Veranstaltung: | 49. Bundesdelegiertenkonferenz Karlsruhe |
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Tagesordnungspunkt: | T Tagesordnung/Formalia |
Antragsteller*in: | Johannes Rückerl (KV Regensburg-Stadt) und 147 weitere Antragsteller*innen (Frauenanteil: 47%) |
Status: | Antrag mit Klärungsbedarf |
Eingereicht: | 12.10.2023, 16:28 |
Für eine menschenwürdige Asylpolitik
Antragstext
In den letzten Wochen und Monaten haben sich die Debatten rund um die Themen Migration und
Asyl in Deutschland und Europa stark verschärft: Teile der deutschen Parteienlandschaft
fordern immer härtere Maßnahmen gegen Geflüchtete. Dabei sind die meisten Forderungen
realitätsfern, wirkungslos und purer Populismus.
Es muss klar gesagt werden: Das Recht auf Asyl gehört zu den universellen Menschenrechten,
und einige der aufkommenden Forderungen würden diese klar verletzen. Wer am Recht auf Asyl
rüttelt, höhlt das Fundament unserer Demokratie aus, missachtet eine der wichtigsten Lehren
aus dem Zweiten Weltkrieg und spielt rechten Kräften in die Hände. Einer solchen
Diskursverschärfung treten wir entschieden entgegen und erwarten dies von allen
hauptamtlichen Grünen Politiker*innen. Die Bundesdelegiertenkonferenz fordert den
Bundesvorstand, die Mitglieder der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die GRÜNEN sowie die
Grünen Minister*innen auf, zu Grünen Grundwerten und unseren Verbündeten in der
Zivilgesellschaft zu stehen und sich in der Asyldebatte rechten und menschenverachtenden
Positionen entgegenzustellen.
Leider bleibt es in der deutschen und europäischen Debatte nicht bei bloßen populistischen
Forderungen. Auch in konkreten Gesetzesvorhaben ist der europäische Rechtsruck zu erkennen.
Das prominenteste Beispiel ist dabei der neue Reformvorschlag für das "Gemeinsame
Europäische Asylsystem" (kurz: GEAS), welcher eine enorme Asylrechtsverschärfung bedeuten
und in Teilen das Recht auf Asyl in Europa faktisch abschaffen würde. Die Zustimmung der
Grünen Minister*innen zu diesem Gesetzespaket war ein Fehler und ist mit Grünen Grundwerten
unvereinbar.
Spätestens die Zustimmung zur sogenannten "Krisen-Verordnung", welche Teil des GEAS-
Gesetzespakets ist und es Staaten an den EU-Außengrenzen im Zweifelsfall ermöglicht, alle
nach Europa Flüchtenden an der Grenze über Wochen hinweg zu inhaftieren, widerspricht
außerdem dem Koalitionsvertrag der Ampelregierung.
Wir Grüne dürfen diesen menschenrechts- und demokratieschädigenden Kurs nicht weiter
mittragen. Deshalb setzt die Bundesdelegiertenkonferenz folgende rote Linien für Grüne
Migrationspolitik:
- Die deutsche Zustimmung zum Gemeinsamen Europäischen Asylsystem (kurz: GEAS) muss
zurückgenommen werden, wenn in den Verhandlungen keine klaren Verbesserungen
erreichbar sind oder gar weitere Abschwächungen von Menschenrechtsstandards
hinzukommen.
- Eine Ausweitung des Status "sicheres Herkunftsland" auf weitere Staaten ist mit Grüner
Beteiligung undenkbar.
- Eine Auslagerung der europäischen Migrationspolitik in Drittstaaten, beispielsweise
nach dem Vorbild des britischen Abkommens mit Ruanda, darf es mit deutscher
Beteiligung nicht geben.
- Bundespolitische Haushaltskürzungen bei Migrationsberatung, Integrationskursen und
psychosozialer Beratung für Geflüchtete müssen gestoppt werden.
Von der Bundesregierung erwarten wir eine konstruktive Migrationspolitik. Dazu gehört in
unseren Augen:
...auf bundespolitischer Ebene:
- Es braucht langfristige und verlässliche Vereinbarungen. Kommunen, die Geflüchtete
aufgenommen haben, werden deutlich mehr finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt. In
Anlehnung an die 2015 vom Bund an die Länder ausgezahlten Pauschalen sollten dies mit
Rücksicht auf inflationsbedingte Mehrausgaben mindestens 1000 Euro monatlich pro
aufgenommener Person sein. Außerdem wird die Vorhaltung von Aufnahmekapazitäten in
Kommunen über eine Vorhaltepauschale ermöglicht.
- Geflüchtete erhalten ab dem ersten Tag in Deutschland das Recht, einer Erwerbsarbeit
nachzugehen. Dies ermöglicht ihnen, ein neues Leben aufzubauen und entlastet Staat und
Kommunen. Der "Spurwechsel" (also die Möglichkeit, aufgrund einer Anstellung einen
Aufenthaltstitel zu erhalten) wird weiter vereinfacht.
- Alle Geflüchteten durchlaufen sofort einen „Rechtskreiswechsel“ (das heißt:
Absicherung nach dem Sozialgesetzbuch statt nach dem
Asylbewerber*innenleistungsgesetz). Dies hat im letzten Jahr im Fall der Geflüchteten
aus der Ukraine die Kommunen stark entlastet. Die sozialrechtliche Gleichstellung und
der freie Zugang zum Gesundheitssystem entlasten auch die Sozial- und
Ausländerbehörden und senken die Kosten für Kommunen.
- Analog zu den Regelungen, die für ukrainische Geflüchtete gelten, erhalten auch
Menschen aus anderen Herkunftsstaaten die Möglichkeit, ihren Unterkunftsort in
Deutschland frei zu wählen. Auch das entlastet die Kommunen ebenso wie die
Geflüchteten, da es ihnen ermöglicht, bei Verwandten unterzukommen. Für diejenigen,
die keine Unterkunft selbst organisieren können, ist eine dezentrale Unterbringung zu
bevorzugen. Das Konzept der sogenannte AnkER-Zentren muss, wie im Koalitionsvertrag
beschlossen, abgeschafft werden.
- Die finanzielle Unterstützung privater Seenotrettung durch den Bund wird ausgeweitet.
Diese Mittel werden, wie im Haushaltsausschuss des Bundestags 2022 beschlossen, durch
die Organisation "United4Rescue" an die NGOs verteilt.
... auf europäischer Ebene:
- Wir fordern die Ausarbeitung eines fairen und menschenwürdigen europäischen
Asylsystems, in dem die Menschenrechte klar gewahrt werden, Sicherheit und Schutz
sowie echte Chancen für Geflüchtete geschaffen und Geflüchtete verbindlich solidarisch
auf die EU-Mitgliedsstaaten verteilt werden.
- Wir fordern ein staatliches Seenotrettungsprogramm entlang der Fluchtrouten im
Mittelmeer, mit der eindeutigen Aufgabe, Menschen aus Seenot zu retten, um weitere
Tote zu vermeiden.
Sollten die gesetzten roten Linien und eine konstruktive Migrationspolitik, welche sich an
diesen Forderungen orientiert und Menschenrechte achtet, in dieser Regierungskoalition nicht
umsetzbar sein, fordert die Bundesdelegiertenkonferenz die Mitglieder der Bundestagsfraktion
von Bündnis 90/Die GRÜNEN sowie die Grünen Minister*innen auf, die Ampelkoalition zu
verlassen.
Grüne Politik darf nicht Rechtsextremen und Populist*innen folgen, sondern muss mutig und
klar für Grüne Werte und für Menschenrechte einstehen.
Begründung
erfolgt mündlich