Veranstaltung: | 48. Bundesdelegiertenkonferenz |
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Tagesordnungspunkt: | FS Wertegeleitet, multilateral, handlungsfähig: grüne Friedens- und Sicherheitspolitik in der Zeitenwende |
Antragsteller*in: | KV Warendorf (dort beschlossen am: 25.08.2022) |
Status: | Eingereicht |
Verfahrensvorschlag: | Erledigt durch: FS-12-150 (FS-03) |
Eingereicht: | 30.08.2022, 21:14 |
FS-03: Zukunft der Bundeswehr
Antragstext
Bündnis 90/Die Grünen hält es aufgrund der unsicheren Lage in Europa für notwendig, die
Bundeswehr so zu ertüchtigen, dass sie ihren Verfassungsauftrag der Landesverteidigung und
ihren Bündnisverpflichtungen der NATO gegenüber uneingeschränkt nachkommen kann.
Wir nehmen dabei den Verfassungsauftrag wörtlich und setzen uns dafür ein, dass die
Bundeswehr als reine Verteidigungsarmee verstanden und entsprechend ausgerüstet und
ausgebildet wird. Wir werden die friedenspolitische Grundausrichtung unserer Partei
erhalten. Pazifistisches Gedankengut ist nicht abhängig von einer friedfertigen
internationalen Lage, sondern entfaltet seine Kraft und Wirkung explizit in
Krisensituationen. Wir werden ebenso darauf hinwirken, dass Deutschland seine Verantwortung
durch die Erfahrungen aus der nationalsozialistischen Zeit und den daraus entstandenen
Grauen des 2. Weltkrieges weiterhin wahrnimmt und den deutschen Sonderweg nicht verlässt,
sondern weiterentwickelt und zur Blüte bringt. Kern dieses Sonderweges ist fast 80 Jahre
nach dem Ende des 2. Weltkrieges nicht mehr die Schuldfrage, sondern der Erkenntnisgewinn
aus der zwar nach wie vor unvollständigen, gleichwohl aber auch einzigartigen Aufarbeitung
dieses dunklen Kapitels. Das Wissen um die Bedeutung der universellen Menschenrechte ist
dadurch in großen Teilen unserer Bevölkerung fest verankert. Wir sollten dieses Wissen nicht
weiter als Last betrachten, sondern als Schatz, der erhalten werden und gerade in
schwierigen Situationen konsequent mit dem Ziel der internationalen Befriedung angewendet
werden muss.
Auch und gerade wenn wir feststellen müssen, dass eine militärische Bedrohung unseres
Staatsgebietes oder anderer verbündeter Staaten durch dynamische Entwicklungen nicht mehr
völlig ausgeschlossen werden kann, sind wir entschlossen, nicht die Fehler zu wiederholen,
die Europa über Jahrhunderte hinweg immer wieder in verheerende Kriege gestürzt haben. Das
hat zwei wichtige Konsequenzen:
Zur Vermeidung von Rüstungsspiralen muss die Bundeswehr mit dem deutlichen und sichtbaren
Schwerpunkt auf Defensivwaffen ausgerüstet werden, so dass sie von anderen Mächten nicht als
Bedrohung wahrgenommen wird und entsprechend auch keinen Grund für weitere Aufrüstungen
darstellt. Dem Prinzip der Abschreckung folgen wir nicht. Waffensysteme sollen so ausgelegt
sein, dass sie alles bekämpfen können, was eine unmittelbare Gefahr darstellt. Eine nukleare
Teilhabe lehnen wir ab.
Der mit militärischen Auseinandersetzungen einhergehenden Entmenschlichung von Angehörigen
gegnerischer Armeen muss entgegengewirkt werden. Gegnerische Soldatinnen und Soldaten müssen
nach Möglichkeit geschont werden. Auch ein Verteidigungskampf kann nicht ohne Opfer auf der
gegnerischen Seite geführt werden. Aber vorrangiges Ziel der Kampfhandlungen müssen die
Angriffswaffen und nicht die Soldatinnen und Soldaten sein.
Die Aussage muss lauten, dass wir alles bekämpfen, was uns und unsere Verbündeten angreift,
dass wir aber keinen Vernichtungskrieg gegen Staaten und Armeen, gegen nur potenzielle
Gefahrenquellen und schon gar nicht gegen die Menschen führen. Diese Aussage muss
kommuniziert werden, nach Möglichkeit auch bis in das gegnerische Lager.
In der konkreten Planung müssen Expertinnen und Experten entscheiden, wie weit diese
Grundsätze unter der Prämisse der Verteidigungsfähigkeit umgesetzt werden können, sie sollen
aber bei jedem Schritt Grundlage der Überlegungen sein.
Wir gehen davon aus, dass die Ausrichtung der Bundeswehr als Verteidigungskraft nicht nur
politisch klüger, sondern auch kostengünstiger und stabiler ist als der herkömmliche und
auch auf Angriff ausgerichtete Aufbau.
Wir entwickeln den Deutschen Sonderweg weiter und etablieren dafür die Bezeichnung
„Wehrhafter Pazifismus“.
Begründung
Friedenspolitik ist einer der Ursprünge und muss ein Kern unserer Partei bleiben. Wie auch in vielen anderen Bereichen müssen wir die Chance ergreifen, in der Krise aus unseren Grundlagen wirkliche und wirksame Veränderungen zu erreichen. Mit einem Schwenk um 180° aus Angst vor der eigenen Courage führen wir uns selbst ad Absurdum und erreichen am Ende genau nichts.
Genauso wichtig ist, dass unsere Partei sich mit der Frage der Bundeswehr befasst und sich dazu eine eigene Position erarbeitet. Alles andere würde ein ziemlich schwaches Bild abgeben. Dieser Antrag dient auch dazu, das Thema in die Bundesdelegiertenkonferenz zu tragen.
Kommentare
Pascal Bittes:
Gerhard Klünder:
gegnerischen Seite geführt werden." Dass gegnerische Soldat*innen auch bei Verteidigungskämpfen zu Schaden kommen ist unumgänglich. Es macht aber einen Unterschied, ob täglich voller Stolz die Opfer auf der gegnerischen Seite gezählt werden oder ob wir es uns zum Ziel machen, auch diese Opferzahlen so gering wie möglich zu halten.
Ich gehe mal davon aus, dass den Soldat*innen in vielen Staaten - Russland zum Beispiel - beim Überlegen, ob sie an dem Angriffskrieg teilnehmen, ganz gut geholfen wird.
Pascal Bittes:
Christian Göritz-Vorhof:
"Auch und gerade wenn wir feststellen müssen, dass eine militärische Bedrohung unseres Staatsgebietes oder anderer verbündeter Staaten durch dynamische Entwicklungen nicht mehr völlig ausgeschlossen werden kann, sind wir entschlossen, nicht die Fehler zu wiederholen, die Europa über Jahrhunderte hinweg immer wieder in verheerende Kriege gestürzt haben. Das hat zwei wichtige Konsequenzen:"
"Zur Vermeidung von Rüstungsspiralen muss die Bundeswehr mit dem deutlichen und sichtbaren Schwerpunkt auf Defensivwaffen ausgerüstet werden, so dass sie von anderen Mächten nicht als Bedrohung wahrgenommen wird und entsprechend auch keinen Grund für weitere Aufrüstungen darstellt."
1.) Im "Kalten Krieges" war die Bundeswehr zur Verteidigung des Staatsgebiets ausgerüstet. Die jetzige Bundeswehr ist ein Bruchteil jener im Jahre 1990 und wird es bleiben. Eine Vergrößerung ist nicht geplant sowie reicht das Sondervermögen lediglich zur Ausrüstung derzeitiger Defizite.
Woraus begründet sich also die These, dass aus einer Ausstattung der Bundeswehr eine Rüstungsspirale entstehen könne?
2.) Es gibt zwar Waffen, die für offensive Operationen wichtig bzw. eher geeignet sind (z.B. Kampfpanzer) als andere, aber es gibt defacto keine Defensivwaffen, da jegliche Waffen sowohl bei offensiven wie defensiven Handlungen eingesetzt werden können. Darüber hinaus werden z.B. Kampfpanzer wiederum benötigt, um das Staatsgebiet oder jenes von Bündnispartnern bei einem Angriff durch einen Aggressor verteidigen zu können und die Souveränität wieder herstellen zu können (siehe aktuelle Forderungen aus der Ukraine). Dazu sind offensive militärische Handlungen erforderlich und die grundsätzliche Befähigung dazu.
Die Forderung nach "sichtbaren Defensivwaffen" ist daher unschlüssig.
3.) Unabhängig von der Ausgestaltung der Bewaffnung der Bundeswehr als „offensiv“ oder „defensiv“, stellt sich die Frage, wie daraus eine Bedrohung für andere Mächte erwachsen soll.
a. Zum einen ist mit der geringen Größe der Bundeswehr eine Bedrohung anderer „Mächte“ fern des Möglichen.
b. Zum anderen folgt die Ausstattung der Bundeswehr den Vorgaben aus dem politischen Raum (Sicherheitspolitische Leitlinien, Weißbuch, Fähigkeitsprofil) - der zivilen Führung.
Eine "Bedrohung" durch die Bundeswehr setzt somit eine entsprechende „Kommunikation“ durch die Bundesregierung voraus.
Zur Erinnerung:
Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer Staat.
Die Bundeswehr ist Mittel der Politik zur Friedens- und Sicherheitspolitik und folgt dieser. Ein Einsatz erfolgt auf Beschluss des Bundestags.
Eine Drohkulisse ausgehend von der Ausstattung der Bundeswehr anzunehmen ist somit aufgrund der politischen Begebenheiten unsinnig.
Spätestens an diesem Punkte sollte die Abwegigkeit obigen Absatzes und des gesamten Antrags erkennbar werden.
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Darüber hinaus ebenfalls unschlüssig:
„Dem Prinzip der Abschreckung folgen wir nicht. Waffensysteme sollen so ausgelegt sein, dass sie alles bekämpfen können, was eine unmittelbare Gefahr darstellt. Eine nukleare Teilhabe lehnen wir ab.“
Der aktuelle Krieg in der Ukraine sollte den Fehler fehlender Verteidigungsfähigkeit zur Abschreckung (durch bessere Ausstattung der Ukraine) deutlich machen. Deutlich wehrhaftere ukrainischer Streitkräfte hätten den Angriff Seitens Russland unwahrscheinlicher gemacht, ggf. grds. verhindert.
Historisch war auch das Kräftegleichgewicht und gegenseitiges Abschreckungspotential im Kalten Krieg auch dafür verantwortlich, dass dieser kalt blieb.
"wehrfaften Pazifismus" fordern und gleichzeitig Abschreckung ablehnen, ist angesichts der aktuellen sicherheitspolitischen Situation in Europa - Putins Abkehr von der Diplomatie und Rückkehr zum Rechts des Stärkeren - nicht schlüssig.
Auch mit Blick auf weitere Formulierungen ist Antrag aus meiner Sicht grds. nicht geeignet zur Vorlage auf einer BDK.
Gerhard Klünder:
vielen Dank für Deinen Kommentar.
Du kannst das Ziel des Antrages ablehnen, denn das ist Dein gutes Recht, und es kann natürlich auch sein, dass sich das Eine oder Andere Dir nicht erschließt. Daraus aber zu erkennen, der Antrag sei unschlüssig und nicht zur Vorlage auf einer BDK geeignet, empfinde ich als anmaßend und ich hoffe auch, dass Du Deinen Intellekt dabei nicht ganz ausgeschöpft hast. Oder das ist Deine Art der Diskussion? Das zeigt schon einen Unterschied, der uns dazu gebracht hat, diesen Antrag zu stellen und Dich, ihn abzulehnen. Ich bitte darum vorauszusetzen, dass sich unser Kreisverband und seine Mitglieder mit dem Thema eingehend auseinandergestzt haben.
Auch ist mir nicht klar, woraus Du unser "Grundverständnis unseres Staates" erkennst.
Wir sind uns auch bewusst über 70 Jahre Frieden trotz des angewandten Prinzips der Abschreckung. Diese Prinzip stand seinerzeit schon in der Kritik, übrigens explitit auch der jungen Grünen Partei, und dieser Kritik folgt auch dieser Antrag. Wir sind überzeugt davon, dass wir zu intelligenteren Strategien zur Friedenserhaltung als zu der durch Abschreckung kommen können und müssen, denn sonst werden wir für immer in einem Bedrohungsszenario leben. Dass die Abschreckung der Grund für die 70 Jahre Frieden war, ist einfach nur eine These, der ich auch nicht folge. Es gab auch immer wieder große Abrüstungsrunden, durch die ganz bestimmt nichts gefährlicher wurde.
Deine Logik "Wir sind die Guten, also können wir aufrüsten ohne eine Bedrohung darzustellen", teilen vielleicht nicht alle. Möglicherweise zählen andere nur das Blech, sehen was damit möglich ist und fühlen sich bedroht. Möglicherweise halten die uns ja auch gar nicht für die Guten.
Auch ist klar, dass die Bundeswehr alleine keine Angstmachertruppe ist. Sie ist aber Teil der NATO, und zwar der Teil, auf den wir Einfluss haben, und hier fangen wir an. Da steckt auch ein Stück Kritik an der NATO-Strategie drin, wir sollten aber auch einfach aus historischen Gründen ein besonderes Verhältnis zum Militarismus haben.
Angriffs- und Abwehrwaffen können nicht trennscharf unterschieden werden. Gleichwohl ist ein Luftabwehrsystem für mich eine Defensivwaffe, die möglicherweise auch einen Angriff unterstützen kann, wähend F-35-Kampfbomber Angriffswaffen sind, die auch im Verteidigungsfall nützlich sein können. Ich will auch keine Atombomben in Ziele tragen.
Wir sprechen uns auch nicht gegen eine Ausrüstung der Bundeswehr aus. Uns beschäftigt viel mehr, wie wir ausrüsten.
Die Ukraine wäre besser dran gewesen, wenn sie mehr Defensivwaffen gehabt hätte. Dann müsste sie jetzt möglicherweise auch nicht angreifen.
Wir wollen die Ausstattung der Bundeswehr als politischer Raum, als zivile Führung, steuern.
Beide Strategien, die der Abschreckung und die der Abrüstung, bringen Risiken mit sich. Wir finden aber, dass die der Abrüstung eher in die richtige Richtung führt.
Friedliche Grüße
Gerd Klünder