Das Frauen*statut garantiert Frauen* das Recht auf mindestens der Hälfte der Redezeit. Jede Frau* hat, sobald sie sich zu Wort meldet, das Recht auf den jeweils nächsten freien ungraden Platz auf der Redeliste. Sie kann sich während der Debatte auch jederzeit spontan nachmelden, wenn sie es will, auch mehrfach. Bei den Grünen können Frauen* also bei jeder Diskussion mindestens die Hälfte der Redebeiträge halten, wann immer sie es wollen.
Das ist auch gut so. Es gibt spezifisch weib*liche Perspektiven, die am besten von Frauen* vorgetragen werden und zwar von mehreren, in grossen Versammlungen: von richtig vielen. Eben dafür schafft die geltende Fassung des Frauen*statuts ausgezeichnete Gelegenheiten.
Wenn Frauen* allerdings bei einer Debatte von diesem Rederecht eher zurückhaltend Gebrauch machen, wenn deswegen auf einer Redeliste weniger weib*liche Wortmeldungen vermerkt sind als die von Männern (was nicht ganz selten vorkommt, besonders dann, wenn mehr grüne Männer als grüne Frauen* anwesend sind), dann ist es ein Gebot der Fairness, der Solidarität und der politischen Klugheit, auch diejenigen Männer in Ruhe anzuhören, die sprechen wollen und auch denjenigen, die sich nicht als allererste gemeldet haben, eine Chance auf einen Redebeitrag zu geben.
Frauen* werden parteienvergleichend gewiss leicht feststellen: die vergleichsweise frauen*freundlichste Männer sammeln sich bei Bündnis 90/Die Grünen. Das solle es ihnen leicht machen, sich einmal probeweise in die Lage grüner Männer hineinzuversetzen. Auch die sind in unserer gemeinsamen Partei, um an der politischen Willensbildung aktiv teilzunehmen. Zu den elementaren Voraussetzungen demokratischer Teilhabe gehört nun aber die Möglichkeit, in einer Versammlung auch selbst zu Worte zu kommen.
Würde ihnen diese Möglichkeit regelmässig abgeschnitten, dann würden nach und nach selbst die geduldigsten und bescheidensten grünen Männer das Interesse an aktiver Teilnahme verlieren. Warum noch zu Versammlung gehen, wenn sie mit wahrscheinlich doch nicht mehr zu Wort kommen? Solche Männer würden dann einwenden, dass auch Männerrechte Menschenrechte sind und das es keinesfalls angeht, einen wesentlichen Teil ihres Menschenrechts auf demokratische Teilhabe nur noch durch einen Gnadenakt zu erhalten. Wenn Redezeit schon kontingentiert werden muss, dann sollen wenigstens alle Teilnehmenden darüber entscheiden. Als Vorrecht einer Teilgruppe würde eine solche Entscheidung auf Abbruch der Debatte von den übrigen Teilnehmenden als unbillige Härte erlebt. Wäre ihr Protest vergeblich, dann würden sehr viele grüne Männer am Ende verbittert sagen: eine Partei, die mich nicht mehr anhören will, ist nicht mehr meine Partei!
Es sollten besser keine Mitglieder vergrault werden, bloss weil sie Männer sind. Für den Kampf um die öffentliche Meinung haben wir nicht zu viele Aktive, sondern es sollten noch viel mehr werden statt weniger.
Hinzu kommt, dass bei häufigerem Debattenabbruch die Qualität grüner Meinungs- und Willensbildung erheblichen Schaden nehmen würde. Bündnis 90/Die Grünen würde Schlechteres beschliessen als bei unverkürzten, sich frei entfaltendem Gesprächen. Diskussionen leben von der Kontroverse, von Rede und Gegenrede, durch Zustimmung und Widerspruch, durch das Weiterentwickeln eigener Gedanken und Gedanken anderer, vom Unerwarteten und vom Überraschenden. Das entfaltet sich aber oft erst nach und nach während einer Debatte. Gute Diskussionsprozesse führen zu Ergebnissen, die besser sind als alles, was die einzelnen Beteiligten an ihrem Beginn schon vorschwebte. Um fruchtbar zu sein, muss es bei Debatten aber einen echten Wortwechsel geben, also das Eingehen und Antworten auf die Beiträge anderer. Wenn von Männern nur noch die jeweils schnellsten Erst-Wortmeldungen aufgerufen würden, wenn also kein Mann sich mehr mit Aussicht auf Erfolg während laufender Debatte zu einer Antwort melden könnte, dann bliebe von grünen Debatten tendenziell nur noch Serien von Monologen ohne inneren Zusammenhang und ohne Weiterentwicklung übrig.
Das unerwartet Gute, das unvorhergesehen Wichtige für möglich zu halten, ist am ehesten von allen Diskussionsteilnehmenden zu erwarten, wenn sie mit vereinter Vorstellungskraft zusammen weitere Redezeit vereinbaren.
Kommentare
Paul Jürgen Kaiser:
Anja Boenke:
Derzeit ist jedoch die gesamte Versammlung zu befragen, ob die weiter debattiert werden soll, ohne einen entsprechenden Beschluss wird die Redeliste geschlossen.
Der hier vorliegende Änderungsantrag ist damit ein deutlicher Rückschritt hinter bestehende Regelungen.
Tobias Balke:
hier liegt ein Missverständnis vor:
mit meinem Änderungsantrag möchte ich den Satz des Frauenstatuts „Ist die Redeliste der Frauen erschöpft, ist die Versammlung zu befragen, ob die Debatte fortgesetzt werden soll." so erhalten, wie er ist. Die bestehende Regelung soll bewahrt werden. Ich möchte diesen Satz unverändert lassen. Neu ist nur der Satz, den ich daran anschliessend zur Ergänzung beantrage: „Solange die Redeliste mehr Männer als Frauen enthält, bleibt sie für Frauen offen, und jede Frau kann sich jederzeit zu Wort melden und wird dann in die Redeliste hineinquotiert." Das ist in den mir bekannten Gliederungen nichts Neues, sondern längst üblich. Damit aber die BDK mehr tun kann als bloss eine (potentiell ganz gravierende) Verschlechterung der grünen Arbeitsbedingungen abzulehnen, hat sie nun die Chance, bundesweit diese hineinquotierende Verfahrensweise zu verordnen. Die Wirkung ist die: Redelisten in nicht-mindestquotiertem Zustand werden nur für Männer geschlossen, Frauen* können sich dann bis zum Schluss spontan nachmelden und das Wort erhalten.
bündnisgrüne Grüße,
Tobias
Johann-Georg Friedrich Jaeger:
Samy Nassif Makki:
Wenn der erste Antrag nicht abgelehnt würde, wäre dieser Zweite zu stellen.
Es ist weder begründet, noch irgendwie einzusehen, warum nur Frauen und nicht auch Männer, Diverse etc. mit abstimmen dürfen, wer Rederecht hat.
Wäre ja auch ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz.
Konrad Wolf:
mit diesem Antrag forderst Du, dass Männer darüber entscheiden sollten, ob eine Debatte einmal mehr von Männern dominiert werden sollte. Ich hoffe, dass ist Dir uns allen unterzeichnenden klar.
Der ursprüngliche Antrag fordert dies aus der konsequenten, feministischen Perspektive der Grünen zu ändern.
Männer dürfen weiterhin die Hälfte der Zeit sprechen (!), Frauen mindestens die Hälfte der Zeit, was in Deinem ÄA nur scheinbar begrüßt wird. Denn die Entscheidung darüber, ob nicht doch wieder in der Mehrheit Männer sprechen dürfen, möchtest Du als Mann nicht aus der Hand geben. (an diesem Punkt sollte es eigentlich klingeln)
In einer Gesellschaft und einer grünen Partei aber, in der noch immer Männer das meiste Rede- und Geltungsbedürfnis haben und selten auf die Idee kommen einfach zuzuhören oder Rücksicht zu nehmen, bedeutet Dein Antrag nichts anderes als eben dieses Ziel „mindestens die Hälfte der Redebeiträge/Redezeit den Frauen“ de facto zu verhindern.
Bisher habe ich bei den Grünen (als Mann) nicht bei einer einzigen Gelegenheit das Gefühl gehabt nicht zu Wort zu kommen oder kein Gehör zu finden. Deine Argumentation, die im Grunde auf die Behauptung es gäbe Sexismus gegen Männer hinausläuft halte ich mindestens für unüberlegt, im Effekt jedenfalls für antifeministisch.
Wenn Du wirklich denkst, es gäbe Sexismus gegen Männer, kann ich Dir nur empfehlen, Dich ernsthafter als bisher mit dem Problem des Sexismus auseinanderzusetzen. Gerade in der grünen Partei gibt es hierzu viel Material, Büchertips und dankenswerter Weise auch viele Frauen, die es noch nicht Leid sind die Wissenslücken von Männern zu schließen.
Samy Nassif Makki:
Dein Beitrag gibt Tobias falsch wieder.
Es ist im Grunde ganz einfach:
Es darf nicht nur einem Teil der Mitglieder überlassen werden, ob jemand Rederecht hat, oder nicht - wie sind eine Partei der Gleichberechtigung und deswegen gilt das Recht auch gleich, egal ob Mann, Frau oder Divers.
Es macht traurig, dass man dies anscheinend erstreiten muss.
Wer dies in Abrede stellt und einer Teilmenge Privilegierung gegenüber allen Anderen einräumen will, der ist halt gegen Gleichberechtigung.
Kann man ja fordern - aber dann sagt es halt auch so.
Tobias Balke:
der hier strittige Punkt ist: soll das Urteil, ob von einer Debattenfortführung Lohnendes erwartet werden darf, allein den Frauen* vorbehalten sein oder sollen dazu auch Männer gefragt werden?
Ich meine: alle Anwesenden sollten das gemeinsam entscheiden, denn jede*r ist von dieser Entscheidung gleichermassen betroffen.
Mein Änderungsantrag fordert daher, dass es bei der gegenwärtigen Regelung im Frauen*statut bleiben soll. Mit allen Frauen* einer Versammlung sollen auch die Männer darüber mit entscheiden dürfen.
Auch wenn in einer Debatte mehr Redebeiträge von Männern als Frauen* vorkommen, ist sie damit nicht automatisch "von Männern dominiert". Qualität ist sehr oft wichtiger als Qualität. Wenige kraftvolle, überzeugt und überzeugend vorgetragene Worte können mehr ausrichten als viele unoriginelle oder abschweifende Reden. Frauen* können das schaffen. Nicht immer, aber oft schaffen sie das wirklich.
Ausserdem muss eine vorübergehend frauen*lose Redeliste ja keineswegs so bleiben Wenn eine Versammlung die Fortsetzung einer Debatte beschliesst, dann können sich ja Frauen* immer wieder hinzumelden und werden dann hineinquotiert. Was ich zur Ergänzung des Frauenstatuts beantrage, also der Satz: „Solange die Redeliste mehr Männer als Frauen enthält, bleibt sie für Frauen offen, und jede Frau kann sich jederzeit zu Wort melden und wird dann in die Redeliste hineinquotiert." ist in den mir bekannten Gliederungen nichts Neues, sondern längst üblich. Damit aber die BDK mehr tun kann als bloss eine (potentiell ganz gravierende) Verschlechterung der grünen Arbeitsbedingungen abzulehnen, hat sie nun die Chance, bundesweit diese hineinquotierende Verfahrensweise zu verordnen. Die Wirkung ist die: Redelisten in nicht-mindestquotiertem Zustand werden nur für Männer geschlossen, Frauen* können sich dann bis zum Schluss spontan nachmelden und das Wort erhalten. Wenn sie sich während des letzten Männerbeitrags melden, haben sie das jeweils letzte Wort in einer Debatte. Das zahlenmässige Übergewicht männlicher Redebeiträge kann sich also im weiteren Verlauf auch quantitativ stark reduzieren. Auch das ist schon öfter geschehen.
Ja, es gibt auch Versammlungen, wo grüne Frauen* grünen Männern zwei Drittel der Redezeit überlassen. Das ist dann aber ein freiwilliges Geschenk und sollte deshalb auch aus feministischer Sicht als legitim gelten.
Wann immer grüne Frauen* es wollen, wann immer es grünen Frauen* geboten erscheint, gehört ihnen doch mindestens die Hälfte der Redezeit und der Redebeiträge. Sie müssen nur eins: selbst sprechen wollen. Schon wird ihnen ihr Wunsch erfüllt.
Das Frauen*statut schafft ihnen also in seiner gegenwärtigen Gestalt bereits garantierte (Mindest-)Parität in quantitativer Hinsicht, sobald sie davon Gebrauch machen wollen.
Wenn Du selbst "nicht bei einer einzigen Gelegenheit das Gefühl gehabt [hast] nicht zu Wort zu kommen oder kein Gehör zu finden", so darfst Du dich glücklich nennen. Anderen ist es anders ergangen, sie kennen die Erfahrung, etwas für sie Wichtiges, gute Argumente, Einwände und Vorschläge einfach nicht haben aussprechen zu können. Das habe ich oft genug erlebt, um es anderen und mir nach Möglichkeit ersparen zu wollen.
Ich behaupte nicht, "es gäbe Sexismus gegen Männer". Das ist nicht meine Wortwahl und Du solltest sie mir nicht unterstellen. Aber Du darfst gern davon ausgehen, dass ich selbst zur Ansicht neige, "..auch Männerrechte sind Menschenrechte".
Ich spreche hier von einem bestimmten Antrag an die BDK Bielefeld: S-08. Ich halte ihn für ungerecht und unvernünftig und begründe das.
bündnisgrüne Grüße,
Tobias
Dennis Nawrot:
Es ist mir völlig schleierhaft, warum die Partei das Ziel von Gleichberechtigung nun zugunsten von Geschlechterdiskriminierung verlässt.
Gerd Endres: