Die LAG Frauen* und Gender des Berliner Landesverbandes unterstützt diesen Antrag per Beschluss vom 28.04.2021.
Unser grüner Feminismus ist vielfältig. Zentral ist für uns die Stärkung von Rechten und Selbstbestimmung aller - ob cis oder trans Frau, ob mit oder ohne Hijab, ob mit deutschem oder anderem Pass. Zur Selbstbestimmung gehört auch, dass Menschen selbst entscheiden können, Sex als Dienstleistung anzubieten und für ihre Arbeit entlohnt zu werden. Wir wollen sowohl diejenigen stärken, die sich dagegen entscheiden, als auch diejenigen, die sich dafür entscheiden. Wir wollen die Rechte von Sexarbeiter*innen stärken und bestehende gesellschaftliche Stigmata bekämpfen. Diskriminierung von staatlicher Seite werden wir gezielt abbauen.
Für uns ist dabei klar: Sexarbeit und Menschenhandel/Ausbeutung sind zwei unterschiedliche Dinge, die auch unterschiedliche Antworten brauchen. Gewaltschutz ist für uns zentral.
Wie bei allen unserer Politikansätze wollen wir Erfahrungs-Expert*innen und Zielgruppen in die Formulierung von Maßnahmen und Gesetzesänderungen strukturell einbeziehen, um nachhaltig politische Lösungen zu erarbeiten. „Nothing about us, without us“, so Sexarbeitsaktivist*innen. Dieser Ansatz zieht sich durch alle unsere intersektional feministische Anliegen.
Die Realität von Sexarbeiter*innen ist divers und wir wollen Gesetze und Maßnahmen schaffen, die keine*n von ihnen marginalisiert oder stigmatisiert. Um insbesondere diejenigen im Blick zu haben, die beispielsweise auf Grund ihrer Herkunft, ihres Passes oder ihres Bildungshintergrundes bereits strukturell benachteiligt werden, verzahnen wir Maßnahmen und Gesetze im Kontext der Sexarbeit mit anderen Politik-Bereichen.
- PROSTSCHG: Das ProstSchG hat die Situation der Sexarbeitenden massiv verschlechtert. Darüber, sowie die Notwendigkeit der Rücknahme, herrscht Konsens zwischen Prostitutionsgegner*innen und der Bewegung für die Rechte von Sexarbeiter*innen, auch innerparteilich. Namhafte Organisationen (DAH; DJB, DSTIG,...) sowie die Fachberatungsstellen bemängeln die gestiegene Gewalt gegen Sexarbeiter*innen und heben den fehlenden Schutz hervor. Der Zugang zu Sexarbeiter*innen, die Unterstützung benötigen, hat sich für Sozialarbeiter*innen und Peer-Multiplikator*innen deutlich erschwert. Dies liegt an der aus dem ProstSchG folgenden massiven Verlagerung der Arbeitsplätze von Bordellen hin zu einer Kontaktaufnahme im Internet und Treffen in privaten Wohnungen bzw. Hotelzimmern.
- FREIERBESTRAFUNG: Im Rahmen eines Harm-Reduction Ansatzes zeigen die Erfahrungen von Sexarbeiter*innen in Schweden, Irland und Frankreich die verheerenden Folgen. Dazu gehören z.B. eine erhöhte Vulnerabilität für Ausbeutung und Gewalterfahrungen, massiv sinkende Einkommen sowie eingeschränkte Möglichkeiten der Verhandlung und Durchsetzung wichtiger Safer-Sex Praktiken. Entgegen der Behauptungen von Verfechter*innen der Freier*innenbestrafung sehen sich Sexarbeiter*innen in den jeweiligen Ländern weniger in der Lage, bestehende Rechte durchzusetzen und sich bei Gewalt für eine Anzeige an die Polizei zu wenden. Auch die Studien sind eindeutig: Eine Kriminalisierung erhöht das Risiko der Sexarbeiter*innen, Opfer von Gewalt und anderen Straftaten zu werden oder sich sexuell übertragbare Infektionen wie HIV zuzuziehen (Deutsches Institut für Menschenrechte (2019): Prostitution und Sexkaufverbot). Generell verschlechtert sich die menschenrechtliche Situation von Sexarbeitenden. Organisationen wie Amnesty International, WHO, UNAIDS, ILO, ILGA, Human Rights Watch, Medicins du Monde positionieren sich daher klar gegen eine Freier*innenbestrafung. Im November 2019 haben Fachverbände- und Beratungsstellen in Deutschland ein Positionspapier unter dem Titel "Sexkaufverbot verhindern" veröffentlicht. Initiiert wurde dies u.a. durch die Deutsche Aidshilfe, den Deutschen Frauenrat, den Deutschen Juristinnenbund und die Diakonie Deutschland, um über die potentiellen Folgen einer Freier*innenbestrafung aufzuklären.
- ARBEITSAUSBEUTUNG: Menschenhandel kommt in unterschiedlichen Branchen vor. Es wird meist von zwei Formen des Menschenhandels gesprochen: zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung sowie der Arbeitsausbeutung. Betroffene von Menschenhandel zum Zweck der Arbeitsausbeutung brauchen den gleichen Schutz und müssen in ihren Rechten gestärkt werden. Auf Baustellen, in der Gastronomie, in der (privaten) Pflege, in der (privaten) Kinderbetreuung, in der Landwirtschaft und in vielen weiteren Bereichen findet Arbeitsausbeutung und Menschenhandel statt. Auch diese Formen der Ausbeutung müssen wir als Grüne bekämpfen!
- PRÄVENTION: Strafverfolgung ist wichtig für diejenigen, die bereits Ausbeutung erleiden mussten. Mindestens ebenso wichtig ist eine effektive Prävention, die dazu führt, dass Menschen gar nicht erst ausgebeutet werden. Neben einer Politik, die wirtschaftliche Ungleichheit massiv abbaut, sehen wir Informationen über Arbeiter*innenrechte in verschiedenen Branchen und Kontakte zu deren Durchsetzung, sowie Informationen zur Migrationsgesetzgebung für Arbeitsmigrant*innen in ihren Herkunftsländern und ihren Muttersprachen als essentiell an. Zur Prävention von sexualisierter Gewalt und sexualisierter Arbeitsausbeutung, z.B. durch Loverboys, braucht es Aufklärung und Bildung, welche Manipulationstechniken genutzt werden und wie diese erkannt werden können. Solange es sexualisierte Gewalt gibt, müssen potentielle Betroffene frühzeitig empowert werden. Hierzu müssen die Fähigkeiten von Grenzwahrnehmung und -durchsetzung gestärkt werden. Zur Täter*innenprävention müssen vor allem Sexismus, Misogynie und Trans*feindlichkeit bekämpft werden.
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