Veranstaltung: | 44. Bundesdelegiertenkonferenz Bielefeld |
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Tagesordnungspunkt: | S Satzung und Statute |
Antragsteller*in: | Bundesvorstand (dort beschlossen am: 02.09.2019) |
Status: | Zurückgezogen |
Eingereicht: | 27.09.2019, 07:25 |
S-03: Geschlechtliche Vielfalt - Änderung der Satzung
Antragstext
Die Bundesdelegiertenkonferenz beschließt folgende Änderungen der Satzung:
a) Ersetze § 11 Abs. 3 – 5 durch NEU § 3 „Gleichberechtigte Teilhabe“
In die Satzung wird ein neuer § 3 „Gleichberechtigte Teilhabe“ aufgenommen. In § 11 werden
die Absätze 3 – 5 entsprechend gestrichen.
NEU: § 3 „Gleichberechtigte Teilhabe“
(1) Die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in der Politik ist ein politisches Ziel von
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Die Mindestquotierung von Ämtern und Mandaten ist eines der Mittel,
um dieses Ziel zu erreichen. Von dem Begriff „Frauen“ werden alle erfasst, die sich selbst
so definieren. Dies und weitere Maßnahmen regelt das Frauenstatut.
(2) Alle Gremien von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und von BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN zu beschickende
Gremien sind mindestens zur Hälfe mit Frauen zu besetzen, wobei den Frauen bei Listenwahlen
bzw. Wahlvorschlägen die ungeraden Plätzen vorbehalten sind (Mindestquotierung). Die
Wahlverfahren sind so zu gestalten, dass getrennt nach Positionen für Frauen und Positionen
für alle Bewerber*innen (offene Plätze) gewählt wird. Reine Frauenlisten und -gremien sind
möglich. Alle Bundesorgane, -kommissionen und Bundesarbeitsgemeinschaften sind entsprechend
zu mindestens 50 % mit Frauen zu besetzen. Ausgenommen von dieser Regelung ist die BAG
Schwulenpolitik.
b) Ersetze in § 12 Abs. 1 Satz 2 den Text „Parität (mindestens 50% Frauen)“ durch
„Mindestquotierung von Frauen“
§ 12 „Die Bundesversammlung“ lautet nun:
(1) Die Bundesversammlung findet mindestens einmal im Kalenderjahr statt. Die Delegierten
werden auf der Mitglieder- bzw. Delegiertenversammlung des Kreisverbandes gewählt. Die
Kreisverbände werden aufgefordert, bei den Delegierten die Mindestquotierung von Frauen zu
wahren. Zur Ermittlung der Delegiertenzahl pro Kreisverband gilt folgendes Verfahren: Die
Zahl der Mitglieder des Kreisverbandes wird mit 750 multipliziert. Das Ergebnis wird durch
die Zahl der Mitglieder des Bundesverbandes dividiert, wobei das Ergebnis zu einer vollen
Zahl gerundet wird. Diese Zahl ist die jeweilige Delegiertenzahl, die aber in jedem Fall
mindestens 1 betragen muss (Grundmandat). Maßgeblich sind die dem Bundestagspräsidenten im
letzten Jahresrechenschaftsbericht vorgelegten, geprüften Mitgliederzahlen.
Begründung
Die folgende Begründung und eine Textsynopse zwischen der aktuellen Fassung und den beantragten Änderungen steht unter dem Link https://wolke.netzbegruenung.de/s/7XrCprN3iHLfwBs zum Download in der Grünen Wolke zur Verfügung.
Unser Grünes Frauenstatut ist in der deutschen Parteienlandschaft einmalig und eine echte feministische Erfolgsgeschichte: Seit über 30 Jahren trägt es dazu bei, dass wir Grüne einen sehr hohen Frauenanteil sowohl bei den Mitgliedern als auch in allen Fraktionen, Vorständen und anderen Gremien haben. Wir machen damit deutlich: Frauen sind die Hälfte der Bevölkerung, sie sollen auch die Hälfte der Macht bekommen. Bei allen gleichstellungspolitischen Fortschritten ist das Frauenstatut aber auch im Jahr 2019 noch so relevant wie bei seiner Verabschiedung. Die wohlvertrauten Instrumente des Frauenstatus wie Frauenquote, Frauengremien und quotierte Redelisten sind leider noch nicht überholt, sondern notwendig, um die gleichberechtigte politische Teilhabe und Sichtbarkeit von Frauen zu ermöglichen und zu sichern.
Was wir heute aber besser machen wollen als vor 30 Jahren, ist die Anerkennung geschlechtlicher Vielfalt in unserer Satzung. Grünes Selbstverständnis ist, dass trans-, intergeschlechtliche und nicht-binäre Menschen ein Recht auf geschlechtliche Selbstbestimmung haben – frei von politischen, medizinischen oder rechtlichen Pathologisierungsversuchen, Menschenrechtsverletzungen und Stigmatisierungen. Dafür kämpfen wir seit vielen Jahren in Solidarität und im Bündnis mit zivilgesellschaftlichen Organisationen und Aktivist*innen auf den unterschiedlichen politischen Ebenen.
Unsere Satzung ist jedoch noch geprägt von einem zweigeschlechtlichen, binären System der Geschlechter. Nicht alle Menschen wollen oder können sich aber einem der beiden Geschlechter zuordnen. Dies hat nicht zuletzt das Bundesverfassungsgericht mit seinem bahnbrechenden Urteil im Jahr 2017 endlich auch grundrechtlich festgestellt. Darauf haben wir bei unseren Formularen und Aufnahmeanträgen bereits reagiert.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 10. Oktober 2017 anerkannt, dass "die geschlechtliche Identität derjenigen, die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen", durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht geschützt ist und der Staat sie aktiv vor Diskriminierung zu bewahren hat. In der Umsetzung hat die schwarz-rote Regierungskoalition im Dezember 2018 eine Neufassung des Personenstandrechts beschlossen, das als 3. Option den Geschlechtseintrag "divers" zulässt. Auch wenn diese Novellierung moderate Verbesserungen mit sich gebracht hat, kritisieren wir sie – gerade im Zusammenspiel mit den völlig fehlgeleiteten Reformüberlegungen der Großen Koalition zum veralteten, menschenrechtswidrigen "Transsexuellengesetz" – als nicht ausreichend und als nicht menschenrechtskonform. Auch hier werden wir uns weiterhin für eine substantielle Reform einsetzen. Es gilt: gleiches Recht für jedes Geschlecht!
Mit den vorliegenden Änderungsanträgen für unsere Satzung inklusive des Frauenstatuts gehen wir nun einen ersten Schritt, um der geschlechtlichen Vielfalt nun auch in den Statuten unserer Partei Rechnung zu tragen und bekräftigen zugleich das Prinzip der Mindestquotierung für Frauen. Anschließend an die Satzungsänderung wollen wir jedoch weiter diskutieren, wie geschlechtliche Vielfalt noch stärker in der Satzung verankert und in der Partei gelebt werden kann.
Diese Änderungsanträge haben drei Ziele:
Wir verändern unsere Satzung so, dass es in Zukunft Plätze für Frauen und Plätze für alle Kandidierenden unabhängig von ihrem jeweiligen Geschlecht gibt. Damit stellen wir nun auch in unserer Satzung und im Frauenstatut klar, dass die "offenen Plätze" keine "Männerplätze" sind, sondern Menschen aller Geschlechter offenstehen. Dies gilt analog für beispielsweise Redelisten oder die Besetzung von Gremien.
Wir machen klar, dass mit dem Begriff Frauen alle erfasst werden, die sich selbst so definieren. Denn die Geschlechtsidentität kann jeder Mensch nur für sich selbst bestimmen, keine andere Person oder gar eine staatliche Institution hat das Recht hier Zuweisungen auszusprechen.
Wir stellen klar, dass Frauenplätze bei Gremienwahlen (nicht bei Listenwahlen), wenn sie nicht mit einer Frau besetzt werden können, weil sich keine Frau findet oder eine Frau nicht gewählt wird, nicht durch eine Person eines anderen Geschlechts besetzt werden können. Damit gehen wir aktuell bestehende Unklarheiten in der aktuellen Satzung an.
Die Änderung unserer Satzungsdokumente ist ein erster Schritt, um geschlechtliche Vielfalt in unserer Partei voranzubringen. Weiter wollen wir auf allen Ebenen für mehr Sensibilisierung und für ganz konkrete Verbesserungen sorgen, damit niemand aufgrund des Geschlechts diskriminiert oder ausgeschlossen wird. Dies betrifft alle Ebenen unserer Partei. Beratend stehen dabei die frauenpolitische Sprecherin, das Bundesfrauenreferat sowie die Dachstruktur QueerGrün und die BAG Frauenpolitik zur Seite.
weitere Antragsteller*innen
Änderungsanträge
- S-03-017 (Gesine Agena (Berlin-Friedrichshain/Kreuzberg KV), Eingereicht)
Kommentare
Wolfhard von Thienen:
Die Bundessatzung und deren Regeln für die gleichberechtigte Teilhabe der Frauen, insbesondere das Frauenstatut wurden bei uns Grünen nach langer Auseinandersetzung anerkannt und gehören berechtigterweise zu den grünen Grundprinzipien. Es gab aber immer wieder Bedenken, denn die dort festgelegten Regeln bei Listenaufstellungen benachteiligen Männer. Dieser Umstand ist damit gerechtfertigt, dass die bestehenden Ungerechtigkeiten auf Seiten der Frauen ausgeglichen werden müssen.
Aus meiner Sicht ist es dabei wichtig zu wissen, dass es sich bei den Listenaufstellungen nicht um Regeln des Alltagslebens handelt, sondern um die politische Teilhabe an unserem demokratischen Grundwesen (eine erfolgreiche Bewerbung um ein politisches Mandat kann effektiv fast nur im Rahmen einer Partei erfolgen, außer vielleicht bei Kommunalwahlen). Eine Benachteiligung auf Grund des Geschlechts ist deshalb besonders problematisch und wird durch die Grundgesetzartikel 3 und 21 geregelt, die gegeneinander abzuwägen sind. Das Grundgesetzt gewährt Parteien große Autonomie in der Gestaltung ihrer Satzungen, stellt aber gleichzeitig hohe Ansprüche an deren demokratische Ausgestaltung. Dies war immer wieder Gegenstand interner Auseinandersetzungen vor dem Grünen Bundesschiedsgericht und z.B. auch Gegenstand der Wahlprüfungskommission des Bundestages im Jahre 1999, bei denen deutlich wurde, dass das Thema, gelinde gesagt, juristisch schwierig und keineswegs eindeutig und abschließend (z.B. durch das Bundesverfassungsgericht) geklärt ist. Ich bin allerdings kein Jurist und will hier auch nicht juristisch argumentieren.
Trotz der Einschränkung der Grundrechte von Männern, konnte ich bisher mit den Statuten leben, weil es aus meiner Sicht wichtig ist, dass ein Ausgleich für die bestehenden Nachteile der Frauen geschaffen wird. Die vorliegenden Entwürfe zur Satzungsänderung des Bundesvorstandes gehen mir aber zu weit, ich halte sie weder mit dem Geist des Grundgesetzes noch mit den Menschenrechten für vereinbar.
Was ist passiert?
Die Gesellschaft und besonders wir als Grüne, mit unserem Anspruch Pioniere positiver gesellschaftlicher Veränderung zu sein, haben zunehmend erkannt, dass es neben Frauen und Männern noch andere gibt, die sich da nicht einordnen wollen oder können. Das passt dann aber nicht mehr zu unserer Satzung mit dem dualen System von Männlein und Weiblein. Was tun fragt sich da der Grüne Mensch? Und schwupp die wupp wird der Begriff „Mann“ aus der Satzung entfernt und durch „Bewerber*Innen“ ersetzt und die bisher für Männer (und Frauen) vorgesehenen Plätze mit „offen“ deklariert. Auch wird im Zusammenhang von bisher „gleicher Teilhabe von Männern und Frauen“ nur noch von „gleichberechtigter Teilhabe der Frauen“ gesprochen. Bitte dabei beachten, dass diese Änderung nicht allein im Frauenstatut erfolgt, sondern explizit auch in der Bundessatzung. Das Argument, dass ja nur die Frauensatzung betroffen sei, also nur deren Belange betroffen sind, ist insofern falsch. Ausserdem betreffen die Regeln der Frauensatzung immer auch Männer und Diverse.
Da muss ich dann leider für mich als Mensch und Mann sagen, von einer Parteisatzung, in der im neuen §3 „Gleichberechtigte Teilhabe“ nur noch von „Frauen“ die Rede ist und nicht mehr von „Männern“, fühle ich mich diskriminiert und benachteiligt. Die Frauenbewegung merkt zu Recht an, dass Sprache prägend ist. Wie prägend muss es für eine Partei sein, wenn zwar der Begriff „Frau“ noch verwendet wird aber der Begriff „Mann“ nicht (ebensowenig wie der Begriff „Divers“)? Was wird passieren, wenn die Medien hiervon Wind bekommen und wir mit hämischen Anmerkungen bedacht werden? Wie soll ich das den neuen Mitgliedern erklären? Werden wir Grünen demnächst versuchen, dieses Modell auch gesellschaftlich außerhalb der Partei umzusetzen, wie wir es ja mit der Frauenquote bereits berechtigterweise versuchen?
Aber nicht nur Männer können sich an den Neuerungen stören. Denn auf Frauenplätze können sich dann auch diejenigen bewerben, die sich „als Frauen definieren“. Dann kann sich jetzt also in Zukunft jeder auf Frauenplätze bewerben, indem er/sie/divers erklärt, sich als Frau zu definieren? Und wie sieht diese Definition aus? Wie dauerhaft muss sie sein? Und wie ist das mit den Menschen, die männlichen Geschlechts sind und sich als Frau fühlen? Müssen die sich jetzt outen, obwohl sie das vielleicht gar nicht wollen, weil sie z.B. verheiratet sind und Kinder haben? Und was ist mit Frauen, die sich als Mann fühlen, verzichten sie auf ihre Frauenrechte?
Wie kann eine Quotierung aussehen, in der alle Geschlechter ohne Diskriminierung berücksichtigt werden? Da gibt es viele Fragen, auf die vorliegende Satzungsänderungen keine Antwort geben.
In der Begündung des Antrages findet sich der bemerkenswerte Satz: „Anschließend an die Satzungsänderung wollen wir jedoch weiter diskutieren, wie geschlechtliche Vielfalt noch stärker in der Satzung verankert und in der Partei gelebt werden kann.“ Ich hätte es besser gefunden, wenn diese Diskussion im Vorfeld auf Ebene der OVs und KVs stattgefunden hätte, bevor ein derartig bedeutsame und grundlegende Satzungsänderung vom Bundesvorstand beschlossen wird und hoffe, dass dieser Antrag zurückgezogen wird und das Thema zur Diskussion in die Partei gegeben wird. Wir Grüne können das besser!
Horst Schiermeyer:
Als Jurist teile ich die Bedenken von Wolfhard und schließe mich seinem Vorschlag an, VOR einer Änderung von Satzung und Frauenstatut breit an der Basis zu diskutieren, wie geschlechtliche Vielfalt besser gelebt und ggfs. in der Satzung verankert werden kann. Ich schlage deshalb vor, die Anträge S-03, S-04 und S-05 zur weiteren Beratung an die Landes-, Kreis- und Ortsverbände zu überweisen und dann ggfs. in der regulären Bundesversammlung 2020 zu behandeln.
Dabei sollten wir auch darüber diskutieren, welchen Stellenwert das alte grüne Prinzip der Basisdemokratie noch hat. Bisher war den Untergliederungen die Autonomie gewährt worden, ihre innere Struktur selbst zu regeln. Die geplante Satzungsänderung durchbricht dies Prinzip, denn die Regelung soll auf allen Ebenen der Partei gelten.
Dennis Nawrot:
Mit welchem Geschlecht sollen Frauen da eigentlich gleichberechtigt werden? Männer können damit ja nicht gemeint sein, denn die werden in der Partei ja offenkundig nicht so gefördert wie Frauen.
Warum macht man aus einem Miteinander hier jetzt gewaltsam ein Gegeneinander?
Ist es zukünftig gewünscht, dass sich grüne Männer Defensivstrategien abkaspern oder Parallelstrukturen entwickeln, um mit diesen Benachteiligungen umzugehen?
Oder ist unsere Mitarbeit einfach nicht mehr erwünscht?
Das sollten wir den Neumitgliedern dann aber direkt bei Eintritt erklären, damit sie wissen worauf sie sich dann einlassen.
Denn von alleine leuchtet das niemandem ein.
"Die gleiche Teilhabe von Frauen und Männern in der Politik ist ein politisches Ziel von BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN." hieß es bisher. Die Bundesrepublik macht den zivilisatorischen Fortschritt und erkennt an, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt.
Und die vermeintlich feministischen Grünen reagieren darauf mit
"Die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in der Politik ist ein politisches Ziel von
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN."
Ernsthaft?
Wolfhard von Thienen:
Dennis Nawrot:
So ist das halt mit Anträgen (zudem Satzung), deren Inhalt was ganz anderes aussagt, als der Titel. Zudem kommt er vom BuVo, die ja schon einen gewissen Vertrauensvorschuss haben, da kommt ja kein Mensch drauf, dass man sich unter "Geschlechtliche Vielfalt" von der Gleichberechtigung zugunsten aktiver Geschlechterdiskriminierung verabschiedet.
Ich denke, die meisten die es angeht, lesen es gar nicht.
Rudolf Kaiserswerth:
Dieser Antrag muss - wie Wolfhard es fordert - erst mal gründlich auf Basisebene diskutiert werden bevor da was abgestimmt wird. Er ist undurchdacht und unsensibel uns Männern gegenüber.
Tobias Balke:
der Bundesvorstand beantragt in S-03 für einen neuen § 3 der Bundessatzung den Satz "Von dem Begriff „Frauen“ werden alle erfasst, die sich selbst so definieren."
In seiner Antragsbegründung erläutert der BuVo: "Wir machen klar, dass mit dem Begriff Frauen alle erfasst werden, die sich selbst so definieren. Denn die Geschlechtsidentität kann jeder Mensch nur für sich selbst bestimmen, keine andere Person oder gar eine staatliche Institution hat das Recht hier Zuweisungen auszusprechen."
Der Satz "Von dem Begriff „Frauen“ werden alle erfasst, die sich selbst so definieren." hätte zwei Konsequenzen:
a. keine*r muss "Frau" sein, die/der das nicht will,
b. jede*r darf "Frau" sein, die/der das will.
Jedes Mitglied dürfte also nach Belieben selbst bestimmen, ob es - innerhalb von Bündnis 90/Die Grünen - als Frau gelten will oder nicht. Es dürfte sich selbst zur "Frau" erklären oder zur "Nicht-Frau". Diese Selbstdefinition wäre an keine Voraussetzung geknüpft und an keine Bedingung. Es käme einzig und allein auf den Entschluss dieses Mitglieds an. Alle anderen Mitglieder würden durch diese Selbstdefinition gebunden, niemand könnte sie wirksam bestreiten. In jeder Hinsicht müssten alle übrigen Mitglieder einem Mitglied, sobald und solange es sich selbst zur "Frau" erklärt, sämtliche besonderen Rechte gewähren, die Frauen (und nur ihnen) die Bundessatzung und das Frauenstatut garantieren. Niemand dürfte und könnte in Zukunft noch ein Mitglied daran hindern, seine Selbstermächtigung zur "Frau" zu erklären und ab sofort alle Frauenrechte für sich selbst zu beanspruchen.
Es gäbe auch keine Schranke, die irgendein Mitglied daran hindern könnte, ihre/seine Selbstdefinition zu ändern. Jedes Mitglied könnte das beliebig oft ändern, nach Wunsch und Laune, jederzeit und zwar mit sofortiger Wirkung auf seinen Satzungs-Status.
Falls Euch die Vorstellung einer täglich, ja stündlich changierenden geschlechtlichen Identität als allzu abenteuerlich vorkommt, dann werft einen Blick auf den Antrag S-07 und sein „TIN-Statut"
mit den Worten „Jede Person muss sich zu Beginn der Sitzung festlegen, welcher Gruppe sie zugeordnet werden will. D.h. cis* Männer reden auf der Männer-Liste, cis* Frauen auf der Frauen-Liste, TIN nach Selbsteinschätzung (Festlegung für die jeweilige Debatte)."
2. Demnächst kann also in jeder grünen Versammlung der Schlachtruf ertönen:
"Ich bin kein Mann, ich bin ein hermaphroditisch-omnipotentes Wesen! Jedenfalls bin ich es hier, heute und in Satzungshinsicht. Behauptungen, ich sei "eigentlich" ein Mann, weil ich so aussehe wie ein Mann, entstammen offensichtlich binärem, vorsintflutlichem Schwarzweiss-Denken. Nein-nein, hier und jetzt definiere ich mich als Frau, weil ich das so will, und Ihr müsst mich gefälligst als solche behandeln."
Diejenigen, die dann Lust bekommen, tatsächlich so aufzutreten, werden sich vermutlich zu mehreren dazu verabreden. Eventuell werden sie karnevalsbunte Perücken oder auch Perücken im britischen Gerichtsstil aufsetzen. Und sie werden hartnäckig und lautstark ihr Frauenrecht auf Frauenplätze einfordern, verbunden mit dem "freundlichen Hinweis" an die jeweils Sitzungsleitenden, die fortgesetzte Verweigerung von Mitgliedsrechten könne ohne weiteres Sanktionen gemäß § 21 (2) der Bundessatzung nach sich ziehen und das wollten die Sitzungsleitenden sich doch gewiss gerne ersparen. Falls dann die Sitzungsleitung sympathisiert oder sich einschüchtern lässt, würde die Redeliste von solchen "Perückenfrauen" geflutet. Sie würden sich wohl spasseshalber ständig hineinquotieren lassen und ihre Beiträge wiederholen und variieren, falls "echte" Frauen empört in den Schweigestreik treten.
Vermutlich würde die Mehrzahl der männlichen Mitglieder sich an einem solchen Mummenschanz nicht beteiligen, aber sie würden sich doch ein Lächeln nicht verkneifen und einige von ihnen den anwesenden Frauen (denen vom alten Typ, mit XX-Chromosomensatz usw.) sagen: "es geschieht Euch ganz recht, nun könnt Ihr auch mal sehen, wie das ist und was wir schon öfter erlebt haben".
- Falls der Antrag S-08 angenommen und in Zukunft nicht mehr die Versammlung, sondern nur noch die Frauen (bei akutem Frauenmangel auf der Redeliste) über Fortsetzung oder Abbruch einer Debatte entscheiden dürften (was wirklich unvernünftig und ungerecht wäre, siehe Begründung auf https://antraege.gruene.de/44bdk/Aenderung_des_Frauenstatuts-56455/6000 ), dann würde ein der artiges Perücken-Manöver unter grünen Männern wohl zunehmend als reine Notwehr gewertet wer den -.
Das könnte ja alles ganz lustig werden, und es soll auch niemandem die Vorfreude genommen werden. Aber bitte: bedenkt die Folgen, wenn aus lustigem Spiel politischer Ernst würde.
Überall, wo "Probevorstellungen" zuerst zu beifälligem Gelächter und später zu Achselzucken und noch später zur Gewöhnung an "umgekrempelte" Redelisten führten, könnten sich nämlich Männer versucht fühlen, eine Wahl-Premiere auf den grünen Spielplan zu setzen.
Männer (oder genauer: Mitglieder, die jetzt noch allgemein als Männer betrachtet werden) könnten auf dieser Satzungsgrundlage nämlich auch bei Wahlen und Nominierungen auf Frauenplätzen an treten.
Vorhaltungen von weiblicher Seite, da sei denn doch ein kleiner Unterschied, würden sie kontern:
"Na und? Ihr habt bloss in grauer Vorzeit mal in der genetischen Lotterie gewonnen, aber ich bin freiwillig Frau!".
Es käme dann auf die jeweilige Wahlversammlung an, ob sie diese "Innovation" akzeptieren würde oder nicht.
Es kann zwar angenommen werden: eine BDK, wie sie gegenwärtig zusammengesetzt ist, würde solche Kandidierende einfach auslachen oder ausbuhen und durchfallen lassen. Die meisten LDKen in ihren gegenwärtigen Besetzungen wohl auch, vielleicht sogar alle.
Aber wer könnte ihre/seine Hand beispielsweise für Landesmitgliederversammlungen ins Feuer legen? Da dürfen ja alle Mitglieder mit stimmen, auch wenn sie sonst überhaupt nicht aktiv sind. Und es gibt bei den Mitgliedern erheblich mehr Männer als Frauen.
Zur Warnung sei auf das Saarland hingewiesen. Dort beherrschten zwischen 1991 und 2017 Hubert Ulrich und seine Kumpane mit mafiösen Mitteln und Absichten (siehe z.B. https://www.heise.de/tp/features/Jamaika-versinkt-im-gruenen-Sumpf-3383153.html ) den saarländischen Landesverband. Immer wieder verlangte er den ersten Platz im Landesvorstand und auf den Landeslisten für Landtag und Bundestag - und immer wieder gaben die saarländischen Delegiertenmehrheiten ihm auch diese Plätze und damit teilweise die einzigen real errungenen Mandate. Die damaligen Bundesvorstände konnten oder wollten diesem fortgesetzten Satzungsbruch kein Ende machen, obwohl das Frauenstatut (plus Spiegelung im § 11) in Verbindung mit § 21 (4) und (5) der Bundessatzung eigentlich ausreichende Rechtsgrundlagen zu energischem Handeln gegeben hätte.
3. Wenn nun das Bundessatzung und das Frauenstatut sagen würden: "Von dem Begriff „Frauen“ werden alle erfasst, die sich selbst so definieren", dann gäbe es, rechtlich gesehen, nirgendwo noch eine Handhabe, um solchen Missbrauch zu unterbinden. Käme es deswegen zu Prozessen vor Landesschiedsgerichten und Bundesschiedsgericht, dann hätte der BuVo sich schützend vor den neuen Satzungswortlaut zu stellen, weil die BDK das nun mal so beschlossen hätte. Etwaige Wahlanfechtungen würden aller Voraussicht nach streng nach dem Buchstaben der veränderten Satzung abgewiesen.
Mitglieder, die jetzt noch allgemein als Frauen betrachtet werden, könnten es zwar mit einem Normenkontrollverfahren versuchen und das Bundesschiedsgericht auffordern, festzustellen, dass die BDK Bielefeld mit ihrem Beschluss von S-03 und S-04 etwas getan hätte, was selbst sie nicht durfte: nämlich kollektiv gegen den Grundkonsens ( https://cms.gruene.de/uploads/documents/Grundkonsens-1.pdf , dort vor allem Abschnitt 1.5 ) zu verstossen. Aber dann würde der BuVo vermutlich vortragen: nicht nur der Satzungsstand wäre im November 2019 veraltet gewesen, auch der Grundkonsens sei es. Er sei seinerzeit auf Grundlage "binären Denkens" verfasst worden, seine dichotomische Unterscheidung von Frauen und Männern, sein Ignorieren geschlechtlicher Vielfalt seien doch völlig überholt. Das Bundesschiedsgericht würde voraussichtlich urteilen: so ein Selbstdefinitionsrecht hätten sich zwar die Grundkonsens-Eltern sicher nicht vorgestellt, als sie die Gleichstellung von Frauen und Männern zum Grundwert erklärten. Jedoch sei der Grundkonsens, formal gesehen, auch nur ein Satzungsbeschluss. Nirgendwo stehe geschrieben, dass seine zentralen Bestimmungen "Ewigkeitscharakter" hätten.
Und so würde laut Satzung gelten: "Frau" ist Frau.
Nachdem ein paar Musterprozesse abgeschlossen sind, würde sich bald die Erkenntnis verbreiten: jede Gliederung, jedes Gremium kann auf dieser Satzungsgrundlage ungestraft jede sich selbst zur "Frau" definierende Person auf Frauenplätze wählen und nominieren, falls gewünscht.
Diese Option würden nach und nach immer mehr Mitglieder und Basisgruppen auch nutzen wollen. Erst recht, falls (parteiinterne) Frauenplätze, wie S-04 fordert, in Zukunft auch dann nicht mehr mit Nicht-Frauen besetzt werden dürfen, wenn sich keine Frau zur Kandidatur bereit findet und auch nach nochmaliger gezielter Werbung immer noch keine Frau antreten will (was wirklich ungerecht und unvernünftig wäre, siehe materielle Begründung auf https://antraege.gruene.de/44bdk/Klarstellung_gleichberechtigte_Teilhabe-37830/5988 ).
Beginnen würden einige besonders ehrgeizige Männer und vor allem solche, die die Frauenquote immer schon knacken wollten. Sie würden perückenlos aber treuherzig-augenzwinkernd die Wahlversammlung fragen: "als alter Feminist bin ich Euch doch feminin genug für einen Frauenplatz, oder?". Ihr mitgebrachter Anhang würde im Chor antworten "Aber immer doch!". In einer Reihe von Basisgliederungen könnten sie damit vermutlich auch durchkommen. Anderen Männer würde das nicht passen. Die würden dann verkünden: "..ich bin ja gern bereit, echten Frauen den Vortritt zu lassen. Aber dass ich jetzt diese Schwindel-Frau an mir vorbeiziehen lassen soll, sehe ich gar nicht ein. Das ist unlauterer Wettbewerb. Wenn das nicht gleich aufhört, dann mache ich das in Zukunft eben auch so." Es würde nicht "gleich aufhören". Es würden dann viele es "eben auch so" machen. In Kettenreaktionen würde männlich-konkurrierender Ehrgeiz erste Haarrisse in der Frauenquote ausweiten. Das ginge von unten nach oben eskalierend: mit "Pseudo-Frauen" auf Frauenplätzen durchsetzte Ortsverbands- und Kreisvorstände und Kommunalfraktionen würden sich - zur Absicherung und zur Seilschaftsprämierung - um "Pseudofrauen"-freundliche Delegiertenwahlresultate bemühen. Die Delegiertenversammlungen könnten nachfolgend von unten nach oben umschwenken, nicht sofort, aber innerhalb weniger Jahre, und mit neuartigen Delegiertenmehrheiten auch auf Landes-, Bundes- und Europaebene Frauenplätze an Mitglieder vergeben, die ausserhalb von Bündnis 90/Die Grünen schlicht und einfach als Männer gelten.
In der guten Absicht, das Frauenstatut zu modernisieren, hätte die BDK also dessen wichtigstes Instrument, die Frauenquote, faktisch durchlöchert und perspektivisch wohl ganz ausser Kraft gesetzt und entwertet.
Aber das würden viele Mitglieder nicht als gerecht betrachten und finden, das sei nicht grünes Recht, sondern grüne Rechtsfiktion. Frauen (im traditionelles Wortsinn) würden von Betrug sprechen und nach Ausschöpfung des Rechtswegs in die innere Emigration gehen oder unsere Partei gleich ganz verlassen.
Dafür würden andere Menschen neu oder wieder Mitglied werden, solche, denen die neue Satzungslage sehr gelegen käme.
Unsere Partei wäre nicht mehr die, die sie heute ist. Die Atmosphäre wäre vergiftet durch Anstreiten und Anschreien gegen eine Rechtslage, die von einem grossen Teil der gegenwärtig Aktiven als Unrecht empfunden und von einem anderen, ebenfalls grossen Teil als gute Gelegenheit fürs Beutemachen und Revanchieren betrachtet würde.
Wir würden bei diesem Streit sehr viel Energien und Zeit verschwenden und viele gute Aktive und Stammwähler*innen verlieren. Unsere ganze Partei würde aufhören, feministisch zu sein, sie würde durch einen panfeministischen Rausch in einen langen postfeministischen Katzen*jammer stürzen. Der Schaden für das Ansehen und die Stärke von Bündnis 90/Die Grünen wäre hoch und könnte viele Jahre überschatten.
Bitte stimmt gegen den Antrag S-03.
bündnisgrüne Grüße,
Tobias
(Nachtrag: Etwas sehr Gutes am S-03, den Inhalt von S-03-017 könnt Ihr nachher auch noch mit dem V-38 beschliessen, wo ja gefordert wird, „dass trans*, inter* und nicht-binäre Personen mehr Sichtbarkeit und politische Teilhabe in unseren Strukturen verdienen.“, dass darüber „in den nächsten Monaten in einem offenen und transparenten Prozess diskutiert werden soll“, dass “Vorschläge entwickelt werden“ und „ auf der nächsten Bundesdelegiertenkonferenz 2020 .. Maßnahmen zur Vielfaltsförderung“ und „ein Reformvorschlag für das Frauenstatut zur Abstimmung gestellt werden [soll], der die Situation von trans*, inter* und nicht-binären Personen in der Partei aufgreift“).