Veranstaltung: | 48. Bundesdelegiertenkonferenz |
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Tagesordnungspunkt: | Verschiedenes (nicht gerankt) |
Antragsteller*in: | BAG Kultur (dort beschlossen am: 01.09.2022) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 01.09.2022, 19:36 |
V-16: Machtmissbrauch und Sexismus im Kulturbetrieb bekämpfen
Antragstext
Kultur ist mehr als ein nice-to-have, sondern der Ort, an dem wir die
Zusammenhänge unserer Gesellschaft, ihre Werte, Handlungsmodelle, Fragen und
Hoffnungen verhandeln. Gesellschaftlicher Kulturwandel (Wer spricht? Wer wird
gehört? Wie werden Themen verhandelt) hat mit der Kultur zu tun, mit der wir uns
identifizieren, die uns berührt und über die wir kommunizieren.
Wer Akteur*in von Kultur ist, wessen Perspektiven gehört werden, ist eine Frage
der Demokratie.
Häufig sind jedoch Zugänge noch stark patriarchal geprägt. Besonders in
Institutionen, in denen es wenig überprüfbare Regelungen gibt, kommt es immer
wieder zu Machtmissbrauch, wie zuletzt die Vorgänge in Bayreuth zeigten. Auf ein
echtes #metoo im Kulturbetrieb, wie es in den USA nach dem Öffentlichwerden der
Vorfälle um Harvey Weinstein kam, wartet der deutsche Kulturbetrieb noch immer.
Zudem beträgt der durchschnittliche Gender-Pay-Gap in der Kultur 24%.
Führungspositionen sind überwiegend von Männern besetzt.
Der Zugang zu individueller und projektbezogener Förderung ist derzeit nicht
geschlechtergerecht. Dies gilt gleichermaßen für Arbeits- oder
Aufenthaltsstipendien, dotierte Preise und Auszeichnungen sowie die
Verwirklichung von Projekten durch finanzielle Zuschüsse.
1) Machtmissbrauch bekämpfen – strukturelle Abhängigkeitsverhältnisse abbauen
Machtmissbrauch verfestigt überkommene gesellschaftliche Machtstrukturen und
hemmt die Entfaltung künstlerischer Arbeit.
Viele Bedingungen zu Machtmissbrauch entstehen auch durch die extrem unsicheren
Arbeitsbedingungen und befristeten Beschäftigungsverhältnisse.
Eine weitere ist die Macht einiger Akteur*innen, Karrieren zu verhindern oder zu
fördern in einem Beschäftigungsfeld, in dem die meisten eine hohe intrinsische
Motivation und Leistungsbereitschaft mitbringen, besonders, wenn prekäre
Beschäftigungen auf finanziell und strukturell abgesicherte und damit mächtigere
Strukturen stoßen, wie z.B. in Theatern oder Medienhäusern.
Eine Grundlage für Machtmissbrauch im Kulturbetrieb sind Strukturen, die
Leitungspersonen mit einer großen Machtfülle ausstatten und so künstlerisch
Beschäftigte in ein starkes Abhängigkeitsverhältnis bringen.
Bündnis 90/Die Grünen setzen sich gleichermaßen für Maßnahmen ein, die in den
bestehenden Strukturen Machtmissbrauch so weit wie möglich eindämmen, wie auch
für eine tiefgreifende Transformation in mit öffentlichen Mitteln geförderten
Kulturinstitutionen
regelmäßige externe Mediationen
Bündnis 90/Die Grünen fordern, dass für aus öffentlichen Mitteln geförderte
Institutionen regelmäßig mindestens einmal im Jahr eine externe Mediation/ein
Coaching durchgeführt werden soll, um Anliegen der verschiedenen Ebenen zur
Sprache zu bringen und nach und nach eine Basis für respektvolle Kommunikation
zu schaffen. Die dafür nötigen Gelder sollen in den Fördertöpfen der
Institutionen zweckgebunden eingestellt werden.
Die Auswahl der Mediator*innen/Coaches soll mit den jeweiligen
Mitarbeitendenvertretungen abgestimmt werden.
Zusätzlich soll einrichtungsnah eine Ombudsstelle als erste Anlaufmöglichkeit
eingerichtet werden und Anlaufstellen wie Themis für den Theaterbereich auch für
andere Sparten eingeführt werden.
verbindliche Verhaltenskodizes bei Verträgen von mit öffentlichen Mitteln
geförderten Institutionen
Einige Häuser und Branchen haben bereits Verhaltenskodizes entwickelt, die für
die Bereiche Machtmissbrauch und Diskriminierung verbindliche Regulierungen
schaffen.
Bündnis 90/Die Grünen fordern, dass auf dieser Basis entwickelte
Verhaltenskodizes verbindlicher Bestandteil von Verträgen in mit öffentlichen
Geldern geförderten Institutionen werden.
Zusätzlich soll es für alle Einrichtungen eine externe Beschwerdestelle geben,
so dass diese Vereinbarungen auch überprüfbar sind.
Stärkung der Mitarbeitendenvertretungen
Bündnis 90/Die Grünen fordern die Stärkung der Mitarbeitendenvertretung an
institutionell geförderten Einrichtungen durch Kündigungsschutz und Angleichung
an die Rechte von Personalräten und eine externe, von der Hausleitung
unabhängige Anlaufstelle im Fall von Konflikten.
Transparente und partizipative Besetzungsverfahren von Leitungspositionen
im Kulturbetrieb
Leitungspositionen öffentlich geförderter Kulturbetriebe sollen grundsätzlich
nach überprüfbar transparenten Verfahren unter maßgeblicher Einbeziehung der
Mitarbeitenden besetzt werden. Als wertvolle erste Hilfestellung für die
Gestaltung der Findungsverfahren kann die vom Dramaturgie-Netzwerk erarbeitete
Handreichung dienen.
Prekäre Beschäftigung im Kulturbetrieb auflösen
Bündnis 90/Die Grünen setzen sich gegen prekäre Praktika als Grundvoraussetzung
für künstlerische Beschäftigung und gegen Scheinselbständigkeit ein. Befristete
Kettenverträge für künstlerisch Beschäftigte sollen die Ausnahme, nicht mehr die
Regel sein.
2) Förderstrukturen überprüfen
Viele Ausschreibungen und Preise sind an die Altersgrenze 35 geknüpft. Dies
benachteiligt Personen, die nicht aus akademischen Haushalten stammen, weniger
finanzielle Sicherheit im Rücken haben und darum erst andere Ausbildungs- und
Arbeitswege einschlagen und Menschen, die Care-Arbeit leisten.
diskriminierende Altersgrenzen abschaffen
Bündnis 90/Die Grünen fordern die Abschaffung der Altersgrenze 35 bei der
Ausschreibung öffentlich geförderter Preise und Stipendien.
Explizite Neueinsteiger*innenpreise können stattdessen an eine Höchstdauer der
bisherigen künstlerischen Aktivität von z.B. 5 oder 10 Jahren geknüpft werden.
Altersspezifische Ausschreibungen sollen weiterhin möglich sein, allerdings auch
für andere Altersspannen.
Stipendien für Menschen mit Care-Verpflichtungen ermöglichen
Bündnis 90/Die Grünen fordern die Vergabe von Stipendien vergeben, die von
zuhause aus wahrgenommen werden können. Bei Residenzstipendien soll die
Unterbringung von Familien erlaubt sein (anders als derzeit in renommierten von
öffentlichen Geldern finanzierten Institution wie der Villa Aurora in Los
Angeles) und eine Kooperation mit lokaler Kinderbetreuung/Schule organisiert
werden (Positiv-Beispiel Villa Massimo/Rom).
3) Erste Schritte zum Schließen des Gender-Pay und Entscheidungsträgerinnen-Gaps
Bündnis 90/Die Grünen fordern schon lange die paritätische Besetzung von Jurys
und Gremien im Rahmen von öffentlichen Förderungsentscheidungen, die Besetzung
von Führungspositionen im Kulturbetrieb mit mehr Frauen und Maßnahmen gegen den
Gender Pay Gap. Diese Besetzungen sind immer intersektional zu denken.
Gelder und Posten quotieren
Wenn öffentliche Gelder Verwendung finden, wie bei der Besetzung von Intendanzen
und Führungspositionen an Institutionen, aber auch in der Besetzung der
programmentscheidenden Positionen auf unteren Ebenen, sollen diese Gelder und
Posten mindestquotiert vergeben werden. Dabei ist die intersektionale
Perspektive mitzudenken.
Das gilt ausdrücklich auch für die Bezahlung, so dass nicht schlechter bezahlte
Positionen an Frauen/weniger vertretene Gruppen und höher dotierte an Männer
vergeben werden. Dafür ist eine Transparenz bei der Vergütung notwendig.
Bündnis 90/Die Grünen fordern weiterhin die Mindestquotierung von Geldern und
Positionen auch für Jurybesetzungen, Preisvergaben, Stipendien und Moderationen,
die von öffentlichen Geldern finanziert werden.
4) Öffentlichkeitswirksame Preise
Die Vergabe an Aufmerksamkeit und Rezeption im Kunstbetrieb folgt immer noch
stark patriarchal geprägten Traditionen.
Auch der Deutsche Kulturrat hat in seiner Studie zum gender pay gap von 2020
festgestellt, dass neben dem Gender-Pay-Gap ein Gender-Show-Gap existiert, der
sich auf die Relevanzwahrnehmung und ökonomisch auswirkt
Erfahrungen im anglophonen Bereich mit hochdotierten Preisen wie dem Women's
Prize for Fiction verschieben diese Aufmerksamkeitstraditionen.
Eine weitere Form der Diskriminierung, die Frauen besonders im Kulturbetrieb
trifft, ist Altersdiskriminierung. Eine positive Rolle, die in den Kunstbetrieb
hineinwirkt, hat der Gabriele-Münter-Preis in der Bildenden Kunst für ältere
Frauen.
Aufmerksamkeitsökonomie diversifizieren
Bündnis 90/Die Grünen fordern die Schaffung hochdotierter Preise aus
öffentlichen Kassen für Frauen in allen Kunstsparten, die sich gegen
Altersdiskriminierung wenden, analog dem renommierten Gabriele-Münter-Preis, der
sich ausschließlich an Frauen über 40 richtet..
Da es um eine lenkende Funktion in der Aufmerksamkeitsökonomie geht, sollen die
Preisvergaben mit einer medienwirksamen Longlist, Shortlist und Preisverleihung
unter Anwesenheit prominenter Schirmherr*innen ausgerichtet werden.
Begründung
weiterführende Links
Konkrete Situation am Beispiel Literatur
Ausblick - nächste Schritte: Generelle Vielfalt im Kulturbetrieb und Datenerhebung
Kommentare
Tabitha Elkins:
Angela Bösselmann: