Antrag: | Anders Wirtschaften für nachhaltigen Wohlstand - Auf dem Weg in die sozial-ökologische Marktwirtschaft |
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Antragsteller*in: | Grüne Jugend (dort beschlossen am: 23.10.2019) |
Status: | Geprüft |
Verfahrensvorschlag: | Erledigt durch: WKF-05-111 |
Eingereicht: | 25.10.2019, 20:30 |
WKF-05-115: Anders Wirtschaften für nachhaltigen Wohlstand - Auf dem Weg in die sozial-ökologische Marktwirtschaft
Verfahrensvorschlag zu WKF-05-108-2: Antragstext
Von Zeile 107 bis 114:
Wir wollen damit Wohlstand in Deutschland und Europa zukünftig umfassender messen und den Fortschritt beim ökologischen Umbau der Wirtschaft langfristig abbilden. Auch für die Unternehmen können davon innovative Impulse ausgehen. So wollen wirWir wollen, dass öffentliche Unternehmen mit gutem Beispiel voran gehen und an der Erarbeitung der integrieren Berichterstattung als ersten Schritt für die Deutsche Bahn die Gemeinwohlbilanzierung einführenPilotunternehmen mitwirken. Und alleDie von allen größeren privaten Unternehmen sollen in ihrem Jahresabschluss zukünftigJahresabschlusszu veröffentlichenden über Nachhaltigkeitsindikatoren wie CO2-Emissionen berichtenwollen wir zukünftig für börsennotierte Unternehmen verpflichtend in die Kommunikation ihrer Finanzergebnisse einfügen, um so den Dialog mit Investoren und der Gesellschaft zu sozial-ökologischen Werten zu verstetigen. Bestehende Ausnahmen für nicht börsennotierte Unternehmen sowie für viele Banken und Versicherer wollen wir abschaffen. Wir wollen das Aktienrecht und die Bilanzierungsregeln so verändern, dass Aktiengesellschaften sich von innen heraus verändern und auf eine langfristige, nachhaltige Entwicklung ausrichten. Wir werden Aktiengesellschaften verpflichten, sich eine Nachhaltigkeitsstrategie zu geben. Dadurch schaffen wir einerseits Transparenz, andererseits wird so erst möglich, dass von einer Pflichtverletzung des Vorstandes abgesehen wird, wenn eine Entscheidung der nachhaltigen Entwicklung des Unternehmens, nicht der kurzfristigen Gewinnerwartung dient. Die nichtfinanziellen Ziele und Indikatoren sollten wie die finanziellen extern überprüft und testiert werden. Langfristig wollen wir erreichen, dass diese ökologischen und sozialen Werte auch entsprechend bepreist werden und so direkten
Unser Wirtschaftssystem und unser Wirtschaftsverständnis stehen vor dramatischen
Veränderungen. Dabei geht es um viel mehr als um eine konjunkturelle Flaute nach Jahren des
Booms, es geht um sehr grundsätzliche strukturelle Herausforderungen.
Ein ungezügelter Natur- und Ressourcenverbrauch, die Abhängigkeit von Exportüberschüssen,
eine unzureichend regulierte Globalisierung, fehlende Investitionen in die Zukunft: Die
Krisen verdeutlichen, dass unser angestammtes Wirtschaftsmodell, das in der Vergangenheit
viel Wohlstand gebracht hat, so nicht mehr funktioniert. Der liberale Ökonom Nicolas Stern
hat zu Recht festgestellt: „Der Klimawandel ist der größte Fall von Marktversagen, den die
Welt je gesehen hat.“
Die enormen Wohlstandsgewinne kommen bei zu vielen nicht an und die Ungleichheit nimmt zu.
Globale Konzerne, die sich nationaler Rechtsetzung entziehen, und Finanzmärkte, die an
Stelle demokratischer Politik entscheiden, unter welchen Bedingungen wir Menschen leben. Das
alles höhlt nicht nur die Grundlagen des gemeinschaftlichen Zusammenlebens aus und gefährdet
bei uns und in vielen anderen Ländern immer stärker das Vertrauen in demokratische Politik.
Es zerstört auch die ökonomischen Grundlagen unserer Gesellschaft. Gleichzeitig erschüttern
globale Handelskonflikte die Weltwirtschaft und die multilaterale Weltwirtschaftsordnung.
Der drohende Brexit sorgt zusätzlich für Verunsicherung in der EU. Das hat Folgen. Nach
Jahren des Booms zeichnet sich in Deutschland ein ernsthafter Abschwung der Konjunktur ab.
Jede Generation hat ihre Aufgabe. Einen nachhaltigen und gerechten Wohlstand zu schaffen,
ist unsere. Deshalb müssen wir jetzt den Mut haben, weitreichende Entscheidungen zu treffen,
dafür leidenschaftlich in der ganzen Breite der Gesellschaft zu werben und nicht verzagt nur
in Trippelschritten zu denken. Richtig ausgestaltet schaffen wir die Grundlagen dafür, dass
notwendige Innovationen in Europa entwickelt und marktfähig gemacht werden und damit
zukunftsfähige neue Arbeitsplätze im Handwerk, in Startups, in der Dienstleistungsbranche
und auch in traditionsreichen Industrieunternehmen entstehen. Dazu gehören auch massive
Investitionen, öffentlich wie privat, um den immensen Investitionsstau in unserem Land zu
begegnen, um die immensen Aufgaben beim Klimaschutz schnell und entschlossen anpacken zu
können, um Produktivität und neue Ideen anzukurbeln.
Unser Ziel ist die sozial-ökologische Neubegründung der Marktwirtschaft. Sie ist das
Gegenmodell zu einem ungeregeltem Kapitalismus und einem autoritären Staatskapitalismus. Wir
streben ein Wirtschafts- und Finanzsystem an, das die planetaren Grenzen einhält und
gleichzeitig menschliche Entfaltung garantiert – und zwar weltweit, über Grenzen hinweg und
für zukünftige Generationen.
Den Weg dahin bereitet ein Green New Deal. Er schafft den neuen Ordnungsrahmen für faires,
ökologisches und nachhaltiges Wirtschaften. Er investiert mutig in die Zukunft. Er setzt
neue Kräfte für Kreativität und Innovationen frei. Er sorgt für sozialen Ausgleich. Er
schafft die Grundlagen für einen nachhaltigen Wohlstand, der nicht auf der Ausbeutung der
Natur und einer fossilen Wirtschaftsweise basiert, sondern den Mensch in den Mittelpunkt
stellt.
Wir sind überzeugt, dass das freie und kreative Handeln von Menschen und die Dynamik eines
fairen Wettbewerbs nachhaltigen Wohlstand und innovative Problemlösungen schaffen können.
Wenn die Rahmenbedingungen stimmen, bietet die Marktwirtschaft beste Voraussetzungen für
sozial-ökologisches Wirtschaften. Doch dafür braucht es den gesamten Instrumentenkasten aus
Steuern-, Abgaben- und Ordnungsrecht sowie intelligenter öffentlicher Forschungs- und
Förderpolitik.
Die Aufgabe besteht darin, die Märkte der Zukunft so auszurichten, dass sie den Menschen und
der Natur dienen. Dafür braucht es eine Politik, die beherzt vorangeht. Wenn wir es gut
machen, können wir die großen Herausforderungen jetzt nutzen, um unsere Wirtschaft auf
Zukunft, Gemeinwohl und nachhaltigen Wohlstand zu drehen.
Es wird gelingen
Unser Anspruch ist, dass Menschen sich entlang ihrer Vorstellungen in Freiheit und Würde
entfalten können. Das erfordert ein Wirtschaftssystem, das Unternehmensgeist ebenso fördert
wie es die Rechte von Beschäftigten schützt, nachhaltigen Wohlstand schafft, auf globale
Gerechtigkeit zielt, die Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern überwindet und
gleichzeitig mit starken sozialen Institutionen Gerechtigkeit und Sicherheit garantiert.
Eine starke und zukunftsfähige Wirtschaft, starke staatliche Institutionen und ökologische
Leitplanken sowie ein starkes soziales Netz sind deshalb Grundbedingungen für die sozial-
ökologische Marktwirtschaft. Was Unternehmen, Arbeitnehmer*innen und Verbraucher*innen
dagegen nicht brauchen, ist eine wankelmütige Politik, die (zu) spät ihre Unterlassungen
korrigiert und dann in hektischen Aktionismus verfällt. Was sie brauchen, ist ein
berechenbarer Weg in eine grundlegend neue Welt.
Für Deutschland ist die Überwindung des Kohle- und Öl-Zeitalters ein entscheidender, ja ein
schicksalhafter Moment. Automobil, Chemie und Maschinenbau waren die Säulen des Erfolges der
deutschen Wirtschaft in den letzten Jahrzehnten, aber sie müssen sich neu erfinden, um den
Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht zu werden. Dabei kann die deutsche Industrie
auf das bauen, was sie – und vor allem den Mittelstand – stark gemacht hat: ihre
Ingenieurskunst, ihre Kreativität, das mittelständische Tüftlertum, die Sozialpartnerschaft
mit den Gewerkschaften und ihre europäische und globale Orientierung.
Der Green New Deal für eine sozial-ökologische Neubegründung der Marktwirtschaft wird dann
erfolgreich sein, wenn er auf ein neues Bündnis aus Arbeit und Umwelt setzt. Ohne die
Beteiligung von Beschäftigten, Betriebsrät*innen und Gewerkschaften, ohne ihre Perspektive,
ihren immensen Wissensschatz und ihre Wirkmacht in Unternehmen gelingt der Aufbau einer
gemeinwohlorientierten Wirtschaftsordnung nicht. Wir wollen mit den Beschäftigten Seit an
Seit für den Wandel kämpfen.
Viele Unternehmen machen sich bereits auf den Weg dahin. Mittelständler*innen schalten ihre
Produktion auf Klimaneutralität um, Finanzinstitute entziehen sich dem Geschäft mit fossilen
Energien, IT-Unternehmen setzen auf Erneuerbare und Großkonzerne erweitern grüne
Produktportfolios. Die Industrie verlangt bereits ein überzeugendes, ökologisches
Modernisierungsprogramm für Deutschland. Die Technologien, Innovationen und Ideen sind da.
Die Politik muss jetzt liefern.
Mit folgenden Maßnahmen wollen wir den Weg in eine sozial-ökologische Marktwirtschaft
ebenen:
1. Qualitatives statt blindes Wachstum – ein neuer Wohlstandsbegriff
Um den universalen Anspruch der Menschen auf Würde, Freiheit und Glücksstreben innerhalb der
planetaren Grenzen zu erfüllen, brauchen wir eine andere Form, Wohlstand zu messen. Unser
heutiges Wirtschafts- und Sozialsystem ist darauf angewiesen, dass die Wirtschaft stetig
wächst. Wächst sie nicht, drohen im heutigen System Wirtschaftskrisen und Arbeitslosigkeit,
geraten Staatshaushalt und Sozialversicherungen ins Ungleichgewicht und es verschärfen sich
gesellschaftliche Verteilungskonflikte. Klar aber ist: Ein ökologisch blindes
Wirtschaftswachstum und die ökologische Begrenztheit unseres Planeten stehen miteinander im
Konflikt. Unser Ziel ist deshalb,Wachstum mit sinkendem Ressourcenverbrauch zu koppeln.
Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist schon heute ein schlechter Indikator für Wohlstand und
Lebensqualität, es ist blind für die sozialen Folgen und die ökologischen Schäden unseres
Wirtschaftens. So werden etwa der Abbau von Ressourcen und die Zerstörung von Natur- und
Sozialkapital im BIP überhaupt nicht berücksichtigt. Während Unternehmen beispielsweise den
Rückgang von eigenen Bodenschätzen den Gewinnen gegenüberstellen und Abschreibungen
vornehmen, macht der Staat das bisher nicht. Auch Reparaturmaßnahmen von Umweltschäden
erscheinen im BIP als Steigerung, obwohl damit bestenfalls der Status quo wiederhergestellt
und unter dem Strich nichts gewonnen ist. Genauso wird die unbezahlte Sorgearbeit, die vor
allem von Frauen geleistet wird und eine unverzichtbare Grundlage unseres Wohlstands bildet,
derzeit bei der Wohlstandsmessung nicht berücksichtigt. Wir schlagen deshalb ein neues
Wohlstandsmaß und eine neue Form der Wirtschaftsberichterstattung vor, um neben den
ökonomischen auch ökologische, soziale und gesellschaftliche Entwicklungen zu messen und
Indikatoren dafür festzulegen. Dabei geht es um harte ökonomische Fakten, denn
berücksichtigt wird auch das Natur- und Sozialkapital, dessen Verfügbarkeit natürlich ein
Wert an sich, aber auch elementar für den wirtschaftlichen Erfolg ist.
Wir wollen damit Wohlstand in Deutschland und Europa zukünftig umfassender messen und den
Fortschritt beim ökologischen Umbau der Wirtschaft langfristig abbilden. Auch für die
Unternehmen können davon innovative Impulse ausgehen. So wollen wirWir wollen, dass öffentliche Unternehmen mit gutem Beispiel voran gehen und an der Erarbeitung der integrieren Berichterstattung als ersten Schritt für
die Deutsche Bahn die Gemeinwohlbilanzierung einführenPilotunternehmen mitwirken. Und alleDie von allen größeren privaten
Unternehmen sollen in ihrem Jahresabschluss zukünftigJahresabschlusszu veröffentlichenden über Nachhaltigkeitsindikatoren wie
CO2-Emissionen berichtenwollen wir zukünftig für börsennotierte Unternehmen verpflichtend in die Kommunikation ihrer Finanzergebnisse einfügen, um so den Dialog mit Investoren und der Gesellschaft zu sozial-ökologischen Werten zu verstetigen. Bestehende Ausnahmen für nicht börsennotierte Unternehmen sowie
für viele Banken und Versicherer wollen wir abschaffen. Wir wollen das Aktienrecht und die Bilanzierungsregeln so verändern, dass Aktiengesellschaften sich von innen heraus verändern und auf eine langfristige, nachhaltige Entwicklung ausrichten. Wir werden Aktiengesellschaften verpflichten, sich eine Nachhaltigkeitsstrategie zu geben. Dadurch schaffen wir einerseits Transparenz, andererseits wird so erst möglich, dass von einer Pflichtverletzung des Vorstandes abgesehen wird, wenn eine Entscheidung der nachhaltigen Entwicklung des Unternehmens, nicht der kurzfristigen Gewinnerwartung dient. Die nichtfinanziellen Ziele und Indikatoren sollten wie die finanziellen extern überprüft und testiert werden. Langfristig wollen wir erreichen,
dass diese ökologischen und sozialen Werte auch entsprechend bepreist werden und so direkten
Einfluss auf den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens haben.
2. Die Wirtschaft klimaneutral machen1
Wir können unser Wirtschaften verändern, aber nicht unsere Abhängigkeit von einer intakten
Natur. Aus wissenschaftlicher Perspektive sind wir beim CO2-Ausstoß kurz davor, alle roten
Linien zu überschreiten, vor denen uns viele Forscher*innen warnen. Das hätte gravierende
Konsequenzen für unsere Freiheit und die Freiheit unserer Kinder und Enkel. Politisch werden
die Klima- und Umweltauswirkungen unserer derzeitigen Wirtschaftsweise unsere Gesellschaften
fordern wie nie zuvor. Und wirtschaftlich handelt es sich bei der Klimakrise um das größte
Geschäftsrisiko für unseren Wohlstand – oder eben um die entscheidende Größe für unseren
Wettbewerbserfolg auf den Märkten der Zukunft.
Nach Jahren des Stillstands ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, schnell und massiv in die
Infrastruktur zu investieren, die eine klimaneutrale Wirtschaft und Gesellschaft trägt. Um
zur klimaneutralen Wirtschaft zu kommen, müssen Bahn, Autos und Gebäude weitgehend
elektrifiziert werden. Für Lastwagen, Flugzeuge und Schiffe wird Wasserstoff eine zentrale
Rolle spielen, ebenso für die Stahlindustrie, die Zementindustrie und Teile der
Chemiebranche.
Die Energiewende muss dafür nach den Phasen der Markteinführung und Marktdurchdringung nun
in die dritte Phase geführt werden, in der sie die Wirtschaft flächendeckend mit
regenerativer Energie versorgt. Sie ist den Kinderschuhen entwachsen und muss im nächsten
Jahrzehnt via Sektorenkopplung die Bereiche Verkehr, Industrie und Wärme erschließen.
Gleichzeitig müssen Unternehmen drastisch Energie einsparen und effizienter verwenden sowie
CO2-lastige durch CO2-neutrale Produktionsverfahren ersetzen.
Dabei können wir darauf bauen, dass technische und gesellschaftliche Entwicklungen nicht
linear verlaufen, und dass wir effizienter oder besser werden können in einem Sprung aus dem
Gewohnten heraus. Und darauf, dass die Marktwirtschaft ihre volle innovative Kraft entfalten
kann, wenn wir die richtigen politischen Leitplanken setzen. Märkte sind ein mächtiges
Instrument, sie schaffen und zerstören in rasendem Tempo. Sie können verheerende Krisen
entzünden – Lehman Brothers lässt grüßen – und sie können gleichzeitig dafür sorgen, dass
binnen weniger Jahre das Smartphone auch in den entlegendsten Winkeln dieser Erde Menschen
miteinander verbindet. Märkte können, wenn die Anreize richtig gesetzt sind, eine grüne
Revolution entfachen, die unsere Vorstellungskraft auf die Probe stellen wird. Damit dies
geschieht, muss der Staat durch Ordnungspolitik, Preispolitik, Förder- und
Investitionspolitik den Rahmen so zu setzen, dass der Weg zum klimaneutralen Verhalten in
einem sozial-ökologisch gerahmten Markt rechtlich verbindlich und ökonomisch lohnend ist.
Ordnungsrecht bedeutetPlanungssicherheit für die Unternehmen. Also die verlässliche Vorgabe,
dass Autos, Flugzeuge, Maschinen oder Kraftwerke ab einem bestimmten Datum kein Treibhausgas
mehr ausstoßen dürfen. Preispolitik schafft fairen Wettbewerb, weil die Klimabilanz von
Produkten zum Teil des Preises wird. Klimaschädliches Wirtschaften wird teurer,
klimafreundliches Verhalten billiger. Förder- und Investitionspolitik gibt Starthilfen für
neue Produkte und Produktionsweisen und verhilft ihnen über die Schwelle zur
Wirtschaftlichkeit. Und sie schafft über den Ausbau der öffentlichen Infrastruktur die Basis
für ökologische Wirtschafts- und Lebensweise.
Ein Klimaschutzgesetz macht die Vorgaben
Das Klimaschutzgesetz ist das ordnungspolitische Herzstück. Ein solches Gesetz legt für alle
Wirtschaftsbereiche (Sektoren) verbindliche CO2-Minderungsziele und CO2-Minderungspfade
ebenso wie die dafür notwendigen Maßnahmen fest. Es garantiert eine dichte Kontrolle, ob die
Maßnahmen wirken, und sieht empfindliche Sanktionen bei einer Verfehlung der Ziele vor.
Ergänzt wird ein solches Klimaschutzgesetz durch weitere ordnungsrechtliche Vorgaben. Zum
Beispiel wollen wir, dass ab 2030 nur noch emissionsfreie Autos neu zugelassen werden und
der Weg dorthin durch verbindliche Quoten für E-Autos bereitet wird. Auch der Umbau der
energieintensiven Unternehmen ließe sich über ansteigende Quoten zum Beispiel für
klimaneutralen Stahl in Autos oder auch Windrädern und Gebäuden nicht nur planungssicherer
gestalten, die Unternehmen hätten gerade mit Blick auf die weltweiten Überkapazitäten so
auch einen Wettbewerbsvorteil auf dem europäischen Markt.
CO2 muss einen Preis bekommen
Ein wirksamer CO2-Preis ist für uns der zweite Teil des nötigen Instrumentenmixes, den wir
zugleich klimapolitisch wirksam und sozial gerecht ausgestalten wollen. Nur so lässt sich
zügig ein stabiler, langfristig orientierter Investitionsrahmen schaffen und systematisch
Anreize zur Senkung des CO2-Ausstoßes und für eine Umstellung von Produktionsweisen sowie
für „Efficiency First“ beim Umgang mit Ressourcen setzen. Nur so lässt sich das Potenzial
auf einer für alle Marktteilnehmer transparenten Basis für einen fairen Wettbewerb schaffen.
Der CO2-Preis schafft Gerechtigkeit und steigert mittelfristig auch die Wettbewerbsfähigkeit
auf dem Weltmarkt — denn Klimaschutz ist nicht nur notwendig, sondern auch ein globaler
Zukunftstrend.
Keine Steuermittel mehr für klimaschädliches Verhalten
Damit ökonomische Anreize ihr volles Potenzial entfalten können und zusätzliche finanzielle
Spielräume für Zukunftsinvestitionen entstehen, wollen wir umwelt- und klimaschädliche
Subventionen konsequent abbauen. Insgesamt betragen diese in Deutschland über 57 Milliarden
Euro. Staatliche Subventionen wie die Steuerbefreiung von Rohöl zur Plastikherstellung, dem
immer noch gewährten Beschaffungszuschuss für neue Ölheizungen oder die Nichtbesteuerung von
Kerosin wollen wir endlich beenden.
Investitionen in CO2-freie Industrieprozesse, insbesondere in den Bereichen Stahl, Chemie
und Zement, lohnen meist erst bei sehr hohen CO2-Preisen, die das europäische
Emissionshandelssystem derzeit noch nicht abbildet. Damit sich solche Investitionen für
Unternehmen schon heute rechnen, wollen wir den Unternehmen die Differenz zwischen dem
aktuellen CO2-Preis und den tatsächlichen CO2-Vermeidungskosten erstatten, welche ihnen
durch die Investitionen in neue Verfahren und Technologien entstehen (Carbon Contract for
Difference). Die Kosten dafür können über eine Klima-Umlage refinanziert werden, die auf die
Endprodukte aufgeschlagen wird und die für heimische Produkte und Importe gleichermaßen
gilt. So rechnen sich diese Investitionen sofort und es werden kurzfristige
Wettbewerbsnachteile gegenüber Regionen ohne eine entsprechende CO2-Bepreisung vermieden.
Förderpolitik gibt Starthilfe
Wir lassen die Unternehmen bei der ökologischen Transformation nicht allein und wollen sie
unterstützen. Für Investitionen in transformative, CO2-freie Industrieprozesse in den
Bereichen Stahl, Chemie oder Zement wollen wir deshalb bessere Abschreibungsmöglichkeiten
schaffen und Leuchtturmprojekte CO2-freier Verfahren und Prozesse gezielt fördern. Die Basis
zur Entwicklung solcher Verfahren ist die entsprechende Forschung. Dafür wollen wir die
Mittel im kommenden europäischen Forschungsrahmenprogramm „Horizon Europe“ auf 120
Milliarden Euro aufstocken und die steuerliche Forschungsförderung als ein wirkungsvolles
Innovationsinstrument ausgestalten. Weiterhin richten wir die öffentliche Beschaffung
konsequent klimaverantwortlich aus und schaffen so Leitmärkte, die innovativen Unternehmen
die notwendige Sicherheit geben, dass ihre Produkte auch einen Markt finden, auf dem sie
starten können.
Um den ökologischen Umbau zu fördern und gleichzeitig den sich anbahnenden
Wirtschaftsabschwung zu bekämpfen werden wir die degressive Abschreibung (AfA) zeitlich
befristet wieder einführen.
In die ökologische Infrastruktur investieren
Investitionen in Klimaschutz bedeutet vor allem: Ausbau von Bahninfrastruktur, von ÖPNV,
Fahrrad- und Fußverkehrsinfrastruktur, aber auch Aufbau von Ladeinfrastruktur für E-
Mobilität sowie von Infrastruktur für erneuerbaren Wasserstoff. Wärmenetze, energetische
Gebäudesanierung und der Ersatz von Öl- und Gasheizungen benötigen Unterstützung. Auch
stehen die Rettung unserer Wälder, die Erhöhung von Deichen und die Schaffung von mehr
Überflutungsflächen für Flüsse, der Umbau zu einer klima- und tierschutzgerechten
Landwirtschaft an.
Allein die Bahn braucht mindestens drei Milliarden Euro pro Jahr, um die notwendige
Verlagerung des Verkehrs von der Luft und der Straße auf die Schiene stemmen zu können. Für
den Aufbau eines elektrischen Ladesäulennetzes brauchen wir ein Investitionsprogramm in Höhe
von 600 Millionen Euro. Unser Programm „Faire Wärme“, mit dem wir die energetische
Gebäudesanierung unterstützen wollen, umfasst 7 Milliarden Euro im Jahr. Dies sind nur drei
Beispiele. Insgesamt plädieren wir für zusätzliche öffentliche Investitionen in Höhe von 30
Milliarden pro Jahr.
Wettbewerbsfähigkeit sichern, Klimadumping verhindern
Neben den notwendigen Anreizen müssen wir bei Einführung von ordnungspolitischen
Klimamaßnahmen die europäische Industrie auch vor möglichen Nachteilen im internationalen
Wettbewerb mit Staaten ohne eine vergleichbare Klimaschutzpolitik schützen. Dies kann über
Grenzausgleichsmaßnahmen wie europäische Klimazölle, die auch auf Importe aufgeschlagen
werden, oder über einen Grundstoffausgleich, der Recycling und weniger energieintensive
Werkstoffe belohnt, geschehen. Auch die Finanzierung der zusätzlich notwendigen
Investitionskosten für saubere Technologien könnte in Zukunft ein Weg sein, anstatt
weiterhin kostenlose Zertifikate im Emissionshandel auszugeben.
Divestment: Kapital aus fossilen in grüne Geschäftsfelder lenken
Mit einer breit angelegten Divestmentstrategie wollen wir dafür sorgen, dass Anlagekapital
zukünftig Klimaschutz statt Klimazerstörung finanziert. Öffentliche Banken und
Versicherungen sollen Investitionen in die Dekarbonisierung der Wirtschaft umlenken und
umgehend aus klimaschädlichen Wirtschaftsproduktionen wie Kohle- oder Erdölindustrie
aussteigen. Damit auch Kleinanlegerinnen und Kleinanleger von der grünen Finanzwende
profitieren und ihr Geld mit gutem Gewissen anlegen können, brauchen wir ein EU-Label für
nachhaltige Finanzprodukte mit starken ökologischen und sozialen Standards. Damit alle
Anleger*innen nachvollziehen können, ob Unternehmen ökologisch wirtschaften, werden wir
entsprechende Offenlegungspflichten einführen.
Neue Anlagerichtlinien für die öffentliche Hand, Fonds wie für die Beamtenpension oder
Rücklagen der Bundesanstalt für Arbeit sollen Nachhaltigkeits- und Klimaschutzkriterien
folgen. Der Bund kann dem Markt für nachhaltige Geldanlagen wichtige Impulse geben. Dafür
muss er seine Investitionen in Kohle-, Öl- und Gas-Konzerne, die Geschäfte auf Kosten des
Klimas machen, beenden.
Damit neben der Rendite auch die Klima- und Sozialverträglichkeit zur Grundlage von
Entscheidungen über Investitionen und Kreditvergaben gemacht werden, brauchen wir einen
verbindlichen europäischen Standard für Nachhaltigkeit, anhand dessen auch klima- und
umweltschädliche Wirtschaftsbereiche klar benannt werden können. Auf dieser Grundlage müssen
alle Finanzmarktakteure die Klima und Umweltauswirkungen ihrer Investitionen offenlegen.
Klimarisiken, die in Konzern- und Bankbilanzen schlummern, sollten bei der Bewertung durch
Rating-Agenturen und die Finanzmarktaufsicht berücksichtigt werden, zum Beispiel durch
Klima-Stresstests für Banken und Versicherungen oder durch Aufschläge bei
Eigenkapitalanforderungen bei Finanzierungen, die hohe Klima und Umweltrisiken bergen.
3. Verwerten statt Verschwenden: Kreislaufwirtschaft als übergeordneter Rahmen
Die ökologische Wende kann nur gelingen, wenn wir nicht dauerhaft auf immer mehr Rohstoffe
angewiesen sind. So können Unternehmen Kosten in erheblichem Umfang einsparen und außerdem
können hunderttausende neue Jobs entstehen. Im Bereich Elektromobilität beispielsweise gibt
es großes Potenzial, um durch Recycling der Lithium-Ionen-Batterien einerseits den
ökologischen Fußabdruck zu verkleinern, andererseits den Bedarf an Rohstoffen zu senken.
Dafür müsste nur die EU-Batterierichtlinie reformiert werden.
Unser Ziel ist der parallele Aufbau einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft. Diese
basiert auf in sich geschlossenen Stoffkreisläufen. Der Kreislauf beginnt bereits bei der
Produktgestaltung. Produkte müssen so designt werden, dass die jeweiligen Einzelteile auch
wieder voneinander getrennt und sinnvoll wiederverwertet werden können. Dafür wollen wir
verbindliche Vorgaben in der EU-Ökodesign-Richtlinie schaffen. Wir wollen Abfallvermeidung-
und verwertung durch einen Mix aus Anreizen und Vorgaben stärken: Wir wollen Recyclingquoten
einführen, welche die tatsächlich im Kreislauf geführten Wertstoffe messen. Hersteller*innen
sollen zu einer festen Einsatzquote für recycelte Rohstoffe verpflichtet werden.
Die Rücknahme- und Verwertungspflicht bei Produkten wie Verpackungen, Elektro- und
Elektronikaltgeräten muss ausgeweitet und durch finanzielle Anreize gestärkt werden. Ein
solcher Anreiz ist die Weiterentwicklung der Lizenzentgelte für Verpackungen zu einer
Ressourcenabgabe, die gleichzeitig ökologische Verpackungen über einen Bonus fördert. Auch
Rücknahmeprämien für einzelne Produktgruppen wie beispielsweise Mobiltelefone können ein
möglicher Weg sein. Unser Ziel ist, bis 2030 alle Kunststoffprodukte kosteneffizient zu
recyceln oder wiederzuverwenden. Schließlich wollen wir die Forschung für Recycling-Prozesse
und die Substitution von Rohstoffen intensivieren.
4. Gute und selbstbestimmte Arbeit – wir gestalten den Wandel der Arbeitswelt
Unsere Arbeitswelt wird sich in den kommenden Jahren vor allem durch die Digitalisierung
rasant und tiefgreifend verändern. Bekannte Tätigkeiten und Arbeitsplätze werden wegfallen
oder sich stark verändern, neue Arbeitsplätze und Berufe entstehen. Ob es in der Summe dann
weniger Arbeitsplätze geben wird oder mehr, kann derzeit niemand verlässlich vorhersagen.
Klar ist jedoch, dass sich auch die Art, wie wir arbeiten werden, massiv verändert. Unser
Arbeiten wird flexibler, selbstorganisierter, auch kooperativer. Zugleich erleben wir
bereits heute neue Formen der Ausbeutung und Überforderung. Ein großes Problem bedeutet
daneben der bereits heute spürbare massive Fachkräftemangel – eine Million Stellen sind
unbesetzt. In den kommenden 15 Jahren wird die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter
ohne Einwanderung um sechs Millionen schrumpfen.
Für beide Entwicklungen – den Fachkräftemangel und die Veränderungen der Arbeitswelt – muss
sich die Bildungs- und Weiterbildungspolitik, die Arbeitsmarkt-, Einwanderungs- und
Integrationspolitik viel besser rüsten als bisher.
Weiterbildung ist der Schlüssel
Das bedeutet vor allem, dass Menschen die Möglichkeit haben müssen, sich weiterzubilden und
neu zu qualifizieren. Dafür brauchen sie Geld, Zeit und passende Angebote. Wir wollen einen
Rechtsanspruch auf Weiterbildung begründen. Das lebensbegleitende Lernen wird damit Teil des
öffentlichen Bildungsauftrags. In allen Kommunen wollen wir Bildungsagenturen schaffen. Sie
sollen zum Herzstück von regionalen Bildungsnetzwerken werden, in denen sich
Arbeitsagenturen, Jobcenter, Volkshochschulen, Kammern, Berufs- und Hochschulen sowie andere
Weiterbildungsträger vernetzen, um flächendeckend und niedrigschwellig beste Weiterbildung
und Beratung anbieten zu können. Die bisherige Arbeitslosenversicherung wird zu einer
Arbeits- und Weiterbildungsversicherung umgebaut. So, wie wir in den beiden vergangenen
Jahrhunderten damit begonnen haben, uns gegen Krankheit oder Arbeitslosigkeit abzusichern,
sollten wir im 21. Jahrhundert im Rahmen der Arbeitslosenversicherung eine Garantie auf
Weiterbildung festschreiben. Sie sollte sowohl die Weiterbildung finanzieren als auch den
Lebensunterhalt in Weiterbildungsphasen absichern. Auch die Möglichkeiten der
Digitalisierung wollen wir für die Bildung weiter nutzen. Dafür soll eine öffentliche und
unabhängige digitale Plattform alle Fort- und Weiterbildungsangebote bündeln. Das ermöglicht
neue Zugänge für Menschen, die sich weiterbilden wollen.
Wir sehen es zudem als unsere Verantwortung, die Arbeitnehmer*innen insbesondere beim
ökologischen und digitalen Wandel mitzunehmen. Wir wollen dazu als eine wichtige Maßnahme
eine neue „Qualifizierungs-Kurzarbeit“ einführen, um so die Chancen der Beschäftigten und
der Betriebe im Strukturwandel vorausschauend zu verbessern. So können Beschäftigte sich
qualifizieren und danach in ihren Betrieb zurückkehren. Die Phase der Kurzarbeit muss
konsequent für die Qualifizierung der Beschäftigten genutzt werden. Dabei wollen wir die
„Qualifizierungs-Kurzarbeit“ eng an die Sozialpartnerschaft koppeln und zwar durch
tarifliche Regelungen und Betriebsvereinbarungen. Denn Unternehmen, Gewerkschaften und
Betriebsräte können nur gemeinsam dem Strukturwandel die richtige Richtung geben.
Fachkräftemangel bekämpfen
Der Fachkräftemangel stellt für viele Unternehmen ein Problem dar. Wir wollen darauf
reagieren, indem wir nicht nur engagiert auf Qualifizierung und Weiterbildung setzen und die
Erwerbstätigkeit von Frauen weiter stärken. Gerade angesichts des demographischen Wandels
halten wir zusätzlich auch eine ambitionierte Einwanderungspolitik für dringend notwendig.
Das Fachkräftezuwanderungsgesetz der großen Koalition erfüllt diesen Anspruch nicht. Wir
wollen es überarbeiten und entbürokratisieren. Deutschland braucht ein echtes
Einwanderungsgesetz mit einem transparenten Punktesystem und der Möglichkeit eines
Spurwechsels.
Neue Jobs
Wir haben große Engpässe dort, wo Menschen sich um Menschen kümmern: in der Pflege, der
Bildung, in der Kinder- und Altersbetreuung. Diese Jobs in der Sorge-Arbeit müssen ausgebaut
werden und brauchen endlich die Anerkennung, auch finanziell, die ihnen gemessen an ihrer
gesellschaftlichen Relevanz zusteht. Diejenigen, die sich um andere Menschen kümmern, dürfen
nicht beim Mindestlohn landen oder Probleme haben, sich eine Wohnung zu leisten.
Die Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung schätzt, dass mit stetigen
Investitionen in Nachhaltigkeit bis 2030 weltweit bis zu 170 Millionen neue Jobs geschaffen
werden können. Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU)
geht davon aus, dass sich die Zahl der Arbeitsplätze in der Erneuerbaren-Energien-Branche in
Deutschland allein in den nächsten zehn Jahren auf mindestens 500.000 verdoppelt. Im
gesamten Bereich Umwelttechnik und Ressourceneffizienz sind bereits heute 1,5 Millionen
Menschen in Deutschland beschäftigt. Erwartet wird hier ein Anstieg von jährlich 6,7
Prozent. Für diese Zukunftsbranche brauchen wir also qualifizierte Maschinenbauer,
Elektrotechnikerinnen, Ingenieurinnen, Vertriebsmitarbeiter*innen, Bürokräfte – von der
Berufseinsteigerin bis zur erfahrenen Fachkraft.
Gute Arbeitsbedingungen
Gute Arbeitsbedingungen und eine faire Verteilung des Wohlstandes zwischen Arbeit und
Kapital auszuhandeln, ist zunächst Aufgabe der Sozialpartner. Wir wollen die kollektive
Selbstorganisation und Mitbestimmung wieder stärken und prekäre Beschäftigung überwinden.
Bei der öffentlichen Vergabe sollen nur Unternehmen zum Zuge kommen, die einem Tarifvertrag
angehören bzw. Tariflöhne zahlen. Zudem wollen wir es leichter machen, Tarifverträge für
allgemeinverbindlich zu erklären. Die Bildung von Betriebsräten werden wir erleichtern,
indem Initiator*innen einen besonderen Schutz erhalten und die Verhinderung von
betrieblicher Interessenvertretung als klare Straftat angesehen und verfolgt wird.
Wir wollen die betriebliche Mitbestimmung ausbauen, indem die Betriebsräte bei der
Personalplanung stärker eingebunden werden und bei der Weiterbildung und der
Beschäftigungssicherung ein echtes Vorschlags- und Initiativrecht bekommen. Die
unternehmerische Mitbestimmung soll bereits ab einer Unternehmensgröße von 1.000
Beschäftigten voll greifen und die Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmervertreter*innen bei
strategischen Unternehmensentscheidungen im Aufsichtsrat erweitert werden.
Der gesetzliche Mindestlohn war ein wichtiger Meilenstein für faire Arbeitsbedingungen. Wir
wollen Ausnahmen beim Mindestlohnstreichen, die Kontrolle verbessern und zudem dafür sorgen,
dass er in Zukunft wirklich armutsfest ist. Die Mindestlohnkommission wollen wir
reformieren, um ihren Entscheidungsspielraum zu stärken. Die Höhe des Mindestlohns soll sich
künftig nicht allein an der Tarifentwicklung orientieren, sondern vor Armut schützen und den
Zusammenhalt in der Gesellschaft stärken. Deshalb wollen wir als Sofortmaßnahme eine
Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro. Gleichzeitig sollen die Vertreter*innen der
Wissenschaft in der Mindestlohnkommission ein Stimmrecht erhalten. Leiharbeit wollen wir
stärker regulieren, für Leiharbeitskräfte soll ab dem ersten Tag die gleiche Bezahlung wie
für die Stammbelegschaft gelten sowie eine zusätzliche Flexibilitätsprämie. Sachgrundlose
Befristungen wollen wir abschaffen. Wir fordern ein wirksames Entgeltgleichheitsgesetz mit
einem Verbandsklagerecht für gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit. Unser Ziel ist es,
Minijobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung umzuwandeln und dafür zu sorgen,
dass die Beiträge durch Steuern und Abgaben sowie soziale Leistungen so aufeinander
abgestimmt werden, dass sich Erwerbsarbeit immer rechnet. Dabei darf die Belastung mit
Steuern und Abgaben nicht sprunghaft steigen. Und wir streiten dafür, Berufe aufzuwerten,
die heute noch meist von Frauen ausgeübt werden, beispielsweise in der Erziehung, der Pflege
oder im Gesundheitssystem, und sie besser zu bezahlen. Wir wollen, dass Arbeit auf Abruf
nicht mehr möglich ist, wenn die Tätigkeiten mit normalen Arbeitsverhältnissen erledigt
werden können, etwa über die Nutzung von Arbeitszeitkonten.
Die Regulierung von Arbeit wollen wir an die Herausforderung der Digitalisierung anpassen.
Dafür braucht es schärfere Abgrenzungskriterien von (Solo-)Selbstständigkeit sowie eine
Neudefinition des Arbeitnehmer*innen-Begriffs. Gesetzliche Mindesthonorare sollen für
Selbstständige ein Schutz vor Dumping und Ausbeutung sein, genauso wie der gesetzliche
Mindestlohn es für Beschäftige ist. Auch sollten sich die Auftraggeber*innen an den
Sozialversicherungsbeiträgen beteiligen.
Durch Digitalisierung entsteht ein großes Potenzial, Arbeitszeit weiter zu verkürzen, sie
mit anderen Lebensbereichen besser zu vereinbaren und Arbeit umzuverteilen, sowohl Erwerbs-
als auch Sorge-Arbeit. Dabei ist uns besonders wichtig, dass es auch zu einer gerechteren
Aufteilung von Erwerbs- und Sorge-Arbeit zwischen den Geschlechtern kommt. Wenn Arbeit
besser ins Leben passt, sind die Beschäftigten produktiver, weniger gestresst und
engagierter. Auch der wachsende Fachkräftebedarf kann so besser bewältigt werden.
Wir brauchen nicht noch mehr Verfügbarkeit von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern rund um
die Uhr. Zum Schutz der Gesundheit braucht es auch im digitalen Zeitalter eine Grenze für
die tägliche Höchstarbeitszeit sowie ausreichende Ruhezeiten ohne Unterbrechung. Wir wollen
mehr Arbeitszeitsouveränität für die Beschäftigten und fordern eine Wahlarbeitszeit zwischen
30 und 40 Wochenstunden. Damit wird die Vollzeit neu definiert und zu einem flexiblen
Arbeitszeitkorridor umgestaltet. Ein Rückkehrrecht von Teilzeit-Beschäftigten auf ihre
vorherige Stundenzahl ist notwendig, damit sie beruflich wieder voll durchstarten können.
Die von der großen Koalition eingeführte Brückenteilzeit nur für große Betriebe genügt
diesen Anforderungen bei weitem nicht. Der überwiegende Teil der Beschäftigten (insbesondere
Frauen) wird aufgrund der Einschränkungen das Recht auf Rückkehr in Vollzeit nicht in
Anspruch nehmen können. Wir wollen außerdem, dass die Hälfte der Plätze in den
Führungspositionen von Unternehmen mit Frauen besetzt werden, Deshalb braucht es
verbindliche Frauenquoten für Aufsichtsräte und vergleichbare Regelungen auch für Vorstände.
Durch die Digitalisierung wird es auch einfacher für die Beschäftigen, von zu Hause zu
arbeiten. Wir werden deswegen ein Recht auf Home-Office einführen.
Beschäftigte am Wohlstand beteiligen
Eine verbesserte Mitarbeiterbeteiligung an Unternehmen kann sowohl dem Fachkräftemangel als
auch einer ungleichen Vermögensentwicklung entgegenwirken. Sie ist ein Weg, um die
Bevölkerung besser am gesellschaftlichen Produktivvermögen zu beteiligen. Bislang sind wir
im europäischen Vergleich jedoch Schlusslicht bei der Mitarbeiterbeteiligung. Wir wollen
daher den steuerlichen Freibetrag für die Überlassung von Mitarbeiterbeteiligungen deutlich
anheben. Außerdem wollen wir eine Plattform schaffen, um Beispiele von erfolgreichen
Beteiligungsmodellen besser zugänglich zu machen und interessierten Unternehmen mehr
Informationen bereit zu stellen.
5. Eine neue Gründerzeit ermöglichen
Viele kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) treiben den ökologischen Wandel voran
und schreiben schon heute mit grünen Ideen schwarze Zahlen. Sie schaffen neue Arbeitsplätze,
die auch morgen noch bestehen. Wir wollen sie mit einem steuerlichen Forschungsbonus
unterstützen, die Chancen von ressourcensparenden und emissionsarmen Produkten und Verfahren
zu nutzen und sie mit einfacheren Abschreibungsregeln, Vereinfachungen bei der Umsatzsteuer
und guten Bedingungen für Mitarbeiterbeteiligungen entlasten. In Strukturwandelregionen
wollen wir die regionale Wirtschaftsförderung stärken, damit es lokal ansässigen Unternehmen
schnell gelingt, den neuen Marktanforderungen gerecht zu werden. Gerade die kleinen und
mittleren Unternehmen im Handwerk sind unverzichtbar. Sie realisieren die Energiewende,
sorgen für fachgerechte Wärmedämmung und sind regionaler Partner für die Landwirtschaft.
Damit Handwerksberufe wieder attraktiver werden setzen wir auf eine stärkere Tarifbindung
und branchenspezifische Mindestvergütungen. Die Handwerksbetriebe sollen bei der Ausbildung
und Gewinnung von Auszubildenden stärker beraten, unterstützt und begleitet werden. Durch
einen Rechtsanspruch auf einen schnellen Breitband-Internetanschluss sorgen wir dafür, dass
das Handwerk auch im ländlichen Raum online ist.
Gründer*innen fördern
Wir brauchen eine neue Gründer*innenwelle. Keine gute Idee darf an zu wenig Eigenkapital
scheitern. Wir fordern daher eine schnelle Einführung des unbürokratischen
Gründungskapitals, welches Gründer*innen einen Einmalbetrag bis maximal 25.000 Euro
sicherstellt, unter der Voraussetzung einer Wirtschaftlichkeitsprüfung.
Frauen sind erfolgreiche Gründerinnen, bei Gründungen von Unternehmen jedoch
unterrepräsentiert. Nur 15 Prozent der Startups in Deutschland werden laut Female Founder
Monitor von Frauen gegründet. Bei einer solch niedrigen Quote entgeht Deutschland ein großes
Potenzial an innovativen Unternehmen. Öffentliche Fördergelder erreichen in der Regel eher
männliche als weibliche Gründer*innen. Wir schlagen vor, einen staatlich geförderten
Wagniskapitalfonds zu schaffen, der sich nur an Gründerinnen richtet. Irland hat mit diesem
Modell gute Erfahrungen gemacht. Nach einem Zeitraum von fünf Jahren sollte überprüft
werden, ob der Fonds einen nachhaltigen Effekt hatte. Jede fünfte Gründerin und jeder fünfte
Gründer hat eine Einwanderungsgeschichte. Für sie wollen wir ein zugeschnittenes
Beratungsangebot schaffen.
Der Staat ist durch die öffentliche Beschaffung von Produkten und Dienstleistungen ein
wichtiger Impulsgeber für die Wirtschaft. Die öffentliche Hand kann durch die
Auftragsvergabe eine aktive Vorbild- und Lenkungsfunktion erfüllen, eine nachhaltige
Wirtschaftsweise stärken und Innovationen fördern. Wir wollen, dass Vergabeverfahren so
gestalten werden, dass der Bund im Rahmen seiner öffentlichen Auftragsvergabe und
Ausschreibungen Startups und jüngere Unternehmen, neue Technologien und innovative
Geschäftsmodelle stärker berücksichtigt. Vergabelose sollten KMU-freundlich ausgeschrieben
werden.
Wir fordern Startup-Zentren ähnlich der französischen Station F, die Gründer*innen den
notwendigen Arbeitsraum zur Verfügung stellen. Wir fordern zwei Jahre Befreiung von nicht
unbedingt nötigen Melde- und Berichtspflichten und wollen die Gründungsberatung und
-förderung aus einer Hand in „One-Stop-Shops“ ermöglichen, damit Gründer*innen Zeit zum
Gründen haben. Ausgründungen aus Hochschulen und Kooperationen von Gründer*innen und
Hochschulen sollen durch bessere Beratung und Betreuung gefördert werden, damit zum Beispiel
Labore zur Mitnutzung geöffnet werden. Die heutige Gründungsförderung ist stark auf
technologieorientierte Startups zugeschnitten. Wir wollen die bestehenden Förderinstrumente
neutraler ausgestalten und damit stärker als bisher zum Beispiel sozial orientierte
Unternehmen oder die Kreativwirtschaft fördern.
Wir wollen die freiwillige Arbeitslosenversicherung weitgehend für Selbständige öffnen und
erreichen, dass anderweitig nicht abgesicherte Selbständige in die gesetzliche
Rentenversicherung einbezogen werden. Und wir brauchen in Deutschland auch eine Kultur des
Scheiterns. Das Insolvenzrecht muss so gestaltet sein, dass es schneller Neuanfänge
ermöglicht.
Für die erfolgversprechendsten Startups wollen wir einen Europäischen Startup-Pass
einführen. Dieser soll ihnen die Möglichkeit geben, an allen europäischen Startup-
Förderprogrammen teilzunehmen und Unterstützung durch Inkubatoren zu erhalten. Sie sollen
außerdem breite Unterstützung durch Informationen und Beratung zur Rechtslage und zu
Patenten bis hin zu vereinfachten Visa für ausländische Mitarbeiter*innen des Startups
bekommen. Ausländischen Startups sollen neben einem Europäisches Startup-Visum auch Beratung
und finanzielle Unterstützung angeboten werden, damit sie sich in Europa ansiedeln.
Verwaltung kooperativer gestalten
Zugleich kann die öffentliche Verwaltung innovativer und kooperativer werden. Wir fordern
daher ein deutsches GovTech-Programm nach dänischem Vorbild. So sollen
Technologieunternehmen und Startups mit innovativen Lösungen den Ministerien helfen,
bestimmte Fragestellungen und Herausforderungen, mit denen sie konfrontiert sind, zu lösen.
Unser Ziel ist die vollständige elektronische Abwicklung in der Verwaltung. Das spart
Unternehmen, Bürger*innen und der Verwaltung viel Zeit und Geld.
Bei der Regulierung soll das Prinzip der Verhältnismäßigkeit gelten: Große Unternehmen
können komplexe Anforderungen erfüllen, kleinere Unternehmen und den Mittelstand wollen wir
gezielt entlasten. Für die Gründungsphase eines Unternehmens wollen wir bestimmte
Regulierungen ganz aussetzen. Genehmigungsverfahren wollen wir beschleunigen. Wir werden
nicht nur den Unternehmen Fristen setzen, sondern verstärkt auch der Verwaltung. Verpasst
die Verwaltung die Frist, gilt die Genehmigung automatisch als erteilt.
Wagnisse ermöglichen
Wir müssen nicht nur technologisch exzellent sein, sondern bahnbrechende Technologien auch
in neue Geschäftsmodelle, Märkte, Dienstleistungen und Produkte umwandeln können.
Fördermöglichkeiten und Netzwerke für Startups und junge Unternehmen können den Unterschied
zwischen einer guten Idee auf dem Flipchart und einem weltweit erfolgreichen Unternehmen
ausmachen.
Startup-Förderung braucht Anschubfinanzierung und eine starke Finanzierung in der
Wachstumsphase. Wir wollen mit einem öffentlichen Zukunftsfonds eine Investitionswelle im
Venture Capital Markt auslösen. Dieser Fonds soll als eine Art stille Teilhaber*in jungen
und wachsenden Startups das nötige Eigenkapital bereitstellen. Das verhindert, dass unsere
Startups auf ausländische Geldgeber angewiesen sind, aufgekauft werden und das
technologische Know-how ins Ausland fließt. Wenn ausländische Konzerne ein europäisches
Startup übernehmen, sollen sie einen Ausgleich für die Fördermittel zahlen, die das Startup
von europäischer und nationaler Ebene bekommen hat.
Der Fonds soll mit Eigenkapital ausgestattet werden und sich dann weiteres Kapital günstig
am Finanzmarkt leihen. Seine Gewinne sollen vollständig das eigene Kapital weiter
aufstocken. Der Zukunftsfonds soll politisch unabhängig gemanagt werden. Unser unabhängig
verwalteter Bürgerfonds für eine stabile und rentable Anlagemöglichkeit soll in den
Zukunftsfonds investieren können und auch andere Investitionen im Venture-Capital-Bereich
finanzieren können. Über die Trennung von Zukunftsfonds und Bürgerfonds verhindern wir
problematische Interessenskonflikte zwischen industriepolitischen Zielen und dem
Bürgerfonds.
Auch Crowdfunding kann – vor allem wenn reward-basiert – neue Finanzierungsquellen für junge
Unternehmen erschließen. Wir wollen dafür sorgen, dass öffentliche Förderungen von
Gründungen und von Forschung mit Crowdfunding kombiniert werden können.
Gute Bedingungen für gute Ideen schafft auch der europäische Binnenmarkt mit über 500
Millionen Menschen, die sich daran beteiligen. Der Wagniskapitalmarkt der EU ist derzeit in
viele kleine nationale Märkte zersplittert. Wir wollen die nationalen Förderinstrumente
koordinieren und abstimmen. Mittelfristig streben wir einen großen europäischen
Wagniskapitalfonds an und wollen die EU zum größten Venture-Capital-Markt der Welt machen.
6. Digital von der Null zur Eins werden
Wir setzen uns für eine Politik der technologischen Souveränität Europas ein und plädieren
für eine starke europäische Digitalinfrastruktur. Anstatt sich zum Beispiel bei Cloud-
Diensten zwischen Amazon oder Alibaba entscheiden zu müssen, wollen wir eine eigene
europäische Cloud-Infrastruktur aufbauen. Diese soll unseren Unternehmen eine effiziente und
sichere Alternative zu den amerikanischen und chinesischen Anbietern sein.
Dabei setzen wir unsere Priorität auf die Stärkung der europäischen Halbleiterindustrie.
Halbleiter sind im digitalen 21. Jahrhundert das, was Rohöl im analogen 20. Jahrhundert war:
eine kritische Ressource. In Ostdeutschland haben wir einen der größten Standorte für die
Halbleiterproduktion in Europa. Wir wollen diese Stärke stärken, indem wir die Forschung und
Entwicklung von ultraeffizienten Chips fördern und den Mikroelektronik-Cluster in Dresden
stärken.
Vielfalt und Offenheit statt digitaler Monopole
Die Digitalisierung hat datenbasierte Plattform-Geschäftsmodelle hervorgebracht, die eine
Tendenz zum Monopol aufweisen. So erfordern es Wettbewerb und moderner Verbraucherschutz,
dass die Grundsätze der Interoperabilität – wie wir sie aus dem Mobilfunk kennen – auch bei
online-gestützten Angeboten gelten. Was heute bei Telefon, SMS und Mail selbstverständlich
ist, muss zum Beispiel auch bei Messenger-Diensten oder sozialen Netzwerken gewährleistet
werden, nämlich unkompliziert zwischen Anbietern und Plattformen kommunizieren und wechseln
zu können.
Auch digitale Großkonzerne müssen sich an das europäische Ordnungsrecht halten. Deshalb
setzen wir uns für eine faire Besteuerung digitaler Großkonzerne ein, die bisher von der
Bundesregierung verhindert wird.
Infrastrukturen sind eine öffentliche Aufgabe. Dieses Prinzip, das bei Stromnetzen oder
Straßen selbstverständlich ist, muss im digitalen Bereich neu ausgehandelt werden. Wenn
Google seine dominierende Stellung bei Handy-Betriebssystemen oder Amazon seine beim Verkauf
über den Marketplace ausnutzt, müssen wir dem einen Riegel vorschieben. Den lokalen
Einzelhandel werden wir vor unfairem Dumpingwettbewerb von Amazon und Co. schützen. Ziel ist
es, privatisierte Marktplätze wieder öffentlich zugänglich zu machen. Außerdem werden wir
die Gebühren für Plattformen mit weitreichender Marktmacht regulieren, damit die Gewinne von
kleinen Unternehmen nicht von den Plattformbetreibern abgeschöpft werden können.
Google und Facebook dominieren mittlerweile den Markt für Onlinewerbung. Kaum ein
Unternehmen kann es sich noch leisten, nicht über sie online für die eigenen Produkte zu
werben. Ein solches Oligopol muss reguliert werden. Wir wollen in Europa eine gesetzliche
Grundlage für Onlinewerbung schaffen.
Standards für die datengetriebene Wirtschaft
So, wie wir mit der Datenschutzgrundverordnung unseren europäischen Rechtsrahmen in der
digitalen Welt stärken konnten, an die sich andere halten müssen, wollen wir auch ethische,
gesellschaftliche und sicherheitspolitische Grundregeln für intelligente Maschinen und
Algorithmen auf EU-Ebene etablieren. Dazu gehören Regeln bezüglich der Haftung, Transparenz,
Nicht-Diskriminierung und Überprüfbarkeit algorithmischer Entscheidungen sowie essentielle
Cybersicherheitsstandards.
Wir wollen einen einheitlichen europäischen Rechtsrahmen für datengetriebene
Geschäftsmodelle schaffen. Daten sind Schlüsselressource der digitalen Welt, insbesondere
für Technologien wie die künstliche Intelligenz. Daher plädieren wir für die Bereitstellung
öffentlicher, anonymisierter bzw. pseudoanonymisierter Daten, damit dadurch neue
Innovationen und Geschäftsmodelle entstehen. Open-Data ist eine Grundvoraussetzung, damit
europäische Unternehmen etwa bei künstlicher Intelligenz noch zum Silicon Valley
aufschließen können. Die Bundesregierung muss bei Innovationen und neuen technologischen
Lösungen im Bereich des öffentlichen Sektors vorangehen. Dafür muss sie auch die bei
öffentlichen Stellen erfassten Daten in einer datenschutzkonformen Weise (anonymisiert) der
Allgemeinheit zur Verfügung stellen. So können Startups, Unternehmen und
Forschungseinrichtungen diesen Datenschatz für die Entwicklung innovativer Technologien
nutzen. „Sharing is Caring“ gilt an dieser Stelle ganz besonders.
„Private Daten schützen, öffentliche Daten nützen“ gilt auch für Unternehmen. Wir wollen
eine Datenökonomie stärken, die nach diesem Prinzip organisiert ist. Dafür wollen wir
Definitionen von Normen, Standards und Schnittstellen zum Datenaustausch zwischen
Unternehmen, Forschungseinrichtungen und öffentlicher Hand zur kooperativen Datennutzung
fördern. Mit der Macht über Daten werden heute Monopolstellungen geschaffen. Wir wollen
gesetzlich regeln, welche Daten als öffentliches Gut anzusehen sind.
IT für grüne Ziele nutzen
Wir wollen die Digitalisierung nutzen, um Ökonomie und Ökologie weiter zusammenzuführen. Die
Digitalisierung schafft enorme Chancen für Ökoeffizienz und Kreislaufwirtschaft. Dafür
wollen wir ein EU-Förderprogramm, das sich exklusiv dem ökologischen Potenzial der
Digitalisierung widmet und die Ökoeffizienz in Unternehmen fördert. Die Digitalisierung kann
zum ökologischen Umbau unserer Gesellschaft beitragen. Wenn wir nicht handeln, besteht aber
das Risiko, dass die Digitalisierung zum Treiber von Klimakrise und Umweltzerstörung wird.
Derzeit werden wertvolle Rohstoffe zunehmend für die Digitalisierung gebraucht und der
Energiebedarf für digitale Prozesse wächst jedes Jahr massiv. Expert*innen zufolge wird der
digitale Energiebedarf bis zum Jahr 2040 die weltweite Energieproduktion übersteigen, wenn
wir nicht umsteuern.
Wir wollen als Teil der Energiewende energiearme IT-Technik voranbringen und eine
europäische „Green-IT“-Strategie auflegen. Darüber hinaus setzen wir uns für „Green-IT“-
Kriterien bei der öffentlichen Vergabe und ein Label für energieeffiziente, nachhaltige
Rechenzentren ein. Denn gerade die Digitalisierung bietet auch ein erhebliches Potenzial für
den Klimaschutz und zur Einsparung von Treibhausgasen und Ressourcen.
Allein durch die Digitalisierung könnten die globalen CO2-Emissionen bis 2030 gegenüber
jetzigen Prognosen um 20 Prozent sinken. Studien gehen von 15 bis 20 Prozent
Energieeinsparung durch Gebäude-Klimamanagementsysteme aus. Um 25 bis 30 Prozent könnte der
Energieverbrauch der Industrie durch IT-gesteuerte Prozessoptimierung sinken, indem
Maschinen intelligent miteinander vernetzt werden. Dieses Potenzial wollen wir konsequent
nutzen.
Bei großen Unternehmen ist es längst selbstverständlich, dass Videokonferenzen in vielen
Fällen Reisen per Bahn oder Flugzeug ersetzen. Das spart Zeit und Kosten, entlastet die
Mitarbeitenden und schont zugleich die Umwelt. Mit den selbstfahrenden Autos von morgen
bietet sich durch Vernetzung, Carsharing und zusätzlich flexible öffentliche
Nahverkehrsangebote gerade im ländlichen Raum die Chance, viele Privatfahrten im Auto zu
ersetzen. Die Digitalisierung kann die Energiewende in Form intelligenter Netze unterstützen
oder dabei helfen, Transportketten zu optimieren und etwa Leerfahrten zu verhindern.
Cybersicherheit für die Industrie
Es braucht dringend ein umfassendes Paket zur Stärkung der Cybersicherheit unserer
Industrie. Dies umfasst die Einrichtung eines europäischen Forschungsverbunds für
Cybersicherheit, in dem das Nationale Forschungszentrum in Darmstadt integraler Teil wird,
um die Entwicklung von Technologien und industriellen Fähigkeiten im Bereich der
Cybersicherheit zu fördern. Außerdem wollen wir ein in allen Mitgliedstaaten anerkanntes EU-
weites Zertifizierungssystem für Produkte und Dienstleistungen sowie umfassende
Beratungsangebote einführen.
7. Die Technik von morgen entwickeln
Um den Wirtschaftsstandort Deutschland in die Zukunft zu führen, müssen wir auch für
Forschung und Entwicklung die richtigen Rahmenbedingungen setzen. Technologiedurchbrüche,
Innovation und Neues entstehen nicht allein in Forschungsabteilungen, Vorstandsebenen oder
Regierungsagenturen. Sie entstehen in Ökosystemen. Es geht darum, Kooperationen zu fördern,
die Arbeit in isolierten Fach-Communities aufzubrechen, Wissen zu teilen und von der
Erfindung nahtlos in die Umsetzung zu kommen. Wir fordern daher mehr interdisziplinäre
Forschungsplattformen, an denen sich insbesondere Hochschulen, freie Forschungsinstitute,
zivilgesellschaftliche Organisationen und Unternehmen beteiligen können. Darüber hinaus sind
Reallabore und Experimentierräume in der Forschung notwendig, damit bahnbrechende neue
Technologien auch gleich in der Umsetzung getestet werden können. Um diese zu fördern,
schlagen wir eine eigene Förderlinie vor.
Alle heute genutzten Technologien beruhen auf öffentlicher Grundlagenforschung. Auch in
Europa und Deutschland sollte die öffentliche Hand massiv investieren, gerade da, wo Märkte
versagen: bei risikoreicher Forschung, öffentlicher Infrastruktur, Sprunginnovationen. Für
diese Jahrhundertaufgabe müssen deutsche und europäische Förderprogramme ambitionierter,
risikofreudiger und agiler werden. Es geht uns dabei um einen gezielt agierenden, proaktiven
und unternehmerischen Staat, der unternehmerisches Risiko eingeht und als Leadinvestor ein
innovationsfreundliches Umfeld auch für private Unternehmen und ihre Ideen schafft.
In Zukunftstechnologien und digitale Infrastruktur investieren
Europäische Kooperation ist die Grundvoraussetzung, um auf den Technologiemärkten des 21.
Jahrhunderts mithalten zu können. Wir wollen deswegen wieder intensiv in den Wissens- und
Innovationsstandort Europa investieren und die Mittel des kommenden europäischen
Forschungsrahmenprogramms auf 120 Milliarden Euro aufstocken. Damit wollen wir ein
schlagkräftiges Nachfolgeprogramm zu „Horizon 2020“ etablieren, das besonders die
Grundlagenforschung in wirtschaftlichen Schlüsselfeldern wie der künstlichen Intelligenz,
der Robotik, Quantentechnologie sowie der Bio- und Nanotechnologie fördert.
Es bleibt daher ein Fehler, dass die Bundesregierung die Vorschläge vom französischen
Präsidenten, eine europäische Agentur für Sprunginnovationen und ein deutsch-französisches
KI-Zentrum zu etablieren, nicht angenommen und ernsthaft verfolgt hat. Stattdessen hat die
große Koalition eine allein national ausgerichtete Agentur für Sprunginnovationen etabliert.
Wir fordern, dass diese nun zumindest mit den europäischen Institutionen und Initiativen eng
verzahnt wird. Auch sind die geplanten 500.000 Euro Förderung für ein virtuelles deutsch-
französisches KI-Netzwerk viel zu wenig, um die besten Forscherinnen und Forscher
zusammenzubringen und tatsächlich Synergien zu etablieren.
Schnelles Netz ist die Grundlage für alles – Industrie, Mobilität, Landwirtschaft, digitale
Verwaltung, Teilhabe, ökonomischer Erfolg. Für Unternehmen ist der Breitbandausbau eine
harte Standortfrage. Und oftmals sind es gerade die ländlichen Regionen, die von schnellem
Internet abgehängt sind. Von der flächendeckenden Grundversorgung, die die Bundesregierung
versprochen hatte, sind wir weit entfernt. Für die digitale Infrastruktur Glasfaser und 5G-
Mobilfunk gibt es erhebliche Investitionslücken. Damit der Glasfaserausbau schneller
vorankommt, brauchen wir eine solide Finanzierung. Dies wollen wir dadurch ermöglichen, dass
der Bund seine Anteile an der Telekom verkauft, und sie in eine Ausbaugesellschaft für
Glasfaser investieren.
Neue Wege beim Urheberrecht
Wir wollen zudem in der Forschungsförderung stärker Output-basierte Modelle erproben und
beispielsweise Prämien für die Lösung von Zukunftsfragen öffentlich ausloben. Ferner wollen
wir eine weitgehende Verfügbarkeit von Basisinnovationen ermöglichen und dafür Open-Source-
Lösungen fördern. Wer sich verpflichtet, seine Forschungsergebnisse gebührenfrei der
Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen, erhält im Gegenzug großzügigen Zugang zu
Fördermitteln. Ein Beispiel, wie eine solche gemeinwohlorientierte Lizensierung gestaltet
werden kann, sind die Creative Commons Lizenzen, die seit Jahren erfolgreich die Rechte von
Urheber*innen waren und gleichzeitig Inhalte für andere zugänglich und nutzbar machen.
Auch dem Mittelstand wollen wir den Weg frei machen für eine Investitionsoffensive in
Forschung, Entwicklung und Innovation. Wir wollen die steuerliche Förderung bei Forschung
und Entwicklung nicht wie die große Koalition auch Großkonzernen gewähren, sondern explizit
den KMUs. Bei der Auftragsforschung sollen auch die Auftraggeber*innen einen Teil des
Steuerbonus geltend machen können.
8. Gleichwertige Lebensverhältnisse in Ost und West, Stadt und Land
Gemeinsam können wir dafür sorgen, dass Stadt und Land, dass strukturschwache und
wirtschaftsstarke Regionen nicht weiter auseinanderdriften. In den deutschen Kommunen klafft
eine öffentliche Investitionslücke bei der Infrastruktur von 138 Milliarden Euro. So viel
Geld fehlt in Kitas, Straßen, Brücken oder Spielplätzen, allein um die Substanz zu erhalten.
Viele Kommunen können das nicht finanzieren. Damit werden wir unserer Verpflichtung nach
gleichwertigen Lebensverhältnissen nicht überall im Land gerecht, was vor allem
strukturschwache Regionen, gerade in Ostdeutschland, betrifft.
Eine neue Gemeinschaftsaufgabe „regionale Daseinsvorsorge“ soll dem Bund erlauben,
strukturschwache Regionen finanziell zu unterstützen. Dafür wollen wir eine Kompetenzagentur
schaffen, welche die Kommunen bei der Planung von Investitionen und dem Abruf von
Fördermitteln unterstützt. Eine Förderung über alle Regionen hinweg führt oft dazu, dass
stärkere Regionen aufgrund ihrer funktionierenden Infrastruktur und Verwaltung die Mittel
als erstes beantragen und bekommen, während die schwächeren Regionen dann das Nachsehen
haben. Wir wollen die Förderung auf die wirklich strukturschwachen Regionen ausrichten. Die
beste Förderung hilft nicht, wenn die Mittel nicht dort ankommen, wo sie wirksam werden
sollen.
Wir wollen die aktuelle Förderung von ihrer Projektorientierung hin zu Prozessen ausrichten,
damit Projekte vor Ort langfristig gesichert sind und das Engagement der Leute vor Ort
nachhaltig gefördert wird. Daneben soll ein Altschuldenfonds Kommunen mit hohen Altschulden
neue Spielräume eröffnen, indem der Bund einen Teil der Schulden übernimmt, aber auch die
Verantwortung der Länder zum Tragen kommt sowie berücksichtigt wird, dass einige
Landesregierungen dies bereits aus eigener Kraft getan haben. Der Bund kann sich zu sehr
niedrigen – momentan sogar negativen – Zinsen finanzieren, und so den Kommunen wieder Luft
zum Atmen verschaffen. Die regionale Wirtschaftsförderung wollen wir neu ausrichten und
Regionen, die einen starken Strukturwandel zu bewältigen haben, mehr in den Blick nehmen.
Entscheidend für die Ansiedlung von Unternehmen ist nicht der Scheck vom Staat, sondern eine
exzellente Infrastruktur und gut ausgebildete Fachkräfte vor Ort. Wo es keinen Datenhighway
gibt, kann sich heute kein Unternehmen mehr ansiedeln.
Für die Lausitz hieße das zum Beispiel, dass man von den kleinen Orten schnell nach Cottbus
kommen kann, und von Cottbus schnell mit der Bahn nach Berlin. Schnelles Internet und das
digitale Büro würden es mit einem Arbeitsplatz in Berlin ermöglichen, an der
mecklenburgischen Seenplatte zu wohnen. Gute Bahnverbindungen würden die gelegentliche,
zügige Fahrt zur Firma erlauben. Wir wollen die regionalen Zentren stärken und zu
Ankerpunkten in den Regionen mit breitem Angebot an öffentlichen und kulturellen
Dienstleistungen machen. Wir wollen auch Universitäten und Fachhochschulen ansiedeln bzw.
erweitern, denn sie können einen Wissenstransfer in die lokale Wirtschaft organisieren.
Gleichzeitig bringen die gut ausgebildeten Studierenden eigene Geschäftsideen mit oder sind
künftige Fachkräfte für die lokale Wirtschaft. So kann es auch gelingen, junge Zugewanderte
zu motivieren, etwa in die Uckermark oder nach Ostsachsen zu ziehen.
9. Mit einer gemeinsamen Industriestrategie die Stärke des europäischen Binnenmarktes nutzen
Der Kern einer guten Industriepolitik liegt in der Stärkung der eigenen Innovationskraft,
nicht in der Abwehr von Konkurrenz. Trotzdem ist es wichtig, dass Deutschland und Europa
faire Regeln entwickeln und diese dann nach innen und außen durchsetzen.
Der europäische Binnenmarkt ist der größte gemeinsame Wirtschaftsraum der Welt. Kein großes
globales Unternehmen kann es sich leisten, auf diesem riesigen Markt nicht vertreten zu
sein. Den Europäischen Binnenmarkt müssen wir nutzen, um Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und
faire Spielregeln zu stärken, anstatt uns von nationalen Interessen auseinanderdividieren zu
lassen.
Wer auf dem europäischen Markt mitspielen will, muss den europäischen Regeln folgen. Mit der
Datenschutzgrundverordnung haben wir gezeigt, wie das geht. Entweder halten sich Unternehmen
daran, oder ihnen wird der Zugang zum Markt verwehrt. Mittlerweile macht die DSGVO
international Karriere.
Die Europäische Union muss dafür als starke und geeinte Akteurin gemeinsame Standards für
eine zukunftsfähige Wirtschaft entwickeln – statt Empfängerin der strategischen
Entscheidungen anderer zu sein. Wenn die USA auf einen finanzmarktgetriebenen Kapitalismus
und China auf autoritären Staatskapitalismus setzt, dann müssen wir uns nicht entscheiden,
sondern darauf eine europäische Antwort geben: mit einem Green New Deal für die sozial-
ökologische Marktwirtschaft.
Europa braucht eine gemeinsame Industriepolitik, deren Kern in der Stärkung der eigenen
Innovationskraft und der Durchsetzung von fairen Spielregeln für die Wirtschaft liegt – nach
innen wie nach außen. Ihre Ziele und Instrumente sollen sich an der Notwendigkeit einer
sozial-ökologischen Transformation der Wirtschaft orientieren. So kann der europäische
Binnenmarkt, auch aufgrund seiner Größe, zum Leitmarkt für die Welt werden.
Eine Industriestrategie zur Stärkung von Innovation und Nachhaltigkeit
Eine Industriestrategie muss in erster Linie Innovationen in Deutschland und Europa aktiv
vorantreiben, zum Beispiel durch ordnungspolitische Leitplanken und öffentliche Aufträge,
welche die Nachfrage nach neuen Technologien stimulieren. Sie soll dabei insbesondere auch
den ökologischen Wandel der Wirtschaft unterstützen, durch Maßnahmen wie eine langfristige
Klimaschutzstrategie, einen europaweiten CO2-Mindestpreis, oder die Förderung industrieller
Leuchtturmprojekte mit dem Ziel, Treibhausgasemissionen in den energieintensiven Branchen
abzubauen. Finanzmärkte müssen so reguliert werden, dass sich nachhaltige Investitionen
auszahlen und nicht benachteiligt werden. Auch die europäischen Investitionsprogramme müssen
auf Nachhaltigkeit getrimmt werden.
Eine Industriestrategie soll auch dafür sorgen, dass europäische Kräfte bei künstlicher
Intelligenz gebündelt werden und öffentliche Investitionen in europäische Gemeingüter
getätigt werden, wie in die Verkehrs-, Telekommunikations- und Energieinfrastruktur.
Rechtswidriger Steuerumgehung und Steuerbetrug erteilen wir eine Absage, denn auch
Unternehmen müssen sich angemessen an der Finanzierung öffentlicher Aufgaben beteiligen.
Auch gerechte Arbeitsbedingungen, Mindeststandards bei der sozialen Absicherung und eine
europäische Rückversicherung für die nationalen Arbeitslosenversicherungssysteme müssen Teil
einer solchen sozial-ökologischen Industriestrategie sein.
Wettbewerbsverzerrungen bekämpfen
Gegenüber staatlich subventionierten Monopolisten aus China und unregulierten
Digitalkonzernen aus den USA muss eine europäische Industriestrategie fairen Wettbewerb auf
dem europäischen Markt sicherstellen, zum Beispiel durch eine Weiterentwicklung der Anti-
Dumping- und Anti-Subventionsinstrumente, eine Reform der WTO und eine Schärfung der Regeln
im Kartellrecht. Auch muss die Europäische Union Wettbewerbsverzerrungen bei öffentlichen
Aufträgen stärker ahnden können. Ein Weg könnte sein, im Vergaberecht die Möglichkeiten zu
schaffen, Angebote aus Ländern, die ihre Firmen subventionieren, mit einem Aufschlag zu
versehen und auch bei Nicht-EU-Bietern hohe Arbeits- und Umweltstandards zu berücksichtigen.
Mittelfristig sollte das Prinzip der Gegenseitigkeit (Reziprozität) für Drittstaaten gelten,
damit es zu gleichen Wettbewerbsbedingungen kommen kann.
Kontrolle über kritische Infrastruktur
Ausländische Direktinvestitionen in Schlüsseltechnologien und kritische Infrastruktur
sollten besser überwacht werden. Der neue europäische Screening-Mechanismus für
Direktinvestitionen sollte in die deutsche Außenwirtschaftsordnung integriert und konsequent
angewandt werden. Denn wenn wir keine Kontrolle mehr über unsere kritische Infrastruktur
haben, haben wir ein riesiges Sicherheitsproblem, sind abhängig und im schlimmsten Fall
erpressbar.
Mit Blick auf die konkret anstehende Entscheidung zu 5G halten wir einen Ausschluss von
Huawei angesichts der chinesischen Rechtslage für unabdingbar. Viele kleinere europäische
Länder sind abhängig davon, wie Deutschland sich entscheidet. Zwar mag der Ausbau der
deutschen 5G-Netze durch Huawei kostengünstiger und schneller sein als durch europäische
Anbieter. In der Abwägung zwischen Fragen der wirtschaftlichen und technologischen Effizienz
und der außen- und sicherheitspolitischen Dimension einer solchen Entscheidung kommen wir
aber zu dem Schluss, dass die politische Einflussnahme und die bereits stattfindende
Spaltung Europas durch China nicht weiter zunehmen darf. Es geht auch darum, die
sicherheitsrelevante Infrastruktur nicht dem Zugriff eines Konzerns in einem autoritären
Staat zu überlassen. Und es wird auch über unsere wirtschaftliche Zukunft entscheiden, in
Europa noch Unternehmen zu haben, die in der Lage sind, die Technologien der Zukunft zu
bauen. Die Entwicklung von digitalen Standards ist systemrelevant.
Regulatorische Macht für sozial-ökologische Ziele
Auch global sollten wir Europäer*innen Regeln setzen und dazu unser gesamtes europäisches
Schwergewicht in die Waagschale werfen. Wer in Europa Produkte verkaufen will, muss fair
produzieren. Die Produktion muss im Einklang mit den Klimazielen von Paris stattfinden.
Menschen- und Arbeitsrechte und der Schutz der Umwelt müssen geachtet werden. Dafür braucht
es Handelsabkommen, die ökologische und soziale Standards gegenüber Handelspartnern
einklagbar machen und ein Lieferkettengesetz, das Transparenz und menschenrechtliche
Sorgfaltspflichten für Unternehmen rechtsverbindlich macht. Wir wollen den Einsatz neuer
Technologien fördern, die die Zwischenstufen im Produktionsprozess nachvollziehbar machen.
So verhindern wir zum Beispiel, dass bei uns Produkte verkauft werden, deren Vorprodukte mit
Kinderarbeit in Afrika hergestellt wurden.
Den Euro zur Leitwährung machen
Die wirtschaftliche Stärke Europas wird zentral davon abhängen, ob wir die Währungsunion
vollenden. Eine Währungsunion ohne makroökonomische Ausgleichsmechanismen kann nicht
funktionieren. Daher wollen wir eine gemeinsame europäische Fiskalpolitik für die Eurozone,
die im Abschwung beherzt gegensteuern, die Wirtschaft stabilisieren und europäische
Gemeingüter finanzieren kann. Diese Fiskalpolitik könnte sich auch über europaweite Steuern
wie eine Digitalkonzernsteuer, eine Finanztransaktionssteuer oder eine europäische
Körperschaftsteuer finanzieren. Investitionen des gemeinsamen Haushalts sollten für
europäische Gemeingüter wie den Klimaschutz, den Ausbau der erneuerbaren Energien,
Kommunikation und Internet oder die Schieneninfrastruktur eingesetzt werden. Ein
Eurozonenbudget, das stabilisiert und investiert, sollte mindestens ein Prozent des BIP der
teilnehmenden Staaten umfassen, um makroökonomisch wirksam zu sein.
Kaum ein Land in der EU profitiert so stark von der gemeinsamen Europäischen Währung.
Anstatt sich als Exportnation zu feiern, sollte Deutschland zum Wohle und Wohlstand aller
daher besonders in die Stärkung der Eurozone investieren. Für den Ausbau der paneuropäischen
Infrastruktur wie zum Beispiel grenzüberschreitender Strom- oder Bahnnetze macht es Sinn,
gemeinsame europäische Anleihen zu schaffen, über die ein Teil dieser Investitionen im
Rahmen des EU-Haushalts über Kredite finanziert werden kann. Mit einem großen Markt für
liquide europäische Anleihen kann es uns gelingen, den Euro zu einer Leitwährung zu machen,
was den globalen ökonomischen und politischen Einfluss der Union massiv stärken würde.
Den Europäischen Rettungsschirm ESM wollen wir zu einem vollwertigen Europäischen
Währungsfonds weiterentwickeln, im EU-Recht verankern und der demokratischen Mitbestimmung
und Kontrolle durch das Europäische Parlament unterwerfen. Wir brauchen eine gemeinsame
europäische Einlagensicherung. Sie soll als Rückversicherung ausgestaltet sein, damit die
europäische Sicherung erst eingreift, wenn die nationale überfordert ist. Die deutschen
Sparkassen und Genossenschaftsbanken können so weiter auf ihre bewährten
Institutssicherungssysteme setzen.
Für einen Ausgleich von makroökonomischen Ungleichgewichten innerhalb Europas und zur
Stärkung der europäischen Nachfrage muss Deutschland aktiv seinen überbordenden
Leistungsbilanzüberschuss reduzieren und den europäischen Partnern mehr Luft zum Atmen
lassen, und darf nicht zu einer einseitigen und spaltenden Sparpolitik zurückkehren. Um dies
zu erreichen wollen wir in Deutschland für faire Löhne besonders am unteren Ende der
Einkommensskala sorgen und die Investitionen hochfahren.
10. Fairer Wettbewerb statt Machtwirtschaft
Wettbewerb ist Grundlage der Marktwirtschaft und Motor des Fortschritts. Ein starkes
Kartellrecht, das fairen Wettbewerb sichert und die Konzentration wirtschaftlicher Macht
begrenzt, ist nicht nur für die Wirtschaft, sondern auch für das Funktionieren der
Demokratie wesentlich. Es hält Märkte offen und sorgt dafür, dass sich die beste Idee
durchsetzt und nicht stets der Platzhirsch. Fehlt der Wettbewerb, können Monopolisten hohe
Gewinne auf Kosten der Verbraucher*innen machen und Startups in ihrer Entwicklung behindern.
Eine exzessive Marktkonzentration geht einher mit der Konzentration von Vermögen und erhöht
die Ungleichheit. Und wer Märkte kontrolliert, kann auch politische Kontrolle ausüben und
Spielregeln mitbestimmen.
Das Wettbewerbsrecht braucht ein Update. Digitale Geschäftsmodelle ändern
Geschäftsbeziehungen und Wettbewerbsdynamik. Nutzer*innen zahlen für viele Dienste im
Internet nicht mit Geld, sondern mit Daten. Netzwerkeffekte machen einzelne Plattformen zu
Giganten mit riesigen Datenschätzen. Ihre Marktmacht können sie missbrauchen, um
Datenschutzbestimmungen abzusenken, Geschäftspartner*innen Preise zu diktieren oder
Konkurrent*innen auszubooten.
Wir wollen marktbeherrschende digitale Plattformen streng regulieren. Wenn sie anderen
Firmen den Marktzugang verwehren oder absurde Konditionen verlangen, müssen die
Kartellbehörden hart dagegen vorgehen. Damit die europäische Wettbewerbspolitik den
Anforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht wird, brauchen wir ein eigenständiges,
europäisches Kartellamt mit angemessenen Mitteln und Personal. Dieses Kartellamt soll auch
als europäische Digitalaufsicht fungieren, die natürliche digitale Monopole und Oligopole
regulieren kann.
Heute muss die Kartellaufsicht den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung nachweisen,
um ein Unternehmen entflechten zu können. Das ist in der Regel kaum möglich. Wir treten
daher dafür ein, dass Unternehmen auch unabhängig von einem Missbrauch aufgespalten werden
können, wenn ihre Marktmacht zu groß und zum Problem für Wirtschaft und Gesellschaft wird.
Das Facebook-Monopol ist beispielsweise so ein Fall. Wir wollen Instagram, Facebook und
WhatsApp wieder entflechten. Indem wir die Grundsätze der Interoperabilität, wie sie heute
bei Telefon, SMS und Mail selbstverständlich sind, auf Messenger-Dienste übertragen, wollen
wir den Markteintritt neuer Anbieter erleichtern und den Wettbewerb um die besten
Datenschutzbestimmungen entfachen.
Wir Grüne wollen, dass das Wettbewerbsrecht im Sinne der europäischen Verträge angewandt
wird. Umweltschutz und die Förderung einer nachhaltigen Entwicklung müssen dabei
berücksichtigt werden. Die Fusionen von Bayer und Monsanto sowie weiterer Agrochemiekonzerne
sind zum Beispiel nicht nur für den Wettbewerb problematisch, sondern auch für die Umwelt.
Fehlende Sortenvielfalt, Pestizideinsatz und Artensterben sind die Folgen.
Wer fairen Wettbewerb will, muss Foulspieler*innen vom Platz stellen. Der Abgasskandal hat
einmal mehr gezeigt, wie Unternehmen versuchen, fairen Wettbewerb durch Betrug zu umgehen.
Wir Grüne wollen solch gemeinwohlschädliches Verhalten strikt ahnden. Wir wollen eine
gesetzliche Regelung, welche die bessere Verfolgung und Sanktionierung von Straftaten
ermöglicht, die aus Unternehmen heraus begangen werden. Dabei muss der Staat seine Rolle als
fairer Schiedsrichter auch wahrnehmen. Der Abgasskandal ist auch ein Beispiel dafür, dass er
das nicht immer tut – denn er wurde erst durch die jahrelange Kumpanei von Autoindustrie,
Aufsichtsbehörden und Politik möglich. Und um den Einfluss von Lobbyist*innen und
Interessengruppen auf den Bundestag offenzulegen, wollen wir ein verpflichtendes
öffentliches Lobbyregister einrichten.
Bisher gibt es in Deutschland und Europa keine finanziellen Entschädigungen für die vom
Dieselskandal Betroffenen. Für Einzelne ist es oft viel zu schwer, das geltende Recht auch
zur Geltung zu bringen. So weigern sich etwa Fluggesellschaften, Entschädigungsansprüchen
nachzukommen. Auch auf unseren Druck hin ist es gelungen, in Deutschland erstmals
Musterfeststellungsklagen zu ermöglich. Sie sind aber unzureichend, denn immer noch muss
jede* Betroffene einzeln klagen. Daher wollen wir endlich Gruppenklagen ermöglichen, um das
Prozessrisiko auf viele Schultern zu verteilen.
11. Faire Welthandels- und Währungsordnung schaffen
Uns geht es um eine Re-Regulierung der Globalisierung. Die vergangenen Jahre haben gezeigt:
Eine unregulierte Globalisierung führt zur Ausbeutung von Menschen und Umwelt und
beschleunigt die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen. Die Wohlstandsgewinne aus
internationalem Handel sind ungleich verteilt. Rechtsextremisten und Nationalisten benutzen
die berechtigte Kritik an einer neoliberalen Globalisierung, um einen Rückfall in den
Nationalismus zu propagieren. Das ist die falsche Antwort. Wir stellen eine freiheitliche
und weltoffene Antwort dagegen. Richtig genutzt kann eine gute Handelspolitik Umweltschutz,
Klimaschutz, Menschenrechte, Arbeitnehmer*innenrechte und Wirtschaftsinteressen in Balance
bringen. Und so die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen erhalten, im globalen Süden
Gerechtigkeit schaffen und Demokratieverdrossenheit bekämpfen.
Doch hierfür brauchen wir eine Neuausrichtung der EU Handelspolitik. Das Mercosur-Abkommen,
das die EU unter anderem mit Brasilien abschließen will, ist das letzte fatale Beispiel
einer Agenda, die Liberalisierung, Deregulierung und hochproblematische
Konzernschiedsgerichte in den Mittelpunkt von Verträgen wie schon bei TTIP, CETA oder JEFTA
stellt, jedoch keine effektiven Schutzmechanismen für Klima, Umwelt, Menschenrechte,
Arbeitnehmer*innen und Verbraucher*innen enthält. Der brennende Amazonas führt uns diese
fatale Logik mehr als deutlich vor Augen, denn die zwischen der EU und den Mercosur-Staaten
vereinbarten Handelserleichterungen für Soja und Rindfleisch wirken für den Regenwald wie
ein Brandbeschleuniger. Wir wollen deshalb einen Importstopp von Agrarprodukten aus
gerodeten Gebieten des Amazonas sowie von Palmöl aus dem indonesischen Regenwald.
Mittlerweile wird auch immer mehr europäischen Regierungen klar, dass die
Nachhaltigkeitsklauseln im Abkommen zahnlos sind und für das Klima, den Regenwald und die
dort heimischen Indigenen keinen ausreichenden Schutz bieten, da es keinen wirkungsvollen
Sanktionsmechanismus gibt, durch den Handelserleichterungen zurückgenommen werden könnten.
Wir Grüne lehnen dieses Abkommen wie auch CETA und JEFTA in ihrer bisherigen Form ab, denn
trotz einzelner Verbesserungen erfüllen sie die Bedingungen an fairen Handel nicht.
Stattdessen ist es an der Zeit für ein Bündnis für fairen Handel – aufbauend auf den
Korrekturen, die es nach der umfassenden Kritik gerade auch der Zivilgesellschaft bereits
gegeben hat und die auch einige europäische Regierungen zum Umdenken gebracht haben.
Die EU sollte dabei nicht wie bisher auf ein Sammelsurium bilateraler Handelsverträge
setzen, sondern auf einen gemeinsamen plurilateralen Vertrag all derjenigen Staaten, die
bereit sind, Handel fair, offen und ökologisch sowie die Globalisierung gerecht zu
gestalten. Der Fokus muss auf diskriminierungsfreien Marktzugängen und Zollerleichterungen
liegen. Starke Regeln für faire Märkte gehören dabei zum Kern des Abkommens. Das beinhaltet
zentrale internationale Abkommen wie die ILO-Kernarbeitsnormen oder das Pariser
Klimaschutzabkommen. Handelserleichterungen könnten somit auch wieder aufgehoben werden,
wenn ein Handelspartner zum Beispiel den Klimavertrag von Paris aufkündigt oder dessen Ziele
nicht einhält. Das gleiche gilt für den Verstoß gegen Menschenrechte und auch für die Nicht-
Einhaltung von Mindeststandards für Umwelt und Arbeit.
Das Vorsorgeprinzip wollen wir zum Schutz von Umwelt und Verbraucher*innen für alle Teile
von Handelsverträgen geltend machen. Parlamente dürfen durch Regeln zur regulatorischen
Zusammenarbeit in Handelsabkommen nicht umgangen oder geschwächt werden. Faire
Handelspolitik lässt den Staaten, Regionen und Kommunen Freiräume, um Dienstleistungen so zu
organisieren und zu regulieren, wie sie das für richtig halten.
Statt einseitiger Sonderklagerechte für private Investoren (ISDS/ICS) setzen wir uns für
einen ständigen internationalen Handelsgerichtshof ein, vor dem auch Betroffene klagen
können, wenn Unternehmen gegen grundlegende Menschenrechte, Sozial- oder Umweltstandards
verstoßen.
Lieferkettengesetz einführen
Damit Menschenrechte und Umwelt in internationalen Lieferketten nicht länger unter die Räder
geraten, wollen wir gesetzliche Regeln zu Transparenz und Sorgfaltspflichten für Unternehmen
einführen. Das beinhaltet, dass die EU nachvollziehbare entwaldungsfreie Lieferketten
verbindlich durchsetzt. So kann bei Bruch von internationalen Verträgen und Verpflichtungen
ein Importstopp von Agrarprodukten wie zum Beispiel für Soja und Rindfleisch aus gerodeten
Gebieten des Amazonas verhängt werden. In der öffentlichen Beschaffung sollte Deutschland
mit gutem Beispiel voran gehen und nur noch Produkte aus nachweislich entwaldungsfreien
Lieferketten einkaufen.
Und wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie sich endlich aktiv am Prozess der
Vereinten Nationen zur Erreichung eines völkerrechtlichen Abkommens (UN Binding Treaty
Prozess) beteiligt, mit dem transnationale Konzerne und andere Wirtschaftsunternehmen für
Menschenrechtsverstöße zur Verantwortung gezogen werden sollen.
Handel nicht auf Kosten der Ärmsten
Handel ist ein wichtiger Motor von Entwicklung, wenn er läuft. Damit er aber anspringt, kann
es nötig sein, einzelne Sektoren durch Handelsbarrieren zu schützen, bis sie konkurrenzfähig
sind. Die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (WPA) sind dafür kontraproduktiv. Wir wollen
Entwicklungsländern genügend Raum lassen, durch Zölle und Quoten ihre Märkte zu schützen.
Gleichzeitig fordern wir, dass die EU ihre Zölle auf verarbeitete Produkte aus
Entwicklungsländern senkt oder abschafft, um die Produktion vor Ort zu fördern. Wir wollen
die regionale Integration von Entwicklungsländern fördern. Und wir bevorzugen die
Welthandelsorganisation und multilaterale Abkommen gegenüber bilateralen Handelsabkommen, da
die Interessen insbesondere ärmerer Länder ansonsten drohen, unter die Räder zu geraten.
Entwicklungschancen für rohstofffördernde Länder
Bei Gewinnung, Verarbeitung und Nutzung von Bodenschätzen geht es auch um
Entwicklungschancen für die rohstofffördernden Länder. Der überproportionale Verbrauch von
Rohstoffen in den Industrieländern gibt uns nicht das Recht auf überproportionalen Zugang.
Nur eine faire Verteilung gewährleistet auch eine langfristig friedliche Zukunft. Daher
setzen wir auf internationale und kooperative Lösungsansätze. Häufig geht der Abbau von
Rohstoffen mit gravierenden Menschenrechtsverletzungen einher. Die EU-Verordnung zu
Konfliktmineralien tritt 2021 in Kraft und ist ein wichtiger Schritt, um den schlimmsten
Verbrechen Einhalt zu gebieten. Wir setzen uns dafür ein, die Verordnung auszuweiten, denn
bisher sind nur vereinzelte Rohstoffe abgedeckt. Gleichzeitig ergeben sich auch Vorteile,
wenn der Zugang zu und der Handel mit Rohstoffen stabil und langfristig ist. Voraussetzung
dafür ist, dass die menschenrechtlichen, sicherheits-, umwelt- und demokratiepolitischen
Konsequenzen mitberücksichtigt und dafür jeweils Standards geschaffen werden. Diese müssen
auf verschiedenen Ebenen ansetzen: im Herkunftsland, bei Investor*innen und Unternehmen, im
Verbraucherland und auf internationaler Ebene.
Sichere und stabile Weltwährungsordnung schaffen
Nachdem in den 1970er Jahren das internationale Währungssystem „Bretton Woods“ aufgekündigt
wurde – es regelte die internationalen Finanz- und Wechselkursbeziehungen – waren die
Staaten nicht bereit, eine neue gemeinsame Ordnung zu etablieren. Stattdessen ließen die
großen Industrienationen ihre Wechselkurse weitgehend frei schwanken und die internationalen
Finanzinstitutionen setzten sich für einen unbeschränkten internationalen Kapital- und
Finanzverkehr ein. Regelmäßige Währungs- und Finanzkrisen haben seitdem die Welt erschüttert
und vor allem weniger entwickelte Länder wurden durch spekulative Kapitalflüsse in ihrer
Entwicklung immer wieder zurückgeworfen. Gleichzeitig sind die globalen
Handelsungleichgewichte explodiert und stellen einen neuen Herd der Instabilität dar. Wir
wollen international im Rahmen der G20 eine Diskussion über ein neues System stabilisierter
Wechselkurse anregen. In der Überzeugung, dass wir so Spekulation eindämmen, Entwicklung und
Handel fördern und Handelsungleichgewichte abbauen könnten.
Für die ärmsten Länder der Welt ist die öffentliche Entwicklungsfinanzierung zentral. Wir
streben eine Weltwährungsordnung an, die es nicht nur den wohlhabenden Ländern ermöglicht,
langfristige Investitionen auch langfristig und damit verlässlich zu finanzieren. Dafür
müssen kurzfristige, spekulative Finanzströme reguliert, verteuert und notfalls auch
verboten werden. Wir müssen uns gegen spekulative Attacken auf Staaten und ihre Währungen
absichern. Dafür braucht es globale öffentliche Institutionen. Hier sind aber keine
kurzfristigen Erfolge zu erwarten. Um dennoch schnell zu einer Veränderung zu kommen, wollen
wir, dass die Europäische Zentralbank die Auswirkungen ihrer Politik auf Entwicklungsländer
berücksichtigt und diese unterstützt. Entwicklungsländern, die durch ungerechtfertigte
Währungsspekulationen unter Druck geraten, soll sie zur Seite springen können, sofern es mit
den geldpolitischen Zielen vereinbar ist. Hierfür könnten zum Beispiel Devisenswap-
Vereinbarungen oder Art. 219 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union
(AEUV) zur Festlegung von Wechselkurspolitiken genutzt werden.
Die multilateralen Finanzinstitutionen IWF und Weltbank können beim Erreichen der globalen
Nachhaltigkeitsziele (SDGs) und dem weltweiten sozial-ökologischen Umbau eine entscheidende
Rolle spielen. Dafür müssen sie ihren Ankündigungen Taten folgen lassen und endlich den
Menschen dienen. Dazu gehört derzeit ganz konkret ihr Engagement konsequent am Pariser
Klimaabkommen auszurichten. Wir dürfen sie nicht aus der Verantwortung entlassen, selbst zu
einer stabilen, nachhaltigen und armutsmindernden globalen Finanzarchitektur beizutragen.
12. Stabile Finanzmärkte und sichere Anlagen
Banken und Finanzmärkte sollen dazu dienen, Bürgerinnen und Bürger attraktive
Sparmöglichkeiten anzubieten und Investitionen zu finanzieren. Mit geeigneten Regulierungen
und einer umfassenden Finanztransaktionssteuer wollen wir reine Spekulationsgeschäfte und
vor allem den Hochfrequenzhandel unattraktiv machen. Lokal agierende kleine und mittelgroße
Banken in Deutschland, und immer stärker auch wieder im Rest der EU, stellen für die meisten
Firmen die Kreditversorgung sicher. Deshalb wollen wir das Lokalbankenprinzip in ganz Europa
verankern. Öffentliche Banken sind dem Gemeinwohl in besonderer Weise verpflichtet.
Sparkassen sollen daher Gemeinwohlberichte erstellen und transparenter werden, was die
Offenlegung von Gehältern angeht.
Mit einem Regulierungssystem aus klaren, harten aber deutlich weniger komplexen Regeln
werden kleine Banken entlastet. Unsere Schuldenbremse für Banken – eine ungewichtete
Eigenkapitalquote von zehn Prozent – stellt sicher, dass genügend Sicherheitspolster
vorhanden sind. Großbanken müssen kleiner werden. Durch ein effektives Trennbankensystem,
hohe Eigenkapitalanforderungen und eine vollendete Bankenunion werden sie nicht mehr das
Finanzsystem gefährden können. Die Rettung von Banken mit Geld der Steuerzahler*innen gehört
dann der Vergangenheit an.
Mit den Möglichkeiten der Digitalisierung können neue Akteure auf den Finanzmärkten
entstehen bzw. wachsen. Sie machen für viele den Finanz- und Zahlungsverkehr einfacher und
schneller und bieten neue Anlagemöglichkeiten. Wir wollen hier klare Wettbewerbsregeln
schaffen, in welchen weder Banken noch große Tech-Unternehmen ihre dominante Stellung nutzen
können, um unliebsame Konkurrenten und Innovationen zu behindern. Die Einführung eines E-
Euros bietet Chancen beim Zahlungsverkehr und für neue innovative Dienstleistungen. Diese
von den Zentralbanken des Eurosystems eingeführte elektronische Währung soll auch vielen
Menschen im Alltag als einfaches, sicheres und bequemes Zahlungsmittel dienen. Privates Geld
wie etwa der von Facebook geplante Libra hingegen würde kein Problem lösen, aber potentiell
viele neue schaffen. Eine Verdrängung kleiner Unternehmen über die Währung eines Konzerns,
die Anhäufung von Zahlungsverkehrsdaten bei einem Unternehmen mit ohnehin schon
problematischer Datenmacht und die Aushöhlung des staatlichen Geld- und Währungsmonopols
lehnen wir ab und werden Libra nicht zulassen.
Versicherungen und Pensionsfonds stecken derzeit in finanziellen Problemen, weil sich ihre
Zinserwartungen nicht erfüllt haben. Die große Koalition hat widerholt Maßnahmen
eingeläutet, um die Krise der Versicherer einseitig auf Kosten der Kunden zu lösen. Diese
Politik lehnen wir entschieden ab. Wir werden im Falle einer Schieflage einer Versicherung
eine faire Lastenverteilung zwischen den Eigentümer der Unternehmen und der Kunden
gewährleisten. Das Volumen des Sicherungsfonds Protektor ist im Falle einer Krise viel zu
gering. Um Abhilfe zu schaffen, muss das Volumen des Fonds deutlich erhöht werden. Auch
sollte ein europäisches Rückversicherungssystem eingeführt werden. Außerdem werden wir es
nicht mehr gestatten, dass die Unternehmen Versicherungsverträge ohne die Zustimmung des
Kunden weiterverkaufen.
Die Finanzberatung muss sich grundlegend wandeln. Durch Provisionen kommt es heute dazu,
dass Anleger*innen nicht die passenden Produkte empfohlen werden, sondern die mit den
höchsten Provisionen. Mit dem schrittweisen Übergang zur Honorarberatung – der Kunde zahlt
die Beratung also nicht mehr indirekt über die Provision, sondern direkt an die Berater*in,
dafür ist das Produkt dann günstiger – wird sich die Qualität der Beratung verbessern und
sich das Berufsbild der Berater*innen wandeln.
Ein Bürgerfonds für stabile und rentable Anlagemöglichkeiten
Damit die Bevölkerung in Deutschland mehr von den volkswirtschaftlichen Gewinnen der
Wirtschaft profitieren kann, schlagen wir die Errichtung eines Bürgerfonds vor. Er soll all
den Bürgerinnen und Bürgern eine Beteiligung an Wohlstandsgewinnen sichern, deren Einkommen
zu klein sind, um selbst Vermögen in Aktien, Immobilien oder anderen Werten anzusparen. In
den Bürgerfonds zahlt jede Bürger*in automatisch einen bestimmten Teil seines Einkommens
ein. So stellen wir für den Fonds eine hohe Anlagesumme sicher und senken damit die
Verwaltungskosten. Wer aber andere Formen der Anlage bevorzugt, kann der Einzahlung in den
Bürgerfonds einfach widersprechen (Opt-out). Um Fehler von Riester zu vermeiden, wird der
Fonds keine Zinsgarantien gewähren, weil sie die Rendite mindern. Sicherheit werden wir
stattdessen über eine breit gefächerte, diversifizierte, nachhaltige und langfristige
Anlagestrategie gewährleisten. Der Bürgerfonds bietet also Menschen, die kleine Ersparnisse
haben, eine risikoarme und vor allem extrem preiswerte Anlageform. Auch die Wirtschaft wird
von diesem Fonds profitieren. Denn es tritt ein gewünschter Nebeneffekt ein: Das Kapital ist
nicht von einer kurzfristigen Renditeerwartung getrieben, sondern einer nachhaltigen
Anlageentwicklung verpflichtet.
13. Gemeinwohlorientierte Unternehmen stärken
Viele Unternehmen engagieren sich für ökologische und soziale Ziele. Immer mehr Unternehmen
schreiben diese gesellschaftlichen Ziele parallel zum wirtschaftlichen Erfolg verbindlich
fest. Diese ökonomische Bürger*innenbewegung werden wir systematisch stärken. Unser Ziel ist
eine Gründungswelle neuer Genossenschaften und Sozialunternehmen.
Öffentliche Finanzierungsprogramme der Wirtschaftsförderung, Informationsangebote für
Gründer*innen und Beratungsangebote für Unternehmen werden wir systematisch für alle
Unternehmungen öffnen. So wollen wir auch Genossenschaften, Social Startups und Vereine
stärken, die wirtschaftlich aktiv sind.
Die Unternehmen der sozialen und solidarischen Ökonomie brauchen attraktive Rechtsformen.
Eine vereinfachte, allgemeinverständliche Mustersatzung für Genossenschaften wollen wir in
Zusammenarbeit mit den Genossenschaftsverbänden breit zugänglich machen. Kleine
Genossenschaften werden wir von einschlägigen Auflagen des Handelsrechts entlasten. Die
Überarbeitung der Rechtsformen soll ermöglichen, dass Unternehmen der solidarischen Ökonomie
sichtbarer werden und dadurch in Deutschland und in Europa besser vertreten sind.
Sozialgenossenschaften sollen künftig nicht mehr durch ein faktisches Kombinationsverbot von
bezahlter und ehrenamtlicher Arbeit behindert werden. In eine gesetzliche Reserve
eingestellte Gewinne wollen wir von der Körperschafts- und Gewerbesteuer freistellen. So
stärken wir die Eigenkapitalbasis und Investitionsfähigkeit von Genossenschaften. Auf
europäischer Ebene setzen wir uns für ein Label von Produkten aus der sozialen und
solidarischen Ökonomie ein. Wer keinen Gewinn machen will, ist auf eine günstige
Finanzierung angewiesen. Wir wollen Sozialunternehmen diese bereitstellen, zum Beispiel über
Kreditprogramme der öffentlichen Förderbanken.
Zugleich gilt es, den Bürgerenergiegenossenschaften die regulativen Fesseln abzunehmen,
damit sie wieder zu kraftvollen Akteuren der Energiewende werden. Wir wollen die EU-
Richtlinie über den Elektrizitätsbinnenmarkt so wirtschaftsfreundlich in deutsches Recht
übersetzen, dass die Bürgerenergie umfassend gestärkt wird. Beim Mieterstrom wollen wir
hinderliche Preisvorgaben abschaffen, um dezentrale Investitionen in Erneuerbare zu
ermöglichen.
Viele Unternehmen engagieren sich im Rahmen der Gemeinwohlökonomie. Wir wollen, dass auch
Unternehmen im Bundesbesitz Gemeinwohlbilanzen erstellen. Die Gemeinwohlbilanzen wollen wir
im europäischen und deutschen Recht verankern. Auch heutige gewinnorientierte Rechtsformen
wie die Aktiengesellschaft sollen sich per Mehrheitsbeschluss künftig andere Ziele geben
können als die Maximierung des Profits, ohne dass sie dem Risiko ausgesetzt sind, dass
Minderheitsgesellschafter dagegen klagen.
14. Investitionen solide und gerecht finanzieren
Wir wollen die öffentlichen Investitionen deutlich steigern. Ein Land, in dem jede achte der
insgesamt 40.000 Brücken marode ist, das weniger Geld in Bildung steckt als fast all seine
Nachbarländer, das für seine Funklöcher berüchtigt ist statt berühmt für seine Smartphones,
ein solches Land lebt von vergänglicher Substanz. Es wird dauern, die politischen Vorzeichen
auf Vernunft zu drehen. Umso wichtiger ist es, jetzt damit zu beginnen. Investitionen
schaffen öffentliche Güter. Sie kosten Geld, aber wenn in das Richtige, Zukunftsfähige
investiert wird, schaffen sie Wohlstand. Jede Ausgabe, die der Staat so tätigt, führt in der
Wirtschaft zu Einnahmen und es werden Jobs geschaffen. Für einen Euro, den wir klug
investieren, kann unsere Wirtschaftsleistung um deutlich mehr als einen Euro steigen.
Wir wollen diese Investitionen finanzieren, indem wir Fehlanreize abstellen, Gelder
umschichten und gezielt Investitionen über Kredite ermöglichen. Wir unterscheiden dabei
zwischen einmaligen Investitionen und dauerhaften Ausgaben. Diese dauerhaften Ausgaben zum
Beispiel für Bildung und Gerechtigkeit sind für den sozialen Ausgleich und den Zusammenhalt
der Gesellschaft essenziell. Diese dauerhaften Ausgaben wollen wir durch laufende
Steuereinnahmen, eine gerechtere Besteuerung von Vermögen und die Bekämpfung von
Steuerbetrug und -umgehung gegenfinanzieren.
Bisher scheitern Investitionsprogramme auch an mangelnden Kapazitäten in der Bauwirtschaft
oder in den Planungsabteilungen des öffentlichen Dienstes. Unsere Investitionspolitik ist
deshalb verlässlich und langfristig angelegt, so dass sowohl die private Bauwirtschaft als
auch der öffentliche Dienst wieder mehr Kapazitäten aufbauen können. Wir investieren
dauerhaft und nachhaltig.
Investitionsgesellschaften gründen
Viele Investitionen schaffen werthaltige Wirtschaftsgüter, mit denen sich Einnahmen erzielen
lassen. Eine Stromleitung erzielt Einnahmen durch den durchgeleiteten Strom. Das gleiche
gilt analog für Ladeinfrastruktur für Elektroautos, Breitband für Internet und vieles
andere. Um diese Investitionen effizient durchzuführen, werden wir sie jeweils in
öffentlichen Investitionsgesellschaften bündeln, darüber finanzieren und stringent managen.
Damit werden wir nachhaltige Werte für die nächste Generation schaffen, die sich auch
wirtschaftlich rechnen, insbesondere in Zeiten von Nullzinsen, ja mitunter sogar negativer
Zinsen.
Die grundgesetzlichen Regelungen zur Schuldenbremse sehen vor, dass die Verschuldung von
öffentlichen Gesellschaften wie zum Beispiel der Bahn, Wohnungsbaugesellschaften oder
öffentlichen Krankenhäusern nicht auf die Schuldenbremse angerechnet werden. Das gleiche
gilt für die neu zu gründenden Investitionsgesellschaften. Daher werden wir sie aus dem
Investitionsfonds mit genügend Eigenkapital ausstatten, damit sie sich wie jedes private
Unternehmen auch am Finanzmarkt selbst zusätzliches Kapital besorgen können. Der Bund gibt
für diese Kreditaufnahme eine Staatsgarantie. So könnte der Bund zum Beispiel eine
Ladesäulengesellschaft neu gründen, der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben für
Wohnungsneubau und Gebäudesanierung eine Kreditaufnahme erlauben und die Verschuldungsgrenze
bei der Deutsche Bahn erhöhen. Good Governance und demokratische Beteiligung sollen für
Transparenz und Kontrolle sorgen. Die Regierung muss steuern können und für Parlament und
Öffentlichkeit müssen Entscheidungen und Mittelverwendung transparent sein. Die
Privatisierung dieser Gesellschaften wollen wir dauerhaft ausschließen, damit öffentliches
Vermögen auch öffentlich bleibt.
Die Begrenzung der Staatsschulden mit Investitionen in Infrastruktur kombinieren
Es war richtig, dass sich Deutschland Regeln gegeben hat, die dafür sorgen, dass es nicht zu
exzessiver Verschuldung der öffentlichen Hand kommt. Sie haben – gemeinsam mit der
Geldpolitik der Europäischen Zentralbank – geholfen, die Verschuldung einzudämmen. In
Deutschland ist die Schuldenquote so von 80 Prozent auf unter 60 Prozent der
Wirtschaftsleistung zurückgegangen. An diesem Erfolg wollen wir festhalten.
Aber nicht nur Schulden im Haushalt sind Schulden. Wenn wir jetzt nicht in Bildung,
Innovation und Forschung sowie in Maßnahmen zum Klimaschutz investieren, verspielen wir
unseren zukünftigen Wohlstand. Außerdem würden die Finanzmärkte, die immer auch sichere
Anlagemöglichkeiten wie Staatsanleihen brauchen, bei einem immer geringeren Schuldenstand
nicht mehr stabil funktionieren, weil ihnen sichere Anlagemöglichkeiten fehlen. Wir wollen
daher die Schuldenbremse im Rahmen der europäischen Stabilitätskriterien weiterentwickeln
und sie mit einer verbindlichen Investitionsregel verknüpfen. Wenn der Bund mehr investiert
als sein Vermögen an Wert verliert – wenn er also neue Werte schafft – soll dies auch durch
die Platzierung von neuen Anleihen finanziert werden können. Die öffentlichen Investitionen
sollen mindestens so hoch sein, dass sich das öffentliche Vermögen nach Abnutzung und
Wertverlusten mindestens im Gleichklang mit der Wirtschaftsleistung bewegt.
Diese Möglichkeit ist für Deutschland entsprechend den europäischen Vorgaben daran gebunden,
dass die öffentliche Schuldenquote unterhalb der Maastricht-Marke von 60 Prozent des BIP
liegt und das strukturelle Defizit maximal ein Prozent der Wirtschaftsleistung beträgt.
Durch diese Beschränkungen würde auch durch die vorgeschlagene Möglichkeit zusätzlicher
Investitionen die Schuldenquote weiter auf unter 40 Prozent fallen. Das gilt umso mehr, als
dadurch zusätzliche Nachfrage und damit wirtschaftliche Entwicklung entsteht. Gerade im
Falle eines bevorstehenden Abschwungs halten wir diese Möglichkeit für sinnvoller als etwa
pauschale Steuererhöhungen oder Ausgabenkürzungen, denn diese würden den Abschwung noch
verschärfen. Das wäre das Gegenteil einer nachhaltigen Finanzpolitik.
Durch unseren Vorschlag dürfte der Bund im Durchschnitt etwa 35 Milliarden Euro pro Jahr
Kredite aufnehmen. Diese Gelder wollen wir in einen Bundesinvestitionsfonds überführen, der
als Sondervermögen im Bundeshaushalt nicht der Jährlichkeit des Haushalts unterliegt. Er
kann dann zweckgebunden investieren und auch eine stärkere antizyklische Wirkung entfalten.
Um den Investitionsfonds abzusichern und sauber zu implementieren, streben wir eine Änderung
des Grundgesetzes an.
Für eine optimale Steuerung von Staatsschulden und Investitionen erhalten Länder und
Kommunen einen verbindlich vereinbarten Anteil aus den Mitteln des Bundes-Investitionsfonds,
an dem alle Länder partizipieren und selbst entscheiden können, für welchen der vorgegebenen
investiven Zwecke sie die Mittel einsetzen. Die Schuldenbremse für die Länder (null
Verschuldung in Zeiten der Normalkonjunktur) soll beibehalten werden.
Es ist richtig, dass die Maastricht-Kriterien die Staatsverschuldung auch auf europäischer
Ebene begrenzen. Bei der anstehenden Reform wollen wir die Anreize für staatliche
Investitionen im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspakts verbessern. Zum Beispiel indem
Investitionsausgaben bei der Berechnung der Defizitquoten ähnlich wie private Investitionen
über mehrere Jahre abgeschrieben werden können. Damit stärken wir öffentliche Investitionen
gerade in Zeiten des wirtschaftlichen Abschwungs.
1 Wir beschreiben im Antrag „Handeln – und zwar jetzt“ ausführlich unseren Maßnahmenplan für
einen radikal realistischen und sektorenübergreifenden Klimaschutz.
Antragstext
Von Zeile 114 bis 115 einfügen:
dass diese ökologischen und sozialen Werte auch entsprechend bepreist werden und so direkten Einfluss auf den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens haben. Unternehmensgewinne sollen an ökologische Leitplanken und gesellschaftlichen Fortschritt gekoppelt werden. Deshalb streben wir eine Reform des Unternehmensrechts an, so dass Aufsichtsräte in Zukunft nicht mehr nur den Renditen der Aktionär*innen, sondern auch der Allgemeinheit verpflichtet sind.
Unser Wirtschaftssystem und unser Wirtschaftsverständnis stehen vor dramatischen
Veränderungen. Dabei geht es um viel mehr als um eine konjunkturelle Flaute nach Jahren des
Booms, es geht um sehr grundsätzliche strukturelle Herausforderungen.
Ein ungezügelter Natur- und Ressourcenverbrauch, die Abhängigkeit von Exportüberschüssen,
eine unzureichend regulierte Globalisierung, fehlende Investitionen in die Zukunft: Die
Krisen verdeutlichen, dass unser angestammtes Wirtschaftsmodell, das in der Vergangenheit
viel Wohlstand gebracht hat, so nicht mehr funktioniert. Der liberale Ökonom Nicolas Stern
hat zu Recht festgestellt: „Der Klimawandel ist der größte Fall von Marktversagen, den die
Welt je gesehen hat.“
Die enormen Wohlstandsgewinne kommen bei zu vielen nicht an und die Ungleichheit nimmt zu.
Globale Konzerne, die sich nationaler Rechtsetzung entziehen, und Finanzmärkte, die an
Stelle demokratischer Politik entscheiden, unter welchen Bedingungen wir Menschen leben. Das
alles höhlt nicht nur die Grundlagen des gemeinschaftlichen Zusammenlebens aus und gefährdet
bei uns und in vielen anderen Ländern immer stärker das Vertrauen in demokratische Politik.
Es zerstört auch die ökonomischen Grundlagen unserer Gesellschaft. Gleichzeitig erschüttern
globale Handelskonflikte die Weltwirtschaft und die multilaterale Weltwirtschaftsordnung.
Der drohende Brexit sorgt zusätzlich für Verunsicherung in der EU. Das hat Folgen. Nach
Jahren des Booms zeichnet sich in Deutschland ein ernsthafter Abschwung der Konjunktur ab.
Jede Generation hat ihre Aufgabe. Einen nachhaltigen und gerechten Wohlstand zu schaffen,
ist unsere. Deshalb müssen wir jetzt den Mut haben, weitreichende Entscheidungen zu treffen,
dafür leidenschaftlich in der ganzen Breite der Gesellschaft zu werben und nicht verzagt nur
in Trippelschritten zu denken. Richtig ausgestaltet schaffen wir die Grundlagen dafür, dass
notwendige Innovationen in Europa entwickelt und marktfähig gemacht werden und damit
zukunftsfähige neue Arbeitsplätze im Handwerk, in Startups, in der Dienstleistungsbranche
und auch in traditionsreichen Industrieunternehmen entstehen. Dazu gehören auch massive
Investitionen, öffentlich wie privat, um den immensen Investitionsstau in unserem Land zu
begegnen, um die immensen Aufgaben beim Klimaschutz schnell und entschlossen anpacken zu
können, um Produktivität und neue Ideen anzukurbeln.
Unser Ziel ist die sozial-ökologische Neubegründung der Marktwirtschaft. Sie ist das
Gegenmodell zu einem ungeregeltem Kapitalismus und einem autoritären Staatskapitalismus. Wir
streben ein Wirtschafts- und Finanzsystem an, das die planetaren Grenzen einhält und
gleichzeitig menschliche Entfaltung garantiert – und zwar weltweit, über Grenzen hinweg und
für zukünftige Generationen.
Den Weg dahin bereitet ein Green New Deal. Er schafft den neuen Ordnungsrahmen für faires,
ökologisches und nachhaltiges Wirtschaften. Er investiert mutig in die Zukunft. Er setzt
neue Kräfte für Kreativität und Innovationen frei. Er sorgt für sozialen Ausgleich. Er
schafft die Grundlagen für einen nachhaltigen Wohlstand, der nicht auf der Ausbeutung der
Natur und einer fossilen Wirtschaftsweise basiert, sondern den Mensch in den Mittelpunkt
stellt.
Wir sind überzeugt, dass das freie und kreative Handeln von Menschen und die Dynamik eines
fairen Wettbewerbs nachhaltigen Wohlstand und innovative Problemlösungen schaffen können.
Wenn die Rahmenbedingungen stimmen, bietet die Marktwirtschaft beste Voraussetzungen für
sozial-ökologisches Wirtschaften. Doch dafür braucht es den gesamten Instrumentenkasten aus
Steuern-, Abgaben- und Ordnungsrecht sowie intelligenter öffentlicher Forschungs- und
Förderpolitik.
Die Aufgabe besteht darin, die Märkte der Zukunft so auszurichten, dass sie den Menschen und
der Natur dienen. Dafür braucht es eine Politik, die beherzt vorangeht. Wenn wir es gut
machen, können wir die großen Herausforderungen jetzt nutzen, um unsere Wirtschaft auf
Zukunft, Gemeinwohl und nachhaltigen Wohlstand zu drehen.
Es wird gelingen
Unser Anspruch ist, dass Menschen sich entlang ihrer Vorstellungen in Freiheit und Würde
entfalten können. Das erfordert ein Wirtschaftssystem, das Unternehmensgeist ebenso fördert
wie es die Rechte von Beschäftigten schützt, nachhaltigen Wohlstand schafft, auf globale
Gerechtigkeit zielt, die Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern überwindet und
gleichzeitig mit starken sozialen Institutionen Gerechtigkeit und Sicherheit garantiert.
Eine starke und zukunftsfähige Wirtschaft, starke staatliche Institutionen und ökologische
Leitplanken sowie ein starkes soziales Netz sind deshalb Grundbedingungen für die sozial-
ökologische Marktwirtschaft. Was Unternehmen, Arbeitnehmer*innen und Verbraucher*innen
dagegen nicht brauchen, ist eine wankelmütige Politik, die (zu) spät ihre Unterlassungen
korrigiert und dann in hektischen Aktionismus verfällt. Was sie brauchen, ist ein
berechenbarer Weg in eine grundlegend neue Welt.
Für Deutschland ist die Überwindung des Kohle- und Öl-Zeitalters ein entscheidender, ja ein
schicksalhafter Moment. Automobil, Chemie und Maschinenbau waren die Säulen des Erfolges der
deutschen Wirtschaft in den letzten Jahrzehnten, aber sie müssen sich neu erfinden, um den
Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht zu werden. Dabei kann die deutsche Industrie
auf das bauen, was sie – und vor allem den Mittelstand – stark gemacht hat: ihre
Ingenieurskunst, ihre Kreativität, das mittelständische Tüftlertum, die Sozialpartnerschaft
mit den Gewerkschaften und ihre europäische und globale Orientierung.
Der Green New Deal für eine sozial-ökologische Neubegründung der Marktwirtschaft wird dann
erfolgreich sein, wenn er auf ein neues Bündnis aus Arbeit und Umwelt setzt. Ohne die
Beteiligung von Beschäftigten, Betriebsrät*innen und Gewerkschaften, ohne ihre Perspektive,
ihren immensen Wissensschatz und ihre Wirkmacht in Unternehmen gelingt der Aufbau einer
gemeinwohlorientierten Wirtschaftsordnung nicht. Wir wollen mit den Beschäftigten Seit an
Seit für den Wandel kämpfen.
Viele Unternehmen machen sich bereits auf den Weg dahin. Mittelständler*innen schalten ihre
Produktion auf Klimaneutralität um, Finanzinstitute entziehen sich dem Geschäft mit fossilen
Energien, IT-Unternehmen setzen auf Erneuerbare und Großkonzerne erweitern grüne
Produktportfolios. Die Industrie verlangt bereits ein überzeugendes, ökologisches
Modernisierungsprogramm für Deutschland. Die Technologien, Innovationen und Ideen sind da.
Die Politik muss jetzt liefern.
Mit folgenden Maßnahmen wollen wir den Weg in eine sozial-ökologische Marktwirtschaft
ebenen:
1. Qualitatives statt blindes Wachstum – ein neuer Wohlstandsbegriff
Um den universalen Anspruch der Menschen auf Würde, Freiheit und Glücksstreben innerhalb der
planetaren Grenzen zu erfüllen, brauchen wir eine andere Form, Wohlstand zu messen. Unser
heutiges Wirtschafts- und Sozialsystem ist darauf angewiesen, dass die Wirtschaft stetig
wächst. Wächst sie nicht, drohen im heutigen System Wirtschaftskrisen und Arbeitslosigkeit,
geraten Staatshaushalt und Sozialversicherungen ins Ungleichgewicht und es verschärfen sich
gesellschaftliche Verteilungskonflikte. Klar aber ist: Ein ökologisch blindes
Wirtschaftswachstum und die ökologische Begrenztheit unseres Planeten stehen miteinander im
Konflikt. Unser Ziel ist deshalb,Wachstum mit sinkendem Ressourcenverbrauch zu koppeln.
Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist schon heute ein schlechter Indikator für Wohlstand und
Lebensqualität, es ist blind für die sozialen Folgen und die ökologischen Schäden unseres
Wirtschaftens. So werden etwa der Abbau von Ressourcen und die Zerstörung von Natur- und
Sozialkapital im BIP überhaupt nicht berücksichtigt. Während Unternehmen beispielsweise den
Rückgang von eigenen Bodenschätzen den Gewinnen gegenüberstellen und Abschreibungen
vornehmen, macht der Staat das bisher nicht. Auch Reparaturmaßnahmen von Umweltschäden
erscheinen im BIP als Steigerung, obwohl damit bestenfalls der Status quo wiederhergestellt
und unter dem Strich nichts gewonnen ist. Genauso wird die unbezahlte Sorgearbeit, die vor
allem von Frauen geleistet wird und eine unverzichtbare Grundlage unseres Wohlstands bildet,
derzeit bei der Wohlstandsmessung nicht berücksichtigt. Wir schlagen deshalb ein neues
Wohlstandsmaß und eine neue Form der Wirtschaftsberichterstattung vor, um neben den
ökonomischen auch ökologische, soziale und gesellschaftliche Entwicklungen zu messen und
Indikatoren dafür festzulegen. Dabei geht es um harte ökonomische Fakten, denn
berücksichtigt wird auch das Natur- und Sozialkapital, dessen Verfügbarkeit natürlich ein
Wert an sich, aber auch elementar für den wirtschaftlichen Erfolg ist.
Wir wollen damit Wohlstand in Deutschland und Europa zukünftig umfassender messen und den
Fortschritt beim ökologischen Umbau der Wirtschaft langfristig abbilden. Auch für die
Unternehmen können davon innovative Impulse ausgehen. So wollen wir als ersten Schritt für
die Deutsche Bahn die Gemeinwohlbilanzierung einführen. Und alle größeren privaten
Unternehmen sollen in ihrem Jahresabschluss zukünftig über Nachhaltigkeitsindikatoren wie
CO2-Emissionen berichten. Bestehende Ausnahmen für nicht börsennotierte Unternehmen sowie
für viele Banken und Versicherer wollen wir abschaffen. Langfristig wollen wir erreichen,
dass diese ökologischen und sozialen Werte auch entsprechend bepreist werden und so direkten
Einfluss auf den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens haben. Unternehmensgewinne sollen an ökologische Leitplanken und gesellschaftlichen Fortschritt gekoppelt werden. Deshalb streben wir eine Reform des Unternehmensrechts an, so dass Aufsichtsräte in Zukunft nicht mehr nur den Renditen der Aktionär*innen, sondern auch der Allgemeinheit verpflichtet sind.
2. Die Wirtschaft klimaneutral machen1
Wir können unser Wirtschaften verändern, aber nicht unsere Abhängigkeit von einer intakten
Natur. Aus wissenschaftlicher Perspektive sind wir beim CO2-Ausstoß kurz davor, alle roten
Linien zu überschreiten, vor denen uns viele Forscher*innen warnen. Das hätte gravierende
Konsequenzen für unsere Freiheit und die Freiheit unserer Kinder und Enkel. Politisch werden
die Klima- und Umweltauswirkungen unserer derzeitigen Wirtschaftsweise unsere Gesellschaften
fordern wie nie zuvor. Und wirtschaftlich handelt es sich bei der Klimakrise um das größte
Geschäftsrisiko für unseren Wohlstand – oder eben um die entscheidende Größe für unseren
Wettbewerbserfolg auf den Märkten der Zukunft.
Nach Jahren des Stillstands ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, schnell und massiv in die
Infrastruktur zu investieren, die eine klimaneutrale Wirtschaft und Gesellschaft trägt. Um
zur klimaneutralen Wirtschaft zu kommen, müssen Bahn, Autos und Gebäude weitgehend
elektrifiziert werden. Für Lastwagen, Flugzeuge und Schiffe wird Wasserstoff eine zentrale
Rolle spielen, ebenso für die Stahlindustrie, die Zementindustrie und Teile der
Chemiebranche.
Die Energiewende muss dafür nach den Phasen der Markteinführung und Marktdurchdringung nun
in die dritte Phase geführt werden, in der sie die Wirtschaft flächendeckend mit
regenerativer Energie versorgt. Sie ist den Kinderschuhen entwachsen und muss im nächsten
Jahrzehnt via Sektorenkopplung die Bereiche Verkehr, Industrie und Wärme erschließen.
Gleichzeitig müssen Unternehmen drastisch Energie einsparen und effizienter verwenden sowie
CO2-lastige durch CO2-neutrale Produktionsverfahren ersetzen.
Dabei können wir darauf bauen, dass technische und gesellschaftliche Entwicklungen nicht
linear verlaufen, und dass wir effizienter oder besser werden können in einem Sprung aus dem
Gewohnten heraus. Und darauf, dass die Marktwirtschaft ihre volle innovative Kraft entfalten
kann, wenn wir die richtigen politischen Leitplanken setzen. Märkte sind ein mächtiges
Instrument, sie schaffen und zerstören in rasendem Tempo. Sie können verheerende Krisen
entzünden – Lehman Brothers lässt grüßen – und sie können gleichzeitig dafür sorgen, dass
binnen weniger Jahre das Smartphone auch in den entlegendsten Winkeln dieser Erde Menschen
miteinander verbindet. Märkte können, wenn die Anreize richtig gesetzt sind, eine grüne
Revolution entfachen, die unsere Vorstellungskraft auf die Probe stellen wird. Damit dies
geschieht, muss der Staat durch Ordnungspolitik, Preispolitik, Förder- und
Investitionspolitik den Rahmen so zu setzen, dass der Weg zum klimaneutralen Verhalten in
einem sozial-ökologisch gerahmten Markt rechtlich verbindlich und ökonomisch lohnend ist.
Ordnungsrecht bedeutetPlanungssicherheit für die Unternehmen. Also die verlässliche Vorgabe,
dass Autos, Flugzeuge, Maschinen oder Kraftwerke ab einem bestimmten Datum kein Treibhausgas
mehr ausstoßen dürfen. Preispolitik schafft fairen Wettbewerb, weil die Klimabilanz von
Produkten zum Teil des Preises wird. Klimaschädliches Wirtschaften wird teurer,
klimafreundliches Verhalten billiger. Förder- und Investitionspolitik gibt Starthilfen für
neue Produkte und Produktionsweisen und verhilft ihnen über die Schwelle zur
Wirtschaftlichkeit. Und sie schafft über den Ausbau der öffentlichen Infrastruktur die Basis
für ökologische Wirtschafts- und Lebensweise.
Ein Klimaschutzgesetz macht die Vorgaben
Das Klimaschutzgesetz ist das ordnungspolitische Herzstück. Ein solches Gesetz legt für alle
Wirtschaftsbereiche (Sektoren) verbindliche CO2-Minderungsziele und CO2-Minderungspfade
ebenso wie die dafür notwendigen Maßnahmen fest. Es garantiert eine dichte Kontrolle, ob die
Maßnahmen wirken, und sieht empfindliche Sanktionen bei einer Verfehlung der Ziele vor.
Ergänzt wird ein solches Klimaschutzgesetz durch weitere ordnungsrechtliche Vorgaben. Zum
Beispiel wollen wir, dass ab 2030 nur noch emissionsfreie Autos neu zugelassen werden und
der Weg dorthin durch verbindliche Quoten für E-Autos bereitet wird. Auch der Umbau der
energieintensiven Unternehmen ließe sich über ansteigende Quoten zum Beispiel für
klimaneutralen Stahl in Autos oder auch Windrädern und Gebäuden nicht nur planungssicherer
gestalten, die Unternehmen hätten gerade mit Blick auf die weltweiten Überkapazitäten so
auch einen Wettbewerbsvorteil auf dem europäischen Markt.
CO2 muss einen Preis bekommen
Ein wirksamer CO2-Preis ist für uns der zweite Teil des nötigen Instrumentenmixes, den wir
zugleich klimapolitisch wirksam und sozial gerecht ausgestalten wollen. Nur so lässt sich
zügig ein stabiler, langfristig orientierter Investitionsrahmen schaffen und systematisch
Anreize zur Senkung des CO2-Ausstoßes und für eine Umstellung von Produktionsweisen sowie
für „Efficiency First“ beim Umgang mit Ressourcen setzen. Nur so lässt sich das Potenzial
auf einer für alle Marktteilnehmer transparenten Basis für einen fairen Wettbewerb schaffen.
Der CO2-Preis schafft Gerechtigkeit und steigert mittelfristig auch die Wettbewerbsfähigkeit
auf dem Weltmarkt — denn Klimaschutz ist nicht nur notwendig, sondern auch ein globaler
Zukunftstrend.
Keine Steuermittel mehr für klimaschädliches Verhalten
Damit ökonomische Anreize ihr volles Potenzial entfalten können und zusätzliche finanzielle
Spielräume für Zukunftsinvestitionen entstehen, wollen wir umwelt- und klimaschädliche
Subventionen konsequent abbauen. Insgesamt betragen diese in Deutschland über 57 Milliarden
Euro. Staatliche Subventionen wie die Steuerbefreiung von Rohöl zur Plastikherstellung, dem
immer noch gewährten Beschaffungszuschuss für neue Ölheizungen oder die Nichtbesteuerung von
Kerosin wollen wir endlich beenden.
Investitionen in CO2-freie Industrieprozesse, insbesondere in den Bereichen Stahl, Chemie
und Zement, lohnen meist erst bei sehr hohen CO2-Preisen, die das europäische
Emissionshandelssystem derzeit noch nicht abbildet. Damit sich solche Investitionen für
Unternehmen schon heute rechnen, wollen wir den Unternehmen die Differenz zwischen dem
aktuellen CO2-Preis und den tatsächlichen CO2-Vermeidungskosten erstatten, welche ihnen
durch die Investitionen in neue Verfahren und Technologien entstehen (Carbon Contract for
Difference). Die Kosten dafür können über eine Klima-Umlage refinanziert werden, die auf die
Endprodukte aufgeschlagen wird und die für heimische Produkte und Importe gleichermaßen
gilt. So rechnen sich diese Investitionen sofort und es werden kurzfristige
Wettbewerbsnachteile gegenüber Regionen ohne eine entsprechende CO2-Bepreisung vermieden.
Förderpolitik gibt Starthilfe
Wir lassen die Unternehmen bei der ökologischen Transformation nicht allein und wollen sie
unterstützen. Für Investitionen in transformative, CO2-freie Industrieprozesse in den
Bereichen Stahl, Chemie oder Zement wollen wir deshalb bessere Abschreibungsmöglichkeiten
schaffen und Leuchtturmprojekte CO2-freier Verfahren und Prozesse gezielt fördern. Die Basis
zur Entwicklung solcher Verfahren ist die entsprechende Forschung. Dafür wollen wir die
Mittel im kommenden europäischen Forschungsrahmenprogramm „Horizon Europe“ auf 120
Milliarden Euro aufstocken und die steuerliche Forschungsförderung als ein wirkungsvolles
Innovationsinstrument ausgestalten. Weiterhin richten wir die öffentliche Beschaffung
konsequent klimaverantwortlich aus und schaffen so Leitmärkte, die innovativen Unternehmen
die notwendige Sicherheit geben, dass ihre Produkte auch einen Markt finden, auf dem sie
starten können.
Um den ökologischen Umbau zu fördern und gleichzeitig den sich anbahnenden
Wirtschaftsabschwung zu bekämpfen werden wir die degressive Abschreibung (AfA) zeitlich
befristet wieder einführen.
In die ökologische Infrastruktur investieren
Investitionen in Klimaschutz bedeutet vor allem: Ausbau von Bahninfrastruktur, von ÖPNV,
Fahrrad- und Fußverkehrsinfrastruktur, aber auch Aufbau von Ladeinfrastruktur für E-
Mobilität sowie von Infrastruktur für erneuerbaren Wasserstoff. Wärmenetze, energetische
Gebäudesanierung und der Ersatz von Öl- und Gasheizungen benötigen Unterstützung. Auch
stehen die Rettung unserer Wälder, die Erhöhung von Deichen und die Schaffung von mehr
Überflutungsflächen für Flüsse, der Umbau zu einer klima- und tierschutzgerechten
Landwirtschaft an.
Allein die Bahn braucht mindestens drei Milliarden Euro pro Jahr, um die notwendige
Verlagerung des Verkehrs von der Luft und der Straße auf die Schiene stemmen zu können. Für
den Aufbau eines elektrischen Ladesäulennetzes brauchen wir ein Investitionsprogramm in Höhe
von 600 Millionen Euro. Unser Programm „Faire Wärme“, mit dem wir die energetische
Gebäudesanierung unterstützen wollen, umfasst 7 Milliarden Euro im Jahr. Dies sind nur drei
Beispiele. Insgesamt plädieren wir für zusätzliche öffentliche Investitionen in Höhe von 30
Milliarden pro Jahr.
Wettbewerbsfähigkeit sichern, Klimadumping verhindern
Neben den notwendigen Anreizen müssen wir bei Einführung von ordnungspolitischen
Klimamaßnahmen die europäische Industrie auch vor möglichen Nachteilen im internationalen
Wettbewerb mit Staaten ohne eine vergleichbare Klimaschutzpolitik schützen. Dies kann über
Grenzausgleichsmaßnahmen wie europäische Klimazölle, die auch auf Importe aufgeschlagen
werden, oder über einen Grundstoffausgleich, der Recycling und weniger energieintensive
Werkstoffe belohnt, geschehen. Auch die Finanzierung der zusätzlich notwendigen
Investitionskosten für saubere Technologien könnte in Zukunft ein Weg sein, anstatt
weiterhin kostenlose Zertifikate im Emissionshandel auszugeben.
Divestment: Kapital aus fossilen in grüne Geschäftsfelder lenken
Mit einer breit angelegten Divestmentstrategie wollen wir dafür sorgen, dass Anlagekapital
zukünftig Klimaschutz statt Klimazerstörung finanziert. Öffentliche Banken und
Versicherungen sollen Investitionen in die Dekarbonisierung der Wirtschaft umlenken und
umgehend aus klimaschädlichen Wirtschaftsproduktionen wie Kohle- oder Erdölindustrie
aussteigen. Damit auch Kleinanlegerinnen und Kleinanleger von der grünen Finanzwende
profitieren und ihr Geld mit gutem Gewissen anlegen können, brauchen wir ein EU-Label für
nachhaltige Finanzprodukte mit starken ökologischen und sozialen Standards. Damit alle
Anleger*innen nachvollziehen können, ob Unternehmen ökologisch wirtschaften, werden wir
entsprechende Offenlegungspflichten einführen.
Neue Anlagerichtlinien für die öffentliche Hand, Fonds wie für die Beamtenpension oder
Rücklagen der Bundesanstalt für Arbeit sollen Nachhaltigkeits- und Klimaschutzkriterien
folgen. Der Bund kann dem Markt für nachhaltige Geldanlagen wichtige Impulse geben. Dafür
muss er seine Investitionen in Kohle-, Öl- und Gas-Konzerne, die Geschäfte auf Kosten des
Klimas machen, beenden.
Damit neben der Rendite auch die Klima- und Sozialverträglichkeit zur Grundlage von
Entscheidungen über Investitionen und Kreditvergaben gemacht werden, brauchen wir einen
verbindlichen europäischen Standard für Nachhaltigkeit, anhand dessen auch klima- und
umweltschädliche Wirtschaftsbereiche klar benannt werden können. Auf dieser Grundlage müssen
alle Finanzmarktakteure die Klima und Umweltauswirkungen ihrer Investitionen offenlegen.
Klimarisiken, die in Konzern- und Bankbilanzen schlummern, sollten bei der Bewertung durch
Rating-Agenturen und die Finanzmarktaufsicht berücksichtigt werden, zum Beispiel durch
Klima-Stresstests für Banken und Versicherungen oder durch Aufschläge bei
Eigenkapitalanforderungen bei Finanzierungen, die hohe Klima und Umweltrisiken bergen.
3. Verwerten statt Verschwenden: Kreislaufwirtschaft als übergeordneter Rahmen
Die ökologische Wende kann nur gelingen, wenn wir nicht dauerhaft auf immer mehr Rohstoffe
angewiesen sind. So können Unternehmen Kosten in erheblichem Umfang einsparen und außerdem
können hunderttausende neue Jobs entstehen. Im Bereich Elektromobilität beispielsweise gibt
es großes Potenzial, um durch Recycling der Lithium-Ionen-Batterien einerseits den
ökologischen Fußabdruck zu verkleinern, andererseits den Bedarf an Rohstoffen zu senken.
Dafür müsste nur die EU-Batterierichtlinie reformiert werden.
Unser Ziel ist der parallele Aufbau einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft. Diese
basiert auf in sich geschlossenen Stoffkreisläufen. Der Kreislauf beginnt bereits bei der
Produktgestaltung. Produkte müssen so designt werden, dass die jeweiligen Einzelteile auch
wieder voneinander getrennt und sinnvoll wiederverwertet werden können. Dafür wollen wir
verbindliche Vorgaben in der EU-Ökodesign-Richtlinie schaffen. Wir wollen Abfallvermeidung-
und verwertung durch einen Mix aus Anreizen und Vorgaben stärken: Wir wollen Recyclingquoten
einführen, welche die tatsächlich im Kreislauf geführten Wertstoffe messen. Hersteller*innen
sollen zu einer festen Einsatzquote für recycelte Rohstoffe verpflichtet werden.
Die Rücknahme- und Verwertungspflicht bei Produkten wie Verpackungen, Elektro- und
Elektronikaltgeräten muss ausgeweitet und durch finanzielle Anreize gestärkt werden. Ein
solcher Anreiz ist die Weiterentwicklung der Lizenzentgelte für Verpackungen zu einer
Ressourcenabgabe, die gleichzeitig ökologische Verpackungen über einen Bonus fördert. Auch
Rücknahmeprämien für einzelne Produktgruppen wie beispielsweise Mobiltelefone können ein
möglicher Weg sein. Unser Ziel ist, bis 2030 alle Kunststoffprodukte kosteneffizient zu
recyceln oder wiederzuverwenden. Schließlich wollen wir die Forschung für Recycling-Prozesse
und die Substitution von Rohstoffen intensivieren.
4. Gute und selbstbestimmte Arbeit – wir gestalten den Wandel der Arbeitswelt
Unsere Arbeitswelt wird sich in den kommenden Jahren vor allem durch die Digitalisierung
rasant und tiefgreifend verändern. Bekannte Tätigkeiten und Arbeitsplätze werden wegfallen
oder sich stark verändern, neue Arbeitsplätze und Berufe entstehen. Ob es in der Summe dann
weniger Arbeitsplätze geben wird oder mehr, kann derzeit niemand verlässlich vorhersagen.
Klar ist jedoch, dass sich auch die Art, wie wir arbeiten werden, massiv verändert. Unser
Arbeiten wird flexibler, selbstorganisierter, auch kooperativer. Zugleich erleben wir
bereits heute neue Formen der Ausbeutung und Überforderung. Ein großes Problem bedeutet
daneben der bereits heute spürbare massive Fachkräftemangel – eine Million Stellen sind
unbesetzt. In den kommenden 15 Jahren wird die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter
ohne Einwanderung um sechs Millionen schrumpfen.
Für beide Entwicklungen – den Fachkräftemangel und die Veränderungen der Arbeitswelt – muss
sich die Bildungs- und Weiterbildungspolitik, die Arbeitsmarkt-, Einwanderungs- und
Integrationspolitik viel besser rüsten als bisher.
Weiterbildung ist der Schlüssel
Das bedeutet vor allem, dass Menschen die Möglichkeit haben müssen, sich weiterzubilden und
neu zu qualifizieren. Dafür brauchen sie Geld, Zeit und passende Angebote. Wir wollen einen
Rechtsanspruch auf Weiterbildung begründen. Das lebensbegleitende Lernen wird damit Teil des
öffentlichen Bildungsauftrags. In allen Kommunen wollen wir Bildungsagenturen schaffen. Sie
sollen zum Herzstück von regionalen Bildungsnetzwerken werden, in denen sich
Arbeitsagenturen, Jobcenter, Volkshochschulen, Kammern, Berufs- und Hochschulen sowie andere
Weiterbildungsträger vernetzen, um flächendeckend und niedrigschwellig beste Weiterbildung
und Beratung anbieten zu können. Die bisherige Arbeitslosenversicherung wird zu einer
Arbeits- und Weiterbildungsversicherung umgebaut. So, wie wir in den beiden vergangenen
Jahrhunderten damit begonnen haben, uns gegen Krankheit oder Arbeitslosigkeit abzusichern,
sollten wir im 21. Jahrhundert im Rahmen der Arbeitslosenversicherung eine Garantie auf
Weiterbildung festschreiben. Sie sollte sowohl die Weiterbildung finanzieren als auch den
Lebensunterhalt in Weiterbildungsphasen absichern. Auch die Möglichkeiten der
Digitalisierung wollen wir für die Bildung weiter nutzen. Dafür soll eine öffentliche und
unabhängige digitale Plattform alle Fort- und Weiterbildungsangebote bündeln. Das ermöglicht
neue Zugänge für Menschen, die sich weiterbilden wollen.
Wir sehen es zudem als unsere Verantwortung, die Arbeitnehmer*innen insbesondere beim
ökologischen und digitalen Wandel mitzunehmen. Wir wollen dazu als eine wichtige Maßnahme
eine neue „Qualifizierungs-Kurzarbeit“ einführen, um so die Chancen der Beschäftigten und
der Betriebe im Strukturwandel vorausschauend zu verbessern. So können Beschäftigte sich
qualifizieren und danach in ihren Betrieb zurückkehren. Die Phase der Kurzarbeit muss
konsequent für die Qualifizierung der Beschäftigten genutzt werden. Dabei wollen wir die
„Qualifizierungs-Kurzarbeit“ eng an die Sozialpartnerschaft koppeln und zwar durch
tarifliche Regelungen und Betriebsvereinbarungen. Denn Unternehmen, Gewerkschaften und
Betriebsräte können nur gemeinsam dem Strukturwandel die richtige Richtung geben.
Fachkräftemangel bekämpfen
Der Fachkräftemangel stellt für viele Unternehmen ein Problem dar. Wir wollen darauf
reagieren, indem wir nicht nur engagiert auf Qualifizierung und Weiterbildung setzen und die
Erwerbstätigkeit von Frauen weiter stärken. Gerade angesichts des demographischen Wandels
halten wir zusätzlich auch eine ambitionierte Einwanderungspolitik für dringend notwendig.
Das Fachkräftezuwanderungsgesetz der großen Koalition erfüllt diesen Anspruch nicht. Wir
wollen es überarbeiten und entbürokratisieren. Deutschland braucht ein echtes
Einwanderungsgesetz mit einem transparenten Punktesystem und der Möglichkeit eines
Spurwechsels.
Neue Jobs
Wir haben große Engpässe dort, wo Menschen sich um Menschen kümmern: in der Pflege, der
Bildung, in der Kinder- und Altersbetreuung. Diese Jobs in der Sorge-Arbeit müssen ausgebaut
werden und brauchen endlich die Anerkennung, auch finanziell, die ihnen gemessen an ihrer
gesellschaftlichen Relevanz zusteht. Diejenigen, die sich um andere Menschen kümmern, dürfen
nicht beim Mindestlohn landen oder Probleme haben, sich eine Wohnung zu leisten.
Die Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung schätzt, dass mit stetigen
Investitionen in Nachhaltigkeit bis 2030 weltweit bis zu 170 Millionen neue Jobs geschaffen
werden können. Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU)
geht davon aus, dass sich die Zahl der Arbeitsplätze in der Erneuerbaren-Energien-Branche in
Deutschland allein in den nächsten zehn Jahren auf mindestens 500.000 verdoppelt. Im
gesamten Bereich Umwelttechnik und Ressourceneffizienz sind bereits heute 1,5 Millionen
Menschen in Deutschland beschäftigt. Erwartet wird hier ein Anstieg von jährlich 6,7
Prozent. Für diese Zukunftsbranche brauchen wir also qualifizierte Maschinenbauer,
Elektrotechnikerinnen, Ingenieurinnen, Vertriebsmitarbeiter*innen, Bürokräfte – von der
Berufseinsteigerin bis zur erfahrenen Fachkraft.
Gute Arbeitsbedingungen
Gute Arbeitsbedingungen und eine faire Verteilung des Wohlstandes zwischen Arbeit und
Kapital auszuhandeln, ist zunächst Aufgabe der Sozialpartner. Wir wollen die kollektive
Selbstorganisation und Mitbestimmung wieder stärken und prekäre Beschäftigung überwinden.
Bei der öffentlichen Vergabe sollen nur Unternehmen zum Zuge kommen, die einem Tarifvertrag
angehören bzw. Tariflöhne zahlen. Zudem wollen wir es leichter machen, Tarifverträge für
allgemeinverbindlich zu erklären. Die Bildung von Betriebsräten werden wir erleichtern,
indem Initiator*innen einen besonderen Schutz erhalten und die Verhinderung von
betrieblicher Interessenvertretung als klare Straftat angesehen und verfolgt wird.
Wir wollen die betriebliche Mitbestimmung ausbauen, indem die Betriebsräte bei der
Personalplanung stärker eingebunden werden und bei der Weiterbildung und der
Beschäftigungssicherung ein echtes Vorschlags- und Initiativrecht bekommen. Die
unternehmerische Mitbestimmung soll bereits ab einer Unternehmensgröße von 1.000
Beschäftigten voll greifen und die Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmervertreter*innen bei
strategischen Unternehmensentscheidungen im Aufsichtsrat erweitert werden.
Der gesetzliche Mindestlohn war ein wichtiger Meilenstein für faire Arbeitsbedingungen. Wir
wollen Ausnahmen beim Mindestlohnstreichen, die Kontrolle verbessern und zudem dafür sorgen,
dass er in Zukunft wirklich armutsfest ist. Die Mindestlohnkommission wollen wir
reformieren, um ihren Entscheidungsspielraum zu stärken. Die Höhe des Mindestlohns soll sich
künftig nicht allein an der Tarifentwicklung orientieren, sondern vor Armut schützen und den
Zusammenhalt in der Gesellschaft stärken. Deshalb wollen wir als Sofortmaßnahme eine
Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro. Gleichzeitig sollen die Vertreter*innen der
Wissenschaft in der Mindestlohnkommission ein Stimmrecht erhalten. Leiharbeit wollen wir
stärker regulieren, für Leiharbeitskräfte soll ab dem ersten Tag die gleiche Bezahlung wie
für die Stammbelegschaft gelten sowie eine zusätzliche Flexibilitätsprämie. Sachgrundlose
Befristungen wollen wir abschaffen. Wir fordern ein wirksames Entgeltgleichheitsgesetz mit
einem Verbandsklagerecht für gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit. Unser Ziel ist es,
Minijobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung umzuwandeln und dafür zu sorgen,
dass die Beiträge durch Steuern und Abgaben sowie soziale Leistungen so aufeinander
abgestimmt werden, dass sich Erwerbsarbeit immer rechnet. Dabei darf die Belastung mit
Steuern und Abgaben nicht sprunghaft steigen. Und wir streiten dafür, Berufe aufzuwerten,
die heute noch meist von Frauen ausgeübt werden, beispielsweise in der Erziehung, der Pflege
oder im Gesundheitssystem, und sie besser zu bezahlen. Wir wollen, dass Arbeit auf Abruf
nicht mehr möglich ist, wenn die Tätigkeiten mit normalen Arbeitsverhältnissen erledigt
werden können, etwa über die Nutzung von Arbeitszeitkonten.
Die Regulierung von Arbeit wollen wir an die Herausforderung der Digitalisierung anpassen.
Dafür braucht es schärfere Abgrenzungskriterien von (Solo-)Selbstständigkeit sowie eine
Neudefinition des Arbeitnehmer*innen-Begriffs. Gesetzliche Mindesthonorare sollen für
Selbstständige ein Schutz vor Dumping und Ausbeutung sein, genauso wie der gesetzliche
Mindestlohn es für Beschäftige ist. Auch sollten sich die Auftraggeber*innen an den
Sozialversicherungsbeiträgen beteiligen.
Durch Digitalisierung entsteht ein großes Potenzial, Arbeitszeit weiter zu verkürzen, sie
mit anderen Lebensbereichen besser zu vereinbaren und Arbeit umzuverteilen, sowohl Erwerbs-
als auch Sorge-Arbeit. Dabei ist uns besonders wichtig, dass es auch zu einer gerechteren
Aufteilung von Erwerbs- und Sorge-Arbeit zwischen den Geschlechtern kommt. Wenn Arbeit
besser ins Leben passt, sind die Beschäftigten produktiver, weniger gestresst und
engagierter. Auch der wachsende Fachkräftebedarf kann so besser bewältigt werden.
Wir brauchen nicht noch mehr Verfügbarkeit von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern rund um
die Uhr. Zum Schutz der Gesundheit braucht es auch im digitalen Zeitalter eine Grenze für
die tägliche Höchstarbeitszeit sowie ausreichende Ruhezeiten ohne Unterbrechung. Wir wollen
mehr Arbeitszeitsouveränität für die Beschäftigten und fordern eine Wahlarbeitszeit zwischen
30 und 40 Wochenstunden. Damit wird die Vollzeit neu definiert und zu einem flexiblen
Arbeitszeitkorridor umgestaltet. Ein Rückkehrrecht von Teilzeit-Beschäftigten auf ihre
vorherige Stundenzahl ist notwendig, damit sie beruflich wieder voll durchstarten können.
Die von der großen Koalition eingeführte Brückenteilzeit nur für große Betriebe genügt
diesen Anforderungen bei weitem nicht. Der überwiegende Teil der Beschäftigten (insbesondere
Frauen) wird aufgrund der Einschränkungen das Recht auf Rückkehr in Vollzeit nicht in
Anspruch nehmen können. Wir wollen außerdem, dass die Hälfte der Plätze in den
Führungspositionen von Unternehmen mit Frauen besetzt werden, Deshalb braucht es
verbindliche Frauenquoten für Aufsichtsräte und vergleichbare Regelungen auch für Vorstände.
Durch die Digitalisierung wird es auch einfacher für die Beschäftigen, von zu Hause zu
arbeiten. Wir werden deswegen ein Recht auf Home-Office einführen.
Beschäftigte am Wohlstand beteiligen
Eine verbesserte Mitarbeiterbeteiligung an Unternehmen kann sowohl dem Fachkräftemangel als
auch einer ungleichen Vermögensentwicklung entgegenwirken. Sie ist ein Weg, um die
Bevölkerung besser am gesellschaftlichen Produktivvermögen zu beteiligen. Bislang sind wir
im europäischen Vergleich jedoch Schlusslicht bei der Mitarbeiterbeteiligung. Wir wollen
daher den steuerlichen Freibetrag für die Überlassung von Mitarbeiterbeteiligungen deutlich
anheben. Außerdem wollen wir eine Plattform schaffen, um Beispiele von erfolgreichen
Beteiligungsmodellen besser zugänglich zu machen und interessierten Unternehmen mehr
Informationen bereit zu stellen.
5. Eine neue Gründerzeit ermöglichen
Viele kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) treiben den ökologischen Wandel voran
und schreiben schon heute mit grünen Ideen schwarze Zahlen. Sie schaffen neue Arbeitsplätze,
die auch morgen noch bestehen. Wir wollen sie mit einem steuerlichen Forschungsbonus
unterstützen, die Chancen von ressourcensparenden und emissionsarmen Produkten und Verfahren
zu nutzen und sie mit einfacheren Abschreibungsregeln, Vereinfachungen bei der Umsatzsteuer
und guten Bedingungen für Mitarbeiterbeteiligungen entlasten. In Strukturwandelregionen
wollen wir die regionale Wirtschaftsförderung stärken, damit es lokal ansässigen Unternehmen
schnell gelingt, den neuen Marktanforderungen gerecht zu werden. Gerade die kleinen und
mittleren Unternehmen im Handwerk sind unverzichtbar. Sie realisieren die Energiewende,
sorgen für fachgerechte Wärmedämmung und sind regionaler Partner für die Landwirtschaft.
Damit Handwerksberufe wieder attraktiver werden setzen wir auf eine stärkere Tarifbindung
und branchenspezifische Mindestvergütungen. Die Handwerksbetriebe sollen bei der Ausbildung
und Gewinnung von Auszubildenden stärker beraten, unterstützt und begleitet werden. Durch
einen Rechtsanspruch auf einen schnellen Breitband-Internetanschluss sorgen wir dafür, dass
das Handwerk auch im ländlichen Raum online ist.
Gründer*innen fördern
Wir brauchen eine neue Gründer*innenwelle. Keine gute Idee darf an zu wenig Eigenkapital
scheitern. Wir fordern daher eine schnelle Einführung des unbürokratischen
Gründungskapitals, welches Gründer*innen einen Einmalbetrag bis maximal 25.000 Euro
sicherstellt, unter der Voraussetzung einer Wirtschaftlichkeitsprüfung.
Frauen sind erfolgreiche Gründerinnen, bei Gründungen von Unternehmen jedoch
unterrepräsentiert. Nur 15 Prozent der Startups in Deutschland werden laut Female Founder
Monitor von Frauen gegründet. Bei einer solch niedrigen Quote entgeht Deutschland ein großes
Potenzial an innovativen Unternehmen. Öffentliche Fördergelder erreichen in der Regel eher
männliche als weibliche Gründer*innen. Wir schlagen vor, einen staatlich geförderten
Wagniskapitalfonds zu schaffen, der sich nur an Gründerinnen richtet. Irland hat mit diesem
Modell gute Erfahrungen gemacht. Nach einem Zeitraum von fünf Jahren sollte überprüft
werden, ob der Fonds einen nachhaltigen Effekt hatte. Jede fünfte Gründerin und jeder fünfte
Gründer hat eine Einwanderungsgeschichte. Für sie wollen wir ein zugeschnittenes
Beratungsangebot schaffen.
Der Staat ist durch die öffentliche Beschaffung von Produkten und Dienstleistungen ein
wichtiger Impulsgeber für die Wirtschaft. Die öffentliche Hand kann durch die
Auftragsvergabe eine aktive Vorbild- und Lenkungsfunktion erfüllen, eine nachhaltige
Wirtschaftsweise stärken und Innovationen fördern. Wir wollen, dass Vergabeverfahren so
gestalten werden, dass der Bund im Rahmen seiner öffentlichen Auftragsvergabe und
Ausschreibungen Startups und jüngere Unternehmen, neue Technologien und innovative
Geschäftsmodelle stärker berücksichtigt. Vergabelose sollten KMU-freundlich ausgeschrieben
werden.
Wir fordern Startup-Zentren ähnlich der französischen Station F, die Gründer*innen den
notwendigen Arbeitsraum zur Verfügung stellen. Wir fordern zwei Jahre Befreiung von nicht
unbedingt nötigen Melde- und Berichtspflichten und wollen die Gründungsberatung und
-förderung aus einer Hand in „One-Stop-Shops“ ermöglichen, damit Gründer*innen Zeit zum
Gründen haben. Ausgründungen aus Hochschulen und Kooperationen von Gründer*innen und
Hochschulen sollen durch bessere Beratung und Betreuung gefördert werden, damit zum Beispiel
Labore zur Mitnutzung geöffnet werden. Die heutige Gründungsförderung ist stark auf
technologieorientierte Startups zugeschnitten. Wir wollen die bestehenden Förderinstrumente
neutraler ausgestalten und damit stärker als bisher zum Beispiel sozial orientierte
Unternehmen oder die Kreativwirtschaft fördern.
Wir wollen die freiwillige Arbeitslosenversicherung weitgehend für Selbständige öffnen und
erreichen, dass anderweitig nicht abgesicherte Selbständige in die gesetzliche
Rentenversicherung einbezogen werden. Und wir brauchen in Deutschland auch eine Kultur des
Scheiterns. Das Insolvenzrecht muss so gestaltet sein, dass es schneller Neuanfänge
ermöglicht.
Für die erfolgversprechendsten Startups wollen wir einen Europäischen Startup-Pass
einführen. Dieser soll ihnen die Möglichkeit geben, an allen europäischen Startup-
Förderprogrammen teilzunehmen und Unterstützung durch Inkubatoren zu erhalten. Sie sollen
außerdem breite Unterstützung durch Informationen und Beratung zur Rechtslage und zu
Patenten bis hin zu vereinfachten Visa für ausländische Mitarbeiter*innen des Startups
bekommen. Ausländischen Startups sollen neben einem Europäisches Startup-Visum auch Beratung
und finanzielle Unterstützung angeboten werden, damit sie sich in Europa ansiedeln.
Verwaltung kooperativer gestalten
Zugleich kann die öffentliche Verwaltung innovativer und kooperativer werden. Wir fordern
daher ein deutsches GovTech-Programm nach dänischem Vorbild. So sollen
Technologieunternehmen und Startups mit innovativen Lösungen den Ministerien helfen,
bestimmte Fragestellungen und Herausforderungen, mit denen sie konfrontiert sind, zu lösen.
Unser Ziel ist die vollständige elektronische Abwicklung in der Verwaltung. Das spart
Unternehmen, Bürger*innen und der Verwaltung viel Zeit und Geld.
Bei der Regulierung soll das Prinzip der Verhältnismäßigkeit gelten: Große Unternehmen
können komplexe Anforderungen erfüllen, kleinere Unternehmen und den Mittelstand wollen wir
gezielt entlasten. Für die Gründungsphase eines Unternehmens wollen wir bestimmte
Regulierungen ganz aussetzen. Genehmigungsverfahren wollen wir beschleunigen. Wir werden
nicht nur den Unternehmen Fristen setzen, sondern verstärkt auch der Verwaltung. Verpasst
die Verwaltung die Frist, gilt die Genehmigung automatisch als erteilt.
Wagnisse ermöglichen
Wir müssen nicht nur technologisch exzellent sein, sondern bahnbrechende Technologien auch
in neue Geschäftsmodelle, Märkte, Dienstleistungen und Produkte umwandeln können.
Fördermöglichkeiten und Netzwerke für Startups und junge Unternehmen können den Unterschied
zwischen einer guten Idee auf dem Flipchart und einem weltweit erfolgreichen Unternehmen
ausmachen.
Startup-Förderung braucht Anschubfinanzierung und eine starke Finanzierung in der
Wachstumsphase. Wir wollen mit einem öffentlichen Zukunftsfonds eine Investitionswelle im
Venture Capital Markt auslösen. Dieser Fonds soll als eine Art stille Teilhaber*in jungen
und wachsenden Startups das nötige Eigenkapital bereitstellen. Das verhindert, dass unsere
Startups auf ausländische Geldgeber angewiesen sind, aufgekauft werden und das
technologische Know-how ins Ausland fließt. Wenn ausländische Konzerne ein europäisches
Startup übernehmen, sollen sie einen Ausgleich für die Fördermittel zahlen, die das Startup
von europäischer und nationaler Ebene bekommen hat.
Der Fonds soll mit Eigenkapital ausgestattet werden und sich dann weiteres Kapital günstig
am Finanzmarkt leihen. Seine Gewinne sollen vollständig das eigene Kapital weiter
aufstocken. Der Zukunftsfonds soll politisch unabhängig gemanagt werden. Unser unabhängig
verwalteter Bürgerfonds für eine stabile und rentable Anlagemöglichkeit soll in den
Zukunftsfonds investieren können und auch andere Investitionen im Venture-Capital-Bereich
finanzieren können. Über die Trennung von Zukunftsfonds und Bürgerfonds verhindern wir
problematische Interessenskonflikte zwischen industriepolitischen Zielen und dem
Bürgerfonds.
Auch Crowdfunding kann – vor allem wenn reward-basiert – neue Finanzierungsquellen für junge
Unternehmen erschließen. Wir wollen dafür sorgen, dass öffentliche Förderungen von
Gründungen und von Forschung mit Crowdfunding kombiniert werden können.
Gute Bedingungen für gute Ideen schafft auch der europäische Binnenmarkt mit über 500
Millionen Menschen, die sich daran beteiligen. Der Wagniskapitalmarkt der EU ist derzeit in
viele kleine nationale Märkte zersplittert. Wir wollen die nationalen Förderinstrumente
koordinieren und abstimmen. Mittelfristig streben wir einen großen europäischen
Wagniskapitalfonds an und wollen die EU zum größten Venture-Capital-Markt der Welt machen.
6. Digital von der Null zur Eins werden
Wir setzen uns für eine Politik der technologischen Souveränität Europas ein und plädieren
für eine starke europäische Digitalinfrastruktur. Anstatt sich zum Beispiel bei Cloud-
Diensten zwischen Amazon oder Alibaba entscheiden zu müssen, wollen wir eine eigene
europäische Cloud-Infrastruktur aufbauen. Diese soll unseren Unternehmen eine effiziente und
sichere Alternative zu den amerikanischen und chinesischen Anbietern sein.
Dabei setzen wir unsere Priorität auf die Stärkung der europäischen Halbleiterindustrie.
Halbleiter sind im digitalen 21. Jahrhundert das, was Rohöl im analogen 20. Jahrhundert war:
eine kritische Ressource. In Ostdeutschland haben wir einen der größten Standorte für die
Halbleiterproduktion in Europa. Wir wollen diese Stärke stärken, indem wir die Forschung und
Entwicklung von ultraeffizienten Chips fördern und den Mikroelektronik-Cluster in Dresden
stärken.
Vielfalt und Offenheit statt digitaler Monopole
Die Digitalisierung hat datenbasierte Plattform-Geschäftsmodelle hervorgebracht, die eine
Tendenz zum Monopol aufweisen. So erfordern es Wettbewerb und moderner Verbraucherschutz,
dass die Grundsätze der Interoperabilität – wie wir sie aus dem Mobilfunk kennen – auch bei
online-gestützten Angeboten gelten. Was heute bei Telefon, SMS und Mail selbstverständlich
ist, muss zum Beispiel auch bei Messenger-Diensten oder sozialen Netzwerken gewährleistet
werden, nämlich unkompliziert zwischen Anbietern und Plattformen kommunizieren und wechseln
zu können.
Auch digitale Großkonzerne müssen sich an das europäische Ordnungsrecht halten. Deshalb
setzen wir uns für eine faire Besteuerung digitaler Großkonzerne ein, die bisher von der
Bundesregierung verhindert wird.
Infrastrukturen sind eine öffentliche Aufgabe. Dieses Prinzip, das bei Stromnetzen oder
Straßen selbstverständlich ist, muss im digitalen Bereich neu ausgehandelt werden. Wenn
Google seine dominierende Stellung bei Handy-Betriebssystemen oder Amazon seine beim Verkauf
über den Marketplace ausnutzt, müssen wir dem einen Riegel vorschieben. Den lokalen
Einzelhandel werden wir vor unfairem Dumpingwettbewerb von Amazon und Co. schützen. Ziel ist
es, privatisierte Marktplätze wieder öffentlich zugänglich zu machen. Außerdem werden wir
die Gebühren für Plattformen mit weitreichender Marktmacht regulieren, damit die Gewinne von
kleinen Unternehmen nicht von den Plattformbetreibern abgeschöpft werden können.
Google und Facebook dominieren mittlerweile den Markt für Onlinewerbung. Kaum ein
Unternehmen kann es sich noch leisten, nicht über sie online für die eigenen Produkte zu
werben. Ein solches Oligopol muss reguliert werden. Wir wollen in Europa eine gesetzliche
Grundlage für Onlinewerbung schaffen.
Standards für die datengetriebene Wirtschaft
So, wie wir mit der Datenschutzgrundverordnung unseren europäischen Rechtsrahmen in der
digitalen Welt stärken konnten, an die sich andere halten müssen, wollen wir auch ethische,
gesellschaftliche und sicherheitspolitische Grundregeln für intelligente Maschinen und
Algorithmen auf EU-Ebene etablieren. Dazu gehören Regeln bezüglich der Haftung, Transparenz,
Nicht-Diskriminierung und Überprüfbarkeit algorithmischer Entscheidungen sowie essentielle
Cybersicherheitsstandards.
Wir wollen einen einheitlichen europäischen Rechtsrahmen für datengetriebene
Geschäftsmodelle schaffen. Daten sind Schlüsselressource der digitalen Welt, insbesondere
für Technologien wie die künstliche Intelligenz. Daher plädieren wir für die Bereitstellung
öffentlicher, anonymisierter bzw. pseudoanonymisierter Daten, damit dadurch neue
Innovationen und Geschäftsmodelle entstehen. Open-Data ist eine Grundvoraussetzung, damit
europäische Unternehmen etwa bei künstlicher Intelligenz noch zum Silicon Valley
aufschließen können. Die Bundesregierung muss bei Innovationen und neuen technologischen
Lösungen im Bereich des öffentlichen Sektors vorangehen. Dafür muss sie auch die bei
öffentlichen Stellen erfassten Daten in einer datenschutzkonformen Weise (anonymisiert) der
Allgemeinheit zur Verfügung stellen. So können Startups, Unternehmen und
Forschungseinrichtungen diesen Datenschatz für die Entwicklung innovativer Technologien
nutzen. „Sharing is Caring“ gilt an dieser Stelle ganz besonders.
„Private Daten schützen, öffentliche Daten nützen“ gilt auch für Unternehmen. Wir wollen
eine Datenökonomie stärken, die nach diesem Prinzip organisiert ist. Dafür wollen wir
Definitionen von Normen, Standards und Schnittstellen zum Datenaustausch zwischen
Unternehmen, Forschungseinrichtungen und öffentlicher Hand zur kooperativen Datennutzung
fördern. Mit der Macht über Daten werden heute Monopolstellungen geschaffen. Wir wollen
gesetzlich regeln, welche Daten als öffentliches Gut anzusehen sind.
IT für grüne Ziele nutzen
Wir wollen die Digitalisierung nutzen, um Ökonomie und Ökologie weiter zusammenzuführen. Die
Digitalisierung schafft enorme Chancen für Ökoeffizienz und Kreislaufwirtschaft. Dafür
wollen wir ein EU-Förderprogramm, das sich exklusiv dem ökologischen Potenzial der
Digitalisierung widmet und die Ökoeffizienz in Unternehmen fördert. Die Digitalisierung kann
zum ökologischen Umbau unserer Gesellschaft beitragen. Wenn wir nicht handeln, besteht aber
das Risiko, dass die Digitalisierung zum Treiber von Klimakrise und Umweltzerstörung wird.
Derzeit werden wertvolle Rohstoffe zunehmend für die Digitalisierung gebraucht und der
Energiebedarf für digitale Prozesse wächst jedes Jahr massiv. Expert*innen zufolge wird der
digitale Energiebedarf bis zum Jahr 2040 die weltweite Energieproduktion übersteigen, wenn
wir nicht umsteuern.
Wir wollen als Teil der Energiewende energiearme IT-Technik voranbringen und eine
europäische „Green-IT“-Strategie auflegen. Darüber hinaus setzen wir uns für „Green-IT“-
Kriterien bei der öffentlichen Vergabe und ein Label für energieeffiziente, nachhaltige
Rechenzentren ein. Denn gerade die Digitalisierung bietet auch ein erhebliches Potenzial für
den Klimaschutz und zur Einsparung von Treibhausgasen und Ressourcen.
Allein durch die Digitalisierung könnten die globalen CO2-Emissionen bis 2030 gegenüber
jetzigen Prognosen um 20 Prozent sinken. Studien gehen von 15 bis 20 Prozent
Energieeinsparung durch Gebäude-Klimamanagementsysteme aus. Um 25 bis 30 Prozent könnte der
Energieverbrauch der Industrie durch IT-gesteuerte Prozessoptimierung sinken, indem
Maschinen intelligent miteinander vernetzt werden. Dieses Potenzial wollen wir konsequent
nutzen.
Bei großen Unternehmen ist es längst selbstverständlich, dass Videokonferenzen in vielen
Fällen Reisen per Bahn oder Flugzeug ersetzen. Das spart Zeit und Kosten, entlastet die
Mitarbeitenden und schont zugleich die Umwelt. Mit den selbstfahrenden Autos von morgen
bietet sich durch Vernetzung, Carsharing und zusätzlich flexible öffentliche
Nahverkehrsangebote gerade im ländlichen Raum die Chance, viele Privatfahrten im Auto zu
ersetzen. Die Digitalisierung kann die Energiewende in Form intelligenter Netze unterstützen
oder dabei helfen, Transportketten zu optimieren und etwa Leerfahrten zu verhindern.
Cybersicherheit für die Industrie
Es braucht dringend ein umfassendes Paket zur Stärkung der Cybersicherheit unserer
Industrie. Dies umfasst die Einrichtung eines europäischen Forschungsverbunds für
Cybersicherheit, in dem das Nationale Forschungszentrum in Darmstadt integraler Teil wird,
um die Entwicklung von Technologien und industriellen Fähigkeiten im Bereich der
Cybersicherheit zu fördern. Außerdem wollen wir ein in allen Mitgliedstaaten anerkanntes EU-
weites Zertifizierungssystem für Produkte und Dienstleistungen sowie umfassende
Beratungsangebote einführen.
7. Die Technik von morgen entwickeln
Um den Wirtschaftsstandort Deutschland in die Zukunft zu führen, müssen wir auch für
Forschung und Entwicklung die richtigen Rahmenbedingungen setzen. Technologiedurchbrüche,
Innovation und Neues entstehen nicht allein in Forschungsabteilungen, Vorstandsebenen oder
Regierungsagenturen. Sie entstehen in Ökosystemen. Es geht darum, Kooperationen zu fördern,
die Arbeit in isolierten Fach-Communities aufzubrechen, Wissen zu teilen und von der
Erfindung nahtlos in die Umsetzung zu kommen. Wir fordern daher mehr interdisziplinäre
Forschungsplattformen, an denen sich insbesondere Hochschulen, freie Forschungsinstitute,
zivilgesellschaftliche Organisationen und Unternehmen beteiligen können. Darüber hinaus sind
Reallabore und Experimentierräume in der Forschung notwendig, damit bahnbrechende neue
Technologien auch gleich in der Umsetzung getestet werden können. Um diese zu fördern,
schlagen wir eine eigene Förderlinie vor.
Alle heute genutzten Technologien beruhen auf öffentlicher Grundlagenforschung. Auch in
Europa und Deutschland sollte die öffentliche Hand massiv investieren, gerade da, wo Märkte
versagen: bei risikoreicher Forschung, öffentlicher Infrastruktur, Sprunginnovationen. Für
diese Jahrhundertaufgabe müssen deutsche und europäische Förderprogramme ambitionierter,
risikofreudiger und agiler werden. Es geht uns dabei um einen gezielt agierenden, proaktiven
und unternehmerischen Staat, der unternehmerisches Risiko eingeht und als Leadinvestor ein
innovationsfreundliches Umfeld auch für private Unternehmen und ihre Ideen schafft.
In Zukunftstechnologien und digitale Infrastruktur investieren
Europäische Kooperation ist die Grundvoraussetzung, um auf den Technologiemärkten des 21.
Jahrhunderts mithalten zu können. Wir wollen deswegen wieder intensiv in den Wissens- und
Innovationsstandort Europa investieren und die Mittel des kommenden europäischen
Forschungsrahmenprogramms auf 120 Milliarden Euro aufstocken. Damit wollen wir ein
schlagkräftiges Nachfolgeprogramm zu „Horizon 2020“ etablieren, das besonders die
Grundlagenforschung in wirtschaftlichen Schlüsselfeldern wie der künstlichen Intelligenz,
der Robotik, Quantentechnologie sowie der Bio- und Nanotechnologie fördert.
Es bleibt daher ein Fehler, dass die Bundesregierung die Vorschläge vom französischen
Präsidenten, eine europäische Agentur für Sprunginnovationen und ein deutsch-französisches
KI-Zentrum zu etablieren, nicht angenommen und ernsthaft verfolgt hat. Stattdessen hat die
große Koalition eine allein national ausgerichtete Agentur für Sprunginnovationen etabliert.
Wir fordern, dass diese nun zumindest mit den europäischen Institutionen und Initiativen eng
verzahnt wird. Auch sind die geplanten 500.000 Euro Förderung für ein virtuelles deutsch-
französisches KI-Netzwerk viel zu wenig, um die besten Forscherinnen und Forscher
zusammenzubringen und tatsächlich Synergien zu etablieren.
Schnelles Netz ist die Grundlage für alles – Industrie, Mobilität, Landwirtschaft, digitale
Verwaltung, Teilhabe, ökonomischer Erfolg. Für Unternehmen ist der Breitbandausbau eine
harte Standortfrage. Und oftmals sind es gerade die ländlichen Regionen, die von schnellem
Internet abgehängt sind. Von der flächendeckenden Grundversorgung, die die Bundesregierung
versprochen hatte, sind wir weit entfernt. Für die digitale Infrastruktur Glasfaser und 5G-
Mobilfunk gibt es erhebliche Investitionslücken. Damit der Glasfaserausbau schneller
vorankommt, brauchen wir eine solide Finanzierung. Dies wollen wir dadurch ermöglichen, dass
der Bund seine Anteile an der Telekom verkauft, und sie in eine Ausbaugesellschaft für
Glasfaser investieren.
Neue Wege beim Urheberrecht
Wir wollen zudem in der Forschungsförderung stärker Output-basierte Modelle erproben und
beispielsweise Prämien für die Lösung von Zukunftsfragen öffentlich ausloben. Ferner wollen
wir eine weitgehende Verfügbarkeit von Basisinnovationen ermöglichen und dafür Open-Source-
Lösungen fördern. Wer sich verpflichtet, seine Forschungsergebnisse gebührenfrei der
Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen, erhält im Gegenzug großzügigen Zugang zu
Fördermitteln. Ein Beispiel, wie eine solche gemeinwohlorientierte Lizensierung gestaltet
werden kann, sind die Creative Commons Lizenzen, die seit Jahren erfolgreich die Rechte von
Urheber*innen waren und gleichzeitig Inhalte für andere zugänglich und nutzbar machen.
Auch dem Mittelstand wollen wir den Weg frei machen für eine Investitionsoffensive in
Forschung, Entwicklung und Innovation. Wir wollen die steuerliche Förderung bei Forschung
und Entwicklung nicht wie die große Koalition auch Großkonzernen gewähren, sondern explizit
den KMUs. Bei der Auftragsforschung sollen auch die Auftraggeber*innen einen Teil des
Steuerbonus geltend machen können.
8. Gleichwertige Lebensverhältnisse in Ost und West, Stadt und Land
Gemeinsam können wir dafür sorgen, dass Stadt und Land, dass strukturschwache und
wirtschaftsstarke Regionen nicht weiter auseinanderdriften. In den deutschen Kommunen klafft
eine öffentliche Investitionslücke bei der Infrastruktur von 138 Milliarden Euro. So viel
Geld fehlt in Kitas, Straßen, Brücken oder Spielplätzen, allein um die Substanz zu erhalten.
Viele Kommunen können das nicht finanzieren. Damit werden wir unserer Verpflichtung nach
gleichwertigen Lebensverhältnissen nicht überall im Land gerecht, was vor allem
strukturschwache Regionen, gerade in Ostdeutschland, betrifft.
Eine neue Gemeinschaftsaufgabe „regionale Daseinsvorsorge“ soll dem Bund erlauben,
strukturschwache Regionen finanziell zu unterstützen. Dafür wollen wir eine Kompetenzagentur
schaffen, welche die Kommunen bei der Planung von Investitionen und dem Abruf von
Fördermitteln unterstützt. Eine Förderung über alle Regionen hinweg führt oft dazu, dass
stärkere Regionen aufgrund ihrer funktionierenden Infrastruktur und Verwaltung die Mittel
als erstes beantragen und bekommen, während die schwächeren Regionen dann das Nachsehen
haben. Wir wollen die Förderung auf die wirklich strukturschwachen Regionen ausrichten. Die
beste Förderung hilft nicht, wenn die Mittel nicht dort ankommen, wo sie wirksam werden
sollen.
Wir wollen die aktuelle Förderung von ihrer Projektorientierung hin zu Prozessen ausrichten,
damit Projekte vor Ort langfristig gesichert sind und das Engagement der Leute vor Ort
nachhaltig gefördert wird. Daneben soll ein Altschuldenfonds Kommunen mit hohen Altschulden
neue Spielräume eröffnen, indem der Bund einen Teil der Schulden übernimmt, aber auch die
Verantwortung der Länder zum Tragen kommt sowie berücksichtigt wird, dass einige
Landesregierungen dies bereits aus eigener Kraft getan haben. Der Bund kann sich zu sehr
niedrigen – momentan sogar negativen – Zinsen finanzieren, und so den Kommunen wieder Luft
zum Atmen verschaffen. Die regionale Wirtschaftsförderung wollen wir neu ausrichten und
Regionen, die einen starken Strukturwandel zu bewältigen haben, mehr in den Blick nehmen.
Entscheidend für die Ansiedlung von Unternehmen ist nicht der Scheck vom Staat, sondern eine
exzellente Infrastruktur und gut ausgebildete Fachkräfte vor Ort. Wo es keinen Datenhighway
gibt, kann sich heute kein Unternehmen mehr ansiedeln.
Für die Lausitz hieße das zum Beispiel, dass man von den kleinen Orten schnell nach Cottbus
kommen kann, und von Cottbus schnell mit der Bahn nach Berlin. Schnelles Internet und das
digitale Büro würden es mit einem Arbeitsplatz in Berlin ermöglichen, an der
mecklenburgischen Seenplatte zu wohnen. Gute Bahnverbindungen würden die gelegentliche,
zügige Fahrt zur Firma erlauben. Wir wollen die regionalen Zentren stärken und zu
Ankerpunkten in den Regionen mit breitem Angebot an öffentlichen und kulturellen
Dienstleistungen machen. Wir wollen auch Universitäten und Fachhochschulen ansiedeln bzw.
erweitern, denn sie können einen Wissenstransfer in die lokale Wirtschaft organisieren.
Gleichzeitig bringen die gut ausgebildeten Studierenden eigene Geschäftsideen mit oder sind
künftige Fachkräfte für die lokale Wirtschaft. So kann es auch gelingen, junge Zugewanderte
zu motivieren, etwa in die Uckermark oder nach Ostsachsen zu ziehen.
9. Mit einer gemeinsamen Industriestrategie die Stärke des europäischen Binnenmarktes nutzen
Der Kern einer guten Industriepolitik liegt in der Stärkung der eigenen Innovationskraft,
nicht in der Abwehr von Konkurrenz. Trotzdem ist es wichtig, dass Deutschland und Europa
faire Regeln entwickeln und diese dann nach innen und außen durchsetzen.
Der europäische Binnenmarkt ist der größte gemeinsame Wirtschaftsraum der Welt. Kein großes
globales Unternehmen kann es sich leisten, auf diesem riesigen Markt nicht vertreten zu
sein. Den Europäischen Binnenmarkt müssen wir nutzen, um Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und
faire Spielregeln zu stärken, anstatt uns von nationalen Interessen auseinanderdividieren zu
lassen.
Wer auf dem europäischen Markt mitspielen will, muss den europäischen Regeln folgen. Mit der
Datenschutzgrundverordnung haben wir gezeigt, wie das geht. Entweder halten sich Unternehmen
daran, oder ihnen wird der Zugang zum Markt verwehrt. Mittlerweile macht die DSGVO
international Karriere.
Die Europäische Union muss dafür als starke und geeinte Akteurin gemeinsame Standards für
eine zukunftsfähige Wirtschaft entwickeln – statt Empfängerin der strategischen
Entscheidungen anderer zu sein. Wenn die USA auf einen finanzmarktgetriebenen Kapitalismus
und China auf autoritären Staatskapitalismus setzt, dann müssen wir uns nicht entscheiden,
sondern darauf eine europäische Antwort geben: mit einem Green New Deal für die sozial-
ökologische Marktwirtschaft.
Europa braucht eine gemeinsame Industriepolitik, deren Kern in der Stärkung der eigenen
Innovationskraft und der Durchsetzung von fairen Spielregeln für die Wirtschaft liegt – nach
innen wie nach außen. Ihre Ziele und Instrumente sollen sich an der Notwendigkeit einer
sozial-ökologischen Transformation der Wirtschaft orientieren. So kann der europäische
Binnenmarkt, auch aufgrund seiner Größe, zum Leitmarkt für die Welt werden.
Eine Industriestrategie zur Stärkung von Innovation und Nachhaltigkeit
Eine Industriestrategie muss in erster Linie Innovationen in Deutschland und Europa aktiv
vorantreiben, zum Beispiel durch ordnungspolitische Leitplanken und öffentliche Aufträge,
welche die Nachfrage nach neuen Technologien stimulieren. Sie soll dabei insbesondere auch
den ökologischen Wandel der Wirtschaft unterstützen, durch Maßnahmen wie eine langfristige
Klimaschutzstrategie, einen europaweiten CO2-Mindestpreis, oder die Förderung industrieller
Leuchtturmprojekte mit dem Ziel, Treibhausgasemissionen in den energieintensiven Branchen
abzubauen. Finanzmärkte müssen so reguliert werden, dass sich nachhaltige Investitionen
auszahlen und nicht benachteiligt werden. Auch die europäischen Investitionsprogramme müssen
auf Nachhaltigkeit getrimmt werden.
Eine Industriestrategie soll auch dafür sorgen, dass europäische Kräfte bei künstlicher
Intelligenz gebündelt werden und öffentliche Investitionen in europäische Gemeingüter
getätigt werden, wie in die Verkehrs-, Telekommunikations- und Energieinfrastruktur.
Rechtswidriger Steuerumgehung und Steuerbetrug erteilen wir eine Absage, denn auch
Unternehmen müssen sich angemessen an der Finanzierung öffentlicher Aufgaben beteiligen.
Auch gerechte Arbeitsbedingungen, Mindeststandards bei der sozialen Absicherung und eine
europäische Rückversicherung für die nationalen Arbeitslosenversicherungssysteme müssen Teil
einer solchen sozial-ökologischen Industriestrategie sein.
Wettbewerbsverzerrungen bekämpfen
Gegenüber staatlich subventionierten Monopolisten aus China und unregulierten
Digitalkonzernen aus den USA muss eine europäische Industriestrategie fairen Wettbewerb auf
dem europäischen Markt sicherstellen, zum Beispiel durch eine Weiterentwicklung der Anti-
Dumping- und Anti-Subventionsinstrumente, eine Reform der WTO und eine Schärfung der Regeln
im Kartellrecht. Auch muss die Europäische Union Wettbewerbsverzerrungen bei öffentlichen
Aufträgen stärker ahnden können. Ein Weg könnte sein, im Vergaberecht die Möglichkeiten zu
schaffen, Angebote aus Ländern, die ihre Firmen subventionieren, mit einem Aufschlag zu
versehen und auch bei Nicht-EU-Bietern hohe Arbeits- und Umweltstandards zu berücksichtigen.
Mittelfristig sollte das Prinzip der Gegenseitigkeit (Reziprozität) für Drittstaaten gelten,
damit es zu gleichen Wettbewerbsbedingungen kommen kann.
Kontrolle über kritische Infrastruktur
Ausländische Direktinvestitionen in Schlüsseltechnologien und kritische Infrastruktur
sollten besser überwacht werden. Der neue europäische Screening-Mechanismus für
Direktinvestitionen sollte in die deutsche Außenwirtschaftsordnung integriert und konsequent
angewandt werden. Denn wenn wir keine Kontrolle mehr über unsere kritische Infrastruktur
haben, haben wir ein riesiges Sicherheitsproblem, sind abhängig und im schlimmsten Fall
erpressbar.
Mit Blick auf die konkret anstehende Entscheidung zu 5G halten wir einen Ausschluss von
Huawei angesichts der chinesischen Rechtslage für unabdingbar. Viele kleinere europäische
Länder sind abhängig davon, wie Deutschland sich entscheidet. Zwar mag der Ausbau der
deutschen 5G-Netze durch Huawei kostengünstiger und schneller sein als durch europäische
Anbieter. In der Abwägung zwischen Fragen der wirtschaftlichen und technologischen Effizienz
und der außen- und sicherheitspolitischen Dimension einer solchen Entscheidung kommen wir
aber zu dem Schluss, dass die politische Einflussnahme und die bereits stattfindende
Spaltung Europas durch China nicht weiter zunehmen darf. Es geht auch darum, die
sicherheitsrelevante Infrastruktur nicht dem Zugriff eines Konzerns in einem autoritären
Staat zu überlassen. Und es wird auch über unsere wirtschaftliche Zukunft entscheiden, in
Europa noch Unternehmen zu haben, die in der Lage sind, die Technologien der Zukunft zu
bauen. Die Entwicklung von digitalen Standards ist systemrelevant.
Regulatorische Macht für sozial-ökologische Ziele
Auch global sollten wir Europäer*innen Regeln setzen und dazu unser gesamtes europäisches
Schwergewicht in die Waagschale werfen. Wer in Europa Produkte verkaufen will, muss fair
produzieren. Die Produktion muss im Einklang mit den Klimazielen von Paris stattfinden.
Menschen- und Arbeitsrechte und der Schutz der Umwelt müssen geachtet werden. Dafür braucht
es Handelsabkommen, die ökologische und soziale Standards gegenüber Handelspartnern
einklagbar machen und ein Lieferkettengesetz, das Transparenz und menschenrechtliche
Sorgfaltspflichten für Unternehmen rechtsverbindlich macht. Wir wollen den Einsatz neuer
Technologien fördern, die die Zwischenstufen im Produktionsprozess nachvollziehbar machen.
So verhindern wir zum Beispiel, dass bei uns Produkte verkauft werden, deren Vorprodukte mit
Kinderarbeit in Afrika hergestellt wurden.
Den Euro zur Leitwährung machen
Die wirtschaftliche Stärke Europas wird zentral davon abhängen, ob wir die Währungsunion
vollenden. Eine Währungsunion ohne makroökonomische Ausgleichsmechanismen kann nicht
funktionieren. Daher wollen wir eine gemeinsame europäische Fiskalpolitik für die Eurozone,
die im Abschwung beherzt gegensteuern, die Wirtschaft stabilisieren und europäische
Gemeingüter finanzieren kann. Diese Fiskalpolitik könnte sich auch über europaweite Steuern
wie eine Digitalkonzernsteuer, eine Finanztransaktionssteuer oder eine europäische
Körperschaftsteuer finanzieren. Investitionen des gemeinsamen Haushalts sollten für
europäische Gemeingüter wie den Klimaschutz, den Ausbau der erneuerbaren Energien,
Kommunikation und Internet oder die Schieneninfrastruktur eingesetzt werden. Ein
Eurozonenbudget, das stabilisiert und investiert, sollte mindestens ein Prozent des BIP der
teilnehmenden Staaten umfassen, um makroökonomisch wirksam zu sein.
Kaum ein Land in der EU profitiert so stark von der gemeinsamen Europäischen Währung.
Anstatt sich als Exportnation zu feiern, sollte Deutschland zum Wohle und Wohlstand aller
daher besonders in die Stärkung der Eurozone investieren. Für den Ausbau der paneuropäischen
Infrastruktur wie zum Beispiel grenzüberschreitender Strom- oder Bahnnetze macht es Sinn,
gemeinsame europäische Anleihen zu schaffen, über die ein Teil dieser Investitionen im
Rahmen des EU-Haushalts über Kredite finanziert werden kann. Mit einem großen Markt für
liquide europäische Anleihen kann es uns gelingen, den Euro zu einer Leitwährung zu machen,
was den globalen ökonomischen und politischen Einfluss der Union massiv stärken würde.
Den Europäischen Rettungsschirm ESM wollen wir zu einem vollwertigen Europäischen
Währungsfonds weiterentwickeln, im EU-Recht verankern und der demokratischen Mitbestimmung
und Kontrolle durch das Europäische Parlament unterwerfen. Wir brauchen eine gemeinsame
europäische Einlagensicherung. Sie soll als Rückversicherung ausgestaltet sein, damit die
europäische Sicherung erst eingreift, wenn die nationale überfordert ist. Die deutschen
Sparkassen und Genossenschaftsbanken können so weiter auf ihre bewährten
Institutssicherungssysteme setzen.
Für einen Ausgleich von makroökonomischen Ungleichgewichten innerhalb Europas und zur
Stärkung der europäischen Nachfrage muss Deutschland aktiv seinen überbordenden
Leistungsbilanzüberschuss reduzieren und den europäischen Partnern mehr Luft zum Atmen
lassen, und darf nicht zu einer einseitigen und spaltenden Sparpolitik zurückkehren. Um dies
zu erreichen wollen wir in Deutschland für faire Löhne besonders am unteren Ende der
Einkommensskala sorgen und die Investitionen hochfahren.
10. Fairer Wettbewerb statt Machtwirtschaft
Wettbewerb ist Grundlage der Marktwirtschaft und Motor des Fortschritts. Ein starkes
Kartellrecht, das fairen Wettbewerb sichert und die Konzentration wirtschaftlicher Macht
begrenzt, ist nicht nur für die Wirtschaft, sondern auch für das Funktionieren der
Demokratie wesentlich. Es hält Märkte offen und sorgt dafür, dass sich die beste Idee
durchsetzt und nicht stets der Platzhirsch. Fehlt der Wettbewerb, können Monopolisten hohe
Gewinne auf Kosten der Verbraucher*innen machen und Startups in ihrer Entwicklung behindern.
Eine exzessive Marktkonzentration geht einher mit der Konzentration von Vermögen und erhöht
die Ungleichheit. Und wer Märkte kontrolliert, kann auch politische Kontrolle ausüben und
Spielregeln mitbestimmen.
Das Wettbewerbsrecht braucht ein Update. Digitale Geschäftsmodelle ändern
Geschäftsbeziehungen und Wettbewerbsdynamik. Nutzer*innen zahlen für viele Dienste im
Internet nicht mit Geld, sondern mit Daten. Netzwerkeffekte machen einzelne Plattformen zu
Giganten mit riesigen Datenschätzen. Ihre Marktmacht können sie missbrauchen, um
Datenschutzbestimmungen abzusenken, Geschäftspartner*innen Preise zu diktieren oder
Konkurrent*innen auszubooten.
Wir wollen marktbeherrschende digitale Plattformen streng regulieren. Wenn sie anderen
Firmen den Marktzugang verwehren oder absurde Konditionen verlangen, müssen die
Kartellbehörden hart dagegen vorgehen. Damit die europäische Wettbewerbspolitik den
Anforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht wird, brauchen wir ein eigenständiges,
europäisches Kartellamt mit angemessenen Mitteln und Personal. Dieses Kartellamt soll auch
als europäische Digitalaufsicht fungieren, die natürliche digitale Monopole und Oligopole
regulieren kann.
Heute muss die Kartellaufsicht den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung nachweisen,
um ein Unternehmen entflechten zu können. Das ist in der Regel kaum möglich. Wir treten
daher dafür ein, dass Unternehmen auch unabhängig von einem Missbrauch aufgespalten werden
können, wenn ihre Marktmacht zu groß und zum Problem für Wirtschaft und Gesellschaft wird.
Das Facebook-Monopol ist beispielsweise so ein Fall. Wir wollen Instagram, Facebook und
WhatsApp wieder entflechten. Indem wir die Grundsätze der Interoperabilität, wie sie heute
bei Telefon, SMS und Mail selbstverständlich sind, auf Messenger-Dienste übertragen, wollen
wir den Markteintritt neuer Anbieter erleichtern und den Wettbewerb um die besten
Datenschutzbestimmungen entfachen.
Wir Grüne wollen, dass das Wettbewerbsrecht im Sinne der europäischen Verträge angewandt
wird. Umweltschutz und die Förderung einer nachhaltigen Entwicklung müssen dabei
berücksichtigt werden. Die Fusionen von Bayer und Monsanto sowie weiterer Agrochemiekonzerne
sind zum Beispiel nicht nur für den Wettbewerb problematisch, sondern auch für die Umwelt.
Fehlende Sortenvielfalt, Pestizideinsatz und Artensterben sind die Folgen.
Wer fairen Wettbewerb will, muss Foulspieler*innen vom Platz stellen. Der Abgasskandal hat
einmal mehr gezeigt, wie Unternehmen versuchen, fairen Wettbewerb durch Betrug zu umgehen.
Wir Grüne wollen solch gemeinwohlschädliches Verhalten strikt ahnden. Wir wollen eine
gesetzliche Regelung, welche die bessere Verfolgung und Sanktionierung von Straftaten
ermöglicht, die aus Unternehmen heraus begangen werden. Dabei muss der Staat seine Rolle als
fairer Schiedsrichter auch wahrnehmen. Der Abgasskandal ist auch ein Beispiel dafür, dass er
das nicht immer tut – denn er wurde erst durch die jahrelange Kumpanei von Autoindustrie,
Aufsichtsbehörden und Politik möglich. Und um den Einfluss von Lobbyist*innen und
Interessengruppen auf den Bundestag offenzulegen, wollen wir ein verpflichtendes
öffentliches Lobbyregister einrichten.
Bisher gibt es in Deutschland und Europa keine finanziellen Entschädigungen für die vom
Dieselskandal Betroffenen. Für Einzelne ist es oft viel zu schwer, das geltende Recht auch
zur Geltung zu bringen. So weigern sich etwa Fluggesellschaften, Entschädigungsansprüchen
nachzukommen. Auch auf unseren Druck hin ist es gelungen, in Deutschland erstmals
Musterfeststellungsklagen zu ermöglich. Sie sind aber unzureichend, denn immer noch muss
jede* Betroffene einzeln klagen. Daher wollen wir endlich Gruppenklagen ermöglichen, um das
Prozessrisiko auf viele Schultern zu verteilen.
11. Faire Welthandels- und Währungsordnung schaffen
Uns geht es um eine Re-Regulierung der Globalisierung. Die vergangenen Jahre haben gezeigt:
Eine unregulierte Globalisierung führt zur Ausbeutung von Menschen und Umwelt und
beschleunigt die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen. Die Wohlstandsgewinne aus
internationalem Handel sind ungleich verteilt. Rechtsextremisten und Nationalisten benutzen
die berechtigte Kritik an einer neoliberalen Globalisierung, um einen Rückfall in den
Nationalismus zu propagieren. Das ist die falsche Antwort. Wir stellen eine freiheitliche
und weltoffene Antwort dagegen. Richtig genutzt kann eine gute Handelspolitik Umweltschutz,
Klimaschutz, Menschenrechte, Arbeitnehmer*innenrechte und Wirtschaftsinteressen in Balance
bringen. Und so die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen erhalten, im globalen Süden
Gerechtigkeit schaffen und Demokratieverdrossenheit bekämpfen.
Doch hierfür brauchen wir eine Neuausrichtung der EU Handelspolitik. Das Mercosur-Abkommen,
das die EU unter anderem mit Brasilien abschließen will, ist das letzte fatale Beispiel
einer Agenda, die Liberalisierung, Deregulierung und hochproblematische
Konzernschiedsgerichte in den Mittelpunkt von Verträgen wie schon bei TTIP, CETA oder JEFTA
stellt, jedoch keine effektiven Schutzmechanismen für Klima, Umwelt, Menschenrechte,
Arbeitnehmer*innen und Verbraucher*innen enthält. Der brennende Amazonas führt uns diese
fatale Logik mehr als deutlich vor Augen, denn die zwischen der EU und den Mercosur-Staaten
vereinbarten Handelserleichterungen für Soja und Rindfleisch wirken für den Regenwald wie
ein Brandbeschleuniger. Wir wollen deshalb einen Importstopp von Agrarprodukten aus
gerodeten Gebieten des Amazonas sowie von Palmöl aus dem indonesischen Regenwald.
Mittlerweile wird auch immer mehr europäischen Regierungen klar, dass die
Nachhaltigkeitsklauseln im Abkommen zahnlos sind und für das Klima, den Regenwald und die
dort heimischen Indigenen keinen ausreichenden Schutz bieten, da es keinen wirkungsvollen
Sanktionsmechanismus gibt, durch den Handelserleichterungen zurückgenommen werden könnten.
Wir Grüne lehnen dieses Abkommen wie auch CETA und JEFTA in ihrer bisherigen Form ab, denn
trotz einzelner Verbesserungen erfüllen sie die Bedingungen an fairen Handel nicht.
Stattdessen ist es an der Zeit für ein Bündnis für fairen Handel – aufbauend auf den
Korrekturen, die es nach der umfassenden Kritik gerade auch der Zivilgesellschaft bereits
gegeben hat und die auch einige europäische Regierungen zum Umdenken gebracht haben.
Die EU sollte dabei nicht wie bisher auf ein Sammelsurium bilateraler Handelsverträge
setzen, sondern auf einen gemeinsamen plurilateralen Vertrag all derjenigen Staaten, die
bereit sind, Handel fair, offen und ökologisch sowie die Globalisierung gerecht zu
gestalten. Der Fokus muss auf diskriminierungsfreien Marktzugängen und Zollerleichterungen
liegen. Starke Regeln für faire Märkte gehören dabei zum Kern des Abkommens. Das beinhaltet
zentrale internationale Abkommen wie die ILO-Kernarbeitsnormen oder das Pariser
Klimaschutzabkommen. Handelserleichterungen könnten somit auch wieder aufgehoben werden,
wenn ein Handelspartner zum Beispiel den Klimavertrag von Paris aufkündigt oder dessen Ziele
nicht einhält. Das gleiche gilt für den Verstoß gegen Menschenrechte und auch für die Nicht-
Einhaltung von Mindeststandards für Umwelt und Arbeit.
Das Vorsorgeprinzip wollen wir zum Schutz von Umwelt und Verbraucher*innen für alle Teile
von Handelsverträgen geltend machen. Parlamente dürfen durch Regeln zur regulatorischen
Zusammenarbeit in Handelsabkommen nicht umgangen oder geschwächt werden. Faire
Handelspolitik lässt den Staaten, Regionen und Kommunen Freiräume, um Dienstleistungen so zu
organisieren und zu regulieren, wie sie das für richtig halten.
Statt einseitiger Sonderklagerechte für private Investoren (ISDS/ICS) setzen wir uns für
einen ständigen internationalen Handelsgerichtshof ein, vor dem auch Betroffene klagen
können, wenn Unternehmen gegen grundlegende Menschenrechte, Sozial- oder Umweltstandards
verstoßen.
Lieferkettengesetz einführen
Damit Menschenrechte und Umwelt in internationalen Lieferketten nicht länger unter die Räder
geraten, wollen wir gesetzliche Regeln zu Transparenz und Sorgfaltspflichten für Unternehmen
einführen. Das beinhaltet, dass die EU nachvollziehbare entwaldungsfreie Lieferketten
verbindlich durchsetzt. So kann bei Bruch von internationalen Verträgen und Verpflichtungen
ein Importstopp von Agrarprodukten wie zum Beispiel für Soja und Rindfleisch aus gerodeten
Gebieten des Amazonas verhängt werden. In der öffentlichen Beschaffung sollte Deutschland
mit gutem Beispiel voran gehen und nur noch Produkte aus nachweislich entwaldungsfreien
Lieferketten einkaufen.
Und wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie sich endlich aktiv am Prozess der
Vereinten Nationen zur Erreichung eines völkerrechtlichen Abkommens (UN Binding Treaty
Prozess) beteiligt, mit dem transnationale Konzerne und andere Wirtschaftsunternehmen für
Menschenrechtsverstöße zur Verantwortung gezogen werden sollen.
Handel nicht auf Kosten der Ärmsten
Handel ist ein wichtiger Motor von Entwicklung, wenn er läuft. Damit er aber anspringt, kann
es nötig sein, einzelne Sektoren durch Handelsbarrieren zu schützen, bis sie konkurrenzfähig
sind. Die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (WPA) sind dafür kontraproduktiv. Wir wollen
Entwicklungsländern genügend Raum lassen, durch Zölle und Quoten ihre Märkte zu schützen.
Gleichzeitig fordern wir, dass die EU ihre Zölle auf verarbeitete Produkte aus
Entwicklungsländern senkt oder abschafft, um die Produktion vor Ort zu fördern. Wir wollen
die regionale Integration von Entwicklungsländern fördern. Und wir bevorzugen die
Welthandelsorganisation und multilaterale Abkommen gegenüber bilateralen Handelsabkommen, da
die Interessen insbesondere ärmerer Länder ansonsten drohen, unter die Räder zu geraten.
Entwicklungschancen für rohstofffördernde Länder
Bei Gewinnung, Verarbeitung und Nutzung von Bodenschätzen geht es auch um
Entwicklungschancen für die rohstofffördernden Länder. Der überproportionale Verbrauch von
Rohstoffen in den Industrieländern gibt uns nicht das Recht auf überproportionalen Zugang.
Nur eine faire Verteilung gewährleistet auch eine langfristig friedliche Zukunft. Daher
setzen wir auf internationale und kooperative Lösungsansätze. Häufig geht der Abbau von
Rohstoffen mit gravierenden Menschenrechtsverletzungen einher. Die EU-Verordnung zu
Konfliktmineralien tritt 2021 in Kraft und ist ein wichtiger Schritt, um den schlimmsten
Verbrechen Einhalt zu gebieten. Wir setzen uns dafür ein, die Verordnung auszuweiten, denn
bisher sind nur vereinzelte Rohstoffe abgedeckt. Gleichzeitig ergeben sich auch Vorteile,
wenn der Zugang zu und der Handel mit Rohstoffen stabil und langfristig ist. Voraussetzung
dafür ist, dass die menschenrechtlichen, sicherheits-, umwelt- und demokratiepolitischen
Konsequenzen mitberücksichtigt und dafür jeweils Standards geschaffen werden. Diese müssen
auf verschiedenen Ebenen ansetzen: im Herkunftsland, bei Investor*innen und Unternehmen, im
Verbraucherland und auf internationaler Ebene.
Sichere und stabile Weltwährungsordnung schaffen
Nachdem in den 1970er Jahren das internationale Währungssystem „Bretton Woods“ aufgekündigt
wurde – es regelte die internationalen Finanz- und Wechselkursbeziehungen – waren die
Staaten nicht bereit, eine neue gemeinsame Ordnung zu etablieren. Stattdessen ließen die
großen Industrienationen ihre Wechselkurse weitgehend frei schwanken und die internationalen
Finanzinstitutionen setzten sich für einen unbeschränkten internationalen Kapital- und
Finanzverkehr ein. Regelmäßige Währungs- und Finanzkrisen haben seitdem die Welt erschüttert
und vor allem weniger entwickelte Länder wurden durch spekulative Kapitalflüsse in ihrer
Entwicklung immer wieder zurückgeworfen. Gleichzeitig sind die globalen
Handelsungleichgewichte explodiert und stellen einen neuen Herd der Instabilität dar. Wir
wollen international im Rahmen der G20 eine Diskussion über ein neues System stabilisierter
Wechselkurse anregen. In der Überzeugung, dass wir so Spekulation eindämmen, Entwicklung und
Handel fördern und Handelsungleichgewichte abbauen könnten.
Für die ärmsten Länder der Welt ist die öffentliche Entwicklungsfinanzierung zentral. Wir
streben eine Weltwährungsordnung an, die es nicht nur den wohlhabenden Ländern ermöglicht,
langfristige Investitionen auch langfristig und damit verlässlich zu finanzieren. Dafür
müssen kurzfristige, spekulative Finanzströme reguliert, verteuert und notfalls auch
verboten werden. Wir müssen uns gegen spekulative Attacken auf Staaten und ihre Währungen
absichern. Dafür braucht es globale öffentliche Institutionen. Hier sind aber keine
kurzfristigen Erfolge zu erwarten. Um dennoch schnell zu einer Veränderung zu kommen, wollen
wir, dass die Europäische Zentralbank die Auswirkungen ihrer Politik auf Entwicklungsländer
berücksichtigt und diese unterstützt. Entwicklungsländern, die durch ungerechtfertigte
Währungsspekulationen unter Druck geraten, soll sie zur Seite springen können, sofern es mit
den geldpolitischen Zielen vereinbar ist. Hierfür könnten zum Beispiel Devisenswap-
Vereinbarungen oder Art. 219 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union
(AEUV) zur Festlegung von Wechselkurspolitiken genutzt werden.
Die multilateralen Finanzinstitutionen IWF und Weltbank können beim Erreichen der globalen
Nachhaltigkeitsziele (SDGs) und dem weltweiten sozial-ökologischen Umbau eine entscheidende
Rolle spielen. Dafür müssen sie ihren Ankündigungen Taten folgen lassen und endlich den
Menschen dienen. Dazu gehört derzeit ganz konkret ihr Engagement konsequent am Pariser
Klimaabkommen auszurichten. Wir dürfen sie nicht aus der Verantwortung entlassen, selbst zu
einer stabilen, nachhaltigen und armutsmindernden globalen Finanzarchitektur beizutragen.
12. Stabile Finanzmärkte und sichere Anlagen
Banken und Finanzmärkte sollen dazu dienen, Bürgerinnen und Bürger attraktive
Sparmöglichkeiten anzubieten und Investitionen zu finanzieren. Mit geeigneten Regulierungen
und einer umfassenden Finanztransaktionssteuer wollen wir reine Spekulationsgeschäfte und
vor allem den Hochfrequenzhandel unattraktiv machen. Lokal agierende kleine und mittelgroße
Banken in Deutschland, und immer stärker auch wieder im Rest der EU, stellen für die meisten
Firmen die Kreditversorgung sicher. Deshalb wollen wir das Lokalbankenprinzip in ganz Europa
verankern. Öffentliche Banken sind dem Gemeinwohl in besonderer Weise verpflichtet.
Sparkassen sollen daher Gemeinwohlberichte erstellen und transparenter werden, was die
Offenlegung von Gehältern angeht.
Mit einem Regulierungssystem aus klaren, harten aber deutlich weniger komplexen Regeln
werden kleine Banken entlastet. Unsere Schuldenbremse für Banken – eine ungewichtete
Eigenkapitalquote von zehn Prozent – stellt sicher, dass genügend Sicherheitspolster
vorhanden sind. Großbanken müssen kleiner werden. Durch ein effektives Trennbankensystem,
hohe Eigenkapitalanforderungen und eine vollendete Bankenunion werden sie nicht mehr das
Finanzsystem gefährden können. Die Rettung von Banken mit Geld der Steuerzahler*innen gehört
dann der Vergangenheit an.
Mit den Möglichkeiten der Digitalisierung können neue Akteure auf den Finanzmärkten
entstehen bzw. wachsen. Sie machen für viele den Finanz- und Zahlungsverkehr einfacher und
schneller und bieten neue Anlagemöglichkeiten. Wir wollen hier klare Wettbewerbsregeln
schaffen, in welchen weder Banken noch große Tech-Unternehmen ihre dominante Stellung nutzen
können, um unliebsame Konkurrenten und Innovationen zu behindern. Die Einführung eines E-
Euros bietet Chancen beim Zahlungsverkehr und für neue innovative Dienstleistungen. Diese
von den Zentralbanken des Eurosystems eingeführte elektronische Währung soll auch vielen
Menschen im Alltag als einfaches, sicheres und bequemes Zahlungsmittel dienen. Privates Geld
wie etwa der von Facebook geplante Libra hingegen würde kein Problem lösen, aber potentiell
viele neue schaffen. Eine Verdrängung kleiner Unternehmen über die Währung eines Konzerns,
die Anhäufung von Zahlungsverkehrsdaten bei einem Unternehmen mit ohnehin schon
problematischer Datenmacht und die Aushöhlung des staatlichen Geld- und Währungsmonopols
lehnen wir ab und werden Libra nicht zulassen.
Versicherungen und Pensionsfonds stecken derzeit in finanziellen Problemen, weil sich ihre
Zinserwartungen nicht erfüllt haben. Die große Koalition hat widerholt Maßnahmen
eingeläutet, um die Krise der Versicherer einseitig auf Kosten der Kunden zu lösen. Diese
Politik lehnen wir entschieden ab. Wir werden im Falle einer Schieflage einer Versicherung
eine faire Lastenverteilung zwischen den Eigentümer der Unternehmen und der Kunden
gewährleisten. Das Volumen des Sicherungsfonds Protektor ist im Falle einer Krise viel zu
gering. Um Abhilfe zu schaffen, muss das Volumen des Fonds deutlich erhöht werden. Auch
sollte ein europäisches Rückversicherungssystem eingeführt werden. Außerdem werden wir es
nicht mehr gestatten, dass die Unternehmen Versicherungsverträge ohne die Zustimmung des
Kunden weiterverkaufen.
Die Finanzberatung muss sich grundlegend wandeln. Durch Provisionen kommt es heute dazu,
dass Anleger*innen nicht die passenden Produkte empfohlen werden, sondern die mit den
höchsten Provisionen. Mit dem schrittweisen Übergang zur Honorarberatung – der Kunde zahlt
die Beratung also nicht mehr indirekt über die Provision, sondern direkt an die Berater*in,
dafür ist das Produkt dann günstiger – wird sich die Qualität der Beratung verbessern und
sich das Berufsbild der Berater*innen wandeln.
Ein Bürgerfonds für stabile und rentable Anlagemöglichkeiten
Damit die Bevölkerung in Deutschland mehr von den volkswirtschaftlichen Gewinnen der
Wirtschaft profitieren kann, schlagen wir die Errichtung eines Bürgerfonds vor. Er soll all
den Bürgerinnen und Bürgern eine Beteiligung an Wohlstandsgewinnen sichern, deren Einkommen
zu klein sind, um selbst Vermögen in Aktien, Immobilien oder anderen Werten anzusparen. In
den Bürgerfonds zahlt jede Bürger*in automatisch einen bestimmten Teil seines Einkommens
ein. So stellen wir für den Fonds eine hohe Anlagesumme sicher und senken damit die
Verwaltungskosten. Wer aber andere Formen der Anlage bevorzugt, kann der Einzahlung in den
Bürgerfonds einfach widersprechen (Opt-out). Um Fehler von Riester zu vermeiden, wird der
Fonds keine Zinsgarantien gewähren, weil sie die Rendite mindern. Sicherheit werden wir
stattdessen über eine breit gefächerte, diversifizierte, nachhaltige und langfristige
Anlagestrategie gewährleisten. Der Bürgerfonds bietet also Menschen, die kleine Ersparnisse
haben, eine risikoarme und vor allem extrem preiswerte Anlageform. Auch die Wirtschaft wird
von diesem Fonds profitieren. Denn es tritt ein gewünschter Nebeneffekt ein: Das Kapital ist
nicht von einer kurzfristigen Renditeerwartung getrieben, sondern einer nachhaltigen
Anlageentwicklung verpflichtet.
13. Gemeinwohlorientierte Unternehmen stärken
Viele Unternehmen engagieren sich für ökologische und soziale Ziele. Immer mehr Unternehmen
schreiben diese gesellschaftlichen Ziele parallel zum wirtschaftlichen Erfolg verbindlich
fest. Diese ökonomische Bürger*innenbewegung werden wir systematisch stärken. Unser Ziel ist
eine Gründungswelle neuer Genossenschaften und Sozialunternehmen.
Öffentliche Finanzierungsprogramme der Wirtschaftsförderung, Informationsangebote für
Gründer*innen und Beratungsangebote für Unternehmen werden wir systematisch für alle
Unternehmungen öffnen. So wollen wir auch Genossenschaften, Social Startups und Vereine
stärken, die wirtschaftlich aktiv sind.
Die Unternehmen der sozialen und solidarischen Ökonomie brauchen attraktive Rechtsformen.
Eine vereinfachte, allgemeinverständliche Mustersatzung für Genossenschaften wollen wir in
Zusammenarbeit mit den Genossenschaftsverbänden breit zugänglich machen. Kleine
Genossenschaften werden wir von einschlägigen Auflagen des Handelsrechts entlasten. Die
Überarbeitung der Rechtsformen soll ermöglichen, dass Unternehmen der solidarischen Ökonomie
sichtbarer werden und dadurch in Deutschland und in Europa besser vertreten sind.
Sozialgenossenschaften sollen künftig nicht mehr durch ein faktisches Kombinationsverbot von
bezahlter und ehrenamtlicher Arbeit behindert werden. In eine gesetzliche Reserve
eingestellte Gewinne wollen wir von der Körperschafts- und Gewerbesteuer freistellen. So
stärken wir die Eigenkapitalbasis und Investitionsfähigkeit von Genossenschaften. Auf
europäischer Ebene setzen wir uns für ein Label von Produkten aus der sozialen und
solidarischen Ökonomie ein. Wer keinen Gewinn machen will, ist auf eine günstige
Finanzierung angewiesen. Wir wollen Sozialunternehmen diese bereitstellen, zum Beispiel über
Kreditprogramme der öffentlichen Förderbanken.
Zugleich gilt es, den Bürgerenergiegenossenschaften die regulativen Fesseln abzunehmen,
damit sie wieder zu kraftvollen Akteuren der Energiewende werden. Wir wollen die EU-
Richtlinie über den Elektrizitätsbinnenmarkt so wirtschaftsfreundlich in deutsches Recht
übersetzen, dass die Bürgerenergie umfassend gestärkt wird. Beim Mieterstrom wollen wir
hinderliche Preisvorgaben abschaffen, um dezentrale Investitionen in Erneuerbare zu
ermöglichen.
Viele Unternehmen engagieren sich im Rahmen der Gemeinwohlökonomie. Wir wollen, dass auch
Unternehmen im Bundesbesitz Gemeinwohlbilanzen erstellen. Die Gemeinwohlbilanzen wollen wir
im europäischen und deutschen Recht verankern. Auch heutige gewinnorientierte Rechtsformen
wie die Aktiengesellschaft sollen sich per Mehrheitsbeschluss künftig andere Ziele geben
können als die Maximierung des Profits, ohne dass sie dem Risiko ausgesetzt sind, dass
Minderheitsgesellschafter dagegen klagen.
14. Investitionen solide und gerecht finanzieren
Wir wollen die öffentlichen Investitionen deutlich steigern. Ein Land, in dem jede achte der
insgesamt 40.000 Brücken marode ist, das weniger Geld in Bildung steckt als fast all seine
Nachbarländer, das für seine Funklöcher berüchtigt ist statt berühmt für seine Smartphones,
ein solches Land lebt von vergänglicher Substanz. Es wird dauern, die politischen Vorzeichen
auf Vernunft zu drehen. Umso wichtiger ist es, jetzt damit zu beginnen. Investitionen
schaffen öffentliche Güter. Sie kosten Geld, aber wenn in das Richtige, Zukunftsfähige
investiert wird, schaffen sie Wohlstand. Jede Ausgabe, die der Staat so tätigt, führt in der
Wirtschaft zu Einnahmen und es werden Jobs geschaffen. Für einen Euro, den wir klug
investieren, kann unsere Wirtschaftsleistung um deutlich mehr als einen Euro steigen.
Wir wollen diese Investitionen finanzieren, indem wir Fehlanreize abstellen, Gelder
umschichten und gezielt Investitionen über Kredite ermöglichen. Wir unterscheiden dabei
zwischen einmaligen Investitionen und dauerhaften Ausgaben. Diese dauerhaften Ausgaben zum
Beispiel für Bildung und Gerechtigkeit sind für den sozialen Ausgleich und den Zusammenhalt
der Gesellschaft essenziell. Diese dauerhaften Ausgaben wollen wir durch laufende
Steuereinnahmen, eine gerechtere Besteuerung von Vermögen und die Bekämpfung von
Steuerbetrug und -umgehung gegenfinanzieren.
Bisher scheitern Investitionsprogramme auch an mangelnden Kapazitäten in der Bauwirtschaft
oder in den Planungsabteilungen des öffentlichen Dienstes. Unsere Investitionspolitik ist
deshalb verlässlich und langfristig angelegt, so dass sowohl die private Bauwirtschaft als
auch der öffentliche Dienst wieder mehr Kapazitäten aufbauen können. Wir investieren
dauerhaft und nachhaltig.
Investitionsgesellschaften gründen
Viele Investitionen schaffen werthaltige Wirtschaftsgüter, mit denen sich Einnahmen erzielen
lassen. Eine Stromleitung erzielt Einnahmen durch den durchgeleiteten Strom. Das gleiche
gilt analog für Ladeinfrastruktur für Elektroautos, Breitband für Internet und vieles
andere. Um diese Investitionen effizient durchzuführen, werden wir sie jeweils in
öffentlichen Investitionsgesellschaften bündeln, darüber finanzieren und stringent managen.
Damit werden wir nachhaltige Werte für die nächste Generation schaffen, die sich auch
wirtschaftlich rechnen, insbesondere in Zeiten von Nullzinsen, ja mitunter sogar negativer
Zinsen.
Die grundgesetzlichen Regelungen zur Schuldenbremse sehen vor, dass die Verschuldung von
öffentlichen Gesellschaften wie zum Beispiel der Bahn, Wohnungsbaugesellschaften oder
öffentlichen Krankenhäusern nicht auf die Schuldenbremse angerechnet werden. Das gleiche
gilt für die neu zu gründenden Investitionsgesellschaften. Daher werden wir sie aus dem
Investitionsfonds mit genügend Eigenkapital ausstatten, damit sie sich wie jedes private
Unternehmen auch am Finanzmarkt selbst zusätzliches Kapital besorgen können. Der Bund gibt
für diese Kreditaufnahme eine Staatsgarantie. So könnte der Bund zum Beispiel eine
Ladesäulengesellschaft neu gründen, der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben für
Wohnungsneubau und Gebäudesanierung eine Kreditaufnahme erlauben und die Verschuldungsgrenze
bei der Deutsche Bahn erhöhen. Good Governance und demokratische Beteiligung sollen für
Transparenz und Kontrolle sorgen. Die Regierung muss steuern können und für Parlament und
Öffentlichkeit müssen Entscheidungen und Mittelverwendung transparent sein. Die
Privatisierung dieser Gesellschaften wollen wir dauerhaft ausschließen, damit öffentliches
Vermögen auch öffentlich bleibt.
Die Begrenzung der Staatsschulden mit Investitionen in Infrastruktur kombinieren
Es war richtig, dass sich Deutschland Regeln gegeben hat, die dafür sorgen, dass es nicht zu
exzessiver Verschuldung der öffentlichen Hand kommt. Sie haben – gemeinsam mit der
Geldpolitik der Europäischen Zentralbank – geholfen, die Verschuldung einzudämmen. In
Deutschland ist die Schuldenquote so von 80 Prozent auf unter 60 Prozent der
Wirtschaftsleistung zurückgegangen. An diesem Erfolg wollen wir festhalten.
Aber nicht nur Schulden im Haushalt sind Schulden. Wenn wir jetzt nicht in Bildung,
Innovation und Forschung sowie in Maßnahmen zum Klimaschutz investieren, verspielen wir
unseren zukünftigen Wohlstand. Außerdem würden die Finanzmärkte, die immer auch sichere
Anlagemöglichkeiten wie Staatsanleihen brauchen, bei einem immer geringeren Schuldenstand
nicht mehr stabil funktionieren, weil ihnen sichere Anlagemöglichkeiten fehlen. Wir wollen
daher die Schuldenbremse im Rahmen der europäischen Stabilitätskriterien weiterentwickeln
und sie mit einer verbindlichen Investitionsregel verknüpfen. Wenn der Bund mehr investiert
als sein Vermögen an Wert verliert – wenn er also neue Werte schafft – soll dies auch durch
die Platzierung von neuen Anleihen finanziert werden können. Die öffentlichen Investitionen
sollen mindestens so hoch sein, dass sich das öffentliche Vermögen nach Abnutzung und
Wertverlusten mindestens im Gleichklang mit der Wirtschaftsleistung bewegt.
Diese Möglichkeit ist für Deutschland entsprechend den europäischen Vorgaben daran gebunden,
dass die öffentliche Schuldenquote unterhalb der Maastricht-Marke von 60 Prozent des BIP
liegt und das strukturelle Defizit maximal ein Prozent der Wirtschaftsleistung beträgt.
Durch diese Beschränkungen würde auch durch die vorgeschlagene Möglichkeit zusätzlicher
Investitionen die Schuldenquote weiter auf unter 40 Prozent fallen. Das gilt umso mehr, als
dadurch zusätzliche Nachfrage und damit wirtschaftliche Entwicklung entsteht. Gerade im
Falle eines bevorstehenden Abschwungs halten wir diese Möglichkeit für sinnvoller als etwa
pauschale Steuererhöhungen oder Ausgabenkürzungen, denn diese würden den Abschwung noch
verschärfen. Das wäre das Gegenteil einer nachhaltigen Finanzpolitik.
Durch unseren Vorschlag dürfte der Bund im Durchschnitt etwa 35 Milliarden Euro pro Jahr
Kredite aufnehmen. Diese Gelder wollen wir in einen Bundesinvestitionsfonds überführen, der
als Sondervermögen im Bundeshaushalt nicht der Jährlichkeit des Haushalts unterliegt. Er
kann dann zweckgebunden investieren und auch eine stärkere antizyklische Wirkung entfalten.
Um den Investitionsfonds abzusichern und sauber zu implementieren, streben wir eine Änderung
des Grundgesetzes an.
Für eine optimale Steuerung von Staatsschulden und Investitionen erhalten Länder und
Kommunen einen verbindlich vereinbarten Anteil aus den Mitteln des Bundes-Investitionsfonds,
an dem alle Länder partizipieren und selbst entscheiden können, für welchen der vorgegebenen
investiven Zwecke sie die Mittel einsetzen. Die Schuldenbremse für die Länder (null
Verschuldung in Zeiten der Normalkonjunktur) soll beibehalten werden.
Es ist richtig, dass die Maastricht-Kriterien die Staatsverschuldung auch auf europäischer
Ebene begrenzen. Bei der anstehenden Reform wollen wir die Anreize für staatliche
Investitionen im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspakts verbessern. Zum Beispiel indem
Investitionsausgaben bei der Berechnung der Defizitquoten ähnlich wie private Investitionen
über mehrere Jahre abgeschrieben werden können. Damit stärken wir öffentliche Investitionen
gerade in Zeiten des wirtschaftlichen Abschwungs.
1 Wir beschreiben im Antrag „Handeln – und zwar jetzt“ ausführlich unseren Maßnahmenplan für
einen radikal realistischen und sektorenübergreifenden Klimaschutz.
weitere Antragsteller*innen
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Wir wollen damit Wohlstand in Deutschland und Europa zukünftig umfassender messen und den Fortschritt beim ökologischen Umbau der Wirtschaft langfristig abbilden. Auch für die Unternehmen können davon innovative Impulse ausgehen. So wollen wirWir wollen, dass öffentliche Unternehmen mit gutem Beispiel voran gehen und an der Erarbeitung der integrieren Berichterstattung als ersten Schritt für die Deutsche Bahn die Gemeinwohlbilanzierung einführenPilotunternehmen mitwirken. Und alleDie von allen größeren privaten Unternehmen sollen in ihrem Jahresabschluss zukünftigJahresabschlusszu veröffentlichenden über Nachhaltigkeitsindikatoren wie CO2-Emissionen berichtenwollen wir zukünftig für börsennotierte Unternehmen verpflichtend in die Kommunikation ihrer Finanzergebnisse einfügen, um so den Dialog mit Investoren und der Gesellschaft zu sozial-ökologischen Werten zu verstetigen. Bestehende Ausnahmen für nicht börsennotierte Unternehmen sowie für viele Banken und Versicherer wollen wir abschaffen. Wir wollen das Aktienrecht und die Bilanzierungsregeln so verändern, dass Aktiengesellschaften sich von innen heraus verändern und auf eine langfristige, nachhaltige Entwicklung ausrichten. Wir werden Aktiengesellschaften verpflichten, sich eine Nachhaltigkeitsstrategie zu geben. Dadurch schaffen wir einerseits Transparenz, andererseits wird so erst möglich, dass von einer Pflichtverletzung des Vorstandes abgesehen wird, wenn eine Entscheidung der nachhaltigen Entwicklung des Unternehmens, nicht der kurzfristigen Gewinnerwartung dient. Die nichtfinanziellen Ziele und Indikatoren sollten wie die finanziellen extern überprüft und testiert werden. Langfristig wollen wir erreichen, dass diese ökologischen und sozialen Werte auch entsprechend bepreist werden und so direkten
Unser Wirtschaftssystem und unser Wirtschaftsverständnis stehen vor dramatischen
Veränderungen. Dabei geht es um viel mehr als um eine konjunkturelle Flaute nach Jahren des
Booms, es geht um sehr grundsätzliche strukturelle Herausforderungen.
Ein ungezügelter Natur- und Ressourcenverbrauch, die Abhängigkeit von Exportüberschüssen,
eine unzureichend regulierte Globalisierung, fehlende Investitionen in die Zukunft: Die
Krisen verdeutlichen, dass unser angestammtes Wirtschaftsmodell, das in der Vergangenheit
viel Wohlstand gebracht hat, so nicht mehr funktioniert. Der liberale Ökonom Nicolas Stern
hat zu Recht festgestellt: „Der Klimawandel ist der größte Fall von Marktversagen, den die
Welt je gesehen hat.“
Die enormen Wohlstandsgewinne kommen bei zu vielen nicht an und die Ungleichheit nimmt zu.
Globale Konzerne, die sich nationaler Rechtsetzung entziehen, und Finanzmärkte, die an
Stelle demokratischer Politik entscheiden, unter welchen Bedingungen wir Menschen leben. Das
alles höhlt nicht nur die Grundlagen des gemeinschaftlichen Zusammenlebens aus und gefährdet
bei uns und in vielen anderen Ländern immer stärker das Vertrauen in demokratische Politik.
Es zerstört auch die ökonomischen Grundlagen unserer Gesellschaft. Gleichzeitig erschüttern
globale Handelskonflikte die Weltwirtschaft und die multilaterale Weltwirtschaftsordnung.
Der drohende Brexit sorgt zusätzlich für Verunsicherung in der EU. Das hat Folgen. Nach
Jahren des Booms zeichnet sich in Deutschland ein ernsthafter Abschwung der Konjunktur ab.
Jede Generation hat ihre Aufgabe. Einen nachhaltigen und gerechten Wohlstand zu schaffen,
ist unsere. Deshalb müssen wir jetzt den Mut haben, weitreichende Entscheidungen zu treffen,
dafür leidenschaftlich in der ganzen Breite der Gesellschaft zu werben und nicht verzagt nur
in Trippelschritten zu denken. Richtig ausgestaltet schaffen wir die Grundlagen dafür, dass
notwendige Innovationen in Europa entwickelt und marktfähig gemacht werden und damit
zukunftsfähige neue Arbeitsplätze im Handwerk, in Startups, in der Dienstleistungsbranche
und auch in traditionsreichen Industrieunternehmen entstehen. Dazu gehören auch massive
Investitionen, öffentlich wie privat, um den immensen Investitionsstau in unserem Land zu
begegnen, um die immensen Aufgaben beim Klimaschutz schnell und entschlossen anpacken zu
können, um Produktivität und neue Ideen anzukurbeln.
Unser Ziel ist die sozial-ökologische Neubegründung der Marktwirtschaft. Sie ist das
Gegenmodell zu einem ungeregeltem Kapitalismus und einem autoritären Staatskapitalismus. Wir
streben ein Wirtschafts- und Finanzsystem an, das die planetaren Grenzen einhält und
gleichzeitig menschliche Entfaltung garantiert – und zwar weltweit, über Grenzen hinweg und
für zukünftige Generationen.
Den Weg dahin bereitet ein Green New Deal. Er schafft den neuen Ordnungsrahmen für faires,
ökologisches und nachhaltiges Wirtschaften. Er investiert mutig in die Zukunft. Er setzt
neue Kräfte für Kreativität und Innovationen frei. Er sorgt für sozialen Ausgleich. Er
schafft die Grundlagen für einen nachhaltigen Wohlstand, der nicht auf der Ausbeutung der
Natur und einer fossilen Wirtschaftsweise basiert, sondern den Mensch in den Mittelpunkt
stellt.
Wir sind überzeugt, dass das freie und kreative Handeln von Menschen und die Dynamik eines
fairen Wettbewerbs nachhaltigen Wohlstand und innovative Problemlösungen schaffen können.
Wenn die Rahmenbedingungen stimmen, bietet die Marktwirtschaft beste Voraussetzungen für
sozial-ökologisches Wirtschaften. Doch dafür braucht es den gesamten Instrumentenkasten aus
Steuern-, Abgaben- und Ordnungsrecht sowie intelligenter öffentlicher Forschungs- und
Förderpolitik.
Die Aufgabe besteht darin, die Märkte der Zukunft so auszurichten, dass sie den Menschen und
der Natur dienen. Dafür braucht es eine Politik, die beherzt vorangeht. Wenn wir es gut
machen, können wir die großen Herausforderungen jetzt nutzen, um unsere Wirtschaft auf
Zukunft, Gemeinwohl und nachhaltigen Wohlstand zu drehen.
Es wird gelingen
Unser Anspruch ist, dass Menschen sich entlang ihrer Vorstellungen in Freiheit und Würde
entfalten können. Das erfordert ein Wirtschaftssystem, das Unternehmensgeist ebenso fördert
wie es die Rechte von Beschäftigten schützt, nachhaltigen Wohlstand schafft, auf globale
Gerechtigkeit zielt, die Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern überwindet und
gleichzeitig mit starken sozialen Institutionen Gerechtigkeit und Sicherheit garantiert.
Eine starke und zukunftsfähige Wirtschaft, starke staatliche Institutionen und ökologische
Leitplanken sowie ein starkes soziales Netz sind deshalb Grundbedingungen für die sozial-
ökologische Marktwirtschaft. Was Unternehmen, Arbeitnehmer*innen und Verbraucher*innen
dagegen nicht brauchen, ist eine wankelmütige Politik, die (zu) spät ihre Unterlassungen
korrigiert und dann in hektischen Aktionismus verfällt. Was sie brauchen, ist ein
berechenbarer Weg in eine grundlegend neue Welt.
Für Deutschland ist die Überwindung des Kohle- und Öl-Zeitalters ein entscheidender, ja ein
schicksalhafter Moment. Automobil, Chemie und Maschinenbau waren die Säulen des Erfolges der
deutschen Wirtschaft in den letzten Jahrzehnten, aber sie müssen sich neu erfinden, um den
Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht zu werden. Dabei kann die deutsche Industrie
auf das bauen, was sie – und vor allem den Mittelstand – stark gemacht hat: ihre
Ingenieurskunst, ihre Kreativität, das mittelständische Tüftlertum, die Sozialpartnerschaft
mit den Gewerkschaften und ihre europäische und globale Orientierung.
Der Green New Deal für eine sozial-ökologische Neubegründung der Marktwirtschaft wird dann
erfolgreich sein, wenn er auf ein neues Bündnis aus Arbeit und Umwelt setzt. Ohne die
Beteiligung von Beschäftigten, Betriebsrät*innen und Gewerkschaften, ohne ihre Perspektive,
ihren immensen Wissensschatz und ihre Wirkmacht in Unternehmen gelingt der Aufbau einer
gemeinwohlorientierten Wirtschaftsordnung nicht. Wir wollen mit den Beschäftigten Seit an
Seit für den Wandel kämpfen.
Viele Unternehmen machen sich bereits auf den Weg dahin. Mittelständler*innen schalten ihre
Produktion auf Klimaneutralität um, Finanzinstitute entziehen sich dem Geschäft mit fossilen
Energien, IT-Unternehmen setzen auf Erneuerbare und Großkonzerne erweitern grüne
Produktportfolios. Die Industrie verlangt bereits ein überzeugendes, ökologisches
Modernisierungsprogramm für Deutschland. Die Technologien, Innovationen und Ideen sind da.
Die Politik muss jetzt liefern.
Mit folgenden Maßnahmen wollen wir den Weg in eine sozial-ökologische Marktwirtschaft
ebenen:
1. Qualitatives statt blindes Wachstum – ein neuer Wohlstandsbegriff
Um den universalen Anspruch der Menschen auf Würde, Freiheit und Glücksstreben innerhalb der
planetaren Grenzen zu erfüllen, brauchen wir eine andere Form, Wohlstand zu messen. Unser
heutiges Wirtschafts- und Sozialsystem ist darauf angewiesen, dass die Wirtschaft stetig
wächst. Wächst sie nicht, drohen im heutigen System Wirtschaftskrisen und Arbeitslosigkeit,
geraten Staatshaushalt und Sozialversicherungen ins Ungleichgewicht und es verschärfen sich
gesellschaftliche Verteilungskonflikte. Klar aber ist: Ein ökologisch blindes
Wirtschaftswachstum und die ökologische Begrenztheit unseres Planeten stehen miteinander im
Konflikt. Unser Ziel ist deshalb,Wachstum mit sinkendem Ressourcenverbrauch zu koppeln.
Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist schon heute ein schlechter Indikator für Wohlstand und
Lebensqualität, es ist blind für die sozialen Folgen und die ökologischen Schäden unseres
Wirtschaftens. So werden etwa der Abbau von Ressourcen und die Zerstörung von Natur- und
Sozialkapital im BIP überhaupt nicht berücksichtigt. Während Unternehmen beispielsweise den
Rückgang von eigenen Bodenschätzen den Gewinnen gegenüberstellen und Abschreibungen
vornehmen, macht der Staat das bisher nicht. Auch Reparaturmaßnahmen von Umweltschäden
erscheinen im BIP als Steigerung, obwohl damit bestenfalls der Status quo wiederhergestellt
und unter dem Strich nichts gewonnen ist. Genauso wird die unbezahlte Sorgearbeit, die vor
allem von Frauen geleistet wird und eine unverzichtbare Grundlage unseres Wohlstands bildet,
derzeit bei der Wohlstandsmessung nicht berücksichtigt. Wir schlagen deshalb ein neues
Wohlstandsmaß und eine neue Form der Wirtschaftsberichterstattung vor, um neben den
ökonomischen auch ökologische, soziale und gesellschaftliche Entwicklungen zu messen und
Indikatoren dafür festzulegen. Dabei geht es um harte ökonomische Fakten, denn
berücksichtigt wird auch das Natur- und Sozialkapital, dessen Verfügbarkeit natürlich ein
Wert an sich, aber auch elementar für den wirtschaftlichen Erfolg ist.
Wir wollen damit Wohlstand in Deutschland und Europa zukünftig umfassender messen und den
Fortschritt beim ökologischen Umbau der Wirtschaft langfristig abbilden. Auch für die
Unternehmen können davon innovative Impulse ausgehen. So wollen wirWir wollen, dass öffentliche Unternehmen mit gutem Beispiel voran gehen und an der Erarbeitung der integrieren Berichterstattung als ersten Schritt für Pilotunternehmen mitwirken.
die Deutsche Bahn die Gemeinwohlbilanzierung einführenUnd alleDie von allen größeren privaten
Unternehmen sollen in ihrem Jahresabschluss zukünftigJahresabschlusszu veröffentlichenden über Nachhaltigkeitsindikatoren wie
CO2-Emissionen berichtenwollen wir zukünftig für börsennotierte Unternehmen verpflichtend in die Kommunikation ihrer Finanzergebnisse einfügen, um so den Dialog mit Investoren und der Gesellschaft zu sozial-ökologischen Werten zu verstetigen. Bestehende Ausnahmen für nicht börsennotierte Unternehmen sowie
für viele Banken und Versicherer wollen wir abschaffen. Wir wollen das Aktienrecht und die Bilanzierungsregeln so verändern, dass Aktiengesellschaften sich von innen heraus verändern und auf eine langfristige, nachhaltige Entwicklung ausrichten. Wir werden Aktiengesellschaften verpflichten, sich eine Nachhaltigkeitsstrategie zu geben. Dadurch schaffen wir einerseits Transparenz, andererseits wird so erst möglich, dass von einer Pflichtverletzung des Vorstandes abgesehen wird, wenn eine Entscheidung der nachhaltigen Entwicklung des Unternehmens, nicht der kurzfristigen Gewinnerwartung dient. Die nichtfinanziellen Ziele und Indikatoren sollten wie die finanziellen extern überprüft und testiert werden. Langfristig wollen wir erreichen,
dass diese ökologischen und sozialen Werte auch entsprechend bepreist werden und so direkten
Einfluss auf den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens haben.
2. Die Wirtschaft klimaneutral machen1
Wir können unser Wirtschaften verändern, aber nicht unsere Abhängigkeit von einer intakten
Natur. Aus wissenschaftlicher Perspektive sind wir beim CO2-Ausstoß kurz davor, alle roten
Linien zu überschreiten, vor denen uns viele Forscher*innen warnen. Das hätte gravierende
Konsequenzen für unsere Freiheit und die Freiheit unserer Kinder und Enkel. Politisch werden
die Klima- und Umweltauswirkungen unserer derzeitigen Wirtschaftsweise unsere Gesellschaften
fordern wie nie zuvor. Und wirtschaftlich handelt es sich bei der Klimakrise um das größte
Geschäftsrisiko für unseren Wohlstand – oder eben um die entscheidende Größe für unseren
Wettbewerbserfolg auf den Märkten der Zukunft.
Nach Jahren des Stillstands ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, schnell und massiv in die
Infrastruktur zu investieren, die eine klimaneutrale Wirtschaft und Gesellschaft trägt. Um
zur klimaneutralen Wirtschaft zu kommen, müssen Bahn, Autos und Gebäude weitgehend
elektrifiziert werden. Für Lastwagen, Flugzeuge und Schiffe wird Wasserstoff eine zentrale
Rolle spielen, ebenso für die Stahlindustrie, die Zementindustrie und Teile der
Chemiebranche.
Die Energiewende muss dafür nach den Phasen der Markteinführung und Marktdurchdringung nun
in die dritte Phase geführt werden, in der sie die Wirtschaft flächendeckend mit
regenerativer Energie versorgt. Sie ist den Kinderschuhen entwachsen und muss im nächsten
Jahrzehnt via Sektorenkopplung die Bereiche Verkehr, Industrie und Wärme erschließen.
Gleichzeitig müssen Unternehmen drastisch Energie einsparen und effizienter verwenden sowie
CO2-lastige durch CO2-neutrale Produktionsverfahren ersetzen.
Dabei können wir darauf bauen, dass technische und gesellschaftliche Entwicklungen nicht
linear verlaufen, und dass wir effizienter oder besser werden können in einem Sprung aus dem
Gewohnten heraus. Und darauf, dass die Marktwirtschaft ihre volle innovative Kraft entfalten
kann, wenn wir die richtigen politischen Leitplanken setzen. Märkte sind ein mächtiges
Instrument, sie schaffen und zerstören in rasendem Tempo. Sie können verheerende Krisen
entzünden – Lehman Brothers lässt grüßen – und sie können gleichzeitig dafür sorgen, dass
binnen weniger Jahre das Smartphone auch in den entlegendsten Winkeln dieser Erde Menschen
miteinander verbindet. Märkte können, wenn die Anreize richtig gesetzt sind, eine grüne
Revolution entfachen, die unsere Vorstellungskraft auf die Probe stellen wird. Damit dies
geschieht, muss der Staat durch Ordnungspolitik, Preispolitik, Förder- und
Investitionspolitik den Rahmen so zu setzen, dass der Weg zum klimaneutralen Verhalten in
einem sozial-ökologisch gerahmten Markt rechtlich verbindlich und ökonomisch lohnend ist.
Ordnungsrecht bedeutetPlanungssicherheit für die Unternehmen. Also die verlässliche Vorgabe,
dass Autos, Flugzeuge, Maschinen oder Kraftwerke ab einem bestimmten Datum kein Treibhausgas
mehr ausstoßen dürfen. Preispolitik schafft fairen Wettbewerb, weil die Klimabilanz von
Produkten zum Teil des Preises wird. Klimaschädliches Wirtschaften wird teurer,
klimafreundliches Verhalten billiger. Förder- und Investitionspolitik gibt Starthilfen für
neue Produkte und Produktionsweisen und verhilft ihnen über die Schwelle zur
Wirtschaftlichkeit. Und sie schafft über den Ausbau der öffentlichen Infrastruktur die Basis
für ökologische Wirtschafts- und Lebensweise.
Ein Klimaschutzgesetz macht die Vorgaben
Das Klimaschutzgesetz ist das ordnungspolitische Herzstück. Ein solches Gesetz legt für alle
Wirtschaftsbereiche (Sektoren) verbindliche CO2-Minderungsziele und CO2-Minderungspfade
ebenso wie die dafür notwendigen Maßnahmen fest. Es garantiert eine dichte Kontrolle, ob die
Maßnahmen wirken, und sieht empfindliche Sanktionen bei einer Verfehlung der Ziele vor.
Ergänzt wird ein solches Klimaschutzgesetz durch weitere ordnungsrechtliche Vorgaben. Zum
Beispiel wollen wir, dass ab 2030 nur noch emissionsfreie Autos neu zugelassen werden und
der Weg dorthin durch verbindliche Quoten für E-Autos bereitet wird. Auch der Umbau der
energieintensiven Unternehmen ließe sich über ansteigende Quoten zum Beispiel für
klimaneutralen Stahl in Autos oder auch Windrädern und Gebäuden nicht nur planungssicherer
gestalten, die Unternehmen hätten gerade mit Blick auf die weltweiten Überkapazitäten so
auch einen Wettbewerbsvorteil auf dem europäischen Markt.
CO2 muss einen Preis bekommen
Ein wirksamer CO2-Preis ist für uns der zweite Teil des nötigen Instrumentenmixes, den wir
zugleich klimapolitisch wirksam und sozial gerecht ausgestalten wollen. Nur so lässt sich
zügig ein stabiler, langfristig orientierter Investitionsrahmen schaffen und systematisch
Anreize zur Senkung des CO2-Ausstoßes und für eine Umstellung von Produktionsweisen sowie
für „Efficiency First“ beim Umgang mit Ressourcen setzen. Nur so lässt sich das Potenzial
auf einer für alle Marktteilnehmer transparenten Basis für einen fairen Wettbewerb schaffen.
Der CO2-Preis schafft Gerechtigkeit und steigert mittelfristig auch die Wettbewerbsfähigkeit
auf dem Weltmarkt — denn Klimaschutz ist nicht nur notwendig, sondern auch ein globaler
Zukunftstrend.
Keine Steuermittel mehr für klimaschädliches Verhalten
Damit ökonomische Anreize ihr volles Potenzial entfalten können und zusätzliche finanzielle
Spielräume für Zukunftsinvestitionen entstehen, wollen wir umwelt- und klimaschädliche
Subventionen konsequent abbauen. Insgesamt betragen diese in Deutschland über 57 Milliarden
Euro. Staatliche Subventionen wie die Steuerbefreiung von Rohöl zur Plastikherstellung, dem
immer noch gewährten Beschaffungszuschuss für neue Ölheizungen oder die Nichtbesteuerung von
Kerosin wollen wir endlich beenden.
Investitionen in CO2-freie Industrieprozesse, insbesondere in den Bereichen Stahl, Chemie
und Zement, lohnen meist erst bei sehr hohen CO2-Preisen, die das europäische
Emissionshandelssystem derzeit noch nicht abbildet. Damit sich solche Investitionen für
Unternehmen schon heute rechnen, wollen wir den Unternehmen die Differenz zwischen dem
aktuellen CO2-Preis und den tatsächlichen CO2-Vermeidungskosten erstatten, welche ihnen
durch die Investitionen in neue Verfahren und Technologien entstehen (Carbon Contract for
Difference). Die Kosten dafür können über eine Klima-Umlage refinanziert werden, die auf die
Endprodukte aufgeschlagen wird und die für heimische Produkte und Importe gleichermaßen
gilt. So rechnen sich diese Investitionen sofort und es werden kurzfristige
Wettbewerbsnachteile gegenüber Regionen ohne eine entsprechende CO2-Bepreisung vermieden.
Förderpolitik gibt Starthilfe
Wir lassen die Unternehmen bei der ökologischen Transformation nicht allein und wollen sie
unterstützen. Für Investitionen in transformative, CO2-freie Industrieprozesse in den
Bereichen Stahl, Chemie oder Zement wollen wir deshalb bessere Abschreibungsmöglichkeiten
schaffen und Leuchtturmprojekte CO2-freier Verfahren und Prozesse gezielt fördern. Die Basis
zur Entwicklung solcher Verfahren ist die entsprechende Forschung. Dafür wollen wir die
Mittel im kommenden europäischen Forschungsrahmenprogramm „Horizon Europe“ auf 120
Milliarden Euro aufstocken und die steuerliche Forschungsförderung als ein wirkungsvolles
Innovationsinstrument ausgestalten. Weiterhin richten wir die öffentliche Beschaffung
konsequent klimaverantwortlich aus und schaffen so Leitmärkte, die innovativen Unternehmen
die notwendige Sicherheit geben, dass ihre Produkte auch einen Markt finden, auf dem sie
starten können.
Um den ökologischen Umbau zu fördern und gleichzeitig den sich anbahnenden
Wirtschaftsabschwung zu bekämpfen werden wir die degressive Abschreibung (AfA) zeitlich
befristet wieder einführen.
In die ökologische Infrastruktur investieren
Investitionen in Klimaschutz bedeutet vor allem: Ausbau von Bahninfrastruktur, von ÖPNV,
Fahrrad- und Fußverkehrsinfrastruktur, aber auch Aufbau von Ladeinfrastruktur für E-
Mobilität sowie von Infrastruktur für erneuerbaren Wasserstoff. Wärmenetze, energetische
Gebäudesanierung und der Ersatz von Öl- und Gasheizungen benötigen Unterstützung. Auch
stehen die Rettung unserer Wälder, die Erhöhung von Deichen und die Schaffung von mehr
Überflutungsflächen für Flüsse, der Umbau zu einer klima- und tierschutzgerechten
Landwirtschaft an.
Allein die Bahn braucht mindestens drei Milliarden Euro pro Jahr, um die notwendige
Verlagerung des Verkehrs von der Luft und der Straße auf die Schiene stemmen zu können. Für
den Aufbau eines elektrischen Ladesäulennetzes brauchen wir ein Investitionsprogramm in Höhe
von 600 Millionen Euro. Unser Programm „Faire Wärme“, mit dem wir die energetische
Gebäudesanierung unterstützen wollen, umfasst 7 Milliarden Euro im Jahr. Dies sind nur drei
Beispiele. Insgesamt plädieren wir für zusätzliche öffentliche Investitionen in Höhe von 30
Milliarden pro Jahr.
Wettbewerbsfähigkeit sichern, Klimadumping verhindern
Neben den notwendigen Anreizen müssen wir bei Einführung von ordnungspolitischen
Klimamaßnahmen die europäische Industrie auch vor möglichen Nachteilen im internationalen
Wettbewerb mit Staaten ohne eine vergleichbare Klimaschutzpolitik schützen. Dies kann über
Grenzausgleichsmaßnahmen wie europäische Klimazölle, die auch auf Importe aufgeschlagen
werden, oder über einen Grundstoffausgleich, der Recycling und weniger energieintensive
Werkstoffe belohnt, geschehen. Auch die Finanzierung der zusätzlich notwendigen
Investitionskosten für saubere Technologien könnte in Zukunft ein Weg sein, anstatt
weiterhin kostenlose Zertifikate im Emissionshandel auszugeben.
Divestment: Kapital aus fossilen in grüne Geschäftsfelder lenken
Mit einer breit angelegten Divestmentstrategie wollen wir dafür sorgen, dass Anlagekapital
zukünftig Klimaschutz statt Klimazerstörung finanziert. Öffentliche Banken und
Versicherungen sollen Investitionen in die Dekarbonisierung der Wirtschaft umlenken und
umgehend aus klimaschädlichen Wirtschaftsproduktionen wie Kohle- oder Erdölindustrie
aussteigen. Damit auch Kleinanlegerinnen und Kleinanleger von der grünen Finanzwende
profitieren und ihr Geld mit gutem Gewissen anlegen können, brauchen wir ein EU-Label für
nachhaltige Finanzprodukte mit starken ökologischen und sozialen Standards. Damit alle
Anleger*innen nachvollziehen können, ob Unternehmen ökologisch wirtschaften, werden wir
entsprechende Offenlegungspflichten einführen.
Neue Anlagerichtlinien für die öffentliche Hand, Fonds wie für die Beamtenpension oder
Rücklagen der Bundesanstalt für Arbeit sollen Nachhaltigkeits- und Klimaschutzkriterien
folgen. Der Bund kann dem Markt für nachhaltige Geldanlagen wichtige Impulse geben. Dafür
muss er seine Investitionen in Kohle-, Öl- und Gas-Konzerne, die Geschäfte auf Kosten des
Klimas machen, beenden.
Damit neben der Rendite auch die Klima- und Sozialverträglichkeit zur Grundlage von
Entscheidungen über Investitionen und Kreditvergaben gemacht werden, brauchen wir einen
verbindlichen europäischen Standard für Nachhaltigkeit, anhand dessen auch klima- und
umweltschädliche Wirtschaftsbereiche klar benannt werden können. Auf dieser Grundlage müssen
alle Finanzmarktakteure die Klima und Umweltauswirkungen ihrer Investitionen offenlegen.
Klimarisiken, die in Konzern- und Bankbilanzen schlummern, sollten bei der Bewertung durch
Rating-Agenturen und die Finanzmarktaufsicht berücksichtigt werden, zum Beispiel durch
Klima-Stresstests für Banken und Versicherungen oder durch Aufschläge bei
Eigenkapitalanforderungen bei Finanzierungen, die hohe Klima und Umweltrisiken bergen.
3. Verwerten statt Verschwenden: Kreislaufwirtschaft als übergeordneter Rahmen
Die ökologische Wende kann nur gelingen, wenn wir nicht dauerhaft auf immer mehr Rohstoffe
angewiesen sind. So können Unternehmen Kosten in erheblichem Umfang einsparen und außerdem
können hunderttausende neue Jobs entstehen. Im Bereich Elektromobilität beispielsweise gibt
es großes Potenzial, um durch Recycling der Lithium-Ionen-Batterien einerseits den
ökologischen Fußabdruck zu verkleinern, andererseits den Bedarf an Rohstoffen zu senken.
Dafür müsste nur die EU-Batterierichtlinie reformiert werden.
Unser Ziel ist der parallele Aufbau einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft. Diese
basiert auf in sich geschlossenen Stoffkreisläufen. Der Kreislauf beginnt bereits bei der
Produktgestaltung. Produkte müssen so designt werden, dass die jeweiligen Einzelteile auch
wieder voneinander getrennt und sinnvoll wiederverwertet werden können. Dafür wollen wir
verbindliche Vorgaben in der EU-Ökodesign-Richtlinie schaffen. Wir wollen Abfallvermeidung-
und verwertung durch einen Mix aus Anreizen und Vorgaben stärken: Wir wollen Recyclingquoten
einführen, welche die tatsächlich im Kreislauf geführten Wertstoffe messen. Hersteller*innen
sollen zu einer festen Einsatzquote für recycelte Rohstoffe verpflichtet werden.
Die Rücknahme- und Verwertungspflicht bei Produkten wie Verpackungen, Elektro- und
Elektronikaltgeräten muss ausgeweitet und durch finanzielle Anreize gestärkt werden. Ein
solcher Anreiz ist die Weiterentwicklung der Lizenzentgelte für Verpackungen zu einer
Ressourcenabgabe, die gleichzeitig ökologische Verpackungen über einen Bonus fördert. Auch
Rücknahmeprämien für einzelne Produktgruppen wie beispielsweise Mobiltelefone können ein
möglicher Weg sein. Unser Ziel ist, bis 2030 alle Kunststoffprodukte kosteneffizient zu
recyceln oder wiederzuverwenden. Schließlich wollen wir die Forschung für Recycling-Prozesse
und die Substitution von Rohstoffen intensivieren.
4. Gute und selbstbestimmte Arbeit – wir gestalten den Wandel der Arbeitswelt
Unsere Arbeitswelt wird sich in den kommenden Jahren vor allem durch die Digitalisierung
rasant und tiefgreifend verändern. Bekannte Tätigkeiten und Arbeitsplätze werden wegfallen
oder sich stark verändern, neue Arbeitsplätze und Berufe entstehen. Ob es in der Summe dann
weniger Arbeitsplätze geben wird oder mehr, kann derzeit niemand verlässlich vorhersagen.
Klar ist jedoch, dass sich auch die Art, wie wir arbeiten werden, massiv verändert. Unser
Arbeiten wird flexibler, selbstorganisierter, auch kooperativer. Zugleich erleben wir
bereits heute neue Formen der Ausbeutung und Überforderung. Ein großes Problem bedeutet
daneben der bereits heute spürbare massive Fachkräftemangel – eine Million Stellen sind
unbesetzt. In den kommenden 15 Jahren wird die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter
ohne Einwanderung um sechs Millionen schrumpfen.
Für beide Entwicklungen – den Fachkräftemangel und die Veränderungen der Arbeitswelt – muss
sich die Bildungs- und Weiterbildungspolitik, die Arbeitsmarkt-, Einwanderungs- und
Integrationspolitik viel besser rüsten als bisher.
Weiterbildung ist der Schlüssel
Das bedeutet vor allem, dass Menschen die Möglichkeit haben müssen, sich weiterzubilden und
neu zu qualifizieren. Dafür brauchen sie Geld, Zeit und passende Angebote. Wir wollen einen
Rechtsanspruch auf Weiterbildung begründen. Das lebensbegleitende Lernen wird damit Teil des
öffentlichen Bildungsauftrags. In allen Kommunen wollen wir Bildungsagenturen schaffen. Sie
sollen zum Herzstück von regionalen Bildungsnetzwerken werden, in denen sich
Arbeitsagenturen, Jobcenter, Volkshochschulen, Kammern, Berufs- und Hochschulen sowie andere
Weiterbildungsträger vernetzen, um flächendeckend und niedrigschwellig beste Weiterbildung
und Beratung anbieten zu können. Die bisherige Arbeitslosenversicherung wird zu einer
Arbeits- und Weiterbildungsversicherung umgebaut. So, wie wir in den beiden vergangenen
Jahrhunderten damit begonnen haben, uns gegen Krankheit oder Arbeitslosigkeit abzusichern,
sollten wir im 21. Jahrhundert im Rahmen der Arbeitslosenversicherung eine Garantie auf
Weiterbildung festschreiben. Sie sollte sowohl die Weiterbildung finanzieren als auch den
Lebensunterhalt in Weiterbildungsphasen absichern. Auch die Möglichkeiten der
Digitalisierung wollen wir für die Bildung weiter nutzen. Dafür soll eine öffentliche und
unabhängige digitale Plattform alle Fort- und Weiterbildungsangebote bündeln. Das ermöglicht
neue Zugänge für Menschen, die sich weiterbilden wollen.
Wir sehen es zudem als unsere Verantwortung, die Arbeitnehmer*innen insbesondere beim
ökologischen und digitalen Wandel mitzunehmen. Wir wollen dazu als eine wichtige Maßnahme
eine neue „Qualifizierungs-Kurzarbeit“ einführen, um so die Chancen der Beschäftigten und
der Betriebe im Strukturwandel vorausschauend zu verbessern. So können Beschäftigte sich
qualifizieren und danach in ihren Betrieb zurückkehren. Die Phase der Kurzarbeit muss
konsequent für die Qualifizierung der Beschäftigten genutzt werden. Dabei wollen wir die
„Qualifizierungs-Kurzarbeit“ eng an die Sozialpartnerschaft koppeln und zwar durch
tarifliche Regelungen und Betriebsvereinbarungen. Denn Unternehmen, Gewerkschaften und
Betriebsräte können nur gemeinsam dem Strukturwandel die richtige Richtung geben.
Fachkräftemangel bekämpfen
Der Fachkräftemangel stellt für viele Unternehmen ein Problem dar. Wir wollen darauf
reagieren, indem wir nicht nur engagiert auf Qualifizierung und Weiterbildung setzen und die
Erwerbstätigkeit von Frauen weiter stärken. Gerade angesichts des demographischen Wandels
halten wir zusätzlich auch eine ambitionierte Einwanderungspolitik für dringend notwendig.
Das Fachkräftezuwanderungsgesetz der großen Koalition erfüllt diesen Anspruch nicht. Wir
wollen es überarbeiten und entbürokratisieren. Deutschland braucht ein echtes
Einwanderungsgesetz mit einem transparenten Punktesystem und der Möglichkeit eines
Spurwechsels.
Neue Jobs
Wir haben große Engpässe dort, wo Menschen sich um Menschen kümmern: in der Pflege, der
Bildung, in der Kinder- und Altersbetreuung. Diese Jobs in der Sorge-Arbeit müssen ausgebaut
werden und brauchen endlich die Anerkennung, auch finanziell, die ihnen gemessen an ihrer
gesellschaftlichen Relevanz zusteht. Diejenigen, die sich um andere Menschen kümmern, dürfen
nicht beim Mindestlohn landen oder Probleme haben, sich eine Wohnung zu leisten.
Die Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung schätzt, dass mit stetigen
Investitionen in Nachhaltigkeit bis 2030 weltweit bis zu 170 Millionen neue Jobs geschaffen
werden können. Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU)
geht davon aus, dass sich die Zahl der Arbeitsplätze in der Erneuerbaren-Energien-Branche in
Deutschland allein in den nächsten zehn Jahren auf mindestens 500.000 verdoppelt. Im
gesamten Bereich Umwelttechnik und Ressourceneffizienz sind bereits heute 1,5 Millionen
Menschen in Deutschland beschäftigt. Erwartet wird hier ein Anstieg von jährlich 6,7
Prozent. Für diese Zukunftsbranche brauchen wir also qualifizierte Maschinenbauer,
Elektrotechnikerinnen, Ingenieurinnen, Vertriebsmitarbeiter*innen, Bürokräfte – von der
Berufseinsteigerin bis zur erfahrenen Fachkraft.
Gute Arbeitsbedingungen
Gute Arbeitsbedingungen und eine faire Verteilung des Wohlstandes zwischen Arbeit und
Kapital auszuhandeln, ist zunächst Aufgabe der Sozialpartner. Wir wollen die kollektive
Selbstorganisation und Mitbestimmung wieder stärken und prekäre Beschäftigung überwinden.
Bei der öffentlichen Vergabe sollen nur Unternehmen zum Zuge kommen, die einem Tarifvertrag
angehören bzw. Tariflöhne zahlen. Zudem wollen wir es leichter machen, Tarifverträge für
allgemeinverbindlich zu erklären. Die Bildung von Betriebsräten werden wir erleichtern,
indem Initiator*innen einen besonderen Schutz erhalten und die Verhinderung von
betrieblicher Interessenvertretung als klare Straftat angesehen und verfolgt wird.
Wir wollen die betriebliche Mitbestimmung ausbauen, indem die Betriebsräte bei der
Personalplanung stärker eingebunden werden und bei der Weiterbildung und der
Beschäftigungssicherung ein echtes Vorschlags- und Initiativrecht bekommen. Die
unternehmerische Mitbestimmung soll bereits ab einer Unternehmensgröße von 1.000
Beschäftigten voll greifen und die Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmervertreter*innen bei
strategischen Unternehmensentscheidungen im Aufsichtsrat erweitert werden.
Der gesetzliche Mindestlohn war ein wichtiger Meilenstein für faire Arbeitsbedingungen. Wir
wollen Ausnahmen beim Mindestlohnstreichen, die Kontrolle verbessern und zudem dafür sorgen,
dass er in Zukunft wirklich armutsfest ist. Die Mindestlohnkommission wollen wir
reformieren, um ihren Entscheidungsspielraum zu stärken. Die Höhe des Mindestlohns soll sich
künftig nicht allein an der Tarifentwicklung orientieren, sondern vor Armut schützen und den
Zusammenhalt in der Gesellschaft stärken. Deshalb wollen wir als Sofortmaßnahme eine
Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro. Gleichzeitig sollen die Vertreter*innen der
Wissenschaft in der Mindestlohnkommission ein Stimmrecht erhalten. Leiharbeit wollen wir
stärker regulieren, für Leiharbeitskräfte soll ab dem ersten Tag die gleiche Bezahlung wie
für die Stammbelegschaft gelten sowie eine zusätzliche Flexibilitätsprämie. Sachgrundlose
Befristungen wollen wir abschaffen. Wir fordern ein wirksames Entgeltgleichheitsgesetz mit
einem Verbandsklagerecht für gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit. Unser Ziel ist es,
Minijobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung umzuwandeln und dafür zu sorgen,
dass die Beiträge durch Steuern und Abgaben sowie soziale Leistungen so aufeinander
abgestimmt werden, dass sich Erwerbsarbeit immer rechnet. Dabei darf die Belastung mit
Steuern und Abgaben nicht sprunghaft steigen. Und wir streiten dafür, Berufe aufzuwerten,
die heute noch meist von Frauen ausgeübt werden, beispielsweise in der Erziehung, der Pflege
oder im Gesundheitssystem, und sie besser zu bezahlen. Wir wollen, dass Arbeit auf Abruf
nicht mehr möglich ist, wenn die Tätigkeiten mit normalen Arbeitsverhältnissen erledigt
werden können, etwa über die Nutzung von Arbeitszeitkonten.
Die Regulierung von Arbeit wollen wir an die Herausforderung der Digitalisierung anpassen.
Dafür braucht es schärfere Abgrenzungskriterien von (Solo-)Selbstständigkeit sowie eine
Neudefinition des Arbeitnehmer*innen-Begriffs. Gesetzliche Mindesthonorare sollen für
Selbstständige ein Schutz vor Dumping und Ausbeutung sein, genauso wie der gesetzliche
Mindestlohn es für Beschäftige ist. Auch sollten sich die Auftraggeber*innen an den
Sozialversicherungsbeiträgen beteiligen.
Durch Digitalisierung entsteht ein großes Potenzial, Arbeitszeit weiter zu verkürzen, sie
mit anderen Lebensbereichen besser zu vereinbaren und Arbeit umzuverteilen, sowohl Erwerbs-
als auch Sorge-Arbeit. Dabei ist uns besonders wichtig, dass es auch zu einer gerechteren
Aufteilung von Erwerbs- und Sorge-Arbeit zwischen den Geschlechtern kommt. Wenn Arbeit
besser ins Leben passt, sind die Beschäftigten produktiver, weniger gestresst und
engagierter. Auch der wachsende Fachkräftebedarf kann so besser bewältigt werden.
Wir brauchen nicht noch mehr Verfügbarkeit von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern rund um
die Uhr. Zum Schutz der Gesundheit braucht es auch im digitalen Zeitalter eine Grenze für
die tägliche Höchstarbeitszeit sowie ausreichende Ruhezeiten ohne Unterbrechung. Wir wollen
mehr Arbeitszeitsouveränität für die Beschäftigten und fordern eine Wahlarbeitszeit zwischen
30 und 40 Wochenstunden. Damit wird die Vollzeit neu definiert und zu einem flexiblen
Arbeitszeitkorridor umgestaltet. Ein Rückkehrrecht von Teilzeit-Beschäftigten auf ihre
vorherige Stundenzahl ist notwendig, damit sie beruflich wieder voll durchstarten können.
Die von der großen Koalition eingeführte Brückenteilzeit nur für große Betriebe genügt
diesen Anforderungen bei weitem nicht. Der überwiegende Teil der Beschäftigten (insbesondere
Frauen) wird aufgrund der Einschränkungen das Recht auf Rückkehr in Vollzeit nicht in
Anspruch nehmen können. Wir wollen außerdem, dass die Hälfte der Plätze in den
Führungspositionen von Unternehmen mit Frauen besetzt werden, Deshalb braucht es
verbindliche Frauenquoten für Aufsichtsräte und vergleichbare Regelungen auch für Vorstände.
Durch die Digitalisierung wird es auch einfacher für die Beschäftigen, von zu Hause zu
arbeiten. Wir werden deswegen ein Recht auf Home-Office einführen.
Beschäftigte am Wohlstand beteiligen
Eine verbesserte Mitarbeiterbeteiligung an Unternehmen kann sowohl dem Fachkräftemangel als
auch einer ungleichen Vermögensentwicklung entgegenwirken. Sie ist ein Weg, um die
Bevölkerung besser am gesellschaftlichen Produktivvermögen zu beteiligen. Bislang sind wir
im europäischen Vergleich jedoch Schlusslicht bei der Mitarbeiterbeteiligung. Wir wollen
daher den steuerlichen Freibetrag für die Überlassung von Mitarbeiterbeteiligungen deutlich
anheben. Außerdem wollen wir eine Plattform schaffen, um Beispiele von erfolgreichen
Beteiligungsmodellen besser zugänglich zu machen und interessierten Unternehmen mehr
Informationen bereit zu stellen.
5. Eine neue Gründerzeit ermöglichen
Viele kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) treiben den ökologischen Wandel voran
und schreiben schon heute mit grünen Ideen schwarze Zahlen. Sie schaffen neue Arbeitsplätze,
die auch morgen noch bestehen. Wir wollen sie mit einem steuerlichen Forschungsbonus
unterstützen, die Chancen von ressourcensparenden und emissionsarmen Produkten und Verfahren
zu nutzen und sie mit einfacheren Abschreibungsregeln, Vereinfachungen bei der Umsatzsteuer
und guten Bedingungen für Mitarbeiterbeteiligungen entlasten. In Strukturwandelregionen
wollen wir die regionale Wirtschaftsförderung stärken, damit es lokal ansässigen Unternehmen
schnell gelingt, den neuen Marktanforderungen gerecht zu werden. Gerade die kleinen und
mittleren Unternehmen im Handwerk sind unverzichtbar. Sie realisieren die Energiewende,
sorgen für fachgerechte Wärmedämmung und sind regionaler Partner für die Landwirtschaft.
Damit Handwerksberufe wieder attraktiver werden setzen wir auf eine stärkere Tarifbindung
und branchenspezifische Mindestvergütungen. Die Handwerksbetriebe sollen bei der Ausbildung
und Gewinnung von Auszubildenden stärker beraten, unterstützt und begleitet werden. Durch
einen Rechtsanspruch auf einen schnellen Breitband-Internetanschluss sorgen wir dafür, dass
das Handwerk auch im ländlichen Raum online ist.
Gründer*innen fördern
Wir brauchen eine neue Gründer*innenwelle. Keine gute Idee darf an zu wenig Eigenkapital
scheitern. Wir fordern daher eine schnelle Einführung des unbürokratischen
Gründungskapitals, welches Gründer*innen einen Einmalbetrag bis maximal 25.000 Euro
sicherstellt, unter der Voraussetzung einer Wirtschaftlichkeitsprüfung.
Frauen sind erfolgreiche Gründerinnen, bei Gründungen von Unternehmen jedoch
unterrepräsentiert. Nur 15 Prozent der Startups in Deutschland werden laut Female Founder
Monitor von Frauen gegründet. Bei einer solch niedrigen Quote entgeht Deutschland ein großes
Potenzial an innovativen Unternehmen. Öffentliche Fördergelder erreichen in der Regel eher
männliche als weibliche Gründer*innen. Wir schlagen vor, einen staatlich geförderten
Wagniskapitalfonds zu schaffen, der sich nur an Gründerinnen richtet. Irland hat mit diesem
Modell gute Erfahrungen gemacht. Nach einem Zeitraum von fünf Jahren sollte überprüft
werden, ob der Fonds einen nachhaltigen Effekt hatte. Jede fünfte Gründerin und jeder fünfte
Gründer hat eine Einwanderungsgeschichte. Für sie wollen wir ein zugeschnittenes
Beratungsangebot schaffen.
Der Staat ist durch die öffentliche Beschaffung von Produkten und Dienstleistungen ein
wichtiger Impulsgeber für die Wirtschaft. Die öffentliche Hand kann durch die
Auftragsvergabe eine aktive Vorbild- und Lenkungsfunktion erfüllen, eine nachhaltige
Wirtschaftsweise stärken und Innovationen fördern. Wir wollen, dass Vergabeverfahren so
gestalten werden, dass der Bund im Rahmen seiner öffentlichen Auftragsvergabe und
Ausschreibungen Startups und jüngere Unternehmen, neue Technologien und innovative
Geschäftsmodelle stärker berücksichtigt. Vergabelose sollten KMU-freundlich ausgeschrieben
werden.
Wir fordern Startup-Zentren ähnlich der französischen Station F, die Gründer*innen den
notwendigen Arbeitsraum zur Verfügung stellen. Wir fordern zwei Jahre Befreiung von nicht
unbedingt nötigen Melde- und Berichtspflichten und wollen die Gründungsberatung und
-förderung aus einer Hand in „One-Stop-Shops“ ermöglichen, damit Gründer*innen Zeit zum
Gründen haben. Ausgründungen aus Hochschulen und Kooperationen von Gründer*innen und
Hochschulen sollen durch bessere Beratung und Betreuung gefördert werden, damit zum Beispiel
Labore zur Mitnutzung geöffnet werden. Die heutige Gründungsförderung ist stark auf
technologieorientierte Startups zugeschnitten. Wir wollen die bestehenden Förderinstrumente
neutraler ausgestalten und damit stärker als bisher zum Beispiel sozial orientierte
Unternehmen oder die Kreativwirtschaft fördern.
Wir wollen die freiwillige Arbeitslosenversicherung weitgehend für Selbständige öffnen und
erreichen, dass anderweitig nicht abgesicherte Selbständige in die gesetzliche
Rentenversicherung einbezogen werden. Und wir brauchen in Deutschland auch eine Kultur des
Scheiterns. Das Insolvenzrecht muss so gestaltet sein, dass es schneller Neuanfänge
ermöglicht.
Für die erfolgversprechendsten Startups wollen wir einen Europäischen Startup-Pass
einführen. Dieser soll ihnen die Möglichkeit geben, an allen europäischen Startup-
Förderprogrammen teilzunehmen und Unterstützung durch Inkubatoren zu erhalten. Sie sollen
außerdem breite Unterstützung durch Informationen und Beratung zur Rechtslage und zu
Patenten bis hin zu vereinfachten Visa für ausländische Mitarbeiter*innen des Startups
bekommen. Ausländischen Startups sollen neben einem Europäisches Startup-Visum auch Beratung
und finanzielle Unterstützung angeboten werden, damit sie sich in Europa ansiedeln.
Verwaltung kooperativer gestalten
Zugleich kann die öffentliche Verwaltung innovativer und kooperativer werden. Wir fordern
daher ein deutsches GovTech-Programm nach dänischem Vorbild. So sollen
Technologieunternehmen und Startups mit innovativen Lösungen den Ministerien helfen,
bestimmte Fragestellungen und Herausforderungen, mit denen sie konfrontiert sind, zu lösen.
Unser Ziel ist die vollständige elektronische Abwicklung in der Verwaltung. Das spart
Unternehmen, Bürger*innen und der Verwaltung viel Zeit und Geld.
Bei der Regulierung soll das Prinzip der Verhältnismäßigkeit gelten: Große Unternehmen
können komplexe Anforderungen erfüllen, kleinere Unternehmen und den Mittelstand wollen wir
gezielt entlasten. Für die Gründungsphase eines Unternehmens wollen wir bestimmte
Regulierungen ganz aussetzen. Genehmigungsverfahren wollen wir beschleunigen. Wir werden
nicht nur den Unternehmen Fristen setzen, sondern verstärkt auch der Verwaltung. Verpasst
die Verwaltung die Frist, gilt die Genehmigung automatisch als erteilt.
Wagnisse ermöglichen
Wir müssen nicht nur technologisch exzellent sein, sondern bahnbrechende Technologien auch
in neue Geschäftsmodelle, Märkte, Dienstleistungen und Produkte umwandeln können.
Fördermöglichkeiten und Netzwerke für Startups und junge Unternehmen können den Unterschied
zwischen einer guten Idee auf dem Flipchart und einem weltweit erfolgreichen Unternehmen
ausmachen.
Startup-Förderung braucht Anschubfinanzierung und eine starke Finanzierung in der
Wachstumsphase. Wir wollen mit einem öffentlichen Zukunftsfonds eine Investitionswelle im
Venture Capital Markt auslösen. Dieser Fonds soll als eine Art stille Teilhaber*in jungen
und wachsenden Startups das nötige Eigenkapital bereitstellen. Das verhindert, dass unsere
Startups auf ausländische Geldgeber angewiesen sind, aufgekauft werden und das
technologische Know-how ins Ausland fließt. Wenn ausländische Konzerne ein europäisches
Startup übernehmen, sollen sie einen Ausgleich für die Fördermittel zahlen, die das Startup
von europäischer und nationaler Ebene bekommen hat.
Der Fonds soll mit Eigenkapital ausgestattet werden und sich dann weiteres Kapital günstig
am Finanzmarkt leihen. Seine Gewinne sollen vollständig das eigene Kapital weiter
aufstocken. Der Zukunftsfonds soll politisch unabhängig gemanagt werden. Unser unabhängig
verwalteter Bürgerfonds für eine stabile und rentable Anlagemöglichkeit soll in den
Zukunftsfonds investieren können und auch andere Investitionen im Venture-Capital-Bereich
finanzieren können. Über die Trennung von Zukunftsfonds und Bürgerfonds verhindern wir
problematische Interessenskonflikte zwischen industriepolitischen Zielen und dem
Bürgerfonds.
Auch Crowdfunding kann – vor allem wenn reward-basiert – neue Finanzierungsquellen für junge
Unternehmen erschließen. Wir wollen dafür sorgen, dass öffentliche Förderungen von
Gründungen und von Forschung mit Crowdfunding kombiniert werden können.
Gute Bedingungen für gute Ideen schafft auch der europäische Binnenmarkt mit über 500
Millionen Menschen, die sich daran beteiligen. Der Wagniskapitalmarkt der EU ist derzeit in
viele kleine nationale Märkte zersplittert. Wir wollen die nationalen Förderinstrumente
koordinieren und abstimmen. Mittelfristig streben wir einen großen europäischen
Wagniskapitalfonds an und wollen die EU zum größten Venture-Capital-Markt der Welt machen.
6. Digital von der Null zur Eins werden
Wir setzen uns für eine Politik der technologischen Souveränität Europas ein und plädieren
für eine starke europäische Digitalinfrastruktur. Anstatt sich zum Beispiel bei Cloud-
Diensten zwischen Amazon oder Alibaba entscheiden zu müssen, wollen wir eine eigene
europäische Cloud-Infrastruktur aufbauen. Diese soll unseren Unternehmen eine effiziente und
sichere Alternative zu den amerikanischen und chinesischen Anbietern sein.
Dabei setzen wir unsere Priorität auf die Stärkung der europäischen Halbleiterindustrie.
Halbleiter sind im digitalen 21. Jahrhundert das, was Rohöl im analogen 20. Jahrhundert war:
eine kritische Ressource. In Ostdeutschland haben wir einen der größten Standorte für die
Halbleiterproduktion in Europa. Wir wollen diese Stärke stärken, indem wir die Forschung und
Entwicklung von ultraeffizienten Chips fördern und den Mikroelektronik-Cluster in Dresden
stärken.
Vielfalt und Offenheit statt digitaler Monopole
Die Digitalisierung hat datenbasierte Plattform-Geschäftsmodelle hervorgebracht, die eine
Tendenz zum Monopol aufweisen. So erfordern es Wettbewerb und moderner Verbraucherschutz,
dass die Grundsätze der Interoperabilität – wie wir sie aus dem Mobilfunk kennen – auch bei
online-gestützten Angeboten gelten. Was heute bei Telefon, SMS und Mail selbstverständlich
ist, muss zum Beispiel auch bei Messenger-Diensten oder sozialen Netzwerken gewährleistet
werden, nämlich unkompliziert zwischen Anbietern und Plattformen kommunizieren und wechseln
zu können.
Auch digitale Großkonzerne müssen sich an das europäische Ordnungsrecht halten. Deshalb
setzen wir uns für eine faire Besteuerung digitaler Großkonzerne ein, die bisher von der
Bundesregierung verhindert wird.
Infrastrukturen sind eine öffentliche Aufgabe. Dieses Prinzip, das bei Stromnetzen oder
Straßen selbstverständlich ist, muss im digitalen Bereich neu ausgehandelt werden. Wenn
Google seine dominierende Stellung bei Handy-Betriebssystemen oder Amazon seine beim Verkauf
über den Marketplace ausnutzt, müssen wir dem einen Riegel vorschieben. Den lokalen
Einzelhandel werden wir vor unfairem Dumpingwettbewerb von Amazon und Co. schützen. Ziel ist
es, privatisierte Marktplätze wieder öffentlich zugänglich zu machen. Außerdem werden wir
die Gebühren für Plattformen mit weitreichender Marktmacht regulieren, damit die Gewinne von
kleinen Unternehmen nicht von den Plattformbetreibern abgeschöpft werden können.
Google und Facebook dominieren mittlerweile den Markt für Onlinewerbung. Kaum ein
Unternehmen kann es sich noch leisten, nicht über sie online für die eigenen Produkte zu
werben. Ein solches Oligopol muss reguliert werden. Wir wollen in Europa eine gesetzliche
Grundlage für Onlinewerbung schaffen.
Standards für die datengetriebene Wirtschaft
So, wie wir mit der Datenschutzgrundverordnung unseren europäischen Rechtsrahmen in der
digitalen Welt stärken konnten, an die sich andere halten müssen, wollen wir auch ethische,
gesellschaftliche und sicherheitspolitische Grundregeln für intelligente Maschinen und
Algorithmen auf EU-Ebene etablieren. Dazu gehören Regeln bezüglich der Haftung, Transparenz,
Nicht-Diskriminierung und Überprüfbarkeit algorithmischer Entscheidungen sowie essentielle
Cybersicherheitsstandards.
Wir wollen einen einheitlichen europäischen Rechtsrahmen für datengetriebene
Geschäftsmodelle schaffen. Daten sind Schlüsselressource der digitalen Welt, insbesondere
für Technologien wie die künstliche Intelligenz. Daher plädieren wir für die Bereitstellung
öffentlicher, anonymisierter bzw. pseudoanonymisierter Daten, damit dadurch neue
Innovationen und Geschäftsmodelle entstehen. Open-Data ist eine Grundvoraussetzung, damit
europäische Unternehmen etwa bei künstlicher Intelligenz noch zum Silicon Valley
aufschließen können. Die Bundesregierung muss bei Innovationen und neuen technologischen
Lösungen im Bereich des öffentlichen Sektors vorangehen. Dafür muss sie auch die bei
öffentlichen Stellen erfassten Daten in einer datenschutzkonformen Weise (anonymisiert) der
Allgemeinheit zur Verfügung stellen. So können Startups, Unternehmen und
Forschungseinrichtungen diesen Datenschatz für die Entwicklung innovativer Technologien
nutzen. „Sharing is Caring“ gilt an dieser Stelle ganz besonders.
„Private Daten schützen, öffentliche Daten nützen“ gilt auch für Unternehmen. Wir wollen
eine Datenökonomie stärken, die nach diesem Prinzip organisiert ist. Dafür wollen wir
Definitionen von Normen, Standards und Schnittstellen zum Datenaustausch zwischen
Unternehmen, Forschungseinrichtungen und öffentlicher Hand zur kooperativen Datennutzung
fördern. Mit der Macht über Daten werden heute Monopolstellungen geschaffen. Wir wollen
gesetzlich regeln, welche Daten als öffentliches Gut anzusehen sind.
IT für grüne Ziele nutzen
Wir wollen die Digitalisierung nutzen, um Ökonomie und Ökologie weiter zusammenzuführen. Die
Digitalisierung schafft enorme Chancen für Ökoeffizienz und Kreislaufwirtschaft. Dafür
wollen wir ein EU-Förderprogramm, das sich exklusiv dem ökologischen Potenzial der
Digitalisierung widmet und die Ökoeffizienz in Unternehmen fördert. Die Digitalisierung kann
zum ökologischen Umbau unserer Gesellschaft beitragen. Wenn wir nicht handeln, besteht aber
das Risiko, dass die Digitalisierung zum Treiber von Klimakrise und Umweltzerstörung wird.
Derzeit werden wertvolle Rohstoffe zunehmend für die Digitalisierung gebraucht und der
Energiebedarf für digitale Prozesse wächst jedes Jahr massiv. Expert*innen zufolge wird der
digitale Energiebedarf bis zum Jahr 2040 die weltweite Energieproduktion übersteigen, wenn
wir nicht umsteuern.
Wir wollen als Teil der Energiewende energiearme IT-Technik voranbringen und eine
europäische „Green-IT“-Strategie auflegen. Darüber hinaus setzen wir uns für „Green-IT“-
Kriterien bei der öffentlichen Vergabe und ein Label für energieeffiziente, nachhaltige
Rechenzentren ein. Denn gerade die Digitalisierung bietet auch ein erhebliches Potenzial für
den Klimaschutz und zur Einsparung von Treibhausgasen und Ressourcen.
Allein durch die Digitalisierung könnten die globalen CO2-Emissionen bis 2030 gegenüber
jetzigen Prognosen um 20 Prozent sinken. Studien gehen von 15 bis 20 Prozent
Energieeinsparung durch Gebäude-Klimamanagementsysteme aus. Um 25 bis 30 Prozent könnte der
Energieverbrauch der Industrie durch IT-gesteuerte Prozessoptimierung sinken, indem
Maschinen intelligent miteinander vernetzt werden. Dieses Potenzial wollen wir konsequent
nutzen.
Bei großen Unternehmen ist es längst selbstverständlich, dass Videokonferenzen in vielen
Fällen Reisen per Bahn oder Flugzeug ersetzen. Das spart Zeit und Kosten, entlastet die
Mitarbeitenden und schont zugleich die Umwelt. Mit den selbstfahrenden Autos von morgen
bietet sich durch Vernetzung, Carsharing und zusätzlich flexible öffentliche
Nahverkehrsangebote gerade im ländlichen Raum die Chance, viele Privatfahrten im Auto zu
ersetzen. Die Digitalisierung kann die Energiewende in Form intelligenter Netze unterstützen
oder dabei helfen, Transportketten zu optimieren und etwa Leerfahrten zu verhindern.
Cybersicherheit für die Industrie
Es braucht dringend ein umfassendes Paket zur Stärkung der Cybersicherheit unserer
Industrie. Dies umfasst die Einrichtung eines europäischen Forschungsverbunds für
Cybersicherheit, in dem das Nationale Forschungszentrum in Darmstadt integraler Teil wird,
um die Entwicklung von Technologien und industriellen Fähigkeiten im Bereich der
Cybersicherheit zu fördern. Außerdem wollen wir ein in allen Mitgliedstaaten anerkanntes EU-
weites Zertifizierungssystem für Produkte und Dienstleistungen sowie umfassende
Beratungsangebote einführen.
7. Die Technik von morgen entwickeln
Um den Wirtschaftsstandort Deutschland in die Zukunft zu führen, müssen wir auch für
Forschung und Entwicklung die richtigen Rahmenbedingungen setzen. Technologiedurchbrüche,
Innovation und Neues entstehen nicht allein in Forschungsabteilungen, Vorstandsebenen oder
Regierungsagenturen. Sie entstehen in Ökosystemen. Es geht darum, Kooperationen zu fördern,
die Arbeit in isolierten Fach-Communities aufzubrechen, Wissen zu teilen und von der
Erfindung nahtlos in die Umsetzung zu kommen. Wir fordern daher mehr interdisziplinäre
Forschungsplattformen, an denen sich insbesondere Hochschulen, freie Forschungsinstitute,
zivilgesellschaftliche Organisationen und Unternehmen beteiligen können. Darüber hinaus sind
Reallabore und Experimentierräume in der Forschung notwendig, damit bahnbrechende neue
Technologien auch gleich in der Umsetzung getestet werden können. Um diese zu fördern,
schlagen wir eine eigene Förderlinie vor.
Alle heute genutzten Technologien beruhen auf öffentlicher Grundlagenforschung. Auch in
Europa und Deutschland sollte die öffentliche Hand massiv investieren, gerade da, wo Märkte
versagen: bei risikoreicher Forschung, öffentlicher Infrastruktur, Sprunginnovationen. Für
diese Jahrhundertaufgabe müssen deutsche und europäische Förderprogramme ambitionierter,
risikofreudiger und agiler werden. Es geht uns dabei um einen gezielt agierenden, proaktiven
und unternehmerischen Staat, der unternehmerisches Risiko eingeht und als Leadinvestor ein
innovationsfreundliches Umfeld auch für private Unternehmen und ihre Ideen schafft.
In Zukunftstechnologien und digitale Infrastruktur investieren
Europäische Kooperation ist die Grundvoraussetzung, um auf den Technologiemärkten des 21.
Jahrhunderts mithalten zu können. Wir wollen deswegen wieder intensiv in den Wissens- und
Innovationsstandort Europa investieren und die Mittel des kommenden europäischen
Forschungsrahmenprogramms auf 120 Milliarden Euro aufstocken. Damit wollen wir ein
schlagkräftiges Nachfolgeprogramm zu „Horizon 2020“ etablieren, das besonders die
Grundlagenforschung in wirtschaftlichen Schlüsselfeldern wie der künstlichen Intelligenz,
der Robotik, Quantentechnologie sowie der Bio- und Nanotechnologie fördert.
Es bleibt daher ein Fehler, dass die Bundesregierung die Vorschläge vom französischen
Präsidenten, eine europäische Agentur für Sprunginnovationen und ein deutsch-französisches
KI-Zentrum zu etablieren, nicht angenommen und ernsthaft verfolgt hat. Stattdessen hat die
große Koalition eine allein national ausgerichtete Agentur für Sprunginnovationen etabliert.
Wir fordern, dass diese nun zumindest mit den europäischen Institutionen und Initiativen eng
verzahnt wird. Auch sind die geplanten 500.000 Euro Förderung für ein virtuelles deutsch-
französisches KI-Netzwerk viel zu wenig, um die besten Forscherinnen und Forscher
zusammenzubringen und tatsächlich Synergien zu etablieren.
Schnelles Netz ist die Grundlage für alles – Industrie, Mobilität, Landwirtschaft, digitale
Verwaltung, Teilhabe, ökonomischer Erfolg. Für Unternehmen ist der Breitbandausbau eine
harte Standortfrage. Und oftmals sind es gerade die ländlichen Regionen, die von schnellem
Internet abgehängt sind. Von der flächendeckenden Grundversorgung, die die Bundesregierung
versprochen hatte, sind wir weit entfernt. Für die digitale Infrastruktur Glasfaser und 5G-
Mobilfunk gibt es erhebliche Investitionslücken. Damit der Glasfaserausbau schneller
vorankommt, brauchen wir eine solide Finanzierung. Dies wollen wir dadurch ermöglichen, dass
der Bund seine Anteile an der Telekom verkauft, und sie in eine Ausbaugesellschaft für
Glasfaser investieren.
Neue Wege beim Urheberrecht
Wir wollen zudem in der Forschungsförderung stärker Output-basierte Modelle erproben und
beispielsweise Prämien für die Lösung von Zukunftsfragen öffentlich ausloben. Ferner wollen
wir eine weitgehende Verfügbarkeit von Basisinnovationen ermöglichen und dafür Open-Source-
Lösungen fördern. Wer sich verpflichtet, seine Forschungsergebnisse gebührenfrei der
Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen, erhält im Gegenzug großzügigen Zugang zu
Fördermitteln. Ein Beispiel, wie eine solche gemeinwohlorientierte Lizensierung gestaltet
werden kann, sind die Creative Commons Lizenzen, die seit Jahren erfolgreich die Rechte von
Urheber*innen waren und gleichzeitig Inhalte für andere zugänglich und nutzbar machen.
Auch dem Mittelstand wollen wir den Weg frei machen für eine Investitionsoffensive in
Forschung, Entwicklung und Innovation. Wir wollen die steuerliche Förderung bei Forschung
und Entwicklung nicht wie die große Koalition auch Großkonzernen gewähren, sondern explizit
den KMUs. Bei der Auftragsforschung sollen auch die Auftraggeber*innen einen Teil des
Steuerbonus geltend machen können.
8. Gleichwertige Lebensverhältnisse in Ost und West, Stadt und Land
Gemeinsam können wir dafür sorgen, dass Stadt und Land, dass strukturschwache und
wirtschaftsstarke Regionen nicht weiter auseinanderdriften. In den deutschen Kommunen klafft
eine öffentliche Investitionslücke bei der Infrastruktur von 138 Milliarden Euro. So viel
Geld fehlt in Kitas, Straßen, Brücken oder Spielplätzen, allein um die Substanz zu erhalten.
Viele Kommunen können das nicht finanzieren. Damit werden wir unserer Verpflichtung nach
gleichwertigen Lebensverhältnissen nicht überall im Land gerecht, was vor allem
strukturschwache Regionen, gerade in Ostdeutschland, betrifft.
Eine neue Gemeinschaftsaufgabe „regionale Daseinsvorsorge“ soll dem Bund erlauben,
strukturschwache Regionen finanziell zu unterstützen. Dafür wollen wir eine Kompetenzagentur
schaffen, welche die Kommunen bei der Planung von Investitionen und dem Abruf von
Fördermitteln unterstützt. Eine Förderung über alle Regionen hinweg führt oft dazu, dass
stärkere Regionen aufgrund ihrer funktionierenden Infrastruktur und Verwaltung die Mittel
als erstes beantragen und bekommen, während die schwächeren Regionen dann das Nachsehen
haben. Wir wollen die Förderung auf die wirklich strukturschwachen Regionen ausrichten. Die
beste Förderung hilft nicht, wenn die Mittel nicht dort ankommen, wo sie wirksam werden
sollen.
Wir wollen die aktuelle Förderung von ihrer Projektorientierung hin zu Prozessen ausrichten,
damit Projekte vor Ort langfristig gesichert sind und das Engagement der Leute vor Ort
nachhaltig gefördert wird. Daneben soll ein Altschuldenfonds Kommunen mit hohen Altschulden
neue Spielräume eröffnen, indem der Bund einen Teil der Schulden übernimmt, aber auch die
Verantwortung der Länder zum Tragen kommt sowie berücksichtigt wird, dass einige
Landesregierungen dies bereits aus eigener Kraft getan haben. Der Bund kann sich zu sehr
niedrigen – momentan sogar negativen – Zinsen finanzieren, und so den Kommunen wieder Luft
zum Atmen verschaffen. Die regionale Wirtschaftsförderung wollen wir neu ausrichten und
Regionen, die einen starken Strukturwandel zu bewältigen haben, mehr in den Blick nehmen.
Entscheidend für die Ansiedlung von Unternehmen ist nicht der Scheck vom Staat, sondern eine
exzellente Infrastruktur und gut ausgebildete Fachkräfte vor Ort. Wo es keinen Datenhighway
gibt, kann sich heute kein Unternehmen mehr ansiedeln.
Für die Lausitz hieße das zum Beispiel, dass man von den kleinen Orten schnell nach Cottbus
kommen kann, und von Cottbus schnell mit der Bahn nach Berlin. Schnelles Internet und das
digitale Büro würden es mit einem Arbeitsplatz in Berlin ermöglichen, an der
mecklenburgischen Seenplatte zu wohnen. Gute Bahnverbindungen würden die gelegentliche,
zügige Fahrt zur Firma erlauben. Wir wollen die regionalen Zentren stärken und zu
Ankerpunkten in den Regionen mit breitem Angebot an öffentlichen und kulturellen
Dienstleistungen machen. Wir wollen auch Universitäten und Fachhochschulen ansiedeln bzw.
erweitern, denn sie können einen Wissenstransfer in die lokale Wirtschaft organisieren.
Gleichzeitig bringen die gut ausgebildeten Studierenden eigene Geschäftsideen mit oder sind
künftige Fachkräfte für die lokale Wirtschaft. So kann es auch gelingen, junge Zugewanderte
zu motivieren, etwa in die Uckermark oder nach Ostsachsen zu ziehen.
9. Mit einer gemeinsamen Industriestrategie die Stärke des europäischen Binnenmarktes nutzen
Der Kern einer guten Industriepolitik liegt in der Stärkung der eigenen Innovationskraft,
nicht in der Abwehr von Konkurrenz. Trotzdem ist es wichtig, dass Deutschland und Europa
faire Regeln entwickeln und diese dann nach innen und außen durchsetzen.
Der europäische Binnenmarkt ist der größte gemeinsame Wirtschaftsraum der Welt. Kein großes
globales Unternehmen kann es sich leisten, auf diesem riesigen Markt nicht vertreten zu
sein. Den Europäischen Binnenmarkt müssen wir nutzen, um Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und
faire Spielregeln zu stärken, anstatt uns von nationalen Interessen auseinanderdividieren zu
lassen.
Wer auf dem europäischen Markt mitspielen will, muss den europäischen Regeln folgen. Mit der
Datenschutzgrundverordnung haben wir gezeigt, wie das geht. Entweder halten sich Unternehmen
daran, oder ihnen wird der Zugang zum Markt verwehrt. Mittlerweile macht die DSGVO
international Karriere.
Die Europäische Union muss dafür als starke und geeinte Akteurin gemeinsame Standards für
eine zukunftsfähige Wirtschaft entwickeln – statt Empfängerin der strategischen
Entscheidungen anderer zu sein. Wenn die USA auf einen finanzmarktgetriebenen Kapitalismus
und China auf autoritären Staatskapitalismus setzt, dann müssen wir uns nicht entscheiden,
sondern darauf eine europäische Antwort geben: mit einem Green New Deal für die sozial-
ökologische Marktwirtschaft.
Europa braucht eine gemeinsame Industriepolitik, deren Kern in der Stärkung der eigenen
Innovationskraft und der Durchsetzung von fairen Spielregeln für die Wirtschaft liegt – nach
innen wie nach außen. Ihre Ziele und Instrumente sollen sich an der Notwendigkeit einer
sozial-ökologischen Transformation der Wirtschaft orientieren. So kann der europäische
Binnenmarkt, auch aufgrund seiner Größe, zum Leitmarkt für die Welt werden.
Eine Industriestrategie zur Stärkung von Innovation und Nachhaltigkeit
Eine Industriestrategie muss in erster Linie Innovationen in Deutschland und Europa aktiv
vorantreiben, zum Beispiel durch ordnungspolitische Leitplanken und öffentliche Aufträge,
welche die Nachfrage nach neuen Technologien stimulieren. Sie soll dabei insbesondere auch
den ökologischen Wandel der Wirtschaft unterstützen, durch Maßnahmen wie eine langfristige
Klimaschutzstrategie, einen europaweiten CO2-Mindestpreis, oder die Förderung industrieller
Leuchtturmprojekte mit dem Ziel, Treibhausgasemissionen in den energieintensiven Branchen
abzubauen. Finanzmärkte müssen so reguliert werden, dass sich nachhaltige Investitionen
auszahlen und nicht benachteiligt werden. Auch die europäischen Investitionsprogramme müssen
auf Nachhaltigkeit getrimmt werden.
Eine Industriestrategie soll auch dafür sorgen, dass europäische Kräfte bei künstlicher
Intelligenz gebündelt werden und öffentliche Investitionen in europäische Gemeingüter
getätigt werden, wie in die Verkehrs-, Telekommunikations- und Energieinfrastruktur.
Rechtswidriger Steuerumgehung und Steuerbetrug erteilen wir eine Absage, denn auch
Unternehmen müssen sich angemessen an der Finanzierung öffentlicher Aufgaben beteiligen.
Auch gerechte Arbeitsbedingungen, Mindeststandards bei der sozialen Absicherung und eine
europäische Rückversicherung für die nationalen Arbeitslosenversicherungssysteme müssen Teil
einer solchen sozial-ökologischen Industriestrategie sein.
Wettbewerbsverzerrungen bekämpfen
Gegenüber staatlich subventionierten Monopolisten aus China und unregulierten
Digitalkonzernen aus den USA muss eine europäische Industriestrategie fairen Wettbewerb auf
dem europäischen Markt sicherstellen, zum Beispiel durch eine Weiterentwicklung der Anti-
Dumping- und Anti-Subventionsinstrumente, eine Reform der WTO und eine Schärfung der Regeln
im Kartellrecht. Auch muss die Europäische Union Wettbewerbsverzerrungen bei öffentlichen
Aufträgen stärker ahnden können. Ein Weg könnte sein, im Vergaberecht die Möglichkeiten zu
schaffen, Angebote aus Ländern, die ihre Firmen subventionieren, mit einem Aufschlag zu
versehen und auch bei Nicht-EU-Bietern hohe Arbeits- und Umweltstandards zu berücksichtigen.
Mittelfristig sollte das Prinzip der Gegenseitigkeit (Reziprozität) für Drittstaaten gelten,
damit es zu gleichen Wettbewerbsbedingungen kommen kann.
Kontrolle über kritische Infrastruktur
Ausländische Direktinvestitionen in Schlüsseltechnologien und kritische Infrastruktur
sollten besser überwacht werden. Der neue europäische Screening-Mechanismus für
Direktinvestitionen sollte in die deutsche Außenwirtschaftsordnung integriert und konsequent
angewandt werden. Denn wenn wir keine Kontrolle mehr über unsere kritische Infrastruktur
haben, haben wir ein riesiges Sicherheitsproblem, sind abhängig und im schlimmsten Fall
erpressbar.
Mit Blick auf die konkret anstehende Entscheidung zu 5G halten wir einen Ausschluss von
Huawei angesichts der chinesischen Rechtslage für unabdingbar. Viele kleinere europäische
Länder sind abhängig davon, wie Deutschland sich entscheidet. Zwar mag der Ausbau der
deutschen 5G-Netze durch Huawei kostengünstiger und schneller sein als durch europäische
Anbieter. In der Abwägung zwischen Fragen der wirtschaftlichen und technologischen Effizienz
und der außen- und sicherheitspolitischen Dimension einer solchen Entscheidung kommen wir
aber zu dem Schluss, dass die politische Einflussnahme und die bereits stattfindende
Spaltung Europas durch China nicht weiter zunehmen darf. Es geht auch darum, die
sicherheitsrelevante Infrastruktur nicht dem Zugriff eines Konzerns in einem autoritären
Staat zu überlassen. Und es wird auch über unsere wirtschaftliche Zukunft entscheiden, in
Europa noch Unternehmen zu haben, die in der Lage sind, die Technologien der Zukunft zu
bauen. Die Entwicklung von digitalen Standards ist systemrelevant.
Regulatorische Macht für sozial-ökologische Ziele
Auch global sollten wir Europäer*innen Regeln setzen und dazu unser gesamtes europäisches
Schwergewicht in die Waagschale werfen. Wer in Europa Produkte verkaufen will, muss fair
produzieren. Die Produktion muss im Einklang mit den Klimazielen von Paris stattfinden.
Menschen- und Arbeitsrechte und der Schutz der Umwelt müssen geachtet werden. Dafür braucht
es Handelsabkommen, die ökologische und soziale Standards gegenüber Handelspartnern
einklagbar machen und ein Lieferkettengesetz, das Transparenz und menschenrechtliche
Sorgfaltspflichten für Unternehmen rechtsverbindlich macht. Wir wollen den Einsatz neuer
Technologien fördern, die die Zwischenstufen im Produktionsprozess nachvollziehbar machen.
So verhindern wir zum Beispiel, dass bei uns Produkte verkauft werden, deren Vorprodukte mit
Kinderarbeit in Afrika hergestellt wurden.
Den Euro zur Leitwährung machen
Die wirtschaftliche Stärke Europas wird zentral davon abhängen, ob wir die Währungsunion
vollenden. Eine Währungsunion ohne makroökonomische Ausgleichsmechanismen kann nicht
funktionieren. Daher wollen wir eine gemeinsame europäische Fiskalpolitik für die Eurozone,
die im Abschwung beherzt gegensteuern, die Wirtschaft stabilisieren und europäische
Gemeingüter finanzieren kann. Diese Fiskalpolitik könnte sich auch über europaweite Steuern
wie eine Digitalkonzernsteuer, eine Finanztransaktionssteuer oder eine europäische
Körperschaftsteuer finanzieren. Investitionen des gemeinsamen Haushalts sollten für
europäische Gemeingüter wie den Klimaschutz, den Ausbau der erneuerbaren Energien,
Kommunikation und Internet oder die Schieneninfrastruktur eingesetzt werden. Ein
Eurozonenbudget, das stabilisiert und investiert, sollte mindestens ein Prozent des BIP der
teilnehmenden Staaten umfassen, um makroökonomisch wirksam zu sein.
Kaum ein Land in der EU profitiert so stark von der gemeinsamen Europäischen Währung.
Anstatt sich als Exportnation zu feiern, sollte Deutschland zum Wohle und Wohlstand aller
daher besonders in die Stärkung der Eurozone investieren. Für den Ausbau der paneuropäischen
Infrastruktur wie zum Beispiel grenzüberschreitender Strom- oder Bahnnetze macht es Sinn,
gemeinsame europäische Anleihen zu schaffen, über die ein Teil dieser Investitionen im
Rahmen des EU-Haushalts über Kredite finanziert werden kann. Mit einem großen Markt für
liquide europäische Anleihen kann es uns gelingen, den Euro zu einer Leitwährung zu machen,
was den globalen ökonomischen und politischen Einfluss der Union massiv stärken würde.
Den Europäischen Rettungsschirm ESM wollen wir zu einem vollwertigen Europäischen
Währungsfonds weiterentwickeln, im EU-Recht verankern und der demokratischen Mitbestimmung
und Kontrolle durch das Europäische Parlament unterwerfen. Wir brauchen eine gemeinsame
europäische Einlagensicherung. Sie soll als Rückversicherung ausgestaltet sein, damit die
europäische Sicherung erst eingreift, wenn die nationale überfordert ist. Die deutschen
Sparkassen und Genossenschaftsbanken können so weiter auf ihre bewährten
Institutssicherungssysteme setzen.
Für einen Ausgleich von makroökonomischen Ungleichgewichten innerhalb Europas und zur
Stärkung der europäischen Nachfrage muss Deutschland aktiv seinen überbordenden
Leistungsbilanzüberschuss reduzieren und den europäischen Partnern mehr Luft zum Atmen
lassen, und darf nicht zu einer einseitigen und spaltenden Sparpolitik zurückkehren. Um dies
zu erreichen wollen wir in Deutschland für faire Löhne besonders am unteren Ende der
Einkommensskala sorgen und die Investitionen hochfahren.
10. Fairer Wettbewerb statt Machtwirtschaft
Wettbewerb ist Grundlage der Marktwirtschaft und Motor des Fortschritts. Ein starkes
Kartellrecht, das fairen Wettbewerb sichert und die Konzentration wirtschaftlicher Macht
begrenzt, ist nicht nur für die Wirtschaft, sondern auch für das Funktionieren der
Demokratie wesentlich. Es hält Märkte offen und sorgt dafür, dass sich die beste Idee
durchsetzt und nicht stets der Platzhirsch. Fehlt der Wettbewerb, können Monopolisten hohe
Gewinne auf Kosten der Verbraucher*innen machen und Startups in ihrer Entwicklung behindern.
Eine exzessive Marktkonzentration geht einher mit der Konzentration von Vermögen und erhöht
die Ungleichheit. Und wer Märkte kontrolliert, kann auch politische Kontrolle ausüben und
Spielregeln mitbestimmen.
Das Wettbewerbsrecht braucht ein Update. Digitale Geschäftsmodelle ändern
Geschäftsbeziehungen und Wettbewerbsdynamik. Nutzer*innen zahlen für viele Dienste im
Internet nicht mit Geld, sondern mit Daten. Netzwerkeffekte machen einzelne Plattformen zu
Giganten mit riesigen Datenschätzen. Ihre Marktmacht können sie missbrauchen, um
Datenschutzbestimmungen abzusenken, Geschäftspartner*innen Preise zu diktieren oder
Konkurrent*innen auszubooten.
Wir wollen marktbeherrschende digitale Plattformen streng regulieren. Wenn sie anderen
Firmen den Marktzugang verwehren oder absurde Konditionen verlangen, müssen die
Kartellbehörden hart dagegen vorgehen. Damit die europäische Wettbewerbspolitik den
Anforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht wird, brauchen wir ein eigenständiges,
europäisches Kartellamt mit angemessenen Mitteln und Personal. Dieses Kartellamt soll auch
als europäische Digitalaufsicht fungieren, die natürliche digitale Monopole und Oligopole
regulieren kann.
Heute muss die Kartellaufsicht den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung nachweisen,
um ein Unternehmen entflechten zu können. Das ist in der Regel kaum möglich. Wir treten
daher dafür ein, dass Unternehmen auch unabhängig von einem Missbrauch aufgespalten werden
können, wenn ihre Marktmacht zu groß und zum Problem für Wirtschaft und Gesellschaft wird.
Das Facebook-Monopol ist beispielsweise so ein Fall. Wir wollen Instagram, Facebook und
WhatsApp wieder entflechten. Indem wir die Grundsätze der Interoperabilität, wie sie heute
bei Telefon, SMS und Mail selbstverständlich sind, auf Messenger-Dienste übertragen, wollen
wir den Markteintritt neuer Anbieter erleichtern und den Wettbewerb um die besten
Datenschutzbestimmungen entfachen.
Wir Grüne wollen, dass das Wettbewerbsrecht im Sinne der europäischen Verträge angewandt
wird. Umweltschutz und die Förderung einer nachhaltigen Entwicklung müssen dabei
berücksichtigt werden. Die Fusionen von Bayer und Monsanto sowie weiterer Agrochemiekonzerne
sind zum Beispiel nicht nur für den Wettbewerb problematisch, sondern auch für die Umwelt.
Fehlende Sortenvielfalt, Pestizideinsatz und Artensterben sind die Folgen.
Wer fairen Wettbewerb will, muss Foulspieler*innen vom Platz stellen. Der Abgasskandal hat
einmal mehr gezeigt, wie Unternehmen versuchen, fairen Wettbewerb durch Betrug zu umgehen.
Wir Grüne wollen solch gemeinwohlschädliches Verhalten strikt ahnden. Wir wollen eine
gesetzliche Regelung, welche die bessere Verfolgung und Sanktionierung von Straftaten
ermöglicht, die aus Unternehmen heraus begangen werden. Dabei muss der Staat seine Rolle als
fairer Schiedsrichter auch wahrnehmen. Der Abgasskandal ist auch ein Beispiel dafür, dass er
das nicht immer tut – denn er wurde erst durch die jahrelange Kumpanei von Autoindustrie,
Aufsichtsbehörden und Politik möglich. Und um den Einfluss von Lobbyist*innen und
Interessengruppen auf den Bundestag offenzulegen, wollen wir ein verpflichtendes
öffentliches Lobbyregister einrichten.
Bisher gibt es in Deutschland und Europa keine finanziellen Entschädigungen für die vom
Dieselskandal Betroffenen. Für Einzelne ist es oft viel zu schwer, das geltende Recht auch
zur Geltung zu bringen. So weigern sich etwa Fluggesellschaften, Entschädigungsansprüchen
nachzukommen. Auch auf unseren Druck hin ist es gelungen, in Deutschland erstmals
Musterfeststellungsklagen zu ermöglich. Sie sind aber unzureichend, denn immer noch muss
jede* Betroffene einzeln klagen. Daher wollen wir endlich Gruppenklagen ermöglichen, um das
Prozessrisiko auf viele Schultern zu verteilen.
11. Faire Welthandels- und Währungsordnung schaffen
Uns geht es um eine Re-Regulierung der Globalisierung. Die vergangenen Jahre haben gezeigt:
Eine unregulierte Globalisierung führt zur Ausbeutung von Menschen und Umwelt und
beschleunigt die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen. Die Wohlstandsgewinne aus
internationalem Handel sind ungleich verteilt. Rechtsextremisten und Nationalisten benutzen
die berechtigte Kritik an einer neoliberalen Globalisierung, um einen Rückfall in den
Nationalismus zu propagieren. Das ist die falsche Antwort. Wir stellen eine freiheitliche
und weltoffene Antwort dagegen. Richtig genutzt kann eine gute Handelspolitik Umweltschutz,
Klimaschutz, Menschenrechte, Arbeitnehmer*innenrechte und Wirtschaftsinteressen in Balance
bringen. Und so die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen erhalten, im globalen Süden
Gerechtigkeit schaffen und Demokratieverdrossenheit bekämpfen.
Doch hierfür brauchen wir eine Neuausrichtung der EU Handelspolitik. Das Mercosur-Abkommen,
das die EU unter anderem mit Brasilien abschließen will, ist das letzte fatale Beispiel
einer Agenda, die Liberalisierung, Deregulierung und hochproblematische
Konzernschiedsgerichte in den Mittelpunkt von Verträgen wie schon bei TTIP, CETA oder JEFTA
stellt, jedoch keine effektiven Schutzmechanismen für Klima, Umwelt, Menschenrechte,
Arbeitnehmer*innen und Verbraucher*innen enthält. Der brennende Amazonas führt uns diese
fatale Logik mehr als deutlich vor Augen, denn die zwischen der EU und den Mercosur-Staaten
vereinbarten Handelserleichterungen für Soja und Rindfleisch wirken für den Regenwald wie
ein Brandbeschleuniger. Wir wollen deshalb einen Importstopp von Agrarprodukten aus
gerodeten Gebieten des Amazonas sowie von Palmöl aus dem indonesischen Regenwald.
Mittlerweile wird auch immer mehr europäischen Regierungen klar, dass die
Nachhaltigkeitsklauseln im Abkommen zahnlos sind und für das Klima, den Regenwald und die
dort heimischen Indigenen keinen ausreichenden Schutz bieten, da es keinen wirkungsvollen
Sanktionsmechanismus gibt, durch den Handelserleichterungen zurückgenommen werden könnten.
Wir Grüne lehnen dieses Abkommen wie auch CETA und JEFTA in ihrer bisherigen Form ab, denn
trotz einzelner Verbesserungen erfüllen sie die Bedingungen an fairen Handel nicht.
Stattdessen ist es an der Zeit für ein Bündnis für fairen Handel – aufbauend auf den
Korrekturen, die es nach der umfassenden Kritik gerade auch der Zivilgesellschaft bereits
gegeben hat und die auch einige europäische Regierungen zum Umdenken gebracht haben.
Die EU sollte dabei nicht wie bisher auf ein Sammelsurium bilateraler Handelsverträge
setzen, sondern auf einen gemeinsamen plurilateralen Vertrag all derjenigen Staaten, die
bereit sind, Handel fair, offen und ökologisch sowie die Globalisierung gerecht zu
gestalten. Der Fokus muss auf diskriminierungsfreien Marktzugängen und Zollerleichterungen
liegen. Starke Regeln für faire Märkte gehören dabei zum Kern des Abkommens. Das beinhaltet
zentrale internationale Abkommen wie die ILO-Kernarbeitsnormen oder das Pariser
Klimaschutzabkommen. Handelserleichterungen könnten somit auch wieder aufgehoben werden,
wenn ein Handelspartner zum Beispiel den Klimavertrag von Paris aufkündigt oder dessen Ziele
nicht einhält. Das gleiche gilt für den Verstoß gegen Menschenrechte und auch für die Nicht-
Einhaltung von Mindeststandards für Umwelt und Arbeit.
Das Vorsorgeprinzip wollen wir zum Schutz von Umwelt und Verbraucher*innen für alle Teile
von Handelsverträgen geltend machen. Parlamente dürfen durch Regeln zur regulatorischen
Zusammenarbeit in Handelsabkommen nicht umgangen oder geschwächt werden. Faire
Handelspolitik lässt den Staaten, Regionen und Kommunen Freiräume, um Dienstleistungen so zu
organisieren und zu regulieren, wie sie das für richtig halten.
Statt einseitiger Sonderklagerechte für private Investoren (ISDS/ICS) setzen wir uns für
einen ständigen internationalen Handelsgerichtshof ein, vor dem auch Betroffene klagen
können, wenn Unternehmen gegen grundlegende Menschenrechte, Sozial- oder Umweltstandards
verstoßen.
Lieferkettengesetz einführen
Damit Menschenrechte und Umwelt in internationalen Lieferketten nicht länger unter die Räder
geraten, wollen wir gesetzliche Regeln zu Transparenz und Sorgfaltspflichten für Unternehmen
einführen. Das beinhaltet, dass die EU nachvollziehbare entwaldungsfreie Lieferketten
verbindlich durchsetzt. So kann bei Bruch von internationalen Verträgen und Verpflichtungen
ein Importstopp von Agrarprodukten wie zum Beispiel für Soja und Rindfleisch aus gerodeten
Gebieten des Amazonas verhängt werden. In der öffentlichen Beschaffung sollte Deutschland
mit gutem Beispiel voran gehen und nur noch Produkte aus nachweislich entwaldungsfreien
Lieferketten einkaufen.
Und wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie sich endlich aktiv am Prozess der
Vereinten Nationen zur Erreichung eines völkerrechtlichen Abkommens (UN Binding Treaty
Prozess) beteiligt, mit dem transnationale Konzerne und andere Wirtschaftsunternehmen für
Menschenrechtsverstöße zur Verantwortung gezogen werden sollen.
Handel nicht auf Kosten der Ärmsten
Handel ist ein wichtiger Motor von Entwicklung, wenn er läuft. Damit er aber anspringt, kann
es nötig sein, einzelne Sektoren durch Handelsbarrieren zu schützen, bis sie konkurrenzfähig
sind. Die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (WPA) sind dafür kontraproduktiv. Wir wollen
Entwicklungsländern genügend Raum lassen, durch Zölle und Quoten ihre Märkte zu schützen.
Gleichzeitig fordern wir, dass die EU ihre Zölle auf verarbeitete Produkte aus
Entwicklungsländern senkt oder abschafft, um die Produktion vor Ort zu fördern. Wir wollen
die regionale Integration von Entwicklungsländern fördern. Und wir bevorzugen die
Welthandelsorganisation und multilaterale Abkommen gegenüber bilateralen Handelsabkommen, da
die Interessen insbesondere ärmerer Länder ansonsten drohen, unter die Räder zu geraten.
Entwicklungschancen für rohstofffördernde Länder
Bei Gewinnung, Verarbeitung und Nutzung von Bodenschätzen geht es auch um
Entwicklungschancen für die rohstofffördernden Länder. Der überproportionale Verbrauch von
Rohstoffen in den Industrieländern gibt uns nicht das Recht auf überproportionalen Zugang.
Nur eine faire Verteilung gewährleistet auch eine langfristig friedliche Zukunft. Daher
setzen wir auf internationale und kooperative Lösungsansätze. Häufig geht der Abbau von
Rohstoffen mit gravierenden Menschenrechtsverletzungen einher. Die EU-Verordnung zu
Konfliktmineralien tritt 2021 in Kraft und ist ein wichtiger Schritt, um den schlimmsten
Verbrechen Einhalt zu gebieten. Wir setzen uns dafür ein, die Verordnung auszuweiten, denn
bisher sind nur vereinzelte Rohstoffe abgedeckt. Gleichzeitig ergeben sich auch Vorteile,
wenn der Zugang zu und der Handel mit Rohstoffen stabil und langfristig ist. Voraussetzung
dafür ist, dass die menschenrechtlichen, sicherheits-, umwelt- und demokratiepolitischen
Konsequenzen mitberücksichtigt und dafür jeweils Standards geschaffen werden. Diese müssen
auf verschiedenen Ebenen ansetzen: im Herkunftsland, bei Investor*innen und Unternehmen, im
Verbraucherland und auf internationaler Ebene.
Sichere und stabile Weltwährungsordnung schaffen
Nachdem in den 1970er Jahren das internationale Währungssystem „Bretton Woods“ aufgekündigt
wurde – es regelte die internationalen Finanz- und Wechselkursbeziehungen – waren die
Staaten nicht bereit, eine neue gemeinsame Ordnung zu etablieren. Stattdessen ließen die
großen Industrienationen ihre Wechselkurse weitgehend frei schwanken und die internationalen
Finanzinstitutionen setzten sich für einen unbeschränkten internationalen Kapital- und
Finanzverkehr ein. Regelmäßige Währungs- und Finanzkrisen haben seitdem die Welt erschüttert
und vor allem weniger entwickelte Länder wurden durch spekulative Kapitalflüsse in ihrer
Entwicklung immer wieder zurückgeworfen. Gleichzeitig sind die globalen
Handelsungleichgewichte explodiert und stellen einen neuen Herd der Instabilität dar. Wir
wollen international im Rahmen der G20 eine Diskussion über ein neues System stabilisierter
Wechselkurse anregen. In der Überzeugung, dass wir so Spekulation eindämmen, Entwicklung und
Handel fördern und Handelsungleichgewichte abbauen könnten.
Für die ärmsten Länder der Welt ist die öffentliche Entwicklungsfinanzierung zentral. Wir
streben eine Weltwährungsordnung an, die es nicht nur den wohlhabenden Ländern ermöglicht,
langfristige Investitionen auch langfristig und damit verlässlich zu finanzieren. Dafür
müssen kurzfristige, spekulative Finanzströme reguliert, verteuert und notfalls auch
verboten werden. Wir müssen uns gegen spekulative Attacken auf Staaten und ihre Währungen
absichern. Dafür braucht es globale öffentliche Institutionen. Hier sind aber keine
kurzfristigen Erfolge zu erwarten. Um dennoch schnell zu einer Veränderung zu kommen, wollen
wir, dass die Europäische Zentralbank die Auswirkungen ihrer Politik auf Entwicklungsländer
berücksichtigt und diese unterstützt. Entwicklungsländern, die durch ungerechtfertigte
Währungsspekulationen unter Druck geraten, soll sie zur Seite springen können, sofern es mit
den geldpolitischen Zielen vereinbar ist. Hierfür könnten zum Beispiel Devisenswap-
Vereinbarungen oder Art. 219 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union
(AEUV) zur Festlegung von Wechselkurspolitiken genutzt werden.
Die multilateralen Finanzinstitutionen IWF und Weltbank können beim Erreichen der globalen
Nachhaltigkeitsziele (SDGs) und dem weltweiten sozial-ökologischen Umbau eine entscheidende
Rolle spielen. Dafür müssen sie ihren Ankündigungen Taten folgen lassen und endlich den
Menschen dienen. Dazu gehört derzeit ganz konkret ihr Engagement konsequent am Pariser
Klimaabkommen auszurichten. Wir dürfen sie nicht aus der Verantwortung entlassen, selbst zu
einer stabilen, nachhaltigen und armutsmindernden globalen Finanzarchitektur beizutragen.
12. Stabile Finanzmärkte und sichere Anlagen
Banken und Finanzmärkte sollen dazu dienen, Bürgerinnen und Bürger attraktive
Sparmöglichkeiten anzubieten und Investitionen zu finanzieren. Mit geeigneten Regulierungen
und einer umfassenden Finanztransaktionssteuer wollen wir reine Spekulationsgeschäfte und
vor allem den Hochfrequenzhandel unattraktiv machen. Lokal agierende kleine und mittelgroße
Banken in Deutschland, und immer stärker auch wieder im Rest der EU, stellen für die meisten
Firmen die Kreditversorgung sicher. Deshalb wollen wir das Lokalbankenprinzip in ganz Europa
verankern. Öffentliche Banken sind dem Gemeinwohl in besonderer Weise verpflichtet.
Sparkassen sollen daher Gemeinwohlberichte erstellen und transparenter werden, was die
Offenlegung von Gehältern angeht.
Mit einem Regulierungssystem aus klaren, harten aber deutlich weniger komplexen Regeln
werden kleine Banken entlastet. Unsere Schuldenbremse für Banken – eine ungewichtete
Eigenkapitalquote von zehn Prozent – stellt sicher, dass genügend Sicherheitspolster
vorhanden sind. Großbanken müssen kleiner werden. Durch ein effektives Trennbankensystem,
hohe Eigenkapitalanforderungen und eine vollendete Bankenunion werden sie nicht mehr das
Finanzsystem gefährden können. Die Rettung von Banken mit Geld der Steuerzahler*innen gehört
dann der Vergangenheit an.
Mit den Möglichkeiten der Digitalisierung können neue Akteure auf den Finanzmärkten
entstehen bzw. wachsen. Sie machen für viele den Finanz- und Zahlungsverkehr einfacher und
schneller und bieten neue Anlagemöglichkeiten. Wir wollen hier klare Wettbewerbsregeln
schaffen, in welchen weder Banken noch große Tech-Unternehmen ihre dominante Stellung nutzen
können, um unliebsame Konkurrenten und Innovationen zu behindern. Die Einführung eines E-
Euros bietet Chancen beim Zahlungsverkehr und für neue innovative Dienstleistungen. Diese
von den Zentralbanken des Eurosystems eingeführte elektronische Währung soll auch vielen
Menschen im Alltag als einfaches, sicheres und bequemes Zahlungsmittel dienen. Privates Geld
wie etwa der von Facebook geplante Libra hingegen würde kein Problem lösen, aber potentiell
viele neue schaffen. Eine Verdrängung kleiner Unternehmen über die Währung eines Konzerns,
die Anhäufung von Zahlungsverkehrsdaten bei einem Unternehmen mit ohnehin schon
problematischer Datenmacht und die Aushöhlung des staatlichen Geld- und Währungsmonopols
lehnen wir ab und werden Libra nicht zulassen.
Versicherungen und Pensionsfonds stecken derzeit in finanziellen Problemen, weil sich ihre
Zinserwartungen nicht erfüllt haben. Die große Koalition hat widerholt Maßnahmen
eingeläutet, um die Krise der Versicherer einseitig auf Kosten der Kunden zu lösen. Diese
Politik lehnen wir entschieden ab. Wir werden im Falle einer Schieflage einer Versicherung
eine faire Lastenverteilung zwischen den Eigentümer der Unternehmen und der Kunden
gewährleisten. Das Volumen des Sicherungsfonds Protektor ist im Falle einer Krise viel zu
gering. Um Abhilfe zu schaffen, muss das Volumen des Fonds deutlich erhöht werden. Auch
sollte ein europäisches Rückversicherungssystem eingeführt werden. Außerdem werden wir es
nicht mehr gestatten, dass die Unternehmen Versicherungsverträge ohne die Zustimmung des
Kunden weiterverkaufen.
Die Finanzberatung muss sich grundlegend wandeln. Durch Provisionen kommt es heute dazu,
dass Anleger*innen nicht die passenden Produkte empfohlen werden, sondern die mit den
höchsten Provisionen. Mit dem schrittweisen Übergang zur Honorarberatung – der Kunde zahlt
die Beratung also nicht mehr indirekt über die Provision, sondern direkt an die Berater*in,
dafür ist das Produkt dann günstiger – wird sich die Qualität der Beratung verbessern und
sich das Berufsbild der Berater*innen wandeln.
Ein Bürgerfonds für stabile und rentable Anlagemöglichkeiten
Damit die Bevölkerung in Deutschland mehr von den volkswirtschaftlichen Gewinnen der
Wirtschaft profitieren kann, schlagen wir die Errichtung eines Bürgerfonds vor. Er soll all
den Bürgerinnen und Bürgern eine Beteiligung an Wohlstandsgewinnen sichern, deren Einkommen
zu klein sind, um selbst Vermögen in Aktien, Immobilien oder anderen Werten anzusparen. In
den Bürgerfonds zahlt jede Bürger*in automatisch einen bestimmten Teil seines Einkommens
ein. So stellen wir für den Fonds eine hohe Anlagesumme sicher und senken damit die
Verwaltungskosten. Wer aber andere Formen der Anlage bevorzugt, kann der Einzahlung in den
Bürgerfonds einfach widersprechen (Opt-out). Um Fehler von Riester zu vermeiden, wird der
Fonds keine Zinsgarantien gewähren, weil sie die Rendite mindern. Sicherheit werden wir
stattdessen über eine breit gefächerte, diversifizierte, nachhaltige und langfristige
Anlagestrategie gewährleisten. Der Bürgerfonds bietet also Menschen, die kleine Ersparnisse
haben, eine risikoarme und vor allem extrem preiswerte Anlageform. Auch die Wirtschaft wird
von diesem Fonds profitieren. Denn es tritt ein gewünschter Nebeneffekt ein: Das Kapital ist
nicht von einer kurzfristigen Renditeerwartung getrieben, sondern einer nachhaltigen
Anlageentwicklung verpflichtet.
13. Gemeinwohlorientierte Unternehmen stärken
Viele Unternehmen engagieren sich für ökologische und soziale Ziele. Immer mehr Unternehmen
schreiben diese gesellschaftlichen Ziele parallel zum wirtschaftlichen Erfolg verbindlich
fest. Diese ökonomische Bürger*innenbewegung werden wir systematisch stärken. Unser Ziel ist
eine Gründungswelle neuer Genossenschaften und Sozialunternehmen.
Öffentliche Finanzierungsprogramme der Wirtschaftsförderung, Informationsangebote für
Gründer*innen und Beratungsangebote für Unternehmen werden wir systematisch für alle
Unternehmungen öffnen. So wollen wir auch Genossenschaften, Social Startups und Vereine
stärken, die wirtschaftlich aktiv sind.
Die Unternehmen der sozialen und solidarischen Ökonomie brauchen attraktive Rechtsformen.
Eine vereinfachte, allgemeinverständliche Mustersatzung für Genossenschaften wollen wir in
Zusammenarbeit mit den Genossenschaftsverbänden breit zugänglich machen. Kleine
Genossenschaften werden wir von einschlägigen Auflagen des Handelsrechts entlasten. Die
Überarbeitung der Rechtsformen soll ermöglichen, dass Unternehmen der solidarischen Ökonomie
sichtbarer werden und dadurch in Deutschland und in Europa besser vertreten sind.
Sozialgenossenschaften sollen künftig nicht mehr durch ein faktisches Kombinationsverbot von
bezahlter und ehrenamtlicher Arbeit behindert werden. In eine gesetzliche Reserve
eingestellte Gewinne wollen wir von der Körperschafts- und Gewerbesteuer freistellen. So
stärken wir die Eigenkapitalbasis und Investitionsfähigkeit von Genossenschaften. Auf
europäischer Ebene setzen wir uns für ein Label von Produkten aus der sozialen und
solidarischen Ökonomie ein. Wer keinen Gewinn machen will, ist auf eine günstige
Finanzierung angewiesen. Wir wollen Sozialunternehmen diese bereitstellen, zum Beispiel über
Kreditprogramme der öffentlichen Förderbanken.
Zugleich gilt es, den Bürgerenergiegenossenschaften die regulativen Fesseln abzunehmen,
damit sie wieder zu kraftvollen Akteuren der Energiewende werden. Wir wollen die EU-
Richtlinie über den Elektrizitätsbinnenmarkt so wirtschaftsfreundlich in deutsches Recht
übersetzen, dass die Bürgerenergie umfassend gestärkt wird. Beim Mieterstrom wollen wir
hinderliche Preisvorgaben abschaffen, um dezentrale Investitionen in Erneuerbare zu
ermöglichen.
Viele Unternehmen engagieren sich im Rahmen der Gemeinwohlökonomie. Wir wollen, dass auch
Unternehmen im Bundesbesitz Gemeinwohlbilanzen erstellen. Die Gemeinwohlbilanzen wollen wir
im europäischen und deutschen Recht verankern. Auch heutige gewinnorientierte Rechtsformen
wie die Aktiengesellschaft sollen sich per Mehrheitsbeschluss künftig andere Ziele geben
können als die Maximierung des Profits, ohne dass sie dem Risiko ausgesetzt sind, dass
Minderheitsgesellschafter dagegen klagen.
14. Investitionen solide und gerecht finanzieren
Wir wollen die öffentlichen Investitionen deutlich steigern. Ein Land, in dem jede achte der
insgesamt 40.000 Brücken marode ist, das weniger Geld in Bildung steckt als fast all seine
Nachbarländer, das für seine Funklöcher berüchtigt ist statt berühmt für seine Smartphones,
ein solches Land lebt von vergänglicher Substanz. Es wird dauern, die politischen Vorzeichen
auf Vernunft zu drehen. Umso wichtiger ist es, jetzt damit zu beginnen. Investitionen
schaffen öffentliche Güter. Sie kosten Geld, aber wenn in das Richtige, Zukunftsfähige
investiert wird, schaffen sie Wohlstand. Jede Ausgabe, die der Staat so tätigt, führt in der
Wirtschaft zu Einnahmen und es werden Jobs geschaffen. Für einen Euro, den wir klug
investieren, kann unsere Wirtschaftsleistung um deutlich mehr als einen Euro steigen.
Wir wollen diese Investitionen finanzieren, indem wir Fehlanreize abstellen, Gelder
umschichten und gezielt Investitionen über Kredite ermöglichen. Wir unterscheiden dabei
zwischen einmaligen Investitionen und dauerhaften Ausgaben. Diese dauerhaften Ausgaben zum
Beispiel für Bildung und Gerechtigkeit sind für den sozialen Ausgleich und den Zusammenhalt
der Gesellschaft essenziell. Diese dauerhaften Ausgaben wollen wir durch laufende
Steuereinnahmen, eine gerechtere Besteuerung von Vermögen und die Bekämpfung von
Steuerbetrug und -umgehung gegenfinanzieren.
Bisher scheitern Investitionsprogramme auch an mangelnden Kapazitäten in der Bauwirtschaft
oder in den Planungsabteilungen des öffentlichen Dienstes. Unsere Investitionspolitik ist
deshalb verlässlich und langfristig angelegt, so dass sowohl die private Bauwirtschaft als
auch der öffentliche Dienst wieder mehr Kapazitäten aufbauen können. Wir investieren
dauerhaft und nachhaltig.
Investitionsgesellschaften gründen
Viele Investitionen schaffen werthaltige Wirtschaftsgüter, mit denen sich Einnahmen erzielen
lassen. Eine Stromleitung erzielt Einnahmen durch den durchgeleiteten Strom. Das gleiche
gilt analog für Ladeinfrastruktur für Elektroautos, Breitband für Internet und vieles
andere. Um diese Investitionen effizient durchzuführen, werden wir sie jeweils in
öffentlichen Investitionsgesellschaften bündeln, darüber finanzieren und stringent managen.
Damit werden wir nachhaltige Werte für die nächste Generation schaffen, die sich auch
wirtschaftlich rechnen, insbesondere in Zeiten von Nullzinsen, ja mitunter sogar negativer
Zinsen.
Die grundgesetzlichen Regelungen zur Schuldenbremse sehen vor, dass die Verschuldung von
öffentlichen Gesellschaften wie zum Beispiel der Bahn, Wohnungsbaugesellschaften oder
öffentlichen Krankenhäusern nicht auf die Schuldenbremse angerechnet werden. Das gleiche
gilt für die neu zu gründenden Investitionsgesellschaften. Daher werden wir sie aus dem
Investitionsfonds mit genügend Eigenkapital ausstatten, damit sie sich wie jedes private
Unternehmen auch am Finanzmarkt selbst zusätzliches Kapital besorgen können. Der Bund gibt
für diese Kreditaufnahme eine Staatsgarantie. So könnte der Bund zum Beispiel eine
Ladesäulengesellschaft neu gründen, der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben für
Wohnungsneubau und Gebäudesanierung eine Kreditaufnahme erlauben und die Verschuldungsgrenze
bei der Deutsche Bahn erhöhen. Good Governance und demokratische Beteiligung sollen für
Transparenz und Kontrolle sorgen. Die Regierung muss steuern können und für Parlament und
Öffentlichkeit müssen Entscheidungen und Mittelverwendung transparent sein. Die
Privatisierung dieser Gesellschaften wollen wir dauerhaft ausschließen, damit öffentliches
Vermögen auch öffentlich bleibt.
Die Begrenzung der Staatsschulden mit Investitionen in Infrastruktur kombinieren
Es war richtig, dass sich Deutschland Regeln gegeben hat, die dafür sorgen, dass es nicht zu
exzessiver Verschuldung der öffentlichen Hand kommt. Sie haben – gemeinsam mit der
Geldpolitik der Europäischen Zentralbank – geholfen, die Verschuldung einzudämmen. In
Deutschland ist die Schuldenquote so von 80 Prozent auf unter 60 Prozent der
Wirtschaftsleistung zurückgegangen. An diesem Erfolg wollen wir festhalten.
Aber nicht nur Schulden im Haushalt sind Schulden. Wenn wir jetzt nicht in Bildung,
Innovation und Forschung sowie in Maßnahmen zum Klimaschutz investieren, verspielen wir
unseren zukünftigen Wohlstand. Außerdem würden die Finanzmärkte, die immer auch sichere
Anlagemöglichkeiten wie Staatsanleihen brauchen, bei einem immer geringeren Schuldenstand
nicht mehr stabil funktionieren, weil ihnen sichere Anlagemöglichkeiten fehlen. Wir wollen
daher die Schuldenbremse im Rahmen der europäischen Stabilitätskriterien weiterentwickeln
und sie mit einer verbindlichen Investitionsregel verknüpfen. Wenn der Bund mehr investiert
als sein Vermögen an Wert verliert – wenn er also neue Werte schafft – soll dies auch durch
die Platzierung von neuen Anleihen finanziert werden können. Die öffentlichen Investitionen
sollen mindestens so hoch sein, dass sich das öffentliche Vermögen nach Abnutzung und
Wertverlusten mindestens im Gleichklang mit der Wirtschaftsleistung bewegt.
Diese Möglichkeit ist für Deutschland entsprechend den europäischen Vorgaben daran gebunden,
dass die öffentliche Schuldenquote unterhalb der Maastricht-Marke von 60 Prozent des BIP
liegt und das strukturelle Defizit maximal ein Prozent der Wirtschaftsleistung beträgt.
Durch diese Beschränkungen würde auch durch die vorgeschlagene Möglichkeit zusätzlicher
Investitionen die Schuldenquote weiter auf unter 40 Prozent fallen. Das gilt umso mehr, als
dadurch zusätzliche Nachfrage und damit wirtschaftliche Entwicklung entsteht. Gerade im
Falle eines bevorstehenden Abschwungs halten wir diese Möglichkeit für sinnvoller als etwa
pauschale Steuererhöhungen oder Ausgabenkürzungen, denn diese würden den Abschwung noch
verschärfen. Das wäre das Gegenteil einer nachhaltigen Finanzpolitik.
Durch unseren Vorschlag dürfte der Bund im Durchschnitt etwa 35 Milliarden Euro pro Jahr
Kredite aufnehmen. Diese Gelder wollen wir in einen Bundesinvestitionsfonds überführen, der
als Sondervermögen im Bundeshaushalt nicht der Jährlichkeit des Haushalts unterliegt. Er
kann dann zweckgebunden investieren und auch eine stärkere antizyklische Wirkung entfalten.
Um den Investitionsfonds abzusichern und sauber zu implementieren, streben wir eine Änderung
des Grundgesetzes an.
Für eine optimale Steuerung von Staatsschulden und Investitionen erhalten Länder und
Kommunen einen verbindlich vereinbarten Anteil aus den Mitteln des Bundes-Investitionsfonds,
an dem alle Länder partizipieren und selbst entscheiden können, für welchen der vorgegebenen
investiven Zwecke sie die Mittel einsetzen. Die Schuldenbremse für die Länder (null
Verschuldung in Zeiten der Normalkonjunktur) soll beibehalten werden.
Es ist richtig, dass die Maastricht-Kriterien die Staatsverschuldung auch auf europäischer
Ebene begrenzen. Bei der anstehenden Reform wollen wir die Anreize für staatliche
Investitionen im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspakts verbessern. Zum Beispiel indem
Investitionsausgaben bei der Berechnung der Defizitquoten ähnlich wie private Investitionen
über mehrere Jahre abgeschrieben werden können. Damit stärken wir öffentliche Investitionen
gerade in Zeiten des wirtschaftlichen Abschwungs.
1 Wir beschreiben im Antrag „Handeln – und zwar jetzt“ ausführlich unseren Maßnahmenplan für
einen radikal realistischen und sektorenübergreifenden Klimaschutz.
Antragstext
Von Zeile 114 bis 115 einfügen:
dass diese ökologischen und sozialen Werte auch entsprechend bepreist werden und so direkten Einfluss auf den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens haben. Unternehmensgewinne sollen an ökologische Leitplanken und gesellschaftlichen Fortschritt gekoppelt werden. Deshalb streben wir eine Reform des Unternehmensrechts an, so dass Aufsichtsräte in Zukunft nicht mehr nur den Renditen der Aktionär*innen, sondern auch der Allgemeinheit verpflichtet sind.
Unser Wirtschaftssystem und unser Wirtschaftsverständnis stehen vor dramatischen
Veränderungen. Dabei geht es um viel mehr als um eine konjunkturelle Flaute nach Jahren des
Booms, es geht um sehr grundsätzliche strukturelle Herausforderungen.
Ein ungezügelter Natur- und Ressourcenverbrauch, die Abhängigkeit von Exportüberschüssen,
eine unzureichend regulierte Globalisierung, fehlende Investitionen in die Zukunft: Die
Krisen verdeutlichen, dass unser angestammtes Wirtschaftsmodell, das in der Vergangenheit
viel Wohlstand gebracht hat, so nicht mehr funktioniert. Der liberale Ökonom Nicolas Stern
hat zu Recht festgestellt: „Der Klimawandel ist der größte Fall von Marktversagen, den die
Welt je gesehen hat.“
Die enormen Wohlstandsgewinne kommen bei zu vielen nicht an und die Ungleichheit nimmt zu.
Globale Konzerne, die sich nationaler Rechtsetzung entziehen, und Finanzmärkte, die an
Stelle demokratischer Politik entscheiden, unter welchen Bedingungen wir Menschen leben. Das
alles höhlt nicht nur die Grundlagen des gemeinschaftlichen Zusammenlebens aus und gefährdet
bei uns und in vielen anderen Ländern immer stärker das Vertrauen in demokratische Politik.
Es zerstört auch die ökonomischen Grundlagen unserer Gesellschaft. Gleichzeitig erschüttern
globale Handelskonflikte die Weltwirtschaft und die multilaterale Weltwirtschaftsordnung.
Der drohende Brexit sorgt zusätzlich für Verunsicherung in der EU. Das hat Folgen. Nach
Jahren des Booms zeichnet sich in Deutschland ein ernsthafter Abschwung der Konjunktur ab.
Jede Generation hat ihre Aufgabe. Einen nachhaltigen und gerechten Wohlstand zu schaffen,
ist unsere. Deshalb müssen wir jetzt den Mut haben, weitreichende Entscheidungen zu treffen,
dafür leidenschaftlich in der ganzen Breite der Gesellschaft zu werben und nicht verzagt nur
in Trippelschritten zu denken. Richtig ausgestaltet schaffen wir die Grundlagen dafür, dass
notwendige Innovationen in Europa entwickelt und marktfähig gemacht werden und damit
zukunftsfähige neue Arbeitsplätze im Handwerk, in Startups, in der Dienstleistungsbranche
und auch in traditionsreichen Industrieunternehmen entstehen. Dazu gehören auch massive
Investitionen, öffentlich wie privat, um den immensen Investitionsstau in unserem Land zu
begegnen, um die immensen Aufgaben beim Klimaschutz schnell und entschlossen anpacken zu
können, um Produktivität und neue Ideen anzukurbeln.
Unser Ziel ist die sozial-ökologische Neubegründung der Marktwirtschaft. Sie ist das
Gegenmodell zu einem ungeregeltem Kapitalismus und einem autoritären Staatskapitalismus. Wir
streben ein Wirtschafts- und Finanzsystem an, das die planetaren Grenzen einhält und
gleichzeitig menschliche Entfaltung garantiert – und zwar weltweit, über Grenzen hinweg und
für zukünftige Generationen.
Den Weg dahin bereitet ein Green New Deal. Er schafft den neuen Ordnungsrahmen für faires,
ökologisches und nachhaltiges Wirtschaften. Er investiert mutig in die Zukunft. Er setzt
neue Kräfte für Kreativität und Innovationen frei. Er sorgt für sozialen Ausgleich. Er
schafft die Grundlagen für einen nachhaltigen Wohlstand, der nicht auf der Ausbeutung der
Natur und einer fossilen Wirtschaftsweise basiert, sondern den Mensch in den Mittelpunkt
stellt.
Wir sind überzeugt, dass das freie und kreative Handeln von Menschen und die Dynamik eines
fairen Wettbewerbs nachhaltigen Wohlstand und innovative Problemlösungen schaffen können.
Wenn die Rahmenbedingungen stimmen, bietet die Marktwirtschaft beste Voraussetzungen für
sozial-ökologisches Wirtschaften. Doch dafür braucht es den gesamten Instrumentenkasten aus
Steuern-, Abgaben- und Ordnungsrecht sowie intelligenter öffentlicher Forschungs- und
Förderpolitik.
Die Aufgabe besteht darin, die Märkte der Zukunft so auszurichten, dass sie den Menschen und
der Natur dienen. Dafür braucht es eine Politik, die beherzt vorangeht. Wenn wir es gut
machen, können wir die großen Herausforderungen jetzt nutzen, um unsere Wirtschaft auf
Zukunft, Gemeinwohl und nachhaltigen Wohlstand zu drehen.
Es wird gelingen
Unser Anspruch ist, dass Menschen sich entlang ihrer Vorstellungen in Freiheit und Würde
entfalten können. Das erfordert ein Wirtschaftssystem, das Unternehmensgeist ebenso fördert
wie es die Rechte von Beschäftigten schützt, nachhaltigen Wohlstand schafft, auf globale
Gerechtigkeit zielt, die Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern überwindet und
gleichzeitig mit starken sozialen Institutionen Gerechtigkeit und Sicherheit garantiert.
Eine starke und zukunftsfähige Wirtschaft, starke staatliche Institutionen und ökologische
Leitplanken sowie ein starkes soziales Netz sind deshalb Grundbedingungen für die sozial-
ökologische Marktwirtschaft. Was Unternehmen, Arbeitnehmer*innen und Verbraucher*innen
dagegen nicht brauchen, ist eine wankelmütige Politik, die (zu) spät ihre Unterlassungen
korrigiert und dann in hektischen Aktionismus verfällt. Was sie brauchen, ist ein
berechenbarer Weg in eine grundlegend neue Welt.
Für Deutschland ist die Überwindung des Kohle- und Öl-Zeitalters ein entscheidender, ja ein
schicksalhafter Moment. Automobil, Chemie und Maschinenbau waren die Säulen des Erfolges der
deutschen Wirtschaft in den letzten Jahrzehnten, aber sie müssen sich neu erfinden, um den
Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht zu werden. Dabei kann die deutsche Industrie
auf das bauen, was sie – und vor allem den Mittelstand – stark gemacht hat: ihre
Ingenieurskunst, ihre Kreativität, das mittelständische Tüftlertum, die Sozialpartnerschaft
mit den Gewerkschaften und ihre europäische und globale Orientierung.
Der Green New Deal für eine sozial-ökologische Neubegründung der Marktwirtschaft wird dann
erfolgreich sein, wenn er auf ein neues Bündnis aus Arbeit und Umwelt setzt. Ohne die
Beteiligung von Beschäftigten, Betriebsrät*innen und Gewerkschaften, ohne ihre Perspektive,
ihren immensen Wissensschatz und ihre Wirkmacht in Unternehmen gelingt der Aufbau einer
gemeinwohlorientierten Wirtschaftsordnung nicht. Wir wollen mit den Beschäftigten Seit an
Seit für den Wandel kämpfen.
Viele Unternehmen machen sich bereits auf den Weg dahin. Mittelständler*innen schalten ihre
Produktion auf Klimaneutralität um, Finanzinstitute entziehen sich dem Geschäft mit fossilen
Energien, IT-Unternehmen setzen auf Erneuerbare und Großkonzerne erweitern grüne
Produktportfolios. Die Industrie verlangt bereits ein überzeugendes, ökologisches
Modernisierungsprogramm für Deutschland. Die Technologien, Innovationen und Ideen sind da.
Die Politik muss jetzt liefern.
Mit folgenden Maßnahmen wollen wir den Weg in eine sozial-ökologische Marktwirtschaft
ebenen:
1. Qualitatives statt blindes Wachstum – ein neuer Wohlstandsbegriff
Um den universalen Anspruch der Menschen auf Würde, Freiheit und Glücksstreben innerhalb der
planetaren Grenzen zu erfüllen, brauchen wir eine andere Form, Wohlstand zu messen. Unser
heutiges Wirtschafts- und Sozialsystem ist darauf angewiesen, dass die Wirtschaft stetig
wächst. Wächst sie nicht, drohen im heutigen System Wirtschaftskrisen und Arbeitslosigkeit,
geraten Staatshaushalt und Sozialversicherungen ins Ungleichgewicht und es verschärfen sich
gesellschaftliche Verteilungskonflikte. Klar aber ist: Ein ökologisch blindes
Wirtschaftswachstum und die ökologische Begrenztheit unseres Planeten stehen miteinander im
Konflikt. Unser Ziel ist deshalb,Wachstum mit sinkendem Ressourcenverbrauch zu koppeln.
Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist schon heute ein schlechter Indikator für Wohlstand und
Lebensqualität, es ist blind für die sozialen Folgen und die ökologischen Schäden unseres
Wirtschaftens. So werden etwa der Abbau von Ressourcen und die Zerstörung von Natur- und
Sozialkapital im BIP überhaupt nicht berücksichtigt. Während Unternehmen beispielsweise den
Rückgang von eigenen Bodenschätzen den Gewinnen gegenüberstellen und Abschreibungen
vornehmen, macht der Staat das bisher nicht. Auch Reparaturmaßnahmen von Umweltschäden
erscheinen im BIP als Steigerung, obwohl damit bestenfalls der Status quo wiederhergestellt
und unter dem Strich nichts gewonnen ist. Genauso wird die unbezahlte Sorgearbeit, die vor
allem von Frauen geleistet wird und eine unverzichtbare Grundlage unseres Wohlstands bildet,
derzeit bei der Wohlstandsmessung nicht berücksichtigt. Wir schlagen deshalb ein neues
Wohlstandsmaß und eine neue Form der Wirtschaftsberichterstattung vor, um neben den
ökonomischen auch ökologische, soziale und gesellschaftliche Entwicklungen zu messen und
Indikatoren dafür festzulegen. Dabei geht es um harte ökonomische Fakten, denn
berücksichtigt wird auch das Natur- und Sozialkapital, dessen Verfügbarkeit natürlich ein
Wert an sich, aber auch elementar für den wirtschaftlichen Erfolg ist.
Wir wollen damit Wohlstand in Deutschland und Europa zukünftig umfassender messen und den
Fortschritt beim ökologischen Umbau der Wirtschaft langfristig abbilden. Auch für die
Unternehmen können davon innovative Impulse ausgehen. So wollen wir als ersten Schritt für
die Deutsche Bahn die Gemeinwohlbilanzierung einführen. Und alle größeren privaten
Unternehmen sollen in ihrem Jahresabschluss zukünftig über Nachhaltigkeitsindikatoren wie
CO2-Emissionen berichten. Bestehende Ausnahmen für nicht börsennotierte Unternehmen sowie
für viele Banken und Versicherer wollen wir abschaffen. Langfristig wollen wir erreichen,
dass diese ökologischen und sozialen Werte auch entsprechend bepreist werden und so direkten
Einfluss auf den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens haben. Unternehmensgewinne sollen an ökologische Leitplanken und gesellschaftlichen Fortschritt gekoppelt werden. Deshalb streben wir eine Reform des Unternehmensrechts an, so dass Aufsichtsräte in Zukunft nicht mehr nur den Renditen der Aktionär*innen, sondern auch der Allgemeinheit verpflichtet sind.
2. Die Wirtschaft klimaneutral machen1
Wir können unser Wirtschaften verändern, aber nicht unsere Abhängigkeit von einer intakten
Natur. Aus wissenschaftlicher Perspektive sind wir beim CO2-Ausstoß kurz davor, alle roten
Linien zu überschreiten, vor denen uns viele Forscher*innen warnen. Das hätte gravierende
Konsequenzen für unsere Freiheit und die Freiheit unserer Kinder und Enkel. Politisch werden
die Klima- und Umweltauswirkungen unserer derzeitigen Wirtschaftsweise unsere Gesellschaften
fordern wie nie zuvor. Und wirtschaftlich handelt es sich bei der Klimakrise um das größte
Geschäftsrisiko für unseren Wohlstand – oder eben um die entscheidende Größe für unseren
Wettbewerbserfolg auf den Märkten der Zukunft.
Nach Jahren des Stillstands ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, schnell und massiv in die
Infrastruktur zu investieren, die eine klimaneutrale Wirtschaft und Gesellschaft trägt. Um
zur klimaneutralen Wirtschaft zu kommen, müssen Bahn, Autos und Gebäude weitgehend
elektrifiziert werden. Für Lastwagen, Flugzeuge und Schiffe wird Wasserstoff eine zentrale
Rolle spielen, ebenso für die Stahlindustrie, die Zementindustrie und Teile der
Chemiebranche.
Die Energiewende muss dafür nach den Phasen der Markteinführung und Marktdurchdringung nun
in die dritte Phase geführt werden, in der sie die Wirtschaft flächendeckend mit
regenerativer Energie versorgt. Sie ist den Kinderschuhen entwachsen und muss im nächsten
Jahrzehnt via Sektorenkopplung die Bereiche Verkehr, Industrie und Wärme erschließen.
Gleichzeitig müssen Unternehmen drastisch Energie einsparen und effizienter verwenden sowie
CO2-lastige durch CO2-neutrale Produktionsverfahren ersetzen.
Dabei können wir darauf bauen, dass technische und gesellschaftliche Entwicklungen nicht
linear verlaufen, und dass wir effizienter oder besser werden können in einem Sprung aus dem
Gewohnten heraus. Und darauf, dass die Marktwirtschaft ihre volle innovative Kraft entfalten
kann, wenn wir die richtigen politischen Leitplanken setzen. Märkte sind ein mächtiges
Instrument, sie schaffen und zerstören in rasendem Tempo. Sie können verheerende Krisen
entzünden – Lehman Brothers lässt grüßen – und sie können gleichzeitig dafür sorgen, dass
binnen weniger Jahre das Smartphone auch in den entlegendsten Winkeln dieser Erde Menschen
miteinander verbindet. Märkte können, wenn die Anreize richtig gesetzt sind, eine grüne
Revolution entfachen, die unsere Vorstellungskraft auf die Probe stellen wird. Damit dies
geschieht, muss der Staat durch Ordnungspolitik, Preispolitik, Förder- und
Investitionspolitik den Rahmen so zu setzen, dass der Weg zum klimaneutralen Verhalten in
einem sozial-ökologisch gerahmten Markt rechtlich verbindlich und ökonomisch lohnend ist.
Ordnungsrecht bedeutetPlanungssicherheit für die Unternehmen. Also die verlässliche Vorgabe,
dass Autos, Flugzeuge, Maschinen oder Kraftwerke ab einem bestimmten Datum kein Treibhausgas
mehr ausstoßen dürfen. Preispolitik schafft fairen Wettbewerb, weil die Klimabilanz von
Produkten zum Teil des Preises wird. Klimaschädliches Wirtschaften wird teurer,
klimafreundliches Verhalten billiger. Förder- und Investitionspolitik gibt Starthilfen für
neue Produkte und Produktionsweisen und verhilft ihnen über die Schwelle zur
Wirtschaftlichkeit. Und sie schafft über den Ausbau der öffentlichen Infrastruktur die Basis
für ökologische Wirtschafts- und Lebensweise.
Ein Klimaschutzgesetz macht die Vorgaben
Das Klimaschutzgesetz ist das ordnungspolitische Herzstück. Ein solches Gesetz legt für alle
Wirtschaftsbereiche (Sektoren) verbindliche CO2-Minderungsziele und CO2-Minderungspfade
ebenso wie die dafür notwendigen Maßnahmen fest. Es garantiert eine dichte Kontrolle, ob die
Maßnahmen wirken, und sieht empfindliche Sanktionen bei einer Verfehlung der Ziele vor.
Ergänzt wird ein solches Klimaschutzgesetz durch weitere ordnungsrechtliche Vorgaben. Zum
Beispiel wollen wir, dass ab 2030 nur noch emissionsfreie Autos neu zugelassen werden und
der Weg dorthin durch verbindliche Quoten für E-Autos bereitet wird. Auch der Umbau der
energieintensiven Unternehmen ließe sich über ansteigende Quoten zum Beispiel für
klimaneutralen Stahl in Autos oder auch Windrädern und Gebäuden nicht nur planungssicherer
gestalten, die Unternehmen hätten gerade mit Blick auf die weltweiten Überkapazitäten so
auch einen Wettbewerbsvorteil auf dem europäischen Markt.
CO2 muss einen Preis bekommen
Ein wirksamer CO2-Preis ist für uns der zweite Teil des nötigen Instrumentenmixes, den wir
zugleich klimapolitisch wirksam und sozial gerecht ausgestalten wollen. Nur so lässt sich
zügig ein stabiler, langfristig orientierter Investitionsrahmen schaffen und systematisch
Anreize zur Senkung des CO2-Ausstoßes und für eine Umstellung von Produktionsweisen sowie
für „Efficiency First“ beim Umgang mit Ressourcen setzen. Nur so lässt sich das Potenzial
auf einer für alle Marktteilnehmer transparenten Basis für einen fairen Wettbewerb schaffen.
Der CO2-Preis schafft Gerechtigkeit und steigert mittelfristig auch die Wettbewerbsfähigkeit
auf dem Weltmarkt — denn Klimaschutz ist nicht nur notwendig, sondern auch ein globaler
Zukunftstrend.
Keine Steuermittel mehr für klimaschädliches Verhalten
Damit ökonomische Anreize ihr volles Potenzial entfalten können und zusätzliche finanzielle
Spielräume für Zukunftsinvestitionen entstehen, wollen wir umwelt- und klimaschädliche
Subventionen konsequent abbauen. Insgesamt betragen diese in Deutschland über 57 Milliarden
Euro. Staatliche Subventionen wie die Steuerbefreiung von Rohöl zur Plastikherstellung, dem
immer noch gewährten Beschaffungszuschuss für neue Ölheizungen oder die Nichtbesteuerung von
Kerosin wollen wir endlich beenden.
Investitionen in CO2-freie Industrieprozesse, insbesondere in den Bereichen Stahl, Chemie
und Zement, lohnen meist erst bei sehr hohen CO2-Preisen, die das europäische
Emissionshandelssystem derzeit noch nicht abbildet. Damit sich solche Investitionen für
Unternehmen schon heute rechnen, wollen wir den Unternehmen die Differenz zwischen dem
aktuellen CO2-Preis und den tatsächlichen CO2-Vermeidungskosten erstatten, welche ihnen
durch die Investitionen in neue Verfahren und Technologien entstehen (Carbon Contract for
Difference). Die Kosten dafür können über eine Klima-Umlage refinanziert werden, die auf die
Endprodukte aufgeschlagen wird und die für heimische Produkte und Importe gleichermaßen
gilt. So rechnen sich diese Investitionen sofort und es werden kurzfristige
Wettbewerbsnachteile gegenüber Regionen ohne eine entsprechende CO2-Bepreisung vermieden.
Förderpolitik gibt Starthilfe
Wir lassen die Unternehmen bei der ökologischen Transformation nicht allein und wollen sie
unterstützen. Für Investitionen in transformative, CO2-freie Industrieprozesse in den
Bereichen Stahl, Chemie oder Zement wollen wir deshalb bessere Abschreibungsmöglichkeiten
schaffen und Leuchtturmprojekte CO2-freier Verfahren und Prozesse gezielt fördern. Die Basis
zur Entwicklung solcher Verfahren ist die entsprechende Forschung. Dafür wollen wir die
Mittel im kommenden europäischen Forschungsrahmenprogramm „Horizon Europe“ auf 120
Milliarden Euro aufstocken und die steuerliche Forschungsförderung als ein wirkungsvolles
Innovationsinstrument ausgestalten. Weiterhin richten wir die öffentliche Beschaffung
konsequent klimaverantwortlich aus und schaffen so Leitmärkte, die innovativen Unternehmen
die notwendige Sicherheit geben, dass ihre Produkte auch einen Markt finden, auf dem sie
starten können.
Um den ökologischen Umbau zu fördern und gleichzeitig den sich anbahnenden
Wirtschaftsabschwung zu bekämpfen werden wir die degressive Abschreibung (AfA) zeitlich
befristet wieder einführen.
In die ökologische Infrastruktur investieren
Investitionen in Klimaschutz bedeutet vor allem: Ausbau von Bahninfrastruktur, von ÖPNV,
Fahrrad- und Fußverkehrsinfrastruktur, aber auch Aufbau von Ladeinfrastruktur für E-
Mobilität sowie von Infrastruktur für erneuerbaren Wasserstoff. Wärmenetze, energetische
Gebäudesanierung und der Ersatz von Öl- und Gasheizungen benötigen Unterstützung. Auch
stehen die Rettung unserer Wälder, die Erhöhung von Deichen und die Schaffung von mehr
Überflutungsflächen für Flüsse, der Umbau zu einer klima- und tierschutzgerechten
Landwirtschaft an.
Allein die Bahn braucht mindestens drei Milliarden Euro pro Jahr, um die notwendige
Verlagerung des Verkehrs von der Luft und der Straße auf die Schiene stemmen zu können. Für
den Aufbau eines elektrischen Ladesäulennetzes brauchen wir ein Investitionsprogramm in Höhe
von 600 Millionen Euro. Unser Programm „Faire Wärme“, mit dem wir die energetische
Gebäudesanierung unterstützen wollen, umfasst 7 Milliarden Euro im Jahr. Dies sind nur drei
Beispiele. Insgesamt plädieren wir für zusätzliche öffentliche Investitionen in Höhe von 30
Milliarden pro Jahr.
Wettbewerbsfähigkeit sichern, Klimadumping verhindern
Neben den notwendigen Anreizen müssen wir bei Einführung von ordnungspolitischen
Klimamaßnahmen die europäische Industrie auch vor möglichen Nachteilen im internationalen
Wettbewerb mit Staaten ohne eine vergleichbare Klimaschutzpolitik schützen. Dies kann über
Grenzausgleichsmaßnahmen wie europäische Klimazölle, die auch auf Importe aufgeschlagen
werden, oder über einen Grundstoffausgleich, der Recycling und weniger energieintensive
Werkstoffe belohnt, geschehen. Auch die Finanzierung der zusätzlich notwendigen
Investitionskosten für saubere Technologien könnte in Zukunft ein Weg sein, anstatt
weiterhin kostenlose Zertifikate im Emissionshandel auszugeben.
Divestment: Kapital aus fossilen in grüne Geschäftsfelder lenken
Mit einer breit angelegten Divestmentstrategie wollen wir dafür sorgen, dass Anlagekapital
zukünftig Klimaschutz statt Klimazerstörung finanziert. Öffentliche Banken und
Versicherungen sollen Investitionen in die Dekarbonisierung der Wirtschaft umlenken und
umgehend aus klimaschädlichen Wirtschaftsproduktionen wie Kohle- oder Erdölindustrie
aussteigen. Damit auch Kleinanlegerinnen und Kleinanleger von der grünen Finanzwende
profitieren und ihr Geld mit gutem Gewissen anlegen können, brauchen wir ein EU-Label für
nachhaltige Finanzprodukte mit starken ökologischen und sozialen Standards. Damit alle
Anleger*innen nachvollziehen können, ob Unternehmen ökologisch wirtschaften, werden wir
entsprechende Offenlegungspflichten einführen.
Neue Anlagerichtlinien für die öffentliche Hand, Fonds wie für die Beamtenpension oder
Rücklagen der Bundesanstalt für Arbeit sollen Nachhaltigkeits- und Klimaschutzkriterien
folgen. Der Bund kann dem Markt für nachhaltige Geldanlagen wichtige Impulse geben. Dafür
muss er seine Investitionen in Kohle-, Öl- und Gas-Konzerne, die Geschäfte auf Kosten des
Klimas machen, beenden.
Damit neben der Rendite auch die Klima- und Sozialverträglichkeit zur Grundlage von
Entscheidungen über Investitionen und Kreditvergaben gemacht werden, brauchen wir einen
verbindlichen europäischen Standard für Nachhaltigkeit, anhand dessen auch klima- und
umweltschädliche Wirtschaftsbereiche klar benannt werden können. Auf dieser Grundlage müssen
alle Finanzmarktakteure die Klima und Umweltauswirkungen ihrer Investitionen offenlegen.
Klimarisiken, die in Konzern- und Bankbilanzen schlummern, sollten bei der Bewertung durch
Rating-Agenturen und die Finanzmarktaufsicht berücksichtigt werden, zum Beispiel durch
Klima-Stresstests für Banken und Versicherungen oder durch Aufschläge bei
Eigenkapitalanforderungen bei Finanzierungen, die hohe Klima und Umweltrisiken bergen.
3. Verwerten statt Verschwenden: Kreislaufwirtschaft als übergeordneter Rahmen
Die ökologische Wende kann nur gelingen, wenn wir nicht dauerhaft auf immer mehr Rohstoffe
angewiesen sind. So können Unternehmen Kosten in erheblichem Umfang einsparen und außerdem
können hunderttausende neue Jobs entstehen. Im Bereich Elektromobilität beispielsweise gibt
es großes Potenzial, um durch Recycling der Lithium-Ionen-Batterien einerseits den
ökologischen Fußabdruck zu verkleinern, andererseits den Bedarf an Rohstoffen zu senken.
Dafür müsste nur die EU-Batterierichtlinie reformiert werden.
Unser Ziel ist der parallele Aufbau einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft. Diese
basiert auf in sich geschlossenen Stoffkreisläufen. Der Kreislauf beginnt bereits bei der
Produktgestaltung. Produkte müssen so designt werden, dass die jeweiligen Einzelteile auch
wieder voneinander getrennt und sinnvoll wiederverwertet werden können. Dafür wollen wir
verbindliche Vorgaben in der EU-Ökodesign-Richtlinie schaffen. Wir wollen Abfallvermeidung-
und verwertung durch einen Mix aus Anreizen und Vorgaben stärken: Wir wollen Recyclingquoten
einführen, welche die tatsächlich im Kreislauf geführten Wertstoffe messen. Hersteller*innen
sollen zu einer festen Einsatzquote für recycelte Rohstoffe verpflichtet werden.
Die Rücknahme- und Verwertungspflicht bei Produkten wie Verpackungen, Elektro- und
Elektronikaltgeräten muss ausgeweitet und durch finanzielle Anreize gestärkt werden. Ein
solcher Anreiz ist die Weiterentwicklung der Lizenzentgelte für Verpackungen zu einer
Ressourcenabgabe, die gleichzeitig ökologische Verpackungen über einen Bonus fördert. Auch
Rücknahmeprämien für einzelne Produktgruppen wie beispielsweise Mobiltelefone können ein
möglicher Weg sein. Unser Ziel ist, bis 2030 alle Kunststoffprodukte kosteneffizient zu
recyceln oder wiederzuverwenden. Schließlich wollen wir die Forschung für Recycling-Prozesse
und die Substitution von Rohstoffen intensivieren.
4. Gute und selbstbestimmte Arbeit – wir gestalten den Wandel der Arbeitswelt
Unsere Arbeitswelt wird sich in den kommenden Jahren vor allem durch die Digitalisierung
rasant und tiefgreifend verändern. Bekannte Tätigkeiten und Arbeitsplätze werden wegfallen
oder sich stark verändern, neue Arbeitsplätze und Berufe entstehen. Ob es in der Summe dann
weniger Arbeitsplätze geben wird oder mehr, kann derzeit niemand verlässlich vorhersagen.
Klar ist jedoch, dass sich auch die Art, wie wir arbeiten werden, massiv verändert. Unser
Arbeiten wird flexibler, selbstorganisierter, auch kooperativer. Zugleich erleben wir
bereits heute neue Formen der Ausbeutung und Überforderung. Ein großes Problem bedeutet
daneben der bereits heute spürbare massive Fachkräftemangel – eine Million Stellen sind
unbesetzt. In den kommenden 15 Jahren wird die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter
ohne Einwanderung um sechs Millionen schrumpfen.
Für beide Entwicklungen – den Fachkräftemangel und die Veränderungen der Arbeitswelt – muss
sich die Bildungs- und Weiterbildungspolitik, die Arbeitsmarkt-, Einwanderungs- und
Integrationspolitik viel besser rüsten als bisher.
Weiterbildung ist der Schlüssel
Das bedeutet vor allem, dass Menschen die Möglichkeit haben müssen, sich weiterzubilden und
neu zu qualifizieren. Dafür brauchen sie Geld, Zeit und passende Angebote. Wir wollen einen
Rechtsanspruch auf Weiterbildung begründen. Das lebensbegleitende Lernen wird damit Teil des
öffentlichen Bildungsauftrags. In allen Kommunen wollen wir Bildungsagenturen schaffen. Sie
sollen zum Herzstück von regionalen Bildungsnetzwerken werden, in denen sich
Arbeitsagenturen, Jobcenter, Volkshochschulen, Kammern, Berufs- und Hochschulen sowie andere
Weiterbildungsträger vernetzen, um flächendeckend und niedrigschwellig beste Weiterbildung
und Beratung anbieten zu können. Die bisherige Arbeitslosenversicherung wird zu einer
Arbeits- und Weiterbildungsversicherung umgebaut. So, wie wir in den beiden vergangenen
Jahrhunderten damit begonnen haben, uns gegen Krankheit oder Arbeitslosigkeit abzusichern,
sollten wir im 21. Jahrhundert im Rahmen der Arbeitslosenversicherung eine Garantie auf
Weiterbildung festschreiben. Sie sollte sowohl die Weiterbildung finanzieren als auch den
Lebensunterhalt in Weiterbildungsphasen absichern. Auch die Möglichkeiten der
Digitalisierung wollen wir für die Bildung weiter nutzen. Dafür soll eine öffentliche und
unabhängige digitale Plattform alle Fort- und Weiterbildungsangebote bündeln. Das ermöglicht
neue Zugänge für Menschen, die sich weiterbilden wollen.
Wir sehen es zudem als unsere Verantwortung, die Arbeitnehmer*innen insbesondere beim
ökologischen und digitalen Wandel mitzunehmen. Wir wollen dazu als eine wichtige Maßnahme
eine neue „Qualifizierungs-Kurzarbeit“ einführen, um so die Chancen der Beschäftigten und
der Betriebe im Strukturwandel vorausschauend zu verbessern. So können Beschäftigte sich
qualifizieren und danach in ihren Betrieb zurückkehren. Die Phase der Kurzarbeit muss
konsequent für die Qualifizierung der Beschäftigten genutzt werden. Dabei wollen wir die
„Qualifizierungs-Kurzarbeit“ eng an die Sozialpartnerschaft koppeln und zwar durch
tarifliche Regelungen und Betriebsvereinbarungen. Denn Unternehmen, Gewerkschaften und
Betriebsräte können nur gemeinsam dem Strukturwandel die richtige Richtung geben.
Fachkräftemangel bekämpfen
Der Fachkräftemangel stellt für viele Unternehmen ein Problem dar. Wir wollen darauf
reagieren, indem wir nicht nur engagiert auf Qualifizierung und Weiterbildung setzen und die
Erwerbstätigkeit von Frauen weiter stärken. Gerade angesichts des demographischen Wandels
halten wir zusätzlich auch eine ambitionierte Einwanderungspolitik für dringend notwendig.
Das Fachkräftezuwanderungsgesetz der großen Koalition erfüllt diesen Anspruch nicht. Wir
wollen es überarbeiten und entbürokratisieren. Deutschland braucht ein echtes
Einwanderungsgesetz mit einem transparenten Punktesystem und der Möglichkeit eines
Spurwechsels.
Neue Jobs
Wir haben große Engpässe dort, wo Menschen sich um Menschen kümmern: in der Pflege, der
Bildung, in der Kinder- und Altersbetreuung. Diese Jobs in der Sorge-Arbeit müssen ausgebaut
werden und brauchen endlich die Anerkennung, auch finanziell, die ihnen gemessen an ihrer
gesellschaftlichen Relevanz zusteht. Diejenigen, die sich um andere Menschen kümmern, dürfen
nicht beim Mindestlohn landen oder Probleme haben, sich eine Wohnung zu leisten.
Die Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung schätzt, dass mit stetigen
Investitionen in Nachhaltigkeit bis 2030 weltweit bis zu 170 Millionen neue Jobs geschaffen
werden können. Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU)
geht davon aus, dass sich die Zahl der Arbeitsplätze in der Erneuerbaren-Energien-Branche in
Deutschland allein in den nächsten zehn Jahren auf mindestens 500.000 verdoppelt. Im
gesamten Bereich Umwelttechnik und Ressourceneffizienz sind bereits heute 1,5 Millionen
Menschen in Deutschland beschäftigt. Erwartet wird hier ein Anstieg von jährlich 6,7
Prozent. Für diese Zukunftsbranche brauchen wir also qualifizierte Maschinenbauer,
Elektrotechnikerinnen, Ingenieurinnen, Vertriebsmitarbeiter*innen, Bürokräfte – von der
Berufseinsteigerin bis zur erfahrenen Fachkraft.
Gute Arbeitsbedingungen
Gute Arbeitsbedingungen und eine faire Verteilung des Wohlstandes zwischen Arbeit und
Kapital auszuhandeln, ist zunächst Aufgabe der Sozialpartner. Wir wollen die kollektive
Selbstorganisation und Mitbestimmung wieder stärken und prekäre Beschäftigung überwinden.
Bei der öffentlichen Vergabe sollen nur Unternehmen zum Zuge kommen, die einem Tarifvertrag
angehören bzw. Tariflöhne zahlen. Zudem wollen wir es leichter machen, Tarifverträge für
allgemeinverbindlich zu erklären. Die Bildung von Betriebsräten werden wir erleichtern,
indem Initiator*innen einen besonderen Schutz erhalten und die Verhinderung von
betrieblicher Interessenvertretung als klare Straftat angesehen und verfolgt wird.
Wir wollen die betriebliche Mitbestimmung ausbauen, indem die Betriebsräte bei der
Personalplanung stärker eingebunden werden und bei der Weiterbildung und der
Beschäftigungssicherung ein echtes Vorschlags- und Initiativrecht bekommen. Die
unternehmerische Mitbestimmung soll bereits ab einer Unternehmensgröße von 1.000
Beschäftigten voll greifen und die Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmervertreter*innen bei
strategischen Unternehmensentscheidungen im Aufsichtsrat erweitert werden.
Der gesetzliche Mindestlohn war ein wichtiger Meilenstein für faire Arbeitsbedingungen. Wir
wollen Ausnahmen beim Mindestlohnstreichen, die Kontrolle verbessern und zudem dafür sorgen,
dass er in Zukunft wirklich armutsfest ist. Die Mindestlohnkommission wollen wir
reformieren, um ihren Entscheidungsspielraum zu stärken. Die Höhe des Mindestlohns soll sich
künftig nicht allein an der Tarifentwicklung orientieren, sondern vor Armut schützen und den
Zusammenhalt in der Gesellschaft stärken. Deshalb wollen wir als Sofortmaßnahme eine
Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro. Gleichzeitig sollen die Vertreter*innen der
Wissenschaft in der Mindestlohnkommission ein Stimmrecht erhalten. Leiharbeit wollen wir
stärker regulieren, für Leiharbeitskräfte soll ab dem ersten Tag die gleiche Bezahlung wie
für die Stammbelegschaft gelten sowie eine zusätzliche Flexibilitätsprämie. Sachgrundlose
Befristungen wollen wir abschaffen. Wir fordern ein wirksames Entgeltgleichheitsgesetz mit
einem Verbandsklagerecht für gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit. Unser Ziel ist es,
Minijobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung umzuwandeln und dafür zu sorgen,
dass die Beiträge durch Steuern und Abgaben sowie soziale Leistungen so aufeinander
abgestimmt werden, dass sich Erwerbsarbeit immer rechnet. Dabei darf die Belastung mit
Steuern und Abgaben nicht sprunghaft steigen. Und wir streiten dafür, Berufe aufzuwerten,
die heute noch meist von Frauen ausgeübt werden, beispielsweise in der Erziehung, der Pflege
oder im Gesundheitssystem, und sie besser zu bezahlen. Wir wollen, dass Arbeit auf Abruf
nicht mehr möglich ist, wenn die Tätigkeiten mit normalen Arbeitsverhältnissen erledigt
werden können, etwa über die Nutzung von Arbeitszeitkonten.
Die Regulierung von Arbeit wollen wir an die Herausforderung der Digitalisierung anpassen.
Dafür braucht es schärfere Abgrenzungskriterien von (Solo-)Selbstständigkeit sowie eine
Neudefinition des Arbeitnehmer*innen-Begriffs. Gesetzliche Mindesthonorare sollen für
Selbstständige ein Schutz vor Dumping und Ausbeutung sein, genauso wie der gesetzliche
Mindestlohn es für Beschäftige ist. Auch sollten sich die Auftraggeber*innen an den
Sozialversicherungsbeiträgen beteiligen.
Durch Digitalisierung entsteht ein großes Potenzial, Arbeitszeit weiter zu verkürzen, sie
mit anderen Lebensbereichen besser zu vereinbaren und Arbeit umzuverteilen, sowohl Erwerbs-
als auch Sorge-Arbeit. Dabei ist uns besonders wichtig, dass es auch zu einer gerechteren
Aufteilung von Erwerbs- und Sorge-Arbeit zwischen den Geschlechtern kommt. Wenn Arbeit
besser ins Leben passt, sind die Beschäftigten produktiver, weniger gestresst und
engagierter. Auch der wachsende Fachkräftebedarf kann so besser bewältigt werden.
Wir brauchen nicht noch mehr Verfügbarkeit von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern rund um
die Uhr. Zum Schutz der Gesundheit braucht es auch im digitalen Zeitalter eine Grenze für
die tägliche Höchstarbeitszeit sowie ausreichende Ruhezeiten ohne Unterbrechung. Wir wollen
mehr Arbeitszeitsouveränität für die Beschäftigten und fordern eine Wahlarbeitszeit zwischen
30 und 40 Wochenstunden. Damit wird die Vollzeit neu definiert und zu einem flexiblen
Arbeitszeitkorridor umgestaltet. Ein Rückkehrrecht von Teilzeit-Beschäftigten auf ihre
vorherige Stundenzahl ist notwendig, damit sie beruflich wieder voll durchstarten können.
Die von der großen Koalition eingeführte Brückenteilzeit nur für große Betriebe genügt
diesen Anforderungen bei weitem nicht. Der überwiegende Teil der Beschäftigten (insbesondere
Frauen) wird aufgrund der Einschränkungen das Recht auf Rückkehr in Vollzeit nicht in
Anspruch nehmen können. Wir wollen außerdem, dass die Hälfte der Plätze in den
Führungspositionen von Unternehmen mit Frauen besetzt werden, Deshalb braucht es
verbindliche Frauenquoten für Aufsichtsräte und vergleichbare Regelungen auch für Vorstände.
Durch die Digitalisierung wird es auch einfacher für die Beschäftigen, von zu Hause zu
arbeiten. Wir werden deswegen ein Recht auf Home-Office einführen.
Beschäftigte am Wohlstand beteiligen
Eine verbesserte Mitarbeiterbeteiligung an Unternehmen kann sowohl dem Fachkräftemangel als
auch einer ungleichen Vermögensentwicklung entgegenwirken. Sie ist ein Weg, um die
Bevölkerung besser am gesellschaftlichen Produktivvermögen zu beteiligen. Bislang sind wir
im europäischen Vergleich jedoch Schlusslicht bei der Mitarbeiterbeteiligung. Wir wollen
daher den steuerlichen Freibetrag für die Überlassung von Mitarbeiterbeteiligungen deutlich
anheben. Außerdem wollen wir eine Plattform schaffen, um Beispiele von erfolgreichen
Beteiligungsmodellen besser zugänglich zu machen und interessierten Unternehmen mehr
Informationen bereit zu stellen.
5. Eine neue Gründerzeit ermöglichen
Viele kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) treiben den ökologischen Wandel voran
und schreiben schon heute mit grünen Ideen schwarze Zahlen. Sie schaffen neue Arbeitsplätze,
die auch morgen noch bestehen. Wir wollen sie mit einem steuerlichen Forschungsbonus
unterstützen, die Chancen von ressourcensparenden und emissionsarmen Produkten und Verfahren
zu nutzen und sie mit einfacheren Abschreibungsregeln, Vereinfachungen bei der Umsatzsteuer
und guten Bedingungen für Mitarbeiterbeteiligungen entlasten. In Strukturwandelregionen
wollen wir die regionale Wirtschaftsförderung stärken, damit es lokal ansässigen Unternehmen
schnell gelingt, den neuen Marktanforderungen gerecht zu werden. Gerade die kleinen und
mittleren Unternehmen im Handwerk sind unverzichtbar. Sie realisieren die Energiewende,
sorgen für fachgerechte Wärmedämmung und sind regionaler Partner für die Landwirtschaft.
Damit Handwerksberufe wieder attraktiver werden setzen wir auf eine stärkere Tarifbindung
und branchenspezifische Mindestvergütungen. Die Handwerksbetriebe sollen bei der Ausbildung
und Gewinnung von Auszubildenden stärker beraten, unterstützt und begleitet werden. Durch
einen Rechtsanspruch auf einen schnellen Breitband-Internetanschluss sorgen wir dafür, dass
das Handwerk auch im ländlichen Raum online ist.
Gründer*innen fördern
Wir brauchen eine neue Gründer*innenwelle. Keine gute Idee darf an zu wenig Eigenkapital
scheitern. Wir fordern daher eine schnelle Einführung des unbürokratischen
Gründungskapitals, welches Gründer*innen einen Einmalbetrag bis maximal 25.000 Euro
sicherstellt, unter der Voraussetzung einer Wirtschaftlichkeitsprüfung.
Frauen sind erfolgreiche Gründerinnen, bei Gründungen von Unternehmen jedoch
unterrepräsentiert. Nur 15 Prozent der Startups in Deutschland werden laut Female Founder
Monitor von Frauen gegründet. Bei einer solch niedrigen Quote entgeht Deutschland ein großes
Potenzial an innovativen Unternehmen. Öffentliche Fördergelder erreichen in der Regel eher
männliche als weibliche Gründer*innen. Wir schlagen vor, einen staatlich geförderten
Wagniskapitalfonds zu schaffen, der sich nur an Gründerinnen richtet. Irland hat mit diesem
Modell gute Erfahrungen gemacht. Nach einem Zeitraum von fünf Jahren sollte überprüft
werden, ob der Fonds einen nachhaltigen Effekt hatte. Jede fünfte Gründerin und jeder fünfte
Gründer hat eine Einwanderungsgeschichte. Für sie wollen wir ein zugeschnittenes
Beratungsangebot schaffen.
Der Staat ist durch die öffentliche Beschaffung von Produkten und Dienstleistungen ein
wichtiger Impulsgeber für die Wirtschaft. Die öffentliche Hand kann durch die
Auftragsvergabe eine aktive Vorbild- und Lenkungsfunktion erfüllen, eine nachhaltige
Wirtschaftsweise stärken und Innovationen fördern. Wir wollen, dass Vergabeverfahren so
gestalten werden, dass der Bund im Rahmen seiner öffentlichen Auftragsvergabe und
Ausschreibungen Startups und jüngere Unternehmen, neue Technologien und innovative
Geschäftsmodelle stärker berücksichtigt. Vergabelose sollten KMU-freundlich ausgeschrieben
werden.
Wir fordern Startup-Zentren ähnlich der französischen Station F, die Gründer*innen den
notwendigen Arbeitsraum zur Verfügung stellen. Wir fordern zwei Jahre Befreiung von nicht
unbedingt nötigen Melde- und Berichtspflichten und wollen die Gründungsberatung und
-förderung aus einer Hand in „One-Stop-Shops“ ermöglichen, damit Gründer*innen Zeit zum
Gründen haben. Ausgründungen aus Hochschulen und Kooperationen von Gründer*innen und
Hochschulen sollen durch bessere Beratung und Betreuung gefördert werden, damit zum Beispiel
Labore zur Mitnutzung geöffnet werden. Die heutige Gründungsförderung ist stark auf
technologieorientierte Startups zugeschnitten. Wir wollen die bestehenden Förderinstrumente
neutraler ausgestalten und damit stärker als bisher zum Beispiel sozial orientierte
Unternehmen oder die Kreativwirtschaft fördern.
Wir wollen die freiwillige Arbeitslosenversicherung weitgehend für Selbständige öffnen und
erreichen, dass anderweitig nicht abgesicherte Selbständige in die gesetzliche
Rentenversicherung einbezogen werden. Und wir brauchen in Deutschland auch eine Kultur des
Scheiterns. Das Insolvenzrecht muss so gestaltet sein, dass es schneller Neuanfänge
ermöglicht.
Für die erfolgversprechendsten Startups wollen wir einen Europäischen Startup-Pass
einführen. Dieser soll ihnen die Möglichkeit geben, an allen europäischen Startup-
Förderprogrammen teilzunehmen und Unterstützung durch Inkubatoren zu erhalten. Sie sollen
außerdem breite Unterstützung durch Informationen und Beratung zur Rechtslage und zu
Patenten bis hin zu vereinfachten Visa für ausländische Mitarbeiter*innen des Startups
bekommen. Ausländischen Startups sollen neben einem Europäisches Startup-Visum auch Beratung
und finanzielle Unterstützung angeboten werden, damit sie sich in Europa ansiedeln.
Verwaltung kooperativer gestalten
Zugleich kann die öffentliche Verwaltung innovativer und kooperativer werden. Wir fordern
daher ein deutsches GovTech-Programm nach dänischem Vorbild. So sollen
Technologieunternehmen und Startups mit innovativen Lösungen den Ministerien helfen,
bestimmte Fragestellungen und Herausforderungen, mit denen sie konfrontiert sind, zu lösen.
Unser Ziel ist die vollständige elektronische Abwicklung in der Verwaltung. Das spart
Unternehmen, Bürger*innen und der Verwaltung viel Zeit und Geld.
Bei der Regulierung soll das Prinzip der Verhältnismäßigkeit gelten: Große Unternehmen
können komplexe Anforderungen erfüllen, kleinere Unternehmen und den Mittelstand wollen wir
gezielt entlasten. Für die Gründungsphase eines Unternehmens wollen wir bestimmte
Regulierungen ganz aussetzen. Genehmigungsverfahren wollen wir beschleunigen. Wir werden
nicht nur den Unternehmen Fristen setzen, sondern verstärkt auch der Verwaltung. Verpasst
die Verwaltung die Frist, gilt die Genehmigung automatisch als erteilt.
Wagnisse ermöglichen
Wir müssen nicht nur technologisch exzellent sein, sondern bahnbrechende Technologien auch
in neue Geschäftsmodelle, Märkte, Dienstleistungen und Produkte umwandeln können.
Fördermöglichkeiten und Netzwerke für Startups und junge Unternehmen können den Unterschied
zwischen einer guten Idee auf dem Flipchart und einem weltweit erfolgreichen Unternehmen
ausmachen.
Startup-Förderung braucht Anschubfinanzierung und eine starke Finanzierung in der
Wachstumsphase. Wir wollen mit einem öffentlichen Zukunftsfonds eine Investitionswelle im
Venture Capital Markt auslösen. Dieser Fonds soll als eine Art stille Teilhaber*in jungen
und wachsenden Startups das nötige Eigenkapital bereitstellen. Das verhindert, dass unsere
Startups auf ausländische Geldgeber angewiesen sind, aufgekauft werden und das
technologische Know-how ins Ausland fließt. Wenn ausländische Konzerne ein europäisches
Startup übernehmen, sollen sie einen Ausgleich für die Fördermittel zahlen, die das Startup
von europäischer und nationaler Ebene bekommen hat.
Der Fonds soll mit Eigenkapital ausgestattet werden und sich dann weiteres Kapital günstig
am Finanzmarkt leihen. Seine Gewinne sollen vollständig das eigene Kapital weiter
aufstocken. Der Zukunftsfonds soll politisch unabhängig gemanagt werden. Unser unabhängig
verwalteter Bürgerfonds für eine stabile und rentable Anlagemöglichkeit soll in den
Zukunftsfonds investieren können und auch andere Investitionen im Venture-Capital-Bereich
finanzieren können. Über die Trennung von Zukunftsfonds und Bürgerfonds verhindern wir
problematische Interessenskonflikte zwischen industriepolitischen Zielen und dem
Bürgerfonds.
Auch Crowdfunding kann – vor allem wenn reward-basiert – neue Finanzierungsquellen für junge
Unternehmen erschließen. Wir wollen dafür sorgen, dass öffentliche Förderungen von
Gründungen und von Forschung mit Crowdfunding kombiniert werden können.
Gute Bedingungen für gute Ideen schafft auch der europäische Binnenmarkt mit über 500
Millionen Menschen, die sich daran beteiligen. Der Wagniskapitalmarkt der EU ist derzeit in
viele kleine nationale Märkte zersplittert. Wir wollen die nationalen Förderinstrumente
koordinieren und abstimmen. Mittelfristig streben wir einen großen europäischen
Wagniskapitalfonds an und wollen die EU zum größten Venture-Capital-Markt der Welt machen.
6. Digital von der Null zur Eins werden
Wir setzen uns für eine Politik der technologischen Souveränität Europas ein und plädieren
für eine starke europäische Digitalinfrastruktur. Anstatt sich zum Beispiel bei Cloud-
Diensten zwischen Amazon oder Alibaba entscheiden zu müssen, wollen wir eine eigene
europäische Cloud-Infrastruktur aufbauen. Diese soll unseren Unternehmen eine effiziente und
sichere Alternative zu den amerikanischen und chinesischen Anbietern sein.
Dabei setzen wir unsere Priorität auf die Stärkung der europäischen Halbleiterindustrie.
Halbleiter sind im digitalen 21. Jahrhundert das, was Rohöl im analogen 20. Jahrhundert war:
eine kritische Ressource. In Ostdeutschland haben wir einen der größten Standorte für die
Halbleiterproduktion in Europa. Wir wollen diese Stärke stärken, indem wir die Forschung und
Entwicklung von ultraeffizienten Chips fördern und den Mikroelektronik-Cluster in Dresden
stärken.
Vielfalt und Offenheit statt digitaler Monopole
Die Digitalisierung hat datenbasierte Plattform-Geschäftsmodelle hervorgebracht, die eine
Tendenz zum Monopol aufweisen. So erfordern es Wettbewerb und moderner Verbraucherschutz,
dass die Grundsätze der Interoperabilität – wie wir sie aus dem Mobilfunk kennen – auch bei
online-gestützten Angeboten gelten. Was heute bei Telefon, SMS und Mail selbstverständlich
ist, muss zum Beispiel auch bei Messenger-Diensten oder sozialen Netzwerken gewährleistet
werden, nämlich unkompliziert zwischen Anbietern und Plattformen kommunizieren und wechseln
zu können.
Auch digitale Großkonzerne müssen sich an das europäische Ordnungsrecht halten. Deshalb
setzen wir uns für eine faire Besteuerung digitaler Großkonzerne ein, die bisher von der
Bundesregierung verhindert wird.
Infrastrukturen sind eine öffentliche Aufgabe. Dieses Prinzip, das bei Stromnetzen oder
Straßen selbstverständlich ist, muss im digitalen Bereich neu ausgehandelt werden. Wenn
Google seine dominierende Stellung bei Handy-Betriebssystemen oder Amazon seine beim Verkauf
über den Marketplace ausnutzt, müssen wir dem einen Riegel vorschieben. Den lokalen
Einzelhandel werden wir vor unfairem Dumpingwettbewerb von Amazon und Co. schützen. Ziel ist
es, privatisierte Marktplätze wieder öffentlich zugänglich zu machen. Außerdem werden wir
die Gebühren für Plattformen mit weitreichender Marktmacht regulieren, damit die Gewinne von
kleinen Unternehmen nicht von den Plattformbetreibern abgeschöpft werden können.
Google und Facebook dominieren mittlerweile den Markt für Onlinewerbung. Kaum ein
Unternehmen kann es sich noch leisten, nicht über sie online für die eigenen Produkte zu
werben. Ein solches Oligopol muss reguliert werden. Wir wollen in Europa eine gesetzliche
Grundlage für Onlinewerbung schaffen.
Standards für die datengetriebene Wirtschaft
So, wie wir mit der Datenschutzgrundverordnung unseren europäischen Rechtsrahmen in der
digitalen Welt stärken konnten, an die sich andere halten müssen, wollen wir auch ethische,
gesellschaftliche und sicherheitspolitische Grundregeln für intelligente Maschinen und
Algorithmen auf EU-Ebene etablieren. Dazu gehören Regeln bezüglich der Haftung, Transparenz,
Nicht-Diskriminierung und Überprüfbarkeit algorithmischer Entscheidungen sowie essentielle
Cybersicherheitsstandards.
Wir wollen einen einheitlichen europäischen Rechtsrahmen für datengetriebene
Geschäftsmodelle schaffen. Daten sind Schlüsselressource der digitalen Welt, insbesondere
für Technologien wie die künstliche Intelligenz. Daher plädieren wir für die Bereitstellung
öffentlicher, anonymisierter bzw. pseudoanonymisierter Daten, damit dadurch neue
Innovationen und Geschäftsmodelle entstehen. Open-Data ist eine Grundvoraussetzung, damit
europäische Unternehmen etwa bei künstlicher Intelligenz noch zum Silicon Valley
aufschließen können. Die Bundesregierung muss bei Innovationen und neuen technologischen
Lösungen im Bereich des öffentlichen Sektors vorangehen. Dafür muss sie auch die bei
öffentlichen Stellen erfassten Daten in einer datenschutzkonformen Weise (anonymisiert) der
Allgemeinheit zur Verfügung stellen. So können Startups, Unternehmen und
Forschungseinrichtungen diesen Datenschatz für die Entwicklung innovativer Technologien
nutzen. „Sharing is Caring“ gilt an dieser Stelle ganz besonders.
„Private Daten schützen, öffentliche Daten nützen“ gilt auch für Unternehmen. Wir wollen
eine Datenökonomie stärken, die nach diesem Prinzip organisiert ist. Dafür wollen wir
Definitionen von Normen, Standards und Schnittstellen zum Datenaustausch zwischen
Unternehmen, Forschungseinrichtungen und öffentlicher Hand zur kooperativen Datennutzung
fördern. Mit der Macht über Daten werden heute Monopolstellungen geschaffen. Wir wollen
gesetzlich regeln, welche Daten als öffentliches Gut anzusehen sind.
IT für grüne Ziele nutzen
Wir wollen die Digitalisierung nutzen, um Ökonomie und Ökologie weiter zusammenzuführen. Die
Digitalisierung schafft enorme Chancen für Ökoeffizienz und Kreislaufwirtschaft. Dafür
wollen wir ein EU-Förderprogramm, das sich exklusiv dem ökologischen Potenzial der
Digitalisierung widmet und die Ökoeffizienz in Unternehmen fördert. Die Digitalisierung kann
zum ökologischen Umbau unserer Gesellschaft beitragen. Wenn wir nicht handeln, besteht aber
das Risiko, dass die Digitalisierung zum Treiber von Klimakrise und Umweltzerstörung wird.
Derzeit werden wertvolle Rohstoffe zunehmend für die Digitalisierung gebraucht und der
Energiebedarf für digitale Prozesse wächst jedes Jahr massiv. Expert*innen zufolge wird der
digitale Energiebedarf bis zum Jahr 2040 die weltweite Energieproduktion übersteigen, wenn
wir nicht umsteuern.
Wir wollen als Teil der Energiewende energiearme IT-Technik voranbringen und eine
europäische „Green-IT“-Strategie auflegen. Darüber hinaus setzen wir uns für „Green-IT“-
Kriterien bei der öffentlichen Vergabe und ein Label für energieeffiziente, nachhaltige
Rechenzentren ein. Denn gerade die Digitalisierung bietet auch ein erhebliches Potenzial für
den Klimaschutz und zur Einsparung von Treibhausgasen und Ressourcen.
Allein durch die Digitalisierung könnten die globalen CO2-Emissionen bis 2030 gegenüber
jetzigen Prognosen um 20 Prozent sinken. Studien gehen von 15 bis 20 Prozent
Energieeinsparung durch Gebäude-Klimamanagementsysteme aus. Um 25 bis 30 Prozent könnte der
Energieverbrauch der Industrie durch IT-gesteuerte Prozessoptimierung sinken, indem
Maschinen intelligent miteinander vernetzt werden. Dieses Potenzial wollen wir konsequent
nutzen.
Bei großen Unternehmen ist es längst selbstverständlich, dass Videokonferenzen in vielen
Fällen Reisen per Bahn oder Flugzeug ersetzen. Das spart Zeit und Kosten, entlastet die
Mitarbeitenden und schont zugleich die Umwelt. Mit den selbstfahrenden Autos von morgen
bietet sich durch Vernetzung, Carsharing und zusätzlich flexible öffentliche
Nahverkehrsangebote gerade im ländlichen Raum die Chance, viele Privatfahrten im Auto zu
ersetzen. Die Digitalisierung kann die Energiewende in Form intelligenter Netze unterstützen
oder dabei helfen, Transportketten zu optimieren und etwa Leerfahrten zu verhindern.
Cybersicherheit für die Industrie
Es braucht dringend ein umfassendes Paket zur Stärkung der Cybersicherheit unserer
Industrie. Dies umfasst die Einrichtung eines europäischen Forschungsverbunds für
Cybersicherheit, in dem das Nationale Forschungszentrum in Darmstadt integraler Teil wird,
um die Entwicklung von Technologien und industriellen Fähigkeiten im Bereich der
Cybersicherheit zu fördern. Außerdem wollen wir ein in allen Mitgliedstaaten anerkanntes EU-
weites Zertifizierungssystem für Produkte und Dienstleistungen sowie umfassende
Beratungsangebote einführen.
7. Die Technik von morgen entwickeln
Um den Wirtschaftsstandort Deutschland in die Zukunft zu führen, müssen wir auch für
Forschung und Entwicklung die richtigen Rahmenbedingungen setzen. Technologiedurchbrüche,
Innovation und Neues entstehen nicht allein in Forschungsabteilungen, Vorstandsebenen oder
Regierungsagenturen. Sie entstehen in Ökosystemen. Es geht darum, Kooperationen zu fördern,
die Arbeit in isolierten Fach-Communities aufzubrechen, Wissen zu teilen und von der
Erfindung nahtlos in die Umsetzung zu kommen. Wir fordern daher mehr interdisziplinäre
Forschungsplattformen, an denen sich insbesondere Hochschulen, freie Forschungsinstitute,
zivilgesellschaftliche Organisationen und Unternehmen beteiligen können. Darüber hinaus sind
Reallabore und Experimentierräume in der Forschung notwendig, damit bahnbrechende neue
Technologien auch gleich in der Umsetzung getestet werden können. Um diese zu fördern,
schlagen wir eine eigene Förderlinie vor.
Alle heute genutzten Technologien beruhen auf öffentlicher Grundlagenforschung. Auch in
Europa und Deutschland sollte die öffentliche Hand massiv investieren, gerade da, wo Märkte
versagen: bei risikoreicher Forschung, öffentlicher Infrastruktur, Sprunginnovationen. Für
diese Jahrhundertaufgabe müssen deutsche und europäische Förderprogramme ambitionierter,
risikofreudiger und agiler werden. Es geht uns dabei um einen gezielt agierenden, proaktiven
und unternehmerischen Staat, der unternehmerisches Risiko eingeht und als Leadinvestor ein
innovationsfreundliches Umfeld auch für private Unternehmen und ihre Ideen schafft.
In Zukunftstechnologien und digitale Infrastruktur investieren
Europäische Kooperation ist die Grundvoraussetzung, um auf den Technologiemärkten des 21.
Jahrhunderts mithalten zu können. Wir wollen deswegen wieder intensiv in den Wissens- und
Innovationsstandort Europa investieren und die Mittel des kommenden europäischen
Forschungsrahmenprogramms auf 120 Milliarden Euro aufstocken. Damit wollen wir ein
schlagkräftiges Nachfolgeprogramm zu „Horizon 2020“ etablieren, das besonders die
Grundlagenforschung in wirtschaftlichen Schlüsselfeldern wie der künstlichen Intelligenz,
der Robotik, Quantentechnologie sowie der Bio- und Nanotechnologie fördert.
Es bleibt daher ein Fehler, dass die Bundesregierung die Vorschläge vom französischen
Präsidenten, eine europäische Agentur für Sprunginnovationen und ein deutsch-französisches
KI-Zentrum zu etablieren, nicht angenommen und ernsthaft verfolgt hat. Stattdessen hat die
große Koalition eine allein national ausgerichtete Agentur für Sprunginnovationen etabliert.
Wir fordern, dass diese nun zumindest mit den europäischen Institutionen und Initiativen eng
verzahnt wird. Auch sind die geplanten 500.000 Euro Förderung für ein virtuelles deutsch-
französisches KI-Netzwerk viel zu wenig, um die besten Forscherinnen und Forscher
zusammenzubringen und tatsächlich Synergien zu etablieren.
Schnelles Netz ist die Grundlage für alles – Industrie, Mobilität, Landwirtschaft, digitale
Verwaltung, Teilhabe, ökonomischer Erfolg. Für Unternehmen ist der Breitbandausbau eine
harte Standortfrage. Und oftmals sind es gerade die ländlichen Regionen, die von schnellem
Internet abgehängt sind. Von der flächendeckenden Grundversorgung, die die Bundesregierung
versprochen hatte, sind wir weit entfernt. Für die digitale Infrastruktur Glasfaser und 5G-
Mobilfunk gibt es erhebliche Investitionslücken. Damit der Glasfaserausbau schneller
vorankommt, brauchen wir eine solide Finanzierung. Dies wollen wir dadurch ermöglichen, dass
der Bund seine Anteile an der Telekom verkauft, und sie in eine Ausbaugesellschaft für
Glasfaser investieren.
Neue Wege beim Urheberrecht
Wir wollen zudem in der Forschungsförderung stärker Output-basierte Modelle erproben und
beispielsweise Prämien für die Lösung von Zukunftsfragen öffentlich ausloben. Ferner wollen
wir eine weitgehende Verfügbarkeit von Basisinnovationen ermöglichen und dafür Open-Source-
Lösungen fördern. Wer sich verpflichtet, seine Forschungsergebnisse gebührenfrei der
Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen, erhält im Gegenzug großzügigen Zugang zu
Fördermitteln. Ein Beispiel, wie eine solche gemeinwohlorientierte Lizensierung gestaltet
werden kann, sind die Creative Commons Lizenzen, die seit Jahren erfolgreich die Rechte von
Urheber*innen waren und gleichzeitig Inhalte für andere zugänglich und nutzbar machen.
Auch dem Mittelstand wollen wir den Weg frei machen für eine Investitionsoffensive in
Forschung, Entwicklung und Innovation. Wir wollen die steuerliche Förderung bei Forschung
und Entwicklung nicht wie die große Koalition auch Großkonzernen gewähren, sondern explizit
den KMUs. Bei der Auftragsforschung sollen auch die Auftraggeber*innen einen Teil des
Steuerbonus geltend machen können.
8. Gleichwertige Lebensverhältnisse in Ost und West, Stadt und Land
Gemeinsam können wir dafür sorgen, dass Stadt und Land, dass strukturschwache und
wirtschaftsstarke Regionen nicht weiter auseinanderdriften. In den deutschen Kommunen klafft
eine öffentliche Investitionslücke bei der Infrastruktur von 138 Milliarden Euro. So viel
Geld fehlt in Kitas, Straßen, Brücken oder Spielplätzen, allein um die Substanz zu erhalten.
Viele Kommunen können das nicht finanzieren. Damit werden wir unserer Verpflichtung nach
gleichwertigen Lebensverhältnissen nicht überall im Land gerecht, was vor allem
strukturschwache Regionen, gerade in Ostdeutschland, betrifft.
Eine neue Gemeinschaftsaufgabe „regionale Daseinsvorsorge“ soll dem Bund erlauben,
strukturschwache Regionen finanziell zu unterstützen. Dafür wollen wir eine Kompetenzagentur
schaffen, welche die Kommunen bei der Planung von Investitionen und dem Abruf von
Fördermitteln unterstützt. Eine Förderung über alle Regionen hinweg führt oft dazu, dass
stärkere Regionen aufgrund ihrer funktionierenden Infrastruktur und Verwaltung die Mittel
als erstes beantragen und bekommen, während die schwächeren Regionen dann das Nachsehen
haben. Wir wollen die Förderung auf die wirklich strukturschwachen Regionen ausrichten. Die
beste Förderung hilft nicht, wenn die Mittel nicht dort ankommen, wo sie wirksam werden
sollen.
Wir wollen die aktuelle Förderung von ihrer Projektorientierung hin zu Prozessen ausrichten,
damit Projekte vor Ort langfristig gesichert sind und das Engagement der Leute vor Ort
nachhaltig gefördert wird. Daneben soll ein Altschuldenfonds Kommunen mit hohen Altschulden
neue Spielräume eröffnen, indem der Bund einen Teil der Schulden übernimmt, aber auch die
Verantwortung der Länder zum Tragen kommt sowie berücksichtigt wird, dass einige
Landesregierungen dies bereits aus eigener Kraft getan haben. Der Bund kann sich zu sehr
niedrigen – momentan sogar negativen – Zinsen finanzieren, und so den Kommunen wieder Luft
zum Atmen verschaffen. Die regionale Wirtschaftsförderung wollen wir neu ausrichten und
Regionen, die einen starken Strukturwandel zu bewältigen haben, mehr in den Blick nehmen.
Entscheidend für die Ansiedlung von Unternehmen ist nicht der Scheck vom Staat, sondern eine
exzellente Infrastruktur und gut ausgebildete Fachkräfte vor Ort. Wo es keinen Datenhighway
gibt, kann sich heute kein Unternehmen mehr ansiedeln.
Für die Lausitz hieße das zum Beispiel, dass man von den kleinen Orten schnell nach Cottbus
kommen kann, und von Cottbus schnell mit der Bahn nach Berlin. Schnelles Internet und das
digitale Büro würden es mit einem Arbeitsplatz in Berlin ermöglichen, an der
mecklenburgischen Seenplatte zu wohnen. Gute Bahnverbindungen würden die gelegentliche,
zügige Fahrt zur Firma erlauben. Wir wollen die regionalen Zentren stärken und zu
Ankerpunkten in den Regionen mit breitem Angebot an öffentlichen und kulturellen
Dienstleistungen machen. Wir wollen auch Universitäten und Fachhochschulen ansiedeln bzw.
erweitern, denn sie können einen Wissenstransfer in die lokale Wirtschaft organisieren.
Gleichzeitig bringen die gut ausgebildeten Studierenden eigene Geschäftsideen mit oder sind
künftige Fachkräfte für die lokale Wirtschaft. So kann es auch gelingen, junge Zugewanderte
zu motivieren, etwa in die Uckermark oder nach Ostsachsen zu ziehen.
9. Mit einer gemeinsamen Industriestrategie die Stärke des europäischen Binnenmarktes nutzen
Der Kern einer guten Industriepolitik liegt in der Stärkung der eigenen Innovationskraft,
nicht in der Abwehr von Konkurrenz. Trotzdem ist es wichtig, dass Deutschland und Europa
faire Regeln entwickeln und diese dann nach innen und außen durchsetzen.
Der europäische Binnenmarkt ist der größte gemeinsame Wirtschaftsraum der Welt. Kein großes
globales Unternehmen kann es sich leisten, auf diesem riesigen Markt nicht vertreten zu
sein. Den Europäischen Binnenmarkt müssen wir nutzen, um Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und
faire Spielregeln zu stärken, anstatt uns von nationalen Interessen auseinanderdividieren zu
lassen.
Wer auf dem europäischen Markt mitspielen will, muss den europäischen Regeln folgen. Mit der
Datenschutzgrundverordnung haben wir gezeigt, wie das geht. Entweder halten sich Unternehmen
daran, oder ihnen wird der Zugang zum Markt verwehrt. Mittlerweile macht die DSGVO
international Karriere.
Die Europäische Union muss dafür als starke und geeinte Akteurin gemeinsame Standards für
eine zukunftsfähige Wirtschaft entwickeln – statt Empfängerin der strategischen
Entscheidungen anderer zu sein. Wenn die USA auf einen finanzmarktgetriebenen Kapitalismus
und China auf autoritären Staatskapitalismus setzt, dann müssen wir uns nicht entscheiden,
sondern darauf eine europäische Antwort geben: mit einem Green New Deal für die sozial-
ökologische Marktwirtschaft.
Europa braucht eine gemeinsame Industriepolitik, deren Kern in der Stärkung der eigenen
Innovationskraft und der Durchsetzung von fairen Spielregeln für die Wirtschaft liegt – nach
innen wie nach außen. Ihre Ziele und Instrumente sollen sich an der Notwendigkeit einer
sozial-ökologischen Transformation der Wirtschaft orientieren. So kann der europäische
Binnenmarkt, auch aufgrund seiner Größe, zum Leitmarkt für die Welt werden.
Eine Industriestrategie zur Stärkung von Innovation und Nachhaltigkeit
Eine Industriestrategie muss in erster Linie Innovationen in Deutschland und Europa aktiv
vorantreiben, zum Beispiel durch ordnungspolitische Leitplanken und öffentliche Aufträge,
welche die Nachfrage nach neuen Technologien stimulieren. Sie soll dabei insbesondere auch
den ökologischen Wandel der Wirtschaft unterstützen, durch Maßnahmen wie eine langfristige
Klimaschutzstrategie, einen europaweiten CO2-Mindestpreis, oder die Förderung industrieller
Leuchtturmprojekte mit dem Ziel, Treibhausgasemissionen in den energieintensiven Branchen
abzubauen. Finanzmärkte müssen so reguliert werden, dass sich nachhaltige Investitionen
auszahlen und nicht benachteiligt werden. Auch die europäischen Investitionsprogramme müssen
auf Nachhaltigkeit getrimmt werden.
Eine Industriestrategie soll auch dafür sorgen, dass europäische Kräfte bei künstlicher
Intelligenz gebündelt werden und öffentliche Investitionen in europäische Gemeingüter
getätigt werden, wie in die Verkehrs-, Telekommunikations- und Energieinfrastruktur.
Rechtswidriger Steuerumgehung und Steuerbetrug erteilen wir eine Absage, denn auch
Unternehmen müssen sich angemessen an der Finanzierung öffentlicher Aufgaben beteiligen.
Auch gerechte Arbeitsbedingungen, Mindeststandards bei der sozialen Absicherung und eine
europäische Rückversicherung für die nationalen Arbeitslosenversicherungssysteme müssen Teil
einer solchen sozial-ökologischen Industriestrategie sein.
Wettbewerbsverzerrungen bekämpfen
Gegenüber staatlich subventionierten Monopolisten aus China und unregulierten
Digitalkonzernen aus den USA muss eine europäische Industriestrategie fairen Wettbewerb auf
dem europäischen Markt sicherstellen, zum Beispiel durch eine Weiterentwicklung der Anti-
Dumping- und Anti-Subventionsinstrumente, eine Reform der WTO und eine Schärfung der Regeln
im Kartellrecht. Auch muss die Europäische Union Wettbewerbsverzerrungen bei öffentlichen
Aufträgen stärker ahnden können. Ein Weg könnte sein, im Vergaberecht die Möglichkeiten zu
schaffen, Angebote aus Ländern, die ihre Firmen subventionieren, mit einem Aufschlag zu
versehen und auch bei Nicht-EU-Bietern hohe Arbeits- und Umweltstandards zu berücksichtigen.
Mittelfristig sollte das Prinzip der Gegenseitigkeit (Reziprozität) für Drittstaaten gelten,
damit es zu gleichen Wettbewerbsbedingungen kommen kann.
Kontrolle über kritische Infrastruktur
Ausländische Direktinvestitionen in Schlüsseltechnologien und kritische Infrastruktur
sollten besser überwacht werden. Der neue europäische Screening-Mechanismus für
Direktinvestitionen sollte in die deutsche Außenwirtschaftsordnung integriert und konsequent
angewandt werden. Denn wenn wir keine Kontrolle mehr über unsere kritische Infrastruktur
haben, haben wir ein riesiges Sicherheitsproblem, sind abhängig und im schlimmsten Fall
erpressbar.
Mit Blick auf die konkret anstehende Entscheidung zu 5G halten wir einen Ausschluss von
Huawei angesichts der chinesischen Rechtslage für unabdingbar. Viele kleinere europäische
Länder sind abhängig davon, wie Deutschland sich entscheidet. Zwar mag der Ausbau der
deutschen 5G-Netze durch Huawei kostengünstiger und schneller sein als durch europäische
Anbieter. In der Abwägung zwischen Fragen der wirtschaftlichen und technologischen Effizienz
und der außen- und sicherheitspolitischen Dimension einer solchen Entscheidung kommen wir
aber zu dem Schluss, dass die politische Einflussnahme und die bereits stattfindende
Spaltung Europas durch China nicht weiter zunehmen darf. Es geht auch darum, die
sicherheitsrelevante Infrastruktur nicht dem Zugriff eines Konzerns in einem autoritären
Staat zu überlassen. Und es wird auch über unsere wirtschaftliche Zukunft entscheiden, in
Europa noch Unternehmen zu haben, die in der Lage sind, die Technologien der Zukunft zu
bauen. Die Entwicklung von digitalen Standards ist systemrelevant.
Regulatorische Macht für sozial-ökologische Ziele
Auch global sollten wir Europäer*innen Regeln setzen und dazu unser gesamtes europäisches
Schwergewicht in die Waagschale werfen. Wer in Europa Produkte verkaufen will, muss fair
produzieren. Die Produktion muss im Einklang mit den Klimazielen von Paris stattfinden.
Menschen- und Arbeitsrechte und der Schutz der Umwelt müssen geachtet werden. Dafür braucht
es Handelsabkommen, die ökologische und soziale Standards gegenüber Handelspartnern
einklagbar machen und ein Lieferkettengesetz, das Transparenz und menschenrechtliche
Sorgfaltspflichten für Unternehmen rechtsverbindlich macht. Wir wollen den Einsatz neuer
Technologien fördern, die die Zwischenstufen im Produktionsprozess nachvollziehbar machen.
So verhindern wir zum Beispiel, dass bei uns Produkte verkauft werden, deren Vorprodukte mit
Kinderarbeit in Afrika hergestellt wurden.
Den Euro zur Leitwährung machen
Die wirtschaftliche Stärke Europas wird zentral davon abhängen, ob wir die Währungsunion
vollenden. Eine Währungsunion ohne makroökonomische Ausgleichsmechanismen kann nicht
funktionieren. Daher wollen wir eine gemeinsame europäische Fiskalpolitik für die Eurozone,
die im Abschwung beherzt gegensteuern, die Wirtschaft stabilisieren und europäische
Gemeingüter finanzieren kann. Diese Fiskalpolitik könnte sich auch über europaweite Steuern
wie eine Digitalkonzernsteuer, eine Finanztransaktionssteuer oder eine europäische
Körperschaftsteuer finanzieren. Investitionen des gemeinsamen Haushalts sollten für
europäische Gemeingüter wie den Klimaschutz, den Ausbau der erneuerbaren Energien,
Kommunikation und Internet oder die Schieneninfrastruktur eingesetzt werden. Ein
Eurozonenbudget, das stabilisiert und investiert, sollte mindestens ein Prozent des BIP der
teilnehmenden Staaten umfassen, um makroökonomisch wirksam zu sein.
Kaum ein Land in der EU profitiert so stark von der gemeinsamen Europäischen Währung.
Anstatt sich als Exportnation zu feiern, sollte Deutschland zum Wohle und Wohlstand aller
daher besonders in die Stärkung der Eurozone investieren. Für den Ausbau der paneuropäischen
Infrastruktur wie zum Beispiel grenzüberschreitender Strom- oder Bahnnetze macht es Sinn,
gemeinsame europäische Anleihen zu schaffen, über die ein Teil dieser Investitionen im
Rahmen des EU-Haushalts über Kredite finanziert werden kann. Mit einem großen Markt für
liquide europäische Anleihen kann es uns gelingen, den Euro zu einer Leitwährung zu machen,
was den globalen ökonomischen und politischen Einfluss der Union massiv stärken würde.
Den Europäischen Rettungsschirm ESM wollen wir zu einem vollwertigen Europäischen
Währungsfonds weiterentwickeln, im EU-Recht verankern und der demokratischen Mitbestimmung
und Kontrolle durch das Europäische Parlament unterwerfen. Wir brauchen eine gemeinsame
europäische Einlagensicherung. Sie soll als Rückversicherung ausgestaltet sein, damit die
europäische Sicherung erst eingreift, wenn die nationale überfordert ist. Die deutschen
Sparkassen und Genossenschaftsbanken können so weiter auf ihre bewährten
Institutssicherungssysteme setzen.
Für einen Ausgleich von makroökonomischen Ungleichgewichten innerhalb Europas und zur
Stärkung der europäischen Nachfrage muss Deutschland aktiv seinen überbordenden
Leistungsbilanzüberschuss reduzieren und den europäischen Partnern mehr Luft zum Atmen
lassen, und darf nicht zu einer einseitigen und spaltenden Sparpolitik zurückkehren. Um dies
zu erreichen wollen wir in Deutschland für faire Löhne besonders am unteren Ende der
Einkommensskala sorgen und die Investitionen hochfahren.
10. Fairer Wettbewerb statt Machtwirtschaft
Wettbewerb ist Grundlage der Marktwirtschaft und Motor des Fortschritts. Ein starkes
Kartellrecht, das fairen Wettbewerb sichert und die Konzentration wirtschaftlicher Macht
begrenzt, ist nicht nur für die Wirtschaft, sondern auch für das Funktionieren der
Demokratie wesentlich. Es hält Märkte offen und sorgt dafür, dass sich die beste Idee
durchsetzt und nicht stets der Platzhirsch. Fehlt der Wettbewerb, können Monopolisten hohe
Gewinne auf Kosten der Verbraucher*innen machen und Startups in ihrer Entwicklung behindern.
Eine exzessive Marktkonzentration geht einher mit der Konzentration von Vermögen und erhöht
die Ungleichheit. Und wer Märkte kontrolliert, kann auch politische Kontrolle ausüben und
Spielregeln mitbestimmen.
Das Wettbewerbsrecht braucht ein Update. Digitale Geschäftsmodelle ändern
Geschäftsbeziehungen und Wettbewerbsdynamik. Nutzer*innen zahlen für viele Dienste im
Internet nicht mit Geld, sondern mit Daten. Netzwerkeffekte machen einzelne Plattformen zu
Giganten mit riesigen Datenschätzen. Ihre Marktmacht können sie missbrauchen, um
Datenschutzbestimmungen abzusenken, Geschäftspartner*innen Preise zu diktieren oder
Konkurrent*innen auszubooten.
Wir wollen marktbeherrschende digitale Plattformen streng regulieren. Wenn sie anderen
Firmen den Marktzugang verwehren oder absurde Konditionen verlangen, müssen die
Kartellbehörden hart dagegen vorgehen. Damit die europäische Wettbewerbspolitik den
Anforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht wird, brauchen wir ein eigenständiges,
europäisches Kartellamt mit angemessenen Mitteln und Personal. Dieses Kartellamt soll auch
als europäische Digitalaufsicht fungieren, die natürliche digitale Monopole und Oligopole
regulieren kann.
Heute muss die Kartellaufsicht den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung nachweisen,
um ein Unternehmen entflechten zu können. Das ist in der Regel kaum möglich. Wir treten
daher dafür ein, dass Unternehmen auch unabhängig von einem Missbrauch aufgespalten werden
können, wenn ihre Marktmacht zu groß und zum Problem für Wirtschaft und Gesellschaft wird.
Das Facebook-Monopol ist beispielsweise so ein Fall. Wir wollen Instagram, Facebook und
WhatsApp wieder entflechten. Indem wir die Grundsätze der Interoperabilität, wie sie heute
bei Telefon, SMS und Mail selbstverständlich sind, auf Messenger-Dienste übertragen, wollen
wir den Markteintritt neuer Anbieter erleichtern und den Wettbewerb um die besten
Datenschutzbestimmungen entfachen.
Wir Grüne wollen, dass das Wettbewerbsrecht im Sinne der europäischen Verträge angewandt
wird. Umweltschutz und die Förderung einer nachhaltigen Entwicklung müssen dabei
berücksichtigt werden. Die Fusionen von Bayer und Monsanto sowie weiterer Agrochemiekonzerne
sind zum Beispiel nicht nur für den Wettbewerb problematisch, sondern auch für die Umwelt.
Fehlende Sortenvielfalt, Pestizideinsatz und Artensterben sind die Folgen.
Wer fairen Wettbewerb will, muss Foulspieler*innen vom Platz stellen. Der Abgasskandal hat
einmal mehr gezeigt, wie Unternehmen versuchen, fairen Wettbewerb durch Betrug zu umgehen.
Wir Grüne wollen solch gemeinwohlschädliches Verhalten strikt ahnden. Wir wollen eine
gesetzliche Regelung, welche die bessere Verfolgung und Sanktionierung von Straftaten
ermöglicht, die aus Unternehmen heraus begangen werden. Dabei muss der Staat seine Rolle als
fairer Schiedsrichter auch wahrnehmen. Der Abgasskandal ist auch ein Beispiel dafür, dass er
das nicht immer tut – denn er wurde erst durch die jahrelange Kumpanei von Autoindustrie,
Aufsichtsbehörden und Politik möglich. Und um den Einfluss von Lobbyist*innen und
Interessengruppen auf den Bundestag offenzulegen, wollen wir ein verpflichtendes
öffentliches Lobbyregister einrichten.
Bisher gibt es in Deutschland und Europa keine finanziellen Entschädigungen für die vom
Dieselskandal Betroffenen. Für Einzelne ist es oft viel zu schwer, das geltende Recht auch
zur Geltung zu bringen. So weigern sich etwa Fluggesellschaften, Entschädigungsansprüchen
nachzukommen. Auch auf unseren Druck hin ist es gelungen, in Deutschland erstmals
Musterfeststellungsklagen zu ermöglich. Sie sind aber unzureichend, denn immer noch muss
jede* Betroffene einzeln klagen. Daher wollen wir endlich Gruppenklagen ermöglichen, um das
Prozessrisiko auf viele Schultern zu verteilen.
11. Faire Welthandels- und Währungsordnung schaffen
Uns geht es um eine Re-Regulierung der Globalisierung. Die vergangenen Jahre haben gezeigt:
Eine unregulierte Globalisierung führt zur Ausbeutung von Menschen und Umwelt und
beschleunigt die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen. Die Wohlstandsgewinne aus
internationalem Handel sind ungleich verteilt. Rechtsextremisten und Nationalisten benutzen
die berechtigte Kritik an einer neoliberalen Globalisierung, um einen Rückfall in den
Nationalismus zu propagieren. Das ist die falsche Antwort. Wir stellen eine freiheitliche
und weltoffene Antwort dagegen. Richtig genutzt kann eine gute Handelspolitik Umweltschutz,
Klimaschutz, Menschenrechte, Arbeitnehmer*innenrechte und Wirtschaftsinteressen in Balance
bringen. Und so die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen erhalten, im globalen Süden
Gerechtigkeit schaffen und Demokratieverdrossenheit bekämpfen.
Doch hierfür brauchen wir eine Neuausrichtung der EU Handelspolitik. Das Mercosur-Abkommen,
das die EU unter anderem mit Brasilien abschließen will, ist das letzte fatale Beispiel
einer Agenda, die Liberalisierung, Deregulierung und hochproblematische
Konzernschiedsgerichte in den Mittelpunkt von Verträgen wie schon bei TTIP, CETA oder JEFTA
stellt, jedoch keine effektiven Schutzmechanismen für Klima, Umwelt, Menschenrechte,
Arbeitnehmer*innen und Verbraucher*innen enthält. Der brennende Amazonas führt uns diese
fatale Logik mehr als deutlich vor Augen, denn die zwischen der EU und den Mercosur-Staaten
vereinbarten Handelserleichterungen für Soja und Rindfleisch wirken für den Regenwald wie
ein Brandbeschleuniger. Wir wollen deshalb einen Importstopp von Agrarprodukten aus
gerodeten Gebieten des Amazonas sowie von Palmöl aus dem indonesischen Regenwald.
Mittlerweile wird auch immer mehr europäischen Regierungen klar, dass die
Nachhaltigkeitsklauseln im Abkommen zahnlos sind und für das Klima, den Regenwald und die
dort heimischen Indigenen keinen ausreichenden Schutz bieten, da es keinen wirkungsvollen
Sanktionsmechanismus gibt, durch den Handelserleichterungen zurückgenommen werden könnten.
Wir Grüne lehnen dieses Abkommen wie auch CETA und JEFTA in ihrer bisherigen Form ab, denn
trotz einzelner Verbesserungen erfüllen sie die Bedingungen an fairen Handel nicht.
Stattdessen ist es an der Zeit für ein Bündnis für fairen Handel – aufbauend auf den
Korrekturen, die es nach der umfassenden Kritik gerade auch der Zivilgesellschaft bereits
gegeben hat und die auch einige europäische Regierungen zum Umdenken gebracht haben.
Die EU sollte dabei nicht wie bisher auf ein Sammelsurium bilateraler Handelsverträge
setzen, sondern auf einen gemeinsamen plurilateralen Vertrag all derjenigen Staaten, die
bereit sind, Handel fair, offen und ökologisch sowie die Globalisierung gerecht zu
gestalten. Der Fokus muss auf diskriminierungsfreien Marktzugängen und Zollerleichterungen
liegen. Starke Regeln für faire Märkte gehören dabei zum Kern des Abkommens. Das beinhaltet
zentrale internationale Abkommen wie die ILO-Kernarbeitsnormen oder das Pariser
Klimaschutzabkommen. Handelserleichterungen könnten somit auch wieder aufgehoben werden,
wenn ein Handelspartner zum Beispiel den Klimavertrag von Paris aufkündigt oder dessen Ziele
nicht einhält. Das gleiche gilt für den Verstoß gegen Menschenrechte und auch für die Nicht-
Einhaltung von Mindeststandards für Umwelt und Arbeit.
Das Vorsorgeprinzip wollen wir zum Schutz von Umwelt und Verbraucher*innen für alle Teile
von Handelsverträgen geltend machen. Parlamente dürfen durch Regeln zur regulatorischen
Zusammenarbeit in Handelsabkommen nicht umgangen oder geschwächt werden. Faire
Handelspolitik lässt den Staaten, Regionen und Kommunen Freiräume, um Dienstleistungen so zu
organisieren und zu regulieren, wie sie das für richtig halten.
Statt einseitiger Sonderklagerechte für private Investoren (ISDS/ICS) setzen wir uns für
einen ständigen internationalen Handelsgerichtshof ein, vor dem auch Betroffene klagen
können, wenn Unternehmen gegen grundlegende Menschenrechte, Sozial- oder Umweltstandards
verstoßen.
Lieferkettengesetz einführen
Damit Menschenrechte und Umwelt in internationalen Lieferketten nicht länger unter die Räder
geraten, wollen wir gesetzliche Regeln zu Transparenz und Sorgfaltspflichten für Unternehmen
einführen. Das beinhaltet, dass die EU nachvollziehbare entwaldungsfreie Lieferketten
verbindlich durchsetzt. So kann bei Bruch von internationalen Verträgen und Verpflichtungen
ein Importstopp von Agrarprodukten wie zum Beispiel für Soja und Rindfleisch aus gerodeten
Gebieten des Amazonas verhängt werden. In der öffentlichen Beschaffung sollte Deutschland
mit gutem Beispiel voran gehen und nur noch Produkte aus nachweislich entwaldungsfreien
Lieferketten einkaufen.
Und wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie sich endlich aktiv am Prozess der
Vereinten Nationen zur Erreichung eines völkerrechtlichen Abkommens (UN Binding Treaty
Prozess) beteiligt, mit dem transnationale Konzerne und andere Wirtschaftsunternehmen für
Menschenrechtsverstöße zur Verantwortung gezogen werden sollen.
Handel nicht auf Kosten der Ärmsten
Handel ist ein wichtiger Motor von Entwicklung, wenn er läuft. Damit er aber anspringt, kann
es nötig sein, einzelne Sektoren durch Handelsbarrieren zu schützen, bis sie konkurrenzfähig
sind. Die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (WPA) sind dafür kontraproduktiv. Wir wollen
Entwicklungsländern genügend Raum lassen, durch Zölle und Quoten ihre Märkte zu schützen.
Gleichzeitig fordern wir, dass die EU ihre Zölle auf verarbeitete Produkte aus
Entwicklungsländern senkt oder abschafft, um die Produktion vor Ort zu fördern. Wir wollen
die regionale Integration von Entwicklungsländern fördern. Und wir bevorzugen die
Welthandelsorganisation und multilaterale Abkommen gegenüber bilateralen Handelsabkommen, da
die Interessen insbesondere ärmerer Länder ansonsten drohen, unter die Räder zu geraten.
Entwicklungschancen für rohstofffördernde Länder
Bei Gewinnung, Verarbeitung und Nutzung von Bodenschätzen geht es auch um
Entwicklungschancen für die rohstofffördernden Länder. Der überproportionale Verbrauch von
Rohstoffen in den Industrieländern gibt uns nicht das Recht auf überproportionalen Zugang.
Nur eine faire Verteilung gewährleistet auch eine langfristig friedliche Zukunft. Daher
setzen wir auf internationale und kooperative Lösungsansätze. Häufig geht der Abbau von
Rohstoffen mit gravierenden Menschenrechtsverletzungen einher. Die EU-Verordnung zu
Konfliktmineralien tritt 2021 in Kraft und ist ein wichtiger Schritt, um den schlimmsten
Verbrechen Einhalt zu gebieten. Wir setzen uns dafür ein, die Verordnung auszuweiten, denn
bisher sind nur vereinzelte Rohstoffe abgedeckt. Gleichzeitig ergeben sich auch Vorteile,
wenn der Zugang zu und der Handel mit Rohstoffen stabil und langfristig ist. Voraussetzung
dafür ist, dass die menschenrechtlichen, sicherheits-, umwelt- und demokratiepolitischen
Konsequenzen mitberücksichtigt und dafür jeweils Standards geschaffen werden. Diese müssen
auf verschiedenen Ebenen ansetzen: im Herkunftsland, bei Investor*innen und Unternehmen, im
Verbraucherland und auf internationaler Ebene.
Sichere und stabile Weltwährungsordnung schaffen
Nachdem in den 1970er Jahren das internationale Währungssystem „Bretton Woods“ aufgekündigt
wurde – es regelte die internationalen Finanz- und Wechselkursbeziehungen – waren die
Staaten nicht bereit, eine neue gemeinsame Ordnung zu etablieren. Stattdessen ließen die
großen Industrienationen ihre Wechselkurse weitgehend frei schwanken und die internationalen
Finanzinstitutionen setzten sich für einen unbeschränkten internationalen Kapital- und
Finanzverkehr ein. Regelmäßige Währungs- und Finanzkrisen haben seitdem die Welt erschüttert
und vor allem weniger entwickelte Länder wurden durch spekulative Kapitalflüsse in ihrer
Entwicklung immer wieder zurückgeworfen. Gleichzeitig sind die globalen
Handelsungleichgewichte explodiert und stellen einen neuen Herd der Instabilität dar. Wir
wollen international im Rahmen der G20 eine Diskussion über ein neues System stabilisierter
Wechselkurse anregen. In der Überzeugung, dass wir so Spekulation eindämmen, Entwicklung und
Handel fördern und Handelsungleichgewichte abbauen könnten.
Für die ärmsten Länder der Welt ist die öffentliche Entwicklungsfinanzierung zentral. Wir
streben eine Weltwährungsordnung an, die es nicht nur den wohlhabenden Ländern ermöglicht,
langfristige Investitionen auch langfristig und damit verlässlich zu finanzieren. Dafür
müssen kurzfristige, spekulative Finanzströme reguliert, verteuert und notfalls auch
verboten werden. Wir müssen uns gegen spekulative Attacken auf Staaten und ihre Währungen
absichern. Dafür braucht es globale öffentliche Institutionen. Hier sind aber keine
kurzfristigen Erfolge zu erwarten. Um dennoch schnell zu einer Veränderung zu kommen, wollen
wir, dass die Europäische Zentralbank die Auswirkungen ihrer Politik auf Entwicklungsländer
berücksichtigt und diese unterstützt. Entwicklungsländern, die durch ungerechtfertigte
Währungsspekulationen unter Druck geraten, soll sie zur Seite springen können, sofern es mit
den geldpolitischen Zielen vereinbar ist. Hierfür könnten zum Beispiel Devisenswap-
Vereinbarungen oder Art. 219 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union
(AEUV) zur Festlegung von Wechselkurspolitiken genutzt werden.
Die multilateralen Finanzinstitutionen IWF und Weltbank können beim Erreichen der globalen
Nachhaltigkeitsziele (SDGs) und dem weltweiten sozial-ökologischen Umbau eine entscheidende
Rolle spielen. Dafür müssen sie ihren Ankündigungen Taten folgen lassen und endlich den
Menschen dienen. Dazu gehört derzeit ganz konkret ihr Engagement konsequent am Pariser
Klimaabkommen auszurichten. Wir dürfen sie nicht aus der Verantwortung entlassen, selbst zu
einer stabilen, nachhaltigen und armutsmindernden globalen Finanzarchitektur beizutragen.
12. Stabile Finanzmärkte und sichere Anlagen
Banken und Finanzmärkte sollen dazu dienen, Bürgerinnen und Bürger attraktive
Sparmöglichkeiten anzubieten und Investitionen zu finanzieren. Mit geeigneten Regulierungen
und einer umfassenden Finanztransaktionssteuer wollen wir reine Spekulationsgeschäfte und
vor allem den Hochfrequenzhandel unattraktiv machen. Lokal agierende kleine und mittelgroße
Banken in Deutschland, und immer stärker auch wieder im Rest der EU, stellen für die meisten
Firmen die Kreditversorgung sicher. Deshalb wollen wir das Lokalbankenprinzip in ganz Europa
verankern. Öffentliche Banken sind dem Gemeinwohl in besonderer Weise verpflichtet.
Sparkassen sollen daher Gemeinwohlberichte erstellen und transparenter werden, was die
Offenlegung von Gehältern angeht.
Mit einem Regulierungssystem aus klaren, harten aber deutlich weniger komplexen Regeln
werden kleine Banken entlastet. Unsere Schuldenbremse für Banken – eine ungewichtete
Eigenkapitalquote von zehn Prozent – stellt sicher, dass genügend Sicherheitspolster
vorhanden sind. Großbanken müssen kleiner werden. Durch ein effektives Trennbankensystem,
hohe Eigenkapitalanforderungen und eine vollendete Bankenunion werden sie nicht mehr das
Finanzsystem gefährden können. Die Rettung von Banken mit Geld der Steuerzahler*innen gehört
dann der Vergangenheit an.
Mit den Möglichkeiten der Digitalisierung können neue Akteure auf den Finanzmärkten
entstehen bzw. wachsen. Sie machen für viele den Finanz- und Zahlungsverkehr einfacher und
schneller und bieten neue Anlagemöglichkeiten. Wir wollen hier klare Wettbewerbsregeln
schaffen, in welchen weder Banken noch große Tech-Unternehmen ihre dominante Stellung nutzen
können, um unliebsame Konkurrenten und Innovationen zu behindern. Die Einführung eines E-
Euros bietet Chancen beim Zahlungsverkehr und für neue innovative Dienstleistungen. Diese
von den Zentralbanken des Eurosystems eingeführte elektronische Währung soll auch vielen
Menschen im Alltag als einfaches, sicheres und bequemes Zahlungsmittel dienen. Privates Geld
wie etwa der von Facebook geplante Libra hingegen würde kein Problem lösen, aber potentiell
viele neue schaffen. Eine Verdrängung kleiner Unternehmen über die Währung eines Konzerns,
die Anhäufung von Zahlungsverkehrsdaten bei einem Unternehmen mit ohnehin schon
problematischer Datenmacht und die Aushöhlung des staatlichen Geld- und Währungsmonopols
lehnen wir ab und werden Libra nicht zulassen.
Versicherungen und Pensionsfonds stecken derzeit in finanziellen Problemen, weil sich ihre
Zinserwartungen nicht erfüllt haben. Die große Koalition hat widerholt Maßnahmen
eingeläutet, um die Krise der Versicherer einseitig auf Kosten der Kunden zu lösen. Diese
Politik lehnen wir entschieden ab. Wir werden im Falle einer Schieflage einer Versicherung
eine faire Lastenverteilung zwischen den Eigentümer der Unternehmen und der Kunden
gewährleisten. Das Volumen des Sicherungsfonds Protektor ist im Falle einer Krise viel zu
gering. Um Abhilfe zu schaffen, muss das Volumen des Fonds deutlich erhöht werden. Auch
sollte ein europäisches Rückversicherungssystem eingeführt werden. Außerdem werden wir es
nicht mehr gestatten, dass die Unternehmen Versicherungsverträge ohne die Zustimmung des
Kunden weiterverkaufen.
Die Finanzberatung muss sich grundlegend wandeln. Durch Provisionen kommt es heute dazu,
dass Anleger*innen nicht die passenden Produkte empfohlen werden, sondern die mit den
höchsten Provisionen. Mit dem schrittweisen Übergang zur Honorarberatung – der Kunde zahlt
die Beratung also nicht mehr indirekt über die Provision, sondern direkt an die Berater*in,
dafür ist das Produkt dann günstiger – wird sich die Qualität der Beratung verbessern und
sich das Berufsbild der Berater*innen wandeln.
Ein Bürgerfonds für stabile und rentable Anlagemöglichkeiten
Damit die Bevölkerung in Deutschland mehr von den volkswirtschaftlichen Gewinnen der
Wirtschaft profitieren kann, schlagen wir die Errichtung eines Bürgerfonds vor. Er soll all
den Bürgerinnen und Bürgern eine Beteiligung an Wohlstandsgewinnen sichern, deren Einkommen
zu klein sind, um selbst Vermögen in Aktien, Immobilien oder anderen Werten anzusparen. In
den Bürgerfonds zahlt jede Bürger*in automatisch einen bestimmten Teil seines Einkommens
ein. So stellen wir für den Fonds eine hohe Anlagesumme sicher und senken damit die
Verwaltungskosten. Wer aber andere Formen der Anlage bevorzugt, kann der Einzahlung in den
Bürgerfonds einfach widersprechen (Opt-out). Um Fehler von Riester zu vermeiden, wird der
Fonds keine Zinsgarantien gewähren, weil sie die Rendite mindern. Sicherheit werden wir
stattdessen über eine breit gefächerte, diversifizierte, nachhaltige und langfristige
Anlagestrategie gewährleisten. Der Bürgerfonds bietet also Menschen, die kleine Ersparnisse
haben, eine risikoarme und vor allem extrem preiswerte Anlageform. Auch die Wirtschaft wird
von diesem Fonds profitieren. Denn es tritt ein gewünschter Nebeneffekt ein: Das Kapital ist
nicht von einer kurzfristigen Renditeerwartung getrieben, sondern einer nachhaltigen
Anlageentwicklung verpflichtet.
13. Gemeinwohlorientierte Unternehmen stärken
Viele Unternehmen engagieren sich für ökologische und soziale Ziele. Immer mehr Unternehmen
schreiben diese gesellschaftlichen Ziele parallel zum wirtschaftlichen Erfolg verbindlich
fest. Diese ökonomische Bürger*innenbewegung werden wir systematisch stärken. Unser Ziel ist
eine Gründungswelle neuer Genossenschaften und Sozialunternehmen.
Öffentliche Finanzierungsprogramme der Wirtschaftsförderung, Informationsangebote für
Gründer*innen und Beratungsangebote für Unternehmen werden wir systematisch für alle
Unternehmungen öffnen. So wollen wir auch Genossenschaften, Social Startups und Vereine
stärken, die wirtschaftlich aktiv sind.
Die Unternehmen der sozialen und solidarischen Ökonomie brauchen attraktive Rechtsformen.
Eine vereinfachte, allgemeinverständliche Mustersatzung für Genossenschaften wollen wir in
Zusammenarbeit mit den Genossenschaftsverbänden breit zugänglich machen. Kleine
Genossenschaften werden wir von einschlägigen Auflagen des Handelsrechts entlasten. Die
Überarbeitung der Rechtsformen soll ermöglichen, dass Unternehmen der solidarischen Ökonomie
sichtbarer werden und dadurch in Deutschland und in Europa besser vertreten sind.
Sozialgenossenschaften sollen künftig nicht mehr durch ein faktisches Kombinationsverbot von
bezahlter und ehrenamtlicher Arbeit behindert werden. In eine gesetzliche Reserve
eingestellte Gewinne wollen wir von der Körperschafts- und Gewerbesteuer freistellen. So
stärken wir die Eigenkapitalbasis und Investitionsfähigkeit von Genossenschaften. Auf
europäischer Ebene setzen wir uns für ein Label von Produkten aus der sozialen und
solidarischen Ökonomie ein. Wer keinen Gewinn machen will, ist auf eine günstige
Finanzierung angewiesen. Wir wollen Sozialunternehmen diese bereitstellen, zum Beispiel über
Kreditprogramme der öffentlichen Förderbanken.
Zugleich gilt es, den Bürgerenergiegenossenschaften die regulativen Fesseln abzunehmen,
damit sie wieder zu kraftvollen Akteuren der Energiewende werden. Wir wollen die EU-
Richtlinie über den Elektrizitätsbinnenmarkt so wirtschaftsfreundlich in deutsches Recht
übersetzen, dass die Bürgerenergie umfassend gestärkt wird. Beim Mieterstrom wollen wir
hinderliche Preisvorgaben abschaffen, um dezentrale Investitionen in Erneuerbare zu
ermöglichen.
Viele Unternehmen engagieren sich im Rahmen der Gemeinwohlökonomie. Wir wollen, dass auch
Unternehmen im Bundesbesitz Gemeinwohlbilanzen erstellen. Die Gemeinwohlbilanzen wollen wir
im europäischen und deutschen Recht verankern. Auch heutige gewinnorientierte Rechtsformen
wie die Aktiengesellschaft sollen sich per Mehrheitsbeschluss künftig andere Ziele geben
können als die Maximierung des Profits, ohne dass sie dem Risiko ausgesetzt sind, dass
Minderheitsgesellschafter dagegen klagen.
14. Investitionen solide und gerecht finanzieren
Wir wollen die öffentlichen Investitionen deutlich steigern. Ein Land, in dem jede achte der
insgesamt 40.000 Brücken marode ist, das weniger Geld in Bildung steckt als fast all seine
Nachbarländer, das für seine Funklöcher berüchtigt ist statt berühmt für seine Smartphones,
ein solches Land lebt von vergänglicher Substanz. Es wird dauern, die politischen Vorzeichen
auf Vernunft zu drehen. Umso wichtiger ist es, jetzt damit zu beginnen. Investitionen
schaffen öffentliche Güter. Sie kosten Geld, aber wenn in das Richtige, Zukunftsfähige
investiert wird, schaffen sie Wohlstand. Jede Ausgabe, die der Staat so tätigt, führt in der
Wirtschaft zu Einnahmen und es werden Jobs geschaffen. Für einen Euro, den wir klug
investieren, kann unsere Wirtschaftsleistung um deutlich mehr als einen Euro steigen.
Wir wollen diese Investitionen finanzieren, indem wir Fehlanreize abstellen, Gelder
umschichten und gezielt Investitionen über Kredite ermöglichen. Wir unterscheiden dabei
zwischen einmaligen Investitionen und dauerhaften Ausgaben. Diese dauerhaften Ausgaben zum
Beispiel für Bildung und Gerechtigkeit sind für den sozialen Ausgleich und den Zusammenhalt
der Gesellschaft essenziell. Diese dauerhaften Ausgaben wollen wir durch laufende
Steuereinnahmen, eine gerechtere Besteuerung von Vermögen und die Bekämpfung von
Steuerbetrug und -umgehung gegenfinanzieren.
Bisher scheitern Investitionsprogramme auch an mangelnden Kapazitäten in der Bauwirtschaft
oder in den Planungsabteilungen des öffentlichen Dienstes. Unsere Investitionspolitik ist
deshalb verlässlich und langfristig angelegt, so dass sowohl die private Bauwirtschaft als
auch der öffentliche Dienst wieder mehr Kapazitäten aufbauen können. Wir investieren
dauerhaft und nachhaltig.
Investitionsgesellschaften gründen
Viele Investitionen schaffen werthaltige Wirtschaftsgüter, mit denen sich Einnahmen erzielen
lassen. Eine Stromleitung erzielt Einnahmen durch den durchgeleiteten Strom. Das gleiche
gilt analog für Ladeinfrastruktur für Elektroautos, Breitband für Internet und vieles
andere. Um diese Investitionen effizient durchzuführen, werden wir sie jeweils in
öffentlichen Investitionsgesellschaften bündeln, darüber finanzieren und stringent managen.
Damit werden wir nachhaltige Werte für die nächste Generation schaffen, die sich auch
wirtschaftlich rechnen, insbesondere in Zeiten von Nullzinsen, ja mitunter sogar negativer
Zinsen.
Die grundgesetzlichen Regelungen zur Schuldenbremse sehen vor, dass die Verschuldung von
öffentlichen Gesellschaften wie zum Beispiel der Bahn, Wohnungsbaugesellschaften oder
öffentlichen Krankenhäusern nicht auf die Schuldenbremse angerechnet werden. Das gleiche
gilt für die neu zu gründenden Investitionsgesellschaften. Daher werden wir sie aus dem
Investitionsfonds mit genügend Eigenkapital ausstatten, damit sie sich wie jedes private
Unternehmen auch am Finanzmarkt selbst zusätzliches Kapital besorgen können. Der Bund gibt
für diese Kreditaufnahme eine Staatsgarantie. So könnte der Bund zum Beispiel eine
Ladesäulengesellschaft neu gründen, der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben für
Wohnungsneubau und Gebäudesanierung eine Kreditaufnahme erlauben und die Verschuldungsgrenze
bei der Deutsche Bahn erhöhen. Good Governance und demokratische Beteiligung sollen für
Transparenz und Kontrolle sorgen. Die Regierung muss steuern können und für Parlament und
Öffentlichkeit müssen Entscheidungen und Mittelverwendung transparent sein. Die
Privatisierung dieser Gesellschaften wollen wir dauerhaft ausschließen, damit öffentliches
Vermögen auch öffentlich bleibt.
Die Begrenzung der Staatsschulden mit Investitionen in Infrastruktur kombinieren
Es war richtig, dass sich Deutschland Regeln gegeben hat, die dafür sorgen, dass es nicht zu
exzessiver Verschuldung der öffentlichen Hand kommt. Sie haben – gemeinsam mit der
Geldpolitik der Europäischen Zentralbank – geholfen, die Verschuldung einzudämmen. In
Deutschland ist die Schuldenquote so von 80 Prozent auf unter 60 Prozent der
Wirtschaftsleistung zurückgegangen. An diesem Erfolg wollen wir festhalten.
Aber nicht nur Schulden im Haushalt sind Schulden. Wenn wir jetzt nicht in Bildung,
Innovation und Forschung sowie in Maßnahmen zum Klimaschutz investieren, verspielen wir
unseren zukünftigen Wohlstand. Außerdem würden die Finanzmärkte, die immer auch sichere
Anlagemöglichkeiten wie Staatsanleihen brauchen, bei einem immer geringeren Schuldenstand
nicht mehr stabil funktionieren, weil ihnen sichere Anlagemöglichkeiten fehlen. Wir wollen
daher die Schuldenbremse im Rahmen der europäischen Stabilitätskriterien weiterentwickeln
und sie mit einer verbindlichen Investitionsregel verknüpfen. Wenn der Bund mehr investiert
als sein Vermögen an Wert verliert – wenn er also neue Werte schafft – soll dies auch durch
die Platzierung von neuen Anleihen finanziert werden können. Die öffentlichen Investitionen
sollen mindestens so hoch sein, dass sich das öffentliche Vermögen nach Abnutzung und
Wertverlusten mindestens im Gleichklang mit der Wirtschaftsleistung bewegt.
Diese Möglichkeit ist für Deutschland entsprechend den europäischen Vorgaben daran gebunden,
dass die öffentliche Schuldenquote unterhalb der Maastricht-Marke von 60 Prozent des BIP
liegt und das strukturelle Defizit maximal ein Prozent der Wirtschaftsleistung beträgt.
Durch diese Beschränkungen würde auch durch die vorgeschlagene Möglichkeit zusätzlicher
Investitionen die Schuldenquote weiter auf unter 40 Prozent fallen. Das gilt umso mehr, als
dadurch zusätzliche Nachfrage und damit wirtschaftliche Entwicklung entsteht. Gerade im
Falle eines bevorstehenden Abschwungs halten wir diese Möglichkeit für sinnvoller als etwa
pauschale Steuererhöhungen oder Ausgabenkürzungen, denn diese würden den Abschwung noch
verschärfen. Das wäre das Gegenteil einer nachhaltigen Finanzpolitik.
Durch unseren Vorschlag dürfte der Bund im Durchschnitt etwa 35 Milliarden Euro pro Jahr
Kredite aufnehmen. Diese Gelder wollen wir in einen Bundesinvestitionsfonds überführen, der
als Sondervermögen im Bundeshaushalt nicht der Jährlichkeit des Haushalts unterliegt. Er
kann dann zweckgebunden investieren und auch eine stärkere antizyklische Wirkung entfalten.
Um den Investitionsfonds abzusichern und sauber zu implementieren, streben wir eine Änderung
des Grundgesetzes an.
Für eine optimale Steuerung von Staatsschulden und Investitionen erhalten Länder und
Kommunen einen verbindlich vereinbarten Anteil aus den Mitteln des Bundes-Investitionsfonds,
an dem alle Länder partizipieren und selbst entscheiden können, für welchen der vorgegebenen
investiven Zwecke sie die Mittel einsetzen. Die Schuldenbremse für die Länder (null
Verschuldung in Zeiten der Normalkonjunktur) soll beibehalten werden.
Es ist richtig, dass die Maastricht-Kriterien die Staatsverschuldung auch auf europäischer
Ebene begrenzen. Bei der anstehenden Reform wollen wir die Anreize für staatliche
Investitionen im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspakts verbessern. Zum Beispiel indem
Investitionsausgaben bei der Berechnung der Defizitquoten ähnlich wie private Investitionen
über mehrere Jahre abgeschrieben werden können. Damit stärken wir öffentliche Investitionen
gerade in Zeiten des wirtschaftlichen Abschwungs.
1 Wir beschreiben im Antrag „Handeln – und zwar jetzt“ ausführlich unseren Maßnahmenplan für
einen radikal realistischen und sektorenübergreifenden Klimaschutz.
weitere Antragsteller*innen
Fehler:Du musst dich einloggen, um Änderungsanträge stellen zu können.
Von Zeile 114 bis 115 einfügen:
dass diese ökologischen und sozialen Werte auch entsprechend bepreist werden und so direkten Einfluss auf den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens haben. Unternehmensgewinne sollen an ökologische Leitplanken und gesellschaftlichen Fortschritt gekoppelt werden. Deshalb streben wir eine Reform des Unternehmensrechts an, so dass Aufsichtsräte in Zukunft nicht mehr nur den Renditen der Aktionär*innen, sondern auch der Allgemeinheit verpflichtet sind.
Unser Wirtschaftssystem und unser Wirtschaftsverständnis stehen vor dramatischen
Veränderungen. Dabei geht es um viel mehr als um eine konjunkturelle Flaute nach Jahren des
Booms, es geht um sehr grundsätzliche strukturelle Herausforderungen.
Ein ungezügelter Natur- und Ressourcenverbrauch, die Abhängigkeit von Exportüberschüssen,
eine unzureichend regulierte Globalisierung, fehlende Investitionen in die Zukunft: Die
Krisen verdeutlichen, dass unser angestammtes Wirtschaftsmodell, das in der Vergangenheit
viel Wohlstand gebracht hat, so nicht mehr funktioniert. Der liberale Ökonom Nicolas Stern
hat zu Recht festgestellt: „Der Klimawandel ist der größte Fall von Marktversagen, den die
Welt je gesehen hat.“
Die enormen Wohlstandsgewinne kommen bei zu vielen nicht an und die Ungleichheit nimmt zu.
Globale Konzerne, die sich nationaler Rechtsetzung entziehen, und Finanzmärkte, die an
Stelle demokratischer Politik entscheiden, unter welchen Bedingungen wir Menschen leben. Das
alles höhlt nicht nur die Grundlagen des gemeinschaftlichen Zusammenlebens aus und gefährdet
bei uns und in vielen anderen Ländern immer stärker das Vertrauen in demokratische Politik.
Es zerstört auch die ökonomischen Grundlagen unserer Gesellschaft. Gleichzeitig erschüttern
globale Handelskonflikte die Weltwirtschaft und die multilaterale Weltwirtschaftsordnung.
Der drohende Brexit sorgt zusätzlich für Verunsicherung in der EU. Das hat Folgen. Nach
Jahren des Booms zeichnet sich in Deutschland ein ernsthafter Abschwung der Konjunktur ab.
Jede Generation hat ihre Aufgabe. Einen nachhaltigen und gerechten Wohlstand zu schaffen,
ist unsere. Deshalb müssen wir jetzt den Mut haben, weitreichende Entscheidungen zu treffen,
dafür leidenschaftlich in der ganzen Breite der Gesellschaft zu werben und nicht verzagt nur
in Trippelschritten zu denken. Richtig ausgestaltet schaffen wir die Grundlagen dafür, dass
notwendige Innovationen in Europa entwickelt und marktfähig gemacht werden und damit
zukunftsfähige neue Arbeitsplätze im Handwerk, in Startups, in der Dienstleistungsbranche
und auch in traditionsreichen Industrieunternehmen entstehen. Dazu gehören auch massive
Investitionen, öffentlich wie privat, um den immensen Investitionsstau in unserem Land zu
begegnen, um die immensen Aufgaben beim Klimaschutz schnell und entschlossen anpacken zu
können, um Produktivität und neue Ideen anzukurbeln.
Unser Ziel ist die sozial-ökologische Neubegründung der Marktwirtschaft. Sie ist das
Gegenmodell zu einem ungeregeltem Kapitalismus und einem autoritären Staatskapitalismus. Wir
streben ein Wirtschafts- und Finanzsystem an, das die planetaren Grenzen einhält und
gleichzeitig menschliche Entfaltung garantiert – und zwar weltweit, über Grenzen hinweg und
für zukünftige Generationen.
Den Weg dahin bereitet ein Green New Deal. Er schafft den neuen Ordnungsrahmen für faires,
ökologisches und nachhaltiges Wirtschaften. Er investiert mutig in die Zukunft. Er setzt
neue Kräfte für Kreativität und Innovationen frei. Er sorgt für sozialen Ausgleich. Er
schafft die Grundlagen für einen nachhaltigen Wohlstand, der nicht auf der Ausbeutung der
Natur und einer fossilen Wirtschaftsweise basiert, sondern den Mensch in den Mittelpunkt
stellt.
Wir sind überzeugt, dass das freie und kreative Handeln von Menschen und die Dynamik eines
fairen Wettbewerbs nachhaltigen Wohlstand und innovative Problemlösungen schaffen können.
Wenn die Rahmenbedingungen stimmen, bietet die Marktwirtschaft beste Voraussetzungen für
sozial-ökologisches Wirtschaften. Doch dafür braucht es den gesamten Instrumentenkasten aus
Steuern-, Abgaben- und Ordnungsrecht sowie intelligenter öffentlicher Forschungs- und
Förderpolitik.
Die Aufgabe besteht darin, die Märkte der Zukunft so auszurichten, dass sie den Menschen und
der Natur dienen. Dafür braucht es eine Politik, die beherzt vorangeht. Wenn wir es gut
machen, können wir die großen Herausforderungen jetzt nutzen, um unsere Wirtschaft auf
Zukunft, Gemeinwohl und nachhaltigen Wohlstand zu drehen.
Es wird gelingen
Unser Anspruch ist, dass Menschen sich entlang ihrer Vorstellungen in Freiheit und Würde
entfalten können. Das erfordert ein Wirtschaftssystem, das Unternehmensgeist ebenso fördert
wie es die Rechte von Beschäftigten schützt, nachhaltigen Wohlstand schafft, auf globale
Gerechtigkeit zielt, die Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern überwindet und
gleichzeitig mit starken sozialen Institutionen Gerechtigkeit und Sicherheit garantiert.
Eine starke und zukunftsfähige Wirtschaft, starke staatliche Institutionen und ökologische
Leitplanken sowie ein starkes soziales Netz sind deshalb Grundbedingungen für die sozial-
ökologische Marktwirtschaft. Was Unternehmen, Arbeitnehmer*innen und Verbraucher*innen
dagegen nicht brauchen, ist eine wankelmütige Politik, die (zu) spät ihre Unterlassungen
korrigiert und dann in hektischen Aktionismus verfällt. Was sie brauchen, ist ein
berechenbarer Weg in eine grundlegend neue Welt.
Für Deutschland ist die Überwindung des Kohle- und Öl-Zeitalters ein entscheidender, ja ein
schicksalhafter Moment. Automobil, Chemie und Maschinenbau waren die Säulen des Erfolges der
deutschen Wirtschaft in den letzten Jahrzehnten, aber sie müssen sich neu erfinden, um den
Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht zu werden. Dabei kann die deutsche Industrie
auf das bauen, was sie – und vor allem den Mittelstand – stark gemacht hat: ihre
Ingenieurskunst, ihre Kreativität, das mittelständische Tüftlertum, die Sozialpartnerschaft
mit den Gewerkschaften und ihre europäische und globale Orientierung.
Der Green New Deal für eine sozial-ökologische Neubegründung der Marktwirtschaft wird dann
erfolgreich sein, wenn er auf ein neues Bündnis aus Arbeit und Umwelt setzt. Ohne die
Beteiligung von Beschäftigten, Betriebsrät*innen und Gewerkschaften, ohne ihre Perspektive,
ihren immensen Wissensschatz und ihre Wirkmacht in Unternehmen gelingt der Aufbau einer
gemeinwohlorientierten Wirtschaftsordnung nicht. Wir wollen mit den Beschäftigten Seit an
Seit für den Wandel kämpfen.
Viele Unternehmen machen sich bereits auf den Weg dahin. Mittelständler*innen schalten ihre
Produktion auf Klimaneutralität um, Finanzinstitute entziehen sich dem Geschäft mit fossilen
Energien, IT-Unternehmen setzen auf Erneuerbare und Großkonzerne erweitern grüne
Produktportfolios. Die Industrie verlangt bereits ein überzeugendes, ökologisches
Modernisierungsprogramm für Deutschland. Die Technologien, Innovationen und Ideen sind da.
Die Politik muss jetzt liefern.
Mit folgenden Maßnahmen wollen wir den Weg in eine sozial-ökologische Marktwirtschaft
ebenen:
1. Qualitatives statt blindes Wachstum – ein neuer Wohlstandsbegriff
Um den universalen Anspruch der Menschen auf Würde, Freiheit und Glücksstreben innerhalb der
planetaren Grenzen zu erfüllen, brauchen wir eine andere Form, Wohlstand zu messen. Unser
heutiges Wirtschafts- und Sozialsystem ist darauf angewiesen, dass die Wirtschaft stetig
wächst. Wächst sie nicht, drohen im heutigen System Wirtschaftskrisen und Arbeitslosigkeit,
geraten Staatshaushalt und Sozialversicherungen ins Ungleichgewicht und es verschärfen sich
gesellschaftliche Verteilungskonflikte. Klar aber ist: Ein ökologisch blindes
Wirtschaftswachstum und die ökologische Begrenztheit unseres Planeten stehen miteinander im
Konflikt. Unser Ziel ist deshalb,Wachstum mit sinkendem Ressourcenverbrauch zu koppeln.
Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist schon heute ein schlechter Indikator für Wohlstand und
Lebensqualität, es ist blind für die sozialen Folgen und die ökologischen Schäden unseres
Wirtschaftens. So werden etwa der Abbau von Ressourcen und die Zerstörung von Natur- und
Sozialkapital im BIP überhaupt nicht berücksichtigt. Während Unternehmen beispielsweise den
Rückgang von eigenen Bodenschätzen den Gewinnen gegenüberstellen und Abschreibungen
vornehmen, macht der Staat das bisher nicht. Auch Reparaturmaßnahmen von Umweltschäden
erscheinen im BIP als Steigerung, obwohl damit bestenfalls der Status quo wiederhergestellt
und unter dem Strich nichts gewonnen ist. Genauso wird die unbezahlte Sorgearbeit, die vor
allem von Frauen geleistet wird und eine unverzichtbare Grundlage unseres Wohlstands bildet,
derzeit bei der Wohlstandsmessung nicht berücksichtigt. Wir schlagen deshalb ein neues
Wohlstandsmaß und eine neue Form der Wirtschaftsberichterstattung vor, um neben den
ökonomischen auch ökologische, soziale und gesellschaftliche Entwicklungen zu messen und
Indikatoren dafür festzulegen. Dabei geht es um harte ökonomische Fakten, denn
berücksichtigt wird auch das Natur- und Sozialkapital, dessen Verfügbarkeit natürlich ein
Wert an sich, aber auch elementar für den wirtschaftlichen Erfolg ist.
Wir wollen damit Wohlstand in Deutschland und Europa zukünftig umfassender messen und den
Fortschritt beim ökologischen Umbau der Wirtschaft langfristig abbilden. Auch für die
Unternehmen können davon innovative Impulse ausgehen. So wollen wir als ersten Schritt für
die Deutsche Bahn die Gemeinwohlbilanzierung einführen. Und alle größeren privaten
Unternehmen sollen in ihrem Jahresabschluss zukünftig über Nachhaltigkeitsindikatoren wie
CO2-Emissionen berichten. Bestehende Ausnahmen für nicht börsennotierte Unternehmen sowie
für viele Banken und Versicherer wollen wir abschaffen. Langfristig wollen wir erreichen,
dass diese ökologischen und sozialen Werte auch entsprechend bepreist werden und so direkten
Einfluss auf den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens haben. Unternehmensgewinne sollen an ökologische Leitplanken und gesellschaftlichen Fortschritt gekoppelt werden. Deshalb streben wir eine Reform des Unternehmensrechts an, so dass Aufsichtsräte in Zukunft nicht mehr nur den Renditen der Aktionär*innen, sondern auch der Allgemeinheit verpflichtet sind.
2. Die Wirtschaft klimaneutral machen1
Wir können unser Wirtschaften verändern, aber nicht unsere Abhängigkeit von einer intakten
Natur. Aus wissenschaftlicher Perspektive sind wir beim CO2-Ausstoß kurz davor, alle roten
Linien zu überschreiten, vor denen uns viele Forscher*innen warnen. Das hätte gravierende
Konsequenzen für unsere Freiheit und die Freiheit unserer Kinder und Enkel. Politisch werden
die Klima- und Umweltauswirkungen unserer derzeitigen Wirtschaftsweise unsere Gesellschaften
fordern wie nie zuvor. Und wirtschaftlich handelt es sich bei der Klimakrise um das größte
Geschäftsrisiko für unseren Wohlstand – oder eben um die entscheidende Größe für unseren
Wettbewerbserfolg auf den Märkten der Zukunft.
Nach Jahren des Stillstands ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, schnell und massiv in die
Infrastruktur zu investieren, die eine klimaneutrale Wirtschaft und Gesellschaft trägt. Um
zur klimaneutralen Wirtschaft zu kommen, müssen Bahn, Autos und Gebäude weitgehend
elektrifiziert werden. Für Lastwagen, Flugzeuge und Schiffe wird Wasserstoff eine zentrale
Rolle spielen, ebenso für die Stahlindustrie, die Zementindustrie und Teile der
Chemiebranche.
Die Energiewende muss dafür nach den Phasen der Markteinführung und Marktdurchdringung nun
in die dritte Phase geführt werden, in der sie die Wirtschaft flächendeckend mit
regenerativer Energie versorgt. Sie ist den Kinderschuhen entwachsen und muss im nächsten
Jahrzehnt via Sektorenkopplung die Bereiche Verkehr, Industrie und Wärme erschließen.
Gleichzeitig müssen Unternehmen drastisch Energie einsparen und effizienter verwenden sowie
CO2-lastige durch CO2-neutrale Produktionsverfahren ersetzen.
Dabei können wir darauf bauen, dass technische und gesellschaftliche Entwicklungen nicht
linear verlaufen, und dass wir effizienter oder besser werden können in einem Sprung aus dem
Gewohnten heraus. Und darauf, dass die Marktwirtschaft ihre volle innovative Kraft entfalten
kann, wenn wir die richtigen politischen Leitplanken setzen. Märkte sind ein mächtiges
Instrument, sie schaffen und zerstören in rasendem Tempo. Sie können verheerende Krisen
entzünden – Lehman Brothers lässt grüßen – und sie können gleichzeitig dafür sorgen, dass
binnen weniger Jahre das Smartphone auch in den entlegendsten Winkeln dieser Erde Menschen
miteinander verbindet. Märkte können, wenn die Anreize richtig gesetzt sind, eine grüne
Revolution entfachen, die unsere Vorstellungskraft auf die Probe stellen wird. Damit dies
geschieht, muss der Staat durch Ordnungspolitik, Preispolitik, Förder- und
Investitionspolitik den Rahmen so zu setzen, dass der Weg zum klimaneutralen Verhalten in
einem sozial-ökologisch gerahmten Markt rechtlich verbindlich und ökonomisch lohnend ist.
Ordnungsrecht bedeutetPlanungssicherheit für die Unternehmen. Also die verlässliche Vorgabe,
dass Autos, Flugzeuge, Maschinen oder Kraftwerke ab einem bestimmten Datum kein Treibhausgas
mehr ausstoßen dürfen. Preispolitik schafft fairen Wettbewerb, weil die Klimabilanz von
Produkten zum Teil des Preises wird. Klimaschädliches Wirtschaften wird teurer,
klimafreundliches Verhalten billiger. Förder- und Investitionspolitik gibt Starthilfen für
neue Produkte und Produktionsweisen und verhilft ihnen über die Schwelle zur
Wirtschaftlichkeit. Und sie schafft über den Ausbau der öffentlichen Infrastruktur die Basis
für ökologische Wirtschafts- und Lebensweise.
Ein Klimaschutzgesetz macht die Vorgaben
Das Klimaschutzgesetz ist das ordnungspolitische Herzstück. Ein solches Gesetz legt für alle
Wirtschaftsbereiche (Sektoren) verbindliche CO2-Minderungsziele und CO2-Minderungspfade
ebenso wie die dafür notwendigen Maßnahmen fest. Es garantiert eine dichte Kontrolle, ob die
Maßnahmen wirken, und sieht empfindliche Sanktionen bei einer Verfehlung der Ziele vor.
Ergänzt wird ein solches Klimaschutzgesetz durch weitere ordnungsrechtliche Vorgaben. Zum
Beispiel wollen wir, dass ab 2030 nur noch emissionsfreie Autos neu zugelassen werden und
der Weg dorthin durch verbindliche Quoten für E-Autos bereitet wird. Auch der Umbau der
energieintensiven Unternehmen ließe sich über ansteigende Quoten zum Beispiel für
klimaneutralen Stahl in Autos oder auch Windrädern und Gebäuden nicht nur planungssicherer
gestalten, die Unternehmen hätten gerade mit Blick auf die weltweiten Überkapazitäten so
auch einen Wettbewerbsvorteil auf dem europäischen Markt.
CO2 muss einen Preis bekommen
Ein wirksamer CO2-Preis ist für uns der zweite Teil des nötigen Instrumentenmixes, den wir
zugleich klimapolitisch wirksam und sozial gerecht ausgestalten wollen. Nur so lässt sich
zügig ein stabiler, langfristig orientierter Investitionsrahmen schaffen und systematisch
Anreize zur Senkung des CO2-Ausstoßes und für eine Umstellung von Produktionsweisen sowie
für „Efficiency First“ beim Umgang mit Ressourcen setzen. Nur so lässt sich das Potenzial
auf einer für alle Marktteilnehmer transparenten Basis für einen fairen Wettbewerb schaffen.
Der CO2-Preis schafft Gerechtigkeit und steigert mittelfristig auch die Wettbewerbsfähigkeit
auf dem Weltmarkt — denn Klimaschutz ist nicht nur notwendig, sondern auch ein globaler
Zukunftstrend.
Keine Steuermittel mehr für klimaschädliches Verhalten
Damit ökonomische Anreize ihr volles Potenzial entfalten können und zusätzliche finanzielle
Spielräume für Zukunftsinvestitionen entstehen, wollen wir umwelt- und klimaschädliche
Subventionen konsequent abbauen. Insgesamt betragen diese in Deutschland über 57 Milliarden
Euro. Staatliche Subventionen wie die Steuerbefreiung von Rohöl zur Plastikherstellung, dem
immer noch gewährten Beschaffungszuschuss für neue Ölheizungen oder die Nichtbesteuerung von
Kerosin wollen wir endlich beenden.
Investitionen in CO2-freie Industrieprozesse, insbesondere in den Bereichen Stahl, Chemie
und Zement, lohnen meist erst bei sehr hohen CO2-Preisen, die das europäische
Emissionshandelssystem derzeit noch nicht abbildet. Damit sich solche Investitionen für
Unternehmen schon heute rechnen, wollen wir den Unternehmen die Differenz zwischen dem
aktuellen CO2-Preis und den tatsächlichen CO2-Vermeidungskosten erstatten, welche ihnen
durch die Investitionen in neue Verfahren und Technologien entstehen (Carbon Contract for
Difference). Die Kosten dafür können über eine Klima-Umlage refinanziert werden, die auf die
Endprodukte aufgeschlagen wird und die für heimische Produkte und Importe gleichermaßen
gilt. So rechnen sich diese Investitionen sofort und es werden kurzfristige
Wettbewerbsnachteile gegenüber Regionen ohne eine entsprechende CO2-Bepreisung vermieden.
Förderpolitik gibt Starthilfe
Wir lassen die Unternehmen bei der ökologischen Transformation nicht allein und wollen sie
unterstützen. Für Investitionen in transformative, CO2-freie Industrieprozesse in den
Bereichen Stahl, Chemie oder Zement wollen wir deshalb bessere Abschreibungsmöglichkeiten
schaffen und Leuchtturmprojekte CO2-freier Verfahren und Prozesse gezielt fördern. Die Basis
zur Entwicklung solcher Verfahren ist die entsprechende Forschung. Dafür wollen wir die
Mittel im kommenden europäischen Forschungsrahmenprogramm „Horizon Europe“ auf 120
Milliarden Euro aufstocken und die steuerliche Forschungsförderung als ein wirkungsvolles
Innovationsinstrument ausgestalten. Weiterhin richten wir die öffentliche Beschaffung
konsequent klimaverantwortlich aus und schaffen so Leitmärkte, die innovativen Unternehmen
die notwendige Sicherheit geben, dass ihre Produkte auch einen Markt finden, auf dem sie
starten können.
Um den ökologischen Umbau zu fördern und gleichzeitig den sich anbahnenden
Wirtschaftsabschwung zu bekämpfen werden wir die degressive Abschreibung (AfA) zeitlich
befristet wieder einführen.
In die ökologische Infrastruktur investieren
Investitionen in Klimaschutz bedeutet vor allem: Ausbau von Bahninfrastruktur, von ÖPNV,
Fahrrad- und Fußverkehrsinfrastruktur, aber auch Aufbau von Ladeinfrastruktur für E-
Mobilität sowie von Infrastruktur für erneuerbaren Wasserstoff. Wärmenetze, energetische
Gebäudesanierung und der Ersatz von Öl- und Gasheizungen benötigen Unterstützung. Auch
stehen die Rettung unserer Wälder, die Erhöhung von Deichen und die Schaffung von mehr
Überflutungsflächen für Flüsse, der Umbau zu einer klima- und tierschutzgerechten
Landwirtschaft an.
Allein die Bahn braucht mindestens drei Milliarden Euro pro Jahr, um die notwendige
Verlagerung des Verkehrs von der Luft und der Straße auf die Schiene stemmen zu können. Für
den Aufbau eines elektrischen Ladesäulennetzes brauchen wir ein Investitionsprogramm in Höhe
von 600 Millionen Euro. Unser Programm „Faire Wärme“, mit dem wir die energetische
Gebäudesanierung unterstützen wollen, umfasst 7 Milliarden Euro im Jahr. Dies sind nur drei
Beispiele. Insgesamt plädieren wir für zusätzliche öffentliche Investitionen in Höhe von 30
Milliarden pro Jahr.
Wettbewerbsfähigkeit sichern, Klimadumping verhindern
Neben den notwendigen Anreizen müssen wir bei Einführung von ordnungspolitischen
Klimamaßnahmen die europäische Industrie auch vor möglichen Nachteilen im internationalen
Wettbewerb mit Staaten ohne eine vergleichbare Klimaschutzpolitik schützen. Dies kann über
Grenzausgleichsmaßnahmen wie europäische Klimazölle, die auch auf Importe aufgeschlagen
werden, oder über einen Grundstoffausgleich, der Recycling und weniger energieintensive
Werkstoffe belohnt, geschehen. Auch die Finanzierung der zusätzlich notwendigen
Investitionskosten für saubere Technologien könnte in Zukunft ein Weg sein, anstatt
weiterhin kostenlose Zertifikate im Emissionshandel auszugeben.
Divestment: Kapital aus fossilen in grüne Geschäftsfelder lenken
Mit einer breit angelegten Divestmentstrategie wollen wir dafür sorgen, dass Anlagekapital
zukünftig Klimaschutz statt Klimazerstörung finanziert. Öffentliche Banken und
Versicherungen sollen Investitionen in die Dekarbonisierung der Wirtschaft umlenken und
umgehend aus klimaschädlichen Wirtschaftsproduktionen wie Kohle- oder Erdölindustrie
aussteigen. Damit auch Kleinanlegerinnen und Kleinanleger von der grünen Finanzwende
profitieren und ihr Geld mit gutem Gewissen anlegen können, brauchen wir ein EU-Label für
nachhaltige Finanzprodukte mit starken ökologischen und sozialen Standards. Damit alle
Anleger*innen nachvollziehen können, ob Unternehmen ökologisch wirtschaften, werden wir
entsprechende Offenlegungspflichten einführen.
Neue Anlagerichtlinien für die öffentliche Hand, Fonds wie für die Beamtenpension oder
Rücklagen der Bundesanstalt für Arbeit sollen Nachhaltigkeits- und Klimaschutzkriterien
folgen. Der Bund kann dem Markt für nachhaltige Geldanlagen wichtige Impulse geben. Dafür
muss er seine Investitionen in Kohle-, Öl- und Gas-Konzerne, die Geschäfte auf Kosten des
Klimas machen, beenden.
Damit neben der Rendite auch die Klima- und Sozialverträglichkeit zur Grundlage von
Entscheidungen über Investitionen und Kreditvergaben gemacht werden, brauchen wir einen
verbindlichen europäischen Standard für Nachhaltigkeit, anhand dessen auch klima- und
umweltschädliche Wirtschaftsbereiche klar benannt werden können. Auf dieser Grundlage müssen
alle Finanzmarktakteure die Klima und Umweltauswirkungen ihrer Investitionen offenlegen.
Klimarisiken, die in Konzern- und Bankbilanzen schlummern, sollten bei der Bewertung durch
Rating-Agenturen und die Finanzmarktaufsicht berücksichtigt werden, zum Beispiel durch
Klima-Stresstests für Banken und Versicherungen oder durch Aufschläge bei
Eigenkapitalanforderungen bei Finanzierungen, die hohe Klima und Umweltrisiken bergen.
3. Verwerten statt Verschwenden: Kreislaufwirtschaft als übergeordneter Rahmen
Die ökologische Wende kann nur gelingen, wenn wir nicht dauerhaft auf immer mehr Rohstoffe
angewiesen sind. So können Unternehmen Kosten in erheblichem Umfang einsparen und außerdem
können hunderttausende neue Jobs entstehen. Im Bereich Elektromobilität beispielsweise gibt
es großes Potenzial, um durch Recycling der Lithium-Ionen-Batterien einerseits den
ökologischen Fußabdruck zu verkleinern, andererseits den Bedarf an Rohstoffen zu senken.
Dafür müsste nur die EU-Batterierichtlinie reformiert werden.
Unser Ziel ist der parallele Aufbau einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft. Diese
basiert auf in sich geschlossenen Stoffkreisläufen. Der Kreislauf beginnt bereits bei der
Produktgestaltung. Produkte müssen so designt werden, dass die jeweiligen Einzelteile auch
wieder voneinander getrennt und sinnvoll wiederverwertet werden können. Dafür wollen wir
verbindliche Vorgaben in der EU-Ökodesign-Richtlinie schaffen. Wir wollen Abfallvermeidung-
und verwertung durch einen Mix aus Anreizen und Vorgaben stärken: Wir wollen Recyclingquoten
einführen, welche die tatsächlich im Kreislauf geführten Wertstoffe messen. Hersteller*innen
sollen zu einer festen Einsatzquote für recycelte Rohstoffe verpflichtet werden.
Die Rücknahme- und Verwertungspflicht bei Produkten wie Verpackungen, Elektro- und
Elektronikaltgeräten muss ausgeweitet und durch finanzielle Anreize gestärkt werden. Ein
solcher Anreiz ist die Weiterentwicklung der Lizenzentgelte für Verpackungen zu einer
Ressourcenabgabe, die gleichzeitig ökologische Verpackungen über einen Bonus fördert. Auch
Rücknahmeprämien für einzelne Produktgruppen wie beispielsweise Mobiltelefone können ein
möglicher Weg sein. Unser Ziel ist, bis 2030 alle Kunststoffprodukte kosteneffizient zu
recyceln oder wiederzuverwenden. Schließlich wollen wir die Forschung für Recycling-Prozesse
und die Substitution von Rohstoffen intensivieren.
4. Gute und selbstbestimmte Arbeit – wir gestalten den Wandel der Arbeitswelt
Unsere Arbeitswelt wird sich in den kommenden Jahren vor allem durch die Digitalisierung
rasant und tiefgreifend verändern. Bekannte Tätigkeiten und Arbeitsplätze werden wegfallen
oder sich stark verändern, neue Arbeitsplätze und Berufe entstehen. Ob es in der Summe dann
weniger Arbeitsplätze geben wird oder mehr, kann derzeit niemand verlässlich vorhersagen.
Klar ist jedoch, dass sich auch die Art, wie wir arbeiten werden, massiv verändert. Unser
Arbeiten wird flexibler, selbstorganisierter, auch kooperativer. Zugleich erleben wir
bereits heute neue Formen der Ausbeutung und Überforderung. Ein großes Problem bedeutet
daneben der bereits heute spürbare massive Fachkräftemangel – eine Million Stellen sind
unbesetzt. In den kommenden 15 Jahren wird die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter
ohne Einwanderung um sechs Millionen schrumpfen.
Für beide Entwicklungen – den Fachkräftemangel und die Veränderungen der Arbeitswelt – muss
sich die Bildungs- und Weiterbildungspolitik, die Arbeitsmarkt-, Einwanderungs- und
Integrationspolitik viel besser rüsten als bisher.
Weiterbildung ist der Schlüssel
Das bedeutet vor allem, dass Menschen die Möglichkeit haben müssen, sich weiterzubilden und
neu zu qualifizieren. Dafür brauchen sie Geld, Zeit und passende Angebote. Wir wollen einen
Rechtsanspruch auf Weiterbildung begründen. Das lebensbegleitende Lernen wird damit Teil des
öffentlichen Bildungsauftrags. In allen Kommunen wollen wir Bildungsagenturen schaffen. Sie
sollen zum Herzstück von regionalen Bildungsnetzwerken werden, in denen sich
Arbeitsagenturen, Jobcenter, Volkshochschulen, Kammern, Berufs- und Hochschulen sowie andere
Weiterbildungsträger vernetzen, um flächendeckend und niedrigschwellig beste Weiterbildung
und Beratung anbieten zu können. Die bisherige Arbeitslosenversicherung wird zu einer
Arbeits- und Weiterbildungsversicherung umgebaut. So, wie wir in den beiden vergangenen
Jahrhunderten damit begonnen haben, uns gegen Krankheit oder Arbeitslosigkeit abzusichern,
sollten wir im 21. Jahrhundert im Rahmen der Arbeitslosenversicherung eine Garantie auf
Weiterbildung festschreiben. Sie sollte sowohl die Weiterbildung finanzieren als auch den
Lebensunterhalt in Weiterbildungsphasen absichern. Auch die Möglichkeiten der
Digitalisierung wollen wir für die Bildung weiter nutzen. Dafür soll eine öffentliche und
unabhängige digitale Plattform alle Fort- und Weiterbildungsangebote bündeln. Das ermöglicht
neue Zugänge für Menschen, die sich weiterbilden wollen.
Wir sehen es zudem als unsere Verantwortung, die Arbeitnehmer*innen insbesondere beim
ökologischen und digitalen Wandel mitzunehmen. Wir wollen dazu als eine wichtige Maßnahme
eine neue „Qualifizierungs-Kurzarbeit“ einführen, um so die Chancen der Beschäftigten und
der Betriebe im Strukturwandel vorausschauend zu verbessern. So können Beschäftigte sich
qualifizieren und danach in ihren Betrieb zurückkehren. Die Phase der Kurzarbeit muss
konsequent für die Qualifizierung der Beschäftigten genutzt werden. Dabei wollen wir die
„Qualifizierungs-Kurzarbeit“ eng an die Sozialpartnerschaft koppeln und zwar durch
tarifliche Regelungen und Betriebsvereinbarungen. Denn Unternehmen, Gewerkschaften und
Betriebsräte können nur gemeinsam dem Strukturwandel die richtige Richtung geben.
Fachkräftemangel bekämpfen
Der Fachkräftemangel stellt für viele Unternehmen ein Problem dar. Wir wollen darauf
reagieren, indem wir nicht nur engagiert auf Qualifizierung und Weiterbildung setzen und die
Erwerbstätigkeit von Frauen weiter stärken. Gerade angesichts des demographischen Wandels
halten wir zusätzlich auch eine ambitionierte Einwanderungspolitik für dringend notwendig.
Das Fachkräftezuwanderungsgesetz der großen Koalition erfüllt diesen Anspruch nicht. Wir
wollen es überarbeiten und entbürokratisieren. Deutschland braucht ein echtes
Einwanderungsgesetz mit einem transparenten Punktesystem und der Möglichkeit eines
Spurwechsels.
Neue Jobs
Wir haben große Engpässe dort, wo Menschen sich um Menschen kümmern: in der Pflege, der
Bildung, in der Kinder- und Altersbetreuung. Diese Jobs in der Sorge-Arbeit müssen ausgebaut
werden und brauchen endlich die Anerkennung, auch finanziell, die ihnen gemessen an ihrer
gesellschaftlichen Relevanz zusteht. Diejenigen, die sich um andere Menschen kümmern, dürfen
nicht beim Mindestlohn landen oder Probleme haben, sich eine Wohnung zu leisten.
Die Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung schätzt, dass mit stetigen
Investitionen in Nachhaltigkeit bis 2030 weltweit bis zu 170 Millionen neue Jobs geschaffen
werden können. Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU)
geht davon aus, dass sich die Zahl der Arbeitsplätze in der Erneuerbaren-Energien-Branche in
Deutschland allein in den nächsten zehn Jahren auf mindestens 500.000 verdoppelt. Im
gesamten Bereich Umwelttechnik und Ressourceneffizienz sind bereits heute 1,5 Millionen
Menschen in Deutschland beschäftigt. Erwartet wird hier ein Anstieg von jährlich 6,7
Prozent. Für diese Zukunftsbranche brauchen wir also qualifizierte Maschinenbauer,
Elektrotechnikerinnen, Ingenieurinnen, Vertriebsmitarbeiter*innen, Bürokräfte – von der
Berufseinsteigerin bis zur erfahrenen Fachkraft.
Gute Arbeitsbedingungen
Gute Arbeitsbedingungen und eine faire Verteilung des Wohlstandes zwischen Arbeit und
Kapital auszuhandeln, ist zunächst Aufgabe der Sozialpartner. Wir wollen die kollektive
Selbstorganisation und Mitbestimmung wieder stärken und prekäre Beschäftigung überwinden.
Bei der öffentlichen Vergabe sollen nur Unternehmen zum Zuge kommen, die einem Tarifvertrag
angehören bzw. Tariflöhne zahlen. Zudem wollen wir es leichter machen, Tarifverträge für
allgemeinverbindlich zu erklären. Die Bildung von Betriebsräten werden wir erleichtern,
indem Initiator*innen einen besonderen Schutz erhalten und die Verhinderung von
betrieblicher Interessenvertretung als klare Straftat angesehen und verfolgt wird.
Wir wollen die betriebliche Mitbestimmung ausbauen, indem die Betriebsräte bei der
Personalplanung stärker eingebunden werden und bei der Weiterbildung und der
Beschäftigungssicherung ein echtes Vorschlags- und Initiativrecht bekommen. Die
unternehmerische Mitbestimmung soll bereits ab einer Unternehmensgröße von 1.000
Beschäftigten voll greifen und die Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmervertreter*innen bei
strategischen Unternehmensentscheidungen im Aufsichtsrat erweitert werden.
Der gesetzliche Mindestlohn war ein wichtiger Meilenstein für faire Arbeitsbedingungen. Wir
wollen Ausnahmen beim Mindestlohnstreichen, die Kontrolle verbessern und zudem dafür sorgen,
dass er in Zukunft wirklich armutsfest ist. Die Mindestlohnkommission wollen wir
reformieren, um ihren Entscheidungsspielraum zu stärken. Die Höhe des Mindestlohns soll sich
künftig nicht allein an der Tarifentwicklung orientieren, sondern vor Armut schützen und den
Zusammenhalt in der Gesellschaft stärken. Deshalb wollen wir als Sofortmaßnahme eine
Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro. Gleichzeitig sollen die Vertreter*innen der
Wissenschaft in der Mindestlohnkommission ein Stimmrecht erhalten. Leiharbeit wollen wir
stärker regulieren, für Leiharbeitskräfte soll ab dem ersten Tag die gleiche Bezahlung wie
für die Stammbelegschaft gelten sowie eine zusätzliche Flexibilitätsprämie. Sachgrundlose
Befristungen wollen wir abschaffen. Wir fordern ein wirksames Entgeltgleichheitsgesetz mit
einem Verbandsklagerecht für gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit. Unser Ziel ist es,
Minijobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung umzuwandeln und dafür zu sorgen,
dass die Beiträge durch Steuern und Abgaben sowie soziale Leistungen so aufeinander
abgestimmt werden, dass sich Erwerbsarbeit immer rechnet. Dabei darf die Belastung mit
Steuern und Abgaben nicht sprunghaft steigen. Und wir streiten dafür, Berufe aufzuwerten,
die heute noch meist von Frauen ausgeübt werden, beispielsweise in der Erziehung, der Pflege
oder im Gesundheitssystem, und sie besser zu bezahlen. Wir wollen, dass Arbeit auf Abruf
nicht mehr möglich ist, wenn die Tätigkeiten mit normalen Arbeitsverhältnissen erledigt
werden können, etwa über die Nutzung von Arbeitszeitkonten.
Die Regulierung von Arbeit wollen wir an die Herausforderung der Digitalisierung anpassen.
Dafür braucht es schärfere Abgrenzungskriterien von (Solo-)Selbstständigkeit sowie eine
Neudefinition des Arbeitnehmer*innen-Begriffs. Gesetzliche Mindesthonorare sollen für
Selbstständige ein Schutz vor Dumping und Ausbeutung sein, genauso wie der gesetzliche
Mindestlohn es für Beschäftige ist. Auch sollten sich die Auftraggeber*innen an den
Sozialversicherungsbeiträgen beteiligen.
Durch Digitalisierung entsteht ein großes Potenzial, Arbeitszeit weiter zu verkürzen, sie
mit anderen Lebensbereichen besser zu vereinbaren und Arbeit umzuverteilen, sowohl Erwerbs-
als auch Sorge-Arbeit. Dabei ist uns besonders wichtig, dass es auch zu einer gerechteren
Aufteilung von Erwerbs- und Sorge-Arbeit zwischen den Geschlechtern kommt. Wenn Arbeit
besser ins Leben passt, sind die Beschäftigten produktiver, weniger gestresst und
engagierter. Auch der wachsende Fachkräftebedarf kann so besser bewältigt werden.
Wir brauchen nicht noch mehr Verfügbarkeit von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern rund um
die Uhr. Zum Schutz der Gesundheit braucht es auch im digitalen Zeitalter eine Grenze für
die tägliche Höchstarbeitszeit sowie ausreichende Ruhezeiten ohne Unterbrechung. Wir wollen
mehr Arbeitszeitsouveränität für die Beschäftigten und fordern eine Wahlarbeitszeit zwischen
30 und 40 Wochenstunden. Damit wird die Vollzeit neu definiert und zu einem flexiblen
Arbeitszeitkorridor umgestaltet. Ein Rückkehrrecht von Teilzeit-Beschäftigten auf ihre
vorherige Stundenzahl ist notwendig, damit sie beruflich wieder voll durchstarten können.
Die von der großen Koalition eingeführte Brückenteilzeit nur für große Betriebe genügt
diesen Anforderungen bei weitem nicht. Der überwiegende Teil der Beschäftigten (insbesondere
Frauen) wird aufgrund der Einschränkungen das Recht auf Rückkehr in Vollzeit nicht in
Anspruch nehmen können. Wir wollen außerdem, dass die Hälfte der Plätze in den
Führungspositionen von Unternehmen mit Frauen besetzt werden, Deshalb braucht es
verbindliche Frauenquoten für Aufsichtsräte und vergleichbare Regelungen auch für Vorstände.
Durch die Digitalisierung wird es auch einfacher für die Beschäftigen, von zu Hause zu
arbeiten. Wir werden deswegen ein Recht auf Home-Office einführen.
Beschäftigte am Wohlstand beteiligen
Eine verbesserte Mitarbeiterbeteiligung an Unternehmen kann sowohl dem Fachkräftemangel als
auch einer ungleichen Vermögensentwicklung entgegenwirken. Sie ist ein Weg, um die
Bevölkerung besser am gesellschaftlichen Produktivvermögen zu beteiligen. Bislang sind wir
im europäischen Vergleich jedoch Schlusslicht bei der Mitarbeiterbeteiligung. Wir wollen
daher den steuerlichen Freibetrag für die Überlassung von Mitarbeiterbeteiligungen deutlich
anheben. Außerdem wollen wir eine Plattform schaffen, um Beispiele von erfolgreichen
Beteiligungsmodellen besser zugänglich zu machen und interessierten Unternehmen mehr
Informationen bereit zu stellen.
5. Eine neue Gründerzeit ermöglichen
Viele kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) treiben den ökologischen Wandel voran
und schreiben schon heute mit grünen Ideen schwarze Zahlen. Sie schaffen neue Arbeitsplätze,
die auch morgen noch bestehen. Wir wollen sie mit einem steuerlichen Forschungsbonus
unterstützen, die Chancen von ressourcensparenden und emissionsarmen Produkten und Verfahren
zu nutzen und sie mit einfacheren Abschreibungsregeln, Vereinfachungen bei der Umsatzsteuer
und guten Bedingungen für Mitarbeiterbeteiligungen entlasten. In Strukturwandelregionen
wollen wir die regionale Wirtschaftsförderung stärken, damit es lokal ansässigen Unternehmen
schnell gelingt, den neuen Marktanforderungen gerecht zu werden. Gerade die kleinen und
mittleren Unternehmen im Handwerk sind unverzichtbar. Sie realisieren die Energiewende,
sorgen für fachgerechte Wärmedämmung und sind regionaler Partner für die Landwirtschaft.
Damit Handwerksberufe wieder attraktiver werden setzen wir auf eine stärkere Tarifbindung
und branchenspezifische Mindestvergütungen. Die Handwerksbetriebe sollen bei der Ausbildung
und Gewinnung von Auszubildenden stärker beraten, unterstützt und begleitet werden. Durch
einen Rechtsanspruch auf einen schnellen Breitband-Internetanschluss sorgen wir dafür, dass
das Handwerk auch im ländlichen Raum online ist.
Gründer*innen fördern
Wir brauchen eine neue Gründer*innenwelle. Keine gute Idee darf an zu wenig Eigenkapital
scheitern. Wir fordern daher eine schnelle Einführung des unbürokratischen
Gründungskapitals, welches Gründer*innen einen Einmalbetrag bis maximal 25.000 Euro
sicherstellt, unter der Voraussetzung einer Wirtschaftlichkeitsprüfung.
Frauen sind erfolgreiche Gründerinnen, bei Gründungen von Unternehmen jedoch
unterrepräsentiert. Nur 15 Prozent der Startups in Deutschland werden laut Female Founder
Monitor von Frauen gegründet. Bei einer solch niedrigen Quote entgeht Deutschland ein großes
Potenzial an innovativen Unternehmen. Öffentliche Fördergelder erreichen in der Regel eher
männliche als weibliche Gründer*innen. Wir schlagen vor, einen staatlich geförderten
Wagniskapitalfonds zu schaffen, der sich nur an Gründerinnen richtet. Irland hat mit diesem
Modell gute Erfahrungen gemacht. Nach einem Zeitraum von fünf Jahren sollte überprüft
werden, ob der Fonds einen nachhaltigen Effekt hatte. Jede fünfte Gründerin und jeder fünfte
Gründer hat eine Einwanderungsgeschichte. Für sie wollen wir ein zugeschnittenes
Beratungsangebot schaffen.
Der Staat ist durch die öffentliche Beschaffung von Produkten und Dienstleistungen ein
wichtiger Impulsgeber für die Wirtschaft. Die öffentliche Hand kann durch die
Auftragsvergabe eine aktive Vorbild- und Lenkungsfunktion erfüllen, eine nachhaltige
Wirtschaftsweise stärken und Innovationen fördern. Wir wollen, dass Vergabeverfahren so
gestalten werden, dass der Bund im Rahmen seiner öffentlichen Auftragsvergabe und
Ausschreibungen Startups und jüngere Unternehmen, neue Technologien und innovative
Geschäftsmodelle stärker berücksichtigt. Vergabelose sollten KMU-freundlich ausgeschrieben
werden.
Wir fordern Startup-Zentren ähnlich der französischen Station F, die Gründer*innen den
notwendigen Arbeitsraum zur Verfügung stellen. Wir fordern zwei Jahre Befreiung von nicht
unbedingt nötigen Melde- und Berichtspflichten und wollen die Gründungsberatung und
-förderung aus einer Hand in „One-Stop-Shops“ ermöglichen, damit Gründer*innen Zeit zum
Gründen haben. Ausgründungen aus Hochschulen und Kooperationen von Gründer*innen und
Hochschulen sollen durch bessere Beratung und Betreuung gefördert werden, damit zum Beispiel
Labore zur Mitnutzung geöffnet werden. Die heutige Gründungsförderung ist stark auf
technologieorientierte Startups zugeschnitten. Wir wollen die bestehenden Förderinstrumente
neutraler ausgestalten und damit stärker als bisher zum Beispiel sozial orientierte
Unternehmen oder die Kreativwirtschaft fördern.
Wir wollen die freiwillige Arbeitslosenversicherung weitgehend für Selbständige öffnen und
erreichen, dass anderweitig nicht abgesicherte Selbständige in die gesetzliche
Rentenversicherung einbezogen werden. Und wir brauchen in Deutschland auch eine Kultur des
Scheiterns. Das Insolvenzrecht muss so gestaltet sein, dass es schneller Neuanfänge
ermöglicht.
Für die erfolgversprechendsten Startups wollen wir einen Europäischen Startup-Pass
einführen. Dieser soll ihnen die Möglichkeit geben, an allen europäischen Startup-
Förderprogrammen teilzunehmen und Unterstützung durch Inkubatoren zu erhalten. Sie sollen
außerdem breite Unterstützung durch Informationen und Beratung zur Rechtslage und zu
Patenten bis hin zu vereinfachten Visa für ausländische Mitarbeiter*innen des Startups
bekommen. Ausländischen Startups sollen neben einem Europäisches Startup-Visum auch Beratung
und finanzielle Unterstützung angeboten werden, damit sie sich in Europa ansiedeln.
Verwaltung kooperativer gestalten
Zugleich kann die öffentliche Verwaltung innovativer und kooperativer werden. Wir fordern
daher ein deutsches GovTech-Programm nach dänischem Vorbild. So sollen
Technologieunternehmen und Startups mit innovativen Lösungen den Ministerien helfen,
bestimmte Fragestellungen und Herausforderungen, mit denen sie konfrontiert sind, zu lösen.
Unser Ziel ist die vollständige elektronische Abwicklung in der Verwaltung. Das spart
Unternehmen, Bürger*innen und der Verwaltung viel Zeit und Geld.
Bei der Regulierung soll das Prinzip der Verhältnismäßigkeit gelten: Große Unternehmen
können komplexe Anforderungen erfüllen, kleinere Unternehmen und den Mittelstand wollen wir
gezielt entlasten. Für die Gründungsphase eines Unternehmens wollen wir bestimmte
Regulierungen ganz aussetzen. Genehmigungsverfahren wollen wir beschleunigen. Wir werden
nicht nur den Unternehmen Fristen setzen, sondern verstärkt auch der Verwaltung. Verpasst
die Verwaltung die Frist, gilt die Genehmigung automatisch als erteilt.
Wagnisse ermöglichen
Wir müssen nicht nur technologisch exzellent sein, sondern bahnbrechende Technologien auch
in neue Geschäftsmodelle, Märkte, Dienstleistungen und Produkte umwandeln können.
Fördermöglichkeiten und Netzwerke für Startups und junge Unternehmen können den Unterschied
zwischen einer guten Idee auf dem Flipchart und einem weltweit erfolgreichen Unternehmen
ausmachen.
Startup-Förderung braucht Anschubfinanzierung und eine starke Finanzierung in der
Wachstumsphase. Wir wollen mit einem öffentlichen Zukunftsfonds eine Investitionswelle im
Venture Capital Markt auslösen. Dieser Fonds soll als eine Art stille Teilhaber*in jungen
und wachsenden Startups das nötige Eigenkapital bereitstellen. Das verhindert, dass unsere
Startups auf ausländische Geldgeber angewiesen sind, aufgekauft werden und das
technologische Know-how ins Ausland fließt. Wenn ausländische Konzerne ein europäisches
Startup übernehmen, sollen sie einen Ausgleich für die Fördermittel zahlen, die das Startup
von europäischer und nationaler Ebene bekommen hat.
Der Fonds soll mit Eigenkapital ausgestattet werden und sich dann weiteres Kapital günstig
am Finanzmarkt leihen. Seine Gewinne sollen vollständig das eigene Kapital weiter
aufstocken. Der Zukunftsfonds soll politisch unabhängig gemanagt werden. Unser unabhängig
verwalteter Bürgerfonds für eine stabile und rentable Anlagemöglichkeit soll in den
Zukunftsfonds investieren können und auch andere Investitionen im Venture-Capital-Bereich
finanzieren können. Über die Trennung von Zukunftsfonds und Bürgerfonds verhindern wir
problematische Interessenskonflikte zwischen industriepolitischen Zielen und dem
Bürgerfonds.
Auch Crowdfunding kann – vor allem wenn reward-basiert – neue Finanzierungsquellen für junge
Unternehmen erschließen. Wir wollen dafür sorgen, dass öffentliche Förderungen von
Gründungen und von Forschung mit Crowdfunding kombiniert werden können.
Gute Bedingungen für gute Ideen schafft auch der europäische Binnenmarkt mit über 500
Millionen Menschen, die sich daran beteiligen. Der Wagniskapitalmarkt der EU ist derzeit in
viele kleine nationale Märkte zersplittert. Wir wollen die nationalen Förderinstrumente
koordinieren und abstimmen. Mittelfristig streben wir einen großen europäischen
Wagniskapitalfonds an und wollen die EU zum größten Venture-Capital-Markt der Welt machen.
6. Digital von der Null zur Eins werden
Wir setzen uns für eine Politik der technologischen Souveränität Europas ein und plädieren
für eine starke europäische Digitalinfrastruktur. Anstatt sich zum Beispiel bei Cloud-
Diensten zwischen Amazon oder Alibaba entscheiden zu müssen, wollen wir eine eigene
europäische Cloud-Infrastruktur aufbauen. Diese soll unseren Unternehmen eine effiziente und
sichere Alternative zu den amerikanischen und chinesischen Anbietern sein.
Dabei setzen wir unsere Priorität auf die Stärkung der europäischen Halbleiterindustrie.
Halbleiter sind im digitalen 21. Jahrhundert das, was Rohöl im analogen 20. Jahrhundert war:
eine kritische Ressource. In Ostdeutschland haben wir einen der größten Standorte für die
Halbleiterproduktion in Europa. Wir wollen diese Stärke stärken, indem wir die Forschung und
Entwicklung von ultraeffizienten Chips fördern und den Mikroelektronik-Cluster in Dresden
stärken.
Vielfalt und Offenheit statt digitaler Monopole
Die Digitalisierung hat datenbasierte Plattform-Geschäftsmodelle hervorgebracht, die eine
Tendenz zum Monopol aufweisen. So erfordern es Wettbewerb und moderner Verbraucherschutz,
dass die Grundsätze der Interoperabilität – wie wir sie aus dem Mobilfunk kennen – auch bei
online-gestützten Angeboten gelten. Was heute bei Telefon, SMS und Mail selbstverständlich
ist, muss zum Beispiel auch bei Messenger-Diensten oder sozialen Netzwerken gewährleistet
werden, nämlich unkompliziert zwischen Anbietern und Plattformen kommunizieren und wechseln
zu können.
Auch digitale Großkonzerne müssen sich an das europäische Ordnungsrecht halten. Deshalb
setzen wir uns für eine faire Besteuerung digitaler Großkonzerne ein, die bisher von der
Bundesregierung verhindert wird.
Infrastrukturen sind eine öffentliche Aufgabe. Dieses Prinzip, das bei Stromnetzen oder
Straßen selbstverständlich ist, muss im digitalen Bereich neu ausgehandelt werden. Wenn
Google seine dominierende Stellung bei Handy-Betriebssystemen oder Amazon seine beim Verkauf
über den Marketplace ausnutzt, müssen wir dem einen Riegel vorschieben. Den lokalen
Einzelhandel werden wir vor unfairem Dumpingwettbewerb von Amazon und Co. schützen. Ziel ist
es, privatisierte Marktplätze wieder öffentlich zugänglich zu machen. Außerdem werden wir
die Gebühren für Plattformen mit weitreichender Marktmacht regulieren, damit die Gewinne von
kleinen Unternehmen nicht von den Plattformbetreibern abgeschöpft werden können.
Google und Facebook dominieren mittlerweile den Markt für Onlinewerbung. Kaum ein
Unternehmen kann es sich noch leisten, nicht über sie online für die eigenen Produkte zu
werben. Ein solches Oligopol muss reguliert werden. Wir wollen in Europa eine gesetzliche
Grundlage für Onlinewerbung schaffen.
Standards für die datengetriebene Wirtschaft
So, wie wir mit der Datenschutzgrundverordnung unseren europäischen Rechtsrahmen in der
digitalen Welt stärken konnten, an die sich andere halten müssen, wollen wir auch ethische,
gesellschaftliche und sicherheitspolitische Grundregeln für intelligente Maschinen und
Algorithmen auf EU-Ebene etablieren. Dazu gehören Regeln bezüglich der Haftung, Transparenz,
Nicht-Diskriminierung und Überprüfbarkeit algorithmischer Entscheidungen sowie essentielle
Cybersicherheitsstandards.
Wir wollen einen einheitlichen europäischen Rechtsrahmen für datengetriebene
Geschäftsmodelle schaffen. Daten sind Schlüsselressource der digitalen Welt, insbesondere
für Technologien wie die künstliche Intelligenz. Daher plädieren wir für die Bereitstellung
öffentlicher, anonymisierter bzw. pseudoanonymisierter Daten, damit dadurch neue
Innovationen und Geschäftsmodelle entstehen. Open-Data ist eine Grundvoraussetzung, damit
europäische Unternehmen etwa bei künstlicher Intelligenz noch zum Silicon Valley
aufschließen können. Die Bundesregierung muss bei Innovationen und neuen technologischen
Lösungen im Bereich des öffentlichen Sektors vorangehen. Dafür muss sie auch die bei
öffentlichen Stellen erfassten Daten in einer datenschutzkonformen Weise (anonymisiert) der
Allgemeinheit zur Verfügung stellen. So können Startups, Unternehmen und
Forschungseinrichtungen diesen Datenschatz für die Entwicklung innovativer Technologien
nutzen. „Sharing is Caring“ gilt an dieser Stelle ganz besonders.
„Private Daten schützen, öffentliche Daten nützen“ gilt auch für Unternehmen. Wir wollen
eine Datenökonomie stärken, die nach diesem Prinzip organisiert ist. Dafür wollen wir
Definitionen von Normen, Standards und Schnittstellen zum Datenaustausch zwischen
Unternehmen, Forschungseinrichtungen und öffentlicher Hand zur kooperativen Datennutzung
fördern. Mit der Macht über Daten werden heute Monopolstellungen geschaffen. Wir wollen
gesetzlich regeln, welche Daten als öffentliches Gut anzusehen sind.
IT für grüne Ziele nutzen
Wir wollen die Digitalisierung nutzen, um Ökonomie und Ökologie weiter zusammenzuführen. Die
Digitalisierung schafft enorme Chancen für Ökoeffizienz und Kreislaufwirtschaft. Dafür
wollen wir ein EU-Förderprogramm, das sich exklusiv dem ökologischen Potenzial der
Digitalisierung widmet und die Ökoeffizienz in Unternehmen fördert. Die Digitalisierung kann
zum ökologischen Umbau unserer Gesellschaft beitragen. Wenn wir nicht handeln, besteht aber
das Risiko, dass die Digitalisierung zum Treiber von Klimakrise und Umweltzerstörung wird.
Derzeit werden wertvolle Rohstoffe zunehmend für die Digitalisierung gebraucht und der
Energiebedarf für digitale Prozesse wächst jedes Jahr massiv. Expert*innen zufolge wird der
digitale Energiebedarf bis zum Jahr 2040 die weltweite Energieproduktion übersteigen, wenn
wir nicht umsteuern.
Wir wollen als Teil der Energiewende energiearme IT-Technik voranbringen und eine
europäische „Green-IT“-Strategie auflegen. Darüber hinaus setzen wir uns für „Green-IT“-
Kriterien bei der öffentlichen Vergabe und ein Label für energieeffiziente, nachhaltige
Rechenzentren ein. Denn gerade die Digitalisierung bietet auch ein erhebliches Potenzial für
den Klimaschutz und zur Einsparung von Treibhausgasen und Ressourcen.
Allein durch die Digitalisierung könnten die globalen CO2-Emissionen bis 2030 gegenüber
jetzigen Prognosen um 20 Prozent sinken. Studien gehen von 15 bis 20 Prozent
Energieeinsparung durch Gebäude-Klimamanagementsysteme aus. Um 25 bis 30 Prozent könnte der
Energieverbrauch der Industrie durch IT-gesteuerte Prozessoptimierung sinken, indem
Maschinen intelligent miteinander vernetzt werden. Dieses Potenzial wollen wir konsequent
nutzen.
Bei großen Unternehmen ist es längst selbstverständlich, dass Videokonferenzen in vielen
Fällen Reisen per Bahn oder Flugzeug ersetzen. Das spart Zeit und Kosten, entlastet die
Mitarbeitenden und schont zugleich die Umwelt. Mit den selbstfahrenden Autos von morgen
bietet sich durch Vernetzung, Carsharing und zusätzlich flexible öffentliche
Nahverkehrsangebote gerade im ländlichen Raum die Chance, viele Privatfahrten im Auto zu
ersetzen. Die Digitalisierung kann die Energiewende in Form intelligenter Netze unterstützen
oder dabei helfen, Transportketten zu optimieren und etwa Leerfahrten zu verhindern.
Cybersicherheit für die Industrie
Es braucht dringend ein umfassendes Paket zur Stärkung der Cybersicherheit unserer
Industrie. Dies umfasst die Einrichtung eines europäischen Forschungsverbunds für
Cybersicherheit, in dem das Nationale Forschungszentrum in Darmstadt integraler Teil wird,
um die Entwicklung von Technologien und industriellen Fähigkeiten im Bereich der
Cybersicherheit zu fördern. Außerdem wollen wir ein in allen Mitgliedstaaten anerkanntes EU-
weites Zertifizierungssystem für Produkte und Dienstleistungen sowie umfassende
Beratungsangebote einführen.
7. Die Technik von morgen entwickeln
Um den Wirtschaftsstandort Deutschland in die Zukunft zu führen, müssen wir auch für
Forschung und Entwicklung die richtigen Rahmenbedingungen setzen. Technologiedurchbrüche,
Innovation und Neues entstehen nicht allein in Forschungsabteilungen, Vorstandsebenen oder
Regierungsagenturen. Sie entstehen in Ökosystemen. Es geht darum, Kooperationen zu fördern,
die Arbeit in isolierten Fach-Communities aufzubrechen, Wissen zu teilen und von der
Erfindung nahtlos in die Umsetzung zu kommen. Wir fordern daher mehr interdisziplinäre
Forschungsplattformen, an denen sich insbesondere Hochschulen, freie Forschungsinstitute,
zivilgesellschaftliche Organisationen und Unternehmen beteiligen können. Darüber hinaus sind
Reallabore und Experimentierräume in der Forschung notwendig, damit bahnbrechende neue
Technologien auch gleich in der Umsetzung getestet werden können. Um diese zu fördern,
schlagen wir eine eigene Förderlinie vor.
Alle heute genutzten Technologien beruhen auf öffentlicher Grundlagenforschung. Auch in
Europa und Deutschland sollte die öffentliche Hand massiv investieren, gerade da, wo Märkte
versagen: bei risikoreicher Forschung, öffentlicher Infrastruktur, Sprunginnovationen. Für
diese Jahrhundertaufgabe müssen deutsche und europäische Förderprogramme ambitionierter,
risikofreudiger und agiler werden. Es geht uns dabei um einen gezielt agierenden, proaktiven
und unternehmerischen Staat, der unternehmerisches Risiko eingeht und als Leadinvestor ein
innovationsfreundliches Umfeld auch für private Unternehmen und ihre Ideen schafft.
In Zukunftstechnologien und digitale Infrastruktur investieren
Europäische Kooperation ist die Grundvoraussetzung, um auf den Technologiemärkten des 21.
Jahrhunderts mithalten zu können. Wir wollen deswegen wieder intensiv in den Wissens- und
Innovationsstandort Europa investieren und die Mittel des kommenden europäischen
Forschungsrahmenprogramms auf 120 Milliarden Euro aufstocken. Damit wollen wir ein
schlagkräftiges Nachfolgeprogramm zu „Horizon 2020“ etablieren, das besonders die
Grundlagenforschung in wirtschaftlichen Schlüsselfeldern wie der künstlichen Intelligenz,
der Robotik, Quantentechnologie sowie der Bio- und Nanotechnologie fördert.
Es bleibt daher ein Fehler, dass die Bundesregierung die Vorschläge vom französischen
Präsidenten, eine europäische Agentur für Sprunginnovationen und ein deutsch-französisches
KI-Zentrum zu etablieren, nicht angenommen und ernsthaft verfolgt hat. Stattdessen hat die
große Koalition eine allein national ausgerichtete Agentur für Sprunginnovationen etabliert.
Wir fordern, dass diese nun zumindest mit den europäischen Institutionen und Initiativen eng
verzahnt wird. Auch sind die geplanten 500.000 Euro Förderung für ein virtuelles deutsch-
französisches KI-Netzwerk viel zu wenig, um die besten Forscherinnen und Forscher
zusammenzubringen und tatsächlich Synergien zu etablieren.
Schnelles Netz ist die Grundlage für alles – Industrie, Mobilität, Landwirtschaft, digitale
Verwaltung, Teilhabe, ökonomischer Erfolg. Für Unternehmen ist der Breitbandausbau eine
harte Standortfrage. Und oftmals sind es gerade die ländlichen Regionen, die von schnellem
Internet abgehängt sind. Von der flächendeckenden Grundversorgung, die die Bundesregierung
versprochen hatte, sind wir weit entfernt. Für die digitale Infrastruktur Glasfaser und 5G-
Mobilfunk gibt es erhebliche Investitionslücken. Damit der Glasfaserausbau schneller
vorankommt, brauchen wir eine solide Finanzierung. Dies wollen wir dadurch ermöglichen, dass
der Bund seine Anteile an der Telekom verkauft, und sie in eine Ausbaugesellschaft für
Glasfaser investieren.
Neue Wege beim Urheberrecht
Wir wollen zudem in der Forschungsförderung stärker Output-basierte Modelle erproben und
beispielsweise Prämien für die Lösung von Zukunftsfragen öffentlich ausloben. Ferner wollen
wir eine weitgehende Verfügbarkeit von Basisinnovationen ermöglichen und dafür Open-Source-
Lösungen fördern. Wer sich verpflichtet, seine Forschungsergebnisse gebührenfrei der
Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen, erhält im Gegenzug großzügigen Zugang zu
Fördermitteln. Ein Beispiel, wie eine solche gemeinwohlorientierte Lizensierung gestaltet
werden kann, sind die Creative Commons Lizenzen, die seit Jahren erfolgreich die Rechte von
Urheber*innen waren und gleichzeitig Inhalte für andere zugänglich und nutzbar machen.
Auch dem Mittelstand wollen wir den Weg frei machen für eine Investitionsoffensive in
Forschung, Entwicklung und Innovation. Wir wollen die steuerliche Förderung bei Forschung
und Entwicklung nicht wie die große Koalition auch Großkonzernen gewähren, sondern explizit
den KMUs. Bei der Auftragsforschung sollen auch die Auftraggeber*innen einen Teil des
Steuerbonus geltend machen können.
8. Gleichwertige Lebensverhältnisse in Ost und West, Stadt und Land
Gemeinsam können wir dafür sorgen, dass Stadt und Land, dass strukturschwache und
wirtschaftsstarke Regionen nicht weiter auseinanderdriften. In den deutschen Kommunen klafft
eine öffentliche Investitionslücke bei der Infrastruktur von 138 Milliarden Euro. So viel
Geld fehlt in Kitas, Straßen, Brücken oder Spielplätzen, allein um die Substanz zu erhalten.
Viele Kommunen können das nicht finanzieren. Damit werden wir unserer Verpflichtung nach
gleichwertigen Lebensverhältnissen nicht überall im Land gerecht, was vor allem
strukturschwache Regionen, gerade in Ostdeutschland, betrifft.
Eine neue Gemeinschaftsaufgabe „regionale Daseinsvorsorge“ soll dem Bund erlauben,
strukturschwache Regionen finanziell zu unterstützen. Dafür wollen wir eine Kompetenzagentur
schaffen, welche die Kommunen bei der Planung von Investitionen und dem Abruf von
Fördermitteln unterstützt. Eine Förderung über alle Regionen hinweg führt oft dazu, dass
stärkere Regionen aufgrund ihrer funktionierenden Infrastruktur und Verwaltung die Mittel
als erstes beantragen und bekommen, während die schwächeren Regionen dann das Nachsehen
haben. Wir wollen die Förderung auf die wirklich strukturschwachen Regionen ausrichten. Die
beste Förderung hilft nicht, wenn die Mittel nicht dort ankommen, wo sie wirksam werden
sollen.
Wir wollen die aktuelle Förderung von ihrer Projektorientierung hin zu Prozessen ausrichten,
damit Projekte vor Ort langfristig gesichert sind und das Engagement der Leute vor Ort
nachhaltig gefördert wird. Daneben soll ein Altschuldenfonds Kommunen mit hohen Altschulden
neue Spielräume eröffnen, indem der Bund einen Teil der Schulden übernimmt, aber auch die
Verantwortung der Länder zum Tragen kommt sowie berücksichtigt wird, dass einige
Landesregierungen dies bereits aus eigener Kraft getan haben. Der Bund kann sich zu sehr
niedrigen – momentan sogar negativen – Zinsen finanzieren, und so den Kommunen wieder Luft
zum Atmen verschaffen. Die regionale Wirtschaftsförderung wollen wir neu ausrichten und
Regionen, die einen starken Strukturwandel zu bewältigen haben, mehr in den Blick nehmen.
Entscheidend für die Ansiedlung von Unternehmen ist nicht der Scheck vom Staat, sondern eine
exzellente Infrastruktur und gut ausgebildete Fachkräfte vor Ort. Wo es keinen Datenhighway
gibt, kann sich heute kein Unternehmen mehr ansiedeln.
Für die Lausitz hieße das zum Beispiel, dass man von den kleinen Orten schnell nach Cottbus
kommen kann, und von Cottbus schnell mit der Bahn nach Berlin. Schnelles Internet und das
digitale Büro würden es mit einem Arbeitsplatz in Berlin ermöglichen, an der
mecklenburgischen Seenplatte zu wohnen. Gute Bahnverbindungen würden die gelegentliche,
zügige Fahrt zur Firma erlauben. Wir wollen die regionalen Zentren stärken und zu
Ankerpunkten in den Regionen mit breitem Angebot an öffentlichen und kulturellen
Dienstleistungen machen. Wir wollen auch Universitäten und Fachhochschulen ansiedeln bzw.
erweitern, denn sie können einen Wissenstransfer in die lokale Wirtschaft organisieren.
Gleichzeitig bringen die gut ausgebildeten Studierenden eigene Geschäftsideen mit oder sind
künftige Fachkräfte für die lokale Wirtschaft. So kann es auch gelingen, junge Zugewanderte
zu motivieren, etwa in die Uckermark oder nach Ostsachsen zu ziehen.
9. Mit einer gemeinsamen Industriestrategie die Stärke des europäischen Binnenmarktes nutzen
Der Kern einer guten Industriepolitik liegt in der Stärkung der eigenen Innovationskraft,
nicht in der Abwehr von Konkurrenz. Trotzdem ist es wichtig, dass Deutschland und Europa
faire Regeln entwickeln und diese dann nach innen und außen durchsetzen.
Der europäische Binnenmarkt ist der größte gemeinsame Wirtschaftsraum der Welt. Kein großes
globales Unternehmen kann es sich leisten, auf diesem riesigen Markt nicht vertreten zu
sein. Den Europäischen Binnenmarkt müssen wir nutzen, um Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und
faire Spielregeln zu stärken, anstatt uns von nationalen Interessen auseinanderdividieren zu
lassen.
Wer auf dem europäischen Markt mitspielen will, muss den europäischen Regeln folgen. Mit der
Datenschutzgrundverordnung haben wir gezeigt, wie das geht. Entweder halten sich Unternehmen
daran, oder ihnen wird der Zugang zum Markt verwehrt. Mittlerweile macht die DSGVO
international Karriere.
Die Europäische Union muss dafür als starke und geeinte Akteurin gemeinsame Standards für
eine zukunftsfähige Wirtschaft entwickeln – statt Empfängerin der strategischen
Entscheidungen anderer zu sein. Wenn die USA auf einen finanzmarktgetriebenen Kapitalismus
und China auf autoritären Staatskapitalismus setzt, dann müssen wir uns nicht entscheiden,
sondern darauf eine europäische Antwort geben: mit einem Green New Deal für die sozial-
ökologische Marktwirtschaft.
Europa braucht eine gemeinsame Industriepolitik, deren Kern in der Stärkung der eigenen
Innovationskraft und der Durchsetzung von fairen Spielregeln für die Wirtschaft liegt – nach
innen wie nach außen. Ihre Ziele und Instrumente sollen sich an der Notwendigkeit einer
sozial-ökologischen Transformation der Wirtschaft orientieren. So kann der europäische
Binnenmarkt, auch aufgrund seiner Größe, zum Leitmarkt für die Welt werden.
Eine Industriestrategie zur Stärkung von Innovation und Nachhaltigkeit
Eine Industriestrategie muss in erster Linie Innovationen in Deutschland und Europa aktiv
vorantreiben, zum Beispiel durch ordnungspolitische Leitplanken und öffentliche Aufträge,
welche die Nachfrage nach neuen Technologien stimulieren. Sie soll dabei insbesondere auch
den ökologischen Wandel der Wirtschaft unterstützen, durch Maßnahmen wie eine langfristige
Klimaschutzstrategie, einen europaweiten CO2-Mindestpreis, oder die Förderung industrieller
Leuchtturmprojekte mit dem Ziel, Treibhausgasemissionen in den energieintensiven Branchen
abzubauen. Finanzmärkte müssen so reguliert werden, dass sich nachhaltige Investitionen
auszahlen und nicht benachteiligt werden. Auch die europäischen Investitionsprogramme müssen
auf Nachhaltigkeit getrimmt werden.
Eine Industriestrategie soll auch dafür sorgen, dass europäische Kräfte bei künstlicher
Intelligenz gebündelt werden und öffentliche Investitionen in europäische Gemeingüter
getätigt werden, wie in die Verkehrs-, Telekommunikations- und Energieinfrastruktur.
Rechtswidriger Steuerumgehung und Steuerbetrug erteilen wir eine Absage, denn auch
Unternehmen müssen sich angemessen an der Finanzierung öffentlicher Aufgaben beteiligen.
Auch gerechte Arbeitsbedingungen, Mindeststandards bei der sozialen Absicherung und eine
europäische Rückversicherung für die nationalen Arbeitslosenversicherungssysteme müssen Teil
einer solchen sozial-ökologischen Industriestrategie sein.
Wettbewerbsverzerrungen bekämpfen
Gegenüber staatlich subventionierten Monopolisten aus China und unregulierten
Digitalkonzernen aus den USA muss eine europäische Industriestrategie fairen Wettbewerb auf
dem europäischen Markt sicherstellen, zum Beispiel durch eine Weiterentwicklung der Anti-
Dumping- und Anti-Subventionsinstrumente, eine Reform der WTO und eine Schärfung der Regeln
im Kartellrecht. Auch muss die Europäische Union Wettbewerbsverzerrungen bei öffentlichen
Aufträgen stärker ahnden können. Ein Weg könnte sein, im Vergaberecht die Möglichkeiten zu
schaffen, Angebote aus Ländern, die ihre Firmen subventionieren, mit einem Aufschlag zu
versehen und auch bei Nicht-EU-Bietern hohe Arbeits- und Umweltstandards zu berücksichtigen.
Mittelfristig sollte das Prinzip der Gegenseitigkeit (Reziprozität) für Drittstaaten gelten,
damit es zu gleichen Wettbewerbsbedingungen kommen kann.
Kontrolle über kritische Infrastruktur
Ausländische Direktinvestitionen in Schlüsseltechnologien und kritische Infrastruktur
sollten besser überwacht werden. Der neue europäische Screening-Mechanismus für
Direktinvestitionen sollte in die deutsche Außenwirtschaftsordnung integriert und konsequent
angewandt werden. Denn wenn wir keine Kontrolle mehr über unsere kritische Infrastruktur
haben, haben wir ein riesiges Sicherheitsproblem, sind abhängig und im schlimmsten Fall
erpressbar.
Mit Blick auf die konkret anstehende Entscheidung zu 5G halten wir einen Ausschluss von
Huawei angesichts der chinesischen Rechtslage für unabdingbar. Viele kleinere europäische
Länder sind abhängig davon, wie Deutschland sich entscheidet. Zwar mag der Ausbau der
deutschen 5G-Netze durch Huawei kostengünstiger und schneller sein als durch europäische
Anbieter. In der Abwägung zwischen Fragen der wirtschaftlichen und technologischen Effizienz
und der außen- und sicherheitspolitischen Dimension einer solchen Entscheidung kommen wir
aber zu dem Schluss, dass die politische Einflussnahme und die bereits stattfindende
Spaltung Europas durch China nicht weiter zunehmen darf. Es geht auch darum, die
sicherheitsrelevante Infrastruktur nicht dem Zugriff eines Konzerns in einem autoritären
Staat zu überlassen. Und es wird auch über unsere wirtschaftliche Zukunft entscheiden, in
Europa noch Unternehmen zu haben, die in der Lage sind, die Technologien der Zukunft zu
bauen. Die Entwicklung von digitalen Standards ist systemrelevant.
Regulatorische Macht für sozial-ökologische Ziele
Auch global sollten wir Europäer*innen Regeln setzen und dazu unser gesamtes europäisches
Schwergewicht in die Waagschale werfen. Wer in Europa Produkte verkaufen will, muss fair
produzieren. Die Produktion muss im Einklang mit den Klimazielen von Paris stattfinden.
Menschen- und Arbeitsrechte und der Schutz der Umwelt müssen geachtet werden. Dafür braucht
es Handelsabkommen, die ökologische und soziale Standards gegenüber Handelspartnern
einklagbar machen und ein Lieferkettengesetz, das Transparenz und menschenrechtliche
Sorgfaltspflichten für Unternehmen rechtsverbindlich macht. Wir wollen den Einsatz neuer
Technologien fördern, die die Zwischenstufen im Produktionsprozess nachvollziehbar machen.
So verhindern wir zum Beispiel, dass bei uns Produkte verkauft werden, deren Vorprodukte mit
Kinderarbeit in Afrika hergestellt wurden.
Den Euro zur Leitwährung machen
Die wirtschaftliche Stärke Europas wird zentral davon abhängen, ob wir die Währungsunion
vollenden. Eine Währungsunion ohne makroökonomische Ausgleichsmechanismen kann nicht
funktionieren. Daher wollen wir eine gemeinsame europäische Fiskalpolitik für die Eurozone,
die im Abschwung beherzt gegensteuern, die Wirtschaft stabilisieren und europäische
Gemeingüter finanzieren kann. Diese Fiskalpolitik könnte sich auch über europaweite Steuern
wie eine Digitalkonzernsteuer, eine Finanztransaktionssteuer oder eine europäische
Körperschaftsteuer finanzieren. Investitionen des gemeinsamen Haushalts sollten für
europäische Gemeingüter wie den Klimaschutz, den Ausbau der erneuerbaren Energien,
Kommunikation und Internet oder die Schieneninfrastruktur eingesetzt werden. Ein
Eurozonenbudget, das stabilisiert und investiert, sollte mindestens ein Prozent des BIP der
teilnehmenden Staaten umfassen, um makroökonomisch wirksam zu sein.
Kaum ein Land in der EU profitiert so stark von der gemeinsamen Europäischen Währung.
Anstatt sich als Exportnation zu feiern, sollte Deutschland zum Wohle und Wohlstand aller
daher besonders in die Stärkung der Eurozone investieren. Für den Ausbau der paneuropäischen
Infrastruktur wie zum Beispiel grenzüberschreitender Strom- oder Bahnnetze macht es Sinn,
gemeinsame europäische Anleihen zu schaffen, über die ein Teil dieser Investitionen im
Rahmen des EU-Haushalts über Kredite finanziert werden kann. Mit einem großen Markt für
liquide europäische Anleihen kann es uns gelingen, den Euro zu einer Leitwährung zu machen,
was den globalen ökonomischen und politischen Einfluss der Union massiv stärken würde.
Den Europäischen Rettungsschirm ESM wollen wir zu einem vollwertigen Europäischen
Währungsfonds weiterentwickeln, im EU-Recht verankern und der demokratischen Mitbestimmung
und Kontrolle durch das Europäische Parlament unterwerfen. Wir brauchen eine gemeinsame
europäische Einlagensicherung. Sie soll als Rückversicherung ausgestaltet sein, damit die
europäische Sicherung erst eingreift, wenn die nationale überfordert ist. Die deutschen
Sparkassen und Genossenschaftsbanken können so weiter auf ihre bewährten
Institutssicherungssysteme setzen.
Für einen Ausgleich von makroökonomischen Ungleichgewichten innerhalb Europas und zur
Stärkung der europäischen Nachfrage muss Deutschland aktiv seinen überbordenden
Leistungsbilanzüberschuss reduzieren und den europäischen Partnern mehr Luft zum Atmen
lassen, und darf nicht zu einer einseitigen und spaltenden Sparpolitik zurückkehren. Um dies
zu erreichen wollen wir in Deutschland für faire Löhne besonders am unteren Ende der
Einkommensskala sorgen und die Investitionen hochfahren.
10. Fairer Wettbewerb statt Machtwirtschaft
Wettbewerb ist Grundlage der Marktwirtschaft und Motor des Fortschritts. Ein starkes
Kartellrecht, das fairen Wettbewerb sichert und die Konzentration wirtschaftlicher Macht
begrenzt, ist nicht nur für die Wirtschaft, sondern auch für das Funktionieren der
Demokratie wesentlich. Es hält Märkte offen und sorgt dafür, dass sich die beste Idee
durchsetzt und nicht stets der Platzhirsch. Fehlt der Wettbewerb, können Monopolisten hohe
Gewinne auf Kosten der Verbraucher*innen machen und Startups in ihrer Entwicklung behindern.
Eine exzessive Marktkonzentration geht einher mit der Konzentration von Vermögen und erhöht
die Ungleichheit. Und wer Märkte kontrolliert, kann auch politische Kontrolle ausüben und
Spielregeln mitbestimmen.
Das Wettbewerbsrecht braucht ein Update. Digitale Geschäftsmodelle ändern
Geschäftsbeziehungen und Wettbewerbsdynamik. Nutzer*innen zahlen für viele Dienste im
Internet nicht mit Geld, sondern mit Daten. Netzwerkeffekte machen einzelne Plattformen zu
Giganten mit riesigen Datenschätzen. Ihre Marktmacht können sie missbrauchen, um
Datenschutzbestimmungen abzusenken, Geschäftspartner*innen Preise zu diktieren oder
Konkurrent*innen auszubooten.
Wir wollen marktbeherrschende digitale Plattformen streng regulieren. Wenn sie anderen
Firmen den Marktzugang verwehren oder absurde Konditionen verlangen, müssen die
Kartellbehörden hart dagegen vorgehen. Damit die europäische Wettbewerbspolitik den
Anforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht wird, brauchen wir ein eigenständiges,
europäisches Kartellamt mit angemessenen Mitteln und Personal. Dieses Kartellamt soll auch
als europäische Digitalaufsicht fungieren, die natürliche digitale Monopole und Oligopole
regulieren kann.
Heute muss die Kartellaufsicht den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung nachweisen,
um ein Unternehmen entflechten zu können. Das ist in der Regel kaum möglich. Wir treten
daher dafür ein, dass Unternehmen auch unabhängig von einem Missbrauch aufgespalten werden
können, wenn ihre Marktmacht zu groß und zum Problem für Wirtschaft und Gesellschaft wird.
Das Facebook-Monopol ist beispielsweise so ein Fall. Wir wollen Instagram, Facebook und
WhatsApp wieder entflechten. Indem wir die Grundsätze der Interoperabilität, wie sie heute
bei Telefon, SMS und Mail selbstverständlich sind, auf Messenger-Dienste übertragen, wollen
wir den Markteintritt neuer Anbieter erleichtern und den Wettbewerb um die besten
Datenschutzbestimmungen entfachen.
Wir Grüne wollen, dass das Wettbewerbsrecht im Sinne der europäischen Verträge angewandt
wird. Umweltschutz und die Förderung einer nachhaltigen Entwicklung müssen dabei
berücksichtigt werden. Die Fusionen von Bayer und Monsanto sowie weiterer Agrochemiekonzerne
sind zum Beispiel nicht nur für den Wettbewerb problematisch, sondern auch für die Umwelt.
Fehlende Sortenvielfalt, Pestizideinsatz und Artensterben sind die Folgen.
Wer fairen Wettbewerb will, muss Foulspieler*innen vom Platz stellen. Der Abgasskandal hat
einmal mehr gezeigt, wie Unternehmen versuchen, fairen Wettbewerb durch Betrug zu umgehen.
Wir Grüne wollen solch gemeinwohlschädliches Verhalten strikt ahnden. Wir wollen eine
gesetzliche Regelung, welche die bessere Verfolgung und Sanktionierung von Straftaten
ermöglicht, die aus Unternehmen heraus begangen werden. Dabei muss der Staat seine Rolle als
fairer Schiedsrichter auch wahrnehmen. Der Abgasskandal ist auch ein Beispiel dafür, dass er
das nicht immer tut – denn er wurde erst durch die jahrelange Kumpanei von Autoindustrie,
Aufsichtsbehörden und Politik möglich. Und um den Einfluss von Lobbyist*innen und
Interessengruppen auf den Bundestag offenzulegen, wollen wir ein verpflichtendes
öffentliches Lobbyregister einrichten.
Bisher gibt es in Deutschland und Europa keine finanziellen Entschädigungen für die vom
Dieselskandal Betroffenen. Für Einzelne ist es oft viel zu schwer, das geltende Recht auch
zur Geltung zu bringen. So weigern sich etwa Fluggesellschaften, Entschädigungsansprüchen
nachzukommen. Auch auf unseren Druck hin ist es gelungen, in Deutschland erstmals
Musterfeststellungsklagen zu ermöglich. Sie sind aber unzureichend, denn immer noch muss
jede* Betroffene einzeln klagen. Daher wollen wir endlich Gruppenklagen ermöglichen, um das
Prozessrisiko auf viele Schultern zu verteilen.
11. Faire Welthandels- und Währungsordnung schaffen
Uns geht es um eine Re-Regulierung der Globalisierung. Die vergangenen Jahre haben gezeigt:
Eine unregulierte Globalisierung führt zur Ausbeutung von Menschen und Umwelt und
beschleunigt die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen. Die Wohlstandsgewinne aus
internationalem Handel sind ungleich verteilt. Rechtsextremisten und Nationalisten benutzen
die berechtigte Kritik an einer neoliberalen Globalisierung, um einen Rückfall in den
Nationalismus zu propagieren. Das ist die falsche Antwort. Wir stellen eine freiheitliche
und weltoffene Antwort dagegen. Richtig genutzt kann eine gute Handelspolitik Umweltschutz,
Klimaschutz, Menschenrechte, Arbeitnehmer*innenrechte und Wirtschaftsinteressen in Balance
bringen. Und so die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen erhalten, im globalen Süden
Gerechtigkeit schaffen und Demokratieverdrossenheit bekämpfen.
Doch hierfür brauchen wir eine Neuausrichtung der EU Handelspolitik. Das Mercosur-Abkommen,
das die EU unter anderem mit Brasilien abschließen will, ist das letzte fatale Beispiel
einer Agenda, die Liberalisierung, Deregulierung und hochproblematische
Konzernschiedsgerichte in den Mittelpunkt von Verträgen wie schon bei TTIP, CETA oder JEFTA
stellt, jedoch keine effektiven Schutzmechanismen für Klima, Umwelt, Menschenrechte,
Arbeitnehmer*innen und Verbraucher*innen enthält. Der brennende Amazonas führt uns diese
fatale Logik mehr als deutlich vor Augen, denn die zwischen der EU und den Mercosur-Staaten
vereinbarten Handelserleichterungen für Soja und Rindfleisch wirken für den Regenwald wie
ein Brandbeschleuniger. Wir wollen deshalb einen Importstopp von Agrarprodukten aus
gerodeten Gebieten des Amazonas sowie von Palmöl aus dem indonesischen Regenwald.
Mittlerweile wird auch immer mehr europäischen Regierungen klar, dass die
Nachhaltigkeitsklauseln im Abkommen zahnlos sind und für das Klima, den Regenwald und die
dort heimischen Indigenen keinen ausreichenden Schutz bieten, da es keinen wirkungsvollen
Sanktionsmechanismus gibt, durch den Handelserleichterungen zurückgenommen werden könnten.
Wir Grüne lehnen dieses Abkommen wie auch CETA und JEFTA in ihrer bisherigen Form ab, denn
trotz einzelner Verbesserungen erfüllen sie die Bedingungen an fairen Handel nicht.
Stattdessen ist es an der Zeit für ein Bündnis für fairen Handel – aufbauend auf den
Korrekturen, die es nach der umfassenden Kritik gerade auch der Zivilgesellschaft bereits
gegeben hat und die auch einige europäische Regierungen zum Umdenken gebracht haben.
Die EU sollte dabei nicht wie bisher auf ein Sammelsurium bilateraler Handelsverträge
setzen, sondern auf einen gemeinsamen plurilateralen Vertrag all derjenigen Staaten, die
bereit sind, Handel fair, offen und ökologisch sowie die Globalisierung gerecht zu
gestalten. Der Fokus muss auf diskriminierungsfreien Marktzugängen und Zollerleichterungen
liegen. Starke Regeln für faire Märkte gehören dabei zum Kern des Abkommens. Das beinhaltet
zentrale internationale Abkommen wie die ILO-Kernarbeitsnormen oder das Pariser
Klimaschutzabkommen. Handelserleichterungen könnten somit auch wieder aufgehoben werden,
wenn ein Handelspartner zum Beispiel den Klimavertrag von Paris aufkündigt oder dessen Ziele
nicht einhält. Das gleiche gilt für den Verstoß gegen Menschenrechte und auch für die Nicht-
Einhaltung von Mindeststandards für Umwelt und Arbeit.
Das Vorsorgeprinzip wollen wir zum Schutz von Umwelt und Verbraucher*innen für alle Teile
von Handelsverträgen geltend machen. Parlamente dürfen durch Regeln zur regulatorischen
Zusammenarbeit in Handelsabkommen nicht umgangen oder geschwächt werden. Faire
Handelspolitik lässt den Staaten, Regionen und Kommunen Freiräume, um Dienstleistungen so zu
organisieren und zu regulieren, wie sie das für richtig halten.
Statt einseitiger Sonderklagerechte für private Investoren (ISDS/ICS) setzen wir uns für
einen ständigen internationalen Handelsgerichtshof ein, vor dem auch Betroffene klagen
können, wenn Unternehmen gegen grundlegende Menschenrechte, Sozial- oder Umweltstandards
verstoßen.
Lieferkettengesetz einführen
Damit Menschenrechte und Umwelt in internationalen Lieferketten nicht länger unter die Räder
geraten, wollen wir gesetzliche Regeln zu Transparenz und Sorgfaltspflichten für Unternehmen
einführen. Das beinhaltet, dass die EU nachvollziehbare entwaldungsfreie Lieferketten
verbindlich durchsetzt. So kann bei Bruch von internationalen Verträgen und Verpflichtungen
ein Importstopp von Agrarprodukten wie zum Beispiel für Soja und Rindfleisch aus gerodeten
Gebieten des Amazonas verhängt werden. In der öffentlichen Beschaffung sollte Deutschland
mit gutem Beispiel voran gehen und nur noch Produkte aus nachweislich entwaldungsfreien
Lieferketten einkaufen.
Und wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie sich endlich aktiv am Prozess der
Vereinten Nationen zur Erreichung eines völkerrechtlichen Abkommens (UN Binding Treaty
Prozess) beteiligt, mit dem transnationale Konzerne und andere Wirtschaftsunternehmen für
Menschenrechtsverstöße zur Verantwortung gezogen werden sollen.
Handel nicht auf Kosten der Ärmsten
Handel ist ein wichtiger Motor von Entwicklung, wenn er läuft. Damit er aber anspringt, kann
es nötig sein, einzelne Sektoren durch Handelsbarrieren zu schützen, bis sie konkurrenzfähig
sind. Die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (WPA) sind dafür kontraproduktiv. Wir wollen
Entwicklungsländern genügend Raum lassen, durch Zölle und Quoten ihre Märkte zu schützen.
Gleichzeitig fordern wir, dass die EU ihre Zölle auf verarbeitete Produkte aus
Entwicklungsländern senkt oder abschafft, um die Produktion vor Ort zu fördern. Wir wollen
die regionale Integration von Entwicklungsländern fördern. Und wir bevorzugen die
Welthandelsorganisation und multilaterale Abkommen gegenüber bilateralen Handelsabkommen, da
die Interessen insbesondere ärmerer Länder ansonsten drohen, unter die Räder zu geraten.
Entwicklungschancen für rohstofffördernde Länder
Bei Gewinnung, Verarbeitung und Nutzung von Bodenschätzen geht es auch um
Entwicklungschancen für die rohstofffördernden Länder. Der überproportionale Verbrauch von
Rohstoffen in den Industrieländern gibt uns nicht das Recht auf überproportionalen Zugang.
Nur eine faire Verteilung gewährleistet auch eine langfristig friedliche Zukunft. Daher
setzen wir auf internationale und kooperative Lösungsansätze. Häufig geht der Abbau von
Rohstoffen mit gravierenden Menschenrechtsverletzungen einher. Die EU-Verordnung zu
Konfliktmineralien tritt 2021 in Kraft und ist ein wichtiger Schritt, um den schlimmsten
Verbrechen Einhalt zu gebieten. Wir setzen uns dafür ein, die Verordnung auszuweiten, denn
bisher sind nur vereinzelte Rohstoffe abgedeckt. Gleichzeitig ergeben sich auch Vorteile,
wenn der Zugang zu und der Handel mit Rohstoffen stabil und langfristig ist. Voraussetzung
dafür ist, dass die menschenrechtlichen, sicherheits-, umwelt- und demokratiepolitischen
Konsequenzen mitberücksichtigt und dafür jeweils Standards geschaffen werden. Diese müssen
auf verschiedenen Ebenen ansetzen: im Herkunftsland, bei Investor*innen und Unternehmen, im
Verbraucherland und auf internationaler Ebene.
Sichere und stabile Weltwährungsordnung schaffen
Nachdem in den 1970er Jahren das internationale Währungssystem „Bretton Woods“ aufgekündigt
wurde – es regelte die internationalen Finanz- und Wechselkursbeziehungen – waren die
Staaten nicht bereit, eine neue gemeinsame Ordnung zu etablieren. Stattdessen ließen die
großen Industrienationen ihre Wechselkurse weitgehend frei schwanken und die internationalen
Finanzinstitutionen setzten sich für einen unbeschränkten internationalen Kapital- und
Finanzverkehr ein. Regelmäßige Währungs- und Finanzkrisen haben seitdem die Welt erschüttert
und vor allem weniger entwickelte Länder wurden durch spekulative Kapitalflüsse in ihrer
Entwicklung immer wieder zurückgeworfen. Gleichzeitig sind die globalen
Handelsungleichgewichte explodiert und stellen einen neuen Herd der Instabilität dar. Wir
wollen international im Rahmen der G20 eine Diskussion über ein neues System stabilisierter
Wechselkurse anregen. In der Überzeugung, dass wir so Spekulation eindämmen, Entwicklung und
Handel fördern und Handelsungleichgewichte abbauen könnten.
Für die ärmsten Länder der Welt ist die öffentliche Entwicklungsfinanzierung zentral. Wir
streben eine Weltwährungsordnung an, die es nicht nur den wohlhabenden Ländern ermöglicht,
langfristige Investitionen auch langfristig und damit verlässlich zu finanzieren. Dafür
müssen kurzfristige, spekulative Finanzströme reguliert, verteuert und notfalls auch
verboten werden. Wir müssen uns gegen spekulative Attacken auf Staaten und ihre Währungen
absichern. Dafür braucht es globale öffentliche Institutionen. Hier sind aber keine
kurzfristigen Erfolge zu erwarten. Um dennoch schnell zu einer Veränderung zu kommen, wollen
wir, dass die Europäische Zentralbank die Auswirkungen ihrer Politik auf Entwicklungsländer
berücksichtigt und diese unterstützt. Entwicklungsländern, die durch ungerechtfertigte
Währungsspekulationen unter Druck geraten, soll sie zur Seite springen können, sofern es mit
den geldpolitischen Zielen vereinbar ist. Hierfür könnten zum Beispiel Devisenswap-
Vereinbarungen oder Art. 219 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union
(AEUV) zur Festlegung von Wechselkurspolitiken genutzt werden.
Die multilateralen Finanzinstitutionen IWF und Weltbank können beim Erreichen der globalen
Nachhaltigkeitsziele (SDGs) und dem weltweiten sozial-ökologischen Umbau eine entscheidende
Rolle spielen. Dafür müssen sie ihren Ankündigungen Taten folgen lassen und endlich den
Menschen dienen. Dazu gehört derzeit ganz konkret ihr Engagement konsequent am Pariser
Klimaabkommen auszurichten. Wir dürfen sie nicht aus der Verantwortung entlassen, selbst zu
einer stabilen, nachhaltigen und armutsmindernden globalen Finanzarchitektur beizutragen.
12. Stabile Finanzmärkte und sichere Anlagen
Banken und Finanzmärkte sollen dazu dienen, Bürgerinnen und Bürger attraktive
Sparmöglichkeiten anzubieten und Investitionen zu finanzieren. Mit geeigneten Regulierungen
und einer umfassenden Finanztransaktionssteuer wollen wir reine Spekulationsgeschäfte und
vor allem den Hochfrequenzhandel unattraktiv machen. Lokal agierende kleine und mittelgroße
Banken in Deutschland, und immer stärker auch wieder im Rest der EU, stellen für die meisten
Firmen die Kreditversorgung sicher. Deshalb wollen wir das Lokalbankenprinzip in ganz Europa
verankern. Öffentliche Banken sind dem Gemeinwohl in besonderer Weise verpflichtet.
Sparkassen sollen daher Gemeinwohlberichte erstellen und transparenter werden, was die
Offenlegung von Gehältern angeht.
Mit einem Regulierungssystem aus klaren, harten aber deutlich weniger komplexen Regeln
werden kleine Banken entlastet. Unsere Schuldenbremse für Banken – eine ungewichtete
Eigenkapitalquote von zehn Prozent – stellt sicher, dass genügend Sicherheitspolster
vorhanden sind. Großbanken müssen kleiner werden. Durch ein effektives Trennbankensystem,
hohe Eigenkapitalanforderungen und eine vollendete Bankenunion werden sie nicht mehr das
Finanzsystem gefährden können. Die Rettung von Banken mit Geld der Steuerzahler*innen gehört
dann der Vergangenheit an.
Mit den Möglichkeiten der Digitalisierung können neue Akteure auf den Finanzmärkten
entstehen bzw. wachsen. Sie machen für viele den Finanz- und Zahlungsverkehr einfacher und
schneller und bieten neue Anlagemöglichkeiten. Wir wollen hier klare Wettbewerbsregeln
schaffen, in welchen weder Banken noch große Tech-Unternehmen ihre dominante Stellung nutzen
können, um unliebsame Konkurrenten und Innovationen zu behindern. Die Einführung eines E-
Euros bietet Chancen beim Zahlungsverkehr und für neue innovative Dienstleistungen. Diese
von den Zentralbanken des Eurosystems eingeführte elektronische Währung soll auch vielen
Menschen im Alltag als einfaches, sicheres und bequemes Zahlungsmittel dienen. Privates Geld
wie etwa der von Facebook geplante Libra hingegen würde kein Problem lösen, aber potentiell
viele neue schaffen. Eine Verdrängung kleiner Unternehmen über die Währung eines Konzerns,
die Anhäufung von Zahlungsverkehrsdaten bei einem Unternehmen mit ohnehin schon
problematischer Datenmacht und die Aushöhlung des staatlichen Geld- und Währungsmonopols
lehnen wir ab und werden Libra nicht zulassen.
Versicherungen und Pensionsfonds stecken derzeit in finanziellen Problemen, weil sich ihre
Zinserwartungen nicht erfüllt haben. Die große Koalition hat widerholt Maßnahmen
eingeläutet, um die Krise der Versicherer einseitig auf Kosten der Kunden zu lösen. Diese
Politik lehnen wir entschieden ab. Wir werden im Falle einer Schieflage einer Versicherung
eine faire Lastenverteilung zwischen den Eigentümer der Unternehmen und der Kunden
gewährleisten. Das Volumen des Sicherungsfonds Protektor ist im Falle einer Krise viel zu
gering. Um Abhilfe zu schaffen, muss das Volumen des Fonds deutlich erhöht werden. Auch
sollte ein europäisches Rückversicherungssystem eingeführt werden. Außerdem werden wir es
nicht mehr gestatten, dass die Unternehmen Versicherungsverträge ohne die Zustimmung des
Kunden weiterverkaufen.
Die Finanzberatung muss sich grundlegend wandeln. Durch Provisionen kommt es heute dazu,
dass Anleger*innen nicht die passenden Produkte empfohlen werden, sondern die mit den
höchsten Provisionen. Mit dem schrittweisen Übergang zur Honorarberatung – der Kunde zahlt
die Beratung also nicht mehr indirekt über die Provision, sondern direkt an die Berater*in,
dafür ist das Produkt dann günstiger – wird sich die Qualität der Beratung verbessern und
sich das Berufsbild der Berater*innen wandeln.
Ein Bürgerfonds für stabile und rentable Anlagemöglichkeiten
Damit die Bevölkerung in Deutschland mehr von den volkswirtschaftlichen Gewinnen der
Wirtschaft profitieren kann, schlagen wir die Errichtung eines Bürgerfonds vor. Er soll all
den Bürgerinnen und Bürgern eine Beteiligung an Wohlstandsgewinnen sichern, deren Einkommen
zu klein sind, um selbst Vermögen in Aktien, Immobilien oder anderen Werten anzusparen. In
den Bürgerfonds zahlt jede Bürger*in automatisch einen bestimmten Teil seines Einkommens
ein. So stellen wir für den Fonds eine hohe Anlagesumme sicher und senken damit die
Verwaltungskosten. Wer aber andere Formen der Anlage bevorzugt, kann der Einzahlung in den
Bürgerfonds einfach widersprechen (Opt-out). Um Fehler von Riester zu vermeiden, wird der
Fonds keine Zinsgarantien gewähren, weil sie die Rendite mindern. Sicherheit werden wir
stattdessen über eine breit gefächerte, diversifizierte, nachhaltige und langfristige
Anlagestrategie gewährleisten. Der Bürgerfonds bietet also Menschen, die kleine Ersparnisse
haben, eine risikoarme und vor allem extrem preiswerte Anlageform. Auch die Wirtschaft wird
von diesem Fonds profitieren. Denn es tritt ein gewünschter Nebeneffekt ein: Das Kapital ist
nicht von einer kurzfristigen Renditeerwartung getrieben, sondern einer nachhaltigen
Anlageentwicklung verpflichtet.
13. Gemeinwohlorientierte Unternehmen stärken
Viele Unternehmen engagieren sich für ökologische und soziale Ziele. Immer mehr Unternehmen
schreiben diese gesellschaftlichen Ziele parallel zum wirtschaftlichen Erfolg verbindlich
fest. Diese ökonomische Bürger*innenbewegung werden wir systematisch stärken. Unser Ziel ist
eine Gründungswelle neuer Genossenschaften und Sozialunternehmen.
Öffentliche Finanzierungsprogramme der Wirtschaftsförderung, Informationsangebote für
Gründer*innen und Beratungsangebote für Unternehmen werden wir systematisch für alle
Unternehmungen öffnen. So wollen wir auch Genossenschaften, Social Startups und Vereine
stärken, die wirtschaftlich aktiv sind.
Die Unternehmen der sozialen und solidarischen Ökonomie brauchen attraktive Rechtsformen.
Eine vereinfachte, allgemeinverständliche Mustersatzung für Genossenschaften wollen wir in
Zusammenarbeit mit den Genossenschaftsverbänden breit zugänglich machen. Kleine
Genossenschaften werden wir von einschlägigen Auflagen des Handelsrechts entlasten. Die
Überarbeitung der Rechtsformen soll ermöglichen, dass Unternehmen der solidarischen Ökonomie
sichtbarer werden und dadurch in Deutschland und in Europa besser vertreten sind.
Sozialgenossenschaften sollen künftig nicht mehr durch ein faktisches Kombinationsverbot von
bezahlter und ehrenamtlicher Arbeit behindert werden. In eine gesetzliche Reserve
eingestellte Gewinne wollen wir von der Körperschafts- und Gewerbesteuer freistellen. So
stärken wir die Eigenkapitalbasis und Investitionsfähigkeit von Genossenschaften. Auf
europäischer Ebene setzen wir uns für ein Label von Produkten aus der sozialen und
solidarischen Ökonomie ein. Wer keinen Gewinn machen will, ist auf eine günstige
Finanzierung angewiesen. Wir wollen Sozialunternehmen diese bereitstellen, zum Beispiel über
Kreditprogramme der öffentlichen Förderbanken.
Zugleich gilt es, den Bürgerenergiegenossenschaften die regulativen Fesseln abzunehmen,
damit sie wieder zu kraftvollen Akteuren der Energiewende werden. Wir wollen die EU-
Richtlinie über den Elektrizitätsbinnenmarkt so wirtschaftsfreundlich in deutsches Recht
übersetzen, dass die Bürgerenergie umfassend gestärkt wird. Beim Mieterstrom wollen wir
hinderliche Preisvorgaben abschaffen, um dezentrale Investitionen in Erneuerbare zu
ermöglichen.
Viele Unternehmen engagieren sich im Rahmen der Gemeinwohlökonomie. Wir wollen, dass auch
Unternehmen im Bundesbesitz Gemeinwohlbilanzen erstellen. Die Gemeinwohlbilanzen wollen wir
im europäischen und deutschen Recht verankern. Auch heutige gewinnorientierte Rechtsformen
wie die Aktiengesellschaft sollen sich per Mehrheitsbeschluss künftig andere Ziele geben
können als die Maximierung des Profits, ohne dass sie dem Risiko ausgesetzt sind, dass
Minderheitsgesellschafter dagegen klagen.
14. Investitionen solide und gerecht finanzieren
Wir wollen die öffentlichen Investitionen deutlich steigern. Ein Land, in dem jede achte der
insgesamt 40.000 Brücken marode ist, das weniger Geld in Bildung steckt als fast all seine
Nachbarländer, das für seine Funklöcher berüchtigt ist statt berühmt für seine Smartphones,
ein solches Land lebt von vergänglicher Substanz. Es wird dauern, die politischen Vorzeichen
auf Vernunft zu drehen. Umso wichtiger ist es, jetzt damit zu beginnen. Investitionen
schaffen öffentliche Güter. Sie kosten Geld, aber wenn in das Richtige, Zukunftsfähige
investiert wird, schaffen sie Wohlstand. Jede Ausgabe, die der Staat so tätigt, führt in der
Wirtschaft zu Einnahmen und es werden Jobs geschaffen. Für einen Euro, den wir klug
investieren, kann unsere Wirtschaftsleistung um deutlich mehr als einen Euro steigen.
Wir wollen diese Investitionen finanzieren, indem wir Fehlanreize abstellen, Gelder
umschichten und gezielt Investitionen über Kredite ermöglichen. Wir unterscheiden dabei
zwischen einmaligen Investitionen und dauerhaften Ausgaben. Diese dauerhaften Ausgaben zum
Beispiel für Bildung und Gerechtigkeit sind für den sozialen Ausgleich und den Zusammenhalt
der Gesellschaft essenziell. Diese dauerhaften Ausgaben wollen wir durch laufende
Steuereinnahmen, eine gerechtere Besteuerung von Vermögen und die Bekämpfung von
Steuerbetrug und -umgehung gegenfinanzieren.
Bisher scheitern Investitionsprogramme auch an mangelnden Kapazitäten in der Bauwirtschaft
oder in den Planungsabteilungen des öffentlichen Dienstes. Unsere Investitionspolitik ist
deshalb verlässlich und langfristig angelegt, so dass sowohl die private Bauwirtschaft als
auch der öffentliche Dienst wieder mehr Kapazitäten aufbauen können. Wir investieren
dauerhaft und nachhaltig.
Investitionsgesellschaften gründen
Viele Investitionen schaffen werthaltige Wirtschaftsgüter, mit denen sich Einnahmen erzielen
lassen. Eine Stromleitung erzielt Einnahmen durch den durchgeleiteten Strom. Das gleiche
gilt analog für Ladeinfrastruktur für Elektroautos, Breitband für Internet und vieles
andere. Um diese Investitionen effizient durchzuführen, werden wir sie jeweils in
öffentlichen Investitionsgesellschaften bündeln, darüber finanzieren und stringent managen.
Damit werden wir nachhaltige Werte für die nächste Generation schaffen, die sich auch
wirtschaftlich rechnen, insbesondere in Zeiten von Nullzinsen, ja mitunter sogar negativer
Zinsen.
Die grundgesetzlichen Regelungen zur Schuldenbremse sehen vor, dass die Verschuldung von
öffentlichen Gesellschaften wie zum Beispiel der Bahn, Wohnungsbaugesellschaften oder
öffentlichen Krankenhäusern nicht auf die Schuldenbremse angerechnet werden. Das gleiche
gilt für die neu zu gründenden Investitionsgesellschaften. Daher werden wir sie aus dem
Investitionsfonds mit genügend Eigenkapital ausstatten, damit sie sich wie jedes private
Unternehmen auch am Finanzmarkt selbst zusätzliches Kapital besorgen können. Der Bund gibt
für diese Kreditaufnahme eine Staatsgarantie. So könnte der Bund zum Beispiel eine
Ladesäulengesellschaft neu gründen, der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben für
Wohnungsneubau und Gebäudesanierung eine Kreditaufnahme erlauben und die Verschuldungsgrenze
bei der Deutsche Bahn erhöhen. Good Governance und demokratische Beteiligung sollen für
Transparenz und Kontrolle sorgen. Die Regierung muss steuern können und für Parlament und
Öffentlichkeit müssen Entscheidungen und Mittelverwendung transparent sein. Die
Privatisierung dieser Gesellschaften wollen wir dauerhaft ausschließen, damit öffentliches
Vermögen auch öffentlich bleibt.
Die Begrenzung der Staatsschulden mit Investitionen in Infrastruktur kombinieren
Es war richtig, dass sich Deutschland Regeln gegeben hat, die dafür sorgen, dass es nicht zu
exzessiver Verschuldung der öffentlichen Hand kommt. Sie haben – gemeinsam mit der
Geldpolitik der Europäischen Zentralbank – geholfen, die Verschuldung einzudämmen. In
Deutschland ist die Schuldenquote so von 80 Prozent auf unter 60 Prozent der
Wirtschaftsleistung zurückgegangen. An diesem Erfolg wollen wir festhalten.
Aber nicht nur Schulden im Haushalt sind Schulden. Wenn wir jetzt nicht in Bildung,
Innovation und Forschung sowie in Maßnahmen zum Klimaschutz investieren, verspielen wir
unseren zukünftigen Wohlstand. Außerdem würden die Finanzmärkte, die immer auch sichere
Anlagemöglichkeiten wie Staatsanleihen brauchen, bei einem immer geringeren Schuldenstand
nicht mehr stabil funktionieren, weil ihnen sichere Anlagemöglichkeiten fehlen. Wir wollen
daher die Schuldenbremse im Rahmen der europäischen Stabilitätskriterien weiterentwickeln
und sie mit einer verbindlichen Investitionsregel verknüpfen. Wenn der Bund mehr investiert
als sein Vermögen an Wert verliert – wenn er also neue Werte schafft – soll dies auch durch
die Platzierung von neuen Anleihen finanziert werden können. Die öffentlichen Investitionen
sollen mindestens so hoch sein, dass sich das öffentliche Vermögen nach Abnutzung und
Wertverlusten mindestens im Gleichklang mit der Wirtschaftsleistung bewegt.
Diese Möglichkeit ist für Deutschland entsprechend den europäischen Vorgaben daran gebunden,
dass die öffentliche Schuldenquote unterhalb der Maastricht-Marke von 60 Prozent des BIP
liegt und das strukturelle Defizit maximal ein Prozent der Wirtschaftsleistung beträgt.
Durch diese Beschränkungen würde auch durch die vorgeschlagene Möglichkeit zusätzlicher
Investitionen die Schuldenquote weiter auf unter 40 Prozent fallen. Das gilt umso mehr, als
dadurch zusätzliche Nachfrage und damit wirtschaftliche Entwicklung entsteht. Gerade im
Falle eines bevorstehenden Abschwungs halten wir diese Möglichkeit für sinnvoller als etwa
pauschale Steuererhöhungen oder Ausgabenkürzungen, denn diese würden den Abschwung noch
verschärfen. Das wäre das Gegenteil einer nachhaltigen Finanzpolitik.
Durch unseren Vorschlag dürfte der Bund im Durchschnitt etwa 35 Milliarden Euro pro Jahr
Kredite aufnehmen. Diese Gelder wollen wir in einen Bundesinvestitionsfonds überführen, der
als Sondervermögen im Bundeshaushalt nicht der Jährlichkeit des Haushalts unterliegt. Er
kann dann zweckgebunden investieren und auch eine stärkere antizyklische Wirkung entfalten.
Um den Investitionsfonds abzusichern und sauber zu implementieren, streben wir eine Änderung
des Grundgesetzes an.
Für eine optimale Steuerung von Staatsschulden und Investitionen erhalten Länder und
Kommunen einen verbindlich vereinbarten Anteil aus den Mitteln des Bundes-Investitionsfonds,
an dem alle Länder partizipieren und selbst entscheiden können, für welchen der vorgegebenen
investiven Zwecke sie die Mittel einsetzen. Die Schuldenbremse für die Länder (null
Verschuldung in Zeiten der Normalkonjunktur) soll beibehalten werden.
Es ist richtig, dass die Maastricht-Kriterien die Staatsverschuldung auch auf europäischer
Ebene begrenzen. Bei der anstehenden Reform wollen wir die Anreize für staatliche
Investitionen im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspakts verbessern. Zum Beispiel indem
Investitionsausgaben bei der Berechnung der Defizitquoten ähnlich wie private Investitionen
über mehrere Jahre abgeschrieben werden können. Damit stärken wir öffentliche Investitionen
gerade in Zeiten des wirtschaftlichen Abschwungs.
1 Wir beschreiben im Antrag „Handeln – und zwar jetzt“ ausführlich unseren Maßnahmenplan für
einen radikal realistischen und sektorenübergreifenden Klimaschutz.
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