Auch heute noch gibt es erhebliche Ungerechtigkeiten im System der Anerkennung ausländischer Hochschulabschlüsse, die deren Inhaber*innen, besonders Migrant*innen, aber auch aus Deutschland kommende Menschen, die im Ausland Hochschulabschlüsse erworben haben benachteiligen.
Besonders schwer nachvollziehbar sind die nicht seltenen Fälle, in denen Abschlüsse von Universitäten voll anerkannt werden, um etwa ein Master- oder Promotionsstudium zu machen, eine Post-Doc-Stelle oder (Junior-)Professur anzutreten, aber der Staat die Abschlüsse nicht für den Eintritt in den Staatsdienst und entsprechende Gehaltseinstufung anerkennt, sowie keine Titelführung von ausländischen Doktorgraden ermöglicht.
Dazu 3 Beispiele aus der Praxis:
Eine promovierte Pädagogin aus Russland, die die Promotion in Russland erworben hat, kann an jeder deutschen Hochschule in einer Post-Doc-Position bis hin zur Juniorprofessur angestellt bzw. berufen werden. Sie darf sich überall als promovierte Pädagogin bezeichnen. Im Staatsdienst wird sie als promoviert eingestuft, hat also die volle staatliche Anerkennung des Abschlusses. Sie darf aber nicht ihren Doktorgrad als Doktortitel im Namen führen. Damit wird sie im Beruf, auf dem Markt und auch im Alltag nicht als gleichwertig mit anderen Promovierten mit Titelführung des "Dr." gesehen.
Ein ukrainischer Physiker hat in der Ukraine eine Promotion erworben. Er hat in Deutschland die volle staatliche und akademische Anerkennung als promovierter Physiker. Er darf aber seinen Doktorgrad nicht im Namen als "Dr." führen. Ein russischer Physiker hingegen darf das, anders als sein postsowjetischen Kolleg*innen aus der Ukraine, Belarus oder Kasachstan.
Eine Deutsche aus Norddeutschland ging Ende der 90er zum Studium eines sozialwissenschaftlichen Faches an eine renommierte Elite-Fakultät mit sehr hohem NC nach Berlin. Nach dem Vordiplom ging sie mit einem Stipendium zu einer privaten russischen Elite-Universität (von einem anerkannten internationalen Ranking) im betreffenden Zeitraum in Sozialwissenschaften in Russland auf Platz 1 gerankt; Platz 3 in Zentral- und Osteuropa) und absolvierte dort ein Masterstudium bei Professoren, die sonst u.a. in Harvard, Yale, Columbia, SciencePo oder Cambridge lehren. Danach kehrt sie zurück nach Deutschland und promoviert an der Uni Hamburg. Sie sammelt im Bereich ziviler Hilfsdienste in Krisengebieten in Europa und Asien Berufserfahrung. Soweit, so gut. Jetzt bewirbt sie sich für den höheren Dienst in einem deutschen Ministerium, wo sie mit der Krisenregion arbeiten soll, mit der sie sich wissenschaftlich und beruflich vor Ort beschäftigt hat und deren Sprache sie spricht. Sie wird mit Handkuss genommen.
Monate später kommt die Rückmeldung von der Prüfung ihrer Zeugnisse mit dem Resultat, dass sie entlassen werden muss, weil sie über keine qualifizierende Berufsausbildung verfügt. Ein Vordiplom ist kein Abschluss, der russische wird nicht anerkannt trotz hohem akademischen Renommee und eine Promotion ist auch keine Berufsausbildung. Sie heuert also bei NGOs an, an die das Ministerium diese Aufgaben dann outsourced. Nach einer Weile kehrt sie ins Ministerium zu ihren eigentlichen Aufgaben zurück, aber nur im gehobenen Dienst, für den kein Hochschulabschluss erforderlich ist.
Man könnte lange so weitermachen mit Beispielen.
Wir sollten Schluss damit machen, dass Abschlüssen und Doktorgraden, die von deutschen Hochschulen voll anerkannt werden, in anderen staatlichen oder gesellschaftlichen Bereichen diese Anerkennung und Gleichstellung fehlt.
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