Gemäß Pressemitteilung der Kommission vom 25.7.23 (https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/ip_23_3993) wird die Kommission gemeinsam mit allen relevanten Parteien an einem Fahrplan für tierversuchsfreie Sicherheitsbewertungen von Chemikalien arbeiten. Der Fahrplan wird als Orientierungsrahmen für künftige Maßnahmen und Initiativen dienen, die darauf abzielen, Tierversuche im Rahmen der Chemikaliengesetzgebung in der Europäischen Union zu reduzieren und letztendlich abzuschaffen. Darüber hinaus wird die Kommission einen neuen Fahrplan mit einer Reihe von legislativen und nichtlegislativen Maßnahmen zur weiteren Reduzierung von Tierversuchen auf den Weg bringen, mit dem Ziel, letztlich zu einem tierversuchsfreien Regelungssystem im Rahmen des Chemikalienrechts (z. B. REACH, Biozid-Verordnung, Pflanzenschutzmittelverordnung und Human- und Tierarzneimittel) überzugehen.
Ein wichtiges aktuelles EU-Projekt zielt darauf ab, eine neue Risikobewertung zur Verfügung zu stellen, die auf tierfreien Methoden (New Approach Methodologies, kurz: NAMs) basiert. Darunter werden Zellkulturverfahren, Organoide („Miniatur-Organe“), Analysen von Erbinformation und des Zellstoffwechsels, biochemische Auswertungen und künstliche Intelligenz oder lernende Computer-programme verstanden. Tierversuche sollen nur durchgeführt werden, wenn es noch keine NAMs gibt.
Große Arzneimittelkonzerne haben bereits verkündet, langfristig aus dem Tierversuch aussteigen zu wollen. So hat sich der Darmstädter Dax-Konzern Merck dafür ausgesprochen, die Zahl der Tierversuche zur Entwicklung und Produktsicherung von Arzneien und Chemikalien in den kommenden Jahren deutlich senken zu wollen. Auch Roche will die Anwendung von NAMs erheblich ausweiten. Bayer setzt auf Organ-on-Chip-Technologien zur Tierversuchsreduktion, Sanofi hat eine "Animal Protection Roadmap" mit dem Ziel einer 50%igen Reduktion bis 2030 selbst entwickelt.
Seit des Kosmetikvermarktungsverbots im Jahr 2013 neben tierfreien Methoden auf Augen-, Hautreizung, Augen-, Hautätzungstest, Hautsensibilierung, Genotoxizität sowie einem Stoffgruppenanalogiekonzept, mit dem auf bereits vorhandene Studienergebnisse verwiesen werden kann, keine wichtigen NAMs mehr anerkannt worden seien. Der Grund sei, dass komplizierte Studienziele noch immer nicht ersetzt werden können. Dabei mangele es nicht unbedingt an Entwicklungen. Aber sie seien entweder nicht relevant, unfertig entwickelt, schlecht beschrieben oder - nicht validiert. Und für letzteren Prozess fehlt – Geld.
Validierungen dauern allerdings lange und es steht hier kein großer EU-Etat zur Verfügung. Die Europäische Validierungsbehörde ist nur mäßig ausgestattet bei einem umfangreichen Arbeitsumfang, der sich immer mehr auf Öffentlichkeitsarbeit und Bildung konzentriert.
Da unzählige bereits entwickelte Methoden validiert werden müssten und einen erheblichen Zeitaufwand erfordern, wird unter den Regulationsbehörden inzwischen auch diskutiert, ob es nicht möglich sei, NAMs nach einem anderen Qualitätsverfahren anerkennen zu lassen. In der Stellungnahme des Rates der Europäischen Union vom 27. Juli 23 (12207/23) wird darauf hingewiesen, dass bei Humanarzneimitteln z.B. alternative Prüfansätze, die noch nicht in einem förmlichen Validierungsverfahren bewertet worden sind, von den zuständigen Behörden wie der EMA auch „auf Einzelfallbasis im Anschluss an eine Evaluierung der vom Antragsteller eingereichten Daten“ anerkannt werden können.
Eine der bereits erklärten Ziel der EU ist die Verbesserung des Tierschutzes und Einführung des "Drei-R-Prinzips" (Ersetzen, Verringern und Verbessern) bei allen Verwendungs- und Pflegepraktiken, wenn Tiere noch für Forschung und Tests benötigt werden. Auf eine explizite Nennung von 3R kann im Rahmen des Wahlprogramms daher verzichtet werden, da dies bereits erklärtes Ziel der EU ist.