Veranstaltung: | 48. Bundesdelegiertenkonferenz |
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Tagesordnungspunkt: | I In Zeiten fossiler Inflation: sozialen Zusammenhalt sichern, Wirtschaft stärken |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Bundesdelegiertenkonferenz |
Beschlossen am: | 14.10.2022 |
Eingereicht: | 14.10.2022, 21:50 |
Antragshistorie: | Version 1 |
In Zeiten fossiler Inflation: sozialen Zusammenhalt sichern, Wirtschaft stärken
Beschlusstext
Die Auswirkungen des völkerrechtswidrigen Angriffs Russlands auf die Ukraine spüren wir auch
durch Energieknappheit, explodierende Preise und zurückgehende Wirtschaftsleistung. Die
enorme fossile Abhängigkeit von Russland, in die Deutschland von Vorgängerregierungen
getrieben wurde, gibt dem Kreml die Möglichkeit, auch unseren Wohlstand herauszufordern.
Doch wir lassen uns nicht von Wladimir Putin erpressen. Und das heißt: Wir stehen
unverändert solidarisch an der Seite der Ukraine und ihrer Menschen. Mit weitreichenden
Maßnahmen erreichen wir Monat für Monat Deutschlands Unabhängigkeit von russischen
Energieimporten. Und je stärker wir dabei auf erneuerbare Energien setzen, desto mehr werden
künftig auch die Preise sinken.
Doch aktuell leiden viele Menschen in Deutschland und Europa unter immens gestiegenen
Preisen für Energie und Lebensmittel und wissen oft kaum mehr, wie sie ihre Rechnungen
bezahlen sollen. Gerade diejenigen, die schon vor der aktuellen fossilen Inflation, vor dem
russischen Angriff auf die Ukraine und vor der darauffolgenden Energiekrise kaum über die
Runden kamen, werden von den derzeitigen Herausforderungen hart getroffen. So droht sich die
soziale Spaltung nach mehr als zwei Jahren Pandemie ein weiteres Mal zu verschärfen. Viele
Menschen machen sich in dieser Situation berechtigte Sorgen. Deswegen haben wir stets
zielgerichtet mit Entlastungsmaßnahmen diejenigen besonders in den Blick genommen, die von
der Krise am härtesten getroffen werden.
Die Sorge vor steigenden Lebenshaltungskosten reicht bis in die gesellschaftliche Mitte
hinein. Es steht der über lange Zeit erarbeitete Lebensstandard und Wohlstand in Frage. Die
hohen Preise für Energie und Lebensmittel treffen alle Menschen existenziell, die geringe
oder keine Rücklagen haben, das betrifft ca. 40 Prozent der Menschen in Deutschland. Oft
sind es gerade die vielen Beschäftigten, die in systemrelevanten Berufen schon in Zeiten der
Lockdowns unsere Versorgung mit dem Notwendigsten gesichert haben. Sie stellen unsere
Daseinsvorsorge, also das tägliche Brot, die Reparatur der Heizung, die Fahrt im Bus oder
die Betreuung im Kindergarten sicher.
Wir lassen die Menschen in diesem Land nicht alleine. Um sie zu unterstützen, braucht es zum
einen kurzfristige Entlastungen, zum anderen aber muss Deutschland gerechter werden. An
vielen Stellen müssen wir unseren Sozialstaat reformieren und an die Herausforderungen und
Bedarfe unserer Zeit anpassen. Mit Vorhaben wie dem Bürgergeld und der Kindergrundsicherung
schaffen wir mehr soziale Gerechtigkeit in Zeiten sozialer Unsicherheit und Polarisierung.
Gesellschaftlichen Frieden sichern wir auch, indem alle ihren Fähigkeiten entsprechend
mithelfen. So können wir die Folgen, insbesondere die der Klimakrise und des russischen
Angriffskriegs gegen die Ukraine, abfedern. Dazu gehört, dass wir Belastungen gerechter
verteilen. Auch Menschen mit sehr hohen Vermögen sollen etwas abgeben. Es gibt verschiedene
geeignete Instrumente, um Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten abzubauen und dabei Ausnahmen
für Betriebsvermögen von Unternehmen zu ermöglichen. Wir werden kleine und mittlere
Unternehmen stützen und sie in der Krise nicht noch zusätzlich belasten. Zugleich werden wir
dafür sorgen, dass starke Schultern mehr tragen als schwache. Soziale Sicherheit und
sozialer Ausgleich sind unverzichtbar. Gerade in der Krise ist der gesellschaftliche
Zusammenhalt gefordert.
Insgesamt steht uns als Gesellschaft ein schwerer Winter bevor. Neben der Inflation droht
aufgrund der Energiekrise auch eine Rezession in ganz Europa. Nach zwei Pandemiejahren macht
das auch vielen Unternehmen große Sorgen. Denn durch die seit Mitte Juni reduzierten und
seit Anfang September ausbleibenden Gaslieferungen sind die Energiekosten massiv gestiegen
und setzen besonders Solo-Selbstständige, kleine und mittelständische Betriebe stark unter
Druck. Die hohen Preise zehren ihre Rücklagen auf und damit die Mittel für Investitionen in
den Umbau für mehr Nachhaltigkeit und vor allem in den Umbau zur Reduzierung des
Energieverbrauchs. Die höheren Zinsen erschweren eine dynamische Wirtschaftsentwicklung
zusätzlich und drohen die Rezession in der Eurozone zu verstärken. Hinzu kommen fortwirkende
Lieferengpässe, der handfeste Mangel an Arbeits- und Fachkräften sowie die allgemein
rückläufige Kaufkraft und eine insgesamt erhöhte Unsicherheit. Es darf nicht dazu kommen,
dass unsere Solo-Selbst-Selbstständigen, Mittelständler, Handwerksbetriebe, aber auch
soziale Einrichtungen, Krankenhäuser und andere Einrichtungen der Gesundheitsversorgung in
dieser extrem angespannten Phase ihre Liquidität verlieren. Wir müssen ihnen beistehen,
damit sie gut über diesen Winter kommen – und sie bei der Transformation unterstützen.
Der drohende Nachfrageschock kann die Situation weiter verschärfen. Die teilweise
verdoppelten oder verdreifachten Kosten für Strom, Gas und Lebensmittel müssen die
Bürger*innen an anderer Stelle einsparen. Das hat Auswirkungen auf die Konsumgüternachfrage
in Deutschland. Auch die Tarifpartner wissen: Lohnzurückhaltung ist daher jetzt das falsche
Rezept gegen die Inflation. Expert*innen sehen keine Anzeichen für eine Lohn-Preis-Spirale.
Im Gegenteil, die Reallöhne sinken. Es geht in diesem Winter darum, diejenigen bei den hohen
Preisen zielgerichtet zu unterstützen, die wenig haben.
Es ist aber auch eine Frage ökonomischer Vernunft, dass wir es nicht zulassen, die
Rezessionsgefahren noch zu verschärfen. Jetzt eine Rezession in Kauf zu nehmen, um die
Inflation zu bekämpfen, wäre genau der falsche Weg. Denn damit würde man Schaden im Kern der
deutschen Wirtschaft riskieren. Wir müssen also beides schaffen: aktiv gegen die drohende
Rezession und gleichzeitig gegen die hohe Inflation vorgehen.
Dabei ist eine kluge Geldpolitik ein wichtiges Instrument von Inflationsbekämpfung. Doch es
liegt an der Politik, die richtigen Maßnahmen zu treffen, damit Geldpolitik wirken kann und
die Menschen vor den Folgen der Inflation geschützt werden. Unser Ziel ist es auch, allen
EU-Staaten mehr Investitionen für den sozial-ökologischen Umbau und für die soziale
Infrastruktur zu ermöglichen. Daher setzen wir uns für eine Weiterentwicklung der EU-
Fiskalregeln ein.
Grüne und soziale Investitionen müssen im Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt
stärker berücksichtigt und das Regelwerk insgesamt demokratisiert werden. Darüber hinaus
brauchen wir eine dauerhafte gemeinsame europäische Fiskalkapazität, beispielweise durch
einen Grünen Investitionsfonds angelehnt an Next Generation EU. Wir setzen uns für einen EU
Haushalt ein, der krisenfest, flexibel und für gemeinsame europäische Zukunftsprojekte
besser ausgestattet ist.
Aus dieser außergewöhnlichen Krise können wir uns nicht heraussparen. Deshalb ist es gut,
dass sich die Bundesregierung zu einem 200-Milliarden-Abwehrschirm gegen hohe Energiepreise
und zur Sicherung der Versorgungssicherheit verständigt hat. Damit haben wir in dieser
Notsituation einen starken Schutzschirm für das Handwerk, für kleine und mittlere
Unternehmen (KMU) sowie für die soziale Infrastruktur. Wir stützen so Verbraucher*innen und
Wirtschaft. Wenn es zur Bewältigung der Krise und der Aufrechterhaltung unserer
Wirtschaftskraft notwendig wird, muss die Schuldenbremse ausgesetzt werden - auch und gerade
in den Bundesländern. Gleichzeitig müssen wir aber auch in die sozial-ökologische
Transformation sowie die Unabhängigkeit unserer Energieversorgung investieren. Nur so kommen
wir raus aus der von Putin getriebenen fossilen Inflation und machen unsere Wirtschaft und
Industrie zukunftsfest.
Wir werden leider nicht alle Lasten, die in diesem Winter auf uns zukommen, ausgleichen
können, wollen aber alles tun, damit niemand seinen Wohnraum verliert, im Dunkeln sitzen
oder frieren muss. Ein Instrument dazu ist ein bundesweites Strom- und Gassperrenmoratorium.
Deshalb ist es wichtig, unsere Möglichkeiten gezielt einzusetzen, und dass auch diejenigen
ihren Beitrag leisten, die in der Krise gut über die Runden kommen oder als Unternehmen
aufgrund der Krise sogar zusätzliche Gewinne machen.
Soziale Sicherheit schaffen – in der Krise und darüber hinaus
Während sich viele Menschen um die nächste Nebenkostenabrechnung sorgen, fahren einige
wenige Energiekonzerne gerade milliardenschwere Gewinne ein – nicht etwa, weil sie besser
wirtschaften oder klug investiert haben, sondern einzig und allein, weil der russische
Angriff auf die Ukraine die Energiepreise derart in die Höhe getrieben hat. Wir drängen
deshalb bereits seit dem Frühjahr auf die Abschöpfung solcher Übergewinne, um mit den daraus
erzielten Einnahmen gezielt die Bürger*innen zu entlasten.
Mit dem Abschöpfen dieser zufälligen Übergewinne auf dem Strommarkt gehen wir nun einen
ersten wichtigen Schritt, um eine Strompreisbremse zu finanzieren. Damit soll der
Grundverbrauch an Strom für die Menschen bezahlbar bleiben. Für den darüber hinausgehenden
Verbrauch wird der jeweils aktuelle Marktpreis angelegt. So werden Verbraucher*innen, aber
auch kleine und mittlere Unternehmen entlastet und gleichzeitig zur Reduktion ihres
Verbrauchs angeregt. Wir begrüßen auch die Einigung auf europäischer Ebene hinsichtlich
einer Solidaritätsabgabe auf Unternehmensgewinne im Energiebereich jenseits des Stromsektors
und setzen diese schnellstmöglich um.
Bei der nationalen Umsetzung der Solidaritätsabgabe werden wir uns dafür einsetzen, dass die
Bundesregierung den Steuersatz auf die Übergewinne auf mehr als die Hälfte ansetzt, die
Abgabe für 2022 und für 2023 beschließt und das Gesetz so gestaltet, dass
Gewinnverschiebungen bspw. in die Schweiz verhindert werden. Das gelingt beispielsweise mit
einem (Über-)Gewinnproxi für die nationalen Gewinne als Bemessungsgrundlage. Das ist
wichtig, um ein effektives Instrument mit ausreichend Aufkommen für die notwendigen
Krisenentlastungen zu gestalten.
Die Strompreisbremse soll auch kleinen und mittelständischen Betrieben sowie Kommunen,
Vereinen, Verbänden oder Krankenhäusern und anderen Einrichtungen der Gesundheitsversorgung
sowie sozialen Einrichtungen zugutekommen. Für sie soll es ebenfalls ein vergünstigtes
Stromkontingent geben, weil auch hier die Belastungen durch die hohen Strompreise spürbar
sind. Daneben führen der schnellere Ausbau erneuerbarer Energien sowie die beschlossenen
Effizienz-Maßnahmen perspektivisch ebenfalls zu günstigeren Strompreisen.
Mit dem Vorliegen des Vorschlags der Komission beginnt jetzt die politische Debatte über die
Ausgestaltung. Wir machen uns stark für eine sozial ausbalancierte Lösung. Deswegen setzen
wir uns, wenn möglich für ein Mengen-Grundkontigent pro Haushalt und eine rückwirkende
Kompensation der steigenden Preise schon vor dem 1. März ein. Die Auszahlung kann
nachgelagert stattfinden.
Außerdem werden wir Maßnahmen ergreifen, um auch den Gaspreis zu senken. Wir werden die
Preise durch eine Gaspreisbremse - zumindest für einen Teil des Verbrauchs - auf ein Niveau
bringen, welches die Bürger*innen genauso wie die Unternehmen und Kommunen im Land vor
Überforderung schützt. Es gilt, europäisch solidarisch, sozial gerecht, effektiv und die
Transformation beschleunigend zu handeln. Deshalb werden wir uns auf europäischer Ebene
dafür einsetzen, den Gaspreisanstieg zu begrenzen. Um dem strukturellen Mangel zu begegnen,
müssen wir weiter Energie einsparen und in die Energiewende investieren. Dabei dürfen wir
nicht den Anreiz verringern, in CO2-freie Alternativen zum heutigen Erdgasbedarf zu
investieren.
Den Gaspreis senken bedeutet auch: Wir können nicht mehr jeden Einkaufspreis akzeptieren.
Eine geschlossen auftretende EU sollte ihr starkes Marktgewicht gegenüber Gas-exportierenden
Ländern und auf den globalen Spotmärkten für Flüssiggas einsetzen. Wir unterstützen daher
den Vorschlag der EU-Kommission für eine gemeinsame Einkaufsplattform, um die Einkaufskraft
Europas zu bündeln und Preise im Großhandel zu senken und so Preise auch insgesamt zu
dämpfen und zu stabilisieren.
Zusätzlich verpflichten wir jene zur Solidarität, welche von der angespannten finanziellen
Lage vieler Menschen profitieren: Wir fordern eine Deckelung der Zinsen für
Dispositionskredite für Privatkunden bei Banken. Dafür wollen wir einen maximalen, an den
Kosten der Banken orientierten Aufschlag auf einen konkret festzulegenden Bezugszinssatz, z.
B. dem 3-Monats-Euribor, festlegen.
In bisher drei Entlastungspaketen haben wir zusammen mit unseren Koalitionspartnern viele
Maßnahmen vereinbart, die denjenigen zu Gute kommen, die die steigenden Preise finanziell
besonders unter Druck setzen. Das sind gerade Menschen mit geringen und mittleren Einkommen,
darunter fallen viele Familien, Studierende, Rentner*innen, Menschen mit Behinderungen und
besonderen Bedarfen sowie Menschen, die auf Sozialleistungen angewiesen sind. Gerade für sie
haben wir uns in den Verhandlungen stark gemacht. Und das werden wir auch weiterhin tun:
Solange die hohen Preise es weiterhin notwendig machen, setzen wir uns für weitere
Sofortentlastungen wie sozial-gestaffelte und regelmäßige Direktzahlungen ein, die bei den
Menschen ankommen und nicht mit anderen Sozialleistungen verrechnet oder gepfändet werden.
Denn ein wirksamer Weg, um Menschen in der Breite kurzfristig vor den Folgen hoher
Energiekosten zu schützen, sind staatliche Direktzahlungen an private Haushalte. Daher haben
wir die Energiepreispauschale auf den Weg gebracht. Dadurch, dass diese der progressiven
Einkommensteuer unterliegt, stellen wir sicher, dass Menschen mit wenig Einkommen am meisten
profitieren. Nun erhalten auch Rentner*innen und alle Studierenden eine Einmalzahlung. In
der Transformation hilft auch ein sozial-gerechtes Klimageld, das wir – wie im
Koalitionsvertrag vereinbart – gemeinsam mit unseren Koalitionspartnern umsetzen wollen.
Direktzahlungen an alle Bürger*innen bieten zum einen die Möglichkeit einer sozial gerechten
Rückzahlung der Einnahmen aus dem CO2-Preis, zum anderen sind sie ein kurzfristiges
Kriseninstrument. Nur fehlt bisher in Deutschland dafür ein Auszahlmechanismus. Das
Finanzministerium muss diesen bis Ende des Jahres vorlegen.
Familien sind besonders betroffen von den steigenden Preisen. Deshalb wollen wir Familien
sehr gezielt unterstützen: Für von Armut betroffene Kinder gilt bis zur Einführung der
Kindergrundsicherung ein monatlicher Kindersofortzuschlag in Höhe von 20 Euro. Für Familien,
deren Einkommen nur knapp oberhalb der Grundsicherung liegt, wird der Kinderzuschlag erhöht
und für kindergeldberechtigte Kinder steigt das monatliche Kindergeld auf 237 Euro im Monat.
Die hohe Kinderarmut in Deutschland werden wir aber nur beenden, indem wir eine echte
Kindergrundsicherung einführen, die alle Kinder erreicht, unabhängig vom Familienmodell
ihrer Eltern. Auf dem Weg dahin müssen alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, um
familienpolitische Antragsleistungen wie den Kinderzuschlag oder Leistungen aus dem
Bildungs- und Teilhabepaket niedrigschwellig und unbürokratisch zugänglich zu machen. Mit
der Kindergrundsicherung werden wir die Familienförderung vom Kopf auf die Füße stellen und
ein zeitgemäßes Sozialstaatsverständnis umsetzen: einfach, automatisch berechnet und
ausgezahlt ohne aufwendiges Antragswesen bei verschiedenen Behörden. Damit werden wir Armut
– auch verdeckte – bekämpfen und sicherstellen, dass jedes Kind und jede*r Jugendliche*r
finanziell abgesichert ist.
Schon während der Pandemie haben junge Menschen große soziale Härten erlebt. Jetzt plagen
viele Sorgen wegen der Klimakrise und wie sie wegen der gestiegenen Preise über die Runden
kommen sollen. Wir setzen uns für weitere Entlastungsmaßnahmen, wie eine kurzfristige
Erhöhung des BAföG-Regelsatzes und der Mindestausbildungsvergütung ein. Zudem soll eine
Neuausrichtung des BAföG umgesetzt werden. Bund und Länder sollen dies prüfen. Um gut durch
den Winter zu kommen, brauchen Hochschulen und Studierendenwerke Unterstützung. Für uns ist
klar, dass Bildungs- und Forschungseinrichtungen weiterhin offen bleiben müssen.
Außerdem muss die im Koalitionsvertrag vorgesehene steuerliche Gutschrift für
Alleinerziehende jetzt auch schnell auf den Weg gebracht werden, denn Alleinerziehende
gehören zu denjenigen, die in diesem Land am meisten von Armut betroffen sind.
Menschen, die auf Sozialleistungen angewiesen sind, erhielten bereits eine Einmalzahlung von
200 Euro. Das neue Bürgergeld, das ab Januar 2023 die bisherige Grundsicherung ersetzt, wird
um 53 Euro steigen. Gleichzeitig ändern wir die Berechnungsmethode dauerhaft so, dass die
Inflation künftig früher in die Berechnung einfließt. Auch Kinder und Jugendliche im
Leistungsbezug haben künftig deutlich mehr Geld zum Leben. Und auch die Geldleistungen für
andere Sozialleistungsbeziehende sollen entsprechend fortgeschrieben werden, zum Beispiel in
der Grundsicherung im Alter oder für Asylsuchende.
Strukturell überwinden wir mit dem Bürgergeld endlich Hartz-IV und schaffen eine
bürgerfreundliche Grundsicherung, die zu mehr sozialer Sicherheit führt und den Fokus auf
Weiterbildung und Qualifizierung legt. Damit kommen wir unserem Konzept der grünen
Garantiesicherung einen wichtigen Schritt näher. Die gegenwärtig vereinbarte Erhöhung sehen
wir als ersten Schritt hin zu einer armutsfesten Grundsicherung, die auch die
soziokulturelle Teilhabe gewährleistet.
Der Regelsatz reichte jedoch schon in der Vergangenheit nicht aus, um mit dem
gesellschaftlichen Lebensstandard und der Preisentwicklung Schritt zu halten. Die aktuelle
Inflation bei Gütern des täglichen Bedarfs wie Lebensmittel oder Strom, für die Menschen in
der Grundsicherung einen Großteil des Regelsatzes ausgeben, liegt deutlich über der
allgemeinen Teuerungsrate. Für uns ist deshalb klar: Es besteht weiterhin dringender
Handlungsbedarf. Wir setzen uns dafür ein, dass es zügig zu Erhöhungsschritten kommt, wenn
sich die soziale Lage weiter zuspitzt. Wir setzen uns darüber hinaus noch in dieser
Legislatur dafür ein, eine Neuberechnung des Existenzminimums auf systematisch
aktualisierter Grundlage vorzunehmen. In diesem Zuge wollen wir bestehende Wohnkostenlücken
schließen und eine verlässliche Bedarfsdeckung beim Strom erreichen. Des Weiteren sollte der
Vermögensschonbetrag für Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen vorübergehend oder
dauerhaft nicht arbeitsfähig sind, weiter bedarfsgerecht angehoben werden.
Nachdem von uns im Koalitionsvertrag durchgesetzten Sanktionsmoratorium werden
Sanktionsmöglichkeiten über die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts hinaus deutlich
eingeschränkt. Wir wollen grundsätzlich, dass das soziokulturelle Existenzminimum ohne
Sanktionen garantiert wird. Und die Kultur im Jobcenter wird eine andere sein. Briefe kommen
künftig weitgehend ohne komplizierte Rechtsfolgenbelehrungen aus und werden somit
verständlicher. Statt Sanktionen setzt das Bürgergeld auf positive Anreize mit dem
Weiterbildungsgeld von 150 Euro und dem Bürgergeldbonus von 75 Euro pro Monat als Aufschlag
auf den Regelsatz. Wer sich auf den Weg in einen neuen Beruf macht, wird so direkt für seine
Anstrengungen belohnt – und nicht erst am Ende einer mehrjährigen Ausbildung. Auch insgesamt
wollen wir Zuverdienstmöglichkeiten attraktiver gestalten. Außerdem verstetigen wir den
Sozialen Arbeitsmarkt und stärken damit die Teilhabe von langzeitarbeitslosen Menschen am
Arbeitsleben. Dazu benötigen wir ausreichend ausgestattete Programme mit einer an
tariflichen Bezahlung angelehnten Vergütung, die Menschen über einen langen Zeitraum
unterstützen, um am Arbeitsleben teilnehmen zu können.
Um Menschen mit wenig Geld knapp oberhalb der Grundsicherung vor den hohen Heizkosten zu
schützen, unterstützen wir mit Heizkostenzuschüssen beim Wohngeld und im BAföG. Im kommenden
Jahr wird es außerdem eine große Wohngeldreform mit einer Heizkosten- sowie einer
überfälligen Klima-Komponente geben. Mit der Reform sollen weit mehr Menschen künftig
Anspruch auf Wohngeld haben. Die Wohngeldbeantragung und -bewilligung muss dabei
niedrigschwellig, digital und schnell gestaltet werden. Die Umsetzung ist eine
gesamtstaatliche Aufgabe, bei der der Bund die Länder und Kommunen unterstützen muss. Wir
haben im dritten Entlastungspaket zudem Regelungen vereinbart, damit Mieter*innen in
finanziellen Notsituationen ihre Wohnung nicht verlieren und Strom- und Gassperren
verhindert werden. Ein bundesweites Kündigungs- und Zwangsräumungsmoratorium für mindestens
6 Monate müssen jeweils jetzt zügig umgesetzt werden. Es braucht außerdem Schutz für
Haushalte mit Indexmieten. Denn bei Indexmietverträgen sind Mietsteigerungen an die
Entwicklung der Verbrauchspreise gekoppelt. Durch die Preissteigerungen droht den
betroffenen Mieter*innen eine massive Anhebung ihrer Miete – zusätzlich zu den steigenden
Heizkosten. Daher wollen wir bestehende Indexmieten deckeln und neue vor dem Hintergrund der
hohen Preissteigerungsrate beschränken. Zudem setzen wir uns für einen besseren Schutz von
Gewerbemieter*innen durch eine Gewerbemietpreisbremse ein. Darüber hinaus setzen wir uns
angesichts der hohen Belastungen für Mieter*innen für ein Nettokaltmietenmoratorium für
Städte mit angespanntem Wohnungsmarkt ein. Reguläre Mieterhöhungen der Nettokaltmiete würden
so für 6 Monate rechtssicher ausgesetzt werden. Außnahmen oder andere Maßnahmen wie ein
Härtefallfonds sollen soziale und wirtschaftliche Härten verhindern.
Bereits vor der aktuellen Krise ist bezahlbares Wohnen zur wichtigsten sozialen Frage in
urbanen Zentren geworden. In den letzten Jahren ist der Bestand an Sozialwohnungen stetig
zurückgegangen. Das müssen wir umkehren, indem wir die verbliebenen Bestände sichern und um
neue erweitern. Deshalb ist es richtig, dass wir uns im Koalitionsvertrag auf die neue
Wohngemeinnützigkeit und die finanzielle Förderung von Ländern und Kommunen für eine
sozialökologische Wohnungsbauoffensive geeinigt haben – beides muss nun zügig kommen. Wir
werden in hohem Umfang auch öffentlich geförderte Wohnungen bauen und dauerhaft sichern
sowie Bestandswohnungen in die soziale Bindung übernehmen. Dafür ist die neue
Wohngemeinnützigkeit ein wichtiger Baustein.
Klar ist: Wohnen ist ein Grundrecht und muss als Teil der Daseinsvorsorge verstanden werden.
Das bedeutet, dass Wohnen für alle bezahlbar ist. Dies gilt auch für den angemessenen
barrierefreien Wohnraum für Menschen mit Behinderung. Der Schutz und das Recht von
Mieter*innen muss dafür an verschiedenen Stellen gestärkt werden. Die Mietpreisbremse wollen
wir verlängern und verschärfen. Wir wollen das Geschäftsmodell mit möblierten
Kurzzeitvermietungen zu überhöhten Mieten abstellen. In angespannten Märkten werden wir die
Kappungsgrenze von 15 auf elf Prozent in drei Jahren absenken. Darüber hinaus halten wir
aber eine weitere Absenkung auf 9 Prozent für notwendig. Wir werden qualifizierte
Mietspiegel, die den Bestand ganzheitlich abdecken, stärken und rechtssicher ausgestalten
sowie für mehr Transparenz bei den Nebenkostenabrechnungen sorgen. Die Modernisierungsumlage
wollen wir strikter begrenzen, damit nicht so hohe Kosten auf die Mieter*innen abgewälzt
werden können. Auch muss Mietwucher wirksam bekämpft werden.
Wir müssen außerdem vermeiden, dass Menschen ihre Wohnung verlieren. Angesichts der
aktuellen Krise fordern wir ein bundesweites Räumungsmoratorium. Bereits ausgesprochene
Kündigungen sollten durch Nachzahlung der geschuldeten Miete zurückgenommen werden.
Strukturelle Wohnungs- und Obdachlosigkeit wollen wir bis 2030 beenden. Kurzfristig
unterstützen wir die Initiativen zur humanitären Versorgung von Obdachlosen und anderer
bedürftiger Menschen.
Wir wollen die Bodenwende einleiten, das bedeutet: Es braucht endlich eine stärkere
Regulierung der Bodenpreise durch eine Reform der Immobilienwertverordnung, damit überhaupt
wieder kostengünstig in angespannten Wohnungsmarktlagen gebaut werden kann für eine
nachhaltige und sozial ausgewogene Entwicklung des Wohnungsmarktes und des Wohnungsbaus. Wir
setzen uns für einen akteursreichen Wohnungsmarkt ein. Daher wollen wir ein transparentes
Immobilienregister und dabei die Compliance stärken.
Im Sinne einer integrierten Flächenentwicklung und der Schaffung von Wohnraum kommt
kommunalen Flächenreserven verstärkt eine Schlüsselfunktion zu. Das kommunale Vorkaufsrecht
wollen wir daher durch eine Änderung im Baugesetzbuch wieder ermöglichen und so
ausgestalten, dass es für Kommunen lückenlos rechtssicher durchsetzbar sowie finanzierbar
ist. Zugleich soll der soziale Wohnungsbau stärker unter inklusiven Gesichtspunkten
gefördert werden.
Wir wollen klare Festsetzungsmöglichkeiten zur Sicherung von bezahlbarem Wohnraum in
Bebauungsplänen ermöglichen. Die Verfahren zur Städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme wollen
wir verkürzen und stärken, um die Innenentwicklungen durch die Städte und Kommunen selbst zu
ermöglichen.
Die von uns durchgesetzte Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns auf 12 Euro zum
01. Oktober diesen Jahres bedeutet eine gezielte Gehaltserhöhung für viele Millionen
Menschen, insbesondere für Frauen und Beschäftigte in Ostdeutschland. Mit der Anhebung der
Midijobgrenze entlasten wir kurzfristig viele Menschen mit wenig Einkommen außerdem bei
Steuern und Sozialbeiträgen, halten aber am Grundsatz der Parität fest. Auch auf der
europäischen Ebene haben wir mit dem beschlossenen EU-Mindestlohn zum ersten Mal einen
gemeinsamen Standard gesetzt. Der EU-Mindestlohn ist ein wichtiges Werkzeug, um Armut
vorzubeugen, denn es müssen nun alle EU-Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen, dass nationale
Mindestlöhne ein menschenwürdiges Leben ermöglichen. Darüber hinausgehend braucht es eine
EU-Grundsicherung.
Mit dem 9-Euro-Ticket wurden Menschen in diesem Sommer bei der Mobilität spürbar entlastet.
Zudem konnten wir die Attraktivität des öffentlichen Nahverkehrs steigern. Es gilt nun, eine
ökologisch nachhaltige, einfache, bundesweit nutzbare und preisgünstige Form der Mobilität
zu realisieren. Die bereits vereinbarte Anschlussregelung soll aus unserer Sicht einen Preis
von 49 Euro nicht übersteigen. Mit weiteren Investitionen in die Schiene haben wir richtige
Weichenstellungen eingeleitet. Darüber hinaus wird es kurzfristig auch eine deutliche
Erhöhung der Regionalisierungsmittel für den ÖPNV brauchen, um Teilhabe in den Regionen zu
verbessern und eine nachhaltige Verkehrswende zu beginnen.
Ferner müssen wir die Daseinsvorsorge in Deutschland flächendeckend sichern. Die Corona-
Pandemie hat gezeigt, welche gravierenden Folgen es hat, wenn soziale Angebote und
Einrichtungen geschlossen sind oder die Arbeit stark einschränken müssen. Krankenhäuser
sowie andere Einrichtungen der Gesundheitsversorgung und Pflegeeinrichtungen stehen durch
die steigenden Energiekosten und Inflationseffekte vor enormen Sachkostensteigerungen, für
die oftmals keine Refinanzierung zur Verfügung steht. Das stellt sie vor existenzielle
Herausforderungen. Wir brauchen daher umgehend einen Schutzschirm für die betroffenen
Einrichtungen. Darüber hinaus muss die Daseinsvorsorge zukünftig strukturell krisenfest
abgesichert werden – unabhängig davon, ob es sich um eine weitere Pandemie oder eine andere
Krise handelt.
Hart getroffen sind auch die sozialen Dienstleister, also das gesamte Spektrum sozialer
Arbeit, der Kinder- und Jugendhilfe sowie der Beratungs-, Schutz- und Hilfeeinrichtungen.
Sie sind den massiv gestiegenen Kosten ausgeliefert und können diese nicht weitergeben. Auch
sie müssen wir nun davor schützen, in eine Notlage zu geraten.
Soziale Sicherheit und sozialer Ausgleich sind gerade in Krisenzeiten unverzichtbar, denn
starke Schultern können mehr tragen als schwache. Das bedeutet auch, Verteilungsfragen zu
stellen und Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten abzubauen. Gerade in der Krise ist der
gesellschaftliche Zusammenhalt gefordert.
Standort Deutschland schützen, unsere Industrie umbauen, Unternehmen retten
Die wirtschaftliche Lage ist angespannt. Besonders die kleinen und mittelständischen
Unternehmen, aber auch die energieintensiven Industrien brauchen dringend Unterstützung.
Wichtigstes Ziel ist es, die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Deswegen haben wir in
der Ampel-Koalition für einen 200 Mrd. Euro breiten Abwehrschirm gegen hohe Energiepreise
und zur Sicherung der Versorgungssicherheit aufgespannt. Wir müssen jetzt die finanzielle
Kraft aufbringen, die nötig ist, um die Substanz unserer Wirtschaft und die Arbeitsplätze in
unserem Land zu sichern und in die klimaneutrale Zukunft zu führen. Es geht darum, durch die
Krise zu kommen.
Die Energiekrise und die Inflation, aber auch die Dürre haben die Unternehmen in Deutschland
unter Druck gesetzt. Das Energiekostendämpfungsprogramm für die energieintensive Industrie
wollen wir deshalb bis zum Jahresende verlängern. Mit der Gaspreisbremse unterstützen wir
auch gerade die besonders betroffenen Branchen des Mittelstands und des Handwerks wie etwa
Bäckereien, die das Rückgrat unserer Wirtschaft bilden und die wir unbedingt schützen
müssen. Denn die Betriebe vor Ort haben eine herausragende Bedeutung für die lokale
Wertschöpfung, das soziale Gefüge und die Gesellschaft in den Dörfern und Städten.
Gerade kleinere und mittlere Betriebe der handwerklichen Lebensmittelverarbeitung sind durch
die weitere Steigerung der Rohstoff- und Energiepreise, in Verbindung mit Klimakrise und dem
zunehmenden Druck auf die gesamte Wertschöpfungskette belastet. Die Transformation der Land-
und Ernährungswirtschaft kann nur gelingen, wenn die lokalen Verarbeitungsstrukturen,
erhalten und gestärkt werden. Eine lokale, regionale nachhaltige Landwirtschaft braucht
regionale Verarbeitungsstrukturen für ihre Erträge.
Das Kurzarbeitergeld hat sich, zuletzt in der Pandemie, als Kriseninstrument bewährt. In
Zeiten externen Drucks hilft es, Personalabbau zu vermeiden und schützt Arbeitsplätze. Es
ist daher richtig, dass wir die Sonderregelungen für das Kurzarbeitergeld über den 30.
September 2022 hinaus verlängert haben. Damit schaffen wir Sicherheit für Unternehmen und
Beschäftigte. Auf europäischer Ebene setzen wir uns für eine dauerhafte Fortführung des
SURE-Instruments ein, das in Anlehnung an das deutsche Kurzarbeitergeld geschaffen wurde.
Gerade die öffentlich geförderte Kurzarbeit ist oft dazu geeignet, gezielte
innerbetriebliche Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen auf den Weg zu bringen.
Um kurzfristig die Liquidität der Unternehmen sicherzustellen, werden wir bestehende
Programme wie das KfW-Sonderprogramm „Ukraine, Belarus, Russland“ sowie die bereits während
der Corona-Pandemie eingeführten Erweiterungen der Bund-Länder-Bürgschaftsprogramme
verlängern. Auch das Margining-Finanzierungsinstrument wollen wir fortführen, um
Unternehmen, die an den Terminbörsen mit Strom, Erdgas und Emissionszertifikaten handeln,
den Zugang zu ausreichender Liquidität zu ermöglichen.
Um gerade kleine und mittlere Unternehmen sowie Freiberufler*innen und Solo-Selbständige in
der aktuellen Krisensituation zusätzlich finanziell zu entlasten, weiten wir den
Verlustrücktrag bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer für die Veranlagungszeiträume 2022
und 2023 auf die vier vorangegangenen Wirtschaftsjahre aus. Dadurch können die
Unternehmer*innen ihre Verluste mit den Gewinnen aus den wirtschaftlich guten Jahren 2018
und 2019 verrechnen und erhalten schneller die erforderliche Liquidität. Eine solche
Ausweitung des Verlustrücktrags ist eines der einfachsten und zielgenauesten Instrumente, um
Umsatzeinbrüche auszugleichen und es lässt sich auch mit bestehenden Hilfsprogrammen
kombinieren.
Mittelfristig sollen die Unterstützungsmaßnahmen auch die Transformation voranbringen. Es
ist daher gut, dass aktuelle Programme bereits Anstrengungen zu Ressourcen- und
Energieeffizienz verlangen. Außerdem sollten Unternehmen bei zusätzlichen antragsgebundenen
Hilfen besonderen Bedingungen wie beispielsweise einem Verzicht auf Boni- und
Dividendenausschüttungen unterliegen.
Richtig ist: Einen wirksamen und großen Rettungsschirm für kleine und mittelständische
Unternehmen gibt es nicht umsonst. Die Entlastungsmaßnahmen erfordern große Anstrengung und
Kreativität, auch innerhalb der Ampelkoalition. Es ist daher falsch, inmitten einer derart
tiefgreifenden Energie- und Wirtschaftskrise haushaltspolitische Dogmen über die praktisch
notwendige Unterstützung des deutschen Mittelstands zu stellen.
Um die Krise zu überwinden, wird es neben kurzfristiger Unterstützung massive Investitionen
brauchen. Wir müssen jetzt umfangreich in die nötige Transformation der Wirtschaft
investieren und in den kommenden Jahren das Tempo nochmals erhöhen. Nur so machen wir unsere
Gesellschaft zukünftig in den planetaren Grenzen unabhängig von fossilen Energiequellen. Das
schützt nicht nur das Klima, sondern senkt auch die Preise, bekämpft damit die fossile
Inflation und gibt unserer Wirtschaft Kraft für die Zukunft.
Wir brauchen ein Stabilisierungs- und Innovationspaket für unsere Wirtschaft, um diese
Zukunftsinvestitionen zu sichern. Dazu gehört eine finanzielle Stärkung des Klima- und
Transformationsfonds (KTF) zur Finanzierung von Maßnahmen für mehr Energieeffizienz. Es
lohnt sich, gezielt nachhaltige Technologien zu fördern, die den Energieverbrauch und
dadurch auch die Energiekosten und den CO2-Ausstoß senken. Schon jetzt unterstützen wir
Unternehmen bei Investitionen in Effizienz- und Substitutionsmaßnahmen.
Für die Umsetzung der sozial-ökologischen Transformation muss der Staat alle Hebel in
Bewegung setzen, um die nötigen Investitionen zu ermöglichen. Klare Rahmenbedingungen und
vereinfachte Planungs- und Genehmigungsverfahren für transformative Investitionen schaffen
Planungssichertheit für Unternehmen und beschleunigen die Umsetzung. Eine starke
Finanzmarktregulierung und -aufsicht wird gebraucht, auch weil ökologische und soziale
Risiken für Anleger*innen nur durch Transparenz sichtbar und Kapitalströme damit von
fossilen in klimaresiliente und transformative Investitionen umgelenkt werden. Zusätzlich
können positive Anreize Potenziale erweitern und so gleichzeitig die Preisentwicklung
dämpfen. Weitere Hebel dafür sind die Stärkung resilienter Lieferketten und eine bessere
Verfügbarkeit von Arbeits- und Fachkräften.
Eine zunehmende Herausforderung für Unternehmen ist es, genügend Arbeitskräfte zu finden. In
einigen Branchen und Regionen ist dieser Mangel inzwischen kaum zu übersehen und wird sich
aus demografischen Gründen weiter verschärfen. Allein 2022 werden über 330.000 Menschen mehr
in Rente gehen als ins Berufsleben starten. Diese Lücke wird sich bis 2030 etwa verdoppeln.
Das ist nicht nur ein Problem der Wirtschaft und der Sozialversicherungssysteme. Auch die
ökologische Transformation der Wirtschaft kann nur gelingen, wenn ausreichend Menschen im
Handwerk, in der Planung und Forschung tätig sind. Deshalb werden wir uns entschieden dafür
einsetzen, den Arbeitskräftemangel zu lindern. Dabei legen wir einen Fokus auf
Qualifizierung, Aus- und Weiterbildung sowie eine Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf
und Familie. Dies ist auch ein Beitrag, um die Erwerbstätigkeit von Frauen zu erhöhen. Wir
wollen die Hürden für Frauen abbauen, damit sie sich eigenständig absichern können und ihre
Fachkompetenz dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht. Dazu muss die Steuerklasse V zügig
abgeschafft werden, um die monatliche Steuerlast zwischen den Ehepartner*innen gerechter zu
verteilen. Darüber hinaus muss das Steuersystem modernisiert werden und für neu geschlossene
Ehen das Ehegattensplitting reformiert werden, damit gleichberechtigte Lebensentwürfe nicht
länger benachteiligt werden.
Bei Qualifizierung, Aus- und Weiterbildung braucht es eine geschlechtersensible Stärkung der
Berufsorientierung an den Schulen, mehr Qualifizierung in Unternehmen sowie einen
flächendeckenden Ausbau von Weiterbildungsagenturen, die auch jenseits von starren
Geschlechterrollen beraten. Eines der effektivsten Mittel gegen den Fachkräftemangel ist es,
jedem eine gute Ausbildung zu ermöglichen. Deswegen wollen wir zeitnah eine
Ausbildungsplatzgarantie einführen. Durch die Umlagefinanzierung unterstützen wir vor allem
die kleinen und mittleren Unternehmen, die qualitativ hochwertige Ausbildungen anbieten. Für
die Beschäftigten sind attraktivere Arbeitsbedingungen, passgenaue Arbeitszeiten und eine
gute Bezahlung entscheidende Faktoren, um mehr zu arbeiten. Unternehmen, die gut bezahlen
und für ein gesundes Arbeitsumfeld sorgen, werden es leichter haben, Fachkräfte an sich zu
binden.
Zusätzlich gilt es, die Anerkennung von im Ausland erworbenen Berufsabschlüssen zu
vereinfachen und zu beschleunigen. Mit einem Fokus allein auf Potenziale im Inland werden
wir dem Mangel an Arbeitskräften allerdings nicht beheben können. Es braucht auch Menschen
aus dem Ausland, die längerfristig hier im Land leben und arbeiten wollen. Deshalb werden
wir die rechtlichen Hürden senken, die verhindern, dass Menschen zusammen mit ihren Familien
nach Deutschland kommen können. Neben diesen Maßnahmen werden wir auch Bürokratie weiter
abbauen, um Arbeitsabläufe und Entscheidungsprozesse nicht nur zu beschleunigen, sondern
auch den erforderlichen Arbeitsaufwand für Verwaltung, Unternehmen und Privatpersonen
insgesamt zu verringern.
Darüber hinaus müssen unsere Lieferketten widerstandsfähiger werden. Wir haben uns zu
abhängig gemacht von einzelnen Handelspartnern und Absatzmärkten und von der Just-In-Time-
Produktion, die bei logistischen Schwierigkeiten Lieferketten reißen lässt. Wir müssen mit
einer neuen Handelsagenda unsere Handelsbeziehungen auf breitere Füße stellen, sie
resilienter, fairer und nachhaltiger machen. Damit können wir für zukünftige Krisen
vorbauen, die Preissteigerungen heute lassen sich damit noch nicht bekämpfen. So – und mit
den Mitteln der Entwicklungspolitik – wirken wir gemeinsam mit unseren Partner-Staaten
darauf hin, dass soziale, ökologische und menschenrechtliche Standards entlang der gesamten
Wertschöpfungs- und Lieferkette eingehalten sowie in der Produktion und Wertschöpfung
ausgebaut werden.
In den vergangenen Jahrzehnten hat sich Europa bei kritischen Rohstoffen vermehrt in eine
Abhängigkeit von China begeben. Fast zwei Drittel der von der EU als kritische Rohstoffe
eingestuften Ressourcen werden derzeit überwiegend in China abgebaut. Wir haben zu lange
nach dem Prinzip gewirtschaftet, dass dort gekauft wird, wo es am billigsten ist. Häufig
sind das Rohstoffe aus China. Gleichzeitig dürfen wir jedoch keine protektionistischen
Tendenzen fördern. Wir brauchen die Globalisierung – aber eine faire und nachhaltige. Daher
setzen wir uns dafür ein, dass Kostenvorteile, die durch die Nichteinhaltung von
ökologischen und sozialen Standards entstehen, bei Eintritt in den europäischen Binnenmarkt
im Sinne der Anti-Dumping-Regeln ausgeglichen werden.
Um die Resilienz unserer Lieferketten zu stärken, müssen wir Einkaufsquellen
diversifizieren, resilientere Logistikstrukturen aufbauen und auf europäischer Ebene
gemeinsam handeln. Wir unterstützen daher den Vorschlag der Europäischen Kommission, mit dem
Notfallinstrument für den Binnenmarkt die Resilienz und Krisenvorsorge der EU zu verbessern.
Im Rohstoffbereich ist eine Verringerung des Verbrauchs notwendig. Dazu müssen die
notwendigen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Auf dem Weg zur Kreislaufwirtschaft
brauchen wir eine neue Rohstoffpolitik, die den Einsatz von Primärrohstoffen reduziert,
fossile durch nachwachsende Rohstoffe ersetzt und die globale Rohstoffgewinnung an hohe
Transparenz-, Sozial- und Umweltstandards bindet. Auch die Unternehmen sollten ihre
Bemühungen hier deutlich verstärken.
Um die Energieversorgung zu sichern und leistbare Energie für alle sicherzustellen,
beschleunigen wir die Energiewende. Um diese auch demokratisch mitgestalten zu können,
setzen wir unter anderem auf die Rekommunalisierung von Energienetzen und eine dezentrale
Energieversorgung in Bürger*innenhand. Das bedeutet für uns auch, dass im Rahmen von
staatlichen Unternehmensrettungen von Mitbestimmungsrechten Gebrauch gemacht wird.
Die drei Entlastungspakete und der Abwehrschirm sind darauf ausgerichtet, die schweren
sozialen und ökonomischen Folgen der Energiekrise abzumildern. Die Symptome der fossilen
Inflation werden so gelindert. Jetzt gilt es aber auch die Ursache zu bekämpfen: unsere
Abhängigkeit von fossilen Energien. Die USA investieren mit dem Inflation Reduction Act 370
Milliarden US-Dollar vor allem in Klimaschutz. Auch wir wollen die Potentiale der
Erneuerbaren Energien und der Energieeffizienz nutzen, um die Energiepreise langfristig in
den Griff zu kriegen - aber ohne Protektionismus. Nur wenn uns die Transformation der
Wirtschaft aus der Abhängigkeit von fossilen Energien gelingt, haben wir als
Industriestandort eine Zukunft. Die Bundesregierung muss deshalb alle
Klimaschutzinvestitionsbremsen lösen und die ordnungsrechtlichen Rahmenbedingungen
konsequent auf den schnellstmöglichen Ausbau von Erneuerbaren, Energieeffizienz und
Energieeinsparung umstellen.
Fossile Inflation bekämpfen – fossile Energien ersetzen
Wir wollen mit einem Gesetz zur Bekämpfung fossiler Inflation (InflationsbekämpfungsG) bei
den Ursachen der fossilen Inflation ansetzen:
- 100 Milliarden Euro zusätzlich für Klimaschutzinvestitionen. Um die Energiekosten
langfristig zu senken, sichern wir den Ausbau der Produktionskapazitäten für Wärmepumpen,
Windkraft- und Photovoltaik-Anlagen staatlich ab und richten die öffentliche Beschaffung
konsequent an den Klimaschutzzielen aus. Auch die energetische Modernisierung öffentlicher
Gebäude und die komplette Umstellung der Straßenbeleuchtung auf LED dürfen nicht länger an
fehlenden Investitionsmitteln scheitern. Mit den Mitteln soll zudem mit dem Bau einer
Infrastruktur für Grünen Wasserstoff begonnen werden. Wir weiten die aufsuchende
Energiesparberatung deutlich aus, um die Vulnerabilität von Haushalten gegenüber
Energiepreisen nachhaltig zu verringern.
- Ausbau der Erneuerbaren Energien kurzfristig wirksam beschleunigen. Damit die Erneuerbaren
die Kosten für Strom, Mobilität und Wärme noch stärker dämpfen, soll das
InflationsbekämpfungsG Regelungen enthalten, mit denen bereits genehmigte, aber noch nicht
fertiggestellte Windenergieprojekte unkompliziert erweitert werden können, für die PV-
Sonderausschreibungen muss Zusätzlichkeit gewährleistet werden.
- Energieverschwendung ordnungsrechtlich verringern. Um teure fossile Energien einzusparen,
wollen wir mit dem InflationsbekämpfungsG das Ordnungsrecht nutzen: Gebot zur Nutzung
industrieller Abwärme, Gebot zum Ersatz von Erdgas-Straßenbeleuchtung, Stopp des Ausbaus des
Gasverteilnetzes und des Neuanschlusses von Wohngebäuden ans Gasnetz in Fernwärmegebieten,
Verbot besonders energieaufwändiger und leicht zu substituierender Verpackungen, Ausweitung
von Mehrwegsystemen, Einführung einer Sanierungspflicht für die Gebäudeklassen G und H,
Beendigung von Leerflügen. Die Regelungen zur Zwangsabschaltung von Wind- und PV-Anlagen
wollen wir drastisch reduzieren, auch um Strompreise kurzfristig zu senken.
- Gesetzliche Mindestvorgaben zum Klimaschutz auch im Verkehrssektor erfüllen. Das
Bundesklimaschutzgesetz definiert jahresscharf zulässige Treibhausgas-Emissionsmengen, die
insbesondere im Verkehrssektor bisher nicht eingehalten werden. Falls der
Bundesverkehrsminister keine anderen kurzfristigen Maßnahmen benennt, mit denen er den
Verbrauch von Benzin, Diesel und Kerosin auf das zulässige Maß verringert, kann auf ein
Tempolimit nicht weiter verzichtet werden. Das Klimaschutzgesetz ist ein Gesetz und keine
unverbindliche Leitlinie. Die jahresscharfen Sektorziele und das daraus resultierende
Treibhausgasbudget sind einzuhalten.
- Internationale Klimafinanzierung anheben. Durch die Diversifizierung unserer Gasimporte
exportieren wir die fossile Inflation in Länder des globalen Südens. Sie zahlen den größten
Preis dafür, dass Deutschland sich in den letzten Jahren immer stärker in die Abhängigkeit
Russlands begeben hat. Deshalb wollen wir die internationale Klimafinanzierung, die auch dem
weltweiten Ausbau der Erneuerbaren Energien dient, deutlich stärker anheben als bisher
vorgesehen.
200 Milliarden für den Abwehrschirm helfen Deutschland in der Krise, gleichzeitig geht es
jetzt darum Deutschland aus der Krise zu helfen und mit aller Kraft die Ursachen der
fossilen Inflation bekämpfen. InflationsbekämpfungsG und der Abwehrschirm sind deshalb für
uns inhaltlich und politisch eng miteinander verbunden.
Gemeinsam durch einen Winter der Solidarität
Wir sehen, wie groß die Herausforderungen und die Last sind, die all die Menschen und
Unternehmen in diesem Land tragen. Es braucht uns alle, unseren Zusammenhalt und unsere
Solidarität, um diese Lasten gemeinsam zu schultern. Gerade in dieser Zeit spielen soziale
Bewegungen und Bündnisse eine wichtige Rolle. Sie bilden einen Organisations- und
Resonanzraum, können auf Missstände aufmerksam machen und den politischen Handlungsdruck
erhöhen, um die bestehenden sozialen Ungerechtigkeiten weiter zu bekämpfen. Aktuell laufen
soziale Demonstrationen in vielen Städten an, wie zum Beispiel die Großdemonstration vom
Paritätischen Wohlfahrtsverband, Verdi, BUND und Co.: Wir verstehen diese Proteste als
Auftrag, uns innerhalb der Regierung für eine soziale Krisenbewältigung einzusetzen und
solidarisieren uns mit ihnen.
Gleichzeitig erleben wir auch jetzt, wie Rechte und Demokratiefeinde die Krise für ihre
eigenen Zwecke nutzen. Hasserfüllte Angriffe auf Regierungsvertreter*innen oder
Ehrenamtliche sowie der Versuch, die mutige Freiheitsbewegung der Montagsdemonstrationen in
der DDR für Hass und Hetze zu missbrauchen, sind inakzeptabel. Perfiden Spaltungsversuchen
und Verschwörungserzählungen treten wir fakten- und evidenzbasiert entgegen und
solidarisieren uns mit allen, die unsere Unterstützung brauchen.
Die kommenden Monate sollen zu einem Winter der Solidarität werden. In Bund, Ländern und
Kommunen arbeiten wir mit aller Kraft an den konkreten Problemen und tun alles dafür, dass
wir mit Stärke und Entschlossenheit gemeinsam diese Krise überstehen. Es ist die russische
Regierung mit ihrem Angriff auf Freiheit, Würde und Unversehrtheit der Menschen in der
Ukraine, die auch unsere Freiheit und Sicherheit bedroht. Es ist der Kreml, der mit seinen
Erpressungsversuchen Europa in soziale und ökonomische Verwerfungen stürzen will. Aber wir
lassen uns weder spalten noch erpressen. Wir halten Stand.