Die neoliberale Wirtschaftstheorie geht davon aus, dass die Wirtschaft automatisch zum Gleichgewicht zurückkehrt. John Maynard Keynes revolutionäre Einsicht angesichts der Weltwirtschaftskrise 1929 war, dass kapitalistische Marktwirtschaften nicht automatisch zur Vollbeschäftigung tendieren. Keynes Krisenanalyse ist bis zum heutigen Tag grundlegend. Aus dieser Darstellung des Marktverhaltens ergeben sich zwei Schlussfolgerungen: Erstens, Zusammenbrüche sind immer möglich, weil die Zukunft ungewiss ist; und zweitens, wenn sie geschehen, gibt es keine „automatischen“ Marktmechanismen, die einen schnellen Aufschwung gewährleisten. Deshalb muss der Staat als „Ausgleichsmechanismus“ in der Marktwirtschaft wirken. Er steigert oder senkt die Nachfrage je nach Bedarf und sorgt damit für soziale Zufriedenheit.
Die Regierungen sollten nach Keynes eine „antizyklische“ Wirtschaftspolitik verfolgen, um die Wirkung von Konjunkturschwankungen zu begrenzen. Das bedeutet, die Wirtschaft mit zusätzlichen Staatsausgaben anzukurbeln, wenn die privaten Ausgaben sinken, und sie zu drosseln, wenn diese steigen. Dies kann auf der Einnahmen- oder auf der Ausgabenseite oder auf beiden Seiten geschehen. Der „Multiplikator“, der auf der „marginalen Konsumneigung“ basiert, zeigt den Regierungen, welchen Gesamteffekt die zusätzliche oder reduzierte Nachfrage auf die Wirtschaft haben wird. Die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise 2009 wurde mit keynesianischer Wirtschaftspolitik durch umfangreiche geld- und fiskalpolitische Konjunkturprogramme bewältigt. Anders als nach dem Wall-Street-Crash 1929 blieben die Regierungen in der Krise 2008/2009 nicht passiv oder wirkten sogar krisenverschärfend durch Spar- und Austeritätsprogramme.
Angesichts der ökologischen Krise muss durch öffentliche Investitionsprogramme in die sozial-ökologische Transformation die Chance ergriffen werden, um die Ziele des Pariser Klimaabkommens und des europäischen Green New Deal mit der Initiative „Fit für 55“ zu erreichen. [1] Schuldenbremsen für EU und ihre Mitgliedsstaaten sind vor diesem Hintergrund abzulehnen, damit sie antizyklische Fiskalpolitik betreiben und in den Klimaschutz investieren können.
[1] Vgl. https://www.consilium.europa.eu/de/policies/green-deal/