| Antrag: | Leistung anerkennen, Gerechtigkeit schaffen: bessere Bedingungen für Alleinerziehende |
|---|---|
| Antragsteller*in: | BAG Frauen (dort beschlossen am: 20.10.2025) |
| Status: | Eingereicht |
| Eingereicht: | 22.10.2025, 09:32 |
V-54-088: Leistung anerkennen, Gerechtigkeit schaffen: bessere Bedingungen für Alleinerziehende
Nach Zeile 88 einfügen:
- dass Alleinerziehende bei der Vergabe von Betreuungsplätzen vorrangig berücksichtigt werden. Nur so kann Erwerbsarbeit überhaupt gesucht werden und der Nachteil in der Bildungshistorie und Altersarmut verringert werden.
In Deutschland leben offiziell 1,52 Alleinerziehende - davon 89% Frauen - mit
minderjährigen Kindern. Das betrifft fast jede fünfte Familie, inoffiziell noch
mehr. Alleinerziehende tragen die Verantwortung für Familie, Einkommen und
Fürsorge – und werden dennoch stigmatisiert und strukturell benachteiligt. Diese
Benachteiligung trifft auch ihre Kinder und führt zu einer hohen
Armutsgefährdung trotz enormer Leistung und einer hohen Erwerbsquote. Mit einem
Armutsrisiko von 43 % sind sie so stark von Armut betroffen wie keine andere
Familienform.
Dies zeigt: Es braucht endlich politische Rahmenbedingungen, die
Alleinerziehende stärken, ihre Leistung anerkennen und echte Gerechtigkeit
schaffen.
BÜNDNIS 90/Die GRÜNEN setzt sich dafür ein, folgende Rahmenbedingungen für
Alleinerziehende zu verbessern:
Unterhaltsvorschuss reformieren: Kinderrechte stärken
Wenn ein unterhaltsspflichtiger Elternteil den Unterhalt nicht zahlt, geht der
Staat in Vorleistung und gewährt einen Mindest-Unterhaltsvorschuss, der laut
Gesetz vom zahlungspflichtigen Elternteil zurückgezahlt werden muss. Das
Unterhaltsvorschussgesetz sowie die Praxis der unzureichenden Rückforderung sind
derzeit höchst ungerecht und benachteiligen vor allem Alleinerziehende und ihre
Kinder. Wir werden uns dafür einsetzen, dass jedes Kind die ihm rechtlich
zustehenden finanziellen Mittel bekommt, indem
- das Kindergeld nicht mehr, wie in der bisherigen Regelung, vollständig vom
Unterhaltsvorschuss abgezogen wird. Denn jedes Kind hat ein Recht auf
Kindergeld!
- der Anspruch des Kindes auf Unterhaltsvorschuss analog zum
zivilrechtlichen Unterhaltsanspruch- bei erneuter Heirat der alleinerziehenden Person bestehen bleibt.
- bis zum Abschluss der ersten Berufsausbildung besteht.
- auch nach dem 12. Lebensjahr nicht vom Einkommen des betreuenden
Elternteils abhängt. Alleinerziehende brauchen keine Arbeitsanreize,
sondern ihre Kinder brauchen den Lebensstandard, der ihnen zusteht,
auch nach dem 12. Lebensjahr!
- die Rückgriffquote, die aktuell bei nur 17% liegt, auf
unterhaltspflichtige Elternteile deutlich erhöht wird. Dazu soll eine
Reform zwischen Bund, Ländern und Kommunen erarbeitet und eine nationale
Inkassostelle nach dem Vorbild des BAföG-Amts eingerichtet werden. Für
Unterhaltsvorschussschulden wird eine Verjährungsfrist von 20 Jahren
eingeführt.
- die Antragstellung für den Unterhaltsvorschuss vereinfachter, schneller
und unbürokratischer erfolgt. Insbesondere darf die Antragstellung nicht
von der Alleinerziehenden eine finanzielle Vorleistung im Rahmen
gerichtlicher Verfahren, beispielsweise zur Feststellung der Vaterschaft,
verlangen.
- langfristig die Holschuld der Alleinerziehenden durch eine Bringschuld des
zahlungspflichtigen Elternteils ersetzt wird. Das heißt, ein Elternteil,
das nicht zahlt, muss den Staat um den Vorschuss bitten. Tut er dies
nicht, ist automatisch auch die o.g. Inkassostelle zuständig.
Für ein sicheres Leben ohne Gewalt: Für Kinder und ihre Mütter
Alle 4 Minuten erfährt in Deutschland eine Frau Gewalt durch ihren (Ex-)Partner.
Das Risiko steigt sogar noch in einer Schwangerschaft und nach einer Trennung.
Wir fordern
- die vollumfängliche Umsetzung der Istanbul-Konvention, um Mütter und
Kinder in Familiengerichtsverfahren wirksam vor Gewalt zu schützen.
Gewaltschutz muss immer Vorrang vor Umgangs- und Sorgerechtsansprüchen
haben, denn auch die Kinder sind hier Opfer der Gewalt. Von einem Kind
miterlebte Gewalt gegen seine Mutter ist eine spezielle Form der
Kindesmisshandlung und widerspricht immer dem Kindeswohl.
- dass die Gewaltdefinition in Gesetzgebung, Justiz und Behörden grundlegend
überarbeitet wird. Nachtrennungsgewalt, Zwangskontrolle (Coercive
Control), finanzielle Gewalt und Gewaltandrohungen müssen endlich als
Formen geschlechtsspezifischer Gewalt anerkannt und entsprechend geahndet
werden.
Diskriminierung bekämpfen: Gleichstellung fördern
Obwohl Alleinerziehende extrem viel leisten, erleben sie an vielen Stellen
strukturelle Diskriminierung, sei es durch Gesetze oder andere Strukturen und
gesellschaftliche Erwartungen. Daher fordern wir
- die Aufnahme der Familiensituation ins Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz
(AGG), inklusive des Status „alleinerziehend“ für effektiven Schutz vor
Benachteiligung im Beruf, bei der Wohnungssuche und im Alltag.
- dass die Hürden, Diskriminierung zu beweisen, gesenkt werden und die Frist
zur Geltendmachung von Ansprüchen verlängert wird. Damit sollen mehr
Betroffene befähigt werden, sich zu wehren. So kann Diskriminierung
wirklich geahndet und durch Präzendenzfälle wirksam entgegengewirkt
werden.
- eine faire Besteuerung. Aktuell werden Alleinerziehende in Deutschland
steuerlich etwa doppelt so stark belastet wie im OECD-Durchschnitt. Sie
versorgen mindestens ein Kind, das nicht arbeiten kann und werden
gegenüber verheirateten Paaren aus zwei Erwachsenen steuerlich massiv
benachteiligt. Stattdessen sollen Alleinerziehende, insbesondere mit
geringem Einkommen, entlastet werden, beispielsweise durch eine
Steuergutschrift.
- dass bei jeder Kindergelderhöhung der SGBII-Regelsatz für Kinder in
gleicher Höhe steigt.
- volle Lohnfortzahlung für Eltern kranker Kinder. Die Lohneinbußen durch
Kinderkranktage treffen Alleinerziehende besonders. Damit Eltern die
Gesundheit ihres Kindes und anderer schützen können, müssen diese auch bei
Krankheit der Kinder, analog zu eigener Krankheit, volle Lohnfortzahlung
bekommen.
- dass Alleinerziehende bei der Vergabe von Betreuungsplätzen vorrangig berücksichtigt werden. Nur so kann Erwerbsarbeit überhaupt gesucht werden und der Nachteil in der Bildungshistorie und Altersarmut verringert werden.
- Ermöglichung von politischer Teilhabe durch familienfreundliche
Strukturen, um ein Mandat ausüben zu können. Der politische Betrieb muss
Rücksicht auf Betreuungsrealitäten nehmen. Die eigene politische
Beteiligung von Alleinerziehenden ist nicht nur wichtig für eine gerechte
Teilhabe, sondern stellt auch sicher, dass bei der Gesetzgebung die
Interessen der Alleinerziehenden berücksichtigt werden.
- dass der Umgang mit einem anderen Elternteil bei der Berechnung von
Ansrpüchen nicht zu finanziellen Nachteilen führt. Stattdessen sollen die
finanziellen Mehrbelastungen durch Umgang berücksichtigt werden.
Wohnen: für jede Familie ein gutes Zuhause
Die aktuelle Wohnungskrise trifft Alleinerziehende, deren Armutsrisiko bei 43%
liegt, besonders hart. Dabei ist für das psychische Wohlbefinden von Kindern und
ihrem Elternteil eine geeignete Wohnung in einem sicheren Mietverhältnis als
stabiler Rückzugsort essentiell. Mit dem Thema Wohnen gehen viele andere
Herausforderungen oder Lösungen einher, wie bspw. die Unterstützung durch
Gemeinschaft und Nähe zu Infrastruktur.
Wir setzen uns ein für
- eine gezielte Vergabe von öffentlich gefördertem Wohnraum an
Alleinerziehende.
- die Vorhaltung von öffentlich geförderten Wohnraum für gewaltbetroffene
Frauen, die aus der gemeinsamen Wohnung mit dem Partner oder einem
Frauenhaus ausziehen wollen/müssen.
- gemeinschaftliche Wohnformen für Alleinerziehende. Beispielsweise durch
die öffentliche Förderung gemeinschaftlicher Wohnprojekte für
Alleinerziehende und den Abbau von Benachteiligung bei Transferleistungen
und der Steuerklasse für Alleinerziehende, die in eine Wohngemeinschaft
ziehen.
- Beim Zuschnitt neuer Bauvorhaben von öffentlich gefördertem Wohnraum und
Genossenschaften müssen die Anforderungen von Ein-Eltern-Familien, also
kostengünstige, kompakte Wohnungen mit einem Schlafzimmer für jede Person,
berücksichtigt werden. Eine von der Fläche passende Wohnung ist oft so
geschnitten, dass es nicht genügend Schlafzimmer gibt, da Wohnungen immer
noch für Singles, Paare und Paarfamilien geplant werden. Bei der Vergabe
von Sozialwohnungen muss die Zahl der Zimmer ausschlaggebend sein, auch
bei jüngeren Kindern, nicht lediglich die Zahl der Quadratmeter.
Leistung muss sich wieder lohnen: Care Arbeit anerkennen
Alleinerziehende leisten unglaublich viel und opfern ihre eigene soziale
Absicherung oftmals dafür, für ihre Kinder da zu sein. Sie leisten mit ihrer
Erziehungsarbeit einen erheblichen gesellschaftlichen Beitrag. Daher schlagen
wir vor,
- ihnen für die Jahre, in denen sie minderjährige Kinder betreuen, je einen
halben Rentenpunkt anzurechnen.
- Außerdem sollen weitere Maßnahmen zur Vermeidung von Altersarmut von
Alleinerziehenden entwickelt werden.
Als gleichwertige Familienform wollen wir die Lebensrealität von
Alleinerziehenden - in engem Austausch mit der Zivilgesellschaft - in allen
Bereichen unseres politischen Handelns mitdenken, um strukturelle
Benachteiligung einzudämmen.
