Wir beantragen den ursprünglichen Satz aus dem verabschiedeten Bundestagswahlprogramm 2021 wieder in seiner ganzen Länge aufzunehmen und nicht Menschen vielfältiger geschlechtlicher Identitäten aus vorauseilendem Gehorsam in Zeiten massiv steigender Transfeindlichkeit im Regen stehen zu lassen.
Es ist dringend geboten den Schutz sowohl der sexuellen als auch der geschlechtlichen Identität durch eine Ergänzung des Artikels 3 Absatz 3 verlässlich abzusichern. Eine einfache Ergänzung um den Begriff "sexuelle Identität" reicht indes nicht aus, um den Schutz der gesamten queeren Community - insbesondere von trans*, inter* und nonbinären Menschen - dauerhaft zu erzielen.
Dies unterstreichen unisono die Stellungnahmen der drei renommierten Juristinnen und Expertinnen für Verfassungsrecht Prof. Dr. Ulrike Lembke (Richterin am Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin), Prof. Dr. Anna Katharina Mangold (Professorin für Europa- und Völkerrecht an der Europa-Universität Flensburg) und Prof. Dr. Johanna Schmidt-Räntsch (Richterin am Bundesgerichtshof a. D., Kontrollbeauftragte beim Unabhängigen Kontrollrat) für eine Anhörung des Runden Tisches zur Ergänzung des Artikels 3 Grundgesetz. Auch ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages, das im Auftrag des Büros der grünen MdB Ulle Schauws angefertigt wurde, kommt zu der Einschätzung, dass nur eine direkte Ergänzung im Text des Artikels 3, Absatz 3, einen vom Zeitgeist unabhängigen verlässlichen Schutz auch in der Zukunft garantieren kann.
Die Initiative GRUNDGESETZ FÜR ALLE macht in ihrem Appell deutlich:
"Die sexuelle Identität ist bislang durch keines der in Art. 3 (3) GG benannten Merkmale geschützt. Auf Basis des bis heute unveränderten Wortlauts des Grundgesetzes billigte das Bundesverfassungsgericht noch in den 1950er und 1970er Jahren die strafrechtliche Verfolgung homosexueller und bisexueller Männer. Eine Ergänzung des Art. 3 (3) GG ist daher notwendig, um einen dauerhaften Diskriminierungsschutz zu sichern.
Auch einen Schutz der geschlechtlichen Identität leitet das Bundesverfassungsgericht nur indirekt und nicht immer einheitlich aus dem Merkmal Geschlecht ab. Eine Klarstellung des vollumfänglichen Schutzes auch der geschlechtlichen Identität in Art. 3 (3) GG ist deswegen notwendig."
QueerGrün von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat sich dem Appell als Erstunterzeichnende angeschlossen wie auch über 60 bundesweite queere Organisationen (u. a. LSVD+, dgti, BVT*, Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, Hirschfeld-Eddy-Stiftung, CSD Deutschland, Keshet, LesbenRing, Dachverband Lesben und Alter, Wirtschaftsweiber).
In einem Beschluss der Dachstruktur QueerGrün (der Parteistruktur, in der sich das queerpolitische Fachwissen bündelt) vom 07.07.2024 heißt es zudem:
„Die Dachstruktur QueerGrün mit den Bundesarbeitsgemeinschaften Lesbenpolitik und Schwulenpolitik fordert daher alle bündnisgrünen Entscheidungsträger*innen in Bund und Ländern, in Partei und Parlamenten auf, alles dafür zu tun, den Artikel 3 des Grundgesetzes noch vor der nächsten Bundestagwahl um den Schutz sexueller und geschlechtlicher Identität zu ergänzen.“ (vgl. https://queergruen.info/detail/der-artikel-3-muss-noch-in-dieser-legislatur-geaendert-werden)
Im Rahmen der Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus im Deutschen Bundestag am 27.01.2023 standen erstmals die Leiden sowohl der homosexuellen Opfer als auch der Opfer, die aufgrund ihrer Geschlechtsidentität verfolgt wurden, sowie ihr notwendiger Schutz im Mittelpunkt. Vor dem Hintergrund, dass die Union wie auch die AfD in ihrem Wahlprogramm für die aktuelle Bundestagswahl die Abschaffung des gerade erst mühsam verabschiedeten Selbstbestimmungsgesetzes fordern, wäre es ein fatales Signal, wenn das Ziel, den Schutz von Menschen aufgrund ihrer geschlechtlichen Identität im Grundgesetz sicherzustellen, im Vergleich zum letzten grünen Bundestagswahlprogramm fallen gelassen würde – dort wurde es 2021 nämlich nachträglich aufgrund guter Argumente ergänzt, die bis heute Bestand haben.
Auch vor dem Hintergrund potenzieller Koalitionsverhandlungen ist es von großer Wichtigkeit, dass wir nicht bereits im vorauseilenden Gehorsam eine unzureichende Ergänzung des Grundgesetzes in unser Wahlprogramm aufnehmen, sondern dass wir uns auf die einstimmige Forderung aus der queeren Community und die fachliche Analyse der Rechtsexpertinnen verlassen, deren Meinung wir in anderen Anhörungen des Rechtsausschusses im Deutschen Bundestag regelmäßig Gehör und Glauben schenken.