Begründung:
Ein Markt und somit auch die Marktwirtschaft egal welcher Ausprägung setzt immer Innovation und Wachstum voraus. Innovation und Wachstum sind Bedingungen für das Überleben auf dem Markt, anderenfalls droht Verdrängung. Innovation und Wachstum benötigen Investitionen. Investitionen sind nur möglich über das Erzielen von Mehrwert, um den Zins für Kredite bezahlen oder das nötige eigene Kapital selbst aufbauen zu können. Dieser Mehrwert kann aber nur geschaffen werden durch zunehmenden Ressourcenverbrauch.
Unendliches Wachstum funktioniert jedoch nicht angesichts eines begrenzten Planeten. Richtigerweise fordert der Programmentwurf deshalb „Qualitatives statt blindes Wachstum“ und der Green New Deal soll „Wachstum vom Ressourcenverbrauch entkoppeln“. Ein Umbau der Marktwirtschaft hin zu einem anderen Wirtschaftsmodell ist erforderlich. Dabei geht es nicht darum, die Soziale Marktwirtschaft als falschen Weg darzustellen. Nur: sie ist – auch in einer Ausprägung als „sozial-ökologische Marktwirtschaft“ nicht ausreichend zur Rettung unseres Planeten Erde.
Hier im GSP-W-01 Kapitel 2 sind erfreulicherweise einige Formulierungen aus den zahlreichen Verbesserungsvorschlägen eingegangen. Tatsächlich wird in Absatz (96) sogar festgestellt: "Der Markt ist nicht das alleinige Organisationsprinzip für das Wirtschaften in einer Gesellschaft..." Dieser gesamte Absatz ist richtig und bringt die Alternative gut auf den Punkt. Nur: warum sind wir dann nicht konsequent und folgen der Aussage und Sprache dieses wunderbaren Absatzes? Stattdessen und im Widerspruch zu dem Absatz (96) wird ansonsten und weiterhin nur die "sozial-ökologische Martwirtschaft" propagiert. Das halten wir für falsch.
Eine Gemeinwohlorientierte Wirtschaft [1] bzw. eine sozial-ökologische Wirtschaftsordnung ist etwas Neues. Eine einfache Anpassung oder Reformierung der sozialen Marktwirtschaft zu einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft kann aus oben genannten Gründen unseren Planeten nicht retten helfen. Sie wird unsere Probleme und jedenfalls die Klima-Notlage nicht lösen.
Gemeinwohlorientierte Wirtschaft bedeutet: Die Wirtschaft orientiert sich nicht und wird nicht mehr gemessen am Bruttoinlandsprodukt, sondern vielmehr an – zu definierenden – gemeinwohlorientierten Faktoren [1], [2], [3]. Solche Faktoren könnten z.B. soziale Verantwortung und ökologische Verantwortung einschließen. Unternehmen würden dann anhand solcher Indikatoren am Markt agieren, und entsprechend berichten und gemessen werden, also bilanzieren und auditiert werden. Für eine gemeinwohl-orientierte Wohnwirtschaft hat Sven Giegold mögliche Kriterien auf dem Bundesparteitag in Bielefeld 2019 wie folgt formuliert: „Eine neue Wohngemeinnützigkeit soll soziale Wohnprojekte erleichtern und den Bau von Sozialwohnungen fördern. Dass öffentliche Förderung beim Wohnungsbau nur den dazu Berechtigten zugutekommt, wollen wir durch eine unabhängige Aufsicht über die Wohngemeinnützigkeit sicherstellen. Auch die Besteuerung der Wohnungswirtschaft wollen wir an der Gemeinnützigkeit ausrichten.“ (https://sven-giegold.de/bdk-beschluesse-wirtschaft-wohnen/)
Island und weitere Staaten arbeiten bereits an einem neuen Wirtschaftsmodell, das auf Wohlstand statt auf Produktion und Konsum fokussiert. „Iceland has developed 39 wellbeing indicators that include economic, environmental and social factors. GDP and other economic indicators are among them, but in a new context with social and environmental indicators, to aim for the delicate balance of sustainable development. A wellbeing budget is in the works, using the expertise from gender budgeting, which Iceland adopted first in 2010. A number of priorities have been identified and each category offers measurable indicators. This includes the reduction of carbon emissions (very quantifiable!) and improvement of mental health.
Our generation has no option but to change the way we live. There is only one planet and we share it. This is, therefore, a collective effort. The wellbeing economy project demands new reasoning, consisting of many of the same key ingredients that are manifested in proposals on Green New Deals on both sides of the Atlantic. It can transform the economic thinking of the 21st century and open up possibilities for a globally-coordinated social response to climate change.“ [9]
Statt der Propagierung einer Weiterentwicklung der Sozialen Marktwirtschaft hin zu einer „sozial-ökologischen Marktwirtschaft“ ist unseres Erachtens ein Umbau in drei Schritten oder Phasen nötig. Diese Phasen müssen nicht notwendigerweise nacheinander stattfinden. Es gilt als unternehmerische Kernaufgabe, Mensch und Natur nicht zu schaden.
Phase 1: Grünes Wachstum
In dieser Phase werden Prozesse und Produkte umgestaltet mit Nachhaltigkeit als Kriterium. Z.B. Umbau der Energie auf ausschließlich Erneuerbare Energien, klarer Vorrang für Produkte aus der Region, oder Güterproduktion aus nachwachsenden Rohstoffen. Nachfrage und Konsum wachsen weiter. Die Politik muss gesetzgeberisch dafür die Rahmenbedingungen setzen (z.B. Kohleausstieg, Rücknahmeverpflichtungen, …).
Phase 2: Kreislaufwirtschaft
Wirtschaften wird dominiert durch gemeinsame Nutzung von Produkten (bisher hauptsächlich bekannt durch Car Sharing) und Kreislaufwirtschaft [5], also durch die langanhaltende und sich wiederholende Benutzung von Ressourcen oder Gütern. Reparaturwerkstätten und Recycling sowie die Herstellung von langlebigen Gütern sind Merkmale dieser Phase. Plastikmüll muss dramatisch reduziert werden. Die Politik muss Regeln schaffen, die solches Wirtschaften fördern und anderes Wirtschaften teurer machen (CO2-Preis, Verbot von Einwegflaschen…).
Phase 3: Postwachstum
In einer Postwachstumsgesellschaft [5] spielen darüber hinaus Konsumverzicht und eine veränderte Definition von Wohlstand eine Rolle. Wohlstand darf nicht ausschließlich auf Basis von finanziellen und materiellen Merkmalen (Bruttosozialprodukt), sondern muss auf Basis von Kategorien wie Gesundheit, Zeitautonomie, Zugang zu Bildung, Entscheidungsautonomie etc. (gemeinwohl-orientierte Indikatoren) bewertet werden. Hierfür braucht es auch Regeln für das betriebliche Wirtschaften. Diese Regeln müssen – für Unternehmen planbar – klar benennen, was kurz-, mittel- und langfristig nicht mehr geht (z.B. Kohleabbau und -verbrennung, Ende für Dieselantrieb von PKW). Und es braucht politische Reformen wie Finanztransaktionssteuern oder die Einführung einer Gemeinwohl-Bilanz, die in einer globalisierten Welt international koordiniert werden müssen.
Quellen:
[1] „Grundlagen und Anwendungen der Gemeinwohl-Ökonomie“:
Institut für gemeinwohlorientiertes Wirtschaften, 9000 St. Gallen, Schweiz (http://www.gemeinwohl-institut.org)
[2] „Ich muss nicht den SUV-Fahrer in Prenzlauer Berg bekehren“, Interview
mit Annalena Baerbock in: ZEIT Online, 2.1.2020 (www.zeit.de)
[3] „Nachhaltiges Management erfordert Mut und Professionalität“, Interview
mit Antje von Dewitz, in: return 06/2019, S. 40ff.
[4] „Der Markt regelt es nicht“, Interview mit Sabine Nallinger,
in neue energie 12/2019, S. 52ff.
[5] Tim Altegör: „Mehr oder weniger?“, in: neue energie 12/2019, S. 45ff.
[6] Ulrike Herrmann: „Das Wachstums-Paradox“, in: Die Tageszeitung (taz)
vom 23./24.11.2019, Seite 11
[7] Beate Wilms: „Es braucht eine positive Vision“, in: Die Tageszeitung (taz)
vom 31.12.2019, Seite 9
[8] Grüne Beschlüsse zu Wirtschaft und Wohnen: Neue Perspektiven für gemeinwohlorientierte Unternehmen schaffen,
(https://sven-giegold.de/bdk-beschluesse-wirtschaft-wohnen/)
[9] Katrín Jakobsdóttir: In Iceland, wellbeing is the measure of our success, Kommentar der isländischem Premierministerin in: Evening Standard vom 3.1.2020
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