Seit dem Abschluss der Europäischen Menschenrechtskonvention im Jahr 1950 wurden eine Reihe von Zusatzprotokollen geschlossen, die zum einen die Arbeitsweise des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte weiterentwickelten, zum anderen aber auch den Bestand geschützter Menschenrechte erweiterten. Die Zusatzprotokolle gelten indes in einem Staat nur dann, wenn der betreffende Staat das jeweilige Zusatzprotokoll auch schon ratifiziert hat.
Das siebte Zusatzprotokoll enthält eine Reihe verschiedener Rechte, insbesondere Rechte im Strafverfahren, siehe hier: https://www.coe.int/de/web/conventions/full-list/-/conventions/treaty/117. Es wurde bereits im Jahr 1984 aufgelegt und von der Bundesrepublik im folgenden Jahr unterzeichnet, jedoch niemals ratifiziert. Das zwölfte Zusatzprotokoll (https://www.coe.int/de/web/conventions/full-list/-/conventions/treaty/177) stammt aus dem Jahr 2000 und enthält ein allgemeines Verbots der Diskriminierung "insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt oder eines sonstigen Status". Deutschland hat es im Jahr 2000 unterzeichnet, jedoch ebenfalls nie ratifiziert.
Insbesondere die Ratifikation des zwölften Zusatzprotokolls ist ein dringend überfälliger Schritt! Zwar enthält die Urfassung der Europäischen Menschenrechtskonvention in Artikel 14 bereits ein Diskriminierungsverbot, dieses ist jedoch in seinem Anwendungsbereich eingeschränkt. Nach der Ratifizierung des Zusatzprotokolls könnten sich Menschen in Deutschland in allen Angelegenheiten mit einer Beschwerde an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg wenden, wenn sie sich von den Deutschen Behörden und Gerichten diskriminiert fühlen. Neben dem Bundesverfassungsgericht gäbe es damit eine zweite Überwachungs-Instanz, die rechtsverbindlich Fälle von Diskriminierung sanktionieren könnte. Angesichts der Praxis des Bundesverfassungsgerichts, die meisten Verfassungsbeschwerden überhaupt nicht zur Entscheidung anzunehmen, kann dies auch praktisch einen Unterschied machen.
Die Position der Bundesregierung, weiter abzuwarten, wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Zusatzprotokolle genau interpretieren wird (https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/104/1910411.pdf) ist nicht mehr haltbar! Wir können nicht ewig warten, gegen Diskriminierung vorzugehen. Der EGMR legt eine maßvolle Rechtsprechung an den Tag, die Raum für nationale Besonderheiten lässt. Grundstürzende Urteile, die die deutschen Rechtsordnung in Frage stellen, sind nicht zu erwarten. Wovor hat die Bundesregierung Angst?
Schließlich sollte das zwölfte Zusatzprotokoll auch aus dem Grund schleunigst ratifiziert werden, dass die deutsche Nicht-Ratifikation von anderen Staaten wie Ungarn als argumentativer Vorwand genutzt wird, ebenfalls nicht zu ratifizieren. Wir dürfen Orbán in dieser Sache nicht weiter Deckung gewähren!
Kommentare