Veranstaltung: | 48. Bundesdelegiertenkonferenz |
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Tagesordnungspunkt: | FS Wertegeleitet, multilateral, handlungsfähig: grüne Friedens- und Sicherheitspolitik in der Zeitenwende |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Bundesdelegiertenkonferenz |
Beschlossen am: | 15.10.2022 |
Eingereicht: | 15.10.2022, 22:02 |
Antragshistorie: | Version 1 |
Wertegeleitet, multilateral, handlungsfähig: grüne Friedens- und Sicherheitspolitik in der Zeitenwende
Beschlusstext
Der russische Angriff auf die Ukraine ab dem 24. Februar 2022 markiert einen historischen
Einschnitt für unsere Friedensordnung in Europa. Vladimir Putin zeigt uns mit diesem
völkerrechtswidrigen Angriffskrieg in aller Deutlichkeit, welche Ziele er verfolgt: Er führt
sein imperialistisches Machtstreben fort und will den Integrationsprozess in Europa
zurückdrehen. Die freie, demokratische Lebensweise in unseren offenen Gesellschaften sieht
er als Bedrohung der eigenen Machtbasis. Die auf dem Selbstbestimmungsrecht beruhende
regelbasierte internationale Ordnung hat er aufgekündigt. Als Demokrat*innen verteidigen die
Ukrainer*innen in diesem Krieg daher nicht nur ihr eigenes Territorium, sondern die Freiheit
aller, die in Frieden und Freiheit, in Würde und einer multilateralen, auf
Gleichberechtigung und dem Völkerrecht fußenden internationalen Ordnung leben wollen. Wir
stehen in voller Solidarität an der Seite dieser mutigen Menschen und der Ukraine. Wir
unterstützen sie entschlossen gegen die Aggression Russlands, die sich auch gegen uns selbst
und unsere Art zu leben richtet. Ein Erfolg Putins wäre eine globale Ermutigung für das
Recht des Stärkeren und ein Zurückdrängen der Stärke des Rechts.
Die Herausforderung, die Russland für uns bedeutet, nimmt das geeinte Europa an und leitet
dringend notwendige Kurskorrekturen in der eigenen Politik ein. Die Europäische Union und
ihre Mitgliedstaaten haben schnell, geschlossen und mit Klarheit auf die Aggression des
Kremls reagiert. Wir haben Sanktionen erlassen und den Ausstieg aus russischen Fossilen
beschleunigt. Wir werden uns dafür einsetzen, die Atomtransporte von und nach Rußland
endgültig zu beenden. Wir leisten humanitäre Hilfe, stellen die unbürokratische Aufnahme von
Geflüchteten sicher und bereiten unsere langfristige Unterstützung für den Wiederaufbau der
Ukraine vor. Wir unterstützen eine umfassende Aufarbeitung der von Russland in der Ukraine
begangenen Kriegsverbrechen, möglicher Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Verbrechen
der Aggression sowie die Ahndung solcher Verbrechen durch nationale und internationale
Gerichte. Wir liefern Waffen und bilden ukrainische Soldat*innen aus. Wir haben die eigenen
militärischen Kapazitäten gestärkt und den Schutz der Mitgliedsstaaten an den östlichen
Grenzen gesteigert. Wir haben einstimmig für einen EU-Kandidatenstatus der Ukraine und
Moldau sowie die Beitrittsperspektive für Georgien gestimmt – und unterstützen die Aufnahme
Finnlands und Schwedens in die NATO. Das Engagement der EU und auch Deutschlands wird
gebraucht für nachhaltigen Frieden, Freiheit und Sicherheit für alle Menschen im
Südkaukasus. Wir verurteilen den Angriff Aserbaidschans auf das Kernland Armeniens. Wir
stehen fest an der Seite aller Völker, die sich für den demokratischen Weg entschieden haben
und prangern jeden völkerrechtswidrigen Angriff eines Landes auf ein anderes an. Wir werden
alles in unseren Kräften Stehende zu tun, um die ukrainische Kultur, Sprache und Identität
zu erhalten.
Der russische Angriffskrieg in der Ukraine führt uns vor Augen, wie fatal es ist, wenn wir
uns von Autokraten und außenpolitisch aggressiven Akteuren abhängig machen. Auch bei
Kooperationen mit Ländern wie China, Katar, den Vereinigten Arabischen Emiraten oder Saudi-
Arabien muss dauerhaft vermieden werden, dass eine Abhängigkeit entsteht. Und wir stellen
fest, wie existentiell eine ausreichende zivile und militärische Wehrhaftigkeit ist -auch
für unsere Partnerstaaten. Deshalb liefern wir Waffen an die Ukraine und wollen das auch
weiterhin verstärkt und beschleunigt tun, wo nötig auch aus den Beständen der Bundeswehr und
der Industrie. Für uns ist entscheidend, was die Ukraine braucht. Deshalb setzen wir uns in
der Bundesregierung dafür ein, dass alle NATO-Partner - Deutschland inbegriffen - die
Bedarfe an Waffensystemen für die Verteidigung der Ukraine sowie zur Rückeroberung
annektierter oder besetzter Gebiete decken. Zur Wehrhaftigkeit gehört auch unsere
Mitgliedschaft in der NATO. Mit ihrer Beistandsverpflichtung garantiert sie als
multilaterales Verteidigungsbündnis unverzichtbaren Schutz für die gemeinsame Sicherheit
Europas und unserer Verbündeten.
Gleichzeitig werden wir von unseren tiefsten Überzeugungen als Friedenspartei nicht
abrücken. Auch wenn militärische Mittel zur Verteidigung und Wiederherstellung des Friedens
und zur Solidarität mit den Menschen in der Ukraine unausweichlich sind, stehen wir im Sinne
einer feministischen Außenpolitik langfristig auch für die Prinzipien von Abrüstung,
Vertrauensbildung und Rüstungskontrolle sowie den Vorrang des Zivilen ein. Feministischer
Außenpolitik liegt die Überzeugung zugrunde, dass Geschlechtergerechtigkeit und
gleichberechtigte Teilhabe Voraussetzungen für nachhaltigen Frieden und Sicherheit in der
Welt sind. Unsere Bemühungen zur Stärkung von Initiativen zur atomaren Abrüstung und zur
Rüstungskontrolle müssen wir gerade in diesen stürmischen Zeiten erhöhen. In unserem Streben
nach einer Welt ohne Atomwaffen werden wir nicht nachlassen.
Die Erschütterungen durch den russischen Angriff sind global und vergrößern vielerorts das
Leid von Millionen unschuldiger Menschen. Putins Aggression hat über einen drastischen
Anstieg der Lebensmittel- und Energiepreise zu einer beispiellosen Ernährungs- und
Versorgungskrise weltweit, insbesondere jedoch in den Staaten des Globalen Südens geführt.
Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen schätzt die Zahl der Menschen, die wegen
fehlender Nahrungsmittel in Lebensgefahr oder Existenznot geraten, in diesem Jahr auf 323
Millionen. Davon sind 47 Millionen Menschen allein durch Russlands Krieg in der Ukraine
hinzugekommen.
Diese Entwicklung verschlimmert die soziale und wirtschaftliche Situation gerade in den
Staaten, die bereits durch die Klimakrise und die sozioökonomischen Folgen der Covid-
Pandemie mit großen Versorgungskrisen zu kämpfen haben, und erhöht das Risiko interner
Konflikte. Diesem perfiden Versuch Putins, die Weltgemeinschaft zu spalten, müssen wir mit
verstärkter Kooperation zwischen den Demokratien und mehr multilateralem Engagement bei der
Bewältigung der globalen Krisen entschieden entgegentreten – insbesondere in den Bereichen
Klimaschutz und Energie, Ernährung und Konfliktbearbeitung. Denn die weltweite Sicherheit
hängt nicht vom simplen „für oder gegen“ Russland und China ab, sondern von der Frage, wer
das Völkerrecht und damit die Gleichberechtigung aller Staaten als Grundlage für die
internationale Friedensordnung akzeptiert, respektiert und verteidigt; und welche Staaten
stattdessen auf eine Politik des Großmachtstrebens setzen. Als Grüne treten wir entschlossen
für die Prinzipien des internationalen Rechts ein. Wir werden es nicht zulassen, dass
Freiheit durch Unterdrückung, Demokratie durch Diktatur und Würde durch Erniedrigung ersetzt
werden.
Der Erhalt der internationalen Friedensordnung kann nach dem Angriff Russlands auf die
Ukraine nur dann gelingen, wenn wir uns klar auf die Prinzipien einer wertegeleiteten
Außenpolitik sowie eines breiten, modernen Sicherheitsbegriffs verständigen – und auch
danach handeln. Dieser Sicherheitsbegriff muss das Digitale zum Schutz unserer Demokratie
vor Destabilisierungsversuchen von Staaten wie Russland umfassen. Und er muss die
menschliche Sicherheit im Mittelpunkt haben. Grüne Friedenspolitik heißt, sich genau dieser
Prinzipien immer wieder zu vergewissern, sie im Angesicht der Bedrohung der globalen
Friedensordnung zu schärfen und sich in der Regierung für ihre Umsetzung einzusetzen.
Russlands Teilmobilmachung darf nicht erfolgreich sein. Den jungen Männern Russlands muss
eine Alternative zum Kämpfen in diesem grausamen, völkerrechtswidrigen Angriffskrieg geboten
werden. Deswegen unterstützen wir Grüne eine schnellere und unbürokratischere Aufnahme
insbesondere von russischen und belarussischen Dissidenten. Aber auch Deserteuren und
Kriegsdienstverweigerern, die in der EU oder Deutschland Schutz suchen, muss nach einer
Sicherheitsüberprüfung Aufnahme gewährt werden. Erstaufnahmeländer wie Georgien, in die
hunderttausende Menschen aus Russland vor der Mobilmachung geflohen sind, sollten bei den
humanitären Herausforderungen unterstützt werden.
Für menschliche Sicherheit und eine feministische Außenpolitik
Unsere Außen- und Sicherheitspolitik bleibt geleitet vom Konzept der menschlichen
Sicherheit. Wir denken Sicherheit von jedem einzelnen Menschen aus, dessen Würde und
Freiheit im Zentrum unserer Politik stehen. Alle Menschen sollen frei von Furcht und Not
leben können. Wir integrieren endlich die sicherheitsrelevanten Aspekte aller Ressorts,
einschließlich Klimasicherheit, Ernährungssicherheit, digitale Sicherheit und die Sicherheit
kritischer Infrastruktur, welche militärische Landes- und Bündnisverteidigung, zivile
Konfliktbearbeitung, Diplomatie und Entwicklungszusammenarbeit ergänzen. Überall setzen wir
uns für den Vorrang der Prävention von Krisen, die Stärkung der Menschenrechte im Sinne der
Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung und die Überwindung struktureller Gewalt ein.
Ein zentraler Bestandteil unseres Verständnisses von Sicherheit ist auch eine feministische
Außenpolitik. Sie steht für die Umsetzung der Menschenrechte aller, die Gleichberechtigung
der Geschlechter, die Überwindung struktureller Diskriminierung marginalisierter Gruppen,
beispielsweise von Indigenen, von Rassismus Betroffenen oder LSBTIQ*, für die gerechte
Verteilung von Macht und Ressourcen sowie ein Leben in Würde und Selbstbestimmung aller.
Zahlreiche Forschungen belegen einen starken Zusammenhang zwischen Geschlechtergerechtigkeit
und Frieden. Die Überwindung der vorherrschenden strukturellen Gewalt gegen Frauen und
marginalisierte Gruppen ist Voraussetzung für nachhaltigen Frieden und umfassende
menschliche Sicherheit. Deshalb machen wir uns für die vollständige Umsetzung der Agenda
1325 ,,Frauen, Frieden, Sicherheit" stark, die wir innerhalb Deutschlands und international
vorantreiben. Dazu gehört auch, sexualisierte und genderbasierte Gewalt entschieden
einzudämmen, die reproduktiven Rechte von Frauen zu schützen und die Sicherheit und
Partizipation von Frauen und Mädchen in der Prävention von Konflikten, bei ihrer
Transformation und in Stabilisierungsprozessen in den Fokus zu nehmen. Deswegen müssen auch
Vergewaltigung, Ermordung von Zivilist*innen sowie Plünderungen als Kriegsverbrechen benannt
und geahndet werden. Unsere Außenpolitik und alle Politikfelder müssen daher in Kooperation
mit feministischen Akteur*innen ausnahmslos und institutionell verankert intersektional-
feministisch ausgerichtet werden. Hierzu suchen wir den Schulterschluss mit Akteur*innen auf
der ganzen Welt.
Unser Handeln darf Konflikte nicht befördern oder anderen Staaten in ihrer nachhaltigen
Entwicklung schaden. Deshalb setzen wir uns für die Entwicklung von ressortübergreifenden
Mechanismen ein, durch die politische Vorhaben mit deutlichem Außenbezug vor deren Umsetzung
auf ihre präventionsfördernde und krisenverschärfende Wirkung hin überprüft werden können.
Mittel für zivile friedensfördernde Maßnahmen – beispielsweise im Rahmen der zivilen
Krisenprävention, partnerschaftlicher Entwicklungspolitik, humanitärer Hilfe oder
zivilgesellschaftlicher Kooperationen wie Austauschprogrammen und dekolonialen Initiativen
sowie der Friedens- und Konfliktforschung – müssen gerade angesichts der aktuellen Weltlage
umfassend und adäquat aufgestockt werden. Dies gilt auch für Frühwarnsysteme für Konflikte
und gestärkte Analysefähigkeit. Vor allem die institutionelle Förderung in diesem Bereich,
wie die des Zivilen Friedensdienstes oder der Deutschen Stiftung Friedensforschung brauchen
eine Wachstumsperspektive. Zudem müssen wir die Verpflichtung in den Leitlinien
Krisenprävention für mehr Öffentlichkeitsarbeit für Friedensförderung endlich erfüllen.
Durch solche zivile Maßnahmen können strukturelle Marginalisierungen, Konflikte und damit
menschliches Leid in ihrer Intensität langfristig reduziert oder gar verhindert werden. Dies
führt zu nachhaltiger Stabilisierung und einer Verbesserung der Menschenrechtslage in den
betroffenen Staaten und Regionen.
Auch Tausende Studierende und Wissenschaftler*innen protestieren in Russland gegen den
Krieg. Wir wollen sicherstellen, dass die Wissenschaftsfreiheit der ausschließlich zivil
nutzbaren Forschung insbesondere für russische Exil-Wissenschaftler*innen, die sich gegen
den Krieg engagieren, sichergestellt wird.
In akuten Konflikten und Notsituationen müssen wir schließlich versuchen, durch rasche
humanitäre Hilfe die dringendsten Sicherheitsbedürfnisse der Betroffenen zu erfüllen. Das
Engagement für Geflüchtete aus der Ukraine sowie die zügige und umfangreiche Bereitstellung
von humanitärer Hilfe in der Ukraine selbst sind dafür gute Beispiele. Das System der
humanitären Hilfe ist aktuell jedoch finanziell und institutionell überfordert. Wir setzen
uns international für eine Reform und bessere Finanzierung des Systems der humanitären Hilfe
ein, mit dem Ziel, schneller und weitreichender agieren zu können sowie durch erhöhte
Wirkungsorientierung die Grundlage für langfristige und nachhaltige Entwicklung zu schaffen.
Auch bei der Eindämmung der von Russland massiv verschärften Ernährungskrise hilft die
Bundesregierung mit umfangreichen akuten Nahrungsmittelhilfen, der Bekämpfung von Dürren
oder der Unterstützung ukrainischer Getreideexporte durch den Aufbau alternativer
Transportwege. Dabei ist es wichtig, dass wir die weltweite Ernährungskrise mit Klimaschutz
und Biodiversität zusammen denken. Langfristig können wir die Ernährung der Weltbevölkerung
nur sichern, wenn wir entschlossen gegen die Klimakrise und den Biodiversitätsverlust
vorgehen und zeitgleich Strategien für die globale Landwirtschaft entwickeln, um sich dem
ändernden Klima adäquat anzupassen.
Die größte Herausforderung für die menschliche Sicherheit in unserer Zeit ist und bleibt die
Klimakrise. Sie bedroht das Leben von Millionen von Menschen sowie Frieden und Stabilität
weltweit. Globaler Klimaschutz verhindert daher nicht nur Konflikte mit all ihren negativen
Folgen. Fossile Energieträger, die uns in die Klimakatastrophe führen, setzen uns im
Umkehrschluss auch in Abhängigkeit von autokratischen und imperialistischen Akteur*innen,
wodurch unsere wirtschaftlichen und politischen Handlungsspielräume massiv eingeschränkt
werden. Internationale Kooperation ist Grundlage für eine gemeinsame Klimaaußenpolitik: sie
ist klimapolitisch notwendig, verfolgt die Erreichung der nachhaltigen Entwicklungsziele,
beugt Ressourcenkonflikten vor und sichert Frieden. Klimaschutzpolitik ist Friedens- und
Sicherheitspolitik. Deshalb müssen wir die Transformation hin zur Klimaneutralität noch
verbindlicher und energischer vorantreiben – in Deutschland und weltweit. Feministische
Außen- und Entwicklungspolitik muss mit internationaler Klimapolitik zusammengedacht werden.
Mit Klimaaußenpolitik und Kooperation für Klimagerechtigkeit als Mittelpunkt unserer Politik
setzen wir uns ressortübergreifend für die globale Klimaneutralität sowie die Bewältigung
von Klimafolgen ein, um unserer historischen Verantwortung gerecht zu werden und die Agenda
2030 für nachhaltige Entwicklung umzusetzen. Daran ändert auch der russische Angriff auf die
Ukraine nichts, selbst wenn kurzfristig fossile Energieträger aus anderen Ländern als
Russland importiert werden müssen. Dies darf nur eine Überbrückung auf Zeit sein, bis wir
die Abhängigkeit von fossilen Energien durch einen noch schnelleren Ausbau der erneuerbaren
Energien beendet haben. Der 1,5-Grad-Pfad ist und bleibt Richtschnur unseres Handelns.
Starke Abhängigkeiten beim Import von Rohstoffen und Bauteilen, aber auch das blinde
Vertrauen auf vermeintlich störungsfreie Lieferketten gefährden unsere ökonomische
Sicherheit und damit auch den Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Wir setzen daher auf die
Diversifizierung von Lieferketten und stärken vorrangig die Partnerschaften mit Staaten, die
unsere Werte teilen. Diese wollen wir so gestalten, dass sie unsere Interessen nicht
einseitig befördern, sondern durch attraktive Angebote die Interessen der Partnerländer -
wie lokale Wertschöpfung, faire Arbeitsplätze und nachhaltige Produktionsbedingungen -
berücksichtigen, um so langfristig stabile Allianzen zu schmieden.
Wir schreiben kollektive Sicherheit groß; gerade unsere Bündnisse und Partnerschaften haben
uns in den letzten Jahren den historisch einzigartigen Frieden in der Europäischen Union
gebracht. Um diesen zu sichern, braucht es auch gut ausgestattete, interoperable, bündnis-
und europafähige und stärker integrierte Streitkräfte. Diese halten nicht nur potenzielle
Aggressoren von Angriffen ab. Als Partei haben wir in unserer Geschichte auch gelernt, dass
in einzelnen Fällen die Unterlassung militärischen Beistands zu weit größerem Leid führen
kann. Die Anwendung militärischer Gewalt bleibt Ultima Ratio. Militär bringt niemals die
Lösung, kann jedoch ein Zeitfenster für politische Lösungen und die zivile
Konfliktbearbeitung schaffen.
Im Sinne der menschlichen Schutzverantwortung der Vereinten Nationen verpflichten wir uns,
Menschen vor schwersten Menschenrechtsverletzungen zu schützen. Dabei wenden wir eine
Kombination aus Maßnahmen zur Krisenprävention, Krisenreaktion und Krisennachsorge bzw.
Wiederaufbau an.
Angesichts unseres umfassenden Sicherheitsbegriffs greift ein Sondervermögen für die
Bundeswehr allein zu kurz. Es braucht zusätzliche Anstrengungen in der gesamtstaatlichen
Sicherheitsvorsorge. Wir setzen uns daher weiterhin für den Ausbau der Kapazitäten für
zivile Krisenprävention und Konfliktbearbeitung, Diplomatie, Friedens- und
Konfliktforschung, humanitäre Hilfe, die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik sowie für
Stabilisierung und Entwicklungspolitik ein. Dabei halten wir an der Zielsetzung aus dem
Koalitionsvertrag fest, dass die Ausgaben im Maßstab 1:1 zum Anstieg der
Verteidigungsausgaben erhöht werden sollen. Das Sondervermögen für die Bundeswehr muss
jedoch so ausgestaltet werden, dass die Bundeswehr ihren Beitrag zur Landes- und
Bündnisverteidigung im Rahmen der NATO und EU besser und unter neuen Vorzeichen auch
schneller leisten kann. Das Sondervermögen für die Bundeswehr darf nicht zu einer
haushalterischen Einschränkung für den prioritär notwendigen Investitionsbedarf zum sozial-
ökologischen Umbau unserer Gesellschaft führen.
Zur notwendigen Stärkung der Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit gehören neben der
Ertüchtigung von Partnerstaaten auch gesamtstaatliche Maßnahmen wie die Erhöhung der
Cybersicherheit, die Stärkung von Infrastrukturen und Versorgungsstrukturen, der Abbau
bürokratischer Hemmnisse und die Ertüchtigung des Zivilschutzes. Eine ausreichende
Bereitstellung von entsprechenden Mitteln aus dem Bundeshaushalt ist hierfür von großer
Wichtigkeit. Besonders gilt es, die nachhaltige Stärkung der Resilienz unserer Gesellschaft
in den Blick zu nehmen.
Zurecht wurde in den vergangenen Jahren immer wieder eindringlich auf die Notwendigkeit
hingewiesen, als Rechtsstaat und wehrhafte Demokratie insbesondere dem aggressiven Agieren
Russlands im Digitalen entschlossen zu begegnen. Hier sind große Defizite entstanden, die
nun angegangen werden müssen. Dies betrifft insbesondere die Bekämpfung von Russlands
Unterstützung extremistischer Kräfte in demokratischen Staaten sowie von bewusst lancierter
Desinformation mit dem Ziel, demokratische Gesellschaften zu spalten. Auch die Abwehr
weitreichender IT-Angriffe auf Einzelpersonen, Unternehmen und demokratische Institutionen
gehört dazu. Es braucht deshalb jetzt eine konsequente Um- und Durchsetzung des Digital
Services Act.
Die zahlreichen, im Koalitionsvertrag verankerten Projekte zur Stärkung von Resilienz gilt
es, schnellstmöglich umzusetzen. Dazu gehört unser Einsatz für unabhängige, gut
ausgestattete Aufsichtsbehörden sowie für die stärkere Verzahnung der verschiedenen zivilen
Akteur*innen aus den Bereichen IT-Sicherheit (u.a. das Bundesamt für Sicherheit in der
Informationstechnik, BSI) und Zivilschutz (u.a. das Bundesamt für Bevölkerungsschutz, BBK).
Das große gesellschaftliche Knowhow in diesem Bereich sollte dabei sehr viel stärker als
bisher eingebunden werden, bspw. durch die Schaffung eines beim Technischen Hilfswerk (THW)
angesiedelten „Cyberhilfswerks“.
Freier und offener Software sowie einer von monopolartigen Strukturen unabhängigen
Verwaltung kommt eine immens wichtige Bedeutung zu. Einrichtungen wie das Zentrum für
Digitale Souveränität der Öffentlichen Verwaltung (ZenDiS) müssen weiter gestärkt werden.
Insgesamt müssen wir bei der IT-Sicherheit von einem rein reaktiven Vorgehen wegkommen, das
erst greift, wenn Angriffe erfolgreich waren und diejenigen noch bestraft, die Opfer wurden.
Stattdessen müssen wir proaktiv in die Härtung digitaler Infrastrukturen investieren und
hierbei beste IT-Sicherheitstechnik zum Standard machen. Diejenigen, die von sich aus in
gute IT-Sicherheit investieren wollen, müssen staatlicherseits sehr viel stärker als bisher
auch finanziell unterstützt werden, zum Beispiel durch vereinfachte Abschreibungsmodalitäten
oder Steuererleichterungen. Schließlich ist es geboten, den staatlichen Handel mit
Sicherheitslücken schnellstmöglich zu beenden. Denn werden solche Lücken nicht konsequent
innerhalb eines rechtsstaatlichen Verfahrens geschlossen, stehen sie immer auch kriminellen
Dritten und den Geheimdiensten nicht befreundeter Staaten offen.
Nur wenn wir Sicherheit in dieser Breite denken, können wir es erfolgreich mit den enormen
friedens- und sicherheitspolitischen Herausforderungen unserer Zeit aufnehmen. Dieses breite
Verständnis von Sicherheit sollte sich auch in der Nationalen Sicherheitsstrategie der
Bundesregierung widerspiegeln, mit der sie die konzeptionellen Voraussetzungen für eine
Sicherheitspolitik der Zukunft schaffen möchte.
Das Friedensversprechen der Europäischen Union erneuern
Die Europäische Union ist unsere Garantie für Frieden – ihr Versprechen wollen wir erneuern.
Sie hat als Raum der Sicherheit und Freiheit, der Demokratie und des Rechts weiterhin eine
große Strahlkraft. Sie ist Leitstern für Demokrat*innen in der Westbalkanregion, in der
Ukraine, in Moldau, in der Türkei, in Georgien, Belarus und für viele Menschen in anderen
Ländern. Sie bleibt Hoffnungsträgerin für die Zusammenarbeit und Partnerschaften mit den
Zivilgesellschaften, die sich überall auf der Welt für Menschenrechte einsetzen und sich ein
Leben frei von Unterdrückung, Korruption und Willkür wünschen. Eine starke und
handlungsfähige EU ist unser zentraler und unverzichtbarer Referenzrahmen für die
Verteidigung unseres internationalen Zusammenlebens, für den Schutz von Menschen weltweit,
aber auch für die vielen globalen Konflikte und Krisen, deren Bewältigung unser Ziel sein
muss.
Wir begrüßen den neuen EU-Beitrittskandidatenstatus für die Ukraine und die Republik Moldau
sowie die Beitrittsperspektive für Georgien. Wir wollen diese Staaten, genau wie die
verbleibenden Länder des Westbalkans, mit neuem Engagement auf ihrem Weg in die EU
unterstützen.
Die Europäische Union reagiert und agiert in der Krise gemeinsam und mit Stärke. Wir sehen
jedoch auch, dass wir jetzt keine Zeit verlieren dürfen, diese Stärke weiter auszubauen, um
die Souveränität der EU voranzubringen und die auf den Prinzipien der UN-Charta basierende
internationale Ordnung zu verteidigen. Die EU ist nun gefordert, ihr Friedensversprechen zu
erneuern – und die Demokratie und den Frieden in ihrer direkten Nachbarschaft entschieden zu
verteidigen.
Wir stehen im gesellschaftspolitischen und systemischen Wettbewerb mit den autokratischen,
demokratieverachtenden und das Recht des Stärkeren verherrlichenden Regimen unserer Zeit.
Angesichts dieser Herausforderungen brauchen wir eine handlungsfähigere EU. Deshalb gehört
die Intensivierung der geplanten EU-Erweiterungen verbunden mit institutionellen Reformen zu
den jetzt anstehenden Aufgaben. Damit können wir angesichts des fortschreitenden Krieges
gewährleisten, dass unsere Sicherheit ebenso gewahrt bleibt wie die politische und
wirtschaftliche Stabilität der EU. Die Auswirkungen des russischen Angriffskrieges auf diese
Faktoren müssen wir im Blick haben. Auch deshalb müssen wir die negativen sozialen und
wirtschaftlichen Auswirkungen des Krieges für die Menschen in Deutschland und der EU
bestmöglich abfedern.
Die durch breite Bürgerbeteiligung erzielten Ergebnisse der Konferenz zur Zukunft Europas
liefern für die Reform der EU wichtige Anstöße, die wir weiterverfolgen wollen:
Energieunabhängigkeit, mehr Investitionen in engagierten Klimaschutz, eine bessere IT-
Sicherheit und erhöhte Resilienz unserer Gesellschaften, strategische Souveränität,
Mehrheitsentscheidungen in der Außen- und Sicherheitspolitik, mehr integrierte gemeinsame
Streitkräfte zur Selbstverteidigung, ein Initiativrecht für das EU-Parlament sowie der
Schutz und Ausbau von Rechtsstaatlichkeit – all das sind konstruktive Vorschläge für eine
handlungsfähigere und strategisch souveränere EU. Sie gilt es nun, ernsthaft zu prüfen,
weiterzuentwickeln und entschlossen voranzubringen.
Die Tür für eine Vollmitgliedschaft in der Europäischen Union muss für alle Staaten mit
Beitrittsperspektive offen bleiben. Hebel der EU für tiefgreifende Reformen in den
Kandidatenländern dürfen nicht aus der Hand gegeben werden. Und auch die bewährten
Institutionen der Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa stehen nicht zur Disposition:
Vielmehr gilt es für die EU, auch vor dem Hintergrund des künftigen Jubiläums der Konferenz
für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, Geist und Wort der Schlussakte von Helsinki und
der Charta von Paris zu bekräftigen und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit
in Europa (OSZE) zu stärken. Die OSZE bietet – trotz ihres Reformbedarfs - mit ihren 57
Teilnehmerstaaten eine wichtige Basis für staatenübergreifende Kooperation. Langfristig geht
es darum, eine nachhaltige europäische Friedens- und Sicherheitsarchitektur aufzubauen.
Die EU ist nach außen vor allem dann glaubwürdig, wenn sie die Integrität unserer Werte und
Normen auch nach innen schützt. Dazu gehört auch die Wahrung der Rechte von Frauen und
queeren Menschen. Diese ist ein Gradmesser für Demokratie. Wir wollen die europäische
Rechtsstaatlichkeit durch eine Rechtsstaatskommission oder eine Europäische
Staatsanwaltschaft stärken und den Anwendungsbereich der EU-Grundrechtecharta auf nationales
Recht ausweiten, damit alle EU-Bürger*innen die gleichen einklagbaren Grundrechte erhalten.
Der Abbau von Grundrechten und -freiheiten darf weder belohnt noch ignoriert werden. Wir
begrüßen daher die überfällige Aktivierung des Konditionalitätenmechanismus als eines der
Instrumente zum Schutz der europäischen Rechtsstaatlichkeit, das konsequent angewendet
werden muss. Effektive Instrumente zum Schutz der Grundprinzipien der EU sind heute – neben
institutionellen Reformen – umso wichtiger, als dass der russische Angriffskrieg das
entschiedene Vorgehen gegen Rechtsstaats- und Demokratiedefizite einiger EU-Länder
erschweren könnte, wenn einstimmige sicherheitspolitische Entscheidungen der EU-
Mitgliedsstaaten notwendig sind. Deshalb gilt es, den Moment zu nutzen, und mutig und
entschlossen die Handlungsfähigkeit der EU auszubauen – zur Not auch, indem im Rahmen der
Verstärkten Zusammenarbeit einzelne Staaten gemeinsam vorangehen.
Zur Glaubwürdigkeit der EU gehört auch ein menschenrechtskonformer Umgang mit Geflüchteten
an den EU-Außengrenzen, sowie eine menschenwürdige, gesamteuropäische Asyl- und
Einwanderungspolitik. Trotz jahrelangen Diskussionen und vielen Versprechungen ist der
Umgang mit Geflüchteten an den Außengrenzen immer noch unwürdig und rechtswidrig. Deswegen
werden wir unsere Möglichkeiten in Kommunen, Ländern und auf Bundes- und Europaebene nutzen,
um diese unwürdige Situation ohne weitere Verzögerungen zu beenden. Asylverfahren müssen
innerhalb der EU durchlaufen werden und alle Asylanträge inhaltlich geprüft werden.
Menschenunwürdige Lager und geschlossene Einrichtungen, Nichteinreisefiktionen oder
europäische Außenlager in Drittstaaten lehnen wir ab. Wir setzen uns weiterhin innerhalb der
Bundesregierung und der EU für eine europäisch getragene und staatlich koordinierte
Seenotrettung ein. Wir stellen uns gegen eine Politik, die mit Menschenrechtsverletzungen in
der europäischen Nachbarschaft eine Abschottungspolitik umsetzen will. Die Kriminalisierung
von Seenotretter*innen wollen wir verhindern. Illegale Pushbacks nationaler Grenzpolizeien
oder ihre Unterstützung beziehungsweise Duldung durch die europäische Grenzschutzbehörde
Frontex darf es nicht geben. Sie müssen sofort beendet und zukünftig effektiv verhindert
werden. Verstöße müssen lückenlos und transparent aufgeklärt sowie konsequent geahndet
werden, etwa durch die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens durch die EU-
Kommission gegen verantwortliche Mitgliedstaaten. Mit Blick auf die in der EU ankommenden
Menschen treten wir im Sinne einer fairen Verantwortungsteilung für eine Weiterentwicklung
des Malta-Mechanismus ein. Außerdem wollen wir die Aufnahme aus dem Resettlement-Programm
des UNHCR deutlich ausbauen, um sichere Fluchtwege aus Ländern wie Libyen zu schaffen.
Der unbürokratische Umgang mit den Geflüchteten mit ukrainischer Staatsbürgerschaft in der
EU ist beispielhaft und zeigt, dass es auch anders gehen kann. Massenlager und humanitäre
Notlagen an den Außengrenzen konnten trotz der hohen Zahl an Geflüchteten aus der Ukraine
verhindert werden. Die in dieser Notsituation angewendeten Lösungsansätze müssen für die
zukünftige EU-Migrationspolitik eine Blaupause sein. So überwinden wir endlich die
Ungleichbehandlung von Schutzsuchenden.
Für Kooperation und Multilateralismus auch in Zeiten des Konflikts
Globale Zusammenarbeit ist angesichts globaler Herausforderungen so notwendig wie nie.
Gleichzeitig wird Kooperation im Angesicht multipler Krisen schwieriger; die Welt droht an
globaler Governance zu verlieren. Wir müssen deshalb bestehende Kooperationsansätze
europäisch denken, stärken und weiterentwickeln.
Die NATO ist gerade in dieser neuen Zeit eine unverzichtbare Akteurin für unsere Sicherheit.
Das Zusammenrücken angesichts des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine darf jedoch
nicht über Spannungen innerhalb des Bündnisses hinwegtäuschen. Es gilt, den demokratischen
europäischen Pfeiler in der neuen, erweiterten NATO zu stärken. Die EU und ihre
Mitgliedstaaten übernehmen mehr außen- und sicherheitspolitische Verantwortung. Das gilt
insbesondere für die Sicherheit der östlichen Nachbarländer der EU wie auch der baltischen
Staaten und Polens. Die transatlantische Partnerschaft mit den USA bleibt dabei zentraler
Stützpfeiler unserer und europäischer Außen- und Sicherheitspolitik. Die Stärke unserer
Werte- und Verteidigungsgemeinschaft misst sich auch an der in ihr gelebten Demokratie,
Rechtsstaatlichkeit und überzeugend umgesetztem Multilateralismus. Wir setzen uns für den
weltweiten Menschenrechtsschutz, die Weiterentwicklung internationaler Rechtsnormen, globale
Rüstungskontrolle, eine regelbasierte Weltordnung und die Stärkung einer
verantwortungsbewussten Handelspolitik ein. Die wiederholten völkerrechtswidrigen
Interventionen der Türkei gegen die Kurd*innen in Syrien und im Irak wie auch der Abbau der
eigenen Rechtsstaatlichkeit sind mit dem Anspruch der NATO als Wertebündnis nicht vereinbar.
Die Vereinten Nationen bleiben mit ihren Organisationen die Grundlage des Multilateralismus.
Wir wollen sie weiter stärken und schützen. Die UN-Institutionen versorgen weltweit
Millionen Geflüchtete. Sie stellen Bildungsmöglichkeiten, Nahrung und Gesundheitsleistungen
zu Verfügung. Sie vermitteln in Kriegen und Konflikten. Und sie sind der Rahmen, in dem die
wichtigsten multilateralen Abkommen verhandelt werden. Gleichzeitig sind sie schon lange
reformbedürftig. Der Sicherheitsrat ist infolge des Missbrauchs des Vetorechts insbesondere
durch Russland und China in vielen zentralen Fragen blockiert, was eine konstruktive
Bearbeitung von Konflikten etwa in Libyen oder im Jemen, in Afghanistan oder Syrien
erheblich erschwert – und zu teils schwerem menschlichem Leid führt. Als Antwort auf diese
Blockade hat die UN-Generalversammlung mit der Verurteilung des russischen Angriffskrieges
auf die Ukraine durch 141 Mitglieder gezeigt, wozu sie im Krisenfall durch Kooperation in
der Lage ist.
Wir unterstützen Reformideen und Mechanismen wie die in der Resolution 377 der UN-
Generalversammlung „Uniting for Peace“ festgeschriebene Möglichkeit, im Fall einer Blockade
Empfehlungen für Kollektivmaßnahmen an seine Mitglieder auszusprechen. Die Beschlüsse der
Generalversammlung verleihen notwendigen Maßnahmen auch im Fall eines Vetos durch ein
Sicherheitsratsmitglied Legitimation. Deutschland muss im EU-Rahmen ein Mittler und ein
verlässlicher Geldgeber der Vereinten Nationen sein. Zudem muss es sich verstärkt an
Blauhelm-Missionen der UN beteiligen. Auch in den Vereinten Nationen muss die gemeinsame
europäische Stimme stärker werden.
Die EU muss global als Friedensmacht Verantwortung übernehmen. Vor allem, wenn die Vereinten
Nationen blockiert sind, muss sie für die Wahrung der Menschenrechte, die UN-Konventionen
sowie die Paris-Deklaration und die Agenda 2030 in möglichst transparenten und inklusiven
internationalen Zusammenschlüssen agieren. Dazu zählen zum Beispiel die G-7 und G-20, die
NATO, das transatlantische Bündnis und themenspezifische Allianzen. Die Bildung flexibler
Koalitionen, Kontaktgruppen und Allianzen sollte aber auch in bestehende Partnerschaften und
Kooperationsformate eingebettet sein (z.B. AU-EU-Partnerschaft, Allianz für
Multilateralismus) und offen gestaltet werden.
Auswärtige Kultur-, Bildungs- und Wissenschaftspolitik sowie Wissenschaftsdiplomatie
gewinnen angesichts geopolitischer Krisen massiv an Bedeutung. Sie tragen maßgeblich dazu
bei, durch Bildungs- und Forschungskooperationen und wissenschaftliche Expertise große
globale Herausforderungen zu bewältigen, kulturelle Brücken zu bauen und positiv in die
Zivilgesellschaft zu wirken. Somit können sie friedensfördernde Effekte entfalten. Sie
müssen daher ein zentraler Aspekt der deutschen Außenpolitik sein. Der Deutsche Akademische
Austauschdienst, die Alexander von Humboldt-Stiftung, das Goethe Institut und die deutsche
UNESCO-Kommission leisten von Schutzprogrammen für bedrohte Wissenschaftler*innen und
Studierende über Sprachkurse und Austauschprogramme bis hin zu Stipendien für internationale
Spitzentalente einen essenziellen Beitrag für eine aktive und zielgerichtete
Außenwissenschaftspolitik. Die Finanzierung der Mittlerorganisationen der Auswärtigen
Kultur-, Bildungs- und Wissenschaftspolitik muss, wie im Koalitionsvertrag vereinbart,
verlässlich erhöht, statt gekürzt zu werden. Da sich globale Probleme nur gemeinsam lösen
lassen, fördern wir die europäische sowie internationale Vernetzung und Zusammenarbeit in
Studium, Forschung und Lehre auch durch eine Weiterentwicklung der
Internationalisierungsstrategie der Bundesregierung und des Strategiepapiers "Science
Diplomacy" des Auswärtigen Amts. Dazu gehört auch eine bessere Verzahnung von bildungs- und
außenpolitischen Handlungen. Institutionelle Kooperationen allein - zum Beispiel im
Europäischen Hochschulraum - führen nicht automatisch zu Annäherung. Wissenschaftsdiplomatie
muss deswegen dazu beitragen, Menschenrechte, Demokratieförderung und die Freiheit von
Forschung und Lehre ins Zentrum von Kooperationen zu rücken.
Wir wollen, dass in Deutschland die akademische Forschung und Lehre zur Ukraine und dem
Verflechtungsraum Östliches Europa deutlich gestärkt und ausgebaut wird, sowie Programme zur
zivilgesellschaftlichen, kulturellen und kommunalen Zusammenarbeit mit der Ukraine besonders
gefördert werden.
Autokraten entschieden begegnen
Von autokratischen Staaten und Bewegungen gehen weltweit Gefahren für Menschenrechte,
Rechtsstaatlichkeit und Demokratie aus. Vor allem diejenigen, die auch imperialistische
Bestrebungen verfolgen, missachten die Regeln der Kooperation und bedrohen die
internationale Rechtsordnung. Zudem besteht bei solchen Akteur*innen ein hohes Risiko, dass
sie durch ihr Agieren zwischenstaatliche Spannungen einschließlich Risiken für unsere eigene
Sicherheit erzeugen sowie schwierige Hindernisse für die Bewältigung gemeinsamer globaler
Aufgaben schaffen.
Vor diesem Hintergrund müssen wir die Kooperationen mit Demokratien weltweit stärken und uns
besser vor Bedrohungen unserer offenen Gesellschaft und unserer Sicherheit wappnen. Es kann
bei Regelbrecher*innen keine Rabatte geben. Und zu den Regeln gehören die universellen
Menschenrechte, das Gewaltverbot der UN-Charta und die staatliche Souveränität. Zur Achtung
dieser Normen bauen wir auch auf Gerichte wie den Internationalen Strafgerichtshof und den
Internationalen Gerichtshof und setzen uns deshalb bei unseren Partner*innen für eine
Anerkennung dieser wichtigen Institutionen ein. Denn sowohl Einzelpersonen als auch Staaten
müssen für Verstöße zur Verantwortung gezogen werden.
Das Paradigma „Wandel durch Handel“ ohne klare Bedingungen ist gescheitert. Unsere
Wirtschaftsaußenpolitik muss kohärent zu unseren außen- und entwicklungspolitischen Zielen
und Leitlinien sein. Daraus folgt, dass wir eine Ratifizierung des Mercosur-Abkommens nur
mit umsetzbaren, überprüfbaren und rechtlich verbindlichen Verpflichtungen zum Umwelt-,
Sozial- und Menschenrechtsschutz befürworten, und wenn wirksame Zusatzvereinbarungen zum
Schutz der Amazonas-Wälder abgeschlossen sind. Wir setzen uns ebenso für einen Ausstieg aus
dem Energiecharta-Vertrag ein, weil der darin enthaltene Investitionsschutz Gefahr läuft,
den Ausstieg aus fossiler Energie und unsere Klimapolitik zu behindern.
Wir sind gefragt, autokratischen Staaten gegenüber unterschiedliche Kooperationsangebote
nach Themenfeldern anzubieten, diese regelmäßig auf ihre Auswirkungen auf menschliche
Sicherheit zu evaluieren und bei Bedarf Konsequenzen zu ziehen. Der Klimaschutz als
Menschheitsaufgabe verpflichtet zur größtmöglichen Kooperation weltweit. Aber auch dann
müssen Menschenrechtsverstöße und sie begünstigende Faktoren angesprochen und auf ihre
Beseitigung hingearbeitet werden. Sektoralen Abhängigkeiten müssen wir durch
Diversifizierung entgegentreten, unsere Lieferketten aktiv resilienter, gerechter und
europäischer aufstellen.
Die Abhängigkeit von russischem Gas schränkt unsere heutigen Reaktionsmöglichkeiten auf
diesen Krieg erheblich ein. Nord Stream 2 hätte nie gebaut werden dürfen. Denn das Projekt
war nicht nur klima- und energiepolitisch, sondern auch europa- und geopolitisch falsch. Die
heutige Lage belegt einmal mehr, dass der Ausbau erneuerbarer Energien und alle
Anstrengungen für mehr Klimaschutz eine zentrale Dimension von Sicherheitspolitik
darstellen.
Das revisionistische Russland unter Wladimir Putin stellt eine Bedrohung der Sicherheit und
Freiheit der Menschen in Europa dar. Wir suchen nicht die Konfrontation, sondern sind zu
Kommunikation, gezielter Kooperation, zum Risikomanagement, zur Eskalationsvermeidung und
Transparenz der Beziehungen bereit. Wir sind immer zu einem Dialog mit Russland bereit, doch
Russland hat sich bis zuletzt einem fairen Dialog verweigert. Ein Partner wird Russland für
uns künftig nur in dem Maße sein können, wie es sich an internationales Recht hält. Dabei
treten wir für die Souveränität und territoriale Integrität aller Länder ein und lehnen die
imperiale Idee von Einflusszonen ab. Einer Ideologie, die auf das Recht des Stärkeren setzt,
setzen wir die Herrschaft des Rechts entgegen. Wir zeigen uns solidarisch mit denjenigen,
die der zunehmenden Unterdrückung des Kreml trotzen und sich für ein Russland einsetzen, das
Frieden, Völkerrecht und Menschenrechte respektiert, anstatt sie mit Füßen zu treten."
Die Hegemonie-Ambitionen Chinas und seine aggressive Außenpolitik berühren unsere Werte und
Interessen wie auch unsere Sicherheit. China negiert in vielen Bereichen die internationale
Rechtsordnung. Die Niederschlagung der Demokratie-Bewegung in Hongkong, die aggressiven
Drohungen gegen Taiwan, die schweren Menschenrechtsverbrechen gegen die Uigur*innen und die
aggressive Expansionspolitik im südchinesischen Meer sind dafür exemplarisch. China versucht
zudem immer öfter, seine wirtschaftliche Kraft zur Schaffung von Abhängigkeiten zu nutzen.
Dem treten wir entschlossen entgegen. Dafür müssen wir auch national unsere Abhängigkeiten
überprüfen und auf eine europäische Strategie der wirtschaftlichen Diversifizierung setzen.
Im Rahmen der europäischen Ein-China-Politik wollen wir die wirtschaftliche und politische
Zusammenarbeit mit Taiwan zum Nutzen beider Seiten intensivieren. Dazu gehören ein Abkommen
über resiliente Lieferketten und ein bilaterales Investitionsabkommen. Wir betonen, dass
eine Änderung des Status Quo in der Taiwanstraße nicht einseitig und nicht gegen den Willen
der Bevölkerung Taiwans stattfinden darf. Wir unterstützen Taiwans relevante Beteiligung an
der Arbeit internationaler Organisationen wie der WHO, WHA, ICAO oder Interpol. Unter
Berücksichtigung der systemischen Rivalität sind wir, wo möglich, zur Zusammenarbeit mit
China bereit und scheuen dabei nicht den Wettbewerb.
Russland und China weisen beide, trotz erheblicher Interessensunterschiede, eine gemeinsame
autokratische Haltung auf, die die völkerrechtlich verbriefte Gleichberechtigung aller
Staaten ablehnt. Auch vor diesem Hintergrund müssen wir verstärkt in unsere Partnerschaften
investieren – gerade auch mit Ländern Afrikas, Lateinamerikas, der Karibik und im asiatisch-
pazifischen Raum. Dazu zählt die Initiative Global Gateway der EU-Kommission. Einseitige
wirtschaftliche Abhängigkeiten wollen wir durch gemeinsame europäische Resilienz-Politik
überwinden. Gegen Autoritarismus bleiben Demokratieförderung, insbesondere Maßnahmen zur
Ausweitung von Räumen für die Zivilgesellschaft, zur Bekämpfung von Korruption und
Nepotismus sowie die konkrete Solidarität für Menschenrechtsverteidiger*innen notwendig.
Eine demokratische Front für die Schaffung von Regularien, um autokratische Mächte auch in
ihrer digitalen Kriegsführung in die Schranken zu weisen, ist Teil davon.
Neue Impulse für Abrüstung und Rüstungskontrolle
Der Vorrang für Abrüstung, Vertrauensbildung und Rüstungskontrolle war, ist und bleibt das
zentrale Merkmal von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN als Friedenspartei. Dies gilt für alle
Waffensysteme, ob nuklear, konventionell oder digital. Wir sehen die Gefahr regionaler und
internationaler Aufrüstungsspiralen, die oft Eskalationsdynamiken und Unsicherheit befeuern,
sowie die Herausforderungen durch die Erosion von Abrüstungs- und Rüstungskontrollverträgen
und technologischer Entwicklungen – von neuartigen Waffensystemen, über den Cyberbereich bis
hin zur militärischen Nutzung des Weltraums. Daher wollen wir gerade in unsicheren Zeiten
die Rüstungskontrolle – auch für digitale Güter – stärken, Abrüstungsinitiativen
wiederbeleben und, wo möglich, neue anstoßen und auch nicht staatliche Akteure in den Blick
nehmen. Die Stärkung des Vertrags zur Nichtverbreitung von Kernwaffen (NVV) muss im Zentrum
unserer Bemühungen bleiben. Der Atomwaffenverbotsvertrag, bei dem Deutschland einen
Beobachterstatus innehat, stellt eine wichtige Ergänzung des NVV dar. Trotz der enormen
Herausforderungen durch die aktuelle Lage müssen wir uns zudem für ein Nachfolgeabkommen zum
New-START-Vertrag einsetzen. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN setzen sich für eine konkrete, materielle
Unterstützung der Opfer von Atomwaffentests in der aktuellen Legislaturperiode ein. Das Ziel
unserer Bemühungen bleibt eine atomwaffenfreie Welt.
Als Grüne setzen wir uns seit langem für eine restriktive, transparente und
verantwortungsvolle Rüstungsexportpolitik ein. Gerade nach alle den Jahren des maßlosen
Drangs der Großen Koalition mit Genehmigungen in Rekordhöhe an Staaten, die keine
Wertepartner sind, ist ein Neuanfang überfällig. Für uns sind Rüstungsexporte kein
Instrument der Industriepolitik. Wir wollen ein restriktives Rüstungsexportkontrollgesetz,
das insbesondere Transparenz über die erteilten Genehmigungen und ihre jeweilige inhaltliche
Begründung, sowie über die tatsächliche Ausfuhr von Kriegswaffen und Rüstungsgütern schafft.
Auf EU-Ebene werden wir uns dafür einsetzen, ein verbindliches Regime zur europäischen
Waffenexportkontrolle für gemeinsame Rüstungskooperationen zu schaffen, das im Einklang mit
den Kriterien des Gemeinsamen Standpunktes der EU steht. In der schwersten Sicherheitskrise
Europas seit Jahrzehnten sind Europäische Kooperation und Verlässlichkeit unter Verbündeten
ein hohes Gut. Unsere von Werten geleitete Außenpolitik steht vor einem Dilemma: Auf der
einen Seite wollen wir eine vertiefte Rüstungskooperation mit unseren europäischen Partnern
im Einklang mit unseren Werten, auf der anderen Seite wird bis zu einer restriktiven
europäischen Rüstungsexportpolitik noch viel Überzeugungsarbeit nötig sein.
Bündnis 90/Die Grünen werden diese Debatte nutzen, um uns bei der Formulierung des
Rüstungsexportkontrollgesetzes für eine Reform von europäischen Gemeinschaftsprojekten im
Rüstungsbereich einzusetzen. Forderungen nach Lockerungen der restriktiven Regelungen bei
Gemeinschaftslieferungen erteilen wir eine Absage. Wir wollen gemeinsame europäische
Entscheidungen für Rüstungsexporte auf Basis einer gemeinsamen Einschätzung der
Sicherheitslage und europäischer Werte. Wir wollen keinen Wettlauf um die niedrigsten
Menschenrechtsstandards bei der Genehmigungspraxis. Es braucht zudem einen regelmäßigen,
unabhängigen und transparenten Review-Prozess der Bundesregierung zur Sicherheits- und
Menschenrechtspolitik in den Empfängerstaaten und einen Review der geschlossenen Alt-
Verträge.
Die Regierung von Saudi-Arabien begeht nachweislich massive Menschenrechtsverletzungen und
ist Kriegspartei im Jemen-Krieg. Deswegen lehnen wir jegliche Rüstungsexporte an Saudi-
Arabien ab. Wir streben auch einen europäischen Rüstungsexportstopp für Saudi-Arabien und
ein europäisches Waffenembargo gegenüber anderen Staaten an, solange diese nachweislich
unmittelbar am Jemen-Krieg beteiligt sind. Die von Saudi-Arabien geführte Koalition hat in
den vergangenen Jahren tausende Luftangriffe im Jemen geflogen und damit und mit der
Blockade des Landes zu einer der größten humanitären Katastrophen unserer Zeit beigetragen.
Unter anderem der Druck der internationalen Gemeinschaft auf Saudi-Arabien hat in letzter
Zeit zu einem Ende der gezielten Bombardements von ziviler Infrastruktur geführt.
Die Weigerung der Huthi-Milizen, die Waffenruhe im Jemen zu verlängern, ist ein Grund zu
großer Beunruhigung. Der internationale Druck auf alle Kriegsparteien muss aufrecht erhalten
werden, die Priorität muss ein Waffenstillstand mit dem Ziel eines dauerhaften Friedens
bleiben. Die Jemen-Klausel des Koalitionsvertrags gilt.
Unter dieser Maßgabe bedeutet das Selbstverteidigungsrecht im Völkerrecht (kodifiziert u.a.
in Art. 51 der UN-Charta) für uns als Friedenspartei, dass Staaten, die bedroht oder
angegriffen werden, auch mit der Lieferung von Waffen unterstützt werden können. Deshalb
werden wir die Ukraine solange es notwendig ist unterstützen. Von der
nachrichtendienstlichen Zusammenarbeit bis zur Lieferung von schweren Waffen werden wir uns
dafür einsetzen, dass die Ukraine in die Lage versetzt wird, ihr Land auch weiterhin zu
verteidigen und durch Russland eroberte oder völkerrechtswidrig annektierte Gebiete
zurückzugewinnen. Es sind entscheidende Monate für die Menschen in der Ukraine und für die
Ordnung auf unserem Kontinent. Davon unberührt müssen Exporte von Waffen, die zur Verletzung
von Menschenrechten, für politische Aggressionen und diktatorische Repressionen eingesetzt
werden, unterbunden werden, denn sie gefährden die Sicherheit und den Frieden weltweit.
Gleichzeitig muss ausgeschlossen werden, dass Rüstungsgüter, die wir heute liefern, in
Zukunft in die falschen Hände geraten. Bei Exporten sollen darum strenge, verbindliche und
differenzierte Endverbleibs- und Post-Shipment-Kontrollen gesetzlich fest- und
vorgeschrieben werden. Dies gilt auch für digitale Überwachungstools, beispielsweise
identifizierende Gesichtserkennungssoftware, die es autokratischen Regierungen ermöglichen,
unliebsame Aktivist*innen, Menschenrechtsverteidiger*innen, Medienschaffende oder
Minderheiten zu verfolgen.
Um das beschlossene Sondervermögen sinnvoll nutzen zu können und die Einsatzfähigkeit der
Bundeswehr zu erhöhen, müssen das Beschaffungswesen reformiert, Beschaffungsmaßnahmen
beschleunigt und substanzielle Strukturmaßnahmen in Bundeswehr und Verwaltung zur Förderung
von Agilität und Effizienz umgesetzt werden. Das beschlossene
Beschaffungsbeschleunigungsgesetz ist hierfür ein erster wichtiger Schritt. Weitere Schritte
in Richtung vertiefter europäischer Zusammenarbeit müssen folgen. Vor diesem Hintergrund ist
auch die Stärkung eines eigenständigen europäischen Rüstungssektors von Bedeutung, um die
Voraussetzungen für die materielle Stärkung und Aufrechterhaltung der Bündnis- und
Landesverteidigung sowie des verteidigungsbedingten Bedarfs unserer Partner zu schaffen.
Dazu gehören insbesondere Planbarkeit und die Konsolidierung der europäischen
Rüstungsindustrie – und dass Beschaffungen europäisch gedacht werden sollten, denn nationale
Alleingänge sorgen nicht nur für höhere Preise, sondern auch für eine geringe Kompatibilität
und Interoperabilität zwischen den Streitkräften.
Für eine gesicherte und gerechte Welternährung – eine Strukturpolitik gegen die globalen
Krisen
Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat die bereits bestehenden globalen Krisen noch
weiter verschärft. Der Ausfall der Getreideexporte aus der Ukraine und Russland offenbart
die Abhängigkeiten insbesondere der Länder des Globalen Südens von Nahrungsmittelimporten
und verstärkt die Hungerkrise. Auch die Verschuldungskrise nimmt ihnen fiskalischen
Spielraum, um angemessen auf die steigenden Nahrungsmittel- und Energiepreise, auf die
Auswirkungen der Klimakrise oder Pandemien reagieren zu können. Dringend nötige
Investitionen in eine nachhaltige Entwicklung und Transformation – im Sinne der Ziele für
nachhaltige Entwicklung der Agenda 2030 (SDGs) und der Pariser Klimaziele – unter anderem
für eine Agrar-, Energie- und Mobilitätswende bleiben somit auch wegen dieser Dynamiken aus.
Um globale Gerechtigkeit voranzutreiben, wollen wir die Polykrisen unserer Zeit gemeinsam
mit unseren Partner*innen effektiv bekämpfen, Ungleichheiten abbauen und resiliente sowie
demokratische Strukturen und Zivilgesellschaften stärken. Entwicklungspolitik verstehen wir
als eine gerechte und geostrategische Strukturpolitik. Feministische Entwicklungspolitik
setzt dabei an den Ursprüngen der Ungleichheit an: den ungleichen Machtverhältnissen
zwischen den Geschlechtern, sozialen Normen und Rollenbildern.
Unser koloniales Erbe mahnt uns, uns für das Aufbrechen globaler Machtstrukturen einzusetzen
und eine dekoloniale Strukturpolitik umzusetzen. Wir wollen unter anderem
Stimmrechtsreformen bei den Entwicklungsbanken anstoßen, um für ein gerechteres
Stimmverhältnis zu sorgen.
Ein wichtiger Schritt hin zur Ernährungssouveränität ist Verteilungsgerechtigkeit.
Landwirtschaftliche Flächen sollen stärker für lokale Lebensmittelproduktionen und weniger
für Treibstoffe, Futtermittel oder für den Verkauf vorgesehene Anbaufrüchte verwendet
werden. Der Anbau sollte entsprechend der Nachfrage mehr auf lokale und regionale
klimaresiliente Sorten gefördert und lokal vermarktet werden. Dies muss folgerichtig
einhergehen mit einer Reduktion des Treibstoffverbrauchs und des Fleischkonsums vor allem in
den Ländern des Globalen Nordens. Die Rechte von Kleinbauern und -bäuerinnen wollen wir
stärken. Dabei spielen insbesondere Landrechte – gerade auch für Frauen – eine essenzielle
Rolle. Den Zugang zu freiem Saatgut und Möglichkeiten zur lokalen Vermarktung wollen wir
fördern, zum Beispiel bei der Gründung von Produktions- und Absatzgenossenschaften.
Nahrungsmittel- und Wasserspekulationen werden wir stärker regulieren. Durch diese Maßnahmen
kann die Abhängigkeit von Staaten vom Getreideweltmarkt reduziert werden.
Die Covid-19-Pandemie hat uns vor Augen geführt, dass resiliente Gesellschaften
funktionierende soziale Sicherungssysteme brauchen. Wir wollen weltweit soziale
Sicherungssysteme stärken und setzen uns dafür ein, dass ein Globaler Fonds für soziale
Sicherung im Rahmen der UN-Initiative „Global Accelerator for Jobs and Social Protection“
verankert wird, dessen Governance-Strukturen dem Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids,
Tuberkulose und Malaria gleichen.
Um für künftige Pandemien besser vorbereitet zu sein, unterstützen wir die Entwicklung eines
Pandemie-Vertrags der Weltgesundheitsorganisation. Wir setzen uns dafür ein, dass dieser
Vertrag robuste Mechanismen beinhaltet um in künftigen Pandemien schnelleren und gerechteren
weltweiten Zugang zu Gesundheitsprodukten zu sichern. Wir begrüßen die WTO-Entscheidung zur
Einschränkung des Patentschutzes für Covid-19 Impfstoffe. Wir setzen uns zudem dafür ein,
dass solche Maßnahmen dort, wo freiwillige Produktionspartnerschaften nicht ausreichen, auch
auf Therapeutika und Diagnostika für Covid-19 ausgeweitet werden können
Wir erleben global eine dramatische Verschuldungskrise, die seit der Covid-19-Pandemie neue
Ausmaße gerade in den Ländern des Globalen Südens erreicht hat. Das Schuldenmoratorium der
G20 für die 77 ärmsten Länder hat einen wertvollen zeitlichen Spielraum geschaffen. Unser
Ziel ist ein neuer internationaler Konsens zum Schuldenmanagement. Wir unterstützen eine
Initiative für ein kodifiziertes internationales Staateninsolvenzverfahren, das öffentliche
und private Gläubiger*innen miteinbezieht und Schuldenerleichterungen für besonders
gefährdete Ländergruppen vorsieht. Als konkreten Beitrag wollen wir ein Gesetz zur
Restrukturierung ausländischer Staatsschulden mit dem die Ergebnisse internationaler
Umschuldungsverhandlungen in Deutschland verbindlich gemacht werden.
Feministische Entwicklungspolitik ist Teil der feministischen Außenpolitik und bedeutet, die
Förderung und die Belange von Frauen, Mädchen und marginalisierten Gruppen in den
Vordergrund zu stellen und sie gezielt in Entscheidungsprozesse einzubinden. Wir setzen uns
dafür ein, dass zivilgesellschaftliche und insbesondere Frauenrechtsorganisationen aus
Ländern des Globalen Südens nach dem Vorbild des kanadischen „Equality Fund“ direkt
gefördert werden.
In autokratischen Kontexten müssen wir uns schließlich bewusst sein, dass die Logik von
Regimestabilisierung oft im Widerspruch zu den Zielen von gerechter, nachhaltiger und
menschenrechtsbasierter Entwicklung steht. So werden finanzielle Ressourcen über Korruption
und Nepotismus häufig nach Loyalitäten gegenüber einer autokratischen Staatsführung
verteilt. Gerade in solchen Kontexten ist es daher besonders wichtig, sich nicht nur auf
Projektebene, sondern auch in Regierungsverhandlungen für mehr Freiräume für die lokale
Zivilgesellschaft, für unabhängige Medien und die Einhaltung der Menschenrechte einzusetzen.