Der Fokus der Erinnerungskultur muss in den kommenden Jahrzehnten auch auf der Aufarbeitung der Verbrechen der Kolonialzeit liegen, die bis heute das Fundament der internationalen Zusammenarbeit bedingen und zu globaler Ungleichheit führen.
Der Prozess der kritischen Aufarbeitung besteht aus den folgenden drei Schritten:
(1) Die umfassende Provenienzforschung über materielles und immaterielles Kulturerbe aus kolonialen Kontexten ist von großer Bedeutung und muss pro-aktiv von deutschen Institutionen und Sammlungen betrieben werden. Die Bringschuld liegt dort, wo Sammlungsbestände aufbewahrt werden.
(2) einer vollständigen Digitalisierung und transparenten Veröffentlichung des Wissens über Objekte und ihre Biographien - beispielsweise in frei zugänglichen Online-Datenbanken, damit Menschen weltweit sie einsehen bzw. mit ihnen arbeiten können.
(3) verbindlichen gesetzlichen Regelungen für die Restitution von kulturellem Erbe, beispielsweise durch ein nationales Repatriierungsgesetz.
Nur das Wissen um die Taten, die Objekte und ihre Biographien kann bei der Aufarbeitung und Überwindung rassistischer Strukturen dazu beitragen, Geschichte(n) als verwobene, gekreuzte Prozesse - als histoire croisée - zu verstehen. Das geht letztlich nur gemeinsam mit den Gesellschaften der ehemals Kolonisierten und bedarf einer Schwerpunktlegung deutscher Kulturpolitik, die Rahmenbedingungen für Forschungs- und Kooperationsprojekte herstellt, um den zurzeit fast ausschließlich von Drittmitteln abhängigen Sammlungsstätten und Institutionen die entsprechenden Möglichkeiten dazu zu geben. Ein Bundestagswahlprogramm ohne den klaren Verweis auf institutionelle Provenienzforschung, die Digitalisierung und Verfügbarmachung der Bestände sowie klare Regeln für ihre Rückgabe nimmt diese postkoloniale Verpflichtung nicht ernst genug.
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