Zahlreiche engagierte Menschen setzen sich in der Europäischen Union dafür ein, Menschen auf dem Mittelmeer vor dem Ertrinken zu retten und schutzsuchenden Menschen an Land humanitäre Hilfe zu leisten. Dies ist eine menschenrechtsbasierte Antwort auf das Scheitern der europäischen Migrationspolitik und hat tausende Menschenleben gerettet. Diese Bemühungen verdienen politische Rückendeckung und Unterstützung.
Trotz des humanitären Einsatzes vieler Menschen und Organisationen hat die Europäische Union versäumt, sichere Fluchtwege zu schaffen und eine solidarische Flüchtlings- und Migrationspolitik zu etablieren. Stattdessen erschweren restriktive Maßnahmen den Weg für schutzsuchende Menschen und verschärfen die humanitäre Krise weiter. So ist die Zahl ertrunkener Menschen im Mittelmeer im Jahr 2023 im Vergleich zum Vorjahr erneut deutlich angestiegen. Diese Politik führt zu einer systematischen Entrechtung und Kriminalisierung von Menschen auf der Flucht.
Eine reale Gefahr für die Kriminalisierung humanitärer Hilfe geht inzwischen auch konkret von einem Gesetz aus, das in diesem Jahr in Deutschland in Kraft getreten ist: Das Gesetz zur Verbesserung der Rückführung, das die Koalition aus SPD, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN und FDP im Bundestag beschlossen hat. Dieses Gesetz erstreckt den Straftatbestand des § 96 Abs. 4 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) auf Fälle altruistischer Hilfeleistung bei der unerlaubten Einreise in die EU oder den Schengen-Raum. Ursprünglich war dieser Straftatbestand nur für Schleuser konzipiert, die für ihre Dienste Entgelte verlangen. Nun jedoch bringt das Gesetz auch zivile Seenotretter*innen in die Gefahr, kriminalisiert zu werden, wenn sie ausgerechnet unbegleitete minderjährige Geflüchtete retten und in einen sicheren Hafen bringen.
Dieser Tatbestand schafft erhebliche Rechtsunsicherheiten, mit konkreten Auswirkungen auf die Präsenz der Seenotrettungsorganisationen auf dem Mittelmeer. Prof. Dr. Aziz Epik, Juniorprofessor für Strafrecht, Internationales Strafrecht und Kriminologie an der Universität Hamburg, warnt: „Eine abweichende Rechtsauffassung kann hier nur vertreten, wer die Augen vor der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verschließt. Dieser vertritt nämlich die Position, dass die ausdrückliche Bezugnahme in § 96 Abs. 4 AufenthG auf § 96 Abs. 2 AufenthG zur Konsequenz hat, dass es nicht darauf ankommt, ob die Hilfeleistung aus eigennützigen oder altruistischen Motiven erfolgt. Natürlich kann man als Gesetzgeber darauf hoffen, dass der Bundesgerichtshof diese Position einschränkt. Aber eine rechtssichere Regelung sieht anders aus.“
Es ist inakzeptabel, dass humanitäre Helfer*innen kriminalisiert werden. Wir fordern daher ausdrücklich eine umgehende Korrektur des sog. Rückführungsverbesserungsgesetzes, um diese Rechtsunsicherheiten zu beseitigen. Nur so kann gewährleistet werden, dass Menschenrechte universell und unteilbar sind und humanitäre Hilfe nicht unter Strafe gestellt wird.
Quellen und öffentliche Berichterstattung
(1) Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2002/90/EG
(2) Hilfsorganisation warnt vor möglicher Kriminalisierung der Kinder-Seenotrettung
(3) Kriminalisierung der zivilen Seenotrettung durch das Rückführungsverbesserungsgesetz?
(4) Rückführungsverbesserungsgesetz: Humanitäre Hilfe droht weiterhin kriminalisiert zu werden