Veranstaltung: | 48. Bundesdelegiertenkonferenz |
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Tagesordnungspunkt: | FS Wertegeleitet, multilateral, handlungsfähig: grüne Friedens- und Sicherheitspolitik in der Zeitenwende |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Bundesdelegiertenkonferenz |
Beschlossen am: | 15.10.2022 |
Eingereicht: | 15.10.2022, 17:40 |
Antragshistorie: | Version 1 |
Solidarität mit den mutigen iranischen Frauen und ihrem Kampf für Freiheit
Beschlusstext
Bündnis 90/Die Grünen stehen ungebrochen solidarisch an der Seite der Menschen, die im Iran
leben. Menschen- und insbesondere Frauenrechte müssen gewahrt und geachtet werden. Wir
solidarisieren uns mit dem inspirierenden Mut allen voran iranischer Frauen, die trotz aller
Repressionen für ihre Freiheit und für ihre Rechte im Iran auf die Straße gehen.
Bündnis 90/Die Grünen mit ihren Wurzeln in der Bürger*innen-Bewegung stehen national wie
international Feministinnen, der Klima- und Bürgerrechtsbewegung, den LGBTQI-Aktivist*innen
und der Eine-Welt-Bewegung und ihrem Kampf für Freiheit, Gleichheit, Menschen- und
Bürger*innenrechte bei. Menschenrechte und Frauenrechte gehören weder „dem Westen“ noch „dem
Osten“, sie sind universell und in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verbrieft.
Wir verurteilen die Repression und brutale Gewalt durch das Regime entschieden. Die
Bestrebungen nach politischer und religiöser Freiheit, Selbstbestimmung und Demokratie im
Iran unterstützen wir ausdrücklich. Im Iran werden Menschen-, Bürger*innen- und Frauenrechte
systematisch missachtet und verletzt.
Angehörige ethnischer und religiöser Minderheiten wie etwa Kurd*innen, Balutsch*innen,
Baha’is, oder Sufis sind im Iran oft vielfachen Diskriminierungen und Verfolgungen
ausgesetzt. Aufgrund diskriminierender Gesetze sind Homosexuelle und andere sexuelle
Minderheiten (LGBTQI) im Iran regelmäßig der Gefahr von Belästigung, Gewalt und sogar dem
Tod ausgesetzt.
Jedes Jahr werden Millionen von Frauen im Iran staatlich organisiert angehalten, schikaniert
und sanktioniert, weil sie das Kopftuch „nicht korrekt“ tragen. Langjährige Gefängnisstrafen
und Misshandlungen während der Haft sind an der Tagesordnung. Seit der Amtsübernahme des
iranischen Präsidenten Ebrahim Raissi ist die Verfolgung von Frauen durch die sogenannte
Moralpolizei weiter verschärft worden.
Friedliche Proteste werden unterdrückt und niedergeschlagen. Unzählige Fälle von
Verschwindenlassen sind dokumentiert, diese Dokumentation wird vom Staat allerdings schlicht
ignoriert. Journalist*innen, Regierungskritiker*innen, Menschenrechtsverteidiger*innen und
zivilgesellschaftliche Aktivist*nnen werden willkürlich festgenommen und oft ohne faire
Gerichtsverfahren verurteilt. Häufig erleiden politische Gefangene in der Haft Folter und
Misshandlungen und ihnen werden notwendige medizinische Behandlungen vorenthalten.
Seit den Protesten von 2019 haben die Justizbehörden des Regimes den Preis für friedlichen
Dissens dramatisch erhöht und Dutzende von Menschenrechtsverteidiger*innen und -
aktivist*innen zu jahrzehntelangen Haftstrafen verurteilt. Schwerwiegende Missbräuche durch
die Sicherheits- und Geheimdienstbehörden bei den landesweiten Protesten von November 2019
werden bis heute vertuscht, genauso wie die zahlreichen Todesopfer der Proteste. Laut eines
umfangreichen Berichts von Amnesty International sind insgesamt rund 7000 Männer, Frauen und
auch Kinder innerhalb weniger Tage festgenommen, gefoltert und misshandelt worden. Dadurch
seien zweifelhafte „Geständnisse“ über Teilnahmen an Demonstrationen, Mitgliedschaft in
Oppositionsgruppen sowie Kontakte zu ausländischen Regierungen und Medien erzwungen worden.
Darüber hinaus wurden einige junge Männer auf Grundlage des Vorwurfs, sich während der
Proteste an gewalttätigen Ausschreitungen beteiligt zu haben, zum Tode verurteilt und
hingerichtet.
Wir fordern die Regierung Irans auf, die Diskriminierung und Verfolgung von
Menschenrechtsverteidiger*innen, religiösen und ethnischen Minderheiten, Frauen, LGBTQI,
Journalist*innen, Umweltaktivist*innen, anders Denkenden und Oppositionellen einzustellen.
Wir begrüßen, dass die Bundesregierung auf Rechtsstaatlichkeit sowie auf die Einhaltung der
Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts dringt. Die Initiative der Bundesregierung,
bei der EU die Verantwortlichen für die Gewalt der iranischen Sicherheitskräfte in das EU-
Sanktionsregime aufzunehmen, sowie die schnelle Aktualisierung des Lageberichtes Iran des
Auswärtigen Amtes als Grundlage für die Entscheidungspraxis des BAMF im Asylverfahren zu
nehmen, ist folgerichtig.
Angesichts der aktuellen Lage im Iran halten wir die Aussetzung von Abschiebungen in den
Iran für dringend geboten.
Aufgrund einer falschen Einschätzung der Sicherheitslage durch die Große Koalition in
Afghanistan und dem Iran wurden Personen abgeschoben, die sich nichts zu Schulden kommen
ließen und zum Beispiel direkt von ihren Ausbildungsplätzen abgeschoben wurden. Sie sehen
sich nun mit der katastrophalen Lage in diesen Ländern konfrontiert. Wir wollen, dass die
dreijährige Einreisesperre für diesen Personenkreis aufgehoben wird.
Geschlechtsspezifische Verfolgung, etwa durch diskriminierende Kleidungsvorschriften, bei
deren Missachtung den Betroffenen martialische Strafen drohen, sollen konsequent,
vollumfänglich und grundsätzlich im Asylverfahren anerkannt werden.
Bündnis 90/Die Grünen setzen sich auf Bundes- und Landesebene dafür ein, dass die nach
Deutschland geflohenen Iraner*innen, die bisher nur eine Duldung haben, ein Bleiberecht oder
mindestens einen subsidiären Schutzstatus im Folgeasylverfahren erhalten. Zudem wollen wir,
dass häufiger und schneller humanitäre Visa für akut bedrohte
Menschenrechtsverteidiger*innen erteilt werden.
Auch in Deutschland versucht das Regime, seine Kritiker*innen zum Schweigen zu bringen.
Durch Ausspähung, Einschüchterung, Überwachung, Hacks und wie im Falle des Terroranschlags
im Berliner Restaurant „Mykonos“ sogar bis zur Ermordung von Oppositionellen. Wir stehen den
Opfern dieser Aktivitäten zur Seite und werden unseren Beitrag leisten, um diesem Treiben
ein Ende zu setzen.
Darüber hinaus setzen wir uns dafür ein, dass die Bundesregierung im Rahmen der EU und
gemeinsam mit internationalen Partner*innen zusammenarbeitet, um der iranischen Bevölkerung
zu helfen, Informationen frei und sicher im Internet und anderen Medien zu produzieren,
zugänglich zu machen und auszutauschen. Menschenrechtsverletzungen durch hohe Beamte des
iranischen Regimes müssen unabhängig untersucht, die Verantwortlichen zur Rechenschaft
gezogen werden. Wir setzen uns innerhalb der Bundesregierung und auf europäischer Ebene für
eine Ausweitung von personenbezogenen EU-Sanktionen, also von Einreisesperren und das
Einfrieren von Vermögenswerten, ein. Wir prüfen gemeinsam mit unseren internationalen
Partnern die Einstufung der für die Gewalt im Iran hauptsächlich verantwortlichen Gruppen
der Revolutionsgarden (IRGC) und der Milizen der Basidsch als Terrororganisationen. Diese
finanzieren und unterstützen aktiv Terrorgruppen in der Region und bringen dadurch Leid über
die Menschen, nicht nur im Iran, sondern auch in Libanon, Syrien, Jemen und Irak. Wir werden
unseren Beitrag leisten, ihnen dabei das Handwerk zu legen.
Zudem verlangen wir faire rechtsstaatliche Verfahren für alle Inhaftierten im Iran und die
sofortige und bedingungslose Freilassung aller politischen Gefangenen,
Menschenrechtsverteidiger*innen und LGTIQ-Aktivist*innen. Auch die Abschaffung inhumaner
Strafen wie Peitschenhiebe, die Einhaltung der Mindestgrundsätze der VN für die Behandlung
der Gefangenen (Nelson-Mandela-Regeln) und die vollständige Umsetzung der
Generalversammlungsresolution zur Menschenrechtssituation im Iran von 2021 sind überfällig.
Dazu gehört auch die notwendige Änderung des Art. 48 der iranischen Strafprozessordnung
dahingehend, dass allen Angeklagten endlich das Recht gewährt wird, durch eine
Verteidiger*in ihrer Wahl vertreten zu werden und Zugang zu einem fairen Verfahren im
Einklang mit dem VN-Zivilpakt zu erhalten.
Die Todesstrafe muss abgeschafft werden. Erst recht, wenn gegen die seitens des Iran
ratifizierte VN-Kinderrechtskonvention Minderjährige hingerichtet werden. Auch diesen
schulden wir unsere Solidarität und unsere Aufmerksamkeit.
Die Menschen im Iran gehen für ein Leben in Gleichberechtigung, Demokratie und Freiheit und
gegen die systematische Unterdrückung durch das Regime auf die Strasse. In diesem Kampf
werden wir ihnen mit aller Kraft beistehen.