Antrag: | Kapitel 4: Zusammen leben |
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Antragsteller*in: | Angela Dorn-Rancke (KV Marburg-Biedenkopf) und 23 weitere Antragsteller*innen (Frauenanteil: 33%) |
Status: | Geprüft |
Verfahrensvorschlag: | Erledigt durch: GSP.Z-01-260 |
Eingereicht: | 08.10.2020, 11:53 |
GSP.Z-01-260-2: Kapitel 4: Zusammen leben
Verfahrensvorschlag zu GSP.Z-01-260: Antragstext
Von Zeile 259 bis 260 einfügen:
Sprache nationaler Minderheiten sowie anerkannte Regionalsprachen sind zu schützen und zu fördern.
(neu 203) Kulturpolitk muss vernetzt gedacht werden, denn Kulturräume verlaufen nicht entlang staatlicher Grenzen, sie sind gleichermaßen lokal, regional, national und international. Nur eine prosperierende, vielfältige und offene Kulturlandschaft schafft Zusammenhalt und lässt Neues entstehen. Freiräume für kulturelle Aktivitäten müssen erhalten oder geschaffen werden, damit Kultur und die Künste ihren entscheidenden Beitrag zu einer hohen Lebensqualität sowie zu Austausch und Zusammenleben leisten können.
Kapitel 4: Zusammen leben
Zusammenhalt in Vielfalt
(165) Offen ist eine Gesellschaft, in der alle Bürger*innen die gleichen Rechte und
Möglichkeiten haben, die die Unterschiedlichkeit von Menschen und Regionen als Stärke
begreift und als Wert verteidigt, die soziale Ungleichheit verringern will und den Schutz
von Minderheiten gewährleistet. Individuelle Freiheit und persönliche Identität werden
geschützt. Die offene Gesellschaft ist eine gewaltfreie. Ihre Grenzen findet sie in den
Rechten und Freiheiten der Mitmenschen. Die offene Gesellschaft hinterfragt sich, lernt und
ist selbstkritisch. Sie beruht auf Bedingungen, die sie selbst nicht schützen kann. Deshalb
sind der Schutz und die Arbeit für sie eine dauernde politische Aufgabe.
(166) Menschen sind unterschiedlich, aber ihre Rechte und ihre Würde sind gleich. Eine
vielfältige, diskriminierungsfreie, gleichberechtigte Gesellschaft bedeutet demokratischen
Fortschritt für alle. Sie entwickelt sich stets weiter und handelt permanent die Regeln
ihres Zusammenlebens neu aus. In einer pluralistischen Gesellschaft bilden gleichberechtigte
Individuen aus vielfältigen Perspektiven ein Bündnis für ein gemeinsames Wir zum Schutz und
zur Förderung von Freiheit und Würde. Das gemeinsame Wir bedeutet Zusammenhalt in Vielfalt.
(167) Das gemeinsame Wir schließt alle ein, die in unserem Land leben. Wir sind
unterschiedlich, aber uns verbindet Respekt und Akzeptanz allen Menschen gegenüber,
unabhängig davon, wie sie leben, lieben, glauben und aussehen. Das macht den Reichtum
unseres „Wir“ aus.
(168) Eine vielfältige und inklusive Gesellschaft ist eine gleichberechtigte – mit gleichen
Rechten, Zugängen und gleicher Teilhabe. In einer vielfältigen Gesellschaft richtet sich
Zugehörigkeit nicht danach, wo jemand geboren ist, in welchem Stadtteil jemand wohnt, woher
die Eltern kommen oder wie viel sie verdienen, wie jemand aussieht, was jemand glaubt oder
wie der Name klingt.
(169) Diskriminierung trifft nicht alle gleichermaßen, aber sie geht alle gleichermaßen an.
Eine vielfältige Gesellschaft schützt alle Menschen vor Diskriminierung, Rassismus,
Antisemitismus und Gewalt – im Alltag, ob subtil oder durch gesellschaftliche Strukturen und
öffentliche Institutionen.
(170) In Deutschland leben Menschen zusammen, deren Familien bereits seit Generationen hier
ansässig sind, sowie Menschen, die in jüngerer Zeit eingewandert sind. Hier leben
Christ*innen, Jüdinnen und Juden, muslimische und nicht religiöse Menschen genauso wie
Nachkommen von Arbeitsmigrant*innen und von Geflüchteten. Viele bezeichnen sich als
Deutsche, manche als Neue Deutsche, Schwarze Deutsche, People of Color, Menschen mit Romani-
Hintergrund, Polnisch-Deutsche oder Türkisch-Deutsche und vieles mehr. In einem offenen
Deutschland werden alle von allen als dazugehörig anerkannt und können sich zugehörig
fühlen.
(171) Migration prägt und verändert unsere Gesellschaft. Eine vielfältige
Einwanderungsgesellschaft erfordert die gleichberechtigte politische, soziale und kulturelle
Teilhabe von Migrant*innen. Sie ist als Staatsziel im Grundgesetz zu verankern.
(172) Das Staatsbürgerschaftsrecht soll allen Menschen, die hier leben, arbeiten oder zur
Schule gehen, rechtliche Gleichheit, wirkliche Teilhabe und Zugehörigkeit ermöglichen. Dazu
gehören die erleichterte und beschleunigte Einbürgerung, die Ermöglichung von doppelter
Staatsangehörigkeit und die Ausweitung des Geburtsrechts. Menschen, die in Deutschland ihren
Lebensmittelpunkt haben und Teil dieser Gesellschaft geworden sind, sollen einen
Rechtsanspruch auf Einbürgerung haben. Die deutsche Staatsangehörigkeit soll durch Geburt im
Inland erworben werden können, wenn ein Elternteil rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt
in Deutschland hat. Mehrstaatigkeit bildet die Lebensrealität vieler Menschen ab.
(173) Die deutsche Gesellschaft ist religiös und weltanschaulich plural. Eine plurale
Gesellschaft braucht den Dialog der Religionen und Weltanschauungen. Es geht um die
Bewahrung und Durchsetzung der Freiheit, das persönliche Leben nach eigenen Lebensentwürfen
und Wertvorstellungen zu gestalten. Das schließt die Freiheit des religiösen und
weltanschaulichen Bekenntnisses ebenso ein wie das Recht, nach anderen Vorstellungen zu
leben. Zu dieser Freiheit gehört auch Religions- und Weltanschauungskritik. Voraussetzung
für eine Zusammenarbeit mit öffentlichen Stellen ist die uneingeschränkte Anerkennung der
verfassungsmäßigen Ordnung des Grundgesetzes und die Unabhängigkeit von autokratischen
Regimen. Die Wahrung der grundrechtlichen Normen und Werte kann durch keine Religion
relativiert werden.
(174) Die christlichen Kirchen sind Teil und Stütze unserer Gesellschaft. Der säkulare Staat
muss sich am Neutralitätsprinzip ausrichten. Das bedeutet aber nicht ein Kooperationsverbot
zwischen Staat und Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften. Das kooperative Modell des
Staatskirchenrechtes soll zu einem pluralen Religionsverfassungsrecht weiterentwickelt
werden.
(175) Aktives jüdisches Leben in Deutschland und Europa nach den schrecklichen Erfahrungen
der Shoa bedeutet eine große Verantwortung für den deutschen Staat und seine Bürger*innen.
Jüdinnen und Juden in ihrer Selbstentfaltung zu unterstützen sowie ihre Sicherheit und die
der jüdischen Einrichtungen zu gewährleisten ist eine wichtige Aufgabe für unsere
Gesellschaft. Sich Antisemitismus in jeder Form entgegenzustellen ist die Verpflichtung
unseres Rechtsstaates und die immer währende Aufgabe aller Menschen in Deutschland und in
Europa. Das Existenzrecht und die Sicherheit Israels mit gleichen Rechten für all seine
Bürger*innen sind unverhandelbar.
(176) Muslim*innen sind nach den Angehörigen der großen christlichen Konfessionen die größte
religiöse Gruppe in diesem Land. Der Islam gehört damit selbstverständlich zu Deutschland.
Moscheen und muslimische Gemeinden müssen vor Bedrohungen und Angriffen geschützt, die
Sicherheit von Muslim*innen muss gewährleistet werden. Antimuslimischen Rassismus zu
bekämpfen ist Aufgabe der gesamten Gesellschaft. Das Anliegen vieler Muslim*innen,
mittelfristig anerkannte und gleichberechtigte Religionsgemeinschaft(en) im Sinne und nach
den Regeln des Grundgesetzes bilden zu können, verdient Unterstützung. Das Ziel sind
Staatsverträge mit islamischen Religionsgemeinschaften.
(177) Menschen mit Romani-Hintergrund sind die größte Minderheit in Europa. Sie sind Teil
der europäischen Geschichte und Gegenwart seit mehr als 600 Jahren und in Deutschland als
nationale Minderheit anerkannt. Kultur und Sprache sind vom Staat zu schützen und zu
fördern. Antiziganistische Diskriminierung ist jedoch weit verbreitet und bis in die Mitte
der Gesellschaft verankert. Sie findet zum Beispiel bei der Wohnungs- und Arbeitssuche, im
Bereich Bildung und Gesundheit statt. Dagegen einzutreten ist unsere Verpflichtung. Das
Erinnern an den lange ignorierten und nicht anerkannten Holocaust an Menschen mit Romani-
Hintergrund in der Zeit des Nationalsozialismus ist unser aller Verantwortung.
(178) Inklusion ist ein Menschenrecht. In einer inklusiven Gesellschaft können alle Menschen
ohne Angst in ihren Eigenschaften und Lebensformen verschieden sein. In einer inklusiven
Gesellschaft werden die Rechte von Menschen mit Behinderung und deren gesellschaftliche
Teilhabe umfassend und wirksam realisiert und geschützt. Die Umsetzung der VN-
Behindertenrechtskonvention in allen Lebensbereichen beendet ausschließende Strukturen.
Leben mit einer Beeinträchtigung bedeutet besondere Anforderungen zur Selbstbestimmung.
Menschen mit Behinderung tragen mit ihren Fähigkeiten und Ressourcen zum Gemeinwohl bei.
Feminismus und Geschlechtergleichstellung
(179) Feminismus ist sowohl die Vision einer gleichberechtigten Gesellschaft als auch der
Weg dorthin. Er verspricht, echte Gleichberechtigung in allen Lebensbereichen einzulösen –
rechtlich, kulturell und ökonomisch.
(180) Eine Gesellschaft, in der gleiche Teilhabe für alle Geschlechter Wirklichkeit ist,
schützt und stärkt die Rechte aller Frauen in ihrer Unterschiedlichkeit und unabhängig von
Herkunft, Alter, Religion, Behinderung, Sexualität oder Klasse. Deshalb verfolgen wir einen
Feminismus, der verschiedene Diskriminierungsformen auch in ihrer Verschränkung erkennt und
an ihrer Beseitigung arbeitet.
(181) Gesellschaftlich vorgegebene Rollenzwänge führen zu ungleichen Chancen und häufig zu
individuellem Leid. Sexismus behindert Frauen im Job, in der Schule, in der Uni, vor
Gericht, im Privatleben, in den Medien, im Internet. Menschen aller Geschlechter profitieren
von der Überwindung feststehender Geschlechterrollen. Menschen benötigen von klein auf
vielfältige Vorbilder, um sich frei entfalten zu können. Gemeinsam schaffen wir eine
Gesellschaft, in der alle Menschen frei von einschränkenden Rollenbildern leben können.
(182) Das Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper und das eigene Leben muss auch
für Frauen, Mädchen, trans*, inter* und nicht-binäre Menschen uneingeschränkt gelten. Dieses
Recht zu realisieren ist Teil einer guten öffentlichen Gesundheitsversorgung. Zu ihr zählen
auch selbstbestimmte Schwangerschaftsabbrüche, die nichts im Strafgesetzbuch verloren haben.
Menschen mit einer nichtbinären Geschlechtsidentiät haben ausschließlich selbst das Recht,
ihr Geschlecht zu definieren. Selbstbestimmung setzt einen umfassenden Schutz vor Gewalt
voraus. Im Sinne der Istanbul-Konvention ist jegliche Form geschlechtsspezifischer,
körperlicher, seelischer und sexualisierter Gewalt konsequent zu bekämpfen.
(183) Frauen sollen in allen Bereichen der Gesellschaft mitbestimmen und Verantwortung
übernehmen können. Gleichberechtigung bedeutet nicht nur, aber auch mehr Frauen in
Führungspositionen – in der Politik, in der Zivilgesellschaft und der Wirtschaft. Wo
freiwillige Selbstverpflichtung nicht hilft, sind Quoten ein wichtiges Instrument für mehr
Parität. Sie zielen dabei immer auf eine Welt, in der sie sich selbst überflüssig machen.
(184) Eine offene Gesellschaft ist eine der Geschlechtervielfalt, in der alle Menschen ohne
Angst verschieden sein können. Freiheit und Würde bedeuten, sich einem Geschlecht zuordnen
zu können oder auch nicht. Und es bedeutet, die eigene sexuelle Identität selbstbestimmt zu
finden. Freiheit und Würde bedeuten auch, gemäß der eigenen sexuellen Orientierung die
Lebensform, die Partnerschaft und das Familienmodell selbst zu wählen und dafür jeweils die
gleichen Rechte und den gleichen Schutz vom Staat zu erhalten. Antiqueere, homo-, bi- und
transfeindliche Ressentiments und Diskriminierung sowie Angriffe auf lesbische, schwule,
bisexuelle, trans*, inter*, nicht-binäre und queere Menschen sind menschenrechtliche
Verstöße und müssen von der gesamten Gesellschaft klar zurückgewiesen werden.
Stadt und Land, Jung und Alt
(185) Die regionale Vielfalt, die verschiedenen historischen Erfahrungen und
unterschiedlichen Lebensstile der Menschen machen Deutschland aus. Auch die historische
Spaltung in Ost und West durch den Kalten Krieg sowie die Verwerfungen nach der
Wiedervereinigung haben Deutschland geprägt. Unterschiede anzuerkennen, zu schützen und
zugleich den sozialen Zusammenhalt zu stärken ist unsere Verpflichtung. Es ist Verantwortung
des Staates, die Lebensbedingungen in sich ökonomisch und strukturell unterschiedlich
entwickelnden Regionen im gesamten Bundesgebiet und auf allen Ebenen anzugleichen – etwa im
Verhältnis von ländlichen Gegenden zu Städten, vom Norden zum Süden, von Ost nach West, von
schrumpfenden zu wachsenden Regionen.
(186) Die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse ist als normative Aufgabe wichtig, aber
immer schwieriger zu definieren. Während in strukturschwachen Regionen oftmals staatliche
Institutionen fehlen, sind die Mieten dort meist günstiger. Die Sicherung von gleichwertigen
Lebensverhältnissen wird nicht durch das gleiche Angebot wie in den Metropolen zu erreichen
sein, wohl aber durch die Schaffung von Voraussetzungen für kreative, flexible und digitale
Lösungen. Es geht um eine neue Politik des Ausgleichs zwischen ländlichen Räumen und
Städten. Dazu dient eine neue Gemeinschaftsaufgabe „Regionale Daseinsvorsorge“.
(187) Gute und sichere öffentliche Räume und Institutionen sind Voraussetzungen dafür, dass
die Gesellschaft zusammenhält. Damit Sicherheit und Gemeinsamkeit möglich werden, garantiert
der Staat gute Versorgung, Anbindung von ländlichen Regionen und Orte der Begegnung. Zur
Daseinsvorsorge gehören etwa Breitbandanschlüsse und Mobilfunkversorgung, Frauenhäuser,
Ärzt*innen sowie Krankenhäuser, Kitas, Jugendhäuser, Musikschulen und Bibliotheken, auch in
den ländlichen Regionen, Sportplätze und Schwimmbäder in Stadt und Land. So helfen
öffentliche Räume und Institutionen, Freiheit und Selbstbestimmung zu ermöglichen,
Chancengleichheit herzustellen und Aufstiegschancen zu schaffen. Sie sind mehr als
staatliche Daseinsvorsorge, sie sind ein Zusammenspiel von demokratischer Staatlichkeit und
bürgerschaftlichem Zusammenleben.
(188) Es braucht bessere regionale Wirtschaftskreisläufe. Sie sind nicht nur ökologischer,
sondern können auch Regionen mit Strukturproblemen helfen. Die regionale
Wirtschaftsförderung ist so auszurichten, dass regionale Kreisläufe unterstützt werden, vor
Ort eine gute Infrastruktur vorhanden ist und auch ländliche Regionen verlässlich vernetzt
und an die Zentren angebunden sind. Dafür braucht es starke regionale Zentren als
Ankerpunkte in den Regionen, die ein breites Angebot an öffentlichen und kulturellen
Dienstleistungen vorhalten. Ein Beispiel sind die europäischen Metropolregionen. Bei der
Ansiedelung von Bildungsinstitutionen, Landes- und Bundesbehörden sollen strukturschwache
Gebiete besonders berücksichtigt werden.
(189) Die europäischen Gesellschaften sind geprägt durch demographischen Wandel.
Bevölkerungsverluste und -zuwächse sind sehr ungleich verteilt, vor allem zwischen Stadt und
Land, und sie prägen unterschiedliche Identitäten und kulturelle Erfahrungen. Gleichwertige
Lebensverhältnisse herzustellen ist ein verfassungsrechtliches Handlungsziel und Kernaufgabe
der Politik.
(190) Das gute Zusammenleben aller Generationen und Gerechtigkeit zwischen ihnen wird in
einer alternden Gesellschaft zentraler. In ihr braucht es neue Formen des Zusammenlebens und
eine altersgerechte Infrastruktur. Das wirkt Einsamkeit entgegen und stärkt den sozialen
Zusammenhalt. Im Zentrum sollte nicht nur die Versorgung älterer Menschen stehen, sondern
auch ihre Teilhabe am gesellschaftlichen und politischen Leben.
(191) Für viele Menschen ist die Familie das Fundament ihres Zusammenlebens und Glücks.
Deswegen stehen Familien zu Recht unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes. Familie ist
da, wo Menschen mit dem Ziel der Dauerhaftigkeit Verantwortung füreinander übernehmen, sich
umeinander kümmern und füreinander da sind. Familien verdienen Unterstützung. Egal ob mit
oder ohne Trauschein, ob alleinerziehend oder mit Partner*in, ob gleich- oder
mehrgeschlechtlich, ob Patchwork oder in Mehr-Eltern-Konstellationen – alle Formen sollen
rechtlich und sozial abgesichert sein.
(192) Viele Eltern wollen sich Sorge- und Erwerbsarbeit gleichberechtigt aufteilen. Das wird
möglich durch ein flächendeckendes, zeitlich flexibles und qualitativ hochwertiges
Betreuungs- und Bildungsangebot, einen Wandel der Arbeitswelt sowie eine Reduzierung der
Arbeitszeit.
(193) Kinder brauchen die Freiheit, sich zu bewegen, zu spielen und zu lernen, zu lachen und
zu weinen, zur Freude und zur Wut. Sie haben eigene Rechte. Diese gehören in den Mittelpunkt
von Politik und Gesellschaft und sind im Grundgesetz eigenständig zu garantieren. Kinder
sind Expert*innen in eigener Sache und sollten bei den sie betreffenden Angelegenheiten
beteiligt werden. Ihr Interesse muss Leitlinie in der Ausstattung von öffentlichen Räumen
und Institutionen sein.
(194) Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf besonderen Schutz und auf
diskriminierungsfreie Förderung, die über bundesweite Qualitätskriterien für Kitas, Schulen,
Jugendämter und freie Träger zu garantieren sind. Kinderrechte gehören in alle Curricula für
Jura, Medizin, Erziehungswissenschaften und Polizei. Kinder müssen bei Entscheidungen
gehört, ihre Rechte und ihr Wille im Mittelpunkt stehen. Überall, wo mit Kindern umgegangen
wird, muss Basiswissen über Kinderrechte, insbesondere über Beteiligung, über den Schutz vor
Kindeswohlgefährdung und vor sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche, zur
Voraussetzung werden. In Kinderschutzverfahren muss die nötige Qualifikation bei allen
Beteiligten gesetzlich vorgegeben und tatsächlich gewährleistet sein.
(195) Guter, bezahlbarer Wohnraum für alle ist eine öffentliche Aufgabe. Wohnraum, Grund und
Boden dürfen keine Spekulationsobjekte sein. Das Recht auf Wohnen soll im Grundgesetz
verankert werden. Kein Mensch soll ohne Obdach sein oder darf bei der Wohnungssuche wegen
des Namens, der Herkunft, der sexuellen Identität oder einer Behinderung diskriminiert
werden. Auch kleine Gewerbetreibende dürfen nicht durch steigende Mieten aus ihren Vierteln
vertrieben werden. Es braucht ein starkes und soziales Mietrecht, eine gesetzliche
Begrenzung der Miethöhe und eine Mieter*innen-Mitbestimmung.
(196) Um das Recht auf Wohnen zu verwirklichen, ist ein hoher Bestand an öffentlichem und
sozial gebundenem Wohnraum nötig. Dort, wo viele Menschen zuziehen, muss in großem Umfang
gebaut werden. Dabei muss auf nachhaltiges Bauen und eine behutsame Nachverdichtung geachtet
werden.
(197) Eine lebendige, durchmischte, offene und barrierefreie Stadt der kurzen Wege ist
Leitbild: Dort leben Junge und Alte sowie Menschen verschiedener Herkunft gern in ihren
Wohnvierteln, haben es nicht weit zur Arbeit und zum nächsten Sportplatz. Der demographische
Wandel bringt neue Formen des Zusammenlebens. Ein ausreichender Bestand an barrierefreien
Wohnungen und Möglichkeiten für ältere Menschen, ein aktives Leben zu führen, sind
entscheidend.
(198) Sport verbindet. Alte und Junge, Menschen verschiedener Herkunft, mit verschiedenen
Erfahrungen – auf dem Fußballplatz sind alle gleich. In Deutschland engagieren sich viele
Millionen Menschen im Sport – in Vereinen und Organisationen – für Fairness, Teamgeist und
Verantwortung. Im Sport können die Werte einer offenen und solidarischen Gesellschaft gelebt
und vermittelt werden. Der organisierte Sport ist eine wichtige Stütze der Gesellschaft,
weil er Werte und Bildung vermittelt und Zusammenhalt schafft. Diese Strukturen zu erhalten
und zu stärken bedeutet, das friedliche Zusammenleben zu stärken. Auf internationaler Ebene
leistet der Sport einen wichtigen Beitrag zum Kulturaustausch und zu gegenseitiger
Begegnung. Sport findet nicht im politischen Vakuum statt. Das bedeutet Verantwortung für
den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft, für den Schutz von Menschenrechten und der Natur,
aber genauso als wirtschaftlicher Akteur und im Kampf gegen Doping.
(199) Privat übernehmen viele Menschen ehrenamtlich Verantwortung für andere, sei es in
Familie und Nachbarschaft oder in Vereinen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften und
Initiativen. Das Ehrenamt hat eine konstitutive Rolle in unserer Demokratie und für unser
Zusammenleben. Dafür braucht es Zeit, Anerkennung und Förderung, die wir als Gesellschaft
bereitstellen müssen.
(200) Viele Menschen sind motiviert, freiwilligen Einsatz für die Gesellschaft zu bringen.
Die bestehenden Freiwilligendienste können zu einem neuen gesellschaftlichen
Generationenprojekt werden, wenn sie ausgebaut und auch für Menschen im Ruhestand geöffnet
werden, die Erfahrung und Können weiter einbringen wollen. Ein solcher
„Zivilgesellschaftsdienst“ soll Rentner*innen wie allen jungen Menschen, die ihn ausüben
wollen, unabhängig vom eigenen Geldbeutel offenstehen.
Kultur und die Künste
(201) Kunst ist frei. Kunst dient niemandem. Sie lässt sich nicht auf ihren materiellen Wert
reduzieren. Kunst ist vielfältig und deutungsoffen und nie homogen, sie ist dynamisch und
hybrid und niemals statisch. Kultur und die Künste lassen aus dem Zusammenspiel
unterschiedlichster Einflüsse und Zusammenhänge Neues entstehen und sind so Motor
gesellschaftlicher Veränderung. Wir schützen die Freiheit der Kunst und wenden uns dagegen,
Kunst und Kultur vereinheitlichen zu wollen oder alleinige Deutungshoheit über sie zu
beanspruchen.
(202) Freie Kultur und Kunst sind eine Grundlage für Demokratie und friedliches
Zusammenleben. Sie gehören zur Daseinsvorsorge und sind Ausdruck und Anlass individueller
und gesellschaftlicher Reflexion, persönlichen und kollektiven Erkenntnisgewinns sowie
persönlicher und kollektiver Entwicklung. Kulturelle Vielfalt sowie Transkulturalität zu
fördern und zu schützen ist wichtige Aufgabe in der offenen Gesellschaft. Der Zugang zu und
die Teilhabe an Kultur und den Künsten muss für alle gleich gewährleistet sein, ungeachtet
der Herkunft. Das gilt für kulturelle Bildung, Kulturinstitutionen und Freiräume
gleichermaßen. Es gilt für das Erleben ebenso wie für das Schaffen von Kunst. Kultur und
Sprache nationaler Minderheiten sowie anerkannte Regionalsprachen sind zu schützen und zu
fördern.
(neu 203) Kulturpolitk muss vernetzt gedacht werden, denn Kulturräume verlaufen nicht entlang staatlicher Grenzen, sie sind gleichermaßen lokal, regional, national und international. Nur eine prosperierende, vielfältige und offene Kulturlandschaft schafft Zusammenhalt und lässt Neues entstehen. Freiräume für kulturelle Aktivitäten müssen erhalten oder geschaffen werden, damit Kultur und die Künste ihren entscheidenden Beitrag zu einer hohen Lebensqualität sowie zu Austausch und Zusammenleben leisten können.
(203) Kultur und Kunst brauchen öffentliche Förderung auf Grundlage transparenter Kriterien,
Kulturschaffende eine verlässliche und angemessene soziale Absicherung, die freie Szene
braucht professionelle Rahmenbedingungen, unabhängig von privater und unternehmerischer
Unterstützung. Dazu gehören auch transparente Strukturen und faire Arbeitsbedingungen in den
öffentlich geförderten Kultureinrichtungen.
(204) Das Bewusstsein für die Singularität der Verbrechen des Nationalsozialismus als
universelle Mahnung an die gesamte Menschheit und die daraus folgende historische
Verantwortung wachzuhalten ist vordringliche Aufgabe deutscher Erinnerungskultur. Es kann
keinen Schlussstrich geben. Dazu gehört, die Aufarbeitung der NS-Verbrechen fortzuführen und
Raubkunst an die Eigentümer*innen und ihre Erb*innen zurückzugeben.
(205) Zur Erinnerungskultur gehört das Erinnern an die friedliche Revolution 1989/90 in
Ostdeutschland sowie die historische Aufarbeitung der Verbrechen des SED-Regimes. Erlittenes
und begangenes Unrecht dürfen nicht in Vergessenheit geraten. Erinnerungsstätten und
Opferberatungen benötigen daher eine auskömmliche Finanzierung. Der Zugang zu den Stasi-
Akten muss weiterhin für Betroffene, für Publizistik und Forschung gewährleistet sein.
(206) Die Erinnerungskultur einer vielfältigen Einwanderungsgesellschaft zeigt sich offen
für die vielstimmigen Geschichten und Erzählungen sowie die unterschiedlichen historischen
Erfahrungen der Menschen, die hier leben. Auch die kritische Aufarbeitung der kolonialen
Vergangenheit und der damit verbundenen Verbrechen muss selbstverständlicher Teil unserer
Bildungs- und Erinnerungskultur sein. Das ist Voraussetzung für eine Gesellschaft, in der
Menschen frei von Rassismus leben können.
(207) Deutschlands Kolonialvergangenheit ist auch im Kulturbereich viel zu wenig
aufgearbeitet. Es braucht eine umfängliche Forschung über die Herkunft von Sammlungsobjekten
und immateriellen Kulturgütern aus kolonialen Kontexten, ihre Rückgabe an die
Herkunftsgesellschaften sowie die Dekolonisierung von Kultureinrichtungen und des
öffentlichen Raums. Dies kann nur in enger Zusammenarbeit mit den Nachkommen der ehemals
Kolonisierten international wie hierzulande geschehen.
(208) Der internationale Austausch im Bereich Kunst, Theater, Musik, Literatur, Film und
anderer Künste stärkt die Bindung zwischen den Menschen rund um den Globus. Die
Intensivierung der internationalen Kulturbeziehungen ist ein Beitrag zur Öffnung, zu Frieden
und zum Schutz von Menschenrechten. Die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik übernimmt
dabei eine wichtige Rolle.
Gesundheit und Pflege
(209) Oberste Aufgabe jeder Gesundheitspolitik ist es, die Würde und Freiheit des Menschen
auch im Krankheits- und Pflegefall zu wahren und gleichzeitig Krankheiten und
Gesundheitsrisiken vorzubeugen. Gesundheitsversorgung und Pflege sind zentrale Pfeiler der
Daseinsvorsorge. Es ist öffentliche Aufgabe, jedem Menschen unabhängig von Alter, Einkommen,
Geschlecht, Herkunft, sozialer Lage oder Behinderung sowie vom Wohnort und Aufenthaltsstatus
Zugang zu einer qualitativ hochwertigen Versorgung, die sich an seinen Bedürfnissen
orientiert, zu garantieren. Die Versorgung muss dem Stand der wissenschaftlichen
Erkenntnisse entsprechen, den medizinischen Fortschritt berücksichtigen und auch den
Bedarfen von besonders verletzlichen Personengruppen gerecht werden.
(210) Gute Gesundheitspolitik setzt schon bei der Vermeidung von Erkrankungen und
Pflegebedürftigkeit an und nimmt dabei auch das psychische und soziale Wohlbefinden in den
Blick. Prekäre Lebensverhältnisse machen in vielen Fällen krank. Menschen, die in Armut
leben, haben eine höhere Wahrscheinlichkeit zu erkranken und oft einen schlechteren Zugang
zum Gesundheitssystem. Bewegungsmöglichkeiten, gesunde Ernährung und saubere Luft müssen
allen zur Verfügung stehen, um gesund zu bleiben. Prävention, Gesundheitsförderung und
‑schutz sind deshalb Querschnittsaufgaben, die in allen Politikbereichen verfolgt werden
müssen. Insbesondere eine gute Sozialpolitik ist Teil einer umfassenden Gesundheitsvorsorge.
(211) Internationale und solidarische Kooperation bei Gesundheitsforschung und beim Aufbau
guter Gesundheitssysteme ist eine gemeinsame Aufgabe der Weltgemeinschaft. Es braucht
weltweit Versorgungssicherheit mit zentralen Arzneimitteln und Materialien. Sie müssen auch
in Europa produziert werden.
(212) Gesundheitsversorgung ist öffentliche Aufgabe. Egal ob bei der freiberuflichen
Landärztin, dem Medizintechnikunternehmen oder in der staatlichen Uniklinik – sie muss dem
Menschen und seiner Gesundheit zugutekommen und dient nicht dem Zweck, hohe Renditen zu
erzielen. Die Planung und Finanzierung des Gesundheitswesens muss am Bedarf der
Patient*innen ausgerichtet werden. Entscheidend ist nicht, was sich rentiert, sondern was
notwendig ist. Insbesondere im Krankenhausbereich soll die Gemeinwohlorientierung gestärkt,
die Benachteiligung öffentlicher Träger beendet, die Trägervielfalt erhalten und der Trend
hin zur Privatisierung gestoppt werden. Klare politische Vorgaben zur Personalbemessung,
Behandlungs- und Versorgungsqualität sollen sicherstellen, dass alle Träger gleichermaßen
zum Nutzen der Patient*innen handeln. Dadurch werden Gewinnausschüttungen von Kliniken
beschränkt, damit öffentliches und beitragsfinanziertes Geld im System bleibt.
(213) Gleichwertige Lebensverhältnisse bedeuten eine gute Gesundheitsversorgung in der Stadt
und auf dem Land. Jeder Mensch muss Zugang zu medizinischer und psychotherapeutischer Hilfe
haben, egal wo er lebt. Dafür müssen die Grenzen zwischen ambulanter und stationärer
Versorgung überwunden und Gesundheitsregionen aufgebaut werden, die eine bestmögliche
Verknüpfung der verschiedenen Versorgungsangebote vor Ort erlauben. Durch ein Stufenmodell
von der ambulanten und stationären Grundversorgung bis hin zu Spezialkliniken kann die
Versorgung im ländlichen Raum gestärkt und zeitgleich eine gute Versorgungsqualität
sichergestellt werden.
(214) Nur ein gut finanziertes Gesundheitssystem kann die Würde der Patient*innen und die
Rechte der Beschäftigten gleichermaßen schützen. Falsche politische Weichenstellungen und
der daraus folgende ökonomische Druck haben zu Fehlanreizen zulasten des Patient*innen-
Wohls, Kosteneinsparungen zulasten des Personals und einer falschen Verteilung von Geldern
geführt. Die Krankenhausfinanzierung muss neu gedacht und auf wohnortunabhängige
Versorgungssicherheit und -qualität, auf eine gute Bezahlung für Beschäftigte, auf Vorsorge
und auf Krisenfestigkeit ausgerichtet werden. Kliniken sollen nicht nur nach erbrachter
Leistung, sondern nach ihrem gesellschaftlichen Auftrag finanziert werden. Dafür müssen die
Fallpauschalen reformiert und um eine strukturelle Finanzierung ergänzt werden. Die
Investitionsfinanzierung muss durch Bund und Länder gemeinsam verbessert werden. Die
Versorgungsplanung im Gesundheitssystem soll gestärkt werden. Stationäre und ambulante
Versorgung sollen zusammen gedacht, geplant und finanziert werden.
(215) Eine bessere Vernetzung, Koordination und Zusammenarbeit über alle Berufsgruppen
hinweg ist notwendig, um den Bedarfen der Patient*innen in einer älter werdenden
Gesellschaft besser gerecht zu werden. Eine gut abgestimmte integrierte Versorgung in Form
von Gesundheitsregionen, in denen Ärzt*innen, Psychotherapeut*innen, Pflegekräfte und andere
Heilberufe sowie ein gut ausgestatteter öffentlicher Gesundheitsdienst Hand in Hand und auf
Augenhöhe zusammenarbeiten, muss darum zur Regel werden. Dabei helfen eine umfassende
Versorgungsplanung, Gesundheitsberichterstattung, die Aufwertung und Ausweitung der
Kompetenzen in Gesundheits- und Pflegefachberufen und eine Stärkung der
Versorgungsforschung. Heilmittelerbringer*innen und gesundheitsnahe Berufe sind ein
essenzieller Teil unseres Gesundheitssystems und müssen finanziell besser abgesichert
werden. Eine Stärkung der professionellen Pflege und der hausärztlichen Versorgung ist
Voraussetzung für ein gutes Versorgungsnetz in der Fläche.
(216) Die Versorgung durch Hebammen und in Geburtshäusern sowie Kreißsälen muss sowohl in
ländlichen Regionen als auch in Städten gesichert sein. Die reproduktive Selbstbestimmung
muss gewährleistet sein, das bedeutet den kostenfreien Zugang zu Verhütungsmitteln und die
Sicherstellung von ärztlich vorgenommenen Schwangerschaftsabbrüchen. Das sind wichtige Teile
der Gesundheitsversorgung und der Selbstbestimmung von Frauen. Dazu gehört auch die Stärkung
von Frauengesundheit und geschlechtsspezifischer Medizin in Forschung und Praxis.
(217) Gute Gesundheit und Pflege gibt es nur unter guten Arbeitsbedingungen in allen
Gesundheitsberufen. Altenpfleger*innen, Krankenpfleger*innen oder Hebammen sind das Rückgrat
unserer Gesellschaft. In diesem Arbeitsbereich droht permanent die Gefahr von Überlastung
und Überarbeitung. Sich um andere zu kümmern darf nicht krank machen. Es braucht mehr
Personal, mehr Lohn und mehr Zeit. Um überhaupt mehr Personal zu gewinnen, muss sich die
Arbeit mit der Familie vereinbaren lassen und Fortbildung und Aufstiegschancen bieten. Der
Staat trägt hier auch aufgrund des im Grundgesetz festgeschriebenen Sozialstaatsgebots eine
besondere Verantwortung.
(218) Digitalisierung und Automatisierung können helfen, Arbeitsabläufe im Gesundheitswesen
zu vereinfachen und Arbeitsbedingungen zu verbessern, und so dazu beitragen, den
Fachkräftemangel im Gesundheitswesen zu bekämpfen. Mithilfe der Koordinierung und des
Abgleichs von Kapazitäten und der Übernahme von unterstützenden Tätigkeiten durch Robotik
und digitale Hilfsmittel kann mehr Zeit für die persönliche Arbeit mit Patient*innen und
menschliche Zuwendung gewonnen werden.
(219) Die Chancen der Digitalisierung gilt es sowohl bei der Organisierung der
Gesundheitsversorgung und im Pflegebereich als auch bei der Verwaltung von Gesundheitsdaten
und der individuellen Prävention zu nutzen. So wird auch in Zeiten des demographischen
Wandels ein zukunftsfähiges Gesundheitssystem erhalten. Aufgrund der Sensibilität von
Gesundheitsdaten kommt dem Datenschutz dabei eine herausragende Rolle zu. Gerade deshalb
sollte die Infrastruktur von staatlicher Seite und nicht von privaten Drittanbietern zur
Verfügung gestellt werden. Gesundheitsdaten inklusive der Patient*innen-Daten werden unter
Wahrung höchster Datenschutzstandards digital erfasst und der Forschung anonymisiert zur
Verfügung gestellt. Ihre eigenen Gesundheitsdaten müssen Patient*innen jederzeit zugänglich
sein.
(220) Solidarisch finanziert können die Herausforderungen der älter werdenden Gesellschaft
und die Kosten des medizinischen Fortschritts am besten bewältigt werden. Indem alle
Bevölkerungsgruppen in die Finanzierung über eine Bürgerversicherung einbezogen werden,
können die Belastungen fair und für alle tragfähig ausgestaltet werden. Gesundheit und
Pflege muss allen Menschen gleich zur Verfügung stehen. Beim Zugang darf es keinen
Unterschied nach Einkommen oder Versicherungsstatus geben. Im Falle von Pflegebedürftigkeit
muss sichergestellt sein, dass alle Menschen die Leistungen erhalten, die sie benötigen, und
die anfallenden Kosten auch stemmen können. Pflege darf kein Armutsrisiko sein.
(221) Leistungen, die medizinisch sinnvoll und gerechtfertigt sind und deren Wirksamkeit
wissenschaftlich erwiesen ist, müssen von der Solidargemeinschaft übernommen werden. Bei
Medikamenten und Impfstoffen, die etwa der Bekämpfung von Pandemien dienen und durch Patente
geschützt sind, sind kostengünstige Lizenzen notwendig, um Menschen weltweit versorgen zu
können. Diese Lizenzen müssen im Zweifel verpflichtend durchgesetzt werden.
(222) Statt um eine Kriminalisierung von Süchtigen und Konsument*innen geht es um
Prävention, Schadensminimierung, Entkriminalisierung und passgenaue Beratungs- und
Hilfsangebote. Cannabis sollte legalisiert werden. Eine kontrollierte Abgabe von
psychoaktiven Substanzen und eine an den gesundheitlichen Risiken orientierte Regulierung
sind der richtige Weg für wirksamen Jugend- und Gesundheitsschutz, zur Verhinderung von
Drogentoten und um kriminellen Strukturen und Drogenkriegen die Grundlage zu entziehen.
(223) Menschen sind immer Menschen, niemals „Fälle“, egal ob gesund, krank, pflegebedürftig
oder eingeschränkt. Patient*innen sind Akteur*innen mit starken Rechten. Sie müssen bei
relevanten Entscheidungen im Gesundheitswesen mitbestimmen und in entsprechende Gremien
eingebunden sein. Die Förderung der Gesundheitskompetenz, die Befähigung der Patient*innen
und unabhängige Gesundheitsberatung sollen zu einem festen Bestandteil unseres
Gesundheitssystems werden.
(224) Auch im Alter oder bei Pflegebedürftigkeit haben Menschen das Recht auf ein
selbstbestimmtes Leben. Menschen, die pflegebedürftig werden, wollen zumeist in ihrem
gewohnten Umfeld bleiben. Eine dezentrale Pflegestruktur, bei der die Wünsche, die
Selbstbestimmung und Selbstständigkeit der Betroffenen im Mittelpunkt stehen, ist dafür der
beste Weg. Deshalb sollen Kommunen mehr Möglichkeiten bekommen, das Angebot an Pflege und
Betreuung vor Ort zu gestalten. Ziel sind lebenswerte Quartiere für alle Generationen, in
denen professionelle Pflegeangebote und nachbarschaftliche Initiativen ineinandergreifen und
diese ältere und pflegebedürftige Menschen sowie pflegende Angehörige unterstützen.
Pflegende Angehörige verdienen grundsätzlich mehr Unterstützung und bessere
Rahmenbedingungen. Gute stationäre Pflege gibt es nur, wenn in Pflegeheimen die Bedürfnisse
und das Wohl der Patient*innen im Mittelpunkt stehen, nicht wenn zu Gunsten von hohen
Renditen an der Qualität oder an den Beschäftigten gespart wird.
(225) Zu einem Leben in Würde gehört auch ein Sterben in Würde. Eine bedarfsgerechte
Palliativversorgung in Stadt und Land ist unerlässlich. Auch damit Menschen die Möglichkeit
haben, zu Hause im Kreis der Angehörigen zu sterben. Zusätzlich braucht es genügend
Hospizplätze, die auch auf die Bedürfnisse der Sterbenden eingestellt sind.
Antragstext
Von Zeile 259 bis 260 einfügen:
Sprache nationaler Minderheiten sowie anerkannte Regionalsprachen sind zu schützen und zu fördern.
(neu 203) Kulturräume verlaufen nicht entlang staatlicher Grenzen, sie sind gleichermaßen lokal, regional, national und international. Kulturpolitik muss deswegen dezentral und föderal sein - sie reicht von den Kommunen und der Kulturhoheit der Länder über das Engagement des Bundes bis zur europäischen Ebene und den Institutionen des internationalen Kulturaustauschs und der Auswärtigen Kulturpolitik. Eine Renationalisierung von Kulturpolitik und eine Instrumentalisierung von Kultur für Nationalismus und Ausgrenzung steht diesen Grundsätzen klar entgegen
Kapitel 4: Zusammen leben
Zusammenhalt in Vielfalt
(165) Offen ist eine Gesellschaft, in der alle Bürger*innen die gleichen Rechte und
Möglichkeiten haben, die die Unterschiedlichkeit von Menschen und Regionen als Stärke
begreift und als Wert verteidigt, die soziale Ungleichheit verringern will und den Schutz
von Minderheiten gewährleistet. Individuelle Freiheit und persönliche Identität werden
geschützt. Die offene Gesellschaft ist eine gewaltfreie. Ihre Grenzen findet sie in den
Rechten und Freiheiten der Mitmenschen. Die offene Gesellschaft hinterfragt sich, lernt und
ist selbstkritisch. Sie beruht auf Bedingungen, die sie selbst nicht schützen kann. Deshalb
sind der Schutz und die Arbeit für sie eine dauernde politische Aufgabe.
(166) Menschen sind unterschiedlich, aber ihre Rechte und ihre Würde sind gleich. Eine
vielfältige, diskriminierungsfreie, gleichberechtigte Gesellschaft bedeutet demokratischen
Fortschritt für alle. Sie entwickelt sich stets weiter und handelt permanent die Regeln
ihres Zusammenlebens neu aus. In einer pluralistischen Gesellschaft bilden gleichberechtigte
Individuen aus vielfältigen Perspektiven ein Bündnis für ein gemeinsames Wir zum Schutz und
zur Förderung von Freiheit und Würde. Das gemeinsame Wir bedeutet Zusammenhalt in Vielfalt.
(167) Das gemeinsame Wir schließt alle ein, die in unserem Land leben. Wir sind
unterschiedlich, aber uns verbindet Respekt und Akzeptanz allen Menschen gegenüber,
unabhängig davon, wie sie leben, lieben, glauben und aussehen. Das macht den Reichtum
unseres „Wir“ aus.
(168) Eine vielfältige und inklusive Gesellschaft ist eine gleichberechtigte – mit gleichen
Rechten, Zugängen und gleicher Teilhabe. In einer vielfältigen Gesellschaft richtet sich
Zugehörigkeit nicht danach, wo jemand geboren ist, in welchem Stadtteil jemand wohnt, woher
die Eltern kommen oder wie viel sie verdienen, wie jemand aussieht, was jemand glaubt oder
wie der Name klingt.
(169) Diskriminierung trifft nicht alle gleichermaßen, aber sie geht alle gleichermaßen an.
Eine vielfältige Gesellschaft schützt alle Menschen vor Diskriminierung, Rassismus,
Antisemitismus und Gewalt – im Alltag, ob subtil oder durch gesellschaftliche Strukturen und
öffentliche Institutionen.
(170) In Deutschland leben Menschen zusammen, deren Familien bereits seit Generationen hier
ansässig sind, sowie Menschen, die in jüngerer Zeit eingewandert sind. Hier leben
Christ*innen, Jüdinnen und Juden, muslimische und nicht religiöse Menschen genauso wie
Nachkommen von Arbeitsmigrant*innen und von Geflüchteten. Viele bezeichnen sich als
Deutsche, manche als Neue Deutsche, Schwarze Deutsche, People of Color, Menschen mit Romani-
Hintergrund, Polnisch-Deutsche oder Türkisch-Deutsche und vieles mehr. In einem offenen
Deutschland werden alle von allen als dazugehörig anerkannt und können sich zugehörig
fühlen.
(171) Migration prägt und verändert unsere Gesellschaft. Eine vielfältige
Einwanderungsgesellschaft erfordert die gleichberechtigte politische, soziale und kulturelle
Teilhabe von Migrant*innen. Sie ist als Staatsziel im Grundgesetz zu verankern.
(172) Das Staatsbürgerschaftsrecht soll allen Menschen, die hier leben, arbeiten oder zur
Schule gehen, rechtliche Gleichheit, wirkliche Teilhabe und Zugehörigkeit ermöglichen. Dazu
gehören die erleichterte und beschleunigte Einbürgerung, die Ermöglichung von doppelter
Staatsangehörigkeit und die Ausweitung des Geburtsrechts. Menschen, die in Deutschland ihren
Lebensmittelpunkt haben und Teil dieser Gesellschaft geworden sind, sollen einen
Rechtsanspruch auf Einbürgerung haben. Die deutsche Staatsangehörigkeit soll durch Geburt im
Inland erworben werden können, wenn ein Elternteil rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt
in Deutschland hat. Mehrstaatigkeit bildet die Lebensrealität vieler Menschen ab.
(173) Die deutsche Gesellschaft ist religiös und weltanschaulich plural. Eine plurale
Gesellschaft braucht den Dialog der Religionen und Weltanschauungen. Es geht um die
Bewahrung und Durchsetzung der Freiheit, das persönliche Leben nach eigenen Lebensentwürfen
und Wertvorstellungen zu gestalten. Das schließt die Freiheit des religiösen und
weltanschaulichen Bekenntnisses ebenso ein wie das Recht, nach anderen Vorstellungen zu
leben. Zu dieser Freiheit gehört auch Religions- und Weltanschauungskritik. Voraussetzung
für eine Zusammenarbeit mit öffentlichen Stellen ist die uneingeschränkte Anerkennung der
verfassungsmäßigen Ordnung des Grundgesetzes und die Unabhängigkeit von autokratischen
Regimen. Die Wahrung der grundrechtlichen Normen und Werte kann durch keine Religion
relativiert werden.
(174) Die christlichen Kirchen sind Teil und Stütze unserer Gesellschaft. Der säkulare Staat
muss sich am Neutralitätsprinzip ausrichten. Das bedeutet aber nicht ein Kooperationsverbot
zwischen Staat und Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften. Das kooperative Modell des
Staatskirchenrechtes soll zu einem pluralen Religionsverfassungsrecht weiterentwickelt
werden.
(175) Aktives jüdisches Leben in Deutschland und Europa nach den schrecklichen Erfahrungen
der Shoa bedeutet eine große Verantwortung für den deutschen Staat und seine Bürger*innen.
Jüdinnen und Juden in ihrer Selbstentfaltung zu unterstützen sowie ihre Sicherheit und die
der jüdischen Einrichtungen zu gewährleisten ist eine wichtige Aufgabe für unsere
Gesellschaft. Sich Antisemitismus in jeder Form entgegenzustellen ist die Verpflichtung
unseres Rechtsstaates und die immer währende Aufgabe aller Menschen in Deutschland und in
Europa. Das Existenzrecht und die Sicherheit Israels mit gleichen Rechten für all seine
Bürger*innen sind unverhandelbar.
(176) Muslim*innen sind nach den Angehörigen der großen christlichen Konfessionen die größte
religiöse Gruppe in diesem Land. Der Islam gehört damit selbstverständlich zu Deutschland.
Moscheen und muslimische Gemeinden müssen vor Bedrohungen und Angriffen geschützt, die
Sicherheit von Muslim*innen muss gewährleistet werden. Antimuslimischen Rassismus zu
bekämpfen ist Aufgabe der gesamten Gesellschaft. Das Anliegen vieler Muslim*innen,
mittelfristig anerkannte und gleichberechtigte Religionsgemeinschaft(en) im Sinne und nach
den Regeln des Grundgesetzes bilden zu können, verdient Unterstützung. Das Ziel sind
Staatsverträge mit islamischen Religionsgemeinschaften.
(177) Menschen mit Romani-Hintergrund sind die größte Minderheit in Europa. Sie sind Teil
der europäischen Geschichte und Gegenwart seit mehr als 600 Jahren und in Deutschland als
nationale Minderheit anerkannt. Kultur und Sprache sind vom Staat zu schützen und zu
fördern. Antiziganistische Diskriminierung ist jedoch weit verbreitet und bis in die Mitte
der Gesellschaft verankert. Sie findet zum Beispiel bei der Wohnungs- und Arbeitssuche, im
Bereich Bildung und Gesundheit statt. Dagegen einzutreten ist unsere Verpflichtung. Das
Erinnern an den lange ignorierten und nicht anerkannten Holocaust an Menschen mit Romani-
Hintergrund in der Zeit des Nationalsozialismus ist unser aller Verantwortung.
(178) Inklusion ist ein Menschenrecht. In einer inklusiven Gesellschaft können alle Menschen
ohne Angst in ihren Eigenschaften und Lebensformen verschieden sein. In einer inklusiven
Gesellschaft werden die Rechte von Menschen mit Behinderung und deren gesellschaftliche
Teilhabe umfassend und wirksam realisiert und geschützt. Die Umsetzung der VN-
Behindertenrechtskonvention in allen Lebensbereichen beendet ausschließende Strukturen.
Leben mit einer Beeinträchtigung bedeutet besondere Anforderungen zur Selbstbestimmung.
Menschen mit Behinderung tragen mit ihren Fähigkeiten und Ressourcen zum Gemeinwohl bei.
Feminismus und Geschlechtergleichstellung
(179) Feminismus ist sowohl die Vision einer gleichberechtigten Gesellschaft als auch der
Weg dorthin. Er verspricht, echte Gleichberechtigung in allen Lebensbereichen einzulösen –
rechtlich, kulturell und ökonomisch.
(180) Eine Gesellschaft, in der gleiche Teilhabe für alle Geschlechter Wirklichkeit ist,
schützt und stärkt die Rechte aller Frauen in ihrer Unterschiedlichkeit und unabhängig von
Herkunft, Alter, Religion, Behinderung, Sexualität oder Klasse. Deshalb verfolgen wir einen
Feminismus, der verschiedene Diskriminierungsformen auch in ihrer Verschränkung erkennt und
an ihrer Beseitigung arbeitet.
(181) Gesellschaftlich vorgegebene Rollenzwänge führen zu ungleichen Chancen und häufig zu
individuellem Leid. Sexismus behindert Frauen im Job, in der Schule, in der Uni, vor
Gericht, im Privatleben, in den Medien, im Internet. Menschen aller Geschlechter profitieren
von der Überwindung feststehender Geschlechterrollen. Menschen benötigen von klein auf
vielfältige Vorbilder, um sich frei entfalten zu können. Gemeinsam schaffen wir eine
Gesellschaft, in der alle Menschen frei von einschränkenden Rollenbildern leben können.
(182) Das Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper und das eigene Leben muss auch
für Frauen, Mädchen, trans*, inter* und nicht-binäre Menschen uneingeschränkt gelten. Dieses
Recht zu realisieren ist Teil einer guten öffentlichen Gesundheitsversorgung. Zu ihr zählen
auch selbstbestimmte Schwangerschaftsabbrüche, die nichts im Strafgesetzbuch verloren haben.
Menschen mit einer nichtbinären Geschlechtsidentiät haben ausschließlich selbst das Recht,
ihr Geschlecht zu definieren. Selbstbestimmung setzt einen umfassenden Schutz vor Gewalt
voraus. Im Sinne der Istanbul-Konvention ist jegliche Form geschlechtsspezifischer,
körperlicher, seelischer und sexualisierter Gewalt konsequent zu bekämpfen.
(183) Frauen sollen in allen Bereichen der Gesellschaft mitbestimmen und Verantwortung
übernehmen können. Gleichberechtigung bedeutet nicht nur, aber auch mehr Frauen in
Führungspositionen – in der Politik, in der Zivilgesellschaft und der Wirtschaft. Wo
freiwillige Selbstverpflichtung nicht hilft, sind Quoten ein wichtiges Instrument für mehr
Parität. Sie zielen dabei immer auf eine Welt, in der sie sich selbst überflüssig machen.
(184) Eine offene Gesellschaft ist eine der Geschlechtervielfalt, in der alle Menschen ohne
Angst verschieden sein können. Freiheit und Würde bedeuten, sich einem Geschlecht zuordnen
zu können oder auch nicht. Und es bedeutet, die eigene sexuelle Identität selbstbestimmt zu
finden. Freiheit und Würde bedeuten auch, gemäß der eigenen sexuellen Orientierung die
Lebensform, die Partnerschaft und das Familienmodell selbst zu wählen und dafür jeweils die
gleichen Rechte und den gleichen Schutz vom Staat zu erhalten. Antiqueere, homo-, bi- und
transfeindliche Ressentiments und Diskriminierung sowie Angriffe auf lesbische, schwule,
bisexuelle, trans*, inter*, nicht-binäre und queere Menschen sind menschenrechtliche
Verstöße und müssen von der gesamten Gesellschaft klar zurückgewiesen werden.
Stadt und Land, Jung und Alt
(185) Die regionale Vielfalt, die verschiedenen historischen Erfahrungen und
unterschiedlichen Lebensstile der Menschen machen Deutschland aus. Auch die historische
Spaltung in Ost und West durch den Kalten Krieg sowie die Verwerfungen nach der
Wiedervereinigung haben Deutschland geprägt. Unterschiede anzuerkennen, zu schützen und
zugleich den sozialen Zusammenhalt zu stärken ist unsere Verpflichtung. Es ist Verantwortung
des Staates, die Lebensbedingungen in sich ökonomisch und strukturell unterschiedlich
entwickelnden Regionen im gesamten Bundesgebiet und auf allen Ebenen anzugleichen – etwa im
Verhältnis von ländlichen Gegenden zu Städten, vom Norden zum Süden, von Ost nach West, von
schrumpfenden zu wachsenden Regionen.
(186) Die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse ist als normative Aufgabe wichtig, aber
immer schwieriger zu definieren. Während in strukturschwachen Regionen oftmals staatliche
Institutionen fehlen, sind die Mieten dort meist günstiger. Die Sicherung von gleichwertigen
Lebensverhältnissen wird nicht durch das gleiche Angebot wie in den Metropolen zu erreichen
sein, wohl aber durch die Schaffung von Voraussetzungen für kreative, flexible und digitale
Lösungen. Es geht um eine neue Politik des Ausgleichs zwischen ländlichen Räumen und
Städten. Dazu dient eine neue Gemeinschaftsaufgabe „Regionale Daseinsvorsorge“.
(187) Gute und sichere öffentliche Räume und Institutionen sind Voraussetzungen dafür, dass
die Gesellschaft zusammenhält. Damit Sicherheit und Gemeinsamkeit möglich werden, garantiert
der Staat gute Versorgung, Anbindung von ländlichen Regionen und Orte der Begegnung. Zur
Daseinsvorsorge gehören etwa Breitbandanschlüsse und Mobilfunkversorgung, Frauenhäuser,
Ärzt*innen sowie Krankenhäuser, Kitas, Jugendhäuser, Musikschulen und Bibliotheken, auch in
den ländlichen Regionen, Sportplätze und Schwimmbäder in Stadt und Land. So helfen
öffentliche Räume und Institutionen, Freiheit und Selbstbestimmung zu ermöglichen,
Chancengleichheit herzustellen und Aufstiegschancen zu schaffen. Sie sind mehr als
staatliche Daseinsvorsorge, sie sind ein Zusammenspiel von demokratischer Staatlichkeit und
bürgerschaftlichem Zusammenleben.
(188) Es braucht bessere regionale Wirtschaftskreisläufe. Sie sind nicht nur ökologischer,
sondern können auch Regionen mit Strukturproblemen helfen. Die regionale
Wirtschaftsförderung ist so auszurichten, dass regionale Kreisläufe unterstützt werden, vor
Ort eine gute Infrastruktur vorhanden ist und auch ländliche Regionen verlässlich vernetzt
und an die Zentren angebunden sind. Dafür braucht es starke regionale Zentren als
Ankerpunkte in den Regionen, die ein breites Angebot an öffentlichen und kulturellen
Dienstleistungen vorhalten. Ein Beispiel sind die europäischen Metropolregionen. Bei der
Ansiedelung von Bildungsinstitutionen, Landes- und Bundesbehörden sollen strukturschwache
Gebiete besonders berücksichtigt werden.
(189) Die europäischen Gesellschaften sind geprägt durch demographischen Wandel.
Bevölkerungsverluste und -zuwächse sind sehr ungleich verteilt, vor allem zwischen Stadt und
Land, und sie prägen unterschiedliche Identitäten und kulturelle Erfahrungen. Gleichwertige
Lebensverhältnisse herzustellen ist ein verfassungsrechtliches Handlungsziel und Kernaufgabe
der Politik.
(190) Das gute Zusammenleben aller Generationen und Gerechtigkeit zwischen ihnen wird in
einer alternden Gesellschaft zentraler. In ihr braucht es neue Formen des Zusammenlebens und
eine altersgerechte Infrastruktur. Das wirkt Einsamkeit entgegen und stärkt den sozialen
Zusammenhalt. Im Zentrum sollte nicht nur die Versorgung älterer Menschen stehen, sondern
auch ihre Teilhabe am gesellschaftlichen und politischen Leben.
(191) Für viele Menschen ist die Familie das Fundament ihres Zusammenlebens und Glücks.
Deswegen stehen Familien zu Recht unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes. Familie ist
da, wo Menschen mit dem Ziel der Dauerhaftigkeit Verantwortung füreinander übernehmen, sich
umeinander kümmern und füreinander da sind. Familien verdienen Unterstützung. Egal ob mit
oder ohne Trauschein, ob alleinerziehend oder mit Partner*in, ob gleich- oder
mehrgeschlechtlich, ob Patchwork oder in Mehr-Eltern-Konstellationen – alle Formen sollen
rechtlich und sozial abgesichert sein.
(192) Viele Eltern wollen sich Sorge- und Erwerbsarbeit gleichberechtigt aufteilen. Das wird
möglich durch ein flächendeckendes, zeitlich flexibles und qualitativ hochwertiges
Betreuungs- und Bildungsangebot, einen Wandel der Arbeitswelt sowie eine Reduzierung der
Arbeitszeit.
(193) Kinder brauchen die Freiheit, sich zu bewegen, zu spielen und zu lernen, zu lachen und
zu weinen, zur Freude und zur Wut. Sie haben eigene Rechte. Diese gehören in den Mittelpunkt
von Politik und Gesellschaft und sind im Grundgesetz eigenständig zu garantieren. Kinder
sind Expert*innen in eigener Sache und sollten bei den sie betreffenden Angelegenheiten
beteiligt werden. Ihr Interesse muss Leitlinie in der Ausstattung von öffentlichen Räumen
und Institutionen sein.
(194) Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf besonderen Schutz und auf
diskriminierungsfreie Förderung, die über bundesweite Qualitätskriterien für Kitas, Schulen,
Jugendämter und freie Träger zu garantieren sind. Kinderrechte gehören in alle Curricula für
Jura, Medizin, Erziehungswissenschaften und Polizei. Kinder müssen bei Entscheidungen
gehört, ihre Rechte und ihr Wille im Mittelpunkt stehen. Überall, wo mit Kindern umgegangen
wird, muss Basiswissen über Kinderrechte, insbesondere über Beteiligung, über den Schutz vor
Kindeswohlgefährdung und vor sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche, zur
Voraussetzung werden. In Kinderschutzverfahren muss die nötige Qualifikation bei allen
Beteiligten gesetzlich vorgegeben und tatsächlich gewährleistet sein.
(195) Guter, bezahlbarer Wohnraum für alle ist eine öffentliche Aufgabe. Wohnraum, Grund und
Boden dürfen keine Spekulationsobjekte sein. Das Recht auf Wohnen soll im Grundgesetz
verankert werden. Kein Mensch soll ohne Obdach sein oder darf bei der Wohnungssuche wegen
des Namens, der Herkunft, der sexuellen Identität oder einer Behinderung diskriminiert
werden. Auch kleine Gewerbetreibende dürfen nicht durch steigende Mieten aus ihren Vierteln
vertrieben werden. Es braucht ein starkes und soziales Mietrecht, eine gesetzliche
Begrenzung der Miethöhe und eine Mieter*innen-Mitbestimmung.
(196) Um das Recht auf Wohnen zu verwirklichen, ist ein hoher Bestand an öffentlichem und
sozial gebundenem Wohnraum nötig. Dort, wo viele Menschen zuziehen, muss in großem Umfang
gebaut werden. Dabei muss auf nachhaltiges Bauen und eine behutsame Nachverdichtung geachtet
werden.
(197) Eine lebendige, durchmischte, offene und barrierefreie Stadt der kurzen Wege ist
Leitbild: Dort leben Junge und Alte sowie Menschen verschiedener Herkunft gern in ihren
Wohnvierteln, haben es nicht weit zur Arbeit und zum nächsten Sportplatz. Der demographische
Wandel bringt neue Formen des Zusammenlebens. Ein ausreichender Bestand an barrierefreien
Wohnungen und Möglichkeiten für ältere Menschen, ein aktives Leben zu führen, sind
entscheidend.
(198) Sport verbindet. Alte und Junge, Menschen verschiedener Herkunft, mit verschiedenen
Erfahrungen – auf dem Fußballplatz sind alle gleich. In Deutschland engagieren sich viele
Millionen Menschen im Sport – in Vereinen und Organisationen – für Fairness, Teamgeist und
Verantwortung. Im Sport können die Werte einer offenen und solidarischen Gesellschaft gelebt
und vermittelt werden. Der organisierte Sport ist eine wichtige Stütze der Gesellschaft,
weil er Werte und Bildung vermittelt und Zusammenhalt schafft. Diese Strukturen zu erhalten
und zu stärken bedeutet, das friedliche Zusammenleben zu stärken. Auf internationaler Ebene
leistet der Sport einen wichtigen Beitrag zum Kulturaustausch und zu gegenseitiger
Begegnung. Sport findet nicht im politischen Vakuum statt. Das bedeutet Verantwortung für
den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft, für den Schutz von Menschenrechten und der Natur,
aber genauso als wirtschaftlicher Akteur und im Kampf gegen Doping.
(199) Privat übernehmen viele Menschen ehrenamtlich Verantwortung für andere, sei es in
Familie und Nachbarschaft oder in Vereinen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften und
Initiativen. Das Ehrenamt hat eine konstitutive Rolle in unserer Demokratie und für unser
Zusammenleben. Dafür braucht es Zeit, Anerkennung und Förderung, die wir als Gesellschaft
bereitstellen müssen.
(200) Viele Menschen sind motiviert, freiwilligen Einsatz für die Gesellschaft zu bringen.
Die bestehenden Freiwilligendienste können zu einem neuen gesellschaftlichen
Generationenprojekt werden, wenn sie ausgebaut und auch für Menschen im Ruhestand geöffnet
werden, die Erfahrung und Können weiter einbringen wollen. Ein solcher
„Zivilgesellschaftsdienst“ soll Rentner*innen wie allen jungen Menschen, die ihn ausüben
wollen, unabhängig vom eigenen Geldbeutel offenstehen.
Kultur und die Künste
(201) Kunst ist frei. Kunst dient niemandem. Sie lässt sich nicht auf ihren materiellen Wert
reduzieren. Kunst ist vielfältig und deutungsoffen und nie homogen, sie ist dynamisch und
hybrid und niemals statisch. Kultur und die Künste lassen aus dem Zusammenspiel
unterschiedlichster Einflüsse und Zusammenhänge Neues entstehen und sind so Motor
gesellschaftlicher Veränderung. Wir schützen die Freiheit der Kunst und wenden uns dagegen,
Kunst und Kultur vereinheitlichen zu wollen oder alleinige Deutungshoheit über sie zu
beanspruchen.
(202) Freie Kultur und Kunst sind eine Grundlage für Demokratie und friedliches
Zusammenleben. Sie gehören zur Daseinsvorsorge und sind Ausdruck und Anlass individueller
und gesellschaftlicher Reflexion, persönlichen und kollektiven Erkenntnisgewinns sowie
persönlicher und kollektiver Entwicklung. Kulturelle Vielfalt sowie Transkulturalität zu
fördern und zu schützen ist wichtige Aufgabe in der offenen Gesellschaft. Der Zugang zu und
die Teilhabe an Kultur und den Künsten muss für alle gleich gewährleistet sein, ungeachtet
der Herkunft. Das gilt für kulturelle Bildung, Kulturinstitutionen und Freiräume
gleichermaßen. Es gilt für das Erleben ebenso wie für das Schaffen von Kunst. Kultur und
Sprache nationaler Minderheiten sowie anerkannte Regionalsprachen sind zu schützen und zu
fördern.
(neu 203) Kulturräume verlaufen nicht entlang staatlicher Grenzen, sie sind gleichermaßen lokal, regional, national und international. Kulturpolitik muss deswegen dezentral und föderal sein - sie reicht von den Kommunen und der Kulturhoheit der Länder über das Engagement des Bundes bis zur europäischen Ebene und den Institutionen des internationalen Kulturaustauschs und der Auswärtigen Kulturpolitik. Eine Renationalisierung von Kulturpolitik und eine Instrumentalisierung von Kultur für Nationalismus und Ausgrenzung steht diesen Grundsätzen klar entgegen
(203) Kultur und Kunst brauchen öffentliche Förderung auf Grundlage transparenter Kriterien,
Kulturschaffende eine verlässliche und angemessene soziale Absicherung, die freie Szene
braucht professionelle Rahmenbedingungen, unabhängig von privater und unternehmerischer
Unterstützung. Dazu gehören auch transparente Strukturen und faire Arbeitsbedingungen in den
öffentlich geförderten Kultureinrichtungen.
(204) Das Bewusstsein für die Singularität der Verbrechen des Nationalsozialismus als
universelle Mahnung an die gesamte Menschheit und die daraus folgende historische
Verantwortung wachzuhalten ist vordringliche Aufgabe deutscher Erinnerungskultur. Es kann
keinen Schlussstrich geben. Dazu gehört, die Aufarbeitung der NS-Verbrechen fortzuführen und
Raubkunst an die Eigentümer*innen und ihre Erb*innen zurückzugeben.
(205) Zur Erinnerungskultur gehört das Erinnern an die friedliche Revolution 1989/90 in
Ostdeutschland sowie die historische Aufarbeitung der Verbrechen des SED-Regimes. Erlittenes
und begangenes Unrecht dürfen nicht in Vergessenheit geraten. Erinnerungsstätten und
Opferberatungen benötigen daher eine auskömmliche Finanzierung. Der Zugang zu den Stasi-
Akten muss weiterhin für Betroffene, für Publizistik und Forschung gewährleistet sein.
(206) Die Erinnerungskultur einer vielfältigen Einwanderungsgesellschaft zeigt sich offen
für die vielstimmigen Geschichten und Erzählungen sowie die unterschiedlichen historischen
Erfahrungen der Menschen, die hier leben. Auch die kritische Aufarbeitung der kolonialen
Vergangenheit und der damit verbundenen Verbrechen muss selbstverständlicher Teil unserer
Bildungs- und Erinnerungskultur sein. Das ist Voraussetzung für eine Gesellschaft, in der
Menschen frei von Rassismus leben können.
(207) Deutschlands Kolonialvergangenheit ist auch im Kulturbereich viel zu wenig
aufgearbeitet. Es braucht eine umfängliche Forschung über die Herkunft von Sammlungsobjekten
und immateriellen Kulturgütern aus kolonialen Kontexten, ihre Rückgabe an die
Herkunftsgesellschaften sowie die Dekolonisierung von Kultureinrichtungen und des
öffentlichen Raums. Dies kann nur in enger Zusammenarbeit mit den Nachkommen der ehemals
Kolonisierten international wie hierzulande geschehen.
(208) Der internationale Austausch im Bereich Kunst, Theater, Musik, Literatur, Film und
anderer Künste stärkt die Bindung zwischen den Menschen rund um den Globus. Die
Intensivierung der internationalen Kulturbeziehungen ist ein Beitrag zur Öffnung, zu Frieden
und zum Schutz von Menschenrechten. Die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik übernimmt
dabei eine wichtige Rolle.
Gesundheit und Pflege
(209) Oberste Aufgabe jeder Gesundheitspolitik ist es, die Würde und Freiheit des Menschen
auch im Krankheits- und Pflegefall zu wahren und gleichzeitig Krankheiten und
Gesundheitsrisiken vorzubeugen. Gesundheitsversorgung und Pflege sind zentrale Pfeiler der
Daseinsvorsorge. Es ist öffentliche Aufgabe, jedem Menschen unabhängig von Alter, Einkommen,
Geschlecht, Herkunft, sozialer Lage oder Behinderung sowie vom Wohnort und Aufenthaltsstatus
Zugang zu einer qualitativ hochwertigen Versorgung, die sich an seinen Bedürfnissen
orientiert, zu garantieren. Die Versorgung muss dem Stand der wissenschaftlichen
Erkenntnisse entsprechen, den medizinischen Fortschritt berücksichtigen und auch den
Bedarfen von besonders verletzlichen Personengruppen gerecht werden.
(210) Gute Gesundheitspolitik setzt schon bei der Vermeidung von Erkrankungen und
Pflegebedürftigkeit an und nimmt dabei auch das psychische und soziale Wohlbefinden in den
Blick. Prekäre Lebensverhältnisse machen in vielen Fällen krank. Menschen, die in Armut
leben, haben eine höhere Wahrscheinlichkeit zu erkranken und oft einen schlechteren Zugang
zum Gesundheitssystem. Bewegungsmöglichkeiten, gesunde Ernährung und saubere Luft müssen
allen zur Verfügung stehen, um gesund zu bleiben. Prävention, Gesundheitsförderung und
‑schutz sind deshalb Querschnittsaufgaben, die in allen Politikbereichen verfolgt werden
müssen. Insbesondere eine gute Sozialpolitik ist Teil einer umfassenden Gesundheitsvorsorge.
(211) Internationale und solidarische Kooperation bei Gesundheitsforschung und beim Aufbau
guter Gesundheitssysteme ist eine gemeinsame Aufgabe der Weltgemeinschaft. Es braucht
weltweit Versorgungssicherheit mit zentralen Arzneimitteln und Materialien. Sie müssen auch
in Europa produziert werden.
(212) Gesundheitsversorgung ist öffentliche Aufgabe. Egal ob bei der freiberuflichen
Landärztin, dem Medizintechnikunternehmen oder in der staatlichen Uniklinik – sie muss dem
Menschen und seiner Gesundheit zugutekommen und dient nicht dem Zweck, hohe Renditen zu
erzielen. Die Planung und Finanzierung des Gesundheitswesens muss am Bedarf der
Patient*innen ausgerichtet werden. Entscheidend ist nicht, was sich rentiert, sondern was
notwendig ist. Insbesondere im Krankenhausbereich soll die Gemeinwohlorientierung gestärkt,
die Benachteiligung öffentlicher Träger beendet, die Trägervielfalt erhalten und der Trend
hin zur Privatisierung gestoppt werden. Klare politische Vorgaben zur Personalbemessung,
Behandlungs- und Versorgungsqualität sollen sicherstellen, dass alle Träger gleichermaßen
zum Nutzen der Patient*innen handeln. Dadurch werden Gewinnausschüttungen von Kliniken
beschränkt, damit öffentliches und beitragsfinanziertes Geld im System bleibt.
(213) Gleichwertige Lebensverhältnisse bedeuten eine gute Gesundheitsversorgung in der Stadt
und auf dem Land. Jeder Mensch muss Zugang zu medizinischer und psychotherapeutischer Hilfe
haben, egal wo er lebt. Dafür müssen die Grenzen zwischen ambulanter und stationärer
Versorgung überwunden und Gesundheitsregionen aufgebaut werden, die eine bestmögliche
Verknüpfung der verschiedenen Versorgungsangebote vor Ort erlauben. Durch ein Stufenmodell
von der ambulanten und stationären Grundversorgung bis hin zu Spezialkliniken kann die
Versorgung im ländlichen Raum gestärkt und zeitgleich eine gute Versorgungsqualität
sichergestellt werden.
(214) Nur ein gut finanziertes Gesundheitssystem kann die Würde der Patient*innen und die
Rechte der Beschäftigten gleichermaßen schützen. Falsche politische Weichenstellungen und
der daraus folgende ökonomische Druck haben zu Fehlanreizen zulasten des Patient*innen-
Wohls, Kosteneinsparungen zulasten des Personals und einer falschen Verteilung von Geldern
geführt. Die Krankenhausfinanzierung muss neu gedacht und auf wohnortunabhängige
Versorgungssicherheit und -qualität, auf eine gute Bezahlung für Beschäftigte, auf Vorsorge
und auf Krisenfestigkeit ausgerichtet werden. Kliniken sollen nicht nur nach erbrachter
Leistung, sondern nach ihrem gesellschaftlichen Auftrag finanziert werden. Dafür müssen die
Fallpauschalen reformiert und um eine strukturelle Finanzierung ergänzt werden. Die
Investitionsfinanzierung muss durch Bund und Länder gemeinsam verbessert werden. Die
Versorgungsplanung im Gesundheitssystem soll gestärkt werden. Stationäre und ambulante
Versorgung sollen zusammen gedacht, geplant und finanziert werden.
(215) Eine bessere Vernetzung, Koordination und Zusammenarbeit über alle Berufsgruppen
hinweg ist notwendig, um den Bedarfen der Patient*innen in einer älter werdenden
Gesellschaft besser gerecht zu werden. Eine gut abgestimmte integrierte Versorgung in Form
von Gesundheitsregionen, in denen Ärzt*innen, Psychotherapeut*innen, Pflegekräfte und andere
Heilberufe sowie ein gut ausgestatteter öffentlicher Gesundheitsdienst Hand in Hand und auf
Augenhöhe zusammenarbeiten, muss darum zur Regel werden. Dabei helfen eine umfassende
Versorgungsplanung, Gesundheitsberichterstattung, die Aufwertung und Ausweitung der
Kompetenzen in Gesundheits- und Pflegefachberufen und eine Stärkung der
Versorgungsforschung. Heilmittelerbringer*innen und gesundheitsnahe Berufe sind ein
essenzieller Teil unseres Gesundheitssystems und müssen finanziell besser abgesichert
werden. Eine Stärkung der professionellen Pflege und der hausärztlichen Versorgung ist
Voraussetzung für ein gutes Versorgungsnetz in der Fläche.
(216) Die Versorgung durch Hebammen und in Geburtshäusern sowie Kreißsälen muss sowohl in
ländlichen Regionen als auch in Städten gesichert sein. Die reproduktive Selbstbestimmung
muss gewährleistet sein, das bedeutet den kostenfreien Zugang zu Verhütungsmitteln und die
Sicherstellung von ärztlich vorgenommenen Schwangerschaftsabbrüchen. Das sind wichtige Teile
der Gesundheitsversorgung und der Selbstbestimmung von Frauen. Dazu gehört auch die Stärkung
von Frauengesundheit und geschlechtsspezifischer Medizin in Forschung und Praxis.
(217) Gute Gesundheit und Pflege gibt es nur unter guten Arbeitsbedingungen in allen
Gesundheitsberufen. Altenpfleger*innen, Krankenpfleger*innen oder Hebammen sind das Rückgrat
unserer Gesellschaft. In diesem Arbeitsbereich droht permanent die Gefahr von Überlastung
und Überarbeitung. Sich um andere zu kümmern darf nicht krank machen. Es braucht mehr
Personal, mehr Lohn und mehr Zeit. Um überhaupt mehr Personal zu gewinnen, muss sich die
Arbeit mit der Familie vereinbaren lassen und Fortbildung und Aufstiegschancen bieten. Der
Staat trägt hier auch aufgrund des im Grundgesetz festgeschriebenen Sozialstaatsgebots eine
besondere Verantwortung.
(218) Digitalisierung und Automatisierung können helfen, Arbeitsabläufe im Gesundheitswesen
zu vereinfachen und Arbeitsbedingungen zu verbessern, und so dazu beitragen, den
Fachkräftemangel im Gesundheitswesen zu bekämpfen. Mithilfe der Koordinierung und des
Abgleichs von Kapazitäten und der Übernahme von unterstützenden Tätigkeiten durch Robotik
und digitale Hilfsmittel kann mehr Zeit für die persönliche Arbeit mit Patient*innen und
menschliche Zuwendung gewonnen werden.
(219) Die Chancen der Digitalisierung gilt es sowohl bei der Organisierung der
Gesundheitsversorgung und im Pflegebereich als auch bei der Verwaltung von Gesundheitsdaten
und der individuellen Prävention zu nutzen. So wird auch in Zeiten des demographischen
Wandels ein zukunftsfähiges Gesundheitssystem erhalten. Aufgrund der Sensibilität von
Gesundheitsdaten kommt dem Datenschutz dabei eine herausragende Rolle zu. Gerade deshalb
sollte die Infrastruktur von staatlicher Seite und nicht von privaten Drittanbietern zur
Verfügung gestellt werden. Gesundheitsdaten inklusive der Patient*innen-Daten werden unter
Wahrung höchster Datenschutzstandards digital erfasst und der Forschung anonymisiert zur
Verfügung gestellt. Ihre eigenen Gesundheitsdaten müssen Patient*innen jederzeit zugänglich
sein.
(220) Solidarisch finanziert können die Herausforderungen der älter werdenden Gesellschaft
und die Kosten des medizinischen Fortschritts am besten bewältigt werden. Indem alle
Bevölkerungsgruppen in die Finanzierung über eine Bürgerversicherung einbezogen werden,
können die Belastungen fair und für alle tragfähig ausgestaltet werden. Gesundheit und
Pflege muss allen Menschen gleich zur Verfügung stehen. Beim Zugang darf es keinen
Unterschied nach Einkommen oder Versicherungsstatus geben. Im Falle von Pflegebedürftigkeit
muss sichergestellt sein, dass alle Menschen die Leistungen erhalten, die sie benötigen, und
die anfallenden Kosten auch stemmen können. Pflege darf kein Armutsrisiko sein.
(221) Leistungen, die medizinisch sinnvoll und gerechtfertigt sind und deren Wirksamkeit
wissenschaftlich erwiesen ist, müssen von der Solidargemeinschaft übernommen werden. Bei
Medikamenten und Impfstoffen, die etwa der Bekämpfung von Pandemien dienen und durch Patente
geschützt sind, sind kostengünstige Lizenzen notwendig, um Menschen weltweit versorgen zu
können. Diese Lizenzen müssen im Zweifel verpflichtend durchgesetzt werden.
(222) Statt um eine Kriminalisierung von Süchtigen und Konsument*innen geht es um
Prävention, Schadensminimierung, Entkriminalisierung und passgenaue Beratungs- und
Hilfsangebote. Cannabis sollte legalisiert werden. Eine kontrollierte Abgabe von
psychoaktiven Substanzen und eine an den gesundheitlichen Risiken orientierte Regulierung
sind der richtige Weg für wirksamen Jugend- und Gesundheitsschutz, zur Verhinderung von
Drogentoten und um kriminellen Strukturen und Drogenkriegen die Grundlage zu entziehen.
(223) Menschen sind immer Menschen, niemals „Fälle“, egal ob gesund, krank, pflegebedürftig
oder eingeschränkt. Patient*innen sind Akteur*innen mit starken Rechten. Sie müssen bei
relevanten Entscheidungen im Gesundheitswesen mitbestimmen und in entsprechende Gremien
eingebunden sein. Die Förderung der Gesundheitskompetenz, die Befähigung der Patient*innen
und unabhängige Gesundheitsberatung sollen zu einem festen Bestandteil unseres
Gesundheitssystems werden.
(224) Auch im Alter oder bei Pflegebedürftigkeit haben Menschen das Recht auf ein
selbstbestimmtes Leben. Menschen, die pflegebedürftig werden, wollen zumeist in ihrem
gewohnten Umfeld bleiben. Eine dezentrale Pflegestruktur, bei der die Wünsche, die
Selbstbestimmung und Selbstständigkeit der Betroffenen im Mittelpunkt stehen, ist dafür der
beste Weg. Deshalb sollen Kommunen mehr Möglichkeiten bekommen, das Angebot an Pflege und
Betreuung vor Ort zu gestalten. Ziel sind lebenswerte Quartiere für alle Generationen, in
denen professionelle Pflegeangebote und nachbarschaftliche Initiativen ineinandergreifen und
diese ältere und pflegebedürftige Menschen sowie pflegende Angehörige unterstützen.
Pflegende Angehörige verdienen grundsätzlich mehr Unterstützung und bessere
Rahmenbedingungen. Gute stationäre Pflege gibt es nur, wenn in Pflegeheimen die Bedürfnisse
und das Wohl der Patient*innen im Mittelpunkt stehen, nicht wenn zu Gunsten von hohen
Renditen an der Qualität oder an den Beschäftigten gespart wird.
(225) Zu einem Leben in Würde gehört auch ein Sterben in Würde. Eine bedarfsgerechte
Palliativversorgung in Stadt und Land ist unerlässlich. Auch damit Menschen die Möglichkeit
haben, zu Hause im Kreis der Angehörigen zu sterben. Zusätzlich braucht es genügend
Hospizplätze, die auch auf die Bedürfnisse der Sterbenden eingestellt sind.
weitere Antragsteller*innen
- Kai Gehring (KV Essen)
- Erhard Grundl (KV Straubing-Bogen)
- Manuel Stock (KV Frankfurt)
- Marcel Ernst (KV Göttingen)
- Michael Hack (KV Wetterau)
- Felix Beutler (KV Berlin-Lichtenberg)
- Christopher Peter (KV Berlin-Tempelhof/Schöneberg)
- Mogdeh Töbelmann (KV Berlin-Mitte)
- Torsten Fiebig (KV Berlin-Neukölln)
- Johannes Kopton (KV Magdeburg)
- Johannes Kode (KV Berlin-Tempelhof/Schöneberg)
- Henrik Rubner (KV Berlin-Mitte)
- Almut Mackensen (KV Göttingen)
- Ingo Stuckmann (KV Mülheim)
- Dorothea Kaufmann (KV Heidelberg)
- Beate Schmidt-Dickopf (KV Frankfurt)
- Arven Herr (KV Göttingen)
- Anne Franke (KV Starnberg)
- Viola von Cramon (KV Göttingen)
- Alexander Schrickel (KV Saarbrücken)
- Kristian Warnholz (KV Pinneberg)
- Ann-Katrin Knemeyer (KV Hamburg-Eimsbüttel)
- Jan Sollwedel (KV Marburg-Biedenkopf)
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Sprache nationaler Minderheiten sowie anerkannte Regionalsprachen sind zu schützen und zu fördern.
(neu 203) Kulturpolitk muss vernetzt gedacht werden, denn Kulturräume verlaufen nicht entlang staatlicher Grenzen, sie sind gleichermaßen lokal, regional, national und international. Nur eine prosperierende, vielfältige und offene Kulturlandschaft schafft Zusammenhalt und lässt Neues entstehen. Freiräume für kulturelle Aktivitäten müssen erhalten oder geschaffen werden, damit Kultur und die Künste ihren entscheidenden Beitrag zu einer hohen Lebensqualität sowie zu Austausch und Zusammenleben leisten können.
Kapitel 4: Zusammen leben
Zusammenhalt in Vielfalt
(165) Offen ist eine Gesellschaft, in der alle Bürger*innen die gleichen Rechte und
Möglichkeiten haben, die die Unterschiedlichkeit von Menschen und Regionen als Stärke
begreift und als Wert verteidigt, die soziale Ungleichheit verringern will und den Schutz
von Minderheiten gewährleistet. Individuelle Freiheit und persönliche Identität werden
geschützt. Die offene Gesellschaft ist eine gewaltfreie. Ihre Grenzen findet sie in den
Rechten und Freiheiten der Mitmenschen. Die offene Gesellschaft hinterfragt sich, lernt und
ist selbstkritisch. Sie beruht auf Bedingungen, die sie selbst nicht schützen kann. Deshalb
sind der Schutz und die Arbeit für sie eine dauernde politische Aufgabe.
(166) Menschen sind unterschiedlich, aber ihre Rechte und ihre Würde sind gleich. Eine
vielfältige, diskriminierungsfreie, gleichberechtigte Gesellschaft bedeutet demokratischen
Fortschritt für alle. Sie entwickelt sich stets weiter und handelt permanent die Regeln
ihres Zusammenlebens neu aus. In einer pluralistischen Gesellschaft bilden gleichberechtigte
Individuen aus vielfältigen Perspektiven ein Bündnis für ein gemeinsames Wir zum Schutz und
zur Förderung von Freiheit und Würde. Das gemeinsame Wir bedeutet Zusammenhalt in Vielfalt.
(167) Das gemeinsame Wir schließt alle ein, die in unserem Land leben. Wir sind
unterschiedlich, aber uns verbindet Respekt und Akzeptanz allen Menschen gegenüber,
unabhängig davon, wie sie leben, lieben, glauben und aussehen. Das macht den Reichtum
unseres „Wir“ aus.
(168) Eine vielfältige und inklusive Gesellschaft ist eine gleichberechtigte – mit gleichen
Rechten, Zugängen und gleicher Teilhabe. In einer vielfältigen Gesellschaft richtet sich
Zugehörigkeit nicht danach, wo jemand geboren ist, in welchem Stadtteil jemand wohnt, woher
die Eltern kommen oder wie viel sie verdienen, wie jemand aussieht, was jemand glaubt oder
wie der Name klingt.
(169) Diskriminierung trifft nicht alle gleichermaßen, aber sie geht alle gleichermaßen an.
Eine vielfältige Gesellschaft schützt alle Menschen vor Diskriminierung, Rassismus,
Antisemitismus und Gewalt – im Alltag, ob subtil oder durch gesellschaftliche Strukturen und
öffentliche Institutionen.
(170) In Deutschland leben Menschen zusammen, deren Familien bereits seit Generationen hier
ansässig sind, sowie Menschen, die in jüngerer Zeit eingewandert sind. Hier leben
Christ*innen, Jüdinnen und Juden, muslimische und nicht religiöse Menschen genauso wie
Nachkommen von Arbeitsmigrant*innen und von Geflüchteten. Viele bezeichnen sich als
Deutsche, manche als Neue Deutsche, Schwarze Deutsche, People of Color, Menschen mit Romani-
Hintergrund, Polnisch-Deutsche oder Türkisch-Deutsche und vieles mehr. In einem offenen
Deutschland werden alle von allen als dazugehörig anerkannt und können sich zugehörig
fühlen.
(171) Migration prägt und verändert unsere Gesellschaft. Eine vielfältige
Einwanderungsgesellschaft erfordert die gleichberechtigte politische, soziale und kulturelle
Teilhabe von Migrant*innen. Sie ist als Staatsziel im Grundgesetz zu verankern.
(172) Das Staatsbürgerschaftsrecht soll allen Menschen, die hier leben, arbeiten oder zur
Schule gehen, rechtliche Gleichheit, wirkliche Teilhabe und Zugehörigkeit ermöglichen. Dazu
gehören die erleichterte und beschleunigte Einbürgerung, die Ermöglichung von doppelter
Staatsangehörigkeit und die Ausweitung des Geburtsrechts. Menschen, die in Deutschland ihren
Lebensmittelpunkt haben und Teil dieser Gesellschaft geworden sind, sollen einen
Rechtsanspruch auf Einbürgerung haben. Die deutsche Staatsangehörigkeit soll durch Geburt im
Inland erworben werden können, wenn ein Elternteil rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt
in Deutschland hat. Mehrstaatigkeit bildet die Lebensrealität vieler Menschen ab.
(173) Die deutsche Gesellschaft ist religiös und weltanschaulich plural. Eine plurale
Gesellschaft braucht den Dialog der Religionen und Weltanschauungen. Es geht um die
Bewahrung und Durchsetzung der Freiheit, das persönliche Leben nach eigenen Lebensentwürfen
und Wertvorstellungen zu gestalten. Das schließt die Freiheit des religiösen und
weltanschaulichen Bekenntnisses ebenso ein wie das Recht, nach anderen Vorstellungen zu
leben. Zu dieser Freiheit gehört auch Religions- und Weltanschauungskritik. Voraussetzung
für eine Zusammenarbeit mit öffentlichen Stellen ist die uneingeschränkte Anerkennung der
verfassungsmäßigen Ordnung des Grundgesetzes und die Unabhängigkeit von autokratischen
Regimen. Die Wahrung der grundrechtlichen Normen und Werte kann durch keine Religion
relativiert werden.
(174) Die christlichen Kirchen sind Teil und Stütze unserer Gesellschaft. Der säkulare Staat
muss sich am Neutralitätsprinzip ausrichten. Das bedeutet aber nicht ein Kooperationsverbot
zwischen Staat und Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften. Das kooperative Modell des
Staatskirchenrechtes soll zu einem pluralen Religionsverfassungsrecht weiterentwickelt
werden.
(175) Aktives jüdisches Leben in Deutschland und Europa nach den schrecklichen Erfahrungen
der Shoa bedeutet eine große Verantwortung für den deutschen Staat und seine Bürger*innen.
Jüdinnen und Juden in ihrer Selbstentfaltung zu unterstützen sowie ihre Sicherheit und die
der jüdischen Einrichtungen zu gewährleisten ist eine wichtige Aufgabe für unsere
Gesellschaft. Sich Antisemitismus in jeder Form entgegenzustellen ist die Verpflichtung
unseres Rechtsstaates und die immer währende Aufgabe aller Menschen in Deutschland und in
Europa. Das Existenzrecht und die Sicherheit Israels mit gleichen Rechten für all seine
Bürger*innen sind unverhandelbar.
(176) Muslim*innen sind nach den Angehörigen der großen christlichen Konfessionen die größte
religiöse Gruppe in diesem Land. Der Islam gehört damit selbstverständlich zu Deutschland.
Moscheen und muslimische Gemeinden müssen vor Bedrohungen und Angriffen geschützt, die
Sicherheit von Muslim*innen muss gewährleistet werden. Antimuslimischen Rassismus zu
bekämpfen ist Aufgabe der gesamten Gesellschaft. Das Anliegen vieler Muslim*innen,
mittelfristig anerkannte und gleichberechtigte Religionsgemeinschaft(en) im Sinne und nach
den Regeln des Grundgesetzes bilden zu können, verdient Unterstützung. Das Ziel sind
Staatsverträge mit islamischen Religionsgemeinschaften.
(177) Menschen mit Romani-Hintergrund sind die größte Minderheit in Europa. Sie sind Teil
der europäischen Geschichte und Gegenwart seit mehr als 600 Jahren und in Deutschland als
nationale Minderheit anerkannt. Kultur und Sprache sind vom Staat zu schützen und zu
fördern. Antiziganistische Diskriminierung ist jedoch weit verbreitet und bis in die Mitte
der Gesellschaft verankert. Sie findet zum Beispiel bei der Wohnungs- und Arbeitssuche, im
Bereich Bildung und Gesundheit statt. Dagegen einzutreten ist unsere Verpflichtung. Das
Erinnern an den lange ignorierten und nicht anerkannten Holocaust an Menschen mit Romani-
Hintergrund in der Zeit des Nationalsozialismus ist unser aller Verantwortung.
(178) Inklusion ist ein Menschenrecht. In einer inklusiven Gesellschaft können alle Menschen
ohne Angst in ihren Eigenschaften und Lebensformen verschieden sein. In einer inklusiven
Gesellschaft werden die Rechte von Menschen mit Behinderung und deren gesellschaftliche
Teilhabe umfassend und wirksam realisiert und geschützt. Die Umsetzung der VN-
Behindertenrechtskonvention in allen Lebensbereichen beendet ausschließende Strukturen.
Leben mit einer Beeinträchtigung bedeutet besondere Anforderungen zur Selbstbestimmung.
Menschen mit Behinderung tragen mit ihren Fähigkeiten und Ressourcen zum Gemeinwohl bei.
Feminismus und Geschlechtergleichstellung
(179) Feminismus ist sowohl die Vision einer gleichberechtigten Gesellschaft als auch der
Weg dorthin. Er verspricht, echte Gleichberechtigung in allen Lebensbereichen einzulösen –
rechtlich, kulturell und ökonomisch.
(180) Eine Gesellschaft, in der gleiche Teilhabe für alle Geschlechter Wirklichkeit ist,
schützt und stärkt die Rechte aller Frauen in ihrer Unterschiedlichkeit und unabhängig von
Herkunft, Alter, Religion, Behinderung, Sexualität oder Klasse. Deshalb verfolgen wir einen
Feminismus, der verschiedene Diskriminierungsformen auch in ihrer Verschränkung erkennt und
an ihrer Beseitigung arbeitet.
(181) Gesellschaftlich vorgegebene Rollenzwänge führen zu ungleichen Chancen und häufig zu
individuellem Leid. Sexismus behindert Frauen im Job, in der Schule, in der Uni, vor
Gericht, im Privatleben, in den Medien, im Internet. Menschen aller Geschlechter profitieren
von der Überwindung feststehender Geschlechterrollen. Menschen benötigen von klein auf
vielfältige Vorbilder, um sich frei entfalten zu können. Gemeinsam schaffen wir eine
Gesellschaft, in der alle Menschen frei von einschränkenden Rollenbildern leben können.
(182) Das Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper und das eigene Leben muss auch
für Frauen, Mädchen, trans*, inter* und nicht-binäre Menschen uneingeschränkt gelten. Dieses
Recht zu realisieren ist Teil einer guten öffentlichen Gesundheitsversorgung. Zu ihr zählen
auch selbstbestimmte Schwangerschaftsabbrüche, die nichts im Strafgesetzbuch verloren haben.
Menschen mit einer nichtbinären Geschlechtsidentiät haben ausschließlich selbst das Recht,
ihr Geschlecht zu definieren. Selbstbestimmung setzt einen umfassenden Schutz vor Gewalt
voraus. Im Sinne der Istanbul-Konvention ist jegliche Form geschlechtsspezifischer,
körperlicher, seelischer und sexualisierter Gewalt konsequent zu bekämpfen.
(183) Frauen sollen in allen Bereichen der Gesellschaft mitbestimmen und Verantwortung
übernehmen können. Gleichberechtigung bedeutet nicht nur, aber auch mehr Frauen in
Führungspositionen – in der Politik, in der Zivilgesellschaft und der Wirtschaft. Wo
freiwillige Selbstverpflichtung nicht hilft, sind Quoten ein wichtiges Instrument für mehr
Parität. Sie zielen dabei immer auf eine Welt, in der sie sich selbst überflüssig machen.
(184) Eine offene Gesellschaft ist eine der Geschlechtervielfalt, in der alle Menschen ohne
Angst verschieden sein können. Freiheit und Würde bedeuten, sich einem Geschlecht zuordnen
zu können oder auch nicht. Und es bedeutet, die eigene sexuelle Identität selbstbestimmt zu
finden. Freiheit und Würde bedeuten auch, gemäß der eigenen sexuellen Orientierung die
Lebensform, die Partnerschaft und das Familienmodell selbst zu wählen und dafür jeweils die
gleichen Rechte und den gleichen Schutz vom Staat zu erhalten. Antiqueere, homo-, bi- und
transfeindliche Ressentiments und Diskriminierung sowie Angriffe auf lesbische, schwule,
bisexuelle, trans*, inter*, nicht-binäre und queere Menschen sind menschenrechtliche
Verstöße und müssen von der gesamten Gesellschaft klar zurückgewiesen werden.
Stadt und Land, Jung und Alt
(185) Die regionale Vielfalt, die verschiedenen historischen Erfahrungen und
unterschiedlichen Lebensstile der Menschen machen Deutschland aus. Auch die historische
Spaltung in Ost und West durch den Kalten Krieg sowie die Verwerfungen nach der
Wiedervereinigung haben Deutschland geprägt. Unterschiede anzuerkennen, zu schützen und
zugleich den sozialen Zusammenhalt zu stärken ist unsere Verpflichtung. Es ist Verantwortung
des Staates, die Lebensbedingungen in sich ökonomisch und strukturell unterschiedlich
entwickelnden Regionen im gesamten Bundesgebiet und auf allen Ebenen anzugleichen – etwa im
Verhältnis von ländlichen Gegenden zu Städten, vom Norden zum Süden, von Ost nach West, von
schrumpfenden zu wachsenden Regionen.
(186) Die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse ist als normative Aufgabe wichtig, aber
immer schwieriger zu definieren. Während in strukturschwachen Regionen oftmals staatliche
Institutionen fehlen, sind die Mieten dort meist günstiger. Die Sicherung von gleichwertigen
Lebensverhältnissen wird nicht durch das gleiche Angebot wie in den Metropolen zu erreichen
sein, wohl aber durch die Schaffung von Voraussetzungen für kreative, flexible und digitale
Lösungen. Es geht um eine neue Politik des Ausgleichs zwischen ländlichen Räumen und
Städten. Dazu dient eine neue Gemeinschaftsaufgabe „Regionale Daseinsvorsorge“.
(187) Gute und sichere öffentliche Räume und Institutionen sind Voraussetzungen dafür, dass
die Gesellschaft zusammenhält. Damit Sicherheit und Gemeinsamkeit möglich werden, garantiert
der Staat gute Versorgung, Anbindung von ländlichen Regionen und Orte der Begegnung. Zur
Daseinsvorsorge gehören etwa Breitbandanschlüsse und Mobilfunkversorgung, Frauenhäuser,
Ärzt*innen sowie Krankenhäuser, Kitas, Jugendhäuser, Musikschulen und Bibliotheken, auch in
den ländlichen Regionen, Sportplätze und Schwimmbäder in Stadt und Land. So helfen
öffentliche Räume und Institutionen, Freiheit und Selbstbestimmung zu ermöglichen,
Chancengleichheit herzustellen und Aufstiegschancen zu schaffen. Sie sind mehr als
staatliche Daseinsvorsorge, sie sind ein Zusammenspiel von demokratischer Staatlichkeit und
bürgerschaftlichem Zusammenleben.
(188) Es braucht bessere regionale Wirtschaftskreisläufe. Sie sind nicht nur ökologischer,
sondern können auch Regionen mit Strukturproblemen helfen. Die regionale
Wirtschaftsförderung ist so auszurichten, dass regionale Kreisläufe unterstützt werden, vor
Ort eine gute Infrastruktur vorhanden ist und auch ländliche Regionen verlässlich vernetzt
und an die Zentren angebunden sind. Dafür braucht es starke regionale Zentren als
Ankerpunkte in den Regionen, die ein breites Angebot an öffentlichen und kulturellen
Dienstleistungen vorhalten. Ein Beispiel sind die europäischen Metropolregionen. Bei der
Ansiedelung von Bildungsinstitutionen, Landes- und Bundesbehörden sollen strukturschwache
Gebiete besonders berücksichtigt werden.
(189) Die europäischen Gesellschaften sind geprägt durch demographischen Wandel.
Bevölkerungsverluste und -zuwächse sind sehr ungleich verteilt, vor allem zwischen Stadt und
Land, und sie prägen unterschiedliche Identitäten und kulturelle Erfahrungen. Gleichwertige
Lebensverhältnisse herzustellen ist ein verfassungsrechtliches Handlungsziel und Kernaufgabe
der Politik.
(190) Das gute Zusammenleben aller Generationen und Gerechtigkeit zwischen ihnen wird in
einer alternden Gesellschaft zentraler. In ihr braucht es neue Formen des Zusammenlebens und
eine altersgerechte Infrastruktur. Das wirkt Einsamkeit entgegen und stärkt den sozialen
Zusammenhalt. Im Zentrum sollte nicht nur die Versorgung älterer Menschen stehen, sondern
auch ihre Teilhabe am gesellschaftlichen und politischen Leben.
(191) Für viele Menschen ist die Familie das Fundament ihres Zusammenlebens und Glücks.
Deswegen stehen Familien zu Recht unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes. Familie ist
da, wo Menschen mit dem Ziel der Dauerhaftigkeit Verantwortung füreinander übernehmen, sich
umeinander kümmern und füreinander da sind. Familien verdienen Unterstützung. Egal ob mit
oder ohne Trauschein, ob alleinerziehend oder mit Partner*in, ob gleich- oder
mehrgeschlechtlich, ob Patchwork oder in Mehr-Eltern-Konstellationen – alle Formen sollen
rechtlich und sozial abgesichert sein.
(192) Viele Eltern wollen sich Sorge- und Erwerbsarbeit gleichberechtigt aufteilen. Das wird
möglich durch ein flächendeckendes, zeitlich flexibles und qualitativ hochwertiges
Betreuungs- und Bildungsangebot, einen Wandel der Arbeitswelt sowie eine Reduzierung der
Arbeitszeit.
(193) Kinder brauchen die Freiheit, sich zu bewegen, zu spielen und zu lernen, zu lachen und
zu weinen, zur Freude und zur Wut. Sie haben eigene Rechte. Diese gehören in den Mittelpunkt
von Politik und Gesellschaft und sind im Grundgesetz eigenständig zu garantieren. Kinder
sind Expert*innen in eigener Sache und sollten bei den sie betreffenden Angelegenheiten
beteiligt werden. Ihr Interesse muss Leitlinie in der Ausstattung von öffentlichen Räumen
und Institutionen sein.
(194) Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf besonderen Schutz und auf
diskriminierungsfreie Förderung, die über bundesweite Qualitätskriterien für Kitas, Schulen,
Jugendämter und freie Träger zu garantieren sind. Kinderrechte gehören in alle Curricula für
Jura, Medizin, Erziehungswissenschaften und Polizei. Kinder müssen bei Entscheidungen
gehört, ihre Rechte und ihr Wille im Mittelpunkt stehen. Überall, wo mit Kindern umgegangen
wird, muss Basiswissen über Kinderrechte, insbesondere über Beteiligung, über den Schutz vor
Kindeswohlgefährdung und vor sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche, zur
Voraussetzung werden. In Kinderschutzverfahren muss die nötige Qualifikation bei allen
Beteiligten gesetzlich vorgegeben und tatsächlich gewährleistet sein.
(195) Guter, bezahlbarer Wohnraum für alle ist eine öffentliche Aufgabe. Wohnraum, Grund und
Boden dürfen keine Spekulationsobjekte sein. Das Recht auf Wohnen soll im Grundgesetz
verankert werden. Kein Mensch soll ohne Obdach sein oder darf bei der Wohnungssuche wegen
des Namens, der Herkunft, der sexuellen Identität oder einer Behinderung diskriminiert
werden. Auch kleine Gewerbetreibende dürfen nicht durch steigende Mieten aus ihren Vierteln
vertrieben werden. Es braucht ein starkes und soziales Mietrecht, eine gesetzliche
Begrenzung der Miethöhe und eine Mieter*innen-Mitbestimmung.
(196) Um das Recht auf Wohnen zu verwirklichen, ist ein hoher Bestand an öffentlichem und
sozial gebundenem Wohnraum nötig. Dort, wo viele Menschen zuziehen, muss in großem Umfang
gebaut werden. Dabei muss auf nachhaltiges Bauen und eine behutsame Nachverdichtung geachtet
werden.
(197) Eine lebendige, durchmischte, offene und barrierefreie Stadt der kurzen Wege ist
Leitbild: Dort leben Junge und Alte sowie Menschen verschiedener Herkunft gern in ihren
Wohnvierteln, haben es nicht weit zur Arbeit und zum nächsten Sportplatz. Der demographische
Wandel bringt neue Formen des Zusammenlebens. Ein ausreichender Bestand an barrierefreien
Wohnungen und Möglichkeiten für ältere Menschen, ein aktives Leben zu führen, sind
entscheidend.
(198) Sport verbindet. Alte und Junge, Menschen verschiedener Herkunft, mit verschiedenen
Erfahrungen – auf dem Fußballplatz sind alle gleich. In Deutschland engagieren sich viele
Millionen Menschen im Sport – in Vereinen und Organisationen – für Fairness, Teamgeist und
Verantwortung. Im Sport können die Werte einer offenen und solidarischen Gesellschaft gelebt
und vermittelt werden. Der organisierte Sport ist eine wichtige Stütze der Gesellschaft,
weil er Werte und Bildung vermittelt und Zusammenhalt schafft. Diese Strukturen zu erhalten
und zu stärken bedeutet, das friedliche Zusammenleben zu stärken. Auf internationaler Ebene
leistet der Sport einen wichtigen Beitrag zum Kulturaustausch und zu gegenseitiger
Begegnung. Sport findet nicht im politischen Vakuum statt. Das bedeutet Verantwortung für
den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft, für den Schutz von Menschenrechten und der Natur,
aber genauso als wirtschaftlicher Akteur und im Kampf gegen Doping.
(199) Privat übernehmen viele Menschen ehrenamtlich Verantwortung für andere, sei es in
Familie und Nachbarschaft oder in Vereinen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften und
Initiativen. Das Ehrenamt hat eine konstitutive Rolle in unserer Demokratie und für unser
Zusammenleben. Dafür braucht es Zeit, Anerkennung und Förderung, die wir als Gesellschaft
bereitstellen müssen.
(200) Viele Menschen sind motiviert, freiwilligen Einsatz für die Gesellschaft zu bringen.
Die bestehenden Freiwilligendienste können zu einem neuen gesellschaftlichen
Generationenprojekt werden, wenn sie ausgebaut und auch für Menschen im Ruhestand geöffnet
werden, die Erfahrung und Können weiter einbringen wollen. Ein solcher
„Zivilgesellschaftsdienst“ soll Rentner*innen wie allen jungen Menschen, die ihn ausüben
wollen, unabhängig vom eigenen Geldbeutel offenstehen.
Kultur und die Künste
(201) Kunst ist frei. Kunst dient niemandem. Sie lässt sich nicht auf ihren materiellen Wert
reduzieren. Kunst ist vielfältig und deutungsoffen und nie homogen, sie ist dynamisch und
hybrid und niemals statisch. Kultur und die Künste lassen aus dem Zusammenspiel
unterschiedlichster Einflüsse und Zusammenhänge Neues entstehen und sind so Motor
gesellschaftlicher Veränderung. Wir schützen die Freiheit der Kunst und wenden uns dagegen,
Kunst und Kultur vereinheitlichen zu wollen oder alleinige Deutungshoheit über sie zu
beanspruchen.
(202) Freie Kultur und Kunst sind eine Grundlage für Demokratie und friedliches
Zusammenleben. Sie gehören zur Daseinsvorsorge und sind Ausdruck und Anlass individueller
und gesellschaftlicher Reflexion, persönlichen und kollektiven Erkenntnisgewinns sowie
persönlicher und kollektiver Entwicklung. Kulturelle Vielfalt sowie Transkulturalität zu
fördern und zu schützen ist wichtige Aufgabe in der offenen Gesellschaft. Der Zugang zu und
die Teilhabe an Kultur und den Künsten muss für alle gleich gewährleistet sein, ungeachtet
der Herkunft. Das gilt für kulturelle Bildung, Kulturinstitutionen und Freiräume
gleichermaßen. Es gilt für das Erleben ebenso wie für das Schaffen von Kunst. Kultur und
Sprache nationaler Minderheiten sowie anerkannte Regionalsprachen sind zu schützen und zu
fördern.
(neu 203) Kulturpolitk muss vernetzt gedacht werden, denn Kulturräume verlaufen nicht entlang staatlicher Grenzen, sie sind gleichermaßen lokal, regional, national und international. Nur eine prosperierende, vielfältige und offene Kulturlandschaft schafft Zusammenhalt und lässt Neues entstehen. Freiräume für kulturelle Aktivitäten müssen erhalten oder geschaffen werden, damit Kultur und die Künste ihren entscheidenden Beitrag zu einer hohen Lebensqualität sowie zu Austausch und Zusammenleben leisten können.
(203) Kultur und Kunst brauchen öffentliche Förderung auf Grundlage transparenter Kriterien,
Kulturschaffende eine verlässliche und angemessene soziale Absicherung, die freie Szene
braucht professionelle Rahmenbedingungen, unabhängig von privater und unternehmerischer
Unterstützung. Dazu gehören auch transparente Strukturen und faire Arbeitsbedingungen in den
öffentlich geförderten Kultureinrichtungen.
(204) Das Bewusstsein für die Singularität der Verbrechen des Nationalsozialismus als
universelle Mahnung an die gesamte Menschheit und die daraus folgende historische
Verantwortung wachzuhalten ist vordringliche Aufgabe deutscher Erinnerungskultur. Es kann
keinen Schlussstrich geben. Dazu gehört, die Aufarbeitung der NS-Verbrechen fortzuführen und
Raubkunst an die Eigentümer*innen und ihre Erb*innen zurückzugeben.
(205) Zur Erinnerungskultur gehört das Erinnern an die friedliche Revolution 1989/90 in
Ostdeutschland sowie die historische Aufarbeitung der Verbrechen des SED-Regimes. Erlittenes
und begangenes Unrecht dürfen nicht in Vergessenheit geraten. Erinnerungsstätten und
Opferberatungen benötigen daher eine auskömmliche Finanzierung. Der Zugang zu den Stasi-
Akten muss weiterhin für Betroffene, für Publizistik und Forschung gewährleistet sein.
(206) Die Erinnerungskultur einer vielfältigen Einwanderungsgesellschaft zeigt sich offen
für die vielstimmigen Geschichten und Erzählungen sowie die unterschiedlichen historischen
Erfahrungen der Menschen, die hier leben. Auch die kritische Aufarbeitung der kolonialen
Vergangenheit und der damit verbundenen Verbrechen muss selbstverständlicher Teil unserer
Bildungs- und Erinnerungskultur sein. Das ist Voraussetzung für eine Gesellschaft, in der
Menschen frei von Rassismus leben können.
(207) Deutschlands Kolonialvergangenheit ist auch im Kulturbereich viel zu wenig
aufgearbeitet. Es braucht eine umfängliche Forschung über die Herkunft von Sammlungsobjekten
und immateriellen Kulturgütern aus kolonialen Kontexten, ihre Rückgabe an die
Herkunftsgesellschaften sowie die Dekolonisierung von Kultureinrichtungen und des
öffentlichen Raums. Dies kann nur in enger Zusammenarbeit mit den Nachkommen der ehemals
Kolonisierten international wie hierzulande geschehen.
(208) Der internationale Austausch im Bereich Kunst, Theater, Musik, Literatur, Film und
anderer Künste stärkt die Bindung zwischen den Menschen rund um den Globus. Die
Intensivierung der internationalen Kulturbeziehungen ist ein Beitrag zur Öffnung, zu Frieden
und zum Schutz von Menschenrechten. Die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik übernimmt
dabei eine wichtige Rolle.
Gesundheit und Pflege
(209) Oberste Aufgabe jeder Gesundheitspolitik ist es, die Würde und Freiheit des Menschen
auch im Krankheits- und Pflegefall zu wahren und gleichzeitig Krankheiten und
Gesundheitsrisiken vorzubeugen. Gesundheitsversorgung und Pflege sind zentrale Pfeiler der
Daseinsvorsorge. Es ist öffentliche Aufgabe, jedem Menschen unabhängig von Alter, Einkommen,
Geschlecht, Herkunft, sozialer Lage oder Behinderung sowie vom Wohnort und Aufenthaltsstatus
Zugang zu einer qualitativ hochwertigen Versorgung, die sich an seinen Bedürfnissen
orientiert, zu garantieren. Die Versorgung muss dem Stand der wissenschaftlichen
Erkenntnisse entsprechen, den medizinischen Fortschritt berücksichtigen und auch den
Bedarfen von besonders verletzlichen Personengruppen gerecht werden.
(210) Gute Gesundheitspolitik setzt schon bei der Vermeidung von Erkrankungen und
Pflegebedürftigkeit an und nimmt dabei auch das psychische und soziale Wohlbefinden in den
Blick. Prekäre Lebensverhältnisse machen in vielen Fällen krank. Menschen, die in Armut
leben, haben eine höhere Wahrscheinlichkeit zu erkranken und oft einen schlechteren Zugang
zum Gesundheitssystem. Bewegungsmöglichkeiten, gesunde Ernährung und saubere Luft müssen
allen zur Verfügung stehen, um gesund zu bleiben. Prävention, Gesundheitsförderung und
‑schutz sind deshalb Querschnittsaufgaben, die in allen Politikbereichen verfolgt werden
müssen. Insbesondere eine gute Sozialpolitik ist Teil einer umfassenden Gesundheitsvorsorge.
(211) Internationale und solidarische Kooperation bei Gesundheitsforschung und beim Aufbau
guter Gesundheitssysteme ist eine gemeinsame Aufgabe der Weltgemeinschaft. Es braucht
weltweit Versorgungssicherheit mit zentralen Arzneimitteln und Materialien. Sie müssen auch
in Europa produziert werden.
(212) Gesundheitsversorgung ist öffentliche Aufgabe. Egal ob bei der freiberuflichen
Landärztin, dem Medizintechnikunternehmen oder in der staatlichen Uniklinik – sie muss dem
Menschen und seiner Gesundheit zugutekommen und dient nicht dem Zweck, hohe Renditen zu
erzielen. Die Planung und Finanzierung des Gesundheitswesens muss am Bedarf der
Patient*innen ausgerichtet werden. Entscheidend ist nicht, was sich rentiert, sondern was
notwendig ist. Insbesondere im Krankenhausbereich soll die Gemeinwohlorientierung gestärkt,
die Benachteiligung öffentlicher Träger beendet, die Trägervielfalt erhalten und der Trend
hin zur Privatisierung gestoppt werden. Klare politische Vorgaben zur Personalbemessung,
Behandlungs- und Versorgungsqualität sollen sicherstellen, dass alle Träger gleichermaßen
zum Nutzen der Patient*innen handeln. Dadurch werden Gewinnausschüttungen von Kliniken
beschränkt, damit öffentliches und beitragsfinanziertes Geld im System bleibt.
(213) Gleichwertige Lebensverhältnisse bedeuten eine gute Gesundheitsversorgung in der Stadt
und auf dem Land. Jeder Mensch muss Zugang zu medizinischer und psychotherapeutischer Hilfe
haben, egal wo er lebt. Dafür müssen die Grenzen zwischen ambulanter und stationärer
Versorgung überwunden und Gesundheitsregionen aufgebaut werden, die eine bestmögliche
Verknüpfung der verschiedenen Versorgungsangebote vor Ort erlauben. Durch ein Stufenmodell
von der ambulanten und stationären Grundversorgung bis hin zu Spezialkliniken kann die
Versorgung im ländlichen Raum gestärkt und zeitgleich eine gute Versorgungsqualität
sichergestellt werden.
(214) Nur ein gut finanziertes Gesundheitssystem kann die Würde der Patient*innen und die
Rechte der Beschäftigten gleichermaßen schützen. Falsche politische Weichenstellungen und
der daraus folgende ökonomische Druck haben zu Fehlanreizen zulasten des Patient*innen-
Wohls, Kosteneinsparungen zulasten des Personals und einer falschen Verteilung von Geldern
geführt. Die Krankenhausfinanzierung muss neu gedacht und auf wohnortunabhängige
Versorgungssicherheit und -qualität, auf eine gute Bezahlung für Beschäftigte, auf Vorsorge
und auf Krisenfestigkeit ausgerichtet werden. Kliniken sollen nicht nur nach erbrachter
Leistung, sondern nach ihrem gesellschaftlichen Auftrag finanziert werden. Dafür müssen die
Fallpauschalen reformiert und um eine strukturelle Finanzierung ergänzt werden. Die
Investitionsfinanzierung muss durch Bund und Länder gemeinsam verbessert werden. Die
Versorgungsplanung im Gesundheitssystem soll gestärkt werden. Stationäre und ambulante
Versorgung sollen zusammen gedacht, geplant und finanziert werden.
(215) Eine bessere Vernetzung, Koordination und Zusammenarbeit über alle Berufsgruppen
hinweg ist notwendig, um den Bedarfen der Patient*innen in einer älter werdenden
Gesellschaft besser gerecht zu werden. Eine gut abgestimmte integrierte Versorgung in Form
von Gesundheitsregionen, in denen Ärzt*innen, Psychotherapeut*innen, Pflegekräfte und andere
Heilberufe sowie ein gut ausgestatteter öffentlicher Gesundheitsdienst Hand in Hand und auf
Augenhöhe zusammenarbeiten, muss darum zur Regel werden. Dabei helfen eine umfassende
Versorgungsplanung, Gesundheitsberichterstattung, die Aufwertung und Ausweitung der
Kompetenzen in Gesundheits- und Pflegefachberufen und eine Stärkung der
Versorgungsforschung. Heilmittelerbringer*innen und gesundheitsnahe Berufe sind ein
essenzieller Teil unseres Gesundheitssystems und müssen finanziell besser abgesichert
werden. Eine Stärkung der professionellen Pflege und der hausärztlichen Versorgung ist
Voraussetzung für ein gutes Versorgungsnetz in der Fläche.
(216) Die Versorgung durch Hebammen und in Geburtshäusern sowie Kreißsälen muss sowohl in
ländlichen Regionen als auch in Städten gesichert sein. Die reproduktive Selbstbestimmung
muss gewährleistet sein, das bedeutet den kostenfreien Zugang zu Verhütungsmitteln und die
Sicherstellung von ärztlich vorgenommenen Schwangerschaftsabbrüchen. Das sind wichtige Teile
der Gesundheitsversorgung und der Selbstbestimmung von Frauen. Dazu gehört auch die Stärkung
von Frauengesundheit und geschlechtsspezifischer Medizin in Forschung und Praxis.
(217) Gute Gesundheit und Pflege gibt es nur unter guten Arbeitsbedingungen in allen
Gesundheitsberufen. Altenpfleger*innen, Krankenpfleger*innen oder Hebammen sind das Rückgrat
unserer Gesellschaft. In diesem Arbeitsbereich droht permanent die Gefahr von Überlastung
und Überarbeitung. Sich um andere zu kümmern darf nicht krank machen. Es braucht mehr
Personal, mehr Lohn und mehr Zeit. Um überhaupt mehr Personal zu gewinnen, muss sich die
Arbeit mit der Familie vereinbaren lassen und Fortbildung und Aufstiegschancen bieten. Der
Staat trägt hier auch aufgrund des im Grundgesetz festgeschriebenen Sozialstaatsgebots eine
besondere Verantwortung.
(218) Digitalisierung und Automatisierung können helfen, Arbeitsabläufe im Gesundheitswesen
zu vereinfachen und Arbeitsbedingungen zu verbessern, und so dazu beitragen, den
Fachkräftemangel im Gesundheitswesen zu bekämpfen. Mithilfe der Koordinierung und des
Abgleichs von Kapazitäten und der Übernahme von unterstützenden Tätigkeiten durch Robotik
und digitale Hilfsmittel kann mehr Zeit für die persönliche Arbeit mit Patient*innen und
menschliche Zuwendung gewonnen werden.
(219) Die Chancen der Digitalisierung gilt es sowohl bei der Organisierung der
Gesundheitsversorgung und im Pflegebereich als auch bei der Verwaltung von Gesundheitsdaten
und der individuellen Prävention zu nutzen. So wird auch in Zeiten des demographischen
Wandels ein zukunftsfähiges Gesundheitssystem erhalten. Aufgrund der Sensibilität von
Gesundheitsdaten kommt dem Datenschutz dabei eine herausragende Rolle zu. Gerade deshalb
sollte die Infrastruktur von staatlicher Seite und nicht von privaten Drittanbietern zur
Verfügung gestellt werden. Gesundheitsdaten inklusive der Patient*innen-Daten werden unter
Wahrung höchster Datenschutzstandards digital erfasst und der Forschung anonymisiert zur
Verfügung gestellt. Ihre eigenen Gesundheitsdaten müssen Patient*innen jederzeit zugänglich
sein.
(220) Solidarisch finanziert können die Herausforderungen der älter werdenden Gesellschaft
und die Kosten des medizinischen Fortschritts am besten bewältigt werden. Indem alle
Bevölkerungsgruppen in die Finanzierung über eine Bürgerversicherung einbezogen werden,
können die Belastungen fair und für alle tragfähig ausgestaltet werden. Gesundheit und
Pflege muss allen Menschen gleich zur Verfügung stehen. Beim Zugang darf es keinen
Unterschied nach Einkommen oder Versicherungsstatus geben. Im Falle von Pflegebedürftigkeit
muss sichergestellt sein, dass alle Menschen die Leistungen erhalten, die sie benötigen, und
die anfallenden Kosten auch stemmen können. Pflege darf kein Armutsrisiko sein.
(221) Leistungen, die medizinisch sinnvoll und gerechtfertigt sind und deren Wirksamkeit
wissenschaftlich erwiesen ist, müssen von der Solidargemeinschaft übernommen werden. Bei
Medikamenten und Impfstoffen, die etwa der Bekämpfung von Pandemien dienen und durch Patente
geschützt sind, sind kostengünstige Lizenzen notwendig, um Menschen weltweit versorgen zu
können. Diese Lizenzen müssen im Zweifel verpflichtend durchgesetzt werden.
(222) Statt um eine Kriminalisierung von Süchtigen und Konsument*innen geht es um
Prävention, Schadensminimierung, Entkriminalisierung und passgenaue Beratungs- und
Hilfsangebote. Cannabis sollte legalisiert werden. Eine kontrollierte Abgabe von
psychoaktiven Substanzen und eine an den gesundheitlichen Risiken orientierte Regulierung
sind der richtige Weg für wirksamen Jugend- und Gesundheitsschutz, zur Verhinderung von
Drogentoten und um kriminellen Strukturen und Drogenkriegen die Grundlage zu entziehen.
(223) Menschen sind immer Menschen, niemals „Fälle“, egal ob gesund, krank, pflegebedürftig
oder eingeschränkt. Patient*innen sind Akteur*innen mit starken Rechten. Sie müssen bei
relevanten Entscheidungen im Gesundheitswesen mitbestimmen und in entsprechende Gremien
eingebunden sein. Die Förderung der Gesundheitskompetenz, die Befähigung der Patient*innen
und unabhängige Gesundheitsberatung sollen zu einem festen Bestandteil unseres
Gesundheitssystems werden.
(224) Auch im Alter oder bei Pflegebedürftigkeit haben Menschen das Recht auf ein
selbstbestimmtes Leben. Menschen, die pflegebedürftig werden, wollen zumeist in ihrem
gewohnten Umfeld bleiben. Eine dezentrale Pflegestruktur, bei der die Wünsche, die
Selbstbestimmung und Selbstständigkeit der Betroffenen im Mittelpunkt stehen, ist dafür der
beste Weg. Deshalb sollen Kommunen mehr Möglichkeiten bekommen, das Angebot an Pflege und
Betreuung vor Ort zu gestalten. Ziel sind lebenswerte Quartiere für alle Generationen, in
denen professionelle Pflegeangebote und nachbarschaftliche Initiativen ineinandergreifen und
diese ältere und pflegebedürftige Menschen sowie pflegende Angehörige unterstützen.
Pflegende Angehörige verdienen grundsätzlich mehr Unterstützung und bessere
Rahmenbedingungen. Gute stationäre Pflege gibt es nur, wenn in Pflegeheimen die Bedürfnisse
und das Wohl der Patient*innen im Mittelpunkt stehen, nicht wenn zu Gunsten von hohen
Renditen an der Qualität oder an den Beschäftigten gespart wird.
(225) Zu einem Leben in Würde gehört auch ein Sterben in Würde. Eine bedarfsgerechte
Palliativversorgung in Stadt und Land ist unerlässlich. Auch damit Menschen die Möglichkeit
haben, zu Hause im Kreis der Angehörigen zu sterben. Zusätzlich braucht es genügend
Hospizplätze, die auch auf die Bedürfnisse der Sterbenden eingestellt sind.
Antragstext
Von Zeile 259 bis 260 einfügen:
Sprache nationaler Minderheiten sowie anerkannte Regionalsprachen sind zu schützen und zu fördern.
(neu 203) Kulturräume verlaufen nicht entlang staatlicher Grenzen, sie sind gleichermaßen lokal, regional, national und international. Kulturpolitik muss deswegen dezentral und föderal sein - sie reicht von den Kommunen und der Kulturhoheit der Länder über das Engagement des Bundes bis zur europäischen Ebene und den Institutionen des internationalen Kulturaustauschs und der Auswärtigen Kulturpolitik. Eine Renationalisierung von Kulturpolitik und eine Instrumentalisierung von Kultur für Nationalismus und Ausgrenzung steht diesen Grundsätzen klar entgegen
Kapitel 4: Zusammen leben
Zusammenhalt in Vielfalt
(165) Offen ist eine Gesellschaft, in der alle Bürger*innen die gleichen Rechte und
Möglichkeiten haben, die die Unterschiedlichkeit von Menschen und Regionen als Stärke
begreift und als Wert verteidigt, die soziale Ungleichheit verringern will und den Schutz
von Minderheiten gewährleistet. Individuelle Freiheit und persönliche Identität werden
geschützt. Die offene Gesellschaft ist eine gewaltfreie. Ihre Grenzen findet sie in den
Rechten und Freiheiten der Mitmenschen. Die offene Gesellschaft hinterfragt sich, lernt und
ist selbstkritisch. Sie beruht auf Bedingungen, die sie selbst nicht schützen kann. Deshalb
sind der Schutz und die Arbeit für sie eine dauernde politische Aufgabe.
(166) Menschen sind unterschiedlich, aber ihre Rechte und ihre Würde sind gleich. Eine
vielfältige, diskriminierungsfreie, gleichberechtigte Gesellschaft bedeutet demokratischen
Fortschritt für alle. Sie entwickelt sich stets weiter und handelt permanent die Regeln
ihres Zusammenlebens neu aus. In einer pluralistischen Gesellschaft bilden gleichberechtigte
Individuen aus vielfältigen Perspektiven ein Bündnis für ein gemeinsames Wir zum Schutz und
zur Förderung von Freiheit und Würde. Das gemeinsame Wir bedeutet Zusammenhalt in Vielfalt.
(167) Das gemeinsame Wir schließt alle ein, die in unserem Land leben. Wir sind
unterschiedlich, aber uns verbindet Respekt und Akzeptanz allen Menschen gegenüber,
unabhängig davon, wie sie leben, lieben, glauben und aussehen. Das macht den Reichtum
unseres „Wir“ aus.
(168) Eine vielfältige und inklusive Gesellschaft ist eine gleichberechtigte – mit gleichen
Rechten, Zugängen und gleicher Teilhabe. In einer vielfältigen Gesellschaft richtet sich
Zugehörigkeit nicht danach, wo jemand geboren ist, in welchem Stadtteil jemand wohnt, woher
die Eltern kommen oder wie viel sie verdienen, wie jemand aussieht, was jemand glaubt oder
wie der Name klingt.
(169) Diskriminierung trifft nicht alle gleichermaßen, aber sie geht alle gleichermaßen an.
Eine vielfältige Gesellschaft schützt alle Menschen vor Diskriminierung, Rassismus,
Antisemitismus und Gewalt – im Alltag, ob subtil oder durch gesellschaftliche Strukturen und
öffentliche Institutionen.
(170) In Deutschland leben Menschen zusammen, deren Familien bereits seit Generationen hier
ansässig sind, sowie Menschen, die in jüngerer Zeit eingewandert sind. Hier leben
Christ*innen, Jüdinnen und Juden, muslimische und nicht religiöse Menschen genauso wie
Nachkommen von Arbeitsmigrant*innen und von Geflüchteten. Viele bezeichnen sich als
Deutsche, manche als Neue Deutsche, Schwarze Deutsche, People of Color, Menschen mit Romani-
Hintergrund, Polnisch-Deutsche oder Türkisch-Deutsche und vieles mehr. In einem offenen
Deutschland werden alle von allen als dazugehörig anerkannt und können sich zugehörig
fühlen.
(171) Migration prägt und verändert unsere Gesellschaft. Eine vielfältige
Einwanderungsgesellschaft erfordert die gleichberechtigte politische, soziale und kulturelle
Teilhabe von Migrant*innen. Sie ist als Staatsziel im Grundgesetz zu verankern.
(172) Das Staatsbürgerschaftsrecht soll allen Menschen, die hier leben, arbeiten oder zur
Schule gehen, rechtliche Gleichheit, wirkliche Teilhabe und Zugehörigkeit ermöglichen. Dazu
gehören die erleichterte und beschleunigte Einbürgerung, die Ermöglichung von doppelter
Staatsangehörigkeit und die Ausweitung des Geburtsrechts. Menschen, die in Deutschland ihren
Lebensmittelpunkt haben und Teil dieser Gesellschaft geworden sind, sollen einen
Rechtsanspruch auf Einbürgerung haben. Die deutsche Staatsangehörigkeit soll durch Geburt im
Inland erworben werden können, wenn ein Elternteil rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt
in Deutschland hat. Mehrstaatigkeit bildet die Lebensrealität vieler Menschen ab.
(173) Die deutsche Gesellschaft ist religiös und weltanschaulich plural. Eine plurale
Gesellschaft braucht den Dialog der Religionen und Weltanschauungen. Es geht um die
Bewahrung und Durchsetzung der Freiheit, das persönliche Leben nach eigenen Lebensentwürfen
und Wertvorstellungen zu gestalten. Das schließt die Freiheit des religiösen und
weltanschaulichen Bekenntnisses ebenso ein wie das Recht, nach anderen Vorstellungen zu
leben. Zu dieser Freiheit gehört auch Religions- und Weltanschauungskritik. Voraussetzung
für eine Zusammenarbeit mit öffentlichen Stellen ist die uneingeschränkte Anerkennung der
verfassungsmäßigen Ordnung des Grundgesetzes und die Unabhängigkeit von autokratischen
Regimen. Die Wahrung der grundrechtlichen Normen und Werte kann durch keine Religion
relativiert werden.
(174) Die christlichen Kirchen sind Teil und Stütze unserer Gesellschaft. Der säkulare Staat
muss sich am Neutralitätsprinzip ausrichten. Das bedeutet aber nicht ein Kooperationsverbot
zwischen Staat und Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften. Das kooperative Modell des
Staatskirchenrechtes soll zu einem pluralen Religionsverfassungsrecht weiterentwickelt
werden.
(175) Aktives jüdisches Leben in Deutschland und Europa nach den schrecklichen Erfahrungen
der Shoa bedeutet eine große Verantwortung für den deutschen Staat und seine Bürger*innen.
Jüdinnen und Juden in ihrer Selbstentfaltung zu unterstützen sowie ihre Sicherheit und die
der jüdischen Einrichtungen zu gewährleisten ist eine wichtige Aufgabe für unsere
Gesellschaft. Sich Antisemitismus in jeder Form entgegenzustellen ist die Verpflichtung
unseres Rechtsstaates und die immer währende Aufgabe aller Menschen in Deutschland und in
Europa. Das Existenzrecht und die Sicherheit Israels mit gleichen Rechten für all seine
Bürger*innen sind unverhandelbar.
(176) Muslim*innen sind nach den Angehörigen der großen christlichen Konfessionen die größte
religiöse Gruppe in diesem Land. Der Islam gehört damit selbstverständlich zu Deutschland.
Moscheen und muslimische Gemeinden müssen vor Bedrohungen und Angriffen geschützt, die
Sicherheit von Muslim*innen muss gewährleistet werden. Antimuslimischen Rassismus zu
bekämpfen ist Aufgabe der gesamten Gesellschaft. Das Anliegen vieler Muslim*innen,
mittelfristig anerkannte und gleichberechtigte Religionsgemeinschaft(en) im Sinne und nach
den Regeln des Grundgesetzes bilden zu können, verdient Unterstützung. Das Ziel sind
Staatsverträge mit islamischen Religionsgemeinschaften.
(177) Menschen mit Romani-Hintergrund sind die größte Minderheit in Europa. Sie sind Teil
der europäischen Geschichte und Gegenwart seit mehr als 600 Jahren und in Deutschland als
nationale Minderheit anerkannt. Kultur und Sprache sind vom Staat zu schützen und zu
fördern. Antiziganistische Diskriminierung ist jedoch weit verbreitet und bis in die Mitte
der Gesellschaft verankert. Sie findet zum Beispiel bei der Wohnungs- und Arbeitssuche, im
Bereich Bildung und Gesundheit statt. Dagegen einzutreten ist unsere Verpflichtung. Das
Erinnern an den lange ignorierten und nicht anerkannten Holocaust an Menschen mit Romani-
Hintergrund in der Zeit des Nationalsozialismus ist unser aller Verantwortung.
(178) Inklusion ist ein Menschenrecht. In einer inklusiven Gesellschaft können alle Menschen
ohne Angst in ihren Eigenschaften und Lebensformen verschieden sein. In einer inklusiven
Gesellschaft werden die Rechte von Menschen mit Behinderung und deren gesellschaftliche
Teilhabe umfassend und wirksam realisiert und geschützt. Die Umsetzung der VN-
Behindertenrechtskonvention in allen Lebensbereichen beendet ausschließende Strukturen.
Leben mit einer Beeinträchtigung bedeutet besondere Anforderungen zur Selbstbestimmung.
Menschen mit Behinderung tragen mit ihren Fähigkeiten und Ressourcen zum Gemeinwohl bei.
Feminismus und Geschlechtergleichstellung
(179) Feminismus ist sowohl die Vision einer gleichberechtigten Gesellschaft als auch der
Weg dorthin. Er verspricht, echte Gleichberechtigung in allen Lebensbereichen einzulösen –
rechtlich, kulturell und ökonomisch.
(180) Eine Gesellschaft, in der gleiche Teilhabe für alle Geschlechter Wirklichkeit ist,
schützt und stärkt die Rechte aller Frauen in ihrer Unterschiedlichkeit und unabhängig von
Herkunft, Alter, Religion, Behinderung, Sexualität oder Klasse. Deshalb verfolgen wir einen
Feminismus, der verschiedene Diskriminierungsformen auch in ihrer Verschränkung erkennt und
an ihrer Beseitigung arbeitet.
(181) Gesellschaftlich vorgegebene Rollenzwänge führen zu ungleichen Chancen und häufig zu
individuellem Leid. Sexismus behindert Frauen im Job, in der Schule, in der Uni, vor
Gericht, im Privatleben, in den Medien, im Internet. Menschen aller Geschlechter profitieren
von der Überwindung feststehender Geschlechterrollen. Menschen benötigen von klein auf
vielfältige Vorbilder, um sich frei entfalten zu können. Gemeinsam schaffen wir eine
Gesellschaft, in der alle Menschen frei von einschränkenden Rollenbildern leben können.
(182) Das Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper und das eigene Leben muss auch
für Frauen, Mädchen, trans*, inter* und nicht-binäre Menschen uneingeschränkt gelten. Dieses
Recht zu realisieren ist Teil einer guten öffentlichen Gesundheitsversorgung. Zu ihr zählen
auch selbstbestimmte Schwangerschaftsabbrüche, die nichts im Strafgesetzbuch verloren haben.
Menschen mit einer nichtbinären Geschlechtsidentiät haben ausschließlich selbst das Recht,
ihr Geschlecht zu definieren. Selbstbestimmung setzt einen umfassenden Schutz vor Gewalt
voraus. Im Sinne der Istanbul-Konvention ist jegliche Form geschlechtsspezifischer,
körperlicher, seelischer und sexualisierter Gewalt konsequent zu bekämpfen.
(183) Frauen sollen in allen Bereichen der Gesellschaft mitbestimmen und Verantwortung
übernehmen können. Gleichberechtigung bedeutet nicht nur, aber auch mehr Frauen in
Führungspositionen – in der Politik, in der Zivilgesellschaft und der Wirtschaft. Wo
freiwillige Selbstverpflichtung nicht hilft, sind Quoten ein wichtiges Instrument für mehr
Parität. Sie zielen dabei immer auf eine Welt, in der sie sich selbst überflüssig machen.
(184) Eine offene Gesellschaft ist eine der Geschlechtervielfalt, in der alle Menschen ohne
Angst verschieden sein können. Freiheit und Würde bedeuten, sich einem Geschlecht zuordnen
zu können oder auch nicht. Und es bedeutet, die eigene sexuelle Identität selbstbestimmt zu
finden. Freiheit und Würde bedeuten auch, gemäß der eigenen sexuellen Orientierung die
Lebensform, die Partnerschaft und das Familienmodell selbst zu wählen und dafür jeweils die
gleichen Rechte und den gleichen Schutz vom Staat zu erhalten. Antiqueere, homo-, bi- und
transfeindliche Ressentiments und Diskriminierung sowie Angriffe auf lesbische, schwule,
bisexuelle, trans*, inter*, nicht-binäre und queere Menschen sind menschenrechtliche
Verstöße und müssen von der gesamten Gesellschaft klar zurückgewiesen werden.
Stadt und Land, Jung und Alt
(185) Die regionale Vielfalt, die verschiedenen historischen Erfahrungen und
unterschiedlichen Lebensstile der Menschen machen Deutschland aus. Auch die historische
Spaltung in Ost und West durch den Kalten Krieg sowie die Verwerfungen nach der
Wiedervereinigung haben Deutschland geprägt. Unterschiede anzuerkennen, zu schützen und
zugleich den sozialen Zusammenhalt zu stärken ist unsere Verpflichtung. Es ist Verantwortung
des Staates, die Lebensbedingungen in sich ökonomisch und strukturell unterschiedlich
entwickelnden Regionen im gesamten Bundesgebiet und auf allen Ebenen anzugleichen – etwa im
Verhältnis von ländlichen Gegenden zu Städten, vom Norden zum Süden, von Ost nach West, von
schrumpfenden zu wachsenden Regionen.
(186) Die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse ist als normative Aufgabe wichtig, aber
immer schwieriger zu definieren. Während in strukturschwachen Regionen oftmals staatliche
Institutionen fehlen, sind die Mieten dort meist günstiger. Die Sicherung von gleichwertigen
Lebensverhältnissen wird nicht durch das gleiche Angebot wie in den Metropolen zu erreichen
sein, wohl aber durch die Schaffung von Voraussetzungen für kreative, flexible und digitale
Lösungen. Es geht um eine neue Politik des Ausgleichs zwischen ländlichen Räumen und
Städten. Dazu dient eine neue Gemeinschaftsaufgabe „Regionale Daseinsvorsorge“.
(187) Gute und sichere öffentliche Räume und Institutionen sind Voraussetzungen dafür, dass
die Gesellschaft zusammenhält. Damit Sicherheit und Gemeinsamkeit möglich werden, garantiert
der Staat gute Versorgung, Anbindung von ländlichen Regionen und Orte der Begegnung. Zur
Daseinsvorsorge gehören etwa Breitbandanschlüsse und Mobilfunkversorgung, Frauenhäuser,
Ärzt*innen sowie Krankenhäuser, Kitas, Jugendhäuser, Musikschulen und Bibliotheken, auch in
den ländlichen Regionen, Sportplätze und Schwimmbäder in Stadt und Land. So helfen
öffentliche Räume und Institutionen, Freiheit und Selbstbestimmung zu ermöglichen,
Chancengleichheit herzustellen und Aufstiegschancen zu schaffen. Sie sind mehr als
staatliche Daseinsvorsorge, sie sind ein Zusammenspiel von demokratischer Staatlichkeit und
bürgerschaftlichem Zusammenleben.
(188) Es braucht bessere regionale Wirtschaftskreisläufe. Sie sind nicht nur ökologischer,
sondern können auch Regionen mit Strukturproblemen helfen. Die regionale
Wirtschaftsförderung ist so auszurichten, dass regionale Kreisläufe unterstützt werden, vor
Ort eine gute Infrastruktur vorhanden ist und auch ländliche Regionen verlässlich vernetzt
und an die Zentren angebunden sind. Dafür braucht es starke regionale Zentren als
Ankerpunkte in den Regionen, die ein breites Angebot an öffentlichen und kulturellen
Dienstleistungen vorhalten. Ein Beispiel sind die europäischen Metropolregionen. Bei der
Ansiedelung von Bildungsinstitutionen, Landes- und Bundesbehörden sollen strukturschwache
Gebiete besonders berücksichtigt werden.
(189) Die europäischen Gesellschaften sind geprägt durch demographischen Wandel.
Bevölkerungsverluste und -zuwächse sind sehr ungleich verteilt, vor allem zwischen Stadt und
Land, und sie prägen unterschiedliche Identitäten und kulturelle Erfahrungen. Gleichwertige
Lebensverhältnisse herzustellen ist ein verfassungsrechtliches Handlungsziel und Kernaufgabe
der Politik.
(190) Das gute Zusammenleben aller Generationen und Gerechtigkeit zwischen ihnen wird in
einer alternden Gesellschaft zentraler. In ihr braucht es neue Formen des Zusammenlebens und
eine altersgerechte Infrastruktur. Das wirkt Einsamkeit entgegen und stärkt den sozialen
Zusammenhalt. Im Zentrum sollte nicht nur die Versorgung älterer Menschen stehen, sondern
auch ihre Teilhabe am gesellschaftlichen und politischen Leben.
(191) Für viele Menschen ist die Familie das Fundament ihres Zusammenlebens und Glücks.
Deswegen stehen Familien zu Recht unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes. Familie ist
da, wo Menschen mit dem Ziel der Dauerhaftigkeit Verantwortung füreinander übernehmen, sich
umeinander kümmern und füreinander da sind. Familien verdienen Unterstützung. Egal ob mit
oder ohne Trauschein, ob alleinerziehend oder mit Partner*in, ob gleich- oder
mehrgeschlechtlich, ob Patchwork oder in Mehr-Eltern-Konstellationen – alle Formen sollen
rechtlich und sozial abgesichert sein.
(192) Viele Eltern wollen sich Sorge- und Erwerbsarbeit gleichberechtigt aufteilen. Das wird
möglich durch ein flächendeckendes, zeitlich flexibles und qualitativ hochwertiges
Betreuungs- und Bildungsangebot, einen Wandel der Arbeitswelt sowie eine Reduzierung der
Arbeitszeit.
(193) Kinder brauchen die Freiheit, sich zu bewegen, zu spielen und zu lernen, zu lachen und
zu weinen, zur Freude und zur Wut. Sie haben eigene Rechte. Diese gehören in den Mittelpunkt
von Politik und Gesellschaft und sind im Grundgesetz eigenständig zu garantieren. Kinder
sind Expert*innen in eigener Sache und sollten bei den sie betreffenden Angelegenheiten
beteiligt werden. Ihr Interesse muss Leitlinie in der Ausstattung von öffentlichen Räumen
und Institutionen sein.
(194) Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf besonderen Schutz und auf
diskriminierungsfreie Förderung, die über bundesweite Qualitätskriterien für Kitas, Schulen,
Jugendämter und freie Träger zu garantieren sind. Kinderrechte gehören in alle Curricula für
Jura, Medizin, Erziehungswissenschaften und Polizei. Kinder müssen bei Entscheidungen
gehört, ihre Rechte und ihr Wille im Mittelpunkt stehen. Überall, wo mit Kindern umgegangen
wird, muss Basiswissen über Kinderrechte, insbesondere über Beteiligung, über den Schutz vor
Kindeswohlgefährdung und vor sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche, zur
Voraussetzung werden. In Kinderschutzverfahren muss die nötige Qualifikation bei allen
Beteiligten gesetzlich vorgegeben und tatsächlich gewährleistet sein.
(195) Guter, bezahlbarer Wohnraum für alle ist eine öffentliche Aufgabe. Wohnraum, Grund und
Boden dürfen keine Spekulationsobjekte sein. Das Recht auf Wohnen soll im Grundgesetz
verankert werden. Kein Mensch soll ohne Obdach sein oder darf bei der Wohnungssuche wegen
des Namens, der Herkunft, der sexuellen Identität oder einer Behinderung diskriminiert
werden. Auch kleine Gewerbetreibende dürfen nicht durch steigende Mieten aus ihren Vierteln
vertrieben werden. Es braucht ein starkes und soziales Mietrecht, eine gesetzliche
Begrenzung der Miethöhe und eine Mieter*innen-Mitbestimmung.
(196) Um das Recht auf Wohnen zu verwirklichen, ist ein hoher Bestand an öffentlichem und
sozial gebundenem Wohnraum nötig. Dort, wo viele Menschen zuziehen, muss in großem Umfang
gebaut werden. Dabei muss auf nachhaltiges Bauen und eine behutsame Nachverdichtung geachtet
werden.
(197) Eine lebendige, durchmischte, offene und barrierefreie Stadt der kurzen Wege ist
Leitbild: Dort leben Junge und Alte sowie Menschen verschiedener Herkunft gern in ihren
Wohnvierteln, haben es nicht weit zur Arbeit und zum nächsten Sportplatz. Der demographische
Wandel bringt neue Formen des Zusammenlebens. Ein ausreichender Bestand an barrierefreien
Wohnungen und Möglichkeiten für ältere Menschen, ein aktives Leben zu führen, sind
entscheidend.
(198) Sport verbindet. Alte und Junge, Menschen verschiedener Herkunft, mit verschiedenen
Erfahrungen – auf dem Fußballplatz sind alle gleich. In Deutschland engagieren sich viele
Millionen Menschen im Sport – in Vereinen und Organisationen – für Fairness, Teamgeist und
Verantwortung. Im Sport können die Werte einer offenen und solidarischen Gesellschaft gelebt
und vermittelt werden. Der organisierte Sport ist eine wichtige Stütze der Gesellschaft,
weil er Werte und Bildung vermittelt und Zusammenhalt schafft. Diese Strukturen zu erhalten
und zu stärken bedeutet, das friedliche Zusammenleben zu stärken. Auf internationaler Ebene
leistet der Sport einen wichtigen Beitrag zum Kulturaustausch und zu gegenseitiger
Begegnung. Sport findet nicht im politischen Vakuum statt. Das bedeutet Verantwortung für
den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft, für den Schutz von Menschenrechten und der Natur,
aber genauso als wirtschaftlicher Akteur und im Kampf gegen Doping.
(199) Privat übernehmen viele Menschen ehrenamtlich Verantwortung für andere, sei es in
Familie und Nachbarschaft oder in Vereinen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften und
Initiativen. Das Ehrenamt hat eine konstitutive Rolle in unserer Demokratie und für unser
Zusammenleben. Dafür braucht es Zeit, Anerkennung und Förderung, die wir als Gesellschaft
bereitstellen müssen.
(200) Viele Menschen sind motiviert, freiwilligen Einsatz für die Gesellschaft zu bringen.
Die bestehenden Freiwilligendienste können zu einem neuen gesellschaftlichen
Generationenprojekt werden, wenn sie ausgebaut und auch für Menschen im Ruhestand geöffnet
werden, die Erfahrung und Können weiter einbringen wollen. Ein solcher
„Zivilgesellschaftsdienst“ soll Rentner*innen wie allen jungen Menschen, die ihn ausüben
wollen, unabhängig vom eigenen Geldbeutel offenstehen.
Kultur und die Künste
(201) Kunst ist frei. Kunst dient niemandem. Sie lässt sich nicht auf ihren materiellen Wert
reduzieren. Kunst ist vielfältig und deutungsoffen und nie homogen, sie ist dynamisch und
hybrid und niemals statisch. Kultur und die Künste lassen aus dem Zusammenspiel
unterschiedlichster Einflüsse und Zusammenhänge Neues entstehen und sind so Motor
gesellschaftlicher Veränderung. Wir schützen die Freiheit der Kunst und wenden uns dagegen,
Kunst und Kultur vereinheitlichen zu wollen oder alleinige Deutungshoheit über sie zu
beanspruchen.
(202) Freie Kultur und Kunst sind eine Grundlage für Demokratie und friedliches
Zusammenleben. Sie gehören zur Daseinsvorsorge und sind Ausdruck und Anlass individueller
und gesellschaftlicher Reflexion, persönlichen und kollektiven Erkenntnisgewinns sowie
persönlicher und kollektiver Entwicklung. Kulturelle Vielfalt sowie Transkulturalität zu
fördern und zu schützen ist wichtige Aufgabe in der offenen Gesellschaft. Der Zugang zu und
die Teilhabe an Kultur und den Künsten muss für alle gleich gewährleistet sein, ungeachtet
der Herkunft. Das gilt für kulturelle Bildung, Kulturinstitutionen und Freiräume
gleichermaßen. Es gilt für das Erleben ebenso wie für das Schaffen von Kunst. Kultur und
Sprache nationaler Minderheiten sowie anerkannte Regionalsprachen sind zu schützen und zu
fördern.
(neu 203) Kulturräume verlaufen nicht entlang staatlicher Grenzen, sie sind gleichermaßen lokal, regional, national und international. Kulturpolitik muss deswegen dezentral und föderal sein - sie reicht von den Kommunen und der Kulturhoheit der Länder über das Engagement des Bundes bis zur europäischen Ebene und den Institutionen des internationalen Kulturaustauschs und der Auswärtigen Kulturpolitik. Eine Renationalisierung von Kulturpolitik und eine Instrumentalisierung von Kultur für Nationalismus und Ausgrenzung steht diesen Grundsätzen klar entgegen
(203) Kultur und Kunst brauchen öffentliche Förderung auf Grundlage transparenter Kriterien,
Kulturschaffende eine verlässliche und angemessene soziale Absicherung, die freie Szene
braucht professionelle Rahmenbedingungen, unabhängig von privater und unternehmerischer
Unterstützung. Dazu gehören auch transparente Strukturen und faire Arbeitsbedingungen in den
öffentlich geförderten Kultureinrichtungen.
(204) Das Bewusstsein für die Singularität der Verbrechen des Nationalsozialismus als
universelle Mahnung an die gesamte Menschheit und die daraus folgende historische
Verantwortung wachzuhalten ist vordringliche Aufgabe deutscher Erinnerungskultur. Es kann
keinen Schlussstrich geben. Dazu gehört, die Aufarbeitung der NS-Verbrechen fortzuführen und
Raubkunst an die Eigentümer*innen und ihre Erb*innen zurückzugeben.
(205) Zur Erinnerungskultur gehört das Erinnern an die friedliche Revolution 1989/90 in
Ostdeutschland sowie die historische Aufarbeitung der Verbrechen des SED-Regimes. Erlittenes
und begangenes Unrecht dürfen nicht in Vergessenheit geraten. Erinnerungsstätten und
Opferberatungen benötigen daher eine auskömmliche Finanzierung. Der Zugang zu den Stasi-
Akten muss weiterhin für Betroffene, für Publizistik und Forschung gewährleistet sein.
(206) Die Erinnerungskultur einer vielfältigen Einwanderungsgesellschaft zeigt sich offen
für die vielstimmigen Geschichten und Erzählungen sowie die unterschiedlichen historischen
Erfahrungen der Menschen, die hier leben. Auch die kritische Aufarbeitung der kolonialen
Vergangenheit und der damit verbundenen Verbrechen muss selbstverständlicher Teil unserer
Bildungs- und Erinnerungskultur sein. Das ist Voraussetzung für eine Gesellschaft, in der
Menschen frei von Rassismus leben können.
(207) Deutschlands Kolonialvergangenheit ist auch im Kulturbereich viel zu wenig
aufgearbeitet. Es braucht eine umfängliche Forschung über die Herkunft von Sammlungsobjekten
und immateriellen Kulturgütern aus kolonialen Kontexten, ihre Rückgabe an die
Herkunftsgesellschaften sowie die Dekolonisierung von Kultureinrichtungen und des
öffentlichen Raums. Dies kann nur in enger Zusammenarbeit mit den Nachkommen der ehemals
Kolonisierten international wie hierzulande geschehen.
(208) Der internationale Austausch im Bereich Kunst, Theater, Musik, Literatur, Film und
anderer Künste stärkt die Bindung zwischen den Menschen rund um den Globus. Die
Intensivierung der internationalen Kulturbeziehungen ist ein Beitrag zur Öffnung, zu Frieden
und zum Schutz von Menschenrechten. Die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik übernimmt
dabei eine wichtige Rolle.
Gesundheit und Pflege
(209) Oberste Aufgabe jeder Gesundheitspolitik ist es, die Würde und Freiheit des Menschen
auch im Krankheits- und Pflegefall zu wahren und gleichzeitig Krankheiten und
Gesundheitsrisiken vorzubeugen. Gesundheitsversorgung und Pflege sind zentrale Pfeiler der
Daseinsvorsorge. Es ist öffentliche Aufgabe, jedem Menschen unabhängig von Alter, Einkommen,
Geschlecht, Herkunft, sozialer Lage oder Behinderung sowie vom Wohnort und Aufenthaltsstatus
Zugang zu einer qualitativ hochwertigen Versorgung, die sich an seinen Bedürfnissen
orientiert, zu garantieren. Die Versorgung muss dem Stand der wissenschaftlichen
Erkenntnisse entsprechen, den medizinischen Fortschritt berücksichtigen und auch den
Bedarfen von besonders verletzlichen Personengruppen gerecht werden.
(210) Gute Gesundheitspolitik setzt schon bei der Vermeidung von Erkrankungen und
Pflegebedürftigkeit an und nimmt dabei auch das psychische und soziale Wohlbefinden in den
Blick. Prekäre Lebensverhältnisse machen in vielen Fällen krank. Menschen, die in Armut
leben, haben eine höhere Wahrscheinlichkeit zu erkranken und oft einen schlechteren Zugang
zum Gesundheitssystem. Bewegungsmöglichkeiten, gesunde Ernährung und saubere Luft müssen
allen zur Verfügung stehen, um gesund zu bleiben. Prävention, Gesundheitsförderung und
‑schutz sind deshalb Querschnittsaufgaben, die in allen Politikbereichen verfolgt werden
müssen. Insbesondere eine gute Sozialpolitik ist Teil einer umfassenden Gesundheitsvorsorge.
(211) Internationale und solidarische Kooperation bei Gesundheitsforschung und beim Aufbau
guter Gesundheitssysteme ist eine gemeinsame Aufgabe der Weltgemeinschaft. Es braucht
weltweit Versorgungssicherheit mit zentralen Arzneimitteln und Materialien. Sie müssen auch
in Europa produziert werden.
(212) Gesundheitsversorgung ist öffentliche Aufgabe. Egal ob bei der freiberuflichen
Landärztin, dem Medizintechnikunternehmen oder in der staatlichen Uniklinik – sie muss dem
Menschen und seiner Gesundheit zugutekommen und dient nicht dem Zweck, hohe Renditen zu
erzielen. Die Planung und Finanzierung des Gesundheitswesens muss am Bedarf der
Patient*innen ausgerichtet werden. Entscheidend ist nicht, was sich rentiert, sondern was
notwendig ist. Insbesondere im Krankenhausbereich soll die Gemeinwohlorientierung gestärkt,
die Benachteiligung öffentlicher Träger beendet, die Trägervielfalt erhalten und der Trend
hin zur Privatisierung gestoppt werden. Klare politische Vorgaben zur Personalbemessung,
Behandlungs- und Versorgungsqualität sollen sicherstellen, dass alle Träger gleichermaßen
zum Nutzen der Patient*innen handeln. Dadurch werden Gewinnausschüttungen von Kliniken
beschränkt, damit öffentliches und beitragsfinanziertes Geld im System bleibt.
(213) Gleichwertige Lebensverhältnisse bedeuten eine gute Gesundheitsversorgung in der Stadt
und auf dem Land. Jeder Mensch muss Zugang zu medizinischer und psychotherapeutischer Hilfe
haben, egal wo er lebt. Dafür müssen die Grenzen zwischen ambulanter und stationärer
Versorgung überwunden und Gesundheitsregionen aufgebaut werden, die eine bestmögliche
Verknüpfung der verschiedenen Versorgungsangebote vor Ort erlauben. Durch ein Stufenmodell
von der ambulanten und stationären Grundversorgung bis hin zu Spezialkliniken kann die
Versorgung im ländlichen Raum gestärkt und zeitgleich eine gute Versorgungsqualität
sichergestellt werden.
(214) Nur ein gut finanziertes Gesundheitssystem kann die Würde der Patient*innen und die
Rechte der Beschäftigten gleichermaßen schützen. Falsche politische Weichenstellungen und
der daraus folgende ökonomische Druck haben zu Fehlanreizen zulasten des Patient*innen-
Wohls, Kosteneinsparungen zulasten des Personals und einer falschen Verteilung von Geldern
geführt. Die Krankenhausfinanzierung muss neu gedacht und auf wohnortunabhängige
Versorgungssicherheit und -qualität, auf eine gute Bezahlung für Beschäftigte, auf Vorsorge
und auf Krisenfestigkeit ausgerichtet werden. Kliniken sollen nicht nur nach erbrachter
Leistung, sondern nach ihrem gesellschaftlichen Auftrag finanziert werden. Dafür müssen die
Fallpauschalen reformiert und um eine strukturelle Finanzierung ergänzt werden. Die
Investitionsfinanzierung muss durch Bund und Länder gemeinsam verbessert werden. Die
Versorgungsplanung im Gesundheitssystem soll gestärkt werden. Stationäre und ambulante
Versorgung sollen zusammen gedacht, geplant und finanziert werden.
(215) Eine bessere Vernetzung, Koordination und Zusammenarbeit über alle Berufsgruppen
hinweg ist notwendig, um den Bedarfen der Patient*innen in einer älter werdenden
Gesellschaft besser gerecht zu werden. Eine gut abgestimmte integrierte Versorgung in Form
von Gesundheitsregionen, in denen Ärzt*innen, Psychotherapeut*innen, Pflegekräfte und andere
Heilberufe sowie ein gut ausgestatteter öffentlicher Gesundheitsdienst Hand in Hand und auf
Augenhöhe zusammenarbeiten, muss darum zur Regel werden. Dabei helfen eine umfassende
Versorgungsplanung, Gesundheitsberichterstattung, die Aufwertung und Ausweitung der
Kompetenzen in Gesundheits- und Pflegefachberufen und eine Stärkung der
Versorgungsforschung. Heilmittelerbringer*innen und gesundheitsnahe Berufe sind ein
essenzieller Teil unseres Gesundheitssystems und müssen finanziell besser abgesichert
werden. Eine Stärkung der professionellen Pflege und der hausärztlichen Versorgung ist
Voraussetzung für ein gutes Versorgungsnetz in der Fläche.
(216) Die Versorgung durch Hebammen und in Geburtshäusern sowie Kreißsälen muss sowohl in
ländlichen Regionen als auch in Städten gesichert sein. Die reproduktive Selbstbestimmung
muss gewährleistet sein, das bedeutet den kostenfreien Zugang zu Verhütungsmitteln und die
Sicherstellung von ärztlich vorgenommenen Schwangerschaftsabbrüchen. Das sind wichtige Teile
der Gesundheitsversorgung und der Selbstbestimmung von Frauen. Dazu gehört auch die Stärkung
von Frauengesundheit und geschlechtsspezifischer Medizin in Forschung und Praxis.
(217) Gute Gesundheit und Pflege gibt es nur unter guten Arbeitsbedingungen in allen
Gesundheitsberufen. Altenpfleger*innen, Krankenpfleger*innen oder Hebammen sind das Rückgrat
unserer Gesellschaft. In diesem Arbeitsbereich droht permanent die Gefahr von Überlastung
und Überarbeitung. Sich um andere zu kümmern darf nicht krank machen. Es braucht mehr
Personal, mehr Lohn und mehr Zeit. Um überhaupt mehr Personal zu gewinnen, muss sich die
Arbeit mit der Familie vereinbaren lassen und Fortbildung und Aufstiegschancen bieten. Der
Staat trägt hier auch aufgrund des im Grundgesetz festgeschriebenen Sozialstaatsgebots eine
besondere Verantwortung.
(218) Digitalisierung und Automatisierung können helfen, Arbeitsabläufe im Gesundheitswesen
zu vereinfachen und Arbeitsbedingungen zu verbessern, und so dazu beitragen, den
Fachkräftemangel im Gesundheitswesen zu bekämpfen. Mithilfe der Koordinierung und des
Abgleichs von Kapazitäten und der Übernahme von unterstützenden Tätigkeiten durch Robotik
und digitale Hilfsmittel kann mehr Zeit für die persönliche Arbeit mit Patient*innen und
menschliche Zuwendung gewonnen werden.
(219) Die Chancen der Digitalisierung gilt es sowohl bei der Organisierung der
Gesundheitsversorgung und im Pflegebereich als auch bei der Verwaltung von Gesundheitsdaten
und der individuellen Prävention zu nutzen. So wird auch in Zeiten des demographischen
Wandels ein zukunftsfähiges Gesundheitssystem erhalten. Aufgrund der Sensibilität von
Gesundheitsdaten kommt dem Datenschutz dabei eine herausragende Rolle zu. Gerade deshalb
sollte die Infrastruktur von staatlicher Seite und nicht von privaten Drittanbietern zur
Verfügung gestellt werden. Gesundheitsdaten inklusive der Patient*innen-Daten werden unter
Wahrung höchster Datenschutzstandards digital erfasst und der Forschung anonymisiert zur
Verfügung gestellt. Ihre eigenen Gesundheitsdaten müssen Patient*innen jederzeit zugänglich
sein.
(220) Solidarisch finanziert können die Herausforderungen der älter werdenden Gesellschaft
und die Kosten des medizinischen Fortschritts am besten bewältigt werden. Indem alle
Bevölkerungsgruppen in die Finanzierung über eine Bürgerversicherung einbezogen werden,
können die Belastungen fair und für alle tragfähig ausgestaltet werden. Gesundheit und
Pflege muss allen Menschen gleich zur Verfügung stehen. Beim Zugang darf es keinen
Unterschied nach Einkommen oder Versicherungsstatus geben. Im Falle von Pflegebedürftigkeit
muss sichergestellt sein, dass alle Menschen die Leistungen erhalten, die sie benötigen, und
die anfallenden Kosten auch stemmen können. Pflege darf kein Armutsrisiko sein.
(221) Leistungen, die medizinisch sinnvoll und gerechtfertigt sind und deren Wirksamkeit
wissenschaftlich erwiesen ist, müssen von der Solidargemeinschaft übernommen werden. Bei
Medikamenten und Impfstoffen, die etwa der Bekämpfung von Pandemien dienen und durch Patente
geschützt sind, sind kostengünstige Lizenzen notwendig, um Menschen weltweit versorgen zu
können. Diese Lizenzen müssen im Zweifel verpflichtend durchgesetzt werden.
(222) Statt um eine Kriminalisierung von Süchtigen und Konsument*innen geht es um
Prävention, Schadensminimierung, Entkriminalisierung und passgenaue Beratungs- und
Hilfsangebote. Cannabis sollte legalisiert werden. Eine kontrollierte Abgabe von
psychoaktiven Substanzen und eine an den gesundheitlichen Risiken orientierte Regulierung
sind der richtige Weg für wirksamen Jugend- und Gesundheitsschutz, zur Verhinderung von
Drogentoten und um kriminellen Strukturen und Drogenkriegen die Grundlage zu entziehen.
(223) Menschen sind immer Menschen, niemals „Fälle“, egal ob gesund, krank, pflegebedürftig
oder eingeschränkt. Patient*innen sind Akteur*innen mit starken Rechten. Sie müssen bei
relevanten Entscheidungen im Gesundheitswesen mitbestimmen und in entsprechende Gremien
eingebunden sein. Die Förderung der Gesundheitskompetenz, die Befähigung der Patient*innen
und unabhängige Gesundheitsberatung sollen zu einem festen Bestandteil unseres
Gesundheitssystems werden.
(224) Auch im Alter oder bei Pflegebedürftigkeit haben Menschen das Recht auf ein
selbstbestimmtes Leben. Menschen, die pflegebedürftig werden, wollen zumeist in ihrem
gewohnten Umfeld bleiben. Eine dezentrale Pflegestruktur, bei der die Wünsche, die
Selbstbestimmung und Selbstständigkeit der Betroffenen im Mittelpunkt stehen, ist dafür der
beste Weg. Deshalb sollen Kommunen mehr Möglichkeiten bekommen, das Angebot an Pflege und
Betreuung vor Ort zu gestalten. Ziel sind lebenswerte Quartiere für alle Generationen, in
denen professionelle Pflegeangebote und nachbarschaftliche Initiativen ineinandergreifen und
diese ältere und pflegebedürftige Menschen sowie pflegende Angehörige unterstützen.
Pflegende Angehörige verdienen grundsätzlich mehr Unterstützung und bessere
Rahmenbedingungen. Gute stationäre Pflege gibt es nur, wenn in Pflegeheimen die Bedürfnisse
und das Wohl der Patient*innen im Mittelpunkt stehen, nicht wenn zu Gunsten von hohen
Renditen an der Qualität oder an den Beschäftigten gespart wird.
(225) Zu einem Leben in Würde gehört auch ein Sterben in Würde. Eine bedarfsgerechte
Palliativversorgung in Stadt und Land ist unerlässlich. Auch damit Menschen die Möglichkeit
haben, zu Hause im Kreis der Angehörigen zu sterben. Zusätzlich braucht es genügend
Hospizplätze, die auch auf die Bedürfnisse der Sterbenden eingestellt sind.
weitere Antragsteller*innen
- Kai Gehring (KV Essen)
- Erhard Grundl (KV Straubing-Bogen)
- Manuel Stock (KV Frankfurt)
- Marcel Ernst (KV Göttingen)
- Michael Hack (KV Wetterau)
- Felix Beutler (KV Berlin-Lichtenberg)
- Christopher Peter (KV Berlin-Tempelhof/Schöneberg)
- Mogdeh Töbelmann (KV Berlin-Mitte)
- Torsten Fiebig (KV Berlin-Neukölln)
- Johannes Kopton (KV Magdeburg)
- Johannes Kode (KV Berlin-Tempelhof/Schöneberg)
- Henrik Rubner (KV Berlin-Mitte)
- Almut Mackensen (KV Göttingen)
- Ingo Stuckmann (KV Mülheim)
- Dorothea Kaufmann (KV Heidelberg)
- Beate Schmidt-Dickopf (KV Frankfurt)
- Arven Herr (KV Göttingen)
- Anne Franke (KV Starnberg)
- Viola von Cramon (KV Göttingen)
- Alexander Schrickel (KV Saarbrücken)
- Kristian Warnholz (KV Pinneberg)
- Ann-Katrin Knemeyer (KV Hamburg-Eimsbüttel)
- Jan Sollwedel (KV Marburg-Biedenkopf)
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Sprache nationaler Minderheiten sowie anerkannte Regionalsprachen sind zu schützen und zu fördern.
(neu 203) Kulturräume verlaufen nicht entlang staatlicher Grenzen, sie sind gleichermaßen lokal, regional, national und international. Kulturpolitik muss deswegen dezentral und föderal sein - sie reicht von den Kommunen und der Kulturhoheit der Länder über das Engagement des Bundes bis zur europäischen Ebene und den Institutionen des internationalen Kulturaustauschs und der Auswärtigen Kulturpolitik. Eine Renationalisierung von Kulturpolitik und eine Instrumentalisierung von Kultur für Nationalismus und Ausgrenzung steht diesen Grundsätzen klar entgegen
Kapitel 4: Zusammen leben
Zusammenhalt in Vielfalt
(165) Offen ist eine Gesellschaft, in der alle Bürger*innen die gleichen Rechte und
Möglichkeiten haben, die die Unterschiedlichkeit von Menschen und Regionen als Stärke
begreift und als Wert verteidigt, die soziale Ungleichheit verringern will und den Schutz
von Minderheiten gewährleistet. Individuelle Freiheit und persönliche Identität werden
geschützt. Die offene Gesellschaft ist eine gewaltfreie. Ihre Grenzen findet sie in den
Rechten und Freiheiten der Mitmenschen. Die offene Gesellschaft hinterfragt sich, lernt und
ist selbstkritisch. Sie beruht auf Bedingungen, die sie selbst nicht schützen kann. Deshalb
sind der Schutz und die Arbeit für sie eine dauernde politische Aufgabe.
(166) Menschen sind unterschiedlich, aber ihre Rechte und ihre Würde sind gleich. Eine
vielfältige, diskriminierungsfreie, gleichberechtigte Gesellschaft bedeutet demokratischen
Fortschritt für alle. Sie entwickelt sich stets weiter und handelt permanent die Regeln
ihres Zusammenlebens neu aus. In einer pluralistischen Gesellschaft bilden gleichberechtigte
Individuen aus vielfältigen Perspektiven ein Bündnis für ein gemeinsames Wir zum Schutz und
zur Förderung von Freiheit und Würde. Das gemeinsame Wir bedeutet Zusammenhalt in Vielfalt.
(167) Das gemeinsame Wir schließt alle ein, die in unserem Land leben. Wir sind
unterschiedlich, aber uns verbindet Respekt und Akzeptanz allen Menschen gegenüber,
unabhängig davon, wie sie leben, lieben, glauben und aussehen. Das macht den Reichtum
unseres „Wir“ aus.
(168) Eine vielfältige und inklusive Gesellschaft ist eine gleichberechtigte – mit gleichen
Rechten, Zugängen und gleicher Teilhabe. In einer vielfältigen Gesellschaft richtet sich
Zugehörigkeit nicht danach, wo jemand geboren ist, in welchem Stadtteil jemand wohnt, woher
die Eltern kommen oder wie viel sie verdienen, wie jemand aussieht, was jemand glaubt oder
wie der Name klingt.
(169) Diskriminierung trifft nicht alle gleichermaßen, aber sie geht alle gleichermaßen an.
Eine vielfältige Gesellschaft schützt alle Menschen vor Diskriminierung, Rassismus,
Antisemitismus und Gewalt – im Alltag, ob subtil oder durch gesellschaftliche Strukturen und
öffentliche Institutionen.
(170) In Deutschland leben Menschen zusammen, deren Familien bereits seit Generationen hier
ansässig sind, sowie Menschen, die in jüngerer Zeit eingewandert sind. Hier leben
Christ*innen, Jüdinnen und Juden, muslimische und nicht religiöse Menschen genauso wie
Nachkommen von Arbeitsmigrant*innen und von Geflüchteten. Viele bezeichnen sich als
Deutsche, manche als Neue Deutsche, Schwarze Deutsche, People of Color, Menschen mit Romani-
Hintergrund, Polnisch-Deutsche oder Türkisch-Deutsche und vieles mehr. In einem offenen
Deutschland werden alle von allen als dazugehörig anerkannt und können sich zugehörig
fühlen.
(171) Migration prägt und verändert unsere Gesellschaft. Eine vielfältige
Einwanderungsgesellschaft erfordert die gleichberechtigte politische, soziale und kulturelle
Teilhabe von Migrant*innen. Sie ist als Staatsziel im Grundgesetz zu verankern.
(172) Das Staatsbürgerschaftsrecht soll allen Menschen, die hier leben, arbeiten oder zur
Schule gehen, rechtliche Gleichheit, wirkliche Teilhabe und Zugehörigkeit ermöglichen. Dazu
gehören die erleichterte und beschleunigte Einbürgerung, die Ermöglichung von doppelter
Staatsangehörigkeit und die Ausweitung des Geburtsrechts. Menschen, die in Deutschland ihren
Lebensmittelpunkt haben und Teil dieser Gesellschaft geworden sind, sollen einen
Rechtsanspruch auf Einbürgerung haben. Die deutsche Staatsangehörigkeit soll durch Geburt im
Inland erworben werden können, wenn ein Elternteil rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt
in Deutschland hat. Mehrstaatigkeit bildet die Lebensrealität vieler Menschen ab.
(173) Die deutsche Gesellschaft ist religiös und weltanschaulich plural. Eine plurale
Gesellschaft braucht den Dialog der Religionen und Weltanschauungen. Es geht um die
Bewahrung und Durchsetzung der Freiheit, das persönliche Leben nach eigenen Lebensentwürfen
und Wertvorstellungen zu gestalten. Das schließt die Freiheit des religiösen und
weltanschaulichen Bekenntnisses ebenso ein wie das Recht, nach anderen Vorstellungen zu
leben. Zu dieser Freiheit gehört auch Religions- und Weltanschauungskritik. Voraussetzung
für eine Zusammenarbeit mit öffentlichen Stellen ist die uneingeschränkte Anerkennung der
verfassungsmäßigen Ordnung des Grundgesetzes und die Unabhängigkeit von autokratischen
Regimen. Die Wahrung der grundrechtlichen Normen und Werte kann durch keine Religion
relativiert werden.
(174) Die christlichen Kirchen sind Teil und Stütze unserer Gesellschaft. Der säkulare Staat
muss sich am Neutralitätsprinzip ausrichten. Das bedeutet aber nicht ein Kooperationsverbot
zwischen Staat und Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften. Das kooperative Modell des
Staatskirchenrechtes soll zu einem pluralen Religionsverfassungsrecht weiterentwickelt
werden.
(175) Aktives jüdisches Leben in Deutschland und Europa nach den schrecklichen Erfahrungen
der Shoa bedeutet eine große Verantwortung für den deutschen Staat und seine Bürger*innen.
Jüdinnen und Juden in ihrer Selbstentfaltung zu unterstützen sowie ihre Sicherheit und die
der jüdischen Einrichtungen zu gewährleisten ist eine wichtige Aufgabe für unsere
Gesellschaft. Sich Antisemitismus in jeder Form entgegenzustellen ist die Verpflichtung
unseres Rechtsstaates und die immer währende Aufgabe aller Menschen in Deutschland und in
Europa. Das Existenzrecht und die Sicherheit Israels mit gleichen Rechten für all seine
Bürger*innen sind unverhandelbar.
(176) Muslim*innen sind nach den Angehörigen der großen christlichen Konfessionen die größte
religiöse Gruppe in diesem Land. Der Islam gehört damit selbstverständlich zu Deutschland.
Moscheen und muslimische Gemeinden müssen vor Bedrohungen und Angriffen geschützt, die
Sicherheit von Muslim*innen muss gewährleistet werden. Antimuslimischen Rassismus zu
bekämpfen ist Aufgabe der gesamten Gesellschaft. Das Anliegen vieler Muslim*innen,
mittelfristig anerkannte und gleichberechtigte Religionsgemeinschaft(en) im Sinne und nach
den Regeln des Grundgesetzes bilden zu können, verdient Unterstützung. Das Ziel sind
Staatsverträge mit islamischen Religionsgemeinschaften.
(177) Menschen mit Romani-Hintergrund sind die größte Minderheit in Europa. Sie sind Teil
der europäischen Geschichte und Gegenwart seit mehr als 600 Jahren und in Deutschland als
nationale Minderheit anerkannt. Kultur und Sprache sind vom Staat zu schützen und zu
fördern. Antiziganistische Diskriminierung ist jedoch weit verbreitet und bis in die Mitte
der Gesellschaft verankert. Sie findet zum Beispiel bei der Wohnungs- und Arbeitssuche, im
Bereich Bildung und Gesundheit statt. Dagegen einzutreten ist unsere Verpflichtung. Das
Erinnern an den lange ignorierten und nicht anerkannten Holocaust an Menschen mit Romani-
Hintergrund in der Zeit des Nationalsozialismus ist unser aller Verantwortung.
(178) Inklusion ist ein Menschenrecht. In einer inklusiven Gesellschaft können alle Menschen
ohne Angst in ihren Eigenschaften und Lebensformen verschieden sein. In einer inklusiven
Gesellschaft werden die Rechte von Menschen mit Behinderung und deren gesellschaftliche
Teilhabe umfassend und wirksam realisiert und geschützt. Die Umsetzung der VN-
Behindertenrechtskonvention in allen Lebensbereichen beendet ausschließende Strukturen.
Leben mit einer Beeinträchtigung bedeutet besondere Anforderungen zur Selbstbestimmung.
Menschen mit Behinderung tragen mit ihren Fähigkeiten und Ressourcen zum Gemeinwohl bei.
Feminismus und Geschlechtergleichstellung
(179) Feminismus ist sowohl die Vision einer gleichberechtigten Gesellschaft als auch der
Weg dorthin. Er verspricht, echte Gleichberechtigung in allen Lebensbereichen einzulösen –
rechtlich, kulturell und ökonomisch.
(180) Eine Gesellschaft, in der gleiche Teilhabe für alle Geschlechter Wirklichkeit ist,
schützt und stärkt die Rechte aller Frauen in ihrer Unterschiedlichkeit und unabhängig von
Herkunft, Alter, Religion, Behinderung, Sexualität oder Klasse. Deshalb verfolgen wir einen
Feminismus, der verschiedene Diskriminierungsformen auch in ihrer Verschränkung erkennt und
an ihrer Beseitigung arbeitet.
(181) Gesellschaftlich vorgegebene Rollenzwänge führen zu ungleichen Chancen und häufig zu
individuellem Leid. Sexismus behindert Frauen im Job, in der Schule, in der Uni, vor
Gericht, im Privatleben, in den Medien, im Internet. Menschen aller Geschlechter profitieren
von der Überwindung feststehender Geschlechterrollen. Menschen benötigen von klein auf
vielfältige Vorbilder, um sich frei entfalten zu können. Gemeinsam schaffen wir eine
Gesellschaft, in der alle Menschen frei von einschränkenden Rollenbildern leben können.
(182) Das Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper und das eigene Leben muss auch
für Frauen, Mädchen, trans*, inter* und nicht-binäre Menschen uneingeschränkt gelten. Dieses
Recht zu realisieren ist Teil einer guten öffentlichen Gesundheitsversorgung. Zu ihr zählen
auch selbstbestimmte Schwangerschaftsabbrüche, die nichts im Strafgesetzbuch verloren haben.
Menschen mit einer nichtbinären Geschlechtsidentiät haben ausschließlich selbst das Recht,
ihr Geschlecht zu definieren. Selbstbestimmung setzt einen umfassenden Schutz vor Gewalt
voraus. Im Sinne der Istanbul-Konvention ist jegliche Form geschlechtsspezifischer,
körperlicher, seelischer und sexualisierter Gewalt konsequent zu bekämpfen.
(183) Frauen sollen in allen Bereichen der Gesellschaft mitbestimmen und Verantwortung
übernehmen können. Gleichberechtigung bedeutet nicht nur, aber auch mehr Frauen in
Führungspositionen – in der Politik, in der Zivilgesellschaft und der Wirtschaft. Wo
freiwillige Selbstverpflichtung nicht hilft, sind Quoten ein wichtiges Instrument für mehr
Parität. Sie zielen dabei immer auf eine Welt, in der sie sich selbst überflüssig machen.
(184) Eine offene Gesellschaft ist eine der Geschlechtervielfalt, in der alle Menschen ohne
Angst verschieden sein können. Freiheit und Würde bedeuten, sich einem Geschlecht zuordnen
zu können oder auch nicht. Und es bedeutet, die eigene sexuelle Identität selbstbestimmt zu
finden. Freiheit und Würde bedeuten auch, gemäß der eigenen sexuellen Orientierung die
Lebensform, die Partnerschaft und das Familienmodell selbst zu wählen und dafür jeweils die
gleichen Rechte und den gleichen Schutz vom Staat zu erhalten. Antiqueere, homo-, bi- und
transfeindliche Ressentiments und Diskriminierung sowie Angriffe auf lesbische, schwule,
bisexuelle, trans*, inter*, nicht-binäre und queere Menschen sind menschenrechtliche
Verstöße und müssen von der gesamten Gesellschaft klar zurückgewiesen werden.
Stadt und Land, Jung und Alt
(185) Die regionale Vielfalt, die verschiedenen historischen Erfahrungen und
unterschiedlichen Lebensstile der Menschen machen Deutschland aus. Auch die historische
Spaltung in Ost und West durch den Kalten Krieg sowie die Verwerfungen nach der
Wiedervereinigung haben Deutschland geprägt. Unterschiede anzuerkennen, zu schützen und
zugleich den sozialen Zusammenhalt zu stärken ist unsere Verpflichtung. Es ist Verantwortung
des Staates, die Lebensbedingungen in sich ökonomisch und strukturell unterschiedlich
entwickelnden Regionen im gesamten Bundesgebiet und auf allen Ebenen anzugleichen – etwa im
Verhältnis von ländlichen Gegenden zu Städten, vom Norden zum Süden, von Ost nach West, von
schrumpfenden zu wachsenden Regionen.
(186) Die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse ist als normative Aufgabe wichtig, aber
immer schwieriger zu definieren. Während in strukturschwachen Regionen oftmals staatliche
Institutionen fehlen, sind die Mieten dort meist günstiger. Die Sicherung von gleichwertigen
Lebensverhältnissen wird nicht durch das gleiche Angebot wie in den Metropolen zu erreichen
sein, wohl aber durch die Schaffung von Voraussetzungen für kreative, flexible und digitale
Lösungen. Es geht um eine neue Politik des Ausgleichs zwischen ländlichen Räumen und
Städten. Dazu dient eine neue Gemeinschaftsaufgabe „Regionale Daseinsvorsorge“.
(187) Gute und sichere öffentliche Räume und Institutionen sind Voraussetzungen dafür, dass
die Gesellschaft zusammenhält. Damit Sicherheit und Gemeinsamkeit möglich werden, garantiert
der Staat gute Versorgung, Anbindung von ländlichen Regionen und Orte der Begegnung. Zur
Daseinsvorsorge gehören etwa Breitbandanschlüsse und Mobilfunkversorgung, Frauenhäuser,
Ärzt*innen sowie Krankenhäuser, Kitas, Jugendhäuser, Musikschulen und Bibliotheken, auch in
den ländlichen Regionen, Sportplätze und Schwimmbäder in Stadt und Land. So helfen
öffentliche Räume und Institutionen, Freiheit und Selbstbestimmung zu ermöglichen,
Chancengleichheit herzustellen und Aufstiegschancen zu schaffen. Sie sind mehr als
staatliche Daseinsvorsorge, sie sind ein Zusammenspiel von demokratischer Staatlichkeit und
bürgerschaftlichem Zusammenleben.
(188) Es braucht bessere regionale Wirtschaftskreisläufe. Sie sind nicht nur ökologischer,
sondern können auch Regionen mit Strukturproblemen helfen. Die regionale
Wirtschaftsförderung ist so auszurichten, dass regionale Kreisläufe unterstützt werden, vor
Ort eine gute Infrastruktur vorhanden ist und auch ländliche Regionen verlässlich vernetzt
und an die Zentren angebunden sind. Dafür braucht es starke regionale Zentren als
Ankerpunkte in den Regionen, die ein breites Angebot an öffentlichen und kulturellen
Dienstleistungen vorhalten. Ein Beispiel sind die europäischen Metropolregionen. Bei der
Ansiedelung von Bildungsinstitutionen, Landes- und Bundesbehörden sollen strukturschwache
Gebiete besonders berücksichtigt werden.
(189) Die europäischen Gesellschaften sind geprägt durch demographischen Wandel.
Bevölkerungsverluste und -zuwächse sind sehr ungleich verteilt, vor allem zwischen Stadt und
Land, und sie prägen unterschiedliche Identitäten und kulturelle Erfahrungen. Gleichwertige
Lebensverhältnisse herzustellen ist ein verfassungsrechtliches Handlungsziel und Kernaufgabe
der Politik.
(190) Das gute Zusammenleben aller Generationen und Gerechtigkeit zwischen ihnen wird in
einer alternden Gesellschaft zentraler. In ihr braucht es neue Formen des Zusammenlebens und
eine altersgerechte Infrastruktur. Das wirkt Einsamkeit entgegen und stärkt den sozialen
Zusammenhalt. Im Zentrum sollte nicht nur die Versorgung älterer Menschen stehen, sondern
auch ihre Teilhabe am gesellschaftlichen und politischen Leben.
(191) Für viele Menschen ist die Familie das Fundament ihres Zusammenlebens und Glücks.
Deswegen stehen Familien zu Recht unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes. Familie ist
da, wo Menschen mit dem Ziel der Dauerhaftigkeit Verantwortung füreinander übernehmen, sich
umeinander kümmern und füreinander da sind. Familien verdienen Unterstützung. Egal ob mit
oder ohne Trauschein, ob alleinerziehend oder mit Partner*in, ob gleich- oder
mehrgeschlechtlich, ob Patchwork oder in Mehr-Eltern-Konstellationen – alle Formen sollen
rechtlich und sozial abgesichert sein.
(192) Viele Eltern wollen sich Sorge- und Erwerbsarbeit gleichberechtigt aufteilen. Das wird
möglich durch ein flächendeckendes, zeitlich flexibles und qualitativ hochwertiges
Betreuungs- und Bildungsangebot, einen Wandel der Arbeitswelt sowie eine Reduzierung der
Arbeitszeit.
(193) Kinder brauchen die Freiheit, sich zu bewegen, zu spielen und zu lernen, zu lachen und
zu weinen, zur Freude und zur Wut. Sie haben eigene Rechte. Diese gehören in den Mittelpunkt
von Politik und Gesellschaft und sind im Grundgesetz eigenständig zu garantieren. Kinder
sind Expert*innen in eigener Sache und sollten bei den sie betreffenden Angelegenheiten
beteiligt werden. Ihr Interesse muss Leitlinie in der Ausstattung von öffentlichen Räumen
und Institutionen sein.
(194) Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf besonderen Schutz und auf
diskriminierungsfreie Förderung, die über bundesweite Qualitätskriterien für Kitas, Schulen,
Jugendämter und freie Träger zu garantieren sind. Kinderrechte gehören in alle Curricula für
Jura, Medizin, Erziehungswissenschaften und Polizei. Kinder müssen bei Entscheidungen
gehört, ihre Rechte und ihr Wille im Mittelpunkt stehen. Überall, wo mit Kindern umgegangen
wird, muss Basiswissen über Kinderrechte, insbesondere über Beteiligung, über den Schutz vor
Kindeswohlgefährdung und vor sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche, zur
Voraussetzung werden. In Kinderschutzverfahren muss die nötige Qualifikation bei allen
Beteiligten gesetzlich vorgegeben und tatsächlich gewährleistet sein.
(195) Guter, bezahlbarer Wohnraum für alle ist eine öffentliche Aufgabe. Wohnraum, Grund und
Boden dürfen keine Spekulationsobjekte sein. Das Recht auf Wohnen soll im Grundgesetz
verankert werden. Kein Mensch soll ohne Obdach sein oder darf bei der Wohnungssuche wegen
des Namens, der Herkunft, der sexuellen Identität oder einer Behinderung diskriminiert
werden. Auch kleine Gewerbetreibende dürfen nicht durch steigende Mieten aus ihren Vierteln
vertrieben werden. Es braucht ein starkes und soziales Mietrecht, eine gesetzliche
Begrenzung der Miethöhe und eine Mieter*innen-Mitbestimmung.
(196) Um das Recht auf Wohnen zu verwirklichen, ist ein hoher Bestand an öffentlichem und
sozial gebundenem Wohnraum nötig. Dort, wo viele Menschen zuziehen, muss in großem Umfang
gebaut werden. Dabei muss auf nachhaltiges Bauen und eine behutsame Nachverdichtung geachtet
werden.
(197) Eine lebendige, durchmischte, offene und barrierefreie Stadt der kurzen Wege ist
Leitbild: Dort leben Junge und Alte sowie Menschen verschiedener Herkunft gern in ihren
Wohnvierteln, haben es nicht weit zur Arbeit und zum nächsten Sportplatz. Der demographische
Wandel bringt neue Formen des Zusammenlebens. Ein ausreichender Bestand an barrierefreien
Wohnungen und Möglichkeiten für ältere Menschen, ein aktives Leben zu führen, sind
entscheidend.
(198) Sport verbindet. Alte und Junge, Menschen verschiedener Herkunft, mit verschiedenen
Erfahrungen – auf dem Fußballplatz sind alle gleich. In Deutschland engagieren sich viele
Millionen Menschen im Sport – in Vereinen und Organisationen – für Fairness, Teamgeist und
Verantwortung. Im Sport können die Werte einer offenen und solidarischen Gesellschaft gelebt
und vermittelt werden. Der organisierte Sport ist eine wichtige Stütze der Gesellschaft,
weil er Werte und Bildung vermittelt und Zusammenhalt schafft. Diese Strukturen zu erhalten
und zu stärken bedeutet, das friedliche Zusammenleben zu stärken. Auf internationaler Ebene
leistet der Sport einen wichtigen Beitrag zum Kulturaustausch und zu gegenseitiger
Begegnung. Sport findet nicht im politischen Vakuum statt. Das bedeutet Verantwortung für
den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft, für den Schutz von Menschenrechten und der Natur,
aber genauso als wirtschaftlicher Akteur und im Kampf gegen Doping.
(199) Privat übernehmen viele Menschen ehrenamtlich Verantwortung für andere, sei es in
Familie und Nachbarschaft oder in Vereinen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften und
Initiativen. Das Ehrenamt hat eine konstitutive Rolle in unserer Demokratie und für unser
Zusammenleben. Dafür braucht es Zeit, Anerkennung und Förderung, die wir als Gesellschaft
bereitstellen müssen.
(200) Viele Menschen sind motiviert, freiwilligen Einsatz für die Gesellschaft zu bringen.
Die bestehenden Freiwilligendienste können zu einem neuen gesellschaftlichen
Generationenprojekt werden, wenn sie ausgebaut und auch für Menschen im Ruhestand geöffnet
werden, die Erfahrung und Können weiter einbringen wollen. Ein solcher
„Zivilgesellschaftsdienst“ soll Rentner*innen wie allen jungen Menschen, die ihn ausüben
wollen, unabhängig vom eigenen Geldbeutel offenstehen.
Kultur und die Künste
(201) Kunst ist frei. Kunst dient niemandem. Sie lässt sich nicht auf ihren materiellen Wert
reduzieren. Kunst ist vielfältig und deutungsoffen und nie homogen, sie ist dynamisch und
hybrid und niemals statisch. Kultur und die Künste lassen aus dem Zusammenspiel
unterschiedlichster Einflüsse und Zusammenhänge Neues entstehen und sind so Motor
gesellschaftlicher Veränderung. Wir schützen die Freiheit der Kunst und wenden uns dagegen,
Kunst und Kultur vereinheitlichen zu wollen oder alleinige Deutungshoheit über sie zu
beanspruchen.
(202) Freie Kultur und Kunst sind eine Grundlage für Demokratie und friedliches
Zusammenleben. Sie gehören zur Daseinsvorsorge und sind Ausdruck und Anlass individueller
und gesellschaftlicher Reflexion, persönlichen und kollektiven Erkenntnisgewinns sowie
persönlicher und kollektiver Entwicklung. Kulturelle Vielfalt sowie Transkulturalität zu
fördern und zu schützen ist wichtige Aufgabe in der offenen Gesellschaft. Der Zugang zu und
die Teilhabe an Kultur und den Künsten muss für alle gleich gewährleistet sein, ungeachtet
der Herkunft. Das gilt für kulturelle Bildung, Kulturinstitutionen und Freiräume
gleichermaßen. Es gilt für das Erleben ebenso wie für das Schaffen von Kunst. Kultur und
Sprache nationaler Minderheiten sowie anerkannte Regionalsprachen sind zu schützen und zu
fördern.
(neu 203) Kulturräume verlaufen nicht entlang staatlicher Grenzen, sie sind gleichermaßen lokal, regional, national und international. Kulturpolitik muss deswegen dezentral und föderal sein - sie reicht von den Kommunen und der Kulturhoheit der Länder über das Engagement des Bundes bis zur europäischen Ebene und den Institutionen des internationalen Kulturaustauschs und der Auswärtigen Kulturpolitik. Eine Renationalisierung von Kulturpolitik und eine Instrumentalisierung von Kultur für Nationalismus und Ausgrenzung steht diesen Grundsätzen klar entgegen
(203) Kultur und Kunst brauchen öffentliche Förderung auf Grundlage transparenter Kriterien,
Kulturschaffende eine verlässliche und angemessene soziale Absicherung, die freie Szene
braucht professionelle Rahmenbedingungen, unabhängig von privater und unternehmerischer
Unterstützung. Dazu gehören auch transparente Strukturen und faire Arbeitsbedingungen in den
öffentlich geförderten Kultureinrichtungen.
(204) Das Bewusstsein für die Singularität der Verbrechen des Nationalsozialismus als
universelle Mahnung an die gesamte Menschheit und die daraus folgende historische
Verantwortung wachzuhalten ist vordringliche Aufgabe deutscher Erinnerungskultur. Es kann
keinen Schlussstrich geben. Dazu gehört, die Aufarbeitung der NS-Verbrechen fortzuführen und
Raubkunst an die Eigentümer*innen und ihre Erb*innen zurückzugeben.
(205) Zur Erinnerungskultur gehört das Erinnern an die friedliche Revolution 1989/90 in
Ostdeutschland sowie die historische Aufarbeitung der Verbrechen des SED-Regimes. Erlittenes
und begangenes Unrecht dürfen nicht in Vergessenheit geraten. Erinnerungsstätten und
Opferberatungen benötigen daher eine auskömmliche Finanzierung. Der Zugang zu den Stasi-
Akten muss weiterhin für Betroffene, für Publizistik und Forschung gewährleistet sein.
(206) Die Erinnerungskultur einer vielfältigen Einwanderungsgesellschaft zeigt sich offen
für die vielstimmigen Geschichten und Erzählungen sowie die unterschiedlichen historischen
Erfahrungen der Menschen, die hier leben. Auch die kritische Aufarbeitung der kolonialen
Vergangenheit und der damit verbundenen Verbrechen muss selbstverständlicher Teil unserer
Bildungs- und Erinnerungskultur sein. Das ist Voraussetzung für eine Gesellschaft, in der
Menschen frei von Rassismus leben können.
(207) Deutschlands Kolonialvergangenheit ist auch im Kulturbereich viel zu wenig
aufgearbeitet. Es braucht eine umfängliche Forschung über die Herkunft von Sammlungsobjekten
und immateriellen Kulturgütern aus kolonialen Kontexten, ihre Rückgabe an die
Herkunftsgesellschaften sowie die Dekolonisierung von Kultureinrichtungen und des
öffentlichen Raums. Dies kann nur in enger Zusammenarbeit mit den Nachkommen der ehemals
Kolonisierten international wie hierzulande geschehen.
(208) Der internationale Austausch im Bereich Kunst, Theater, Musik, Literatur, Film und
anderer Künste stärkt die Bindung zwischen den Menschen rund um den Globus. Die
Intensivierung der internationalen Kulturbeziehungen ist ein Beitrag zur Öffnung, zu Frieden
und zum Schutz von Menschenrechten. Die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik übernimmt
dabei eine wichtige Rolle.
Gesundheit und Pflege
(209) Oberste Aufgabe jeder Gesundheitspolitik ist es, die Würde und Freiheit des Menschen
auch im Krankheits- und Pflegefall zu wahren und gleichzeitig Krankheiten und
Gesundheitsrisiken vorzubeugen. Gesundheitsversorgung und Pflege sind zentrale Pfeiler der
Daseinsvorsorge. Es ist öffentliche Aufgabe, jedem Menschen unabhängig von Alter, Einkommen,
Geschlecht, Herkunft, sozialer Lage oder Behinderung sowie vom Wohnort und Aufenthaltsstatus
Zugang zu einer qualitativ hochwertigen Versorgung, die sich an seinen Bedürfnissen
orientiert, zu garantieren. Die Versorgung muss dem Stand der wissenschaftlichen
Erkenntnisse entsprechen, den medizinischen Fortschritt berücksichtigen und auch den
Bedarfen von besonders verletzlichen Personengruppen gerecht werden.
(210) Gute Gesundheitspolitik setzt schon bei der Vermeidung von Erkrankungen und
Pflegebedürftigkeit an und nimmt dabei auch das psychische und soziale Wohlbefinden in den
Blick. Prekäre Lebensverhältnisse machen in vielen Fällen krank. Menschen, die in Armut
leben, haben eine höhere Wahrscheinlichkeit zu erkranken und oft einen schlechteren Zugang
zum Gesundheitssystem. Bewegungsmöglichkeiten, gesunde Ernährung und saubere Luft müssen
allen zur Verfügung stehen, um gesund zu bleiben. Prävention, Gesundheitsförderung und
‑schutz sind deshalb Querschnittsaufgaben, die in allen Politikbereichen verfolgt werden
müssen. Insbesondere eine gute Sozialpolitik ist Teil einer umfassenden Gesundheitsvorsorge.
(211) Internationale und solidarische Kooperation bei Gesundheitsforschung und beim Aufbau
guter Gesundheitssysteme ist eine gemeinsame Aufgabe der Weltgemeinschaft. Es braucht
weltweit Versorgungssicherheit mit zentralen Arzneimitteln und Materialien. Sie müssen auch
in Europa produziert werden.
(212) Gesundheitsversorgung ist öffentliche Aufgabe. Egal ob bei der freiberuflichen
Landärztin, dem Medizintechnikunternehmen oder in der staatlichen Uniklinik – sie muss dem
Menschen und seiner Gesundheit zugutekommen und dient nicht dem Zweck, hohe Renditen zu
erzielen. Die Planung und Finanzierung des Gesundheitswesens muss am Bedarf der
Patient*innen ausgerichtet werden. Entscheidend ist nicht, was sich rentiert, sondern was
notwendig ist. Insbesondere im Krankenhausbereich soll die Gemeinwohlorientierung gestärkt,
die Benachteiligung öffentlicher Träger beendet, die Trägervielfalt erhalten und der Trend
hin zur Privatisierung gestoppt werden. Klare politische Vorgaben zur Personalbemessung,
Behandlungs- und Versorgungsqualität sollen sicherstellen, dass alle Träger gleichermaßen
zum Nutzen der Patient*innen handeln. Dadurch werden Gewinnausschüttungen von Kliniken
beschränkt, damit öffentliches und beitragsfinanziertes Geld im System bleibt.
(213) Gleichwertige Lebensverhältnisse bedeuten eine gute Gesundheitsversorgung in der Stadt
und auf dem Land. Jeder Mensch muss Zugang zu medizinischer und psychotherapeutischer Hilfe
haben, egal wo er lebt. Dafür müssen die Grenzen zwischen ambulanter und stationärer
Versorgung überwunden und Gesundheitsregionen aufgebaut werden, die eine bestmögliche
Verknüpfung der verschiedenen Versorgungsangebote vor Ort erlauben. Durch ein Stufenmodell
von der ambulanten und stationären Grundversorgung bis hin zu Spezialkliniken kann die
Versorgung im ländlichen Raum gestärkt und zeitgleich eine gute Versorgungsqualität
sichergestellt werden.
(214) Nur ein gut finanziertes Gesundheitssystem kann die Würde der Patient*innen und die
Rechte der Beschäftigten gleichermaßen schützen. Falsche politische Weichenstellungen und
der daraus folgende ökonomische Druck haben zu Fehlanreizen zulasten des Patient*innen-
Wohls, Kosteneinsparungen zulasten des Personals und einer falschen Verteilung von Geldern
geführt. Die Krankenhausfinanzierung muss neu gedacht und auf wohnortunabhängige
Versorgungssicherheit und -qualität, auf eine gute Bezahlung für Beschäftigte, auf Vorsorge
und auf Krisenfestigkeit ausgerichtet werden. Kliniken sollen nicht nur nach erbrachter
Leistung, sondern nach ihrem gesellschaftlichen Auftrag finanziert werden. Dafür müssen die
Fallpauschalen reformiert und um eine strukturelle Finanzierung ergänzt werden. Die
Investitionsfinanzierung muss durch Bund und Länder gemeinsam verbessert werden. Die
Versorgungsplanung im Gesundheitssystem soll gestärkt werden. Stationäre und ambulante
Versorgung sollen zusammen gedacht, geplant und finanziert werden.
(215) Eine bessere Vernetzung, Koordination und Zusammenarbeit über alle Berufsgruppen
hinweg ist notwendig, um den Bedarfen der Patient*innen in einer älter werdenden
Gesellschaft besser gerecht zu werden. Eine gut abgestimmte integrierte Versorgung in Form
von Gesundheitsregionen, in denen Ärzt*innen, Psychotherapeut*innen, Pflegekräfte und andere
Heilberufe sowie ein gut ausgestatteter öffentlicher Gesundheitsdienst Hand in Hand und auf
Augenhöhe zusammenarbeiten, muss darum zur Regel werden. Dabei helfen eine umfassende
Versorgungsplanung, Gesundheitsberichterstattung, die Aufwertung und Ausweitung der
Kompetenzen in Gesundheits- und Pflegefachberufen und eine Stärkung der
Versorgungsforschung. Heilmittelerbringer*innen und gesundheitsnahe Berufe sind ein
essenzieller Teil unseres Gesundheitssystems und müssen finanziell besser abgesichert
werden. Eine Stärkung der professionellen Pflege und der hausärztlichen Versorgung ist
Voraussetzung für ein gutes Versorgungsnetz in der Fläche.
(216) Die Versorgung durch Hebammen und in Geburtshäusern sowie Kreißsälen muss sowohl in
ländlichen Regionen als auch in Städten gesichert sein. Die reproduktive Selbstbestimmung
muss gewährleistet sein, das bedeutet den kostenfreien Zugang zu Verhütungsmitteln und die
Sicherstellung von ärztlich vorgenommenen Schwangerschaftsabbrüchen. Das sind wichtige Teile
der Gesundheitsversorgung und der Selbstbestimmung von Frauen. Dazu gehört auch die Stärkung
von Frauengesundheit und geschlechtsspezifischer Medizin in Forschung und Praxis.
(217) Gute Gesundheit und Pflege gibt es nur unter guten Arbeitsbedingungen in allen
Gesundheitsberufen. Altenpfleger*innen, Krankenpfleger*innen oder Hebammen sind das Rückgrat
unserer Gesellschaft. In diesem Arbeitsbereich droht permanent die Gefahr von Überlastung
und Überarbeitung. Sich um andere zu kümmern darf nicht krank machen. Es braucht mehr
Personal, mehr Lohn und mehr Zeit. Um überhaupt mehr Personal zu gewinnen, muss sich die
Arbeit mit der Familie vereinbaren lassen und Fortbildung und Aufstiegschancen bieten. Der
Staat trägt hier auch aufgrund des im Grundgesetz festgeschriebenen Sozialstaatsgebots eine
besondere Verantwortung.
(218) Digitalisierung und Automatisierung können helfen, Arbeitsabläufe im Gesundheitswesen
zu vereinfachen und Arbeitsbedingungen zu verbessern, und so dazu beitragen, den
Fachkräftemangel im Gesundheitswesen zu bekämpfen. Mithilfe der Koordinierung und des
Abgleichs von Kapazitäten und der Übernahme von unterstützenden Tätigkeiten durch Robotik
und digitale Hilfsmittel kann mehr Zeit für die persönliche Arbeit mit Patient*innen und
menschliche Zuwendung gewonnen werden.
(219) Die Chancen der Digitalisierung gilt es sowohl bei der Organisierung der
Gesundheitsversorgung und im Pflegebereich als auch bei der Verwaltung von Gesundheitsdaten
und der individuellen Prävention zu nutzen. So wird auch in Zeiten des demographischen
Wandels ein zukunftsfähiges Gesundheitssystem erhalten. Aufgrund der Sensibilität von
Gesundheitsdaten kommt dem Datenschutz dabei eine herausragende Rolle zu. Gerade deshalb
sollte die Infrastruktur von staatlicher Seite und nicht von privaten Drittanbietern zur
Verfügung gestellt werden. Gesundheitsdaten inklusive der Patient*innen-Daten werden unter
Wahrung höchster Datenschutzstandards digital erfasst und der Forschung anonymisiert zur
Verfügung gestellt. Ihre eigenen Gesundheitsdaten müssen Patient*innen jederzeit zugänglich
sein.
(220) Solidarisch finanziert können die Herausforderungen der älter werdenden Gesellschaft
und die Kosten des medizinischen Fortschritts am besten bewältigt werden. Indem alle
Bevölkerungsgruppen in die Finanzierung über eine Bürgerversicherung einbezogen werden,
können die Belastungen fair und für alle tragfähig ausgestaltet werden. Gesundheit und
Pflege muss allen Menschen gleich zur Verfügung stehen. Beim Zugang darf es keinen
Unterschied nach Einkommen oder Versicherungsstatus geben. Im Falle von Pflegebedürftigkeit
muss sichergestellt sein, dass alle Menschen die Leistungen erhalten, die sie benötigen, und
die anfallenden Kosten auch stemmen können. Pflege darf kein Armutsrisiko sein.
(221) Leistungen, die medizinisch sinnvoll und gerechtfertigt sind und deren Wirksamkeit
wissenschaftlich erwiesen ist, müssen von der Solidargemeinschaft übernommen werden. Bei
Medikamenten und Impfstoffen, die etwa der Bekämpfung von Pandemien dienen und durch Patente
geschützt sind, sind kostengünstige Lizenzen notwendig, um Menschen weltweit versorgen zu
können. Diese Lizenzen müssen im Zweifel verpflichtend durchgesetzt werden.
(222) Statt um eine Kriminalisierung von Süchtigen und Konsument*innen geht es um
Prävention, Schadensminimierung, Entkriminalisierung und passgenaue Beratungs- und
Hilfsangebote. Cannabis sollte legalisiert werden. Eine kontrollierte Abgabe von
psychoaktiven Substanzen und eine an den gesundheitlichen Risiken orientierte Regulierung
sind der richtige Weg für wirksamen Jugend- und Gesundheitsschutz, zur Verhinderung von
Drogentoten und um kriminellen Strukturen und Drogenkriegen die Grundlage zu entziehen.
(223) Menschen sind immer Menschen, niemals „Fälle“, egal ob gesund, krank, pflegebedürftig
oder eingeschränkt. Patient*innen sind Akteur*innen mit starken Rechten. Sie müssen bei
relevanten Entscheidungen im Gesundheitswesen mitbestimmen und in entsprechende Gremien
eingebunden sein. Die Förderung der Gesundheitskompetenz, die Befähigung der Patient*innen
und unabhängige Gesundheitsberatung sollen zu einem festen Bestandteil unseres
Gesundheitssystems werden.
(224) Auch im Alter oder bei Pflegebedürftigkeit haben Menschen das Recht auf ein
selbstbestimmtes Leben. Menschen, die pflegebedürftig werden, wollen zumeist in ihrem
gewohnten Umfeld bleiben. Eine dezentrale Pflegestruktur, bei der die Wünsche, die
Selbstbestimmung und Selbstständigkeit der Betroffenen im Mittelpunkt stehen, ist dafür der
beste Weg. Deshalb sollen Kommunen mehr Möglichkeiten bekommen, das Angebot an Pflege und
Betreuung vor Ort zu gestalten. Ziel sind lebenswerte Quartiere für alle Generationen, in
denen professionelle Pflegeangebote und nachbarschaftliche Initiativen ineinandergreifen und
diese ältere und pflegebedürftige Menschen sowie pflegende Angehörige unterstützen.
Pflegende Angehörige verdienen grundsätzlich mehr Unterstützung und bessere
Rahmenbedingungen. Gute stationäre Pflege gibt es nur, wenn in Pflegeheimen die Bedürfnisse
und das Wohl der Patient*innen im Mittelpunkt stehen, nicht wenn zu Gunsten von hohen
Renditen an der Qualität oder an den Beschäftigten gespart wird.
(225) Zu einem Leben in Würde gehört auch ein Sterben in Würde. Eine bedarfsgerechte
Palliativversorgung in Stadt und Land ist unerlässlich. Auch damit Menschen die Möglichkeit
haben, zu Hause im Kreis der Angehörigen zu sterben. Zusätzlich braucht es genügend
Hospizplätze, die auch auf die Bedürfnisse der Sterbenden eingestellt sind.
weitere Antragsteller*innen
- Kai Gehring (KV Essen)
- Erhard Grundl (KV Straubing-Bogen)
- Manuel Stock (KV Frankfurt)
- Marcel Ernst (KV Göttingen)
- Michael Hack (KV Wetterau)
- Felix Beutler (KV Berlin-Lichtenberg)
- Christopher Peter (KV Berlin-Tempelhof/Schöneberg)
- Mogdeh Töbelmann (KV Berlin-Mitte)
- Torsten Fiebig (KV Berlin-Neukölln)
- Johannes Kopton (KV Magdeburg)
- Johannes Kode (KV Berlin-Tempelhof/Schöneberg)
- Henrik Rubner (KV Berlin-Mitte)
- Almut Mackensen (KV Göttingen)
- Ingo Stuckmann (KV Mülheim)
- Dorothea Kaufmann (KV Heidelberg)
- Beate Schmidt-Dickopf (KV Frankfurt)
- Arven Herr (KV Göttingen)
- Anne Franke (KV Starnberg)
- Viola von Cramon (KV Göttingen)
- Alexander Schrickel (KV Saarbrücken)
- Kristian Warnholz (KV Pinneberg)
- Ann-Katrin Knemeyer (KV Hamburg-Eimsbüttel)
- Jan Sollwedel (KV Marburg-Biedenkopf)
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