Die Grundidee des Antrags ist selbstverständlich genau der richtige Ansatz. Es gilt jedoch der Grundsatz der Gleichbehandlung, insofern muss die Anrechnung der Einkünfte grundsätzlich bei jedem gleich sein. Es müsste also zunächst einmal rechtlich geprüft werden, inwiefern der Umstand, dass der betroffene Personenkreis in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Haushaltvorstand steht, hier eine unterschiedliche Behandlung zu anderen Personenkreisen begründen könnte. Dies gilt nicht nur für das Abhängigkeitsverhältnis minderjähriger Kinder zu ihren Erziehungsberechtigten, sondern noch viel mehr für das Abhängigkeitsverhältnis des volljährigen Kindes, das gezwungen ist, im elterlichen Haushalt zu wohnen, weil die eigenen Einkünfte noch nicht für einen eigenen Haushalt ausreichen. In Familien, die keine Sozialleistungen beziehen, würde hier allenfalls ein Kostgeld vom Kind gefordert. Das ist auch richtig so, aber mehr eben auch nicht und schon gar nicht die finanzielle Mitversorgung der Eltern.
Der Antrag lässt ferner einige Punkte außer Acht: Im Antrag werden nur „Hartz-IV-Familien“ genannt, nicht jedoch Familien, die Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Sozialhilfegesetz beziehen. Die Berechnungsgrundlagen sind identisch.
Die Formulierung „im weitesten Sinne Kind eines Haushaltvorstandes“ soll außer leiblichen Kindern auch Stief- oder Enkelkinder einbeziehen und das Abhängigkeitsverhältnis zum Haushaltsvorstand verdeutlichen.
Im Antrag werden nur die Einkünfte aus einem Minijob genannt. Es ist jedoch nicht nachvollziehbar, warum zwischen Einkünften aus einem Minijob, einer Ausbildungsvergütung oder sonstigen Vergütungen, die im Rahmen von Ausbildung oder Arbeit erzielt werden, unterschieden werden sollte.
Ferner sind auch Einkünfte, die nicht durch Arbeit erzielt werden, zu beachten: Wenn z. B. ein Elternteil Unterhalt für ein beim anderen Elternteil lebendes Kind zahlt und dieser Unterhalt zusammen mit dem Kindergeld den Bedarf (nach der Bedarfsberechnung) des Kindes übersteigt, dann wird der überschüssige Betrag automatisch und in vollem Umfang auf den Bedarf des Elternteils angerechnet, bei dem das Kind lebt. Der übersteigende Kindesunterhalt kann somit nicht für das Kind (z. B. für Nachhilfestunden, Musikunterricht oder einen Führerschein) verwendet werden, sondern muss von dem Elternteil für den eigenen Lebensunterhalt genutzt werden. Damit zahlt ein Elternteil indirekt Unterhalt für das andere und zwar selbst dann, wenn zuvor ein Familiengericht festgestellt hat, dass nur für das Kind, nicht jedoch für das andere Elternteil Unterhalt zu zahlen ist.
Es kommt dann sogar zu der absurden Situation, dass für diese Kinder Leistungen für Bildung und Teilhabe (Mensa-Essen, Klassenfahrten usw.) beantragt werden müssen, obwohl dies eigentlich vom Unterhalt hätte bezahlt werden können. Diese Form der „Armutsvererbung“ muss ebenfalls und ebenso dringend beendet werden.
Bei der Anrechnung von Einkünften aus Arbeit oder Ausbildung geht es nicht einfach nur darum, dass die Betroffenen mehr Geld zur Verfügung haben sollen. Es geht darum, dass die Betroffen die gleichen Möglichkeiten haben sollen wie Gleichaltrige, die nicht in dem beschriebenen Abhängigkeitsverhältnis stehen.
Und ganz besonders geht es auch um die Persönlichkeitsentwicklung. Wir leben in einer Gesellschaftsform, in der es heißt „Arbeit lohnt sich“. Eine andere Gesellschaftsform wäre zwar wünschenswert, aber bis es soweit ist, müssen wir mit dem Ist-Zustand umgehen. Junge Menschen, die am Anfang ihres Berufslebens stehen oder als Schüler*innen vielleicht sogar noch davor, müssen ein Gefühl dafür entwickeln können, dass Arbeit sich lohnt.
Gerade in finanziell schlechter gestellten Familien können Eltern dies nicht vorleben, umso wichtiger ist es, dass diese jungen Menschen ein solches Gefühl auf andere Art und Weise erfahren können. Mit der gängigen Anrechnungspraxis lernen sie nur eins, nämlich dass sie genauso gut zu Hause bleiben können.
Es ist emotional und psychologisch ein erheblicher Unterschied, ob ich als erwachsener Mensch mit Stolz feststellen kann, dass ich mich endlich aus dem „Hartz-IV-Bezug“ herausgearbeitet habe, wenn auch nicht mit viel mehr Geld auf dem Konto, so zumindest mit selbst erarbeitetem und dem Gefühl etwas geleistet zu haben oder ob ich als junger Mensch frustriert feststellen muss, dass ich von meinem sauer verdienten Geld nichts für meine Zukunft ansparen kann, sondern gezwungenermaßen meine Familie finanziell mitversorgen muss, obwohl ich selbst keinen Anteil daran habe, Kind in einer finanziell schwachen Familie zu sein.
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