Veranstaltung: | 47. Bundesdelegiertenkonferenz |
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Tagesordnungspunkt: | WP Wahl Parteirat |
Antragsteller*in: | Cansin Köktürk (KV Bochum) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 29.01.2022, 12:34 |
W-PR-17: Bewerbung: Cansin Köktürk
Bewerbungstext
Liebe Freundinnen und Freunde,
mein Name ist Cansin Köktürk, ich bin 28 Jahre alt und all das, was ich euch erzähle, erzähle ich euch als junge Frau mit Migrationshintergrund und als Sozialarbeiterin.
Menschen leben unter dem Existenzminimum, Kinder haben ungleiche Bildungschancen, und Menschenrechtsverletzungen werden hingenommen.
Wir haben in der Politik das Einfachste verlernt: Mensch zu sein. Wir leben nicht mehr in vereinzelten Krisen, sondern in einer gesamten Krisenzeit.
Klimakrise, Flüchtlingskrise und vor allem in einer Solidaritätskrise. Wir können in einer Welt leben, in der wir uns solidarisch verhalten und der Humanismus unser höchstes Ziel ist. Auch in der Politik. Und nein, das ist keine Utopie, das ist möglich, wenn wir hingucken. Wenn wir unsere Versprechen halten, nicht flexibel sind in unseren Werten und für eine bessere, sozial gerechtere Welt alles Mögliche tun. Wenn wir argumentieren mit der Realität. Denn, die besten Geschichten schreibt das echte Leben.
Ich schätze und erkenne jede Arbeit aller Spitzenpolitiker*innen an, denn es ist ein harter Job und es ist hart Entscheidungen zu treffen und Kompromisse zu schließen. Aber wir müssen überzeugender werden, indem wir Menschen mit Professionswissen in die Politik einbringen. Wir müssen Argumente liefern und die gibt es genug, wenn wir durch die Straßen laufen. Und damit meine ich nicht die wohlhabenden Straßen, sondern die, die viele Menschen bewusst umgehen. Weil wir es nicht wahrhaben wollen, dass auch wir in Deutschland Armut erleben und Chancengleichheit eine Utopie ist. Kinder, die in Armut leben und niemals ohne unsere Hilfe aus diesem Kreislauf herauskommen. Die Kausalkette, warum ein Mensch sozial schwächer ist als ein anderer ist so ressourcenabhängig und hat nichts mit Eigenverantwortung zu tun. Die Umstände, sind die Säulen, die ein Leben formen. Und diese sind in dieser absolut gespaltenen Gesellschaft vorbestimmt.
Ich halte nichts von der Idee, dass wir Spitzenpolitiker*innen sein müssen, um unsere Stimmen zu erheben. Es ist falsch, dass wir nicht neue Perspektiven reinholen, dass wir immer geschlossen unter den bereits bekannten Gesichtern bleiben. Wo bleibt die Zeit als Spitzenpolitker*in durch die Straßen zu gehen und arme Familien zu besuchen? Die Soziale Arbeit gehört und das sage ich nochmal mit voller Dringlichkeit, in die Politik. Da, wo die Politik scheitert, da stehen Sozialarbeiterinnen, die diese Menschen auffangen.
Ich sehe, dass der Hartz Regelsatz vorne und hinten nicht reicht und ich sehe, wie wenig ein Kind in Armut am sozialen Leben teilhaben kann. Ich sehe die Menschen, die in Bürokratie untergehen und ich sehe die Menschen, die auf der Straße leben. Ich kenne das Jobcenter, dass Menschen bestraft, ich kenne die Menschen, die tagelang nichts zu essen haben und ich kenne die Menschen, die vor Armut krank geworden sind. Und all das, muss endlich gehört werden. Aus der heutigen Perspektive, aus der jetzigen Bestandsaufnahme und aus den Augen einer Sozialarbeiterin, die es aber allein nicht schafft, so vielen Menschen zu helfen.
Wir brauchen eine neue Perspektive auf Armut, auf mentale Gesundheit, auf Depressionen, die in diesem Land so stark sind, auf soziale Ungerechtigkeit, auf Obdachlosigkeit, auf präventive Arbeit statt Krisenmanagement und auf ungleiche Bildungschancen. Dafür muss ich nicht 10 Jahre im Bundestag oder im Landtag gesessen haben. Dafür musste ich hinsehen und zuhören.
Ich habe mit obdachlosen, suchterkrankten, psychisch kranken Menschen zusammengearbeitet, die mir in die Augen geguckt haben und mich gebeten haben, ihnen zu helfen. Mit Menschen mit Fluchterfahrungen, die traumatisiert hier angekommen sind, weil sie ihre Familien im Mittelmeer zurückgelassen haben. Mit Menschen, die krank geworden sind, weil sie dieses System nicht mehr ertragen haben. Und deswegen stehe ich wieder hier, und werde nicht aufhören bis zum Ende darüber zu sprechen, dass Deutschland es sich nicht leisten, nichts gegen soziale Ungerechtigkeit zu tun.
Am ersten Tag der BDK 2022 ist oft der Satz gefallen, dass Politik kein Selbstzweck ist. Aber so, wie sie gerade ist, ist sie auch nicht selbstlos. Selbstlos wäre sie, wenn wir endlich die Menschen in den Vordergrund holen, die unsere Hilfe brauchen.
Neue Perspektiven entstehen, wenn wir uns auf Neues einlassen, auf ein neues Bewusstsein und kreative Ideen, und neuer Antrieb entsteht, wenn wir neue Köpfe zulassen. Aufbruch hieß es am Anfang und dieser Aufbruch gilt auch für das Wissen, das im Parteirat vertreten sein sollte.
Danke für euer Vertrauen.
In Liebe,
Cansin Köktürk
Kontakt: contact.koektuerk@gmail.com
Insta @cansinkoektuerk
Twitter: @cansinkoek