Veranstaltung: | 48. Bundesdelegiertenkonferenz |
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Tagesordnungspunkt: | K Klimakrise als Menschheitsaufgabe: für Klimaschutz, für Freiheit |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Bundesdelegiertenkonferenz |
Beschlossen am: | 16.10.2022 |
Eingereicht: | 16.10.2022, 15:24 |
Antragshistorie: | Version 1 |
Klimakrise als Menschheitsaufgabe: für Klimaschutz, für Freiheit
Beschlusstext
Die Klimakrise ist jetzt. Der Sommer hat uns erneut vor Augen geführt: Wetterextreme häufen
sich und werden immer gefährlicher. Die Hitzewellen des Jahres 2022 hatten Regionen auf
allen Kontinenten wochenlang im Griff, auch hier in Deutschland hatten wir mit
Temperaturrekorden zu kämpfen. Symptomatisch erlebten wir beispielsweise in Brandenburg,
Sachsen und am Brocken in Sachsen-Anhalt gefährliche Wald- und Flächenbrände; es waren
Evakuierungen und Löscharbeiten notwendig, die unsere Rettungskräfte an ihre Grenzen
brachten. In weiten Teilen Europas wurden Flüsse zu Rinnsalen. Auch in Spanien und Italien
loderten verheerende Waldbrände in ungekanntem Ausmaß, während Länder wie Pakistan von
schier unbändigen Überschwemmungen heimgesucht wurden.
Die Flut im Ahrtal ist derweil erst ein Jahr her – eine Katastrophe, deren Zerstörungen wir
bis heute bewältigen müssen. Menschen trauern um ihre Angehörigen, noch immer sind viele
ohne neue dauerhafte Unterkunft und haben Angst vor neuen Starkregenereignissen.
Der Weltklimarat IPCC hat berechnet, dass Extremtemperaturen, die sich ohne die
menschengemachte Klimaerhitzung einmal pro Jahrzehnt entwickeln würden, heute fast dreimal
so oft passieren, länger andauern und mit bis zu 1,2 Grad deutlich heißer sind. Die Folge:
Gefahr für Leben und Gesundheit der Menschen und eine zunehmende Zahl von Hitzeopfern. So
war der Juni 2022 weltweit der drittheißeste Monat seit Beginn der Aufzeichnungen, in Europa
sogar der zweitheißeste. Bundesweit sehen sich immer mehr Kommunen gezwungen, den
Klimanotstand auszurufen, den auch das Europäische Parlament bereits ausgerufen hat. Auch
die Weltmeere erhitzen sich in einem dramatischen Tempo. Wissenschaftler*innen gehen davon
aus, dass erste Kipppunkte wie das Abschmelzen der Gletscher auf Grönland oder der
Westantarktis wahrscheinlich bereits bei einer Erderwärmung um die 1,5 Grad nicht mehr
aufgehalten werden können. Mit jedem Zehntelgrad Erwärmung werden die Folgen immer
katastrophaler. Es gilt daher, um jedes Zehntelgrad zu kämpfen.
Die drohende Heißzeit und der drastische Verlust biologischer Vielfalt stellen nicht weniger
als unsere Lebensgrundlagen in Frage und sind damit die größten Gefahren für unsere Zukunft.
Hitze und Dürre haben einschneidende Folgen für Mensch und Natur, für die Umwelt, für
Infrastruktur und Wirtschaft. Die mit der Überhitzung und mit dem gravierenden Arten-
Aussterben verbundenen multiplen Krisen verstärken sich gegenseitig, schränken unsere
Handlungsfähigkeit – und damit unsere Freiheit ein. Das zunehmend unwirtliche Klima und der
Verlust gesunder Natur bedrohen das Leben und die Heimat von Millionen von Menschen schon
heute. Das gilt umso mehr für die kommenden Generationen.
Mit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vor anderthalb Jahren wurde erneut klar: Die
Klima-Frage ist eine Frage der Erhaltung unserer Freiheit. Ein Leben in Frieden, Freiheit
und Sicherheit ist in Deutschland und weltweit nur durch konsequenten Klimaschutz möglich.
Und: Die Menschen in den Ländern, die am wenigsten dazu beigetragen haben, leiden am meisten
unter den Folgen der Klimakrise. Klimaschutz ist deshalb immer auch ein Beitrag zu mehr
globaler Gerechtigkeit.
Die Weltgemeinschaft hat sich mit der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung zur Rettung
unserer Lebengrundlagen bekannt und sich im Pariser Klimaabkommen ganz konkret darauf
festgelegt, die Erderhitzung auf deutlich unter 2 Grad, möglichst 1,5 Grad zu begrenzen.
Dafür ist es notwendig, die Klimaneutralität deutlich vor Mitte des Jahrhunderts zu
erreichen. Die Bundesregierung hat sich das Ziel gesetzt, Deutschland auf den 1,5-Grad-Pfad
zu bringen. Wir Grüne stehen dafür, die notwendigen Schritte in allen Sektoren und auf allen
politischen Ebenen zu gehen, damit das gelingt. Dafür wurden wir in die Verantwortung
gewählt. Dieser Aufgabe fühlen wir uns verpflichtet. Das ist der Grund, warum wir Politik
machen. Es ist die Aufgabe unserer Zeit.
Die Klimakrise ist eine Menschheitsaufgabe: Bündnis 90/Die Grünen stehen für einen sozial-,
geschlechter- und global gerechten Klimaschutz, der uns und kommenden Generationen die
Freiheit erhält.
Das Ziel fest im Blick
Die Ausgangslage könnte kaum herausfordernder sein. Der Ausstoß von Treibhausgasen wurde in
der Vergangenheit nur unzureichend gemindert. Wichtige klimapolitische Ziele, die wir uns in
Deutschland und weltweit gesetzt haben, werden absehbar verfehlt werden. In den letzten
Jahren ist zu viel versäumt und bewusst behindert worden. Es wurden viel zu wenige und meist
wirkungsschwache Anstrengungen unternommen, die erneuerbaren Energien auszubauen, uns von
fossilen Energieträgern unabhängiger zu machen, nachhaltigen Wohlstand zu schaffen und
konsequente Maßnahmen zum Schutz des Klimas umzusetzen. Sonst wären wir jetzt besser
vorbereitet auf die aktuellen Krisen. Umso größer und dringender ist der Handlungsbedarf in
den kommenden Jahren.
Gleichzeitig zwingt uns der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine –
mit all seinen Folgen für die Versorgungssicherheit – neue Wege zu gehen. Zum festgesetzten
Ziel, Deutschland klimaneutral zu machen, kommt nun hinzu, die Abhängigkeiten von russischen
Energiequellen schnellstmöglich zu beenden und gleichzeitig die Versorgungssicherheit für
Verbraucher*innen und Wirtschaft, Industrie und öffentliche Einrichtungen zu gewährleisten.
Dafür drosseln wir schon heute den Gasverbrauch, diversifizieren unseren Energieimport und
bauen schwimmende LNG-Anlandepunkte, für die wir jedoch keine Langzeitverträge ohne 1,5-
Grad-Perspektive abchließen. Feste reine LNG-Terminals brauchen wir nicht. Wir streben daher
für alle Standorte an, dass von Beginn an auch Wasserstoffederivate, wie z.B. grüner
Ammoniak, genutzt werden können. So vermeiden wir einen teuren fossilen Lock-In. Grüner
Wasserstoff ist extrem energiewaufwendig und wird immer ein kostbares Gut bleiben. Die
Verwendung von grünem Wasserstoff muss daher auf die Bereiche konzentriert werden, in denen
es noch keine guten Alternativen dazu gibt, wie etwa in der Industrie. Für den Notfall
bleiben zudem Kohlekraftwerke etwas länger in der Reserve. Vor allem aber vervielfachen wir
das Tempo beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Unser Ziel ist, 100 Prozent erneuerbare
Energien bis 2035 zu erreichen. Um die Energieversorgung in Deutschland komplett darauf
umzustellen, intensivieren wir die Effizienzmaßnahmen und reduzieren unseren Verbrauch durch
Energieeinsparungen. So ermöglichen wir das nötige, noch schnellere Ende von russischen
Gasimporten und fossilen Energieimporten insgesamt. Öl-, Kohle-, Erdgas- und Urangewinnung
beruhen weltweit auf Ausbeutung und Vertreibung. Aus dieser fatalen Logik wollen wir so
schnell wie möglich aussteigen. Unkonventionelles Fracking gefährdet die Umwelt. Außerdem
würde es Jahre dauern solche Vorkommen in Deutschland zu erschließen, es würde also in der
aktuellen Situation und auf absehbare Zeit gar nicht weiterhelfen. Es bleibt in Deutschland
verboten.
Gerade weil wir jetzt schwierige Schritte gehen müssen, ist es so wichtig, dass wir
schneller werden beim Ausbau der Erneuerbaren. Das Tempo der Emissionsminderungen muss sich
gegenüber dem Status quo in den kommenden Jahren insgesamt mehr als verdoppeln und dann bis
2030 nahezu verdreifachen, damit wir die Ziele im Bundesklimaschutzgesetz erreichen.
Durch eine fehlgeleitete Energiepolitik im vergangenen Jahrzehnt ist die sichere
Energieversorgung in Deutschland gegenwärtig eine der größten Herausforderungen. Eine
zentrale Ursache liegt in der fundamentalen Abhängigkeit von Russlands fossilen
Energieträgern, für welche die vorangegangenen Regierungen die Verantwortung tragen. Die
energiepolitische Abhängigkeit von Russland schwächt Deutschland und Europa, mindert unsere
Freiheit, unsere Unabhängigkeit und senkt unsere Fähigkeit, nachhaltig, also im Einklang mit
den planetaren Grenzen und der Freiheit zukünftiger Generationen zu wirtschaften. Die
konsequente politische Schlussfolgerung daraus ist der beschleunigte Ausstieg aus der Kohle
bereits im Jahr 2030 und eine Stromversorgung, die 2035 auf 100 Prozent Erneuerbaren
basiert. Die heutige Situation zeigt uns, dass wie beim Kohleausstieg auch ein endgültiger
Abschied von fossilem Erdgas im Einklang mit unseren Klimazielen notwendig ist. Das ist
nicht nur von zentraler Bedeutung für das Klima und die Frage der Energieunabhängigkeit,
sondern auch, um den Anstieg der Energiekosten zu bremsen.
Mit der kürzlich geschlossenen Vereinbarung wird für das Rheinische Braunkohlerevier der
Kohleausstieg von 2038 auf 2030 vorgezogen - rechtssicher und entschädigungsfrei. Das ist
ein wichtiger Schritt, um unsere Klimaziele zu erreichen. Damit schreiben die grün-geführten
Wirtschaftsministerien in Land und Bund das Schlusskapitel von 150 Jahren Braunkohlebergbau
im Rheinland. Zusätzlich zu den bereits erfolgten Tagebauverkleinerungen bleiben so weitere
Millionen Tonnen Kohle unter der Erde. Der Hambacher Wald wird in einem Biotopverbund
gesichert.
Diese Vereinbarung zu erreichen war ein Kraftakt, der auch durch die langjährige Arbeit der
Menschen und Bewegungen vor Ort ermöglicht wurde.
Den vielen vor dem Abbau geretteten Dörfern und Höfen – Keyenberg, Kuckum, Oberwestrich,
Unterwestrich und Berverath sowie die Holzweiler Höfe Eggeratherhof, Roitzerhof und Weyerhof
– wird eine neue selbstbestimmte Perspektive eröffnet. Dort werden nun keine Umsiedlungen
mehr gegen den Willen der Betroffenen vollzogen. Bitter ist, dass der Ausbau der
Erneuerbaren nicht vorangetrieben und der Kohleausstieg 2030 im Rheinischen Revier nicht
bereits in der letzten Legislatur geklärt wurde, um so noch rechtzeitig die Voraussetzungen
dafür zu schaffen, dass auch Lützerath erhalten bleiben kann.
Wir wollen weitere Einsparmöglichkeiten ausschöpfen und den Ausbau der Erneuerbaren Energien
noch schneller vorantreiben, um so die Nutzung von Kohlekraftwerken überflüssig zu machen.
Wir setzen uns dafür ein, dass die Braunkohle wo immer möglich im Boden bleibt. Im
Ausstiegsfahrplan muss daher bei den Überprüfungszeitpunkten eine weitere Beschleunigung des
Kohleausstiegs geprüft werden. Wir suchen weiterhin das Gespräch mit der
Klimagerechtigkeitsbewegung, um den Klimaschutz voranzubringen. Es wird jetzt gerade auch
darauf ankommen, den Kohleausstieg auch im ostdeutschen Revier auf 2030 vorzuziehen.
Mit Plan und Pragmatismus zum Ziel
Wir konnten in den ersten Monaten der Ampel-Regierung schon vieles auf den Weg bringen. Wir
haben im Bund und in Europa zahlreiche Blockaden gelöst und Deutschland zum Motor in Sachen
erneuerbarer Energieerzeugung gemacht. Das beschlossene Gesetzespaket zur Novelle des
Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) und des Bundesnaturschutzgesetzes, das Wind-auf-See-
Gesetz und das Wind-an-Land-Gesetz werden den Ausbau der erneuerbaren Energien unter Wahrung
hoher ökologischer Schutzstandards endlich wieder deutlich beschleunigen. Begleitend werden
wir mit nationalen Artenhilfsprogrammen alles Notwendige tun, um betroffene Bestände in
einen guten Erhaltungszustand zu bringen.
Die Bedingungen für den Bau neuer Windkraftanlagen, für mehr Solar auf den Dächern und für
mehr Bürger*innenenergieprojekte wurden massiv verbessert. Zwei Prozent der Landesfläche
sollen künftig für Windenergie genutzt werden und Ökostrom-Anlagen bekommen gegenüber
anderen Nutzungsformen eine deutlich höhere Priorität. Dazu wurde im EEG festgeschrieben,
dass Erneuerbare von überragendem öffentlichem Interesse und auch im Interesse der
öffentlichen Sicherheit sind. Damit werden Genehmigungsverfahren deutlich beschleunigt.
Jetzt gilt es, diese neuen Möglichkeiten konsequent vor Ort und in den Ländern umzusetzen.
Auf europäischer Ebene haben wir die Weichen für mehr Klimaschutz im Verkehr gestellt. Wir
haben uns erfolgreich dafür eingesetzt, dass für neu zugelassene Pkw der fossile
Verbrennungsmotor ab dem Jahr 2035 der Vergangenheit angehört. Denn insbesondere im Verkehr
gibt es aufgrund von jahrzehntelangem Stillstand enormen Nachholbedarf.
Deutschland soll bereits 2030 80 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien erzeugen – und
im gleichen Maße unabhängig von fossilen Importen werden. Gleichzeitig schließen wir endlich
die Lücke zwischen Notwendigkeit und Realität: Wären wir bereits heute so weit, wie es
klimapolitisch notwendig wäre, wären wir bedeutend weniger abhängig von Putins Öl und Gas.
Wir Grüne gehen diesen gesetzten Auftrag mit Mut, Kooperationswillen und
Verantwortungsbewusstsein an. Als Teil der Bundesregierung und als Partei, die dem
Gemeinwohl verpflichtet ist – und Verantwortung für die ganze Gesellschaft übernimmt. Wir
müssen die Klimaziele erreichen, um die Freiheit und Würde der Menschen zu bewahren.
Wir haben im Koalitionsvertrag erreicht, dass die Bundesregierung noch in diesem Jahr ein
Klimaschutz-Sofortprogramm auf den Weg bringt, das alle für das Erreichen der Klimaziele
2030 notwendigen Gesetze, Verordnungen und Maßnahmen umfasst. Gerade angesichts der sich
immer weiter verschärfenden Klimakrise muss die Bundesregierung dieses Programm nun
unverzüglich vorlegen; alle Bundesministerien und Koalitionspartner sind aufgefordert,
konstruktiv und ohne Scheuklappen die notwendigen Maßnahmen auf den Weg zu bringen.
Zudem sollten, wie im Koalitionsvertrag verabredet, die einzelnen Sektoren ihrer
Verantwortung gerecht werden. Denn mit diesen Maßnahmen setzen wir das klare Signal, dass
wir die Klimaziele in allen Sektoren erreichen müssen. Paris-konforme Klimaneutralität lässt
sich nur erreichen, wenn die Emissionen in allen Sektoren schnell beendet werden.
Gerade wegen des Krieges gegen die Ukraine und der immer stärker wahrnehmbaren Folgen der
Klimakrise mögen manche zweifeln, ob all das zu erreichen ist. Schon wieder sagen manche,
dass es jetzt Wichtigeres gebe. Aber genau diese Haltung hat uns an den Punkt gebracht, an
dem wir jetzt stehen. Die Klimakrise wartet nicht. Ob sie zur Klimakatastrophe wird oder
nicht, entscheiden wir, hier und heute. Wir entscheiden es unter schwierigen Bedingungen,
aber mit aller Entschlossenheit. Es ist nicht unsere Aufgabe, den Kopf in den Sand zu
stecken. Vielmehr ist es unsere Verantwortung, unsere Pflicht, zielgerichtet, pragmatisch
und ohne Tabus, beherzt und konsequent das zu tun, was nötig ist, um uns alle vor der
Klimakatastrophe zu bewahren. Dafür arbeiten wir.
Doch das schaffen wir nicht allein, auch nicht als Regierungspartei. Wir brauchen dafür
nicht nur die Unterstützung unserer Koalitionspartner, unserer internationalen Partner*innen
und unserer Partner*innen in Wirtschaft, Industrie, Landwirtschaft, in Ländern und Kommunen,
sondern auch den Druck der Zivilgesellschaft, der Bewegungen und Verbände, die uns immer
wieder daran erinnern, was noch mehr nötig und möglich wäre. Und wir brauchen das Vertrauen
und die Mithilfe der Menschen in diesem Land. Die Menschheitskrise Erderhitzung betrifft uns
alle, und nur gemeinsam können wir sie in den Griff bekommen.
Mit Erneuerbaren raus aus Energiepreisspirale und Klimakrise
Die Energiewende – und damit die 100-prozentige Versorgung aus Ökostrom – ist der Garant für
bezahlbare Energiepreise für alle, für Energiesicherheit und damit gegen viele Bedrohungen
der multiplen Krisen unserer Zeit. Deshalb setzen wir uns mit aller Kraft für die weitere
Beschleunigung des Ausbaus der Erneuerbaren und ihrer effektiven Systemintegration ein.
So wollen wir den Ausbau der Photovoltaik auf 25 Gigawatt (GW) pro Jahr steigern und die
Windkraft an Land auf 15 GW pro Jahr bis zum Jahr 2025. Wind auf See wollen wir bis 2035 auf
60 GW ausbauen und zusätzlich 25 GW durch unseren Anteil an europäischen
Gemeinschaftsprojekten.
Um Wind und Sonne effizient zu nutzen, beschleunigen wir den Einstieg in ein
sektorübergreifendes Energiemarktdesign, zusammen mit der europäisch integrierten
dezentralen Planung von Strom-, Wärme und Wasserstoffnetzen. Wir brauchen ergänzend und
netzstabiliserend regional differenzierte Märkte.
Wir wollen die strategische Einbindung der energieintensiven Industrien zur Dynamisierung
der Transformation und den gezielten Aufbau einer krisensicheren europäischen erneuerbaren
Energieindustrie über die gesamte Wertschöpfungskette für Photovoltaik, Windenergieanlagen,
Wärmepumpen, Elektrolyseure und Speicher inklusive deren Vorprodukte.
Wir setzen einen Schwerpunkt auf den beherzten Umbau der Wärme- und Gebäudeinfrastruktur,
inklusive der Einführung eines Solarstandards, der die Ausbauziele sozial gerecht
unterstützt und des Aus- und Umbaus von Wärmenetzen, um auf Basis niedrigerer
Temperaturniveaus die Verteilung von erneuerbaren Energien und Abwärme effizient zu
ermöglichen
Klimaschutz gestalten: gemeinsam, fair, gerecht
Klimaschutz und die konsequente Transformation hin zu einer klimaneutralen Zukunft kann nur
gelingen, wenn wir sie für alle möglich machen. Wie das gehen kann, haben wir im Sommer
gesehen, als es mit dem 9-Euro-Ticket plötzlich für viele Menschen erschwinglich war,
öffentlichen Nahverkehr zu nutzen und damit auch noch Geld für andere Ausgaben zu sparen.
Gerade Menschen mit geringen Einkommen müssen den Mehrwert der Transformation spüren.
Gerade jetzt muss ein CO2-Preis mit einem sozial-gerechten Ausgleich dafür sorgen, dass
notwendige Entlastung finanziert und eine klimagerechte Wirtschaft gefördert werden können.
Zu einer solchen sozial gerechten Rückzahlung der Einnahmen aus dem CO2-Preis gehört das
Klimageld, das wir – wie im Koalitionsvertrag vereinbart – jetzt schnell gemeinsam mit
unseren Koalitionspartnern umsetzen wollen. Das Finanzministerium muss dazu bis Ende des
Jahres einen Mechanismus vorlegen, der schnell, pragmatisch und effizient Direktzahlungen
ermöglicht, die alle Bürger*innen erreichen, und der anlassbezogen auch für andere
Entlastungen genutzt werden kann. Dazu müssen alle beteiligten Behörden eng
zusammenarbeiten. Energiekostenentlastungsmaßnahmen dürfen nicht diejenigen begünstigen, die
viel Energie verbrauchen und keine Unterstützung benötigen, sondern müssen sozial gezielt
erfolgen und Anreize zur Steigerung der Energieeffizienz bieten.
Die vom Bundeskabinett beschlossene Einrichtung eines direkten Auszahlungsweges an alle
Bürger*innen kommt aber bisher nicht schnell genug voran. Wir erwarten, dass
schnellstmöglich ein funktionierendes System eingerichtet wird. Schon heute ist die
leistungsfähige Infrastruktur der Familienkasse der Bundesagentur für Arbeit in der Lage,
sowohl viele Millionen Überweisungen pro Tag auszuführen als auch Lösungen für Menschen ohne
eigenes Konto bereitzustellen. Dieser etablierte Direktauszahlungskanal könnte zusätzlich
kostengünstig und schnell für die Auszahlung des Klimageldes und ähnlicher
Entlastungszahlungen an alle Bürger*innen angepasst und genutzt werden.
Bei der Internalisierung externer Kosten muss die öffentliche Hand vorangehen. Ein Schatten-
CO2-Preis, der die generationsübergreifenden Wohlfahrtsverluste und Kosten durch
Klimafolgeschäden berücksichtigt, soll Entscheidungsgrundlage bei
Wirtschaftlichkeitsberechnungen staatlicher Investitionen werden.
Klimaschutz sozial gerecht umzusetzen heißt auch, dass klimagerechtes Wirtschaften und die
Dekarbonisierung der Industrie wettbewerbsfähig werden. Dafür braucht es grüne Leitmärkte
und Investitionssicherheit, zum Beispiel durch Beschaffungsquoten für klimaneutrale
Grundstoffe und Klimaschutzverträge, sogenannte Carbon Contracts for Difference, die den
Unterschied zwischen dem aktuellen CO2-Preis und den tatsächlichen CO2-Vermeidungskosten
finanzieren.
Damit und mit konkreten Maßnahmen zur Erreichung der Sektorziele hat die Industrie die
Planungssicherheit, die sie braucht, um die Produktion klimaneutral umzubauen. Die
tiefgreifende Transformation der gesamten Industrie, speziell der Grundstoffindustrie und
aller energieintensiven Branchen, nutzen wir als Innovationstreiber für nachhaltige
Technologien und für den Ausbau einer Kreislaufwirtschaft, die auf erneuerbaren Energien
basiert. Europa kann sich in großen Teilen sowohl selbst aus heimischen erneuerbaren
Energiequellen versorgen, als auch die dafür notwenige Technik wieder verstärkt selbst
produzieren. Ein resilienter europäischer erneuerbarer Industriekern sichert die
Energiewende ab und wir gestalten diesen sozial ausgewogen mit gut bezahlten, zukunftsfesten
Arbeitsplätzen. Gleichzeitig werden wir mit anderen Ländern Energiewende-Partnerschaften auf
Augenhöhe forcieren.
Niedriger Energieverbrauch und erneuerbare Energieerzeugung in Gebäuden verringern
finanzielle Risiken und liefern einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz und zur
Energiewende. Wir verbessern dazu die Rahmenbedingungen für Bürger*innen-
Energiegemeinschaften und Eigeninitiative wie bei Balkonsolaranlagen, entbürokratisieren den
Mieterstrom und stärken kommunale Beteiligung. Wir setzen uns für eine klimagerechte
Neubauoffensive ein. Deshalb wollen wir die Anhebung der linearen Abschreibung für den Bau
neuer Wohnungen an wirksame energetische und nachhaltige Standards, mindestens den
energetischen Standard eines KfW-Effizienzhauses 40, knüpfen. Damit setzen wir Anreize für
einen klimagerechten Neubau und ermöglichen, dass Mieter*innen und Hausbauer*innen durch die
besseren Energiestandards langfristig niedrigere Energiekosten haben.
Kommunen und Landkreise werden wir bei Maßnahmen zur Anpassung an die Folgen der Klimakrise
und zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit gegen extreme Wetterereignisse unterstützen. Wir
fördern Initiativen sowohl zur Dach- und Fassadenbegrünung als auch zur Entsiegelung von
Flächen, um den Wasserhaushalt besser zu regulieren. Ein gesundes Wohnumfeld und der Schutz
der Bevölkerung in Katastrophenlagen hat für uns oberste Priorität und muss gewährleistet
werden.
Energiemarkt, Netzausbau und Arbeitsmarkt: Erneuerbare im Mittelpunkt
Um 100 Prozent erneuerbare Energien bis 2035 zu erreichen, brauchen wir ein
sektorübergreifendes Energiemarktdesign. Zugleich steigt für die nötige Sektorenkopplung die
Notwendigkeit eines stabilen, leistungsfähigen Stromnetzes weiter an.
Daher werden wir den Plan für den Ausbau der Übertragungsnetze kontinuierlich an neue
Herausforderungen anpassen und mit dem Rück- und Umbau des Gasnetzes sowie dem Aufbau eines
grünen Wasserstoffnetzes koordinieren. Gemeinsam mit den Betroffenen werden wir die Prozesse
so intensivieren, dass kürzere Verfahren zu einer besseren Planung und Beteiligung der
Menschen vor Ort führen. Die Netzentgelte werden wir so reformieren, dass sie die
Transformation zur Klimaneutralität fördern und die Kosten des Ausbaus der erneuerbaren
Energien fair verteilen.
Beim Ausbau des Verteilnetzes wird eine vorausschauende Planung zur Pflicht und eng an den
Ausbau von E-Mobilität, Wärmepumpen und Erneuerbaren gekoppelt. Netzanschlüsse werden
schneller gebaut und digitalisiert. Flexible Strom- und Wärmespeicher in Dörfern und
Quartieren sichern die Versorgung und minimieren den notwendigen Netzausbau. Schließlich
wollen wir Stromspitzen kostengünstig über Power-to-Heat-Technik zur Wärmeerzeugung und zur
Umwandlung in andere Energieträger einsetzen.
Eine auf 100 Prozent Erneuerbaren basierende Energieversorgung funktioniert nur europäisch.
Das über ganz Europa die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht, das kommt selten vor.
Daher müssen wir die europäischen Netze stärken und die Erneuerbaren in ganz Europa zum
Standard machen.
Ein passgenaues und damit sektorenübergreifendes Energiemarktdesign, das die ganze
Akteursvielfalt im Blick hat, ist das Herzstück eines vollständig auf Erneuerbaren
basierenden Energiesystems. Die Verwerfungen in der aktuellen Krise zeigen einmal mehr, dass
hier dringender Handlungsbedarf besteht, den wir zusammen mit Wissenschaft und Wirtschaft
adressieren.
Von den letzten Bundesregierungen wurde eine unübersichtliche Bürokratie aufgebaut, die den
Ausbau der Erneuerbaren ausbremste. Diese bauen wir systematisch ab. Insbesondere
Privatleute und Bürger*innenenergie-Gemeinschaften befreien wir von den Fallstricken
unkalkulierbarer Ausschreibungen und Anmeldungsprozessen. Das auf europäischer Ebene
verankerte Recht auf Energy Sharing, also die gemeinsame Nutzung Erneuerbarer Energien durch
Energiebürger*innen und -gemeinschaften, werden wir schnellstmöglich auch in Deutschland
ermöglichen. So wollen wir die gesetzlichen Grundlagen schaffen, dass Agri-PV-Anlagen
möglichst unbürokratisch auch in Landschaftsschutzgebieten unter Berücksichtigung von
ökologischen Aspekten errichtet werden dürfen. Und wir setzen uns dafür ein, dass die
Vorraussetzungen für "Kleinstanlagen" bis 1 kW installierter Leistung erheblich vereinfacht
und besser unterstützt werden. Die Erneuerbaren machen wir damit zum Gewinnerthema auf dem
Land und in der Stadt. Kommunen werden bei Windkraft stärker beteiligt und die Menschen vor
Ort können sich zu fairen Bedingungen bei Solarprojekten engagieren. Auch der Allgemeinheit
vor Ort sollen die Einnahmen aus den Erneuerbaren zugute kommen durch Investitionen in
nachhaltige Infrastruktur wie Kindergärten und Radwege, damit auch insbesondere Menschen mit
geringem Einkommen profitieren. Das schafft Akzeptanz.
Auch zum Stromnetz, dem Rückgrat der Sektorenkopplung, wollen wir einen fairen Zugang für
alle. Die Stromleitungen brauchen eine effiziente Auslastung, um die Kosten gering zu
halten. Wir binden insbesondere die energieintensive Industrie strategisch in die
Beschleunigung der Transformation ein. Durch die Flexibilisierung des Verbrauchs und der
Eigenstromerzeugung kann die notwendige gesicherte Leistung schnell signifikant gesenkt
werden. Alle Vorgaben richten wir dazu entsprechend neu aus, insbesondere die
Netzentgeldbefreiungen der sogenannten 7.000h Regel. Die Landwirtschaft wird dazu mit einer
weiteren Öffnung für Freiflächenanlagen, Agri-PV und flexiblen Biogasanlagen noch stärker
Teil der Energiewirtschaft, der Verkehr zum flächendeckenden Großabnehmer – und über
Rückeinspeisung zum wichtigen Stabilisator unserer Netze. Gebäudewirtschaft liefert
Solarstrom vom Dach und heizt mit Wärmepumpen.
Die Energiewende schafft hunderttausende Arbeitsplätze, sie benötigt aber auch viele neue
Fachkräfte in kurzer Zeit. Damit das gelingen kann, wollen wir eine gezielte
Qualifizierungs- und Ausbildungsoffensive starten, das Handwerk in allen Stufen des
Bildungs- und Ausbildungssystems attraktiver machen, und Geflüchteten und Migrant*innen die
Integration in den Arbeitsmarkt erleichtern.
Wärmewende: effizient und erneuerbar
40 Prozent der Klimagase werden in Deutschland durch Gebäude ausgestoßen. Wir legen deshalb
einen Schwerpunkt auf ökologisches Heizen, Bauen und vor allem Sanieren. Nur so können wir
es schaffen, die kumulierte Lücke von 152 Millionen Tonnen CO2 zu den Klimazielen der
Bundesregierung bis 2030 im Gebäudebereich zu schließen.
Es ist deshalb klima-, energie- und sicherheitspolitisch nicht haltbar, dass die Gasheizung
die vorherrschende Wärmetechnik bleibt, mit einem Marktanteil von aktuell über 70 Prozent.
Und sie entwickelt sich auch für die Verbraucher*innen immer mehr zur Kostenfalle. Heizen
muss zügig klimaneutral werden. Deshalb haben wir die Förderung von Gasheizungen eingestellt
und streben das Ende von Neuzulassungen in Neubauten an; ab 2024 gilt eine Mindestquote von
65 Prozent Erneuerbaren für neue Heizungen. Wie im Koalitionsvertrag vereinbart, soll die
Wärmeenergie in Deutschland bis 2030 mindestens zur Hälfte erneuerbar erzeugt werden.
Dazu brauchen wir alle erneuerbaren Technologien. Wir unterstützen deshalb die EU-Strategie,
die jährliche Wärmeerzeugung aus Solarthermie bis 2030 zu verdreifachen und wollen deshalb
eine Regelung schaffen, die den Beitrag von solarthermischen Kollektoren zur 65%-
Mindestquote praxisgerecht regelt.
Die gesetzlichen Mindesteffizienzstandards im Neubau und Bestand werden wir mit der Reform
des Gebäudeenergiegesetzes anheben und auf den Klimaschutzpfad bringen. Erneuerbare Energie
für Wärme und Kühlung soll schnell das neue Normal werden. Perspektivisch wollen wir jedes
neue und möglichst viele sanierte Gebäude, beispielsweise in Quartiersbetrachtungen, zu
Plusenergiehäusern machen. Denn auch erneuerbare Energien müssen wir effizient einsetzen.
Wir können die Klimaziele nur mit konsequent ressourcenschonendem und nachhaltigem Bauen
erreichen. Bei jeder Planung sollte ab sofort der gesamte Stoff- und Energieverbrauch für
Bau, Betrieb und späteren Rückbau berücksichtigt werden. Wir setzen uns auch hier für den
Einstieg in die Kreislaufwirtschaft ein, mit dem Ziel einer kompletten stofflichen Wieder-
oder Weiterverwertung. Damit energie- und ressourcenschonend sowie giftfrei gebaut wird,
braucht es eine Veränderung der ökonomischen Rahmenbedingungen, ein Gebäude-Ressourcen-
Gesetz sowie verbindliche Klimaschutzstandards bei allen gesetzlichen Vorgaben, Normen und
Bauordnungen. Um Gebäude kreislaufgerecht planen, bauen und modernisieren zu können, wollen
wir einen digitalen Gebäude-Materialpass einführen. So werden unsere Gebäude und
Bauschuttdeponien zu Rohstoffquellen.
Um die Modernisierung des Gebäudebestandes zügig und konsequent voranzubringen, setzen wir
uns sowohl für eine deutliche Steigerung der bereitgestellten Fördermittel als auch für eine
Ausrichtung von Förderrichtlinien auf die Klimaschutzwirkung der Maßnahme, auf mehr
Nachhaltigkeit und auf Ressourceneffizienz ein. Hinsichtlich der verwendeten Baustoffe
brauchen die Programme im Sinne einer Holzbau-, Leichtbau- und Rohstoffsicherungsstrategie
des Bundes eine klare Ausrichtung auf mehr Nachhaltigkeit und Ressourceneffizienz.
Kreislaufgerechten, nachwachsenden und regionalen Baustoffen muss Vorrang gewährt werden.
Bauschaffende müssen durch Information, Anreize und rechtliche Rahmenbedingungen in die Lage
versetzt werden, mit diesen Materialien zu arbeiten. Wir unterstützen die Entwicklung von
Stoffkreisläufen sowie von Alternativen zu konventionellen und weitverbreiteten Baustoffen
wie Beton. Zu einer gelungenen Bauwende gehört für uns auch eine Ressourcenwende.
Wir setzen uns für einen wirksamen Schutz von Mieter*innen bei der Wärmewende ein. Wir
wollen die Kosten für klimafreundliche Modernisierungen zwischen Vermieter*innen und
Mieter*innen – auch mittels staatlicher Unterstützung – fair aufteilen.
Mit der Ergänzung des Wohngeldes um das Klimawohngeld wollen wir allen ermöglichen, in
klimafreundlichen Wohnungen zu leben. Die Heizkostenkomponente muss dringend der aktuellen
Entwicklung angepasst werden. Dazu wollen wir den Heizkostenzuschuss im Wohngeld während der
Energiekrise verstetigen.
Aktuell bezahlen allein die Mieter*innen die Umlage des CO2-Preises für Heizung und
Warmwasser. Wir begrüßen deshalb die Gesetzesinitiative für eine gerechte Neuverteilung des
CO2-Preises abhängig vom Sanierungsgrad zwischen Mieter*innen und Vermieter*innen. Damit
wird ein wichtiger erster Schritt getan, um Vermieter*innen stärker in die Pflicht zu
nehmen, Wohnungen energetisch zu modernisieren und klimaneutrales und preiswertes Heizen für
die Mieter*innen zu ermöglichen.
Für die Energieeffizienz ist es maßgeblich, bestehende Systeme zu verknüpfen. Es braucht
Quartierslösungen beispielsweise auf Basis von Wärmenetzen, die mit erneuerbaren Quellen wie
Abwärme, Geo- oder Solarthermie gespeist werden und bereitgestellte Energie vor Ort
speichern. Auch die Fern- und Nahwärme muss dekarbonisiert werden. Dazu wollen wir ihre
Förderung an klimaneutralen und gleichzeitig effizienten Lösungen ausrichten, wie an der
Kombination von niedrigerer Temperatur und Wärmepumpen, und dazu die Wirtschaft in die
Wärmesysteme einbinden. Für die Umsetzung dieser Systeme sind die Kommunen zentral. Wir
begrüßen daher die Initiativen der Bundesregierung, die verbundenen klimaneutralen
Energiesysteme über die Bundesförderung für effiziente Wärmenetze auszubauen und die
kommunale Planung zu stärken. Die Kommunen können so strategisch die Reduktion von
Verbräuchen in eigenen Wärmenetzen angehen.
Nachhaltige Mobilität ist ein Schlüssel
Insbesondere der Verkehrssektor ist derzeit nicht auf Kurs, um seine Klimaziele zu
erreichen. Die im Klimaschutzgesetz verbindlich vorgeschriebenen Klimaziele werden nach der
im Sommer vorgelegten Analyse des unabhängigen Expert*innenrats für Klimafragen im Sektor
Verkehr bis 2030 um kumuliert 261 Millionen Tonnen CO2-Emissionen überschritten werden. Das
ist die Konsequenz der verfehlten Politik dreier CSU-Verkehrsminister. Umso wichtiger ist
es, jetzt konsequent eine neue Politik zu verfolgen. Änderungen, die die Klimaziele im
Verkehrssektor aufweichen, erteilen wir eine Absage. Für uns ist klar: Die Emssionen müssen,
wie gesetzlich festgeschrieben, im Verkehr selbst kompensiert werden. Kurzfristige Maßnahmen
wie die Einführung einer Klimaabgabe auf Pkw-Neuzulassungen, der soziale und klimagerechte
Umbau des Dienstwagenprivilegs oder ein Nachfolgemodell für das 9-Euro-Ticket sind deshalb
zwingend erforderlich. Wie der Expert*innenrat der Bundesregierung für Klimafragen halten
wir das vom Verkehrsministerium vorgelegte Klimaschutz-Sofortprogramm für völlig
unzureichend und erwarten, dass schnell ein Plan erarbeitet wird, wie in den nächsten Jahren
die entstandene Klima-Lücke im Verkehrsbereich tatsächlich geschlossen werden kann.
Der EU-Beschluss zum Ende des fossilen Verbrennungsmotors ab 2035 ist ein riesiger Erfolg
für den Klimaschutz und für grüne Umweltpolitik. Er gibt den Autoherstellern, aber auch den
Ladenetzbetreibern endlich Planungssicherheit. Die Dekarbonisierung der Antriebe hat damit
einen klaren europäischen Rahmen. Pkw werden in Zukunft batterieelektrisch fahren. Damit
nutzen wir die effizienteste Technologie, denn auch im Verkehr muss gelten: Auch aus
erneuerbaren Quellen geerntete Energie ist ein knappes Gut.
Das im Koalitionsvertrag verankerte Ziel von 15 Millionen vollelektrischen Pkw bis 2030
weist den Weg. Dazu braucht es zusätzliche fiskalische Maßnahmen wie eine Klimaabgabe für
Pkw-Neuzulassungen, eine deutliche Beschleunigung des Ladesäulenausbaus und eine intensive
Zusammenarbeit mit Wirtschaft und Gewerkschaften zur Transformation der Automobilindustrie.
Denn für alle Betroffenen gilt: Klimaneutralität kann, richtig gestaltet,
Menschheitsaufgabe, Standortvorteil und Jobmotor zugleich sein.
Mit der Antriebswende kann die CO2-Lücke ungefähr zur Hälfte geschlossen werden. Deshalb
brauchen wir zusätzlich eine deutliche Verlagerung von Verkehrsströmen. In Zukunft sollen
Busse und Bahnen, Carsharing sowie breite Rad- und Fußwege das Verkehrsgeschehen
entscheidend prägen.
Von maßgeblicher Bedeutung für eine funktionierende Mobilitätswende ist ein attraktives,
preiswertes öffentliches Angebot als Alternative zum eigenen Fahrzeug. Das 9-Euro-Ticket war
dabei ein großer Erfolg. Über 30 Millionen Menschen nutzten das Ticket monatlich im
Nahverkehr und rund 80 Prozent der Befragten haben sich für eine Fortsetzung ausgesprochen.
Der Erfolg des 9-Euro-Tickets zeigt, dass auch kurzfristige Maßnahmen für den ÖPNV direkte
Klimaerfolge bringen. Deshalb wollen wir eine möglichst zeitnahe, einfache und bundesweite
Folgelösung, die sich alle Menschen unabhängig von ihrem Geldbeutel leisten können. Um
Familien zu entlasten und die Teilhabe von Kindern und Jugendlichen zu stärken, soll das
Folgeangebot für Kinder und Jugendliche deutlich günstiger und wenn möglich kostenfrei sein.
Ebenso muss es für Menschen, die Anspruch auf Sozialleistungen haben, sowie für Studierende
bedarfsgerechte Angebote geben. Gemeinsam mit Ländern, Kommunen und Verbünden werden wir
daran arbeiten, attraktive und unbürokratische Angebote zu schaffen, mit dem Ziel einen
umlagefinanzierten, ticketlosen ÖPNV zu ermöglichen. Unser Ziel bleibt, dass sich die Zahl
der Nutzer*innen im ÖPNV bis 2030 mindestens verdoppelt. Eine Priorisierung der Mittel für
den Ausbau von Schienen- und Businfrastruktur ist daher dringend geboten. Neben der
Verkehrsvermeidung und der Förderung von Rad- und Fußverkehr ist dies das effektivste
Mittel, um die Mobilitätswende schnell umzusetzen. Dazu müssen wir unsere Infrastruktur
umbauen, um diese an unsere Klimaziele anzupassen.
Um die Verkehrswende zu verwirklichen, müssen wir die zur Verfügung stehenden Finanzmittel
umschichten und neu priorisieren. Klimaschädliche Subventionen müssen abgebaut werden. Der
Koalitionsvertrag bietet eine ausreichende Grundlage, beispielsweise das Dienstwagenprivileg
so umzubauen, dass vorrangig effiziente Autos mit klimafreundlichen Antrieben davon
profitieren.
Insbesondere die Schiene wurde jahrzehntelang vernachlässigt. Es bedarf massiver
Investitionen in Erhalt, Kapazitätsausbau und Elektrifizierung. Der Deutschland-Takt als
Zielvorgabe für ein qualitativ hochwertiges, angebotsorientiertes System stellt für uns
hierfür eine gute Grundlage dar, die nun endlich durch eine angemessene Bereitstellung von
Finanzmitteln für Investition und Betrieb sowie für Planungskapazitäten auf den Weg gebracht
werden muss. Wir wollen den Flugverkehr am Ziel der Klimaneutralität ausrichten.
Kurzstreckenflüge wollen wir ab sofort Zug um Zug verringern und bis 2030 überflüssig
machen, indem wir massiv Bahnangebote – gerade Direkt- und Nachtzugverbindungen – ausweiten
und für faire Wettbewerbsbedingungen zwischen den Verkehrsmitteln sorgen, die die
ökologischen Kosten wiederspiegeln.
Die Erhöhung der Regionalisierungsmittel ist unabdingbar, damit die Länder die Qualität des
öffentlichen Nahverkehrs erhalten und verbessern können. Dies kann über den Abbau
umweltschädlicher Subventionen und eine ökologische Reform des Dienstwagenprivilegs
finanziert werden. Frei werdenden Finanzmittel können unter anderem helfen, Bus und Bahn zu
stärken. Die Regionalisierungsmittel für den Nahverkehr müssen im Bundeshaushalt, wie im
Koalitionsvertrag vereinbart, noch im Jahr 2022 erhöht werden. Andernfalls droht angesichts
steigender Energiepreise ein Ausdünnen und Abbestellen des Regionalverkehrs auf der Schiene.
Geplante Streckenreaktivierungen, die Schienenverkehr auch in weniger dicht besiedelten
Regionen führen würden, müssten abgesagt werden. Der Bundesverkehrswegeplan muss dringend
klimagerecht überarbeitet und reformiert werden, damit zukünftige Investitionen nicht mehr
in den teuren Neubau von Autobahnen fließen. Dem klaren Vorrang der Schiene muss hier
Rechnung getragen werden.
Die Finanzmittel müssen in die Sanierung der Infrastruktur fließen, denn kilometerlange
Umleitungen produzieren ebenfalls erhebliche Mengen an Treibhausgasen. Straßenneubau
produziert Schadstoffemissionen in erheblichem Umfang. Die klimaschädlichen Wirkungen von
850 km neuen Autobahnen, der Verbreiterung von 3400 km Autobahnen und des Aus- und Neubaus
von 3500 km Bundesstraßen müssen endlich berücksichtigt werden. Diese entstehen nicht nur
durch mehr induzierten Verkehr, sondern bereits durch die bauliche Trockenlegung von Mooren
und die sogenannte „Graue Energie”, die in den Baustoffen gebunden ist. Wissenschaftliche
Untersuchungen zeigen auf, dass die derzeitigen Ausbauplanungen mit den Klimazielen
unvereinbar sind. Das Bundesverkehrsministerium muss deshalb die Bedarfsplanüberprüfung auf
die gesetzlichen Klimaschutzziele hin ausrichten und eine entsprechende Ausgabenprüfung
vornehmen. Auch der erhebliche Sanierungsbedarf muss mitbetrachtet werden.
Alle Maßnahmen, die von einer Neubewertung betroffen sein können, dürfen bis zum Abschluss
dieser Prüfung nicht weiter vorangetrieben werden.
Das Tempolimit auf Autobahnen bleibt für uns weiter ein schnell wirkendes und nahezu
kostenloses Instrument, um die Sicherheit auf den Straßen zu erhöhen und unsere Klimabilanz
zu verbessern.
Klima schützt Natur schützt Klima
Der natürliche Klimaschutz hat Klimapotentiale, die an die Umstellung auf erneuerbare
Energien heranreichen. Das hat auch der jüngste IPCC-Bericht bestätigt. Dieser stellt dar,
dass eine Kohlendioxidentnahme aus der Atmosphäre von mehreren hundert Gigatonnen notwendig
sein wird und die Natur hier einen wesentlichen Beitrag leisten kann. Im Umkehrschluss droht
bei einer weiteren Zerstörung natürlicher Kohlenstoffspeicher die Naturzerstörung zu einem
erst recht nicht mehr aufzuhaltenden Beschleuniger der Klimakrise und des Artenaussterbens
zu werden.
Beide Krisen befeuern sich gegenseitig und können nur gemeinsam gelöst werden. Nur, wenn wir
gesunde Natur schützen, stärken und wiederherstellen, können wir die notwendigen Klima- und
Biodiversitätsziele erreichen. Deshalb ist es so wichtig, dass wir in der Bundesregierung
mit dem Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz 4 Milliarden Euro in konkrete Maßnahmen zum
Schutz, zur Stärkung und Wiederherstellung gesunder Natur investieren und die relevanten
Maßnahmen beschleunigen. Das ist dreifach gut angelegtes Geld: für mehr Biodiversität, für
mehr Klimaschutz und für mehr Klimavorsorge.
Gesunde Wälder und Auen, Böden und Moore, Meere und Gewässer, Grünflächen in der Stadt: All
diese Ökosysteme können einen Beitrag zum natürlichen Klimaschutz leisten. Sie können
Kohlenstoff aus der Atmosphäre binden und langfristig speichern. Gleichzeitig sind sie
wertvoller Lebensraum für bedrohte Arten und damit essentielle Voraussetzung im Kampf gegen
das Artenaussterben. Außerdem leistet der natürliche Klimaschutz einen wichtigen Beitrag zur
Klimavorsorge, denn gesunde Böden regulieren den Wasserhaushalt. Intakte Auen halten das
Wasser zurück und tragen so zum Hochwasserschutz bei. Je besser der Zustand von Ökosystemen
ist, desto widerstandsfähiger sind sie gegenüber Extremwetterereignissen wie Trockenheit
oder Starkregen – und desto mehr können sie zu unserem Schutz beitragen.
Das Zusammenwirken all dieser Aspekte zeigt sich im Negativen exemplarisch an der aktuellen
Umweltkatastrophe an der Oder mit massenhaftem Fisch-, Schnecken- und Muschelsterben und der
Schädigung des einzigen Flussauen-Nationalparks in Deutschland. Ausgelöst wurde sie durch
hohe Salzeinleitungen, die zusammen mit Stauhaltungen, Niedrigwasser und sehr hohen
Wassertemperaturen zu einer toxischen Algenblüte führten. Jetzt gilt es mehr denn je, die
Oder zusammen mit Polen und Tschechien als naturnahen Fluss zu erhalten und ihn resilient
gegen die Klimakrise zu machen. Der - auch ökonomisch unsinnige - Oderausbau muss gestoppt
werden.
Daher setzen wir uns dafür ein auch rechtliche Schritte einzuleiten, um diese auf deutscher
Seite nicht auszubauen und die Wasserrahmenrichtlinie umzusetzen. Das deutsch-polnische
Abkommen zur Oder von 2015 muss neu verhandelt und zurückgeführt werden auf naturnahen
Hochwasserschutz - im Einklang mit dem EU-Umweltrecht. Der Einsatz der Fördermittel durch
die EU, die Weltbank und den Europarat muss überprüft und ggf. zurückgefordert werden.
Schwerpunkte im Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz sind eine Renaturierungsoffensive
für Flüsse, Auen, Wälder und Seegraswiesen sowie der nationale Moorschutz. Wir wollen so
viele Moorböden wie möglich schnell und umfassend wiedervernässen – und ein Ende der
Torfnutzung. Landwirtschaftliche Betriebe werden wir bei Maßnahmen zur Wiedervernässung und
bei der Einführung angepasster Bewirtschaftungsweisen unterstützen.
Ein naturnaher Wasserhaushalt mit lebendigen Flüssen, Seen und Auen ist ein zentrales Ziel
für den natürlichen Klimaschutz. Mit der Wiederherstellung dieser Ökosysteme soll im Sinne
der Vorsorge Wasser wieder stärker in der Landschaft gehalten und die schnelle Entwässerung
großer Flächen reduziert werden. Um einen naturnahen Wasserhaushalt zu erreichen, wollen wir
mit der Bundesregierung noch in diesem Jahr eine rahmengebende Nationale Wasserstrategie
beschließen.
Auch Meeres- und Küstenökosysteme sind ein wichtiger Baustein des natürlichen Klimaschutzes.
Denn die Weltmeere leiden nicht nur immens unter den Auswirkungen der Klimakrise. Gesunde
Meere liefern gleichzeitig Sauerstoff, sie regulieren das Klima und sind ein wichtiger CO2-
Speicher. Wir werden eine verbindliche Meeresstrategie erarbeiten und ein Aufbauprogramm für
Seegraswiesen, Algenwälder, Salzwiesen und weitere marine sowie Küsten-Ökosysteme zur
Verbesserung der natürlichen CO2-Speicherfähigkeit entwickeln. Eine Anrechnung von CO2-
Speicherpotenzialen durch natürliche Kohlenstoffsenken auf die Minderungsziele lehnen wir
ab. Der Schutz und die Wiederherstellung von Ökosystemen als CO2-Senken sind zusätzliche und
eigenständige Ziele im Klimaschutzgesetz. Mit natürlichem Klimaschutz stärken wir natürliche
Kohlenstoffsenken und bekämpfen zugleich die Biodiversitätskrise und das Artenaussterben.
Wir erarbeiten eine Langfriststrategie zum Umgang mit unvermeidbaren Restemissionen, für
nachhaltige Negativemissionen und klimaneutrale Kohlenstoffkreisläufe. Dazu unterstützen wir
die Erforschung natürlicher und Entwicklung technischer Prozesse.
Gemeinsam mit unseren internationalen Partner*innen wollen wir die Verhandlungen bei der
Weltnaturschutzkonferenz in Montreal im Dezember endlich erfolgreich abschließen. Es braucht
einen neuen internationalen Rahmen zum Schutz unserer Natur und mehr finanzielle
Unterstützung der Industrienationen für die Umsetzung im globalen Süden. Wir wollen
international vorangehen und werden, wie im Koalitionsvertrag festgeschrieben, eine
erhebliche Erhöhung der internationalen Biodiversitätsfinanzierung noch in diesem Jahr
verkünden.
Mehr ökologische Landnutzung
Die Waldbrandgefahr vervielfacht sich im Zuge der Klimakrise durch anhaltende Trockenheit
und verödete Forstlandschaften. Deshalb brauchen wir wieder mehr echte Wälder: als
Wasserspeicher, Luftfilter, Bodenschützer und als wichtige Verbündete beim Klimaschutz. Wir
brauchen eine klimaresiliente vielfältige Landwirtschaft, um auch in Krisenzeiten gute,
gesunde und regionale Lebensmittel unter fairen Bedingungen für alle erzeugen zu können.
Fair für das Klima, fair für Umwelt und Tiere, fair für die Verbraucher*innen – und fair für
die Landwirt*innen. Denn eine nachhaltige Lebensmittelerzeugung braucht Bäuerinnen und
Bauern.
Angesichts von immer häufigeren Dürren und Unwettern, Insektensterben und Artenverlust in
der Agrarlandschaft sowie dem Höfesterben ist eine Agrarwende hin zu einer ökologischeren,
tierfreundlichen und klimarobusten Landwirtschaft mit fairen Einkommen für die
Landwirt*innen entscheidend. Gerade in diesem Jahr zeigt sich, dass schon jetzt viele
Anbauregionen bei uns und in ganz Europa mit Trockenheit und Dürren zu kämpfen haben. Und es
werden in den kommenden Jahren wohl immer mehr. Umso wichtiger, dass der Boden gesund ist –
mit genügend Humus, um ausreichend Wasser zu speichern. Die ökologische Bewirtschaftung
bietet die Chance, den Schutz der Biodiversität und des Klimas mit der Lebensmittelerzeugung
gut zu verknüpfen.
Wir wollen den Anteil des Ökolandbaus bis 2030 auf mindestens 30 Prozent der Fläche erhöhen.
Die Bundesregierung wird dazu eine Strategie auflegen, die Forschung, Betriebe und Absatz
gleichermaßen fördert. Außerdem werden wir zusammen mit den Landwirt*innen eine nachhaltige,
nasse Landwirtschaft für genutzte Moorböden entwickeln. Dazu fördert das
Landwirtschaftsministerium beispielsweise extensive Weidewirtschaft und Paludikulturen –
auch in Kombination mit erneuerbaren Energien.
Agroforstsysteme, Agri-PV-Systeme, Mischkulturen, weite Fruchtfolgen mit Zwischenfrüchten,
die Einarbeitung von Pflanzenresten und eine ganzjährige Bodenbedeckung machen den Ackerbau
sowohl klimafreundlicher als auch robuster. Gleichzeitig können sie zu einem guten Einkommen
für die Landwirt*innen beitragen. Die europäischen Agrarzahlungen sollen dazu auf die
Honorierung dieser ganzheitlichen gesellschaftlichen Leistungen ausgerichtet werden.
Eine weitere zentrale Aufgabe für die nächsten Jahre ist der Umbau der landwirtschaftlichen
Tierhaltung hin zu klima-, umwelt- und tiergerechten Haltungsformen. Um Landwirt*innen auf
diesem Weg zu unterstützen, braucht es ein Paket aus verpflichtender
Tierhaltungskennzeichnung, angepasstem Bau- und Genehmigungsrecht, klaren Regeln sowie
tragfähiger Förderung. Entsprechende Gesetzesentwürfe des Landwirtschaftsministeriums liegen
vor. Wenn wir landwirtschaftlichen Betrieben eine echte Perspektive geben wollen, müssen wir
sie bei den Mehrkosten, die durch höhere Tierschutzstandards entstehen, unterstützen. Die
Haltungsbedingungen aller Nutztiere wollen wir im Hinblick auf die Stallgrösse verbessern
und den Zugang zu Außenluft und Außenflächen gewährleisten. Ein Ende der damit nicht
kompatiblen Haltungsformen für Deutschland und Europa streben wir an. Um Klima- und
Umweltziele zu erreichen, müssen wir die Tierzahlen in Deutschland senken und sie stärker an
die verfügbare Fläche für die Futtermittelproduktion binden, denn Futter von den eigenen
Feldern ist klimafreundlich und Weidehaltung sorgt für besseren Tierschutz. Den durch die
Landwirtschaft maßgeblich mitverursachten Ausstoß von Methan und Lachgas, der einen großen
Anteil zur Erderhitzung beiträgt, wollen wir deutlich verringern. Die Fleisch- und
Milchproduktion gehört weltweit zu den Industrien mit den höchsten Treibhausgasemissionen
und die kontinuierliche Ausweitung der für die Futtermittelproduktion benötigten Flächen
trägt maßgeblich zum Artensterben bei.
Eine zukunftsfeste Tierhaltung muss daher standortangepasst und unabhängig von Regenwald-
Soja sein. Mit der Eiweißstrategie unterstützen wir diese Umstellung. Industrielle
Massentierhaltung ist mit einer klimagerechten Zukunft nicht vereinbar.
Wir wollen vegetarische und vegane Ernährung attraktiver und zugänglich für alle Menschen
machen. Ein Mittel hierzu ist die Bereitstellung transparenterer Informationen über die
externen Kosten von Fleisch und anderen tierischen Produkten, sowie die Förderung von
pflanzlichen Ersatzprodukten, beispielsweise durch die Belegung mit dem ermäßigten
Umsatzsteuersatz, und der Entwicklung künstlich erzeugter tierischer Produkte.
Klimagerechtigkeit in Europa und weltweit
Viele Inseln im Pazifik drohen, durch die Klimakrise unterzugehen. Pakistan erlebte diesen
Sommer durch extreme Regenmassen Fluten, die tausende Menschenleben gefordert und insgesamt
über 33 Millionen Menschen betroffen haben. Gleichzeitig verursacht die Dürre in Ostafrika
Hunger und verschärft Armut. Frauen, marginalisierte Gruppen und Menschen, die in Armut
leben, sind besonders von den Folgen wie Luftverschmutzung, mangelndem Zugang zu Trinkwasser
und dem Schwinden von landwirtschaftlichem Boden betroffen. Die Länder, die am wenigsten zur
Klimakrise beigetragen haben, leiden am meisten unter deren Folgen. Die Erderhitzung
einzudämmen, ist daher nicht nur eine ökologische, sondern auch eine Gerechtigkeitsfrage.
Frauen sind weltweit am stärksten von den Folgen der Klimakrise betroffen, obwohl sie
durchschnittlich für weniger Treibhausgasemissionen verantwortlich sind. Gleichzeitig sind
sie an Entscheidungen zur Bekämpfung der Klimakrise seltener beteiligt, werden häufig von
Maßnahmen stärker belastet und von Kompensationen geringer entlastet. So führt die
Klimakrise dazu, dass die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern weiter zunimmt. Um dem
entschieden gegenzutreten, ist es unerlässlich, Klimaschutz geschlechtergerecht zu gestalten
und durch die Beteiligung von Frauen ihr Wissen und Know-How in entscheidende
Transformationsprozesse einzubeziehen. Unser Ziel ist deshalb, die Geschlechterperspektive
stärker in klimapolitischen Vorhaben und Programmen zu verankern. Dafür soll in allen mit
Klimapolitik befassten Ministerien und Gremien die notwendige Genderperspektive aufgebaut
und der im Koalitionsvertrag vereinbarte Gleichstellungs-Check für alle Gesetze und
Maßnahmen umgesetzt werden. Das reicht von Grundsätzen zur Gestaltung der konkreten
Klimapolitik bis hin zur Einhaltung menschenrechtlicher Verpflichtungen.
Das Fortschreiten der Klimakrise ist eine Gefahr für unsere Sicherheit und Freiheit. Durch
die Klimaaußenpolitik muss es uns mit diplomatischen Mitteln gelingen, die globale
Energiewende, nachhaltige Entwicklung und den Schutz unserer Biodiversität EU-weit und
international voranzutreiben. Mit der Entwicklungspolitik unterstützen wir unsere
Partner*innen weltweit beim langfristigen Umbau ganzer Sektoren und verfolgen eine
transformative, globale Strukturpolitik; damit richten wir nationale und internationale
Institutionen auf die Pariser Klimaziele und die Ziele für nachhaltige Entwicklung der
Agenda 2030 (SDGs) aus.
Deutschland und Europa müssen stärker mit gutem Beispiel vorrangehen und klimagerechten
Wohlstand umsetzen. Konkret bedeutet das, dass die politischen Entscheidungen daran gemessen
werden müssen, ob ihre Folgen mit der Einhaltung der planetaren Grenzen und den
Nachhaltigkeitszielen vereinbar sind.
Mit dem Europäischen Green Deal wurde die Tür aufgestoßen, um die EU zum ersten
klimaneutralen Wirtschaftsraum der Welt zu machen. Die ambitionierte und schnelle Umsetzung
des sogenannten „Fit For 55“-Pakets ist essentiell sowohl für den Klimaschutz als auch für
die Modernisierung der Europäische Union. Auch die europäische Agrar- und Handelspolitik
muss hierauf ausgerichtet werden. Zudem bedarf es eines ambitionierten Plans, die
europäische Industrie sozial und nachhaltig in die Zukunft zu führen. Die Einstufung in der
EU-Taxonomie von Atomkraft und Gas als nachhaltig lehnen wir ab.
Nur mit einer ambitionierten Klimapolitik kann die Europäische Union eine Führungsrolle
übernehmen und eine notwendige Bewegung in die Internationalen Klimaverhandlungen bringen.
Die europäischen Klimaziele müssen daher jetzt an das erhöhte Ambitionsniveau und in
Richtung 1,5 Grad-Pfad angepasst werden. Wir unterstützen alle weiteren Maßnahmen, die dazu
beitragen, diesen Prozess zu beschleunigen und damit die Klimaziele für Europa zu erreichen.
Wir wollen gemeinsam mit der EU-Kommission den natürlichen Klimaschutz und Maßnahmen zur
Klimavorsorge europaweit und weltweit voranbringen. Wir unterstützen die Verordnung zur
Wiederherstellung der Natur als zentrales Element zur Umsetzung der europäischen
Biodiversitätsstrategie. Rechtsverbindliche Ziele zur Renaturierung von Meeren, Flüssen und
Wäldern, von Ökosystemen in der Stadt und in der Agrarlandschaft sowie zum Schutz von
Bestäubern sind ein Aufbruch für den Natur- und Klimaschutz in der EU.
Die Industriestaaten haben am meisten von der Ausbeutung der globalen Ressourcen profitiert
und tun dies auch weiterhin. Sie müssen deshalb ein verlässlicher Motor und Vorreiter im
Kampf gegen die Klimakrise weltweit sein. Im Rahmen der G7-Präsidentschaft hat Deutschland
erste Klima- und Entwicklungspartnerschaften etabliert, die wir mit weiteren Partnerländern
schnell ausbauen und vorantreiben möchten. Hierbei ist es essentiell, dass diese
Partnerschaften auf Augenhöhe stattfinden.
In wenigen Wochen wird die UN-Klimakonferenz COP 27 in Ägypten die massiven weltweiten
Auswirkungen der Klimakrise beleuchten und um Maßnahmen zu deren Bekämpfung ringen. Es geht
dabei um ein ambitioniertes Arbeitsprogramm, mit dem bis 2030 global ein mit dem 1,5-Grad-
Ziel kompatibler Entwicklungspfad erreicht wird. An diesem Programm müssen auch die
nationalen Klimaziele ausgerichtet sein. Wir erwarten eine Beschleunigung der weltweiten
Energiewende sowie einen regelmäßigen politischen Austausch über die Umsetzung der
Maßnahmen, über Initiativen und die Erreichung der sektoralen Ziele als Ergebnis der
Konferenz. Die nächste COP darf keine "fossile COP" werden.
Ägypten gehört zu den repressivsten Staaten im Nahen und Mittleren Osten sowie in
Nordafrika. Zur Förderung von Klimaschutz braucht es eine starke, politisch aktive und vom
Staat unabhängig agierende Zivilgesellschaft. Es ist deshalb unabdingbar, dass Ägypten als
Ausrichter der COP den eigenen zivilgesellschaftlichen Akteur*innen sowie der Presse
dauerhaft die Freiheit gibt, auf Defizite im Klimaschutz aufmerksam machen zu können.
Ansonsten droht die COP zum Greenwashing der Staatsführung zu werden – und zu einem
Instrument, um von der katastrophalen Menschenrechtsbilanz einschließlich der tausenden
politischen Gefangenen abzulenken.
Im Rahmen der internationalen Klimapolitik muss Deutschland ein ambitioniertes,
solidarisches und verlässliches Partnerland sein und seiner Verantwortung für den eigenen,
für den globalen Klimaschutz und für die Anpassung an die Klimakrise gerecht werden. Dabei
werden wir klimapolitische Maßnahmen im Sinne des postkolonialen Ansatzes gemeinsam mit
unseren Partner*innen entwickeln, eng mit multilateralen Partner*innen abstimmen und bei der
Umsetzung die Länderrechte der indigenen Bevölkerung stets achten. Das ist auch unser
Anspruch für das Auftreten Deutschlands bei der diesjährigen COP 27 in Ägypten.
Die Folgen der Klimakrise schlagen in den ärmsten Staaten der Welt ganz besonders dramatisch
zu. Wir müssen deshalb die Klimaanpassung beschleunigen. Darum braucht es bei Schäden und
Verlusten jetzt deutlich stärkere und verbindliche Unterstützung durch die Industrieländer.
Dazu haben sich die G7 Ende Mai 2022 erstmals bekannt. Ein richtiger Schritt voran, dem aber
noch viele folgen müssen.
Deutschland muss gerade angesichts der multiplen Krisen, die die Umsetzung von
Klimaprojekten in vielen Weltregionen gefährden, seinen Beitrag zur kollektiven
Verdopplungszusage der Anpassungsfinanzierung leisten. Ergänzend wollen wir die
Rahmenbedingungen für privates Kapital verbessern, wenn dieses in echten Klimaschutz und
konsequente Klimaanpassung investiert wird.
Mit Programmen der Entwicklungspolitik wie auch der Internationalen Klimaschutzinitiative
der Bundesregierung leisten wir ganz konkrete Unterstützung für mehr Klimaschutz und
Klimaanpassung. Gemeinsam wollen wir als G7 vorangehen, um aus der Kohle auszusteigen und
die Emissionen im Energiesektor, im Verkehr und der Industrie so schnell wie möglich zu
reduzieren. Es geht darum, gemeinsam eine Welle höherer Klimaambitionen zu erzeugen und
andere Staaten mitzunehmen. Gleichzeitig brauchen wir einen Schub für mehr
Klimagerechtigkeit und klare Fortschritte bei der Klimafinanzierung sowie ein Umlenken
globaler Finanzströme im Einklang mit den Zielen des Pariser Abkommens.
Die Existenzen jener Menschen, die am stärksten von Extremwetterereignissen sowie den
Langzeitfolgen der Klimakrise betroffen sind, müssen bei Maßnahmen wie beispielsweise der
Schaffung und Einsetzung eines Fonds (etwa einer "Loss and Damage Finance Facility") oder
neuer Finanzierungsfenster für klimabedingten Verluste und Schäden im Mittelpunkt stehen.
Diese muss mit ausreichenden und einfach zugänglichen Finanzen für Regionen ausgestattet
werden, die von den extremen Folgen der Klimakrise betroffen sind.
Als zusätzliches Angebot soll der geplante Schutzschirm gegen Klimarisiken ("Global Climate
Risk Shield") zur bestmöglichen finanziellen Absicherung von Klimakrisen aufgebaut werden,
um mit Versicherungen und weiteren Instrumenten für soziale Sicherung die betroffenen Länder
dabei zu unterstützen, Widerstandsfähigkeit gegen Klimaschäden aufzubauen. Dieses Instrument
ersetzt jedoch nicht die finanzielle Unterstützung, welche die Menschen im Globalen Süden im
Kathastrophenfall so dringend benötigen, um die ökonomischen sowie nicht-ökonomischen Folgen
der Klimakrise zu adressieren.
Die Auswirkungen der Klimakrise führen zu einem Verlust von Existenzen und Wohlstand. Viele
Länder, die jetzt schon besonders von der Klimakrise betroffen sind, wurden gleichzeitig
auch durch die Auswirkungen anderer Krisen - wie beispielsweise der Covid-19 Pandemie oder
den globalen Auswirkungen des Angriffskrieges auf die Ukraine - hart getroffen. Wir wollen
die Möglichkeit eines Schuldenerlasses für diese Länder prüfen. Mit diesem können sie frei
gewordene Finanzen für den Aufbau von Klimaresilienz sowie einer klimagerechten
Infrastruktur nutzen.
Klimagerechtigkeit heißt aktuell vor allem, alles daran zu setzen, die große Maßnahmenlücke
zwischen Klimazielen und politischem Handeln auf internationaler Ebene zu schließen. Leider
immer noch unerfüllt sind die 2015 in Paris versprochene globale Bereitstellung der 100
Milliarden US-Dollar für internationale Klimaschutz- und Klimaanpassungsfinanzierung.
Deutschland muss hier seiner Verantwortung gerecht werden und mehr Mittel für die
Klimafinanzierung in Ländern des globalen Südens bereitstellen. Das bedeutet auch, die
Länder des globalen Südens in den Bereichen Energiesicherheit, Klimaanpassung,
Verkehrspolitik, Landwirtschaft und nachhaltiger Wirtschaft zu unterstützen. Zur UN-
Klimakonferenz COP 27 im November muss die Bundesregierung dazu eine verlässliche Zusage
leisten.
Durch den russischen Angriffskrieg ist weltweit eine neue Dynamik entstanden, denn auch dem
Letzten ist nun der Zusammenhang zwischen Klima, Energie, Sicherheit, Ernährung, Freiheit
und Frieden klargeworden. Viele Staaten setzen auf den Ausbau von erneuerbaren Energien.
Aber es gibt auch Kräfte, die den Moment des Krieges nutzen, um unter dem Vorwand der
Energiesicherheit Öl, Gas und fossile Infrastrukturen dauerhaft zu festigen und auszubauen.
Umso wichtiger ist es, dass wir alle Kanäle nutzen, um die Weichen für mehr Klimaschutz und
für mehr Tempo bei der globalen Energiewende zu stellen. Die Verbrechen an der
Menschlichkeit durch das russische Regime dürfen nicht als Deckmantel für neue langfristige
fossile Abhängigkeiten dienen. Denn das würde nicht nur dem Aggressor in die Hände spielen,
sondern auch die internationalen Klimaschutzmaßnahmen ad absurdum führen. Die einfache
Logik, dass im Zweifel fossile Energieträger eine sichere Versorgung bereitstellen, ist
widerlegt. Die neue Rolle der erneuerbaren Energien als Garanten für eine starke
Selbstversorgung, Sicherheit und Freiheit gilt es, international zu festigen und die
Hinwendung zu klimaneutraler Versorgung in anderen Ländern durch strukturelle, finanzielle
und technische Unterstützungsangebote zu stärken.