Veranstaltung: | 44. Bundesdelegiertenkonferenz Bielefeld |
---|---|
Tagesordnungspunkt: | V Verschiedenes |
Antragsteller*in: | Kai Gehring (Essen KV) und 101 weitere Antragsteller*innen (Frauenanteil: 38%) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 01.10.2019, 07:37 |
V-07: Liebe ist Liebe und kein Verbrechen! 50 Jahre nach Stonewall weltweit deutlich stärker für gleiche Menschenrechte von LSBTTIQ einsetzen!
Antragstext
Menschenrechte müssen für alle gleichermaßen gelten! Lesben, Schwule, Bisexuelle,
Transsexuelle, Transgender, Intersexuelle und Queers (LSBTTIQ) sind keine Menschen zweiter
Klasse, sondern sie sind gleichwertig und gleich an Rechten und Würde - überall. In vielen
Teilen der Welt werden die Menschenrechte von LSBTTIQ jedoch weiter massiv verletzt.
Fast die Hälfte der Menschheit lebt in Staaten, in denen LSBTTIQ staatlich diskriminiert und
brutal verfolgt werden. Gewalt, Hassverbrechen und Morde an LSBTTIQ, gesetzliche
Kriminalisierung, Unterdrückung mit dem Verbot sogenannter „Homo-Propaganda“ und Anti-NGO-
Gesetze, Verbote von Christopher-Street-Days, staatliche Verfolgung und gesellschaftliche
Ächtung sind vielerorts traurige Alltagsrealität.
In über 70 Staaten werden Menschen kriminalisiert und dafür bestraft, wen sie lieben oder
wer sie sind. Ihnen drohen in sechs Ländern die Todesstrafe (in Iran, Mauretanien, Saudi-
Arabien, Sudan, den Vereinigten Arabischen Emiraten ebenso wie in Brunei) sowie in
zahlreichen weiteren Staaten Haft, Körperstrafen, entwürdigende Untersuchungen,
Berufsverbote, Einschränkungen ihrer Meinungs-, Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit.
Nicht Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans* Personen, Intersexuelle und Queers sind pervers,
sondern die Entrechtung und Drangsalierung, die sie erleiden.
Als BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN stehen wir für internationale Solidarität. Wir verurteilen jede
Ungleichbehandlung und treten entschieden ein für die Universalität der Menschenrechte und
die Gleichberechtigung von LSBTTIQ - von lokal bis global, hierzulande wie international.
Liebe ist Liebe - und kein Verbrechen. Deutschland steht bei der Umsetzung dieser
Selbstverständlichkeit auch wegen seiner eigenen Verfolgungsgeschichte von Homosexuellen wie
auch seiner kolonialen Vergangenheit in einer besonderen historischen Verantwortung.
Die Geschichte des Kampfes gegen Unterdrückung von LSBTTIQ ist lang. Die mutige
Bürgerrechts- und Emanzipationsbewegung hat viele Fortschritte erstritten, der Kampf ist
jedoch noch lange nicht zu Ende und muss vor Rückschritten geschützt werden: 50 Jahre nach
den Stonewall-Riots in New York, 100 Jahre nach Gründung des „Instituts für
Sexualwissenschaft“ von Magnus Hirschfeld in Berlin, 25 Jahre nach der Abschaffung des
Unrechtsparagraphen 175 in der Bundesrepublik und damit der Entkriminalisierung
homosexueller Männer im deutschen Strafgesetzbuch, 30 Jahre nach der Aufhebung des
Paragraphen 151 in der DDR, der auch homosexuelle Frauen kriminalisierte, mehreren
Entscheidungen zur Verfassungswidrigkeit von Vorschriften des Transsexuellengesetzes und
über zwei Jahre nach der Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare muss unser Land
endlich eine Vorbildfunktion und Vorreiterrolle einnehmen: Jede Bundesregierung muss
weltweit klarmachen und einfordern, dass sexuelle und geschlechtliche Vielfalt und
Selbstbestimmung anzuerkennen sind - juristisch und gesellschaftlich.
Gleichzeitig darf sich Deutschland auch innenpolitisch nicht ausruhen und muss
menschenrechtlich vor der eigenen Haustür kehren. Bestehende Diskriminierungen gilt es
endlich entschieden zu beseitigen.
Das Grundgesetz und die universellen Grund- und Freiheitsrechte aus der „Allgemeinen
Erklärung der Menschenrechte“ sind für uns als politische Kraft, die stets Vorkämpferin für
gleiche Rechte war und bleiben wird, zentrale Verpflichtung. Wir fordern darum von jeder
Regierung, LSBTTIQ weltweit, in Europa und im eigenen Land zu schützen und so mit bestem
Beispiel voranzugehen und für die globale Entkriminalisierung sowie Gleichstellung zu
kämpfen - mit allen rechtsstaatlichen, politischen und diplomatischen Mitteln. Verbote und
Verfolgungen müssen endlich überall konsequent geächtet und sanktioniert werden.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordern deshalb, die Verteidiger*innen von Menschenrechten weltweit zu
unterstützen und den Druck auf die Regierungen von Verfolgungsstaaten von LSBTTIQ zu
erhöhen.
Als derzeitiges nicht ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat und mit seiner Bewerbung für
den UN-Menschenrechtsrat hat Deutschland die Möglichkeit und die Verpflichtung, sich für
LSBTTIQ-Rechte weltweit stärker als bisher einzusetzen und wegweisende globale Impulse für
die Anerkennung und den Schutz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt zu setzen.
Wegweisend dafür sind die zivilgesellschaftlich erarbeiteten, bereits 2007 im indonesischen
Yogyakarta vorgestellten „Yogyakarta-Prinzipien“. Sie haben die Anwendbarkeit bestehenden
Völkerrechts auf Menschenrechtsverletzungen aufgrund sexueller Orientierung und
Geschlechtsidentität überzeugend dargelegt.
Die Lage von LSBTTIQ ist ein wichtiger Indikator für die Verwirklichung der Menschenrechte
wie auch der individuellen Freiheit. Obwohl nahezu alle Staaten den „Internationalen Pakt
über bürgerliche und politische Rechte“ anerkannt haben, werden dessen Verpflichtungen
vielerorts grob missachtet und die Menschen von den örtlichen Regierungen ihrer Rechte
beraubt.
Über gute Nachrichten von Gleichstellungsschritten und Freiheitsgewinnen freuen wir uns -
wie zuletzt in Ecuador, Bhutan, Taiwan und Botswana. Schreckliche Rückschritte wie in
Tschetschenien und Brunei verurteilen wir aufs Schärfste - und erwarten dies auch von der
Regierung und EU-Kommission.
Die Aktivitäten der Bundesregierung gegen die prekäre Menschenrechtslage von LSBTTIQ in
vielen Teilen der Welt reichen längst nicht aus. Das belegt aktuell die Antwort die
Bundesregierung auf die Große Anfrage der Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
„Internationale Lage der Menschenrechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transsexuellen,
Transgendern und Intersexuellen“ (http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/19/090/1909077.pdf).
Als BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN setzen wir uns dafür ein, dass Deutschland wieder zum Vorreiter
bei den Menschenrechten von LSBTTI und einer emanzipatorischen Gesellschaftspolitik wird.
Daher fordern BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
- LSBTTIQ, Aktivist*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen als Teil der
Zivilgesellschaften weltweit zu schützen, ihnen Freiräume zu öffnen und sie
systematisch zu stärken und bei akuter Bedrohung humanitäre Visa oder Aufenthaltstitel
aus humanitären Gründen in Deutschland zu vergeben,
- das Recht auf die freie Entfaltung der sexuellen und geschlechtlichen Vielfalt und
Selbstbestimmung überall rechtlich und gesellschaftlich anzuerkennen und weltweit
einzufordern,
- gegenüber den betroffenen Staaten auf die Abschaffung von Anti-NGO-Gesetze
hinzuwirken,
- den Druck auf Regierungen, die LSBTTIQ verfolgen und ihre Grundrechte verletzen, zu
erhöhen, spürbare Konsequenzen zu ziehen und Sanktionen anzuwenden,
- die Todesstrafe, gleich unter welchen Umständen, überall auf der Welt abzuschaffen,
- in den Rechtsstaats- und Menschenrechtsdialogen Deutschlands mit anderen Staaten
Menschenrechtsverletzungen an LSBTTIQ systematisch zu bearbeiten,
- im angekündigten LSBTTIQ-inklusiven Konzept für die auswärtige Politik und die
Entwicklungszusammenarbeit aufzuzeigen, wie Deutschland unter Einbeziehung der
Zivilgesellschaften im In- und Ausland die Yogyakarta-Prinzipien umsetzen will,
- die Personalausstattung der deutschen Botschaften mit Menschenrechtsreferent*innen zu
verbessern und die Rechte von LSBTTIQ ausdrücklich in deren Aufgabenbereich zu
integrieren,
- LSBTTIQ-Rechte und Anti-Diskriminierung zu elementaren Bestandteilen der Ausbildung
des diplomatischen Korps und der Vorbereitung in den deutschen Entsendeorganisationen
zu machen sowie das Fortbildungsangebot entsprechend auszubauen,
- die Erfassungskriterien der Entwicklungszusammenarbeit in den Bereichen
Gleichberechtigung und Frauenrechte um die Aspekte der Aufklärungsarbeit über
Genderstereotypen und Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung zu
erweitern,
- die besondere Schutzbedürftigkeit von LSBTTIQ in Lagern für Geflüchtete und
Binnenvertriebene stärker zu berücksichtigen und Vorkehrungen für ihre Sicherheit zu
unterstützen,
- Verfolgung wegen sexueller Identität nicht nur auf dem Papier, sondern in der Realität
als Asylgrund anzuerkennen und Länder, in denen LSBTTIQ strafrechtlich verfolgt
werden, nicht als sichere Herkunftsländer einzustufen,
- Menschenrechtsprojekte für und mit LSBTTIQ im Rahmen des Programms „Zusammenarbeit mit
der Zivilgesellschaft in den Ländern der Östlichen Partnerschaft und Russland“ weiter
zu fördern,
- bei Dialogen mit religiösen Würdenträger*innen fundamentalistische Positionen, die zu
LSBTTIQ-Verfolgung führen oder diese begünstigen, kritisch zu thematisieren,
- ein Konzept zur Aufarbeitung der Auswirkungen des Kolonialismus auf die
menschenrechtliche Situation von LSBTTIQ zu entwickeln und gemeinsam mit
zivilgesellschaftlichen Organisationen im In- und Ausland umzusetzen,
- Reisewarnungen mit Blick auf die Situation geschlechtlicher und sexueller Minderheiten
weiterhin kontinuierlich zu aktualisieren, um potenzielle Tourist*innen über Risiko-
und Gefährdungslagen aufzuklären,
- einen Dialog mit der Tourismuswirtschaft mit dem Ziel aufzunehmen, dass Staaten, in
denen LSBTTIQ verfolgt werden, nicht mehr Partnerländer großer Tourismusmessen werden,
- einmal pro Wahlperiode eine eigenständige, umfassende Berichterstattung zur weltweiten
Menschenrechtslage von LSBTTIQ einzuführen, um die Datengrundlagen zu verbessern und
fundierte Handlungsempfehlungen abzuleiten, sowie eine ausführlichere Bewertung der
Lage von LSBTTIQ in den Menschenrechtsbericht der Bundesregierung aufzunehmen.
Kommentare
Helga Braun:
Helga Braun:
Florian Wielens:
Dennis Barth:
LGBTQ+ und Diskriminierung in Deutschland:
https://antraege.gruene.de/44bdk/Liebe_ist_Liebe_und_kein_Verbrechen_50_Jahre_nach_Stonewall_weltweit_-23294/5393
Diskriminierung ist Menschenverachtung:
https://antraege.gruene.de/44bdk/Liebe_ist_Liebe_und_kein_Verbrechen_50_Jahre_nach_Stonewall_weltweit_-23294/5392
Zur Vielfalt der Sexualität:
https://antraege.gruene.de/44bdk/Liebe_ist_Liebe_und_kein_Verbrechen_50_Jahre_nach_Stonewall_weltweit_-23294/5391
Diskriminierung ist leider überall:
https://antraege.gruene.de/44bdk/Liebe_ist_Liebe_und_kein_Verbrechen_50_Jahre_nach_Stonewall_weltweit_-23294/5390
Juliana Wimmer:
Habe diese beiden Änderungsanträge als Nachgang zu einem Workshop auf der Grundsatzakademie mit den BAGen Frieden & Internationales, Wirtschaft & Finanzen und Queer formuliert. Steht ein bisschen was in der Begründung zum Hintergrund. Eventuell habt ihr ja Lust, das zu unterstützen oder dazu zu debattieren:
- Nr. 1: https://antraege.gruene.de/44bdk/Liebe_ist_Liebe_und_kein_Verbrechen_50_Jahre_nach_Stonewall_weltweit_-23294/5617
- Nr. 2: https://antraege.gruene.de/44bdk/Liebe_ist_Liebe_und_kein_Verbrechen_50_Jahre_nach_Stonewall_weltweit_-23294/5618
Dominique Schirmer:
Dominique Schirmer, KV Freiburg
Christian Hauer: