Die sprachliche Kommunikation bei der somatischen, aber insbesondere auch bei der „sprechenden Medizin“, also der psychiatrischen und psychotherapeutischen Behandlung, ist von entscheidender Bedeutung für den Behandlungserfolg. Eine mangelnde sprachliche Kommunikation kann zu Fehldiagnosen und Behandlungsfehlern führen. Ebenso kann die Selbstbestimmung der Patient:innen nicht hinreichend gewährleistet und gegebenenfalls Risiken nicht richtig eingeschätzt werden. Der Einsatz von Laiendolmetschern kann aus diesen Gründen fachlich nicht befürwortet werden. Überdies handelt es sich bei Gesundheitsthemen um einen hochsensiblen, privaten Bereich, daher sollten Patient:innen nicht auf Sprachmittlung durch Menschen aus dem Bekanntenkreis oder der eigenen Familie angewiesen sein, sofern dies überhaupt in Frage kommen würde. Für Kinder, die oftmals zur Übersetzung hinzugezogen werden, können die fraglichen Inhalte unangemessen oder überfordernd sein.
Betroffene können nicht nur geflüchtete Menschen, sondern auch andere Gruppen wie Migrant:innen aus Drittstatten, Unionsbürger:innen und Spätaussiedler:innen sein.
Bereits jetzt ist die Finanzierung von Sprachmittlungsleistungen für bestimmte Gruppen auf unterschiedlichen Gesetzesgrundlagen möglich. Für Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG ist die Finanzierung von Sprachmittlungsleistungen grundsätzlich möglich, sofern die Ermessensvorschrift des § 6 AsylbLG dahingehend ausgelegt wird, dass Leistungen übernommen werden können, sofern eine sprachliche Verständigung und damit die medizinische-psychotherapeutische Behandlung ohne Sprachmittlung nicht möglich ist – was im Bundesgebiet jedoch nur den Ausnahmefall darstellt. Im Land Berlin wurde mit dem Rundschreiben SOZ Nr. 02/2015 diese Auslegung landesweit zum Maßstab gemacht. Allerdings zeigt sich in der Praxis, dass das Antragverfahren (Anträge müssen vor der Behandlung gestellt werden) zu zeitintensiv und bürokratisch ist und überdies auch nicht den Abrechnungsmodalitäten der medizinischen Einrichtungen entspricht, sodass das Verfahren nicht sinnvoll integriert werden kann, mit der Folge, das Bedarfe weiterhin ungedeckt bleiben. Des Weiteren ergibt sich die paradoxe Situation, dass geflüchtete Menschen, die anerkannt werden, nunmehr zwar den vollen Leistungsanspruch der gesetzlichen Krankenversicherung erhalten, aber für die nötigen Sprachmittlungsleistungen von nun an selber aufkommen müssen.
Für Leistungsberechtigte nach den Sozialgesetzbüchern II und XII bestehen nach § 27a Abs. 4 Nr. 2 respektive § 21 Abs. 6 Rechtsgrundlagen für die Kostenübernahme von Sprachmittlungsleistungen. Danach wird der individuelle Regelsatz im Einzelfall gegenüber der maßgeblichen Regelbedarfsstufe erhöht, wenn ein aus dem Regelbedarf zu deckender Bedarf für die Dauer von voraussichtlich mehr als einem Monat unausweichlich erheblich höher liegt als die der Regelbedarfsermittlung zugrundeliegenden durchschnittlichen Verbrauchsausgaben. Die Anwendung dieser Rechtsgrundlagen stellt sich in der Praxis nicht ganz unproblematisch dar, weil
- das Wissen über die Möglichkeit der grundsätzlichen Kostenübernahme weder bei den Betroffenen noch bei den zuständigen Sachbearbeiter:innen allgemein ausgeprägt ist;
- die Kosten häufig keine laufenden Kosten sind und damit kein Anspruch besteht;
- das Antragsverfahren überaus zeitintensiv ist und für medizinisch-psychotherapeutische Bedarfe daher ungeeignet ist;
- der Antrag auf Kostenübernahme von Sprachmittlungsleistungen selbst die Notwendigkeit der Inanspruchnahme von Sprachmittlungsleistungen bedingt.
Erschwerend kommt hinzu, dass es den Ländern nicht überlassen ist, aufgrund der dysfunktionalen Praxis in der Anwendung vorgenannter Rechtsgrundlagen, selbstständig, beispielsweise über zuwendungsfinanzierte Sprachmittlungsangebote, die Versorgungslücke für vorgenannte Personenkreise zu schließen, weil sich das Bundesministerium für Arbeit und Soziales bezüglich der Anwendbarkeit dieser Rechtsgrundlagen in einem Sachstandsbericht gegenüber den Ländern dahingehend deutlich positioniert hat, dass ein Bedarf für darüber hinausgehende Unterstützungsleistungen aus Sicht der Bundesregierung nicht bestehen würde.
Im Anschluss an die bereits in den Entwurf des Wahlprogramms eingegangene Positionierung, das Asylbewerberleistungsgesetz abzuschaffen (vgl. S. 99), ergibt sich, dass das SGB V den geeigneten Rahmen bieten würde, die Sicherstellung der sprachlichen Verständigung mit nicht deutschsprachigen Menschen bei medizinisch-psychotherapeutischen Behandlungen gesetzlich zu verankern, da nunmehr auch Asylsuchende unmittelbaren Zugang zur gesetzlichen Krankenversicherung hätten. Nach der bisherigen Rechtsprechung (vgl. BSG, Urt. v. 10.05.1995 – 1 RK 20/94; BSG Urt. v. 06.02.2008 – B 6 KA 40/06 R) gehöre die Gewährleistung einer Verständigung aller in der GKV Versicherten mit den Leistungserbringern nach den gesetzlichen Regelungen nicht zum Leistungsumfang, denn auch gegebenenfalls erforderliche Kosten für die Hinzuziehung von Sprachmittelnden dürften nicht von den Kassen übernommen werden, weil die Kassen solche Leistungen nur zu finanzieren hätten, wenn dies ausdrücklich gesetzlich bestimmt sei. Daraus ergibt sich der hier vom Antragssteller vorgebrachte Regelungsbedarf im SGB V.
Behandelnde – Ärzt:innen und Psychotherapeut:innen – sind im Rahmen der Diagnostik und Behandlung verpflichtet in verständlicher Weise über Behandlungsoptionen und Therapiemodalitäten zu informieren (§ 630c Absatz 1 Satz 1 BGB). Daher erscheint es sinnvoll, dass den Behandelnden die Entscheidung darüber obliegt, ob sie ihrer gesetzlichen Verpflichtung nachkommen können oder ob die Hinzuziehung von entsprechend qualifizierten Sprachmittler:innen angezeigt ist. Würde der Rechtsanspruch auf Kostenübernahme im SGB V normiert, könnten Behandelnde – wie andere notwendige medizinische Maßnahmen – die Hinzuziehung von Sprachmittler:innen verordnen; die Kostenerstattung würde über die üblichen Abrechnungsverfahren erfolgen, ohne dass ein zusätzlicher Bürokratieaufwand entstehen würde.
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