausstiegsdatum, als auch bei den zeitnahen Maßnahmen gibt es erheblichen Korrekturbedarf.
Deshalb haben die am Ergebnis beteiligten Umweltverbände und Wissenschaftler*innen
Revisionsklauseln verankert und ein Sondervotum abgegeben. Entscheidend ist jetzt, das
verbleibende CO2-Budget für den Stromsektor deutlich zu reduzieren. Das heißt, viele
Kraftwerke schnell und zeitnah abzuschalten, um spätestens 2030 aus der Kohle aussteigen zu
können. Das heißt auch, dass Dörfer nicht mehr zerstört werden dürfen. Dafür wollen wir das
überkommene Bergrecht ändern. Denn noch immer sollen Menschen - gegen ihren Willen - für
Braunkohletagebaue umgesiedelt werden. Wir machen uns daher dafür stark:
- über ein Kohleausstiegsgesetz in den nächsten drei Jahren mindestens rund ein Viertel
der Braunkohlekapazitäten und ein Drittel der Steinkohlekapazitäten abzuschalten.
- einen verbindlichen Abschaltplan der Kohlekraftwerke für die Zeit nach 2022. Wir
werden uns zudem für entschädigungsfreie Abschaltungen der Kohlekraftwerke einsetzen.
- die Strukturförderung an konkrete Abschaltungen und den Ausbau erneuerbarer Energien
sowie weiterer Energiewende-Infrastruktur vor Ort zu koppeln.
Zentral dafür wird sein, ob wir den Ausbau der Erneuerbaren und des Energiesystems umgehend
und massiv voranbringen. Gleichzeitig muss der Atomausstieg konsequent umgesetzt werden,
denn von der Atomenergie gehen nicht zu verantwortende Gefahren, Strahlenbelastungen für
Generationen und erhebliche wirtschaftliche Risiken aus.
Das Missmanagement der Bundesregierung hat den Ausbau der erneuerbaren Energien fast zum
Erliegen gebracht. Durch die letzten Novellen ist aus dem extrem erfolgreichen Erneuerbare-
Energien-Gesetz, dem am häufigsten kopierten Gesetz der Welt, mittlerweile eher ein Anti-
Erneuerbare-Energien-Gesetz geworden: Den Erneuerbaren wurden Deckel und andere Hindernisse
zur Verhinderung von schnellem Wachstum vorgegeben. Das ist der eigentliche Skandal.
Wir wollen den Ausbau der Erneuerbaren mit großer Geschwindigkeit wieder in Gang bringen.
Konkret soll die installierte Leistung von Wind onshore in den nächsten zehn Jahren
mindestens verdoppelt, die für offshore verfünffacht und die für PV (Dach, Fassaden und
Freiflächen) auf 250 Gigawatt (GW) angehoben werden. Damit sowie mit massiver
Energieeinsparung kann Deutschland seinen Stromverbrauch komplett erneuerbar decken. Dafür
benötigen wir auch eine schnelle Realisierung der geplanten Nord-Süd-Leitungen, insbesondere
von "SuedLink".
Ergänzend wollen wir Energiepartnerschaften mit den Nachbarstaaten der Europäischen Union
aus dem Sonnengürtel zur Produktion von solarem Wasserstoff schließen. Solche
Energiepartnerschaften müssen auf Augenhöhe und unter Einbeziehung der Bürger*innen in der
Region verhandelt werden. Die Vorteile müssen vor allem der Region zugutekommen, aus welcher
die Energie geliefert wird. Darüber hinaus dürfen die Projekte nicht von der Herausforderung
des Ausbaus erneuerbarer Energien in Deutschland ablenken.
Klar ist: Die Energiewende mit 100 Prozent Erneuerbaren kann besser gelingen, wenn wir sie
europäisch denken, indem wir Energie durch Import und Export nach Bedarf ausgleichen und
zugleich die Potenziale der Bürger*innen-Energiewende wieder heben.
Weder ist es nötig noch erstrebenswert, dass wir dezentrale Energieerzeugung zu kleinteilig
denken. Europa soll zu einem gemeinsamen Strommarkt auf der Basis von Erneuerbaren
zusammenwachsen. Dafür brauchen wir eine zu 100 Prozent erneuerbare und energieeffiziente
Europäische Union als Treiberin für die internationale Energiewende und ambitioniertere
europäische Klimaziele. Die Förderung von nachhaltiger Landwirtschaft, klimafreundlicher
Mobilität, Photovoltaik, Windenergie, Biomasse und anderen regenerativen Stromquellen auch
auf europäischer Ebene muss noch stärker vorangetrieben werden. Die Vernetzung der
verschiedenen erneuerbaren Quellen senkt den Bedarf am Ausbau erheblich. Je größer der Raum
und je vernetzter die Quellen, desto günstiger wird es und desto geringer ist der Bedarf am
Ausbau.
Im Sektor Strom müssen Effizienzgewinne schnell realisiert werden:
- strikte Effizienzvorgaben und Förderung von Effizienzgewinnen und Stromeinsparungen
für Energieversorger, Produktion, Industrie, Datenzentren, Gewerbe, bei Handel und
Dienstleistungen,
- eine „Langes Leben“-Produktoffensive (zum Beispiel Garantiehaftung von zwei auf fünf
Jahre anheben) sowie ein Förderprogramm „Dekarbonisierung für die Industrie“,
- Förderung von Stromeinsparungen im Haushaltsbereich durch kontinuierlich steigende
Effizienzvorgaben für Haushaltsgeräte, Umstellung auf LED-Beleuchtung und sparsamere
Rechnerleistungen.
Die Ausbau-Offensive im Bereich der erneuerbaren Stromerzeugung umfasst folgende Maßnahmen:
- Die Verhinderungs-Deckel beim Ausbau von Ökostrom müssen unverzüglich gestrichen
werden. Nur den Solardeckel aufzuheben, reicht nicht aus. Entsprechend des
Ausbaupfades müssen die planbaren Flächen deutlich erhöht werden. Wir wollen, dass
insbesondere für Energieprojekte von Bürger*innen wieder feste Einspeisevergütungen
gezahlt werden. Ausschreibungen haben sich als Zubaubremse erwiesen.
- Vorrangregelung und Abnahmepflicht des erneuerbaren Stroms müssen gesichert werden.
- Jährlicher Zubau von mindestens 5-6 GW Wind auf dem Land, ab Mitte der 2020er Jahre
von 7-8 GW.
- Eine Repowering-Offensive durch planungsrechtliche Verbesserungen und gesonderte
Ausschreibungen.
- Festlegung eines nationalen Flächenziels Windkraft von zwei Prozent der Landesfläche
und Verpflichtung der Länder, entsprechende Flächen auszuweisen, auf denen
Windenergieanlagen errichtet werden können.
- Wenn Windparks gebaut oder erweitert werden, sollen die anliegenden Gemeinden und
damit ihre Bürger*innen über eine Windpark-Abgabe finanziell an den Erträgen
teilhaben.
- Erhebliche Erleichterungen bei den Genehmigungen für Windenergieanlagen durch
Überprüfung bestehender Regelungen im Bereich Flugsicherung, Denkmal- und Naturschutz
sowie bei Abstandsregelungen und im Planungsrecht mit der Maßgabe, den Ausbau von
Erneuerbaren zu fördern. Im Artenschutz wollen wir bei guter Bestandsentwicklung die
Ausnahmegenehmigungen besser nutzen.
- Das Ausbauziel für Windenergie auf See ist auf 35 GW bis 2035 anzuheben. Dazu brauchen
wir im Durchschnitt einen jährlichen Zubau von etwa drei GW pro Jahr.
- Um bei Wind offshore schneller voranzukommen, wollen wir mit anderen Nord- und Ostsee-
Anrainerstaaten eine gemeinsame Raumplanung machen, die dann auch die Räume außerhalb
der einzelnen Hoheitsgebiete enthält und eine koordinierte Planung zur
Berücksichtigung des Artenschutzes, insbesondere den Vogelzug, erlaubt.
- Bei Photovoltaik akuter jährlicher Zubau von 10-12 GW pro Jahr als Dachanlagen, für
Gebäudefassaden und Freiflächen; ab Mitte der 2020er Anstieg auf 18-20 GW pro Jahr.
- Einführung einer Solarpflicht für Photovoltaik oder Solarthermie bei Neubauten sowie
bei Dach- oder Fassadenerneuerung im Altbau. Mit Blick auf die Baukultur und zur
Wahrung der hohen Akzeptanz der Photovoltaik wollen wir die Verbreitung der gebäude-
und bauwerkintegrierten Photovoltaik fördern. Die Technik ist vorhanden. Jedoch
bestehen u.a. rechtliche Hürden bei der Markteinführung, die so schnell wie möglich
abgebaut werden müssen.
- Ausbildungs- und Weiterbildungsprogramm für Fachkräfte für Solarenergie, im Bausektor
und Facharbeiter*innen in der Solarzellenproduktion.
- Aufbau einer Multi-Gigawatt-Solarfabrik, unterstützt durch staatliche Bürgschaften.
Flächen effizient nutzen. Der immense Ausbau der Erneuerbaren, den wir brauchen, benötigt
Fläche. Für Windenergie an Land benötigen wir nicht mehr als zwei Prozent der Landesfläche.
Gleichzeitig brauchen wir eine Vervielfältigung der Solarenergieproduktion. Dafür können -
neben anderweitig nicht nutzbaren Flächen wie beispielsweise Deponien, bereits versiegelten
Flächen oder direkt in Windparks - auch Ackerflächen genutzt werden, auf den keine
Lebensmittelproduktion stattfindet, wie z.B. Flächen zur Kraftstoffproduktion. Zudem kann
der Bedarf an Biogas-Mais verringert werden, da die Energieerzeugung durch Photovoltaik
fünfzig- bis hundertfach flächeneffizienter ist. Landwirtinnen und Landwirte, die in den
bestehenden Energiepflanzen-Programmen ökonomisch gebunden sind, fördern wir
einkommensneutral, sodass sie auf Photovoltaik umsteigen können. Durch Agro-PV-Anlagen
können in Summe sogar höhere Erträge als heute erzielt werden.
Photovoltaik-Freiflächenanlagen im Bereich von 110 Metern beiderseits von Autobahnen und
Schienen sollen als "Sonnen-Ernte" landwirtschaftlicher Nutzung gleichgestellt werden.
Dadurch werden sie privilegiert und das Planungsverfahren entschlackt. Zudem wollen wir mehr
Dachflächen für den Ausbau der Photovoltaik aktivieren, indem wir zum Beispiel Photovoltaik-
Anlagen auf Gebäuden wieder aus der Ausschreibungspflicht nehmen. Die EEG-Umlage auf
Eigenverbrauch werden wir abschaffen.
Insgesamt streben wir für den Energiesektor an:
- Der bis ins Unermessliche gestiegene bürokratische Aufwand für eine eigene
Photovoltaik-Anlage auf dem Dach und sonstige eigene Erneuerbaren-Anlagen zur
Stromlieferung an Dritte sowie die damit verbundenen, mittlerweile kaum mehr zu
verstehenden steuerrechtlichen Regelungen müssen harmonisiert, deutlich reduziert und
vereinfacht werden, wie es auch das EU-Recht fordert.
- Den Ausbau von PV-Strom vom Dach als Mieterstrom wollen wir insbesondere im
Mieterstromgesetz radikal vereinfachen und steuerliche Hemmnisse und Bürokratie
abbauen. Dabei wollen wir Marktanreize insbesondere auch für die gebäude- und
bauwerksintegrierte Photovoltaik setzen. Die Verpachtung von Dächern und die
Vermarktung von PV-Strom vom Dach im Quartier muss einfach und lohnend werden, für
Erzeuger*innen und Nutzer*innen.
- Auflegen eines Förderprogramms für 100.000 Stromspeicher, die netzdienlich betrieben
werden, um die dezentrale Ökostromversorgung zu erleichtern.
- Anreize für Investor*innen, Anwohner*innen, und Anliegergemeinden von Wind- und
Solarenergieanlagen schaffen, u.a. durch Forschungs- und Förderprogramme für
Agrophotovoltaik zur gleichzeitigen Nutzung von Fläche für Landwirtschaft und
Energieproduktion sowie Pflichtanteile erneuerbarer Wärme wie Solarthermie bei der
Modernisierung von Altbauten. Bei der Onshore-Windkraft wollen wir zugunsten von
Bürgerenergieprojekten die vorhandenen Spielräume jenseits der Ausschreibungspflicht
nutzen.
- Länder und Kommunen bei der Lösung von Konflikten, zum Beispiel zwischen Windanlagen
und Naturschutz unterstützen, anstatt sie wie bisher alleine zu lassen.
- Das Strom- und Energiemarktdesign reformieren und zukunftsfähig machen: Erneuerbare
werden planbar ausgebaut, Sektorkopplung wird ermöglicht und die Chancen der
Digitalisierung werden genutzt.
- Eine Anschlussfinanzierung für bestehende Biomasseanlagen, um die Energieerzeugung aus
Biomasse zu erhalten. Die Anschlussfinanzierung soll daran geknüpft sein, dass die
Bioenergieanlagen flexibilisiert werden und entweder Biogas einspeisen können oder
dann Strom erzeugen, wenn wenig Wind- und Solarenergie zur Verfügung steht, und sie
möglichst weitgehend auf Rest- und Abfallstoffe sowie Gülle umgestellt werden.
- Fairere Gestaltung der Umlagen und Entgelte zwischen Verbraucher*innen, der Industrie
und kleineren und mittleren Unternehmen, um die Quersubventionierung der Industrie
über die EEG- und Netzentgelt-Befreiung der energieintensiven Unternehmen zu Lasten
der Privathaushalte zu beenden. Das schafft mehr soziale Gerechtigkeit und Anreize, in
der Industrie Emissionen zu senken. Die Benachteiligungen für die erneuerbaren
Energien, die sich aus dem gegenwärtigen Strommarktdesign ergeben, wollen wir
analysieren und beseitigen.
- Europarechtliche Vorgaben im Energiemarktdesign so schnell wie möglich in nationales
Recht umsetzen, um der Bürgerenergie Flügel zu verleihen: So kann jede*r auf Dach oder
Balkon Strom erzeugen und abgabenfrei selbst verbrauchen oder an Nachbar*innen
verkaufen.
- Deutschland muss den Vertrag über die Energiecharta kündigen, damit auch fossile
Infrastruktur ausländischer Eigentümer*innen entschädigungsfrei stillgelegt werden
kann.
- Schnellstmögliche und konsequente Umsetzung der EU-Vorgaben für den Schadstoffausstoß
von Kraftwerken in nationales Recht. Die nationalen Grenzwerte müssen aus Gründen des
Gesundheitsschutzes - insbesondere auch bei Quecksilber - an der unteren Grenze der
nach EU-Recht zulässigen Bandbreiten festgelegt werden.
Parallel dazu setzen wir auf:
- eine Förderung der inländischen, nachhaltigen Batteriezellenproduktion und einer damit
verbundenen Kreislaufwirtschaft,
- die konsequente Umstrukturierung des Energiemarktdesigns und der energiebezogenen
Abgaben, Entgelte und Umlagen mit der Zielvorgabe 100 Prozent Erneuerbare bis 2030.
Dazu gehören starke Anreize für Sektorkopplung und Speicherung,
- Forschungsunterstützung für die Wasserstoff-Industrie über ein Investitionsprogramm
„Grüner Wasserstoff“. Gefördert werden sollen u.a. die erneuerbare
Wasserstofferzeugung und Speicherung, Wasserstoff-Dunkelflautenspeicher in Gaskavernen
und der Einsatz in Industrieprozessen.
6b. Energiewende im Wärmesektor und bei Gebäuden
Die Energiewende in Gebäuden kommt seit Jahren nicht schnell genug voran. Die Sanierungsrate
zur Energieeinsparung und der Anteil an Wärme aus erneuerbaren Energien reichen bei Weitem
nicht aus und stagnieren auf niedrigstem Niveau. Mit einem „Weiter so“ würde es hundert
Jahre dauern, einen klimaneutralen Gebäudebereich zu schaffen – wir brauchen ihn aber
viermal so schnell, um die Pariser Klimaziele zu erreichen. Daher müssen wir jetzt gemeinsam
mit allen Eigentümerinnen und Eigentümern und allen Mieterinnen und Mietern einen Aufbruch
hin zu ökologisch modernen Gebäuden schaffen.
Mit Zuschüssen und zinslosen staatlichen Sanierungskrediten mit wahlweise langen Laufzeiten
unterstützen wir Eigenheimbesitzer*innen bei der energetischen Gebäudemodernisierung. Ein
CO2-Preis auf Heizstoffe macht Klima-Modernisierung wirtschaftlicher als bisher. Damit alle
Eigentümer*innen und Mieter*innen bei der Energiewende in Gebäuden mitmachen und
partizipieren können, braucht es zusätzlich passende Regeln, Anreize und Informationen. So
soll der CO2-Preis auf Wärmebrennstoffe als Anreiz für die Vermieter*innen wirken, den
energetischen Zustand ihrer Gebäude zu verbessern. Sie sollen deshalb CO2-Preiskomponenten
nicht Eins-zu-Eins auf Mieter*innen umlegen dürfen.
Dazu gehört auch die steuerliche Förderung als Anreiz für energetische Modernisierung.
Gerade private Eigenheimbesitzer*innen benötigen steuerliche Anreize zur
Gebäudemodernisierung. Der Steuerbonus muss klimapolitisch wirksam ausgestaltet sein. Egal
ob Zuschuss-, Kredit- oder steuerliche Förderung: Es dürfen nur Maßnahmen gefördert werden,
die nachweislich mit ihrer CO2-Einsparung auf dem vom Pariser Abkommen vorgegebenen
Minderungspfad liegen. Durch Abzug von der Steuerschuld müssen alle gleichermaßen davon
profitieren, und die Sonderabschreibung muss analog zur KfW-Förderung ausgestaltet sein.
Wie im Stromsektor gehört auch beim Heizen und Kühlen die Zukunft den erneuerbaren Energien.
Wir wollen:
- einen Systemwechsel erreichen: Dort, wo es die Besiedlungsstruktur ermöglicht, weg von
der Einzelbefeuerungsanlage und der Einzelhausbetrachtung hin zu einer
Quartiersbetrachtung und zu Nah- bzw. Fernwärmenetzen, die dann aus verschiedenen
erneuerbaren Quellen gespeist werden können.
- dass alle Kommunen ein Energiemanagement durchführen müssen und einen Energiebericht
verfassen, damit überhaupt Daten erhoben, Maßnahmen umgesetzt und nachgesteuert werden
können. Kommunen haben sich zukünftig nicht nur um ihren eigenen Gebäudebestand zu
kümmern. Kommunen werden wir dabei finanziell unterstützen, eine datenbasierte
Wärmeplanung für einen klimaverträglichen Umbau der Wärmeversorgung in den einzelnen
Quartieren aufzulegen. Diese Wärmeplanung wird Grundlage für eine Förderung der
nötigen Investitionen sein.
- den vorgeschriebenen Anteil an erneuerbaren Energien bei Neubau und Bestand deutlich
anheben.
- den Passivhausstandard für alle Neubauten verbindlich machen, Fassaden- oder
Dachbegrünung sowie Plus-Energiegebäude fördern.
- eine Ausbildungsoffensive im Handwerk und Baugewerbe, um die notwendige Sanierungsrate
überhaupt zu ermöglichen.
Ein Austauschprogramm „Sonne statt Öl“ und Klima-Service für Eigentümer*innen. 16 der 19
Millionen Wohngebäude in Deutschland sind Ein- und Zweifamilienhäuser. Viele davon sind noch
vor der ersten Wärmeschutzverordnung im Jahr 1978 entstanden und bisher nicht energetisch
modernisiert. Die Eigentümer*innen und Mieter*innen dieser Gebäude sind in der Regel keine
Bauexperten. Sie brauchen daher einen einfachen Zugang zu den besten Klimainformationen und
Modernisierungen. Zentral ist für uns daher:
- ein Austauschprogramm „Sonne statt Öl", das den Tausch von Öl- und Gasheizungen gegen
moderne Heizungen mit Sonnenwärme und hocheffizienten Wärmepumpen fördert,
- dass Ölheizungen ab sofort und reine Gasheizungen (ohne Kraft-Wärme-Kopplung oder
Unterstützung von Wärmepumpen , Solarenergie oder anderen erneuerbaren Wärmequellen)
ab 2025 nicht mehr eingebaut werden,
- der Ersatz der fossilen Erdgasversorgung durch ambitionierte Effizienzanstrengungen,
die den Gesamtbedarf reduzieren, sowie durch erneuerbare Energien (u.a. grüne Gase),
- das Auflegen eines 100.000-Wärmepumpen-Programms. Mit Wärmepumpen können wir aus einer
Kilowattstunde (kWh) Strom rund vier kWh Wärme machen. Der Austausch von fossilen
Heizungen zu Wärmepumpen stellt mit Solarwärme und PV sowie saisonalen Speichern und
Wärmenetzen in der drängenden, kurzen Zeit eine große Chance auf rasche
Klimaneutralität des Gebäudebestands dar,
- ein kostenloser Klima-Service für Eigentümer*innen von Ein- und Zweifamilienhäusern:
Qualifizierte Energieberater*innen nehmen eine Vor-Ort-Analyse vor und erstellen einen
kostenlosen Sanierungsfahrplan fürs Haus. Ein solcher Klima-Fahrplan schlägt geeignete
Schritte vor, mit denen das Haus zum Niedrig-Energie-Gebäude mit erneuerbarer Wärme
werden kann,
- ein finanzieller Zuschuss für eine fachkundige Energie-Planung und -Bauüberwachung für
Ein- und Zweifamilienhäusern: Qualifizierte Energieberater*innen planen und überwachen
in Zusammenarbeit mit der Objektplanung, der Bauleitung und der Objektbauüberwachung
die Umsetzung einzelner Schritte des Klima-Fahrplans für das Haus.
Klima-Check und Mieterschutz für Mieter*innen. Jeder Mieter, jede Mieterin soll wissen, wie
es um die eigene Wohnung bezüglich der Klimaziele und Heizkosten steht. Außerdem wollen wir
Mieterinnen und Mieter vor hohen Heiz- und Modernisierungskosten schützen. Dafür wollen wir:
- jeder Mieterin und jedem Mieter einen Gutschein für einen Klima-Check für ihre/seine
Wohnung geben, um ein kostenloses Heizgutachten auf Basis der aktuellen
Heizkostenabrechnung zu erstellen,
- klimagerechte Modernisierungen von Gebäuden und Wohnungen, die sich jede*r leisten
kann, möglichst ohne Erhöhung der Warmmiete. Für energetisch modernisierte Wohnungen
wollen wir einen Klimazuschuss zum Wohngeld einführen, damit sich auch Haushalte mit
kleinen Einkommen diese Wohnungen leisten können. Mit dem Förderprogramm „Gutes Klima
im Quartier“ fördern wir energetische Modernisierungen ganzer Stadtviertel ohne
Erhöhung der Warmmieten. Mit der sozialen Wohnraumförderung und bei kommunalen
Wohnungsunternehmen ermöglichen wir das ebenfalls. Die von uns vorgesehene Absenkung
der Modernisierungsumlage ist ein wichtiger Schritt, um als Sofortmaßnahme die
einseitige Kostenverteilung zulasten der Mieter*innen zu beenden. Darüber hinaus
werden wir alternative Vorschläge, die Modernisierungsumlage durch ein anderes
Instrument zu ersetzen, prüfen und gegebenenfalls in einem zweiten Schritt umsetzen.
Aktionsplan Faire Wärme. Unser umfassender Aktionsplan Faire Wärme denkt die Bausteine der
Energiewende im Wärmesektor und in Gebäuden zusammen, für Wohnhäuser und Quartiere, Stadt
und Land. Dazu gehören:
- eine erhebliche Aufstockung der Mittel für erneuerbare Wärme, energetische
Modernisierung und saubere Wärmenetze, um Heizen ohne Klimaschaden zu ermöglichen,
- das Programm „Gutes Klima im Quartier“: ein Förderprogramm für die Quartierssanierung
ohne Erhöhung der Warmmieten, zur Klima-Modernisierung ganzer Stadtviertel und Dörfer
und ihrer Gebäude, gemeinsam geplant mit den Menschen und Unternehmen vor Ort,
- deutlicher Ausbau der Förderung und Unterstützung für Kommunen, damit auch
finanzschwache Kommunen diese Aufgaben im kommunalen Klimaschutz wahrnehmen und ihre
eigenen Liegenschaften möglichst schnell klimaneutral machen können,
- ein Steuerbonus für selbst nutzende Eigentümer*innen, die ihr Haus oder ihre Wohnung
klimafreundlich modernisieren wollen,
- endlich konsequenter Klimaschutz bei Bundesimmobilien: Klima-Fahrplan für die
bundeseigenen Liegenschaften und ein Aktionsprogramm klimaneutrale Bundesverwaltung;
Ziel: sämtliche Bundesliegenschaften werden bis zum Jahr 2030 klimaneutral,
- 200 Millionen Euro jährlich für qualifizierte Energieberatung wie Klima-Service und
Klima-Check.
Mehr Energieeffizienz. Die beste Energie ist diejenige, die gar nicht erst verbraucht wird.
Hier reichen die heutigen politischen Rahmenbedingungen für mehr Energiesparen und bessere
Energieeffizienz bei weitem nicht aus. Wir brauchen:
- Förderprogramme für die Entwicklung und Nutzung ökologischer Bau- und Dämmstoffe, um
Alternativen zu synthetischen Dämmstoffen auf fossiler Basis zu unterstützen,
- die Umsetzung des gültigen EU-Rechts in ein modernes Gebäudeenergiegesetz, das an
Energieeffizienz und dem CO2-Ausstoß ausgerichtet ist,
- Möglichst geringer Energieverbrauch als verpflichtenden Standard: das Passivhaus bei
Neubauten, und bei umfassender Modernisierung sowie Sanierung des Bestandes soll das
KfW-Effizienzhaus 55 der Zielstandard sein, oberhalb der gesetzlichen Standards wollen
wir die Förderung durch die KfW aufstocken.
- für energetische Modernisierungen staatliche Nullzins-Darlehen mit langen
Rücklaufzeiten, denn eine bessere Investition als Energieeinsparung gibt es nicht.
Wärmenetze dekarbonisieren und ausbauen. Ein relevanter Teil der Wärmeversorgung erfolgt
über Nah- und Fernwärmenetze. Doch derzeit wird das Potenzial der leitungsgebundenen Wärme
für den Klimaschutz nicht ausreichend genutzt. Das gilt hinsichtlich der Integration von
erneuerbaren Energien ebenso wie für die Nutzung von Abwärme, die bei Produktions- und
Dienstleistungsprozessen entsteht und ansonsten als ungenutztes Nebenprodukt an die Umwelt
abgeführt werden müsste. Wir wollen:
- Nahwärmenetze zielgerichtet ausbauen und die entsprechenden Förderprogramme erhöhen,
- ein Förderprogramm in Höhe von 400 Millionen Euro für 10.000 Wärmespeicher auflegen,
damit insbesondere Gemeinden oder Stadtteile mit Wärmenetzen mindestens einen großen
Wärmespeicher errichten können und so die Flexibilität im Wärme- und
Stromversorgungssystem erhöht wird,
- verpflichtende Emissionsminderungsziele für Fernwärmebetreiber,
- Wärmenetze für die Einspeisung erneuerbarer Wärme sowie industrieller und gewerblicher
Abwärme durch gesetzliche Regelungen öffnen, um auch die Nah- und Fernwärmeversorgung
so schnell wie möglich zu dekarbonisieren. Wenn eine Wärmeversorgung auf Basis von
Abwärme möglich ist, ist diese einer Nutzung von zusätzlichen Erneuerbaren
vorzuziehen.
Flächensparend Wohnen und ressourcensparend Bauen. Die Effizienzgewinne durch energetische
Modernisierungen wurden in den letzten Jahrzehnten weitgehend durch die Zunahme der Pro-
Kopf-Wohnfläche aufgezehrt, sodass der Energieverbrauch real kaum gesunken ist. Und das
trotz Dämmung, effizienterer Heizkessel und dreifachverglaster Fenster. Gleichzeitig steckt
in jedem Neubau graue Energie, die für die Herstellung von Beton, Stahl und anderen
Baustoffen eingesetzt wurde. In Zeiten der Klimakrise heißt die Lösung für zu wenig
verfügbaren, bezahlbaren Wohnraum deshalb auch, den bestehenden Wohnraum besser auszunutzen.
Dazu vereinfachen wir die rechtlichen Voraussetzungen für Wohnungstausch, fördern flexible
Grundrisse und beraten zu Umzügen und Umbauten mit dem Ziel der Verkleinerung der
Wohnfläche. Mit einem Programm für flächensparendes Wohnen ermöglichen wir es beispielsweise
Eltern, ihre Wohnung nach dem Auszug ihrer Kinder so umzubauen, dass die alten Kinderzimmer
vermietet werden können.
6c. Verkehrswende – mehr Mobilität mit weniger Verkehr
Rund 20 Prozent der deutschen Treibhausgase kommen aus dem Verkehrssektor. Von einem
Minderungspfad, der mit den Klimazielen von Paris vereinbar wäre, sind wir meilenweit
entfernt. Die Emissionen im Verkehrssektor sind derzeit immer noch genauso hoch wie 1990,
alle Effizienzmaßnahmen sind durch höheres Gewicht, stärkere Leistungen, längere Strecken im
Autoverkehr und die Zunahme des Straßengüterverkehrs aufgezehrt worden, alle Klimaziele im
Verkehrssektor werden krachend verfehlt. Die zunehmenden Emissionen des von Deutschland
ausgehenden internationalen Luftverkehrs sind dabei noch nicht einmal berücksichtigt. Allein
die durch unseren Verkehr verursachten Folgekosten liegen pro Jahr bei 149 Milliarden Euro.
Mobilität und Lebensqualität zusammenzubringen heißt: Verkehr vermeiden, verlagern und
klimafreundliche Verkehrsmittel miteinander vernetzen. Ein „Weiter so“ wäre nicht nur
ökologischer, sondern auch volkswirtschaftlicher Irrsinn. Um Klimaschädigung und
Verkehrsbelastungen wirksam zu vermindern, müssen wir eine umfassende Verkehrswende auf den
Weg bringen. Mit ihr geht die Ära des fossilen Verbrennungsmotors und eine einseitig auf
immer mehr Pkw- und Lkw-Verkehr ausgerichtete Infrastrukturentwicklung zu Ende.
Mit dem Ausbau von Schiene, ÖPNV und Radverkehr, der Vernetzung von Verkehrsangeboten, mit
neuen Sharing-Formen und der Antriebswende können wir den Energiebedarf des Verkehrs
vermindern, eine für alle Menschen bezahlbare Mobilität schaffen und die Klimaziele im
Verkehr erreichen. Wir können die Anzahl der Autos verringern, die heute Tag für Tag im Stau
stehen und in den Städten wertvolle Flächen vollstellen, und so Verkehrssicherheit und
Lebensqualität erhöhen, ohne unsere Mobilität zu vermindern. Schon die Entzerrung
eingeschliffener Tagesabläufe, etwa des Schulbeginns, hilft uns, den Bedarf nach Mobilität
gleichmäßiger zu verteilen und unsere Infrastruktur besser zu nutzen.
Unsere Schwerpunkte für eine klimafreundliche Mobilität sind:
Überarbeitung des ordnungs-, finanz- und steuerpolitischen Rahmens der Verkehrspolitik.
Diesen Rahmen zu überarbeiten mit dem Ziel der Förderung sozialverträglicher, ökologischer
und technischer Maßnahmen heißt:
- den Bundesverkehrswegeplan komplett zu überarbeiten und als Bundesnetzplan für
Mobilität neu aufzustellen,
- den Kommunen das Recht zu geben, innerorts eigenständig und unbürokratisch über die
Einführung von Maßnahmen zur Einhaltung der Klimaziele zu entscheiden: zum Beispiel
autofreie Innenstädte und Quartiere innerhalb ihrer Stadtgrenzen und/oder in
Kooperation mit benachbarten Kommunen gestalten und dafür die Reduzierung öffentlichen
und privaten Parkraums umzusetzen, Fahrradstraßen und Fußwegenetze, Tempolimits oder
eine City-Maut einführen,
- den steuer- und finanzpolitischen Rahmen u.a. mit dem Ziel auszuschöpfen, den Kauf von
Autos mit fossilem Verbrennungsmotor auslaufen zu lassen und die Nutzung öffentlicher
Verkehrsangebote preiswert zu gestalten.
Die Bahn flott machen. In den letzten Jahrzehnten wurde einseitig in den Straßenbau
investiert, während Schieneninfrastruktur in großem Ausmaß zurückgebaut wurde. Jetzt ist die
Schiene dran! Wir brauchen eine deutliche Erhöhung der Mittel für die Schiene. Während in
der Schweiz 348 Euro pro Einwohner*in in die Schiene fließen, sind es in Deutschland nur 64
Euro pro Kopf. Wir werden das Bestandsnetz besser pflegen und erhalten, stillgelegte
Strecken reaktivieren und das Schienennetz ausbauen.
Zur Finanzierung wollen wir den bisherigen „Finanzierungskreislauf Straße“ auflösen, wonach
Einnahmen aus der Lkw-Maut allergrößtenteils in den Straßenbau fließen. Mauteinnahmen müssen
auch der Bahn zugutekommen. Ab 2025 wollen wir keine neuen Bundesstraßen mehr in Angriff
nehmen, da Deutschland mit Straßen ausreichend erschlossen ist, während bei den
Schienenwegen erhebliche Nachholbedarfe aufzuarbeiten sind. Die Bahn ist das Verkehrsmittel,
das sich am einfachsten und mit der höchsten Energieeffizienz elektrifizieren lässt. Sie ist
das Rückgrat der Verkehrswende. Es braucht jedoch erhebliche Anstrengungen, damit sie diese
Rolle endlich übernehmen kann:
Bundesweiten Deutschlandtakt einführen: garantierte Anschlüsse, dichter Takt,
Abstimmung Fern- und Nahverkehr.
Regionalisierungsmittel erhöhen mit dem Ziel, die Fahrgastzahlen in Zügen bis
spätestens 2030 zu verdoppeln und langfristig zu vervierfachen.
Innerdeutschen und grenzüberschreitenden Schienenverkehr stärken: fehlende
Verbindungen im Schienennetz herstellen, Elektrifizierungslücken schließen, mehr
Ausweichstellen und Weichen schaffen sowie bisher eingleisige Strecken ausbauen.
Passagierrechte europaweit stärken, Nachtzugverbindungen wieder aufnehmen und
erweitern.
Um auch bei der Bahn das fossile Zeitalter auslaufen zu lassen, sind bis zum Jahr 2030
mindestens 75 Prozent der Bahnstrecken zu elektrifizieren. Die verbleibenden Strecken
sind entweder ebenfalls zu elektrifizieren oder die Züge werden auf alternative
Antriebe umgestellt.
Technische Möglichkeiten ausschöpfen zur intelligenten Steuerung des Schienenverkehrs
sowie zur Steigerung der Nutzung, bspw. Taktverdichtung.
Bessere Harmonisierung und Verstärkung des internationalen Bahnverkehrs zur
Beseitigung technischer Hemmnisse und für verbesserte Verbindungen; damit einhergehend
Anschlussgarantien und grenzüberschreitender Verbraucherschutz.
Erstellung eines Reaktivierungskonzeptes für ungenutzte und stillgelegte
Schienenstrecken sowie Personen- und Güterbahnhöfe inklusive der Chance, bereits
entwidmete, aber notwendige Trassen wieder zu ertüchtigen.
Die wachsende Zahl von Eisenbahnverkehrsunternehmen erfordert eine neutrale
Überwachung der Pünktlichkeit. Wir wollen diese nach einheitlichen Kriterien dem
Eisenbahn-Bundesamt übertragen und die unzureichende Selbstkontrolle der Unternehmen
beenden.
Den öffentlichen Personenverkehr stärken. Damit alle bezahlbar, verlässlich und
klimaschonend von A nach B kommen, muss der Öffentliche Personenverkehr besser ausgebaut und
die Angebote verbessert werden. Dazu braucht es:
- ein Förderprogramm „Mobilität im ländlichen Raum“ mit eindeutigen Kriterien zugunsten
des Ausbaus von vernetzten Mobilitäts- und Fahrzeugangeboten,
- die deutliche Erhöhung der Mittel für den Ausbau des Öffentlichen Personennahverkehrs,
um die Kapazitäten und das Preis-Leistungs-Verhältnis zu verbessern,
- die Förderkriterien für neue ÖPNV-Verbindungen überarbeiten und Klima- und
Umweltschutzaspekten ein größeres Gewicht geben,
- einen Mobilpass, um aus einer Hand mit allen Verkehrsmitteln – Busse, Bahnen, Share-
Bikes und -Cars – in ganz Deutschland unterwegs sein zu können,
- eine Mobilitätsgarantie für alle Menschen in Deutschland: durch gezielte Förderung
strukturschwacher Regionen allen Menschen Zugang zu einem regelmäßigen und
verlässlichen Nahverkehrsangebot ermöglichen,
- ein Investitionsprogramm zur Modernisierung und Sanierung der Personenbahnhöfe über
die bestehenden Initiativen hinaus,
- die Förderung von bundesweit zwanzig Modellprojekten, bei denen Kommunen auf einen
umlagefinanzierten stark preisreduzierten oder ticketslosen ÖPNV umsteigen wollen -
zudem werden wir die rechtlichen Hürden für alternative
Nahverkehrsfinanzierungsmodelle abbauen. Wir wollen Konzepte entwickeln, wie man einen
ticketlosen ÖPNV vor Ort erreichen kann,
- das Nutzen der Digitalisierung unter Berücksichtigung des Datenschutz, um weitere
Kapazitätserhöhungen und Flexibilisierungen im ÖPNV zu erreichen,
- ein Investitionsprogramm für Oberleitungs- und Schienenfahrzeuge in den Städten
zugunsten eines engmaschigen Nahverkehrsnetzes (Trams, Trolleybusse, Straßenbahnen),
- die Erstellung eines bundesweiten Mobilitätskonzeptes, das den Umweltverbund auch im
Umland stärkt, inklusive eines bundesweiten Rad- und Fußwegekonzepts in Zusammenarbeit
mit den Bundesländern zugunsten einer sicheren Rad- und Fußwegeinfrastruktur mit allen
notwendigen technischen Nebenanlagen wie Servicestationen oder Notrufe.
Vorrang für Rad- und Fußverkehr. Vier von zehn Autofahrten in der Stadt sind unter fünf
Kilometer – Distanzen, die leicht mit dem Fahrrad oder sogar zu Fuß zurückgelegt werden
können. Dem Fuß- und Radverkehr wird bislang aber meist nur so viel Platz zugestanden, dass
der Auto- und Lastwagenverkehr ungehindert rollen kann. Dabei legen die Menschen ein Drittel
ihrer täglichen Wege zu Fuß oder mit dem Rad zurück. Höchste Zeit, dass diese
klimafreundlichsten Fortbewegungen endlich nicht mehr behindert, sondern gefördert und
sicher gestaltet werden. Dazu braucht es:
- eine gerechte Verteilung und mehr Raum für Fußgänger*innen und Fahrradfahrer*innen in
den Städten und Gemeinden sowie neue Möglichkeiten des Parkraummanagements durch
Änderung des Straßenverkehrsrechts,
- autofreie Innenstädte, deren Planung und Einrichtung wir finanziell unterstützen
wollen, und die Förderung von City-Maut-Zonen,
- gemeinsame Bund-Länder-Kommunen-Programme zur Förderung von Rad- und Fußverkehr,
- eine Erhöhung der Mittel: Die Finanzierung fahrrad- und fußgängerfreundlicher Kommunen
muss sich an 100 Euro pro Einwohner*in pro Jahr orientieren,
- eine Rad- und fußverkehrsfreundliche Überarbeitung des Straßenverkehrsrechts, um
Radfahren und zu Fuß gehen als gleichberechtigte Verkehrsarten zu fördern und deutlich
sicherer und bequemer zu machen. Außerdem müssen Bußgelder für verkehrsgefährdendes
und fuß- und radverkehrsbehinderndes Verhalten erhöht werden,
- das Nutzen der Digitalisierung, um Sicherheit und Vorfahrt für Rad- und Fußverkehr
umzusetzen.
Tempolimits. In erster Linie helfen Tempolimits, den Verkehr sicherer zu machen, und
Unfälle, Tote und Verletzte zu vermeiden. Aber sie tragen auch zu Lärm-, Umwelt- und zum
Klimaschutz bei. Sehr schnell umsetzbar sind:
- die Einführung eines allgemeinen Tempolimits von 130 km/h auf Autobahnen. Wenn
besondere Gründe es notwendig machen, wie beispielsweise in und um Städte oder
Ballungsgebiete, dann gelten maximal 120 km/h.
- die Einführung von Tempo 30 innerorts auf allen Straßen als Regelgeschwindigkeit. Die
Kommunen dürfen dort auf Tempo 50 erhöhen, wo dadurch keine zusätzliche Gefährdung
entsteht.
- ein automatisiertes Verlangsamen in Gefahrenzonen, insbesondere vor
Kreuzungsbereichen, Schulen oder Krankenhäusern.
- das Anschärfen des Bußgeldkatalogs für Falschparken und zu schnelles Fahren.
Emissionsfreie Mobilität voranbringen. Trotz Bahnausbaus und gut funktionierendem
Personennahverkehr wird in naher Zukunft das Auto weiterhin eine wichtige Rolle spielen –
insbesondere in ländlichen Räumen. Jetzt muss die Bundesregierung endlich die richtigen
politischen Rahmenbedingungen setzen, damit der Sprung in die Zukunft klimafreundlicher
Antriebe schnell und reibungslos gelingt und es neue Ideen für gemeinschaftliche
Nutzungskonzepte gibt:
- Spätestens ab 2030 sollen nur noch emissionsfreie Autos neu zugelassen werden.
- Die Grüne Bundestagsfraktion wird beauftragt, unter Hinzuziehung externer
Einschätzungen aus Wissenschaft und Wirtschaft und in Kooperation mit der
Bundesarbeitsgemeinschaft Mobilität und Verkehr bis Ende 2020 ein Ausstiegsszenario
für das Ende des Verbrennungsmotors sowie die Produktion und den Vertrieb fossiler und
klimaschädigender Kraftstoffe auszuarbeiten und der Bundesdelegiertenkonferenz zur
Beschlussfassung vorzulegen.
- Die Förderung emissionsfreier Fahrzeuge soll durch eine Bonus-Malus-Regelung in der
Kfz-Steuer wirken, die kleine und energiearme Fahrzeuge belohnt und emissions- und
energieverbrauchsintensive Fahrzeuge teurer macht sowie durch Quoten für E-Autos.
Diese Quoten sollen ab 2021 exponentiell ansteigen, damit bereits Mitte der 2020er
Jahre drastisch weniger Autos mit fossilem Verbrennungsmotor auf den Markt kommen.
- Die öffentliche Hand muss bei emissionsfreien Fahrzeugen mit gutem Beispiel vorangehen
und bspw. Dienstwagenflotten und Nutzfahrzeugparks schnell umstellen.
- Wir wollen den Ausbau und die Standardisierung der Ladeinfrastruktur für
Elektromobilität im öffentlichen und privaten Raum, die Entwicklung eines
flächendeckenden, engmaschigen öffentlichen Netzes von Lade- und Tankstellen für
grünen Wasserstoff sowie CO2-neutrales Gas mit unkomplizierter Handhabung und
Abrechnung sowie mit transparenten Preisen und Abbau bürokratischer Hürden für
Ladestellen in Wohnhäusern. Ladestellen sollten auch für E-Fahrräder und andere
Elektrofahrzeuge nutzbar sein und während des Ladens sichere Abstellmöglichkeiten
bieten.
- Wir wollen den Abbau von Subventionen für fossil betriebene Autos sowie steuerliche
Anreize für die Nutzung von Rad, Bus, Bahn und abgasfreier Autos statt die
Subventionierung schwerer Dienstwagen.
Flugverkehr vermeiden und die Subventionierung des Flugverkehrs beenden. Wir wollen
innerdeutschen Flüge und Kurzstreckenflüge ins benachbarte Ausland durch schnelle und
bezahlbare Alternativen mit der Bahn bis 2030 überflüssig machen. Zug um Zug mit dem Ausbau
der Bahn werden wir Inlands- und Kurzstreckenflüge streichen, sodass diese bis 2030 der
Vergangenheit angehören. Staatliche Institutionen sollen beim Wechsel vom Flugzeug zur Bahn
als Vorbild voran gehen und ihre Regelungen zur Reisekostenerstattung entsprechend anpassen.
Dazu muss massiv in die Schieneninfrastruktur und das Zugmaterial investiert und zugleich
die Subventionierung des Flugverkehrs beendet werden. Insgesamt muss der Flugverkehr
klimafreundlicher gemacht werden. Wir wollen:
- die Befreiung des Kerosins von der Energiesteuer beenden,
- die Mehrwertsteuer für alle Flugreisen einführen und eine Vervierfachung der Steuern
auf Flugreisen, solange Kerosin- und Mehrwertsteuer nicht im vollen Umfang erhoben
werden, dabei soll es eine Differenzierung nach Streckenlänge, Klasse und
Lärmbelastung geben sowie die Ausweitung auf Frachtflüge,
- dass die Statussysteme für Vielflieger*innen und die Bonusmeilenprogramme aufgrund
ihrer klimapolitischen Fehlanreize beendet werden,
- die Subventionierung von Flughäfen stoppen,
- keine weiteren Start- und Landebahnen mehr genehmigen, sondern entsprechend des
wegfallenden Inlandsverkehrs reduzieren,
- die Start- und Landegebühren für besonders klimazerstörende, schadstoffreiche und
laute Flieger erhöhen,
- eine Initiative zur Festlegung ambitionierter CO2-Grenzwerte für Flugzeuge
international vorantreiben,
- die Forschung und Förderung von emissionsneutralen Flugzeugen und Kraftstoffen
fördern,
- Flüge mit Start und Ziel außerhalb der EU schnellstmöglich wieder in den Europäischen
Emissionshandel einbeziehen – ohne kostenlose Zuteilung von Zertifikaten,
- europäische und bilaterale Abkommen zur Erhebung einer Kerosinsteuer.
Den Güterverkehr dekarbonisieren. Der Güterverkehr nimmt immer weiter zu. Gleichzeitig
wächst der Anteil des Gütertransports auf der Straße, nicht aber auf der Schiene. Das wollen
wir umdrehen. Eine klimafreundliche Verkehrspolitik muss:
- die Lkw-Maut reformieren: Staffelung der Maut nach CO2-Ausstoß sowie Ausdehnung der
Lkw-Maut auf alle Straßen und alle Lkw über 3,5 Tonnen,
- schnell Güter von der Straße auf die Schiene bringen: dauerhafte Halbierung der
Trassenpreise, Ausbau der Schieneninfrastruktur,
- den Transportbedarf und den Güterverkehr reduzieren durch regionale
Wirtschaftskreisläufe und Verlagerung des Restverkehrs auf umweltfreundliche
Verkehrsträger,
- den gesamten Güterverkehr – auf Straße, Schiene, Wasser und in der Luft – auf
erneuerbare Energien umstellen; dazu bedarf es umfangreicher Forschungs- und
Markteinführungsförderung,
Mit der Binnen- und Seeschifffahrt die Klimaziele einhalten. Wir wollen:
- die Koordinierung und Konzeptionierung der Schifffahrt und der Häfen endlich in eine
verantwortliche zentrale Aufgabe des Bundes überführen, um die Klimaziele und die
Kapazitätsauslastung aller Häfen einzuhalten,
- klimafreundliche Antriebe zunächst auf EU-Ebene zum Standard machen,
- die Kreuzschifffahrt endlich Umweltstandards unterwerfen, denn diese gelten dort
bisher nicht
- mehr Güter von der Straße auf das Binnenschiff bringen, in dem wir zügig marode
Wasserstraßen umweltverträglich sanieren und ihren Erhalt und Modernisierung
langfristig sichern,
- schnell eine flächendeckende und verpflichtende Landstromversorgung in Häfen aufbauen,
- die Flottenerneuerung und Modernisierung der Binnenschifffahrt unterstützen, um
schnell zu emissionsfreien Antrieben zu kommen,
- den Seeschiffsverkehr in den EU-Emissionshandel einbeziehen,
- verbindliche Emissionsminderungsziele für die Seeschifffahrt – möglichst global, in
einem ersten Schritt jedoch von und zu Häfen in der Europäischen Union. Diese
Forderung hat Luxemburg bereits in den Rat der Mitgliedsstaaten eingebracht.
Ausbildungs- und Forschungsoffensive. Wir wollen:
- Die Forschung in Vernetzung und Digitalisierung von Verkehr darf nicht länger
vernachlässigt werden. Für neue Antriebe sowohl für Kraftfahrzeuge, für Schiffe und
vor allem für Flugzeuge brauchen wir innovativen Forschungsgeist. Deutschland hat die
Möglichkeit, zum globalen Spitzenreiter in diesem Sektor zu werden. Auch die Forschung
in die Vermeidung von Ultrafeinstaub muss höhere Priorität genießen.
- Die Bundesregierung hat dafür Sorge zu tragen, dass die Ausbildung von Verkehrs- und
Stadtplaner*innen der klimafreundlichen Mobilität Rechnung trägt. Vorbilder sind hier
unsere europäischen Nachbarn Niederlande und Dänemark.
6d. Zukunftsfähige Industriepolitik
Auch die Industrie muss einen deutlich stärkeren Beitrag zum Klimaschutz leisten als bisher.
Die CO2-Emissionen sind gerade hier in den vergangenen Jahren nicht gesunken – trotz
europäischem Emissionshandel. Digitalisierung und andere neue Technologien wie der Einsatz
Künstlicher Intelligenz können helfen, ökologische Effizienz zu heben, die Sektorenkopplung
effizient zu nutzen und die für eine ökologische Wende der Wirtschaft dringend benötigten
Innovationen auszulösen. Wir gehen auf die energieintensiven Industrien und Großverbraucher
von Energie zu, wie Stahl, Zement, Chemie, Papier, Aluminium, Glas, um gemeinsame Maßnahmen
zur Dekarbonisierung zu beraten und umzusetzen. Eine dekarbonisierte Industrie wird
wettbewerbsfähiger sein als heute. Eine deutsche Industrie, deren Klimaneutralität ein
internationaler Wettbewerbsvorteil ist, sichert ihre Zukunft.
Dem entgegen steht aber aktuell der immense und stetig steigende Energiehunger der digitalen
Transformation, der droht, zum Brandbeschleuniger der Klimakrise zu werden.
Effizienzsteigerungen im Energieverbrauch werden durch Rebound-Effekte mehr als
aufgefressen. Deshalb braucht es eine Suffizienzstrategie, die die Entwicklungen der
digitalen Transformation hinsichtlich ihres Ressourcenverbrauches sinnvoll begrenzt. Zudem
wollen wir durch ein Bündel an Maßnahmen dazu beitragen, die Umweltbilanz digitaler
Technologien zu verbessern, etwa durch:
- Verpflichtung zur Nutzung der Abwärme von Rechenzentren,
- Einführung von Benchmarks und Klassen des Energieverbrauchs bei Soft- und Hardware und
Kennzeichnungspflicht der Energieverbrauchsklasse,
- Verpflichtung für Einrichtungen der öffentlichen Hand und öffentlich geförderte
Projekte, ausschließlich daten- und energiesparsame Soft- und Hardware zu verwenden,
- Ersetzen von Kupferkabeln durch Glasfaserverbindungen auch auf der letzten Meile,
- Einführung eines Right to Repair und einer Software Updategarantie für zehn Jahre bei
allen Digitalgeräten,
- Einrichtung von ressortübergreifenden Sonderprogrammen/-budgets für innovative
digitale Projekte der öffentlichen Hand mit besonderem ökologischem Nutzen,
- Implementierung des Aspekts Daten- und Energiesparsamkeit in Aus- und Weiterbildung
von Anwendern und von Produkt- und Softwaredesignern, sowie der Förderung und Beratung
von Start Ups.
Die wichtigsten industriepolitischen Rahmenbedingungen und innovationspolitischen
Förderinstrumente sind vor diesem Hintergrund:
- Investitionen in CO2-freie Industrieprozesse tätigen: Stärkung des Emissionshandels,
bessere Abschreibungsmöglichkeiten, Fördergelder für Modellprojekte, gezielte
Forschungsförderung,
- erneuerbare Energien zur Eigennutzung günstiger machen,
- zukünftige Förderung im Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetz nur für den Einsatz von
Erneuerbaren,
- Anreize setzen: die bestehenden Regeln zum Schutz der Wettbewerbsfähigkeit der
energieintensiven Industrie zielgenauer ausrichten und Grenzausgleichsmaßnahmen
einführen, damit die Industrie vor möglichen Nachteilen im internationalen Wettbewerb
mit Staaten ohne vergleichbare Klimaschutzpolitik geschützt bleibt. Gleichzeitig soll
damit ein stärkerer Anreiz für die Industrie gegeben werden, in CO2-freie Technologien
zu investieren und CO2-sparsame Werkstoffe einzusetzen,
- Investitionen in CO2-freie Industrieprozesse ermöglichen: insbesondere in den
Bereichen Stahl, Chemie und Zement lohnen sich Investitionen in CO2-freie
Industrieprozesse meist erst bei sehr hohen CO2-Preisen, die das europäische
Emissionshandelssystem derzeit noch nicht abbildet. Damit sich solche Investitionen
für Unternehmen schon heute rechnen, wollen wir den Unternehmen die Differenz zwischen
dem aktuellen CO2-Preis und den tatsächlichen CO2-Vermeidungskosten erstatten, die
ihnen durch die Investitionen in neue Verfahren und Technologien entstehen („Carbon
Contract for Difference“),
- klimafreundliche Leitmärkte schaffen: Umstellung der gesamten öffentlichen Beschaffung
auf klimafreundliche Produkte, Produktionsverfahren, Fahrzeuge, Immobilien; Einsatz
recycelter Werkstoffe; europaweite klimaschützende Produktstandards einführen,
- Quoten festlegen: Um den Umbau der energieintensiven Unternehmen planungssicherer zu
gestalten und perspektivisch finanzielle Förderung zu reduzieren, unterstützen wir die
Vorschläge auf europäischer Ebene im Zuge des angekündigten Klimapaketes, ansteigende
Quoten für klimaneutralen Stahl, Kunststoffe oder Zement in Autos oder auch Windrädern
und Gebäuden festzulegen,
- die zentralen innovationspolitischen Förderinstrumente gezielt auf die Bekämpfung der
Klimakrise ausrichten: Explizit klimafreundliche Innovationen werden bevorzugt
gefördert. Dies betrifft etwa die Startup-Förderung, die Forschungs- und
Entwicklungsförderung sowie die Innovationsförderung für den Mittelstand, die wir
sozial-ökologisch ausrichten möchten, die Hightech-Strategie, die KI-Strategie oder
die neue Agentur für Sprunginnovationen,
- wir geben Planungssicherheit und senken die EEG-Befreiung der energieintensiven
Industrien schrittweise. Dadurch senken wir die EEG-Umlage für alle anderen und
entlasten sofort Haushalte mit niedrigem Einkommen, kleine und mittelständische
Betriebe und schaffen damit sozialen Ausgleich. So schaffen wir die Grundlage für mehr
Investitionen in der energieintensiven Industrie,
- Systeminnovationen für eine klimaneutrale Wirtschaft identifizieren und fördern, zum
Beispiel durch die Ausdehnung von Förderformaten wie den Kopernikus-Projekten (z.B.
Power-to-Gas) auf weitere Politikfelder wie Landwirtschaft und Verkehr,
- die Vorgaben auf europäischer Ebene zur Kreislaufwirtschaft ausbauen: Durch eine
verstärkte Kreislaufwirtschaft können die CO2-Emissionen der vier wichtigsten
Industriesektoren (Kunststoff, Stahl, Aluminium und Zement) in Europa um die Hälfte
reduziert werden,
- klimaneutrale Kreislaufwirtschaft verankern: u.a. durch ein gesetzliches
Abfallvermeidungsziel für Verpackungsmüll von 110 Kilogramm pro Kopf bis 2030, durch
Ressourcenschonung und Recyclingfähigkeit von Produkten in der Ökodesign-Richtlinie,
durch die Einrichtung eines Forschungsinstituts zur Förderung der Kreislaufwirtschaft,
durch zunehmende Verpflichtung und Förderung zur Wiedereinspeisung von Plastik in die
Kunststoffproduktion und mehr Transparenz über die energetischen Kosten über den
gesamten Lebenszyklus.
6e. Landwirtschaft klimafreundlich und klimafest machen
Kein anderer Bereich ist so unmittelbar auf den Erhalt unserer Lebensgrundlagen angewiesen
wie die Land- und Forstwirtschaft. Dieser Sommer hat erneut deutlich gemacht: Die
Landwirtschaft ist schon heute sowohl Leidtragende als auch Mitverursacherin der Klimakrise
– und für uns auch ein Teil der Lösung. Unser Ziel ist ein klimaneutrales
Landwirtschaftssystem, in dem nicht nur klimaschädliche Gase reduziert werden, sondern es zu
einer langfristigen Kohlenstoffbindung in Boden und Bäumen kommt.
Die Landwirtschaft produziert heute größtenteils nach Bedingungen, die in eine Sackgasse für
Bäuerinnen und Bauern, für Umwelt und Klima führen. Das Motto ist „Wachse oder weiche!“,
produziere also intensiver und billiger. Wir müssen dieses System grundsätzlich ändern, so
dass ein umwelt-, tier- und klimafreundliches Wirtschaften sich eher lohnt als
industrialisierte Landwirtschaft. Die Agrarpolitik der Bundesregierung wie auch die EU-
Agrarpolitik tun aber genau das nicht und leisten so ihren Beitrag, die Klimakrise
anzuheizen. Immer mehr Landwirt*innen erkennen, dass dieser Weg in die Sackgasse führt.
Gemeinsam mit den Bäuer*innen wollen wir zu einer standortangepassten Tierhaltung kommen.
Auch beim Ackerbau ist spätestens seit der Dürre 2018 klar, dass wir eine Strategieänderung
brauchen. Wir wollen, dass Böden so bewirtschaftet werden, dass sie CO2 speichern und
Wetterextreme abpuffern. Und wir wollen darauf hinwirken, dass widerstandsfähige
Anbausysteme gefördert werden, um zukünftigen Wetterextremen besser trotzen zu können, etwa
durch die Verbindung von Fruchtfolgen, die Verbesserung von Bodengesundheit und Bodenschutz
oder Agroforstsysteme.
Unsere Ernährung trägt zu einem Fünftel zu unserer schlechten Klimabilanz bei. Vor allem der
übermäßige Fleischkonsum ist hierfür verantwortlich. Global betrachtet verursacht die
Erzeugung tierischer Lebensmittel mehr Klimagase als der gesamte Verkehrsbereich. Heute
wandert ein Drittel der weltweiten Getreideernte in die Futtertröge. Klar ist: Die
Produktion und der Konsum von Fleisch und anderen tierischen Produkten müssen sinken,
Dumpingpreise der Vergangenheit angehören. Unser Ernährungssystem muss umgebaut werden,
damit ökologische, regionale und gesunde Ernährung der leichte Weg sind. Vom Kindergarten
über Schulen bis zu Krankenhäusern soll die Gemeinschaftsverpflegung dementsprechend
umgestaltet werden, soll die Lebensmittelversorgung in der Stadt und auf dem Land auf
regionale Wertschöpfungsketten setzen und damit ihren Klimabeitrag leisten.
Maßnahmen für eine klimagerechte Landwirtschafts- und Ernährungspolitik:
- Radikaler Umbau der EU-Agrarförderung (GAP) und Qualifizierung der Gelder der
Europäischen Agrarpolitik: Öffentliche Gelder sollen qualifiziert und spätestens ab
2027 nur in öffentliche Leistung investiert werden. Gefördert werden soll dann nur
noch eine klimagerechte und tier-, arten- und umweltschützende Landwirtschaft.
Deutschland hat über den Europäischen Rat Einfluss und Möglichkeit, diesen
Systemwechsel in der EU-Agrarpolitik einzufordern. Wir müssen alle bestehenden und
sich durch die GAP-Reform ergebenden Möglichkeiten nutzen, um eine klimagerechtere
Landwirtschaft voranzubringen.
- Ausweitung des Ökolandbaus bis 2025 auf mindestens 25 Prozent der Fläche: Dafür wollen
wir in den nächsten sieben Jahren eine Milliarde Euro Bundesmittel in den Ökolandbau
investieren.
- Umbau der industriellen Tierhaltung in tierschutzkonforme Haltung: Die Landwirtschaft
soll ihre Tierhaltung tierschutz- und klimagerecht umbauen. Die Bestände sollen dabei
reduziert werden, der Tierbestand soll flächengebunden sein und bis 2030 maximal bei
zwei Großvieheinheiten pro Hektar liegen, perspektivisch noch darunter. Zusätzlich
muss es Obergrenzen pro Standort, gerade auch für Geflügel, geben. Im Gegenzug soll es
eine Förderung für den Stallumbau geben. Damit reduzieren wir Methan- und Lachgas-
Emissionen und schützen Regenwälder vor Abholzung für europäischen Fleischkonsum und -
export. Diese Maßnahmen werden dazu führen, dass Fleisch teurer wird.
- Tierhaltende Landwirt*innen, die die Tierhaltung aufgeben möchten, wollen wir dabei
unterstützen. Sie sollen vor Ort Beratung in Anspruch nehmen können und bei der klima-
und naturverträglichen Umnutzung der Flächen durch einen Bundesfonds unterstützt
werden.
- Verbot von Importen von Futtermitteln und Palmöl von gerodeten Flächen bzw. von
Flächen, für die natürliche Ökosysteme zerstört wurden durch gesetzliche Regelungen im
Rahmen des Waldaktionsplans auf EU-Ebene.
- Stärkung des Anbaus heimischer, Eiweiß liefernder Futterpflanzen als Ersatz für
Import-Soja.
- Anpassung des deutschen Düngerechts an die Anforderungen der EU-Kommission für Klima-,
Natur- und Wasserschutz: Wir wollen vor allem für ohnehin belastete Gebiete neben
einem verbesserten Düngemanagement die Menge an Düngemitteln, die ausgebracht werden
darf, deutlich begrenzen. Um die tatsächlichen Düngermengen sicher zu erfassen, soll
ein Meldesystem für den Handel mit Stickstoff- und Phosphordünger eingeführt werden.
Wenn das Ordnungsrecht nicht zeitnah Erfolge erzielt, soll ab 2022 eine
Stickstoffabgabe erhoben werden.
- Den Einsatz von chemisch-synthetischen Pestiziden sukzessive reduzieren und eine
Pestizidabgabe einführen.
- Fördern von Permakultur: Sie bietet höchste Produktivität auf minimalem Raum und ist
gut für Böden und Humus.
- Reduzierung der Fleischproduktion: Wir wollen über die Konsequenzen des Fleischkonsums
aufklären und setzen uns für mehr Selbstverständlichkeit von vegetarischer und veganer
Ernährung ein. Darum fördern wir ein größeres Angebot an vegetarischen und veganen
Speisen in Schulen, Mensen und Kantinen. In allen öffentlichen Mensen und Kantinen,
von Schulen über Krankenhäuser bis zu Behördenkantinen, muss es möglich sein, sich
bezahlbar vollwertig vegan zu ernähren.
- Alternativen zu Fleisch aus pflanzlichen Zutaten werden künftig eine größere Rolle
spielen. Die Weiterentwicklung solcher Alternativen halten wir für richtig und
wichtig, denn sie eröffnen eine Perspektive, tierisches Eiweiß ohne Tierleid,
Nitratbelastung und mit deutlich geringerer Klimabelastung herzustellen. Dies ist
zudem ein Weg, um die Tierbestände zu reduzieren, die Tierhaltung zu verbessern und
die Landwirtschaft zu extensiveren.
- Förderung regionaler Produktion: Bei der Art und Weise, wie wir uns ernähren, setzen
wir auf regionale Versorgungsstrukturen und Wertschöpfungsketten in der Stadt, auf dem
Land und in der Gemeinschaftsverpflegung. Zugleich entwickeln wir nachhaltige
Ernährungsstrategien, worüber auch der Ausbau des Ökolandbaus unterstützt wird.
- Eindämmen von Lebensmittelverschwendung: Bis 2030 muss die Lebensmittelverschwendung
halbiert werden – das ist eines der internationalen Nachhaltigkeitsziele. Um das zu
erreichen, brauchen wir verbindliche Reduktionsziele für alle Stufen der
Wertschöpfungskette und einen gesetzlichen Wegwerfstopp für Supermärkte und
Lebensmittelproduzent*innen. Für lang haltbare Lebensmittel wie Nudeln oder
Hülsenfrüchte wollen wir das Mindesthaltbarkeitsdatum aufheben. Handels- oder EU-
Normen, die dazu führen, dass zu kleines oder unförmiges Obst und Gemüse gar nicht
erst die Supermarktregale erreicht, wollen wir abschaffen, Lebensmittelspenden
erleichtern und Containern straffrei machen.
Wälder schützen...
Wir brauchen Wälder, die der Klimakrise besser trotzen und dabei aktiven Klimaschutz
betreiben. Sie sind unverzichtbar für den Klimaschutz. Der Aufbau eines naturnahen, gesunden
Waldes kann viele Millionen Tonnen CO2 binden, bei nachhaltiger Nutzung des Holzes auch
dauerhaft. Aktuell ist der Wald von der Klimakrise bedroht, das liegt auch an den Fehlern
der Vergangenheit. Statt auf schnell wachsende Nadelholzplantagen zu setzen, brauchen wir
jetzt naturnahe Mischwälder mit standortheimischen Baumarten. Durch den Dürresommer 2018 und
die Hitzeperioden dieses Jahres erleben wir ein neues Waldsterben. Die Waldpolitik muss
daher auf allen Ebenen umsteuern:
Umwandlung von Holzplantagen in naturnahe Wälder vorantreiben und ökologische
Bewirtschaftung gesetzlich festlegen und fördern und den Erhalt sowie die Erhöhung des
Anteils alter Bäume mit Fördermaßnahmen erreichen,
Waldzukunftsfonds von einer Milliarde Euro für die nächsten Jahre als erste
Finanzspritze für den kranken Wald einführen; Förderung immer nach dem Prinzip
„öffentliches Geld nur für öffentliche Leistungen“ ausgeben,
Wiederbewaldung mit standortangepassten, heimischen Baumarten auf zerstörten
Waldflächen, in Auen und Niederungen fördern mit Vorrang der Nutzung der
Naturverjüngungs- und Naturaufwuchspotentiale,
Ziele der UN-Declaration of Forests umsetzen,
Fünf Prozent, perspektivisch zehn Prozent Wildnis- und Naturwaldflächen im
öffentlichen Wald bundesweit festschreiben, eine vergleichbare Größenordnung durch
Förderung im Privatwald anstreben,
Die wertvolle Ressource Holz muss effizient und nachhaltig genutzt werden, auch um zu
vermeiden, dass es zu vermehrtem Import von Hölzern kommt. Deshalb müssen der
Verbrauch von Frischfasern und der Holzverbrauch für Paletten/Verpackungen in der
Industrie stark reduziert werden. Dafür wollen wir die Kaskadennutzung fördern, in der
Holznutzung für langlebige Produkte wie für den Bau und für Möbel an erster Stelle
steht. Erst ganz am Ende einer Nutzungskette sollten kurzlebige Holz- und
Papierprodukte entstehen oder Holz als Energieträger verbrannt werden. Die Nutzung von
landbasierter Biomasse für energetische Zwecke darf nicht weiter ausgebaut werden. Die
direkte Verbrennung von Frisch-Holz darf nicht weiter gefördert werden und muss
zurückgehen. Heizungen mit Holz (fester Biomasse) müssen mit wirksamer
Emissionsminderungstechnik entsprechend dem Stand der Technik (z.B.
Partikelabscheider) ausgestattet sein, um negative Effekte auf die Luftqualität zu
vermeiden.
Kohlenstoffsenke des Waldes erhalten durch Ausweisung von Naturwäldern verbunden mit
einer Anpassung des jährlichen Holzeinschlags und der Förderung von Waldflächen mit
natürlicher Waldentwicklung, um Anpassungsprozesse an die Klimakrise zu ermöglichen.
...und Moore auch.
Entwässerte Moore setzen Klimagase frei. Besonders landwirtschaftlich genutzte Moorböden,
die zwar nur sieben Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche Deutschlands ausmachen,
emittieren 37 Prozent der gesamten Treibhausgasemissionen aus der Landwirtschaft. Moorschutz
würde daher auf die Fläche gerechnet überproportional hohe Einsparungen in den
Treibhausgasen bedeuten. Daher ist Moorschutz wichtig und notwendig.
- Moore renaturieren: Die schnelle Wiedervernässung von Mooren ist von
überproportionalem Nutzen zur Einsparung von Treibhausgasen. Deshalb starten wir ein
gemeinsames großflächig wirksames Moorrenaturierungsprogramm von Bund und Ländern und
stoppen den Umbruch, die Entwässerung und die Zahlung von Agrarsubventionen für die
Bewirtschaftung entwässerter Moorböden ab 2021.
- 50 Prozent des entwässerten Waldes sollen bis 2030 wiedervernässt werden.
- Für alle bundeseigenen Moorflächen muss die Entwässerung sofort gestoppt werden.
- Paludikultur, also die landwirtschaftliche Nutzung nasser Hoch- und Niedermoore,
wollen wir als Landwirtschaft anerkennen und in die Agrarförderung aufnehmen. Dazu
starten wir ein Investitionsprogramm und eine Klimaschutz-Flächenprämie.
- Aus der Gewinnung von Torf wollen wir aussteigen und Torf durch erneuerbare
Alternativen ersetzen.
6f. Green Finance
Der Finanzsektor ist entscheidend für mehr Klimaschutz. Mit einer breit angelegten Strategie
sorgen wir dafür, dass Anlagekapital in Zukunft Klimaschutz statt Klimazerstörung
finanziert:
- Alle Akteure – Banken, Versicherungsunternehmen und Rating-Agenturen – müssen Risiken,
die sich aus nicht nachhaltigen Investitionen ergeben, konsequent berücksichtigen. So
können Unternehmen, die Menschenrechte verletzen oder den Klimazielen von Paris
zuwider arbeiten, von den Anleger*innen auf den Finanzmärkten abgestraft werden. Das
heißt für sie höhere Zinsen und schlechterer Zugang zu Kapital.
Nachhaltigkeitskennziffern müssen in der Berichterstattung regelmäßig offengelegt
werden.
- Klimarisiken, die in Konzern- und Bankbilanzen schlummern, sollten bei der Bewertung
durch Rating-Agenturen und die Finanzmarktaufsicht berücksichtigt werden, zum Beispiel
durch Klima-Stresstests für Banken und Versicherungen oder durch Aufschläge bei
Eigenkapitalanforderungen zu Finanzierungen, die hohe Klima- und Umweltrisiken bergen.
- Damit Kleinanleger*innen von der grünen Finanzwende profitieren und ihr Geld mit gutem
Gewissen anlegen können, brauchen wir ein EU-Label für nachhaltige Finanzprodukte mit
starken ökologischen und sozialen Standards. Anhand eines einfachen
Klassifizierungssystems und klarer Standards für Grüne Anleihen können Anleger*innen
sich einfach über den Grad der Nachhaltigkeit ihrer Geldanlage informieren. Auch
werden sie bei jedem Beratungsgespräch verpflichtend gefragt, wie
Nachhaltigkeitskriterien in ihren Anlagen berücksichtigt werden sollen.
- Die Europäische Zentralbank muss ebenfalls ihren Beitrag zum Klimaschutz leisten. Als
Sicherheiten sollte sie nur noch Vermögenswerte akzeptieren, die mit unseren
Klimaschutzzielen konform sind.
- Auch für die öffentliche Hand brauchen wir endlich neue Anlagerichtlinien. Die
Pensionen für die Beamten oder auch für die Beschäftigten der Bundesagentur für Arbeit
müssen nach Klimaschutz- und Nachhaltigkeitskriterien angelegt werden. Der Bund kann
dem Markt für nachhaltige Geldanlagen wichtige Impulse geben. Dafür muss er seine
Investitionen in Kohle-, Öl- und Gas-Konzerne, die Geschäfte auf Kosten des Klimas
machen, beenden (Divestment).
7. Klimaschutz in Bildung und Wissenschaft
Wissenschaftliche Erkenntnisse sind für uns Grundlage politischer Entscheidungen. Sie kommen
aus allen Bereichen: Geistes-, Sozial-, Human-, Wirtschafts- und Naturwissenschaften. Sie
zeigen Lösungsansätze und Entscheidungsalternativen für große gesellschaftliche Probleme,
wie zum Beispiel den menschengemachten Klimawandel, auf. Aktuelle Studien, wie zum Beispiel
zum Schmelzen der Permafrostböden, zeigen, dass die Klimakrise bereits weiter
fortgeschritten ist als bisher angenommen. Der notwendige Weg, die globale Erhitzung zu
begrenzen, erfordert gesellschaftliche Auseinandersetzung, deren wissenschaftliche
Begleitung sowie eine „Bildung für nachhaltige Entwicklung" (BNE).
Ernährungssicherheit, Bevölkerungswachstum oder Energiewende: keine globale Herausforderung
lässt sich losgelöst von der Klimafrage bearbeiten. Die Gestaltungsaufgaben für eine globale
Nachhaltigkeitstransformation sind dabei weder rein wissenschaftlich-technologischer noch
rein gesellschaftlicher Natur. Daher brauchen wir Forschung und Bildung, die Ansätze aus
allen Disziplinen zusammenführt, um die Systemfragen und die Schnittstellen zwischen Klima,
Biosphäre und sozio-ökonomischer Entwicklung zu bearbeiten.
Gleichzeitig entbindet die Dringlichkeit der ökologischen Krisen uns nicht davon, genau
hinzuschauen und mögliche Risiken und Konsequenzen im Blick zu haben, wie schon bei der
Atomenergie, deren Gefahren und lange Strahlung jedes verantwortbare Maß menschlicher
Verantwortung überschreiten, oder bei der Freisetzung von gentechnisch veränderten
Organismen. Wir werden alle Optionen am Vorsorgeprinzip und dem Prinzip der Umkehrbarkeit
messen: Was kurzfristig hilfreich erscheint, ist untauglich, wenn es in der Folge neue
Probleme schafft. Was Folgen mit sich bringt, die nicht wieder rückgängig gemacht werden
können, ist nicht der richtige Weg, denn er nimmt zukünftigen Generationen die Freiheit.
Daraus leiten wir die folgenden Forderungen ab:
Klimagerechtigkeit muss in allen Bildungsinstitutionen (Kitas, Schulen,
Erwachsenenbildungseinrichtungen, berufliche Fort- und Weiterbildung, Hochschulen
etc.) und non-formalen Bildungsorten auf allen Ebenen besser verankert werden. Die
Maßnahmen des Nationalen Aktionsplans Bildung für Nachhaltige Entwicklung müssen zügig
umgesetzt werden. Wichtig ist auch Menschen die Ziele einer nachhaltigen Entwicklung
(Sustainable Development Goals – SDGs) zu vermitteln. Ausgehend von der zeitlich
bedingten Notwendigkeit, muss Bildung für nachhaltige Entwicklung deshalb im gesamten
Bildungs- und Wissenschaftssystem maßgeblich das Grundverständnis, die Strukturen,
Inhalte und Ziele bestimmen.
Wir wollen Maßnahmen des Klimaschutzes und der Klimaanpassung in die
landwirtschaftliche Aus- und Weiterbildung aufnehmen, z. B. durch vertiefende Lehre in
der Bodenbiologie. Den Ökolandbau wollen wir in vollem Umfang in die Lehre an
Hochschulen und in die landwirtschaftliche Ausbildung integrieren und Forschung an
klimapositiver Landwirtschaft stärker fördern.
Um die Pariser Klimaziele zu erreichen, brauchen wir in erheblichem Umfang negative
Emissionen, d.h. wir müssen Kohlendioxid aus der Atmosphäre zurückholen. Das gelingt
zum einen durch die Speicherung von CO2 in den Böden und Wäldern, zum anderen durch
neue Technologien. Solche, die in die biogeochemischen Prozesse der Erde eingreifen,
lehnen wir ab. Bei der Forschung und Erprobung von Geoengineering müssen sich alle
Optionen an den Prinzipien der Vorsorge und der Umkehrbarkeit messen lassen.
Für ein noch besseres Verständnis der ökologischen Herausforderungen braucht es unter
anderem Klima-, Energie-, Vulnerabilitäts-, Klimanpassungs- und Akzeptanzforschung,
Forschung zur Zukunft der Arbeit sowie unterschiedlichen Ansätzen in der Wirtschaft
und zur Überwindung der „Wissens-Verhaltens-Lücke".
Wir brauchen insgesamt mehr Vielfalt in allen Wissenschaftsbereichen. Dabei ist es für
uns zentral, dass die Wissenschaft frei und unabhängig von Verwertungsinteressen
bleibt. So müssen zum Beispiel einige Bundeszuwendungen verstetigt werden.
Anderenfalls werden unvorhersehbare, kreative Ideen und interessanter Dialog verloren
gehen.
Wir wollen bestehende Grenzen zwischen den Wissenschaftsfeldern aufbrechen und trans-
und interdisziplinäre Zusammenarbeit unterstützen, auch in Zusammenarbeit mit der
Zivilgesellschaft. Deshalb setzen wir uns auch dafür ein, gemeinsame Forschung mit
Anwohner*innen sowie lokalen Initiativen in Reallaboren zu ermöglichen.
Öffentlich finanzierte Hochschulen und Forschungseinrichtungen haben schon immer einen
Vorbildcharakter gehabt, was nachhaltige Entwicklung betrifft. Sie müssen durch
klimagerechte Maßnahmen insbesondere bei Mobilität, eigenem Energiekonsum, Gebäude und
Beschaffung bis spätestens 2030 klimaneutral sein.
8. Mit Klimaschutz dem ländlichen Raum eine Zukunft geben
Das fossile Zeitalter war mit einem Versprechen neuer Freiheit für den ländlichen Raum
verbunden, das sich nicht erfüllt hat. Denn mit dem Siegeszug des Automobils ging ein
Rückzug der Angebote alltäglicher Infrastruktur aus der Fläche einher: Immer weitere Wege
zur Arbeit, zu Gesundheitsversorgung, Banken, zum Einkauf, zu Behörden oder
Freizeitangeboten. Alternativen zum Auto wurden zurückgebaut. Vor allem durch den Rückzug
der Bahn aus der Fläche ist der Nahverkehr vielerorts nicht mehr konkurrenzfähig.
Kommunikationsorte wie Gastwirtschaften gehen verloren, Dorfkerne veröden, die Gewinnung von
Arbeitskräften und Auszubildenden scheitert oft am hohen Aufwand für Mobilität. Die
Abhängigkeit vom Auto und der Rückzug der Infrastruktur aus der Fläche haben dem Land nicht
gut getan. Beides schließt alte ebenso wie junge oder Menschen mit geringem Einkommen von
einem Teil des Lebens aus.
Die Energiewende bietet große Chancen für mehr Wertschöpfung auf dem Land. Die
Mobilitätswende bietet große Chancen auf eine Wiederbelegung der öffentlichen Räume und auf
mehr Unabhängigkeit vom eigenen Auto. Die Wende in Land- und Ernährungswirtschaft eröffnet
die Chance auf eine Wiederbelebung regionaler Wirtschaftskreisläufe. Die Klimakrise ist
schon jetzt auf dem Land besonders zu spüren durch Trockenheit, Wassermangel, Brände,
Bodenerosion oder das Absterben unserer Wälder.
Der Wandel zu einer klimaneutralen Gesellschaft wird jedoch nur gelingen, wenn alle Menschen
auf diesem Weg mitgenommen werden. Wir müssen das Auseinanderdriften der Regionen stoppen,
das Gefälle zwischen Stadt und Land darf nicht noch größer werden. Deshalb muss Klimapolitik
sozial ausgewogen sein und auf die Unterschiede zwischen Ballungsräumen und dem Land
Rücksicht nehmen. Wenn wir es richtig machen, wird Klimaschutz zu einer Stärkung des
ländlichen Raums führen.
Ein relevanter Teil der Landbevölkerung lebt mit geringen oder durchschnittlichen Einkommen
in größerem Wohneigentum, heizt mit Öl oder Gas und ist für Teilhabe und die Grundversorgung
fast vollständig auf das eigene Auto angewiesen, darunter überdurchschnittlich viele ältere
Menschen. Die einzelnen Bürger*innen sind davon abhängig, dass ihnen öffentlicher Nahverkehr
in einer zumutbaren Qualität zu bezahlbaren Tarifen bereitgestellt wird.
Die Anschaffung von emissionsfreien Autos, die energetische und barrierefreie Sanierung von
Wohnhäusern und die Umstellung von alten Ölheizungen erfordern erhebliche Investitionen.
Trotz hoher Förderungen ist das nicht für alle ohne weiteres zu stemmen. Daher gehen wir
neue Wege und schaffen Wahlmöglichkeiten:
- Der Ausbau von Alternativen zum Auto auf dem Land hat Priorität: Vergleichsweise
schnell zu reaktivierende Bahntrassen können zum Rückgrat für einen attraktiven und
bezahlbaren öffentlichen Verkehr werden. Die Digitalisierung bietet gerade für das
Land Chancen auf ganz neue Mobilitätsangebote: Flexible Rufsysteme, die Integration
des Taxis und von Mitfahrgelegenheiten in den öffentlichen Nahverkehr sowie Angebote
für die letzte Meile von der Haltestelle bis zur Haustür werden damit leichter
zugänglich.
- Neue Lösungen für den Individualverkehr: Die Digitalisierung erleichtert den Aufbau
von Sharing-Angeboten für E-Autos, leichte Fahrzeuge und E-Bikes. So können wir die
Haushalte von den hohen Kosten für die Haltung oft mehrerer Kraftfahrzeuge entlasten.
Die Entwicklung und Förderung solcher Angebote jenseits des klassischen Nahverkehrs,
die sich auf dem Land – anders als in Ballungsräumen – nicht ohne weiteres
wirtschaftlich rechnen, gehört für uns zur Daseinsvorsorge.
- Den Wohnungsbestand zukunftsfest machen: Wir werden gezielte Programme für die
Sanierung des Eigenheimbestands auf dem Land entwickeln, die neue Finanzierungsmodelle
für Härtefälle und systematische Unterstützung bei der Umsetzung der Sanierung
verbinden.
- Wir wollen faire Bedingungen und gleichwertige Lebensverhältnisse in Stadt und Land
und die dafür notwendigen Kompensationsmaßnahmen aufgrund der räumlich
unterschiedlichen Auswirkungen der CO2-Bepreisung prüfen und auf den Weg bringen.
Wir verringern den Zwang zu Mobilität:
- Neben der Art der Mobilität wollen wir vor allem die Chancen der Digitalisierung zur
Vermeidung von Verkehr nutzen, etwa durch ein Recht auf Homeoffice, durch die
Vermeidung von Dienstreisen durch Telefonkonferenzen oder den Ersatz von
Behördengängen durch digitale Angebote der Verwaltung.
- Um regionale Wirtschaftskreisläufe wieder zu beleben und die Ernährungswende
umzusetzen, sind kleine, regionale Lebensmittelverarbeiter wie Mühlen, Bäckereien oder
Brauereien unverzichtbar. Die kleinen Betriebe der Nahversorgung wollen wir mit
Entlastung von Regulierung, die für die Großindustrie geschaffen wurde, und speziellen
Fördermaßnahmen für beispielsweise moderne energieeffiziente Anlagen bei der
Transformation hin zu CO2-neutralen Betriebsprozessen unterstützen.
- Wir wollen den Rückzug der Alltagsinfrastruktur wie Behörden, Gesundheitsversorgung,
Banken und Kultureinrichtungen aus dem ländlichen Raum stoppen. Dazu gehört die
Förderung mobiler Infrastruktur für solche Dienstleistungen in der Fläche, um die
Notwendigkeit für individuelle Mobilität zu reduzieren.
9. Soziale Maßnahmen für gerechten Klimaschutz
Unter den Auswirkungen der Klimakrise leiden Menschen mit geringen Einkommen mehr als
Menschen mit hohen. Daher ist Klimapolitik immer auch Sozialpolitik. Zugleich ist klar, dass
Preiserhöhungen sozial ausgewogen sein müssen. Wir wollen den Klimaschutz als Gesellschaft
gemeinsam und fair miteinander gestalten und die Auswirkungen der klimapolitischen Maßnahmen
auf soziale Bedingungen, auf die Verteilung der Einkommen, der Vermögen und der Chancen in
unserem Land regelmäßig analysieren, um im Bedarfsfall weitere konkrete Maßnahmen zu
entwickeln. Die notwendige Transformation der Wirtschaft kann nur gelingen, wenn sie
ökologisch und gleichzeitig sozial ist. Die ökologische Frage ist auch immer eine soziale
Frage.
Der Klimaschutz wird in zahlreichen Branchen zu einem Strukturwandel führen. Wir wollen die
klimapolitischen Maßnahmen durch eine aktive und vorausschauende Industrie-, Arbeits- und
Sozialpolitik begleiten. Für besonders betroffene Branchen wollen wir mit Wissenschaft,
Gewerkschaften und Unternehmensverbänden Transformations- und Ersatzstrategien entwickeln.
In besonders betroffenen Regionen streben wir frühzeitig gezielte strukturpolitische
Maßnahmen an, um vor Ort neue Arbeitsplätze zu schaffen.
Wir stellen sicher, dass die Menschen von ökologisch-sozialer Modernisierung profitieren:
- Aus den Einnahmen der CO2-Bepreisung finanzieren wir jährlich ein Energiegeld, das
alle Einwohner*innen am Jahresanfang erhalten. Es steigt mit dem CO2-Preis an. Da
Menschen mit niedrigem Einkommen in der Regel weniger CO2 produzieren, profitieren sie
überdurchschnittlich davon. Die über die Absenkung der Stromsteuer hinausgehenden
Einnahmen der CO2-Bepreisung schütten wir vollumfänglich aus. Dieses Energiegeld
erhält jede*r in derselben Höhe und es wird nicht auf Transferleistungen angerechnet.
Außerdem führen wir ein wirksames Monitoring über die sozialen Folgen der
Klimamaßnahmen ein. Wir wollen den Sozialstaat so besser machen, soziale Härten sollen
vermieden werden, denn ökologischer und sozialer Aufbruch können Hand in Hand gehen.
- Kaufpreisprämien müssen in niedrigeren Preissegmenten höher sein als in teureren
Preissegmenten.
- Wir wollen Energiearmut in Deutschland bekämpfen und Stromsperren verhindern, von
denen besonders häufig Menschen mit geringem Einkommen oder in schwierigen Lebenslagen
betroffen sind. Wo Menschen mit geringem Einkommen keinen Einfluss auf die
energetischen Zustand ihrer Wohnung haben, weil sie weder die Sanierung durchsetzen
können noch eine Auswahl am Wohnungsmarkt haben, wird ein Klimazuschuss zum Wohngeld
in einer Übergangsphase auch bei einem schlechten energetischen Zustand des
Wohngebäudes gewährt.
- Bei der Gebäudesanierung wollen wir ein Klimawohngeld einführen und so für Mieterinnen
und Mieter mit kleinem Einkommen warmmietneutrale Modernisierungen ermöglichen.
- Gute Bezahlung und gerechte Entlohnung bilden mit die Basis für ökologische
Kaufentscheidungen. Wir wollen das Tarifvertragssystem stärken, den Mindestlohn
erhöhen, Wege aus den Minijobs und dem Niedriglohnsektor ebnen und eine bessere
Bezahlung der sozialen Berufe durchsetzen.
- Beim Strukturwandel wollen wir die Beschäftigten unterstützen. Weiterbildung und
Qualifizierung sind dabei entscheidend. Wir wollen ein Recht auf Weiterbildung
einführen, die Beratung vor Ort verbessern und vernetzen sowie eine sozial gerechte
Weiterbildungsförderung schaffen. Die Arbeitslosenversicherung wollen wir zu einer
Arbeitsversicherung weiterentwickeln.
- Um Beschäftigte zu unterstützen, die aufgrund eines klimaschutzbedingten
technologischen Wandels absehbar neue Qualifikationen benötigen, schlagen wir ein
Klimaqualifizierungsgeld vor. Dies kommt insbesondere solchen Unternehmen zugute, die
auf Grund ihrer Größe und ihres Umsatzes nicht ohne weiteres einen eigenen
Qualifizierungsfonds einrichten können. Voraussetzung für den Bezug des
Klimaqualifizierungsgeldes ist ein gemeinsam zwischen den Betriebspartnern erstellter
Business- und Qualifizierungsplan, der klar regelt, welche Maßnahmen für den
Klimaschutz getroffen und welche Qualifikationen durch die Beschäftigten erworben
werden müssen.
- Für Regionen, die besonders von der Transformation betroffen sind, braucht es gezielte
Hilfe. Daher unterstützen wir den „Just Transition Fund“ auf EU-Ebene und wollen die
beihilferechtlichen Vorgaben in Sinne gerechter Transformation weiter entwickeln.
- Um soziale Härten im Zuge des Kohleausstieges zu vermeiden, müssen im
Kohleausstiegsgesetz bzw. im Strukturstärkungsgesetz arbeitsmarkt- und
qualifizierungspolitische Maßnahmen sowohl für die direkt als auch für die in der
Zuliefererindustrie indirekt vom Braunkohleausstieg betroffenen Beschäftigten
enthalten und mit entsprechenden Finanzmitteln hinterlegt sein. Zugleich müssen die
Vorbereitungen zur nachhaltigen sozialen Absicherung älterer Beschäftigter,
insbesondere in Form des Anpassungsgeldes, gerade auch im Haushalt unverzüglich
eingeleitet werden.
- Wir müssen sicherstellen, dass Menschen nicht zum Arbeiten verpflichtet werden, wenn
sie durch extreme Hitze ihre Gesundheit und ihr Leben gefährden. Deswegen wollen wir
für hitzebedingte Arbeitsausfälle ein Hitzegeld einführen, das den Beschäftigten 60
Prozent ihres Nettogehaltes garantiert.
- Alle Menschen sollen Zugang zu bezahlbarer Mobilität haben. Bahn und ÖPNV sind
Bereiche der Daseinsfürsorge. Der Umstieg auf ÖPNV und Bahn muss attraktiver werden
durch günstige Preise, einfache Abwicklung und bequeme Verknüpfung mit P+R für Fahrten
aus entlegenen Gebieten. Über Sozialtickets und unseren Mobilpass sorgen wir dafür,
dass Bahnfahren und ÖPNV gerade für Menschen mit niedrigen Einkommen bezahlbar sind.
- Wir wollen die Stromkostenpauschale aus dem Hartz-IV-Regelsatz herauslösen und
jährlich dynamisieren, sodass Kostensteigerungen beim Strompreis nicht zu einer
Unterdeckung des Regelsatzes führen. Weitere Kostensteigerungen, die sich aus dem
Klimaschutz ergeben, müssen in die Anpassung der Sätze miteinbezogen werden. Menschen,
die keine weitere Belastung schultern können, dürfen auch nicht stärker belastet
werden.
10. Anpassung an das Unvermeidbare
Anpassung ist keine Alternative zur Minderung von Treibhausgasen. Jedes Zehntel Grad
Erderwärmung macht einen Unterschied, wie heftig die Auswirkungen der Klimakrise in den
nächsten Jahrzehnten sein werden. Daher kommt es auch auf jede eingesparte Tonne CO2 an.
Doch auch bei einer Begrenzung der globalen Erhitzung auf deutlich unter zwei Grad, selbst
bei 1,5 Grad werden die Auswirkungen der Klimakrise deutlich spürbar sein. Eine Anpassung
daran ist unvermeidlich. Die Zunahme der Extremwetterereignisse wie Dürren oder die
Extremniederschläge der vergangenen Jahre haben gezeigt, worauf wir uns einstellen müssen.
Zur Abmilderung der Auswirkungen der Klimakrise und zur Bewältigung des Unvermeidbaren
braucht Deutschland einen Aktionsplan, der Klimaschutz und Klimaanpassung miteinander
verbindet. Damit werden Menschen, Städte, Umwelt und Natur widerstandsfähiger gegen die
Folgen der Klimakrise gemacht und können einen größeren Beitrag zur Minimierung der
Klimakrise leisten. Im Zentrum dabei steht für uns ein nationaler Klimafolgenanpassungsfonds
in Höhe von zwei Milliarden Euro, mit denen wir die schlimmsten Auswirkungen der Klimakrise
begrenzen wollen. Folgende Schritte sind aus unserer Sicht schon jetzt unerlässlich:
- Beim Städte- und Wohnungsbau müssen wir für Hitzeschutz sorgen. Schon heute liegen die
Temperaturen in Großstädten wie Köln, Stuttgart oder Berlin im Sommer teilweise zehn
Grad über denen des Umlandes. Menschen können nächtelang nicht schlafen und arbeiten
in klimatisierten Räumen. Wir brauchen einen Städte- und Wohnungsbau, der die
Entwicklungen der Klimakrise berücksichtigt. Statt Betonwüsten braucht es mehr Bäume,
Wasser- und Grünflächen sowie Frischluftschneisen in unseren Städten, denn sie wirken
wie Klimaanlagen. Wir streben eine Flächenkreislaufwirtschaft an, indem wir
verbindliche Budgets für die Neuversiegelung von Flächen definieren und auf die
Kommunen herunter brechen. Jede Neuinanspruchnahme als Siedlungs- und Verkehrsfläche
muss von Ausgleichsmaßnahmen im Umfeld begleitet sein, wobei die entsiegelte Fläche
nicht kleiner als die neu versiegelte sein darf und vier junge Bäume einen alten Baum
ersetzen. Den Kommunen wollen wir Instrumente in die Hand geben, um bei
Neuversiegelungen im Umfeld Ausgleichsmaßnahmen wie Entsiegelungen und Baumpflanzungen
durchzusetzen, etwa durch städtebauliche Verträge mit Bauträgern. Mit finanziellen
Mitteln müssen Projekte für mehr Stadt- und Fassadenbegrünung, Schattenflächen,
Häuserdämmung sowie Kühlung durch Kältespeicher und erneuerbar betriebene Wärmepumpen
in den Wohnungen, aber auch begrünte Fassaden und hellerer Straßenbelag gefördert
werden. Das ist gut für die Gesundheit der Menschen, die Luft und das Klima.
- Um unsere Städte fit für die Klimakrise zu machen, wollen wir sie zu Schwammstädten
umbauen. So wird das Regenwasser gespeichert, wo es anfällt, um es in Trockenperioden
zu nutzen. Damit werden wertvolle Ressourcen geschützt und die Infrastruktur an immer
extremere Starkwetterereignisse angepasst.
- Wir wollen Betroffene entschädigen. Derzeit sind nur 40 Prozent der Häuser in
Deutschland gegen Elementarschäden versichert und gerade in den von Hochwasser
gefährdeten Gebieten werden Versicherungen gar nicht mehr angeboten oder sind kaum
finanzierbar. Neben angemessenen Versicherungslösungen für die Betroffenen ist ein
zusätzlicher Fonds für unbürokratische und zügige Entschädigungszahlungen aufzulegen
für Menschen, deren Existenz bedroht ist. Zudem sollen regionale Landkarten erstellt
werden, auf denen absehbare Gefährdungslagen kartiert sind. Die Ausweisung von
Neubaugebieten in Überschwemmungsgebieten werden wir beenden.
- Wir wollen den Gesundheitsschutz erhöhen. Im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts ist
die Zahl von Todesfällen aufgrund von Herzkrankheiten während der Hitzewellen deutlich
angestiegen. Besonders betroffen sind Säuglinge, Kleinkinder und ältere Menschen. Das
Bundesgesundheitsministerium rechnet bis zum Ende des Jahrhunderts mit einer um den
Faktor drei bis fünf erhöhten Todesrate durch Hitzewellen. Hinzu kommen Folgeprobleme
wie eine massive Zunahme von Allergien, da sich etwa die Pollenflugsaison in den
vergangenen 30 Jahren bereits um zehn bis zwölf Tage verlängert hat. Für Warnsysteme,
bessere Behandlungsmöglichkeiten von klimabedingten Krankheiten sowie Hitze-
Aktionspläne muss Geld bereitgestellt werden. Die Aktionspläne sollten eine
koordinierte Kommunikation von Tipps und Verhaltensweisen für die Bevölkerung bei
Extremwetterereignissen beinhalten. Über eine bundesweite Beratungstelefonnummer
sollen Informationen zur Vermeidung hitzebedingter Gesundheitsschäden abgerufen werden
können.
- Wir wollen einen bundesweiten Hitzeaktionsplan verabschieden. Damit schützen wir die
Bevölkerung vor hitzebedingten Gesundheitsschäden.
- Wir wollen die Landwirtschaft anpassen und die Forschung für robuste Anbausysteme
intensivieren, damit Landwirt*innen die Herausforderungen der Klimakrise meistern
können. Entschädigungen sowie Förderprogramme für technische Lösungen bekämpfen nur
die Symptome, sparen aber die erforderlichen Änderungen im System sowohl auf dem Acker
als auch in der Tierhaltung aus. Vielfältige Fruchtfolgen, angepasste Sorten und
humusreiche Böden können Trockenstress und Klimawandel besser trotzen als
Monokulturen. Alternative Forschung und Anbaumethoden müssen deutlich stärker
gefördert werden.
- Wir wollen gesunde Böden fördern: Viele Regionen werden in den nächsten Jahren mit
Trockenheit zu kämpfen haben. Umso wichtiger, dass der Boden gesund und geschützt ist
– mit genügend Humus, um ausreichend Wasser zu speichern. Wir werden den Humuserhalt
und -aufbau von Böden durch Umwandlung ungeeigneter Äcker in Grünland sowie die
Ausweitung agrarökologischer Methoden wie Agroforstsysteme, Mischkulturen, weite
Fruchtfolgen und eine ganzjährige Bodenbedeckung fördern.
- Wir wollen Flächen entsiegeln. Versiegelte Flächen heizen die Umgebung nicht nur
unnötig auf, sondern können auch kein Regenwasser aufnehmen. Letzteres führt zu
Überschwemmungen. Deshalb braucht es ein Programm zur Wiederherstellung geschädigter
und versiegelter Böden in ihre natürliche Funktion als CO2- und Wasserspeicher.
- Bäume stellen Kohlenstoffsenken dar. Deshalb sind Agroforstsysteme unabdingbar für
eine klimagerechte Landwirtschaft. Auch wollen wir den Baumstand (Vorratsfestmeter) im
Wald erhöhen und durch Begrünung städtischer Umgebungen und entlang von Verkehrswegen
steigern.
- Wir wollen Wälder vor Bränden schützen. Ganz besonders wichtig ist
Waldbrandprävention. Dazu gehören Vorsorgemaßnahmen wie Schutzstreifen und
Waldbrandriegel sowie den nachhaltigen Umbau der Wälder insbesondere nach Sturmschäden
von Monokultur-Nadelwäldern hin zu artenreichen Mischwäldern. Diese sind weniger
brandgefährdet und zudem ein Gewinn für die Artenvielfalt. Darüberhinaus ist eine
Waldbrandstrategie gefordert. Für den Fall großer Waldbrände braucht es
bundesländerübergreifende Katastrophenpläne, ausreichende Spezialisten und eine gute
Ausrüstung zum Beispiel mit Löschflugzeugen.
- Wir wollen vor Hochwasser schützen. Hochwasserschutz ist mehr als Deiche bauen. Mit
Blick auf die mittlerweile alle paar Jahre hereinbrechenden Jahrhunderthochwasser ist
eine prioritäre Finanzierung des ökologischen Hochwasserschutzes überfällig. Dazu
gehört, den Flüssen wieder mehr Raum zu geben sowie eine Reaktivierung von Auen
entlang von Flüssen. Auch braucht es Hochwasserkonzepte für Städte, die aufgrund ihrer
massiven Versiegelung nicht für extreme Niederschläge gerüstet sind.
11. Klimaschutz kennt keine Grenzen
Auch wenn sich dieser Maßnahmenplan vor allem auf die national notwendigen Anstrengungen
konzentriert, so ist doch völlig klar: Unser Beitrag zum Paris Abkommen ist europäisch und
muss global gedacht werden. Wir möchten die deutsche EU-Ratspräsidentschaft 2020 dafür zu
nutzen, innerhalb der EU und im Kontext der G20 auf eine Ambitionssteigerung und
beschleunigte Umsetzung der Beiträge zum Paris Abkommen hinzuwirken. Deshalb wollen wir
konsequenten Klimaschutz im eigenen Land umsetzen und gleichzeitig Klimaschutz in anderen
Teilen der Welt unterstützen. Deshalb machen wir den Klimaschutz, den Ausbau erneuerbarer
Energien und die Anpassung an Folgen des Klimawandels zu einem Schwerpunkt der Außen-,
Entwicklungs- und Außenwirtschaftspolitik und wollen den Aufbau eines internationalen
Finanzierungsmechanismus für klimabezogene Schäden und Verluste unterstützen, der durch die
Verursacher finanziert wird
Von der Klimakrise betroffen sind weltweit zuerst jene, die die Klimakrise nicht verursacht
haben und sich am wenigsten vor den Auswirkungen schützen können: Menschen, besonders
Frauen, in den Ländern des Globalen Südens. Wir unterstützen die ärmsten Staaten beim
Klimaschutz und bei der Anpassung an Klimaveränderungen. Insbesondere mit Schwellen- und
Entwicklungsländern bauen wir Klimapartnerschaften auf und verstärken die klimapolitische
Zusammenarbeit.
Wir setzen uns dafür ein, dass die Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern, die
besonders von der Klimakrise betroffen sind, solidarische und koordinierte Hilfe der
Staatengemeinschaft erhalten. Dafür fördern wir systematisch Klimarisikoanalysen und ein
Klimarisikomanagement. Ansätze auf internationaler Ebene müssen die Umsetzung der
Menschenrechte, etwa der Rechte auf Nahrung, Wasser oder Gesundheit, befördern und die
Bevölkerung vor Ort miteinbeziehen. Lokal Betroffenen muss die notwendige Umsiedlung in
Würde garantiert werden, Menschen, die ihre Heimat aufgrund der Klimakrise verlassen,
brauchen internationalen Schutz.
- Wir werden uns in den internationalen Klimaverhandlungen dafür einsetzen, das Pariser
Klimaabkommen zu einem internationalen Regime weiterzuentwickeln, das von den Staaten
möglichst verbindliche Ziele einfordert, Vergleichbarkeit und Transparenz der
Zieleinhaltung sicherstellt und die Nichteinhaltung sanktioniert. Dies soll zuerst auf
EU-Ebene passieren.
- Wir werden uns dafür einsetzen, dass internationale Klimaverhandlungen durch eine
bessere Einbindung von zivilgesellschaftlichen Akteur*innen gerade aus dem Globalen
Süden transparenter und partizipativer durchgeführt werden. Vor allem muss die
Beteiligung von Frauen an Verhandlungen ausgebaut werden.
- Wir werden uns dafür einsetzen, dass die im Rahmen des Pariser Klimaabkommens
anstehenden regelmäßigen fünfjährlichen Überprüfungen („global stocktakes“) der
nationalen Klimaschutzbeiträge (NDCs) tatsächlich dazu führen, dass die Klimaziele
aller Staaten angemessen erhöht werden. Dafür muss sich der Überprüfungsprozess am
aktuellen Stand der Wissenschaft zur Begrenzung der Erderhitzung auf deutlich unter
zwei Grad, möglichst 1,5 Grad und an Kriterien der globalen Klimagerechtigkeit
orientieren. Damit die erste Runde der Zielerhöhung funktioniert, ist es entscheidend,
dass Deutschland sich dafür einsetzt, dass die EU ihr unzureichendes 2030-Ziel von
derzeit minus 40 auf minus 65 Prozent Emissionsreduktion erhöht und fristgerecht 2020
bei der UN einreicht. Gleichzeitig werden wir die Unterstützung von Ländern für die
Umsetzung und Verbesserung von NDCs in Foren wie der NDC-Partnerschaft deutlich
ausbauen.
- Die Industrieländer haben zugesagt, die Entwicklungsländer ab 2020 mit jährlich 100
Milliarden US-Dollar bei Klimaschutz und Anpassung an die Folgen der Klimakrise zu
unterstützen; der gerechte Anteil Deutschlands daran wären etwa zehn Milliarden
Dollar. Doch wir wissen bereits heute, dass diese Summen nicht reichen werden. Wir
werden uns daher dafür einsetzen, dass Deutschland in einem ersten Schritt jährlich
zehn Milliarden Euro aus öffentlichen Mitteln für internationale Klimafinanzierung
bereitstellt, mit denen dann auch weitere private Mittel mobilisiert werden können.
Zusätzlich soll Deutschland auch seine Zahlungen erhöhen, um die anderen nachhaltigen
Entwicklungsziele zu erreichen.
- Die Koalition der Finanzminister*innen für Klimaschutz soll bis Mitte 2020 ein
ambitioniertes Programm für die Ausrichtung der globalen Finanzströme an den Zielen
des Pariser Klimaabkommens vorlegen. Wir setzen uns dafür ein, dass Deutschland in
dieser Koalition eine Führungsrolle einnimmt und die beschlossenen Maßnahmen auch im
Kontext der G20 konsequent vertritt. Das heißt mit gutem Beispiel voran zu schreiten,
und sofort konkrete Schritte einzuleiten, alle klimaschädlichen Subventionen abzubauen
und alle klimabedingten Geschäftsrisiken konsequent offen zu legen.
- Deutschland sollte die strategische Klima-Allianz mit den 48 von der Klimakrise
besonders betroffenen Entwicklungsländern, die sich zu 100 Prozent erneuerbaren
Energien und Netto-Nullemissionen verpflichtet haben, ausbauen, damit sie diese Ziele
sobald wie möglich erreichen.
- Internationale Allianzen der Regionen, wie zum Beispiel die „Under2Coalition“, werden
wir stärken und ausbauen, um auch in jenen Staaten den Klimaschutz voranzubringen, die
derzeit Schlusslicht in der internationalen Klimapolitik sind. Dadurch stärken wir
auch die Zusammenarbeit mit subnationalen Akteuren in allen Ländern und halten die Tür
für Länder wie die USA offen, wenn sie sich zur Rückkehr zum Pariser Abkommen
entscheiden.
- Wir setzen uns für ressortübergreifende strategische Partnerschaften mit den großen
Schwellenländern für klimafreundliche Investitionsoffensiven in Mobilität, Energie,
Digitalisierung, nachhaltige Stadtentwicklung und Schlüsselindustrien wie Stahl oder
Zement ein.
- Wir werden die Kriterien für die internationale Zusammenarbeit zugunsten
klimaneutraler Investitionen ändern und dafür sorgen, dass jede Art fossiler
Technologie nicht mehr über Exportkredite oder Bürgschaften abgesichert werden kann,
wenn sie nicht im Einklang mit den Zielen von Paris steht. Dies soll auch für
multilaterale sowie nationale Entwicklungsbanken gelten. Mit Schwellenländern,
insbesondere China, wollen wir an der nachhaltigen Ausrichtung von
Infrastrukturinvestitionen arbeiten. Erfahrungen und Techniken für die schnellere
Dekarbonisierung wollen wir mit den Vorreitern unter den Industrienationen
austauschen.
- Wir müssen uns in Europa und global dafür einsetzen, dass Klima-Aktivist*innen,
zivilgesellschaftliche Organisationen und Umweltwissenschaftler*innen nicht
kriminalisiert und bedroht werden.
- Für das Jahr 2050 werden 100 bis 150 Millionen Menschen auf der Flucht prognostiziert
– allein aufgrund der Klimakrise, wenn sie ungebremst fortschreitet. Wir müssen unsere
humanitäre Hilfe massiv erhöhen, uns auf Katastrophen bedingt durch die Klimakrise
einrichten und uns intensiver mit dem Recht auf Klimaflucht auseinandersetzen. Wir
unterstützen Entwicklungsländer im Rahmen der Agenda 2030 dabei, der Klimakrise
entgegenzuwirken, damit die Menschen ihre Lebensgrundlagen nicht verlieren. Und wir
helfen ihnen dabei, nötige Umsiedlungen durch Klimakatastrophen bewältigen zu können.
[1] Laurent Fabius, Chefverhandler der Klimakonferenz in Paris und damaliger französischer
Außenminister
[2] Im weiteren Text verkürzt als CO2.
[5] Annahme: Bei einem Temperaturanstieg von maximal 1,75° C und einer Wahrscheinlichkeit
der Zielerreichung von 67 Prozent; mit einer Wahrscheinlichkeit von 40 Prozent sogar 1,5° C
Erderhitzung.