Veranstaltung: | 48. Bundesdelegiertenkonferenz |
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Tagesordnungspunkt: | V Verschiedenes |
Antragsteller*in: | Hannes Damm (KV Vorpommern-Greifswald) und 65 weitere Antragsteller*innen (Frauenanteil: 39%) |
Status: | Eingereicht |
Verfahrensvorschlag: | Weiterleiten an: Bundestagsfraktion |
Eingereicht: | 02.09.2022, 08:57 |
V-18: Russische Lobbytätigkeiten beleuchten - Untersuchungsausschuss „Energieabhängigkeit von Russland und Nord Stream 2“ einsetzen
Antragstext
Die Bundesdelegiertenkonferenz fordert die Bundestagsfraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf,
die Einsetzung eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses zu den Lobbytätigkeiten in
Zusammenhang mit der Energieabhängigkeit von Russland und insbesondere mit der Gaspipeline
Nord Stream 2 im Deutschen Bundestag zu beantragen.
Der Untersuchungszeitraum des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses soll sich auf die
Regierungszeiten von Gerhard Schröder (SPD) und Angela Merkel (CDU) bzw. die
Legislaturperioden von 1998 bis 2021 erstrecken.
Begründung
Allerspätestens mit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine Ende Februar 2022 ist offensichtlich geworden, welche dramatischen Konsequenzen die viel zu große Abhängigkeit der Bundesrepublik von russischem Erdgas für unsere eigenen politischen Handlungsspielräume und für die europäische Friedens- und Sicherheitsarchitektur hat. Auch aufgrund massiver, vermeidbarer energie- und sicherheitspolitischer Fehlentscheidungen der vergangenen deutschen Bundesregierungen fürchten die Menschen in der Ukraine heute um ihr Leben. Wir haben eine große Verantwortung und die moralische Pflicht, die Hintergründe umfassend und präzise aufzuarbeiten. Ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss im Bundestag ist hierzu ein sehr gutes Instrument.
Zum Zeitpunkt des Kriegsbeginns lag der russische Anteil an der bundesdeutschen Gasversorgung bei über 55 Prozent, eine unverantwortlich hohe Quote für einen einzelnen Lieferanten. Erst recht für einen Lieferanten, der Demokratie und Menschenrechten seit langer Zeit missachtet. Die Lüge einer vermeintlich sicheren, dauerhaften Energieversorgung durch russische Erdgas-Pipelines wurde spätestens durch den Angriffskrieg gegen die Ukraine für Alle sichtbar und auf schmerzliche Weise als geostrategisches Manöver entlarvt. Ebenso wurde das jahrelang vorgeschobene Argument, es handele sich bei Nord Stream 2 um ein „rein wirtschaftliches Projekt“ auch für Alle, die es zu diesem Zeitpunkt noch glauben wollten, durch die Realität widerlegt. Zwischen der vollständigen Befüllung des zweiten und damit letzten Stranges von Nord Stream 2 am 27.12.2021 und dem russischen Einmarsch in die Ukraine am 24.02.2022 lagen gerade einmal 8 Wochen, die direkten zeitlichen Zusammenhänge sind nicht von der Hand zu weisen.
Die vergangenen Bundesregierungen unter Gerhard Schröder (SPD) und Angela Merkel (CDU) haben die Steigerung der Energieabhängigkeit von Russland und selbst das - für die bundesdeutsche Energieversorgung unerhebliche - Pipeline-Projekt Nord Stream 2 bis zum Kriegsbeginn durchgehend unterstützt. Und das gegen die eindringlichen Appelle unserer mittel- und osteuropäischen Partner*innen, gegen die wissenschaftlichen Prognosen zum europäischen Gasbedarf und gegen die kritischen Stimmen im eigenen Land, wie sie aus unseren BÜNDNISGRÜNEN Reihen, von diversen Think-Tanks und von den unterschiedlichsten Verbänden langanhaltend und sehr deutlich artikuliert wurden.
Für uns in Deutschland ist es in der ersten Phase der Energiekrise wichtig, uns darauf zu fokussieren, die Versorgungssicherheit kurz-, mittel- und langfristig bestmöglich zu gewährleisten und soziale Härten, so weit es geht, abzufedern. In einem ersten Schritt ist es der neuen Bundesregierung unter maßgeblicher Mitwirkung unseres BÜNDNISGRÜNEN Bundeswirtschaftsministers Robert Habeck gelungen, den zu Beginn des Krieges noch über 55 Prozent liegenden Anteil russischen Erdgases an der bundesdeutschen Gasversorgung zügig auf aktuell etwa 35 Prozent zu senken. Bis zum Sommer 2024 wird eine Reduzierung auf nur noch 10 Prozent angestrebt. Erste Entlastungspakete und steuerliche Maßnahmen der Regierung mildern soziale Härten ab.
Gleichzeitig haben wir als Gesellschaft aber auch die Verantwortung aufklären, wie es zu der fatalen Abhängigkeit von Russland kommen konnte, welche die europäische Sicherheitsarchitektur in eine solche Notlage gebracht hat. Aktuell ist die Debatte um die russische Einflussnahme auf politische Entscheidungsträger*innen und die Überbewertung russischer Interessen viel zu weitgehend auf die Landespolitik in Mecklenburg Vorpommern verengt. So spielen die dortige Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD), ihr Vorgänger Erwin Sellering (SPD) und die zur Fertigstellung der Pipeline Nord Stream 2 durch das Land MV und Gazprom gegründete „Klimastiftung MV“ zwar eine zentrale Rolle bei den Verstrickungen mit Russland, können aber nur einen von mehreren relevanten Teilen einer angemessen Analyse darstellen. Die jahrelange überproportionale Fokussierung auf russische Interessen muss dringend auch in Bezug auf das Handeln der vergangenen Bundesregierungen untersucht und umfassend aufgeklärt werden.
Das aktuell prominenteste Beispiel für problematische Verstrickungen von ehemaligen Bundesregierungsmitgliedern mit Russland ist der SPD-Bundeskanzler a.D., Putin-Freund und heutige Gaslobbyist Gerhard Schröder. Nach der verlorenen Bundestagswahl legte Schröder am 24. November 2005 sein Bundestagsmandat nieder und erklärte seinen Rückzug aus der Politik. Gut zwei Wochen später, am 9. Dezember 2005, gab der Vorstandsvorsitzende der Gazprom AG, Alexej Miller, bekannt, dass Schröder zum Aufsichtsratsvorsitzenden der Nord Stream AG berufen werde. Seit 2006 steht Schröder offiziell im Dienst der Russischen Föderation - für ein Gehalt von mindestens 250.000 Euro pro Jahr.
Wenn größere Unternehmen und Verbände ehemalige Politiker*innen oder Führungspersonen der Ministerialbürokratie gezielt als Lobbyist*innen anheuern, befördert dies, so auch die NGO „LobbyControl“, eine Schieflage: Der privilegierte Zugang zu Insiderwissen und persönlichen Kontakten sichert und vertieft vorhandene Machtungleichgewichte und verzerrt demokratische Verfahren zu Gunsten derer, die es sich leisten können, ehemalige Spitzenpolitiker*innen anzuwerben und als Lobbyist*innen zu beschäftigen. Schaden nehmen dabei nicht nur unberücksichtigt gebliebene Interessengruppen, sondern auch das demokratische Gemeinwesen als Ganzes.
Auch die letzte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat ebenfalls auffällig intensive Beziehungen nach Russland unterhalten. So hatte sie unter anderem 2009 die Rettung der in ihrem Wahlkreis gelegenen MV Werften zur Chefsache erklärt und kurz vor der Bundestagswahl den russischen Oligarchen und früheren Energieminister Igor Jussufow inmitten einer internationalen Schiffsbaukrise als Investor gewonnen. Zwei Jahre später ging in Lubmin, ebenfalls in Merkels Wahlkreis gelegen, die russische Pipeline Nord Stream 1 an den Start. Merkel pflegte die deutsch-russische Gas-„Partnerschaft“ sogar noch nach dem Krim-Krieg 2014 und dem Anschlag Putins auf den Kreml-Kritiker Alexej Nawalny 2015. Die bis zuletzt enge und zuweilen verschleierte Einbindung Merkels zeigt sich zum Beispiel in einem Termin von MV-Ministerpräsidentin Manuela Schwesig im Bundeskanzleramt zum Umgang mit den russischen Sanktionen und dem Weiterbau der Pipeline Nord Stream 2 mittels der umstrittenen Fake-Klimastiftung. Dieser Termin wurde trotz entsprechender parlamentarischer Anfragen unter Verschluss gehalten und erst nach einer Veröffentlichung investigativer Journalist*innen eingeräumt.
Allein diese beiden exponierten Beispiele zeigen, dass es genug Gründe gibt, die Kontakte und Entscheidungen der vergangenen Bundesregierungen kritisch zu beleuchten und umfassend zu prüfen, ob, und wenn wie genau unangemessene Einflussnahme seitens Russland genommen werden konnte. Ferner soll der Untersuchungsausschuss konkrete Vorschläge erarbeiten, die eine erhöhte Krisenfestigkeit unserer Gesellschaft und mehr Unabhängigkeit von undemokratischer Interessendurchsetzung befördern.
Kommentare
Christian Göritz-Vorhof:
Holger Schauer:
Gretha Petereit:
Michael M. Kochen:
Eugen Schneider:
Im vierten Absatz hätte man noch folgendes voranstellen können:
Als Ausfluss des Kriegs in der Ukraine erlebt die Bundesrepublik Deutschland eine nie dagewesene Energiekrise, die in zunehmendem Maß die bisher prosperierende Wirtschaft und den gesellschaftlichen Zusammenhalt im Land massiv gefährdet. Wir wollen uns darauf fokussieren, ....
Hannes Damm: