Veranstaltung: | 48. Bundesdelegiertenkonferenz |
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Tagesordnungspunkt: | K Klimakrise als Menschheitsaufgabe: für Klimaschutz, für Freiheit |
Antragsteller*in: | BAG Mobilität & Verkehr (dort beschlossen am: 30.08.2022) |
Status: | Eingereicht |
Verfahrensvorschlag: | Erledigt durch: K-06-270 (mÜ K-05) |
Eingereicht: | 30.08.2022, 22:05 |
K-05: Der Klimawandel wartet nicht – Die Verkehrswende umgehend einleiten!
Antragstext
Bündnis 90/Die Grünen setzen sich entschieden für einen Aufbruch in der Mobilitätspolitik
ein, um eine „nachhaltige, effiziente, barrierefreie, intelligente, innovative und für alle
bezahlbare Mobilität“ zu ermöglichen, so wie dies im Koalitionsvertrag zwischen den Ampel-
Parteien vereinbart wurde. Um noch auf den 1,5 Grad-Pfad von Paris umzuschwenken, brauchen
wir die Verkehrswende nötiger und schneller denn je.
Klimaschutz: Situation im Verkehrsbereich
Der Verkehrssektor hinkt beim Klimaschutz und den Schadstoffemissionszielen seit Jahren
massiv hinterher. Jüngste Entwicklungen weisen sogar einen entgegengesetzten Trend mit
steigenden Emissionen auf (vgl.
https://www.umweltbundesamt.de/presse/pressemitteilungen/treibhausgasemissionen-stiegen-
2021-um-45-prozent). Die im Klimaschutzgesetz verbindlich vorgeschriebenen Klimaziele werden
nach der jüngst vorgelegten Analyse des unabhängigen Expertenrats für Klimafragen im Sektor
Verkehr bis 2030 um kumuliert 261 Millionen Tonnen CO2-Emissionen überschritten werden. Das
ist fast das Doppelte des gesamten jährlichen CO2-Ausstoßes der 20 klimaschädlichsten
deutschen Kohlekraftwerke.
Es muss endlich ein wirksames und ausreichendes Klimaschutz-Sofortprogramm mit allen
notwendigen Gesetzen, Verordnungen und Maßnahmen auf den Weg gebracht werden. Es ist eine
massive Klatsche für das Bundesverkehrsministerium, dass der Expertenrat das vorgelegte
Papier wegen Untauglichkeit noch nicht einmal zur Prüfung angenommen hat.
Manövern, die Sektorziele aufzuweichen und die Verantwortung für zu hohe
Schadstoffemissionen zu verwischen, erteilen wir eine Absage. Im Gegenteil, alle Sektoren
müssen auch in Zukunft ihre Klimaziele einhalten, dies muss eine rote Linie für Bündnis
90/Die Grünen sein. Dem Bundesverkehrsministerium wird derweil in Sachen Klimaschutz
inzwischen Arbeitsverweigerung vorgeworfen. Das fällt auf die Bundesregierung insgesamt
zurück und muss umgehend abgestellt werden. Der Koalitionsvertrag gibt immerhin einige klare
Schritte vor.
Antriebswende als ein wesentlicher, aber nicht alleinig ausreichender Baustein
Mit der Umsetzung der Antriebswende und dem dabei vereinbarten Ziel von 15 Millionen
vollelektrischen PKWs im Jahr 2030 kann die Klimaschutzlücke im Verkehrssektor ungefähr zur
Hälfte geschlossen werden. Ohne weitere Maßnahmen wird der Verkehrssektor jedoch bis 2030
mit dieser Antriebswende 135 Millionen Tonnen CO2 zu viel emittieren. Neben einer
Antriebswende bei PKWs und LKWs brauchen wir eine deutliche Verlagerung von Verkehrsströmen.
Nicht der private PKW, sondern Busse und Bahnen sowie breite Rad- und Fußwege sollen das
öffentliche Bild prägen. Ein verändertes Mobilitätsverhalten in der Bevölkerung gewinnen wir
nur mit einem besseren Angebot an Bus und Bahn sowie einer ausreichenden Infrastruktur an
(Schnell-)Radwegen inner- wie außerorts und breiten Fußwegen, die sich in einem sicheren und
gepflegten Zustand befinden.
Nachfolge für das 9€-Ticket und ÖPNV-Ausbau als Game-Changer
Wir müssen die Chance nutzen, die uns der Erfolg des Neun-Euro-Tickets bietet. Als soziale
Entlastungsmaßnahme ist es an den Start gegangen. Klug weiterentwickelt hat es jetzt die
Chance, gemeinsam mit dem ÖPNV-Ausbau zu einem Game-Changer für die Verkehrswende zu werden
und somit einen wesentlichen Beitrag zu mehr Klimaschutz zu leisten. Erste Studien zeigen,
dass Im Aktionszeitraum durch Verlagerungseffekte vom Auto auf die Öffentlichen rund 1,8
Millionen Tonnen CO2 eingespart worden sein könnten. Das Ticket erfreut sich in der
Bevölkerung größter Beliebtheit – weil es günstig und vor allem auch einfach ist. Allein in
den ersten zwei Aktionsmonaten wurde es mehr als 40 Millionen mal verkauft. Diese
Erfolgsstory muss weiterentwickelt und fortgeführt werden. Der grüne Vorschlag eines Zwei-
Stufen-Modells mit einem 29-Euro-Ticket für Fahrten in der Region und 49 Euro für Fahrten
bundesweit soll in der Koalition, und dort auch im Rahmen eines Koalitionsausschusses,
verhandelt werden.
Klimaschädliche Subventionen abbauen, freiwerdende finanzielle Spielräume nutzen
Um die Verkehrswende insgesamt zu verwirklichen, müssen wir die zur Verfügung stehenden
Finanzmittel umschichten und priorisieren. Klimaschädliche Subventionen müssen abgebaut
werden. Der Koalitionsvertrag will „zusätzliche Haushaltspielräume dadurch gewinnen, [...]
im Haushalt überflüssige, unwirksame und umwelt- und klimaschädliche Subventionen und
Ausgaben“ im Straßenverkehr abbauen. Das Dienstwagenprivileg soll beispielsweise so umgebaut
werden, dass nur noch Autos mit klimafreundlichen Motoren davon profitieren.
Wir pochen auf die Vereinbarung, „die daraus erzielten Umschichtungspotenziale und
finanziellen Spielräume prioritär für die Projekte des Koalitionsvertrages einzusetzen“,
insbesondere „für Innovationen und Maßnahmen, um Deutschland auf den 1,5-Grad-Pfad zu
bringen“. Dies gilt gerade für den Verkehrssektor.
Die aus dem Abbau der klimaschädlichen Subventionen frei werdenden Finanzmittel können unter
anderem helfen, Bus und Bahn zu stärken, und so etwa eine Nachfolgelösung des Neun-Euro-
Tickets zu finanzieren. Die sogenannten Regionalisierungsmittel müssen im Bundeshaushalt,
wie im Koalitionsvertrag vorgesehen, erhöht werden. Denn auf Dauer nutzen die Menschen Bus
und Bahn nur dann vermehrt, wenn diese nicht ständig überfüllt sind und regelmäßig auch in
weniger dicht besiedelten Regionen fahren.
Klimaschutz zur Grundlage von Infrastrukturpolitik machen
Straßenneubau produziert Schadstoffemissionen in erheblichen Umfang. Die klimaschädlichen
Wirkungen der Aus- und Neubaupläne von 850 km Autobahnen, der Verbreiterung von 3400 km
Autobahnen und des Aus- und Neubaus von 3500 km Bundesstraßen müssen endlich benannt und vom
Bundesverkehrsministerium berücksichtigt werden. Diese entstehen nicht nur durch mehr
induzierten Verkehr („Wer Autobahnen sät, wird Verkehr ernten"), sondern auch bereits beim
Bau durch die Trockenlegung von Mooren, wobei besonders viel der Treibhausgase CO2 und
Methan emittiert werden, durch die sogenannte "Graue Energie", die in den Baustoffen
gebunden ist, und durch den Baustellenverkehr. Hinzuzurechnen ist auch der zukünftige
Ausfall der zerstörten Moore, Wälder und Grünflächen als CO2-Senken.
Das Bundesverkehrsministerium ist in der Pflicht, die Bedarfsplanüberprüfung nach dem
Bundesfernstraßengesetz endlich umzusetzen. Es muss eine Ausgabenprüfung und
Neupriorisierung unter den zugrunde liegenden umwelt-, klima- und haushaltspolitischen
Anforderungen erfolgen. Der erhebliche Sanierungsbedarf muss ebenso betrachtet werden. Die
bei der Bedarfsplanüberprüfung angewendeten Kriterien und Verfahren, insbesondere die
Nutzen-Kosten-Analyse müssen entsprechend angepasst werden.
Es gilt alle Maßnahmen, die von einer Neupriorisierung betroffen sein können, bis zum
Abschluss dieser Prüfung nicht weiter voranzutreiben. Alles andere wäre wider dem Sinn des
Koalitionsvertrages. Zugleich ist vom Bundesverkehrsministerium endlich der Dialogprozess
zur Erreichung des „neuen Infrastrukturkonsens bei den Bundesverkehrswegen“ einzuleiten, der
immerhin „parallel zur laufenden Bedarfsplanüberprüfung“ mit dem Ziel „einer Verständigung
über die Prioritäten bei der Umsetzung des geltenden Bundesverkehrswegeplan“ erfolgen soll.
Der Erhalt und Ausbau der Schieneninfrastruktur muss oberste Priorität eingeräumt werden,
auch das steht im Koalitionsvertrag. Die weiteren Mittel müssen vor allem in die Sanierung
der Infrastruktur fließen (Koalitionsvertrag: „stärkeren Fokus auf Erhalt und Sanierung […]
mit besonderem Schwerpunkt auf Ingenieurbauwerke“, also Brücken), denn kilometerlange
Umleitungen produzieren ebenfalls erhebliche Mengen an Treibhausgasen. Dass dies nötig ist,
zeigen selbst die Analysen der Autobahn GmbH
(https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/deutschland-bruecken-sind-noch-maroder-als-
befuerchtet-a-4ae84c75-afaf-444d-ac0a-dd3016638def), wonach nun doppelt so viele
Autobahnbrücken saniert, meistens abgerissen und neu gebaut werden müssen.
Bundesregierung muss Umsetzung von Verkehrswende und Klimaschutz absichern und vorantreiben:
Klimakabinett und Klimacheck
Das Bundesverkehrsministerium hat die Verantwortung für die Umsetzung des
Koalitionsvertrages, werden diese Schritte nicht erledigt, müssen in der Bundesregierung
Maßnahmen für die Umsetzung getroffen werden, mittels eines Kabinettsausschusses unter
Führung und Weisung des Klimaschutzministeriums sowie dem im Koalitionsvertrag vereinbarten
und nun immer notwendiger erscheinenden Instrument des Klimachecks - angesichts der
katastrophalen verkehrlichen Klimaschutzbilanz auch für den Verkehrsbereich. Denn die
Verkehrswende bedarf keinen längeren Aufschubs, die aktuellen extremen Wetterlagen sind
Warnung genug!
Begründung
[Antrag erarbeitet in Kooperation mit der AG Mobilität der Bundestagsfraktion]
Kommentare
Philipp Schmagold:
Ihr drückt euch im Antrag um das Tempolimit, die vermutlich schnellste Klimaschutzmaßnahme. Deshalb hier der Hinweis auf unseren Antrag, der genau dies mit viel Druckpotenzial fordert: https://antraege.gruene.de/48bdk/grune-fur-weniger-tempo-auf-den-autobahnen-und-fur-die-einsparung-foss-25953
Das Klima braucht uns Menschen nicht, im Gegenteil! 🌍
Pascal Bittes:
Philipp Schmagold:
bitte nicht Maßnahmen klein reden, die so einfach machbar wären. Wenn wir immer nur sagen, dass irgendetwas noch mehr bringen würde, dann bleibt zu viel Machbares liegen und das Große wird am Ende doch nicht gemacht.
Konkret: Bei einem Tempolimit von 120 km/h könnten laut Umweltbundesamt 2,6 Millionen Tonnen CO2 äquivalent pro Jahr eingespart werden, bei Tempo 100 km/h mit 5,4 Millionen Tonnen sogar mehr als das Doppelte: https://www.umweltbundesamt.de/presse/pressemitteilungen/tempolimit-auf-autobahnen-mindert-co2-emissionen
Auch auf anderen Straßen macht eine Reduzierung des Tempos Sinn, um Treibstoffverbrauch und Unfallrisiken zu reduzieren. Die auf Autobahnen gefahrenen Geschwindigkeiten und Strecken machen aber zunächst dort eine Änderung der Geschwindigkeitsregelung notwendig.
Christian Göritz-Vorhof:
ihr habt beide Recht - Tempolimit kostet nichts, wäre sofort mit CO2-Reduktion verbunden, reicht aber bei weitem nicht.
Auch fehlt im obigen Antrag ein ganz wesentlicher Aspekt: die Vermeidung von CO2-Emissionen durch Reduzierung des Fahrzeugbestandes. Soll heißen, statt jeden Verbrenner mit einem E-Fzg zu ersetzen deren Herstellung bereits enorme Emissionen verursacht, müssen wir hin zum Car-Sharing (z.B. 10 Verbrenner durch nur 2 E-Fzg ersetzen). Statt 15 Millionen ! vollelektrische Fahrzeuge neu herzustellen sollte diese Zahl soweit wie möglich reduziert werden.