Der im März auszuhandelnde Koalitionsvertrag muss eine Fülle real möglicher Szenarien vorausschauend berücksichtigen. Dazu gehört leider auch, dass das Fehlen staatsmännischen Weitblicks und sittlicher Hemmungen in der kommenden US-Administration sehr bald zu sehr massiven Nötigungsversuchen gegenüber den europäischen Verbündeten führen kann. Trump kann (u.a.) versuchen, Nato-Mitgliedsstaaten zur Teilnahme an US-geführten, völkerrechtswidrigen "Präventiv"-Kriegen im Fernen und im Nahen Osten zu nötigen. In dieser Lage müssen die europäischen Staaten Druckfestigkeit aufbauen. Dazu gehört erstens eine umfassende Nachrüstung, Die sollten europäische Staaten möglichst zügig durchführen und so weit, dass sie den - auch aus ökonomischen Gründen leider erwartbaren - Nötigungsversuchen Trumps standhalten können. Aber zur schnellen, umfassenden Nachrüstung muss etwas zweites hinzu kommen: eine klare, feste Rechtsposition, von der aus die Bundesrepublik und ihre Nachbarländer Trump die völkerrechtlichen Grenzen seiner "America first!"-Politik aufzeigen können.
Der hier beantragte, ergänzende Satz wiederholt praktisch wörtlich die entsprechenden Sätze in unserem Bundestagswahlprogramm, https://cms.gruene.de/uploads/documents/Wahlprogramm_DIE_GRUENEN_Bundestagswahl_2021.pdf , S. 224 und unserem Europawahlprogramm von 2019, https://cms.gruene.de/uploads/documents/B90GRUENE_Europawahlprogramm_2019_barrierefrei.pdf , dort S. 126f. Im Grundsatzprogramm von 2020 ( https://cms.gruene.de/uploads/documents/20200125_Grundsatzprogramm.pdf, ist diese Forderung in den Absätzen 374 und 394 enthalten.
Diese Auslegung der VN-Charta gehört praktisch seit Beginn der Vereinten Nationen zu den zentralen Rechtsstandpunkten der Generalversammlung. Im Präzedenzfall von 1950 hat sie Völkerrecht gegen den erklärten Willen einer Vetomacht gesetzt und damit den massiven Militäreinsatz gegen eine weitere (spätere) Vetomacht, die VR China, dauerhaft legitimiert, der die Freiheit Südkoreas möglich machte.Zu den im VII. Kapitel der VN-Charta als friedensdurchsetzend (bei unmittelbar drohenden oder bereits begonnenen Kriegen) klassifizierten Massnahmen gehören keineswegs nur die vor allem in den Artikeln 42 – 47 geregelten militärischen Massnahmen, sondern genauso die vor allem im Artikel 41 geregelten diplomatischen, kommunikativen und ökonomischen Druckmittel. Es soll also niemand glauben, Grüne würden hier etwas völlig Neues, noch nie Erprobtes verlangen oder Grüne würden militärische Schritte schon befürworten, bevor alle nichtmilitärischen Möglichkeiten ausgeschöpft oder als offensichtlich wirkungslos verworfen wurden.
Kurz als innergrüner Rückblick: In der Auseinandersetzung mit der traumatischen, folgenschweren Entscheidung zum Kosovokrieg 1999 - einerseits massive, einem Genozid sich nähernde Vertreibungsverbrechen, andererseits eine Dauerblockade des Sicherheitsrats durch Vetos - haben Grüne seit 2012 durchgehend in allen Bundestags- und Europa-Wahlprogrammen und im Grundsatzprogramm die grüne Lösung dieses Dilemmas erklärt und bekräftigt: aus Sinn und Wortlaut der Charta der Vereinten Nationen lässt sich ein Eintrittsrecht der Generalversammlung für eine durch Vetoblockaden handlungsunfähig gemachten Sicherheitsrates erschliessen.
Im Schutzverantwortungs-Beschluss „Für eine Verantwortung zum Schutz der Menschenrechte“, zu dem sich 2012 die BDK Hannover nach langer, engagiert geführter Debatte durchgerungen hat, haben wir diese Forderung verankert – siehe https://wolke.netzbegruenung.de/s/5JacEQFKG2k4rrA?dir=undefined&path=%2F2012-11-Hannover&openfile=28918899 , dort S. 7. Darauf aufbauend haben wir sie in unsere Bundestagswahlprogramme von 2013 ( https://wolke.netzbegruenung.de/s/5JacEQFKG2k4rrA?dir=undefined&path=%2F2013-04-Berlin&openfile=28918417 , dort S. 307) und 2017 ( https://wolke.netzbegruenung.de/s/5JacEQFKG2k4rrA?dir=undefined&path=%2F2017-06-Berlin&openfile=28918663, dort S. 86) aufgenommen und dann in unser Europawahlprogramm von 2019, unser Grundsatzprogramm von 2020 und unser Bundestagswahlprogramm von 2021 (Links s.o.).
Wir sollten diese besonders wichtige programmatische Entscheidung auch in unserem nächsten Bundestagswahlprogramm in vollem Umfang und unmissverständlich bekräftigen. Die Vereinten Nationen haben gemäß Artikel 1.1. ihrer Charta den Auftrag, "den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren und zu diesem Zweck wirksame Kollektivmassnahmen zu treffen, um Bedrohungen des Friedens zu verhüten und zu beseitigen, Angriffshandlungen und andere Friedensbrüche zu unterdrücken ..“ (vgl. https://www.un.org/en/about-us/un-charter/chapter-1 ). Zur wirksamen Wahrung des Weltfriedens müssen die Vereinten Nationen sich auch über die Machtinteressen einer Vetomacht oder mehrerer Vetomächte hinwegsetzen können. Um das zu können, brauchen sie die Fähigkeit, Veto-Blockaden ihres Sicherheitsrats zu überwinden. Dies geht, indem eine qualifizierte Mehrheit, also eine Zwei-Drittel-Mehrheit der Generalversammlung einspringt und selbst friedenserzwingende Massnahmen nach Kapitel VII der VN-Charta beschliesst. Das Recht dazu hat sich die Generalversammlung 1950 erstmals selbst zugesprochen. Wenn sie dieses Recht praktisch anwendet, dann geht die grosse Mehrheit der in der Generalversammlung vertretenden Mitgliedsstaaten in einen ernsthaften politischen Konflikt. Ständige Mitglieder des Sicherheitsrats werden behaupten, diese Durchkreuzung ihrer Vetomacht sei eine unzulässige Über- bzw. Fehlinterpretation der VN-Charta. Wir sollten uns der Risiken bewusst sein, die mit einem solchen Vorgehen verbunden sind, aber genauso der noch viel höheren Risiken bei einer abwartend-resignierenden Haltung. Der Machtanspruch der Vetomächte darauf, dass nur mit ihrer Zustimmung oder Duldung schwerste Menschenrechtsverletzungen, also breit angelegte, systematische Vertreibungs- oder Kriegsverbrechen und Völkermord verhindert oder gestoppt werden dürfen, kann jederzeit wieder zu ganz unerträglichen Situationen führen.
Grüne sollten dabei bleiben, auch in solchen Situationen auf keinen Fall "Koalitionen der Willigen" ohne VN-Mandat zuzustimmen. Der Anschein, auf solche Weise einfacher oder schneller die erforderliche "Feuerkraft" zusammen zu bekommen, täuscht. Erfahrungsgemäß können die Folgen für die betroffenen Länder verheerend sein und der Bruch der VN-Charta weltweit die friedenssichernde Geltung des Völkerrechts und der Vereinten Nationen massiv beschädigen. Eben deswegen ist der Ausweg, friedenserzwingende Massnahmen durch die Generalversammlung zu mandatieren, ein lebenswichtiger, entscheidender Schritt auf dem Weg zu einer gut funktionierenden Weltfriedensordnung.
Das Recht der Generalversammlung, friedenserzwingende Massnahmen mit qualifizierter Mehrheit zu mandatieren, macht die Vereinten Nationen in jeder Konfliktlage tatsächlich entscheidungsfähig.
Erst nachdem die grosse Mehrheit der VN-Mitgliedsstaaten auf dieses Recht gestützt mehrere Konflikte mit Vetomächten durchgestanden, die Stärke des Rechts gegen das "Recht des Stärkeren" durchgesetzt und Frieden erfolgreich erzwungen haben, gibt es vernünftige Gründe für die Hoffnung auf eine Welt ohne Atomwaffen. Denn erst dann werden alle Atommächte den Vereinten Nationen zutrauen, ihre eigenen nationalen, als vital betrachteten Interessen, auch in einem ernsthaften Konflikt mit den grössten anderen Mächten zuverlässig und dauerhaft zu schützen. Erst dann werden sie den Verzicht auf ihre eigenen Atomwaffen als weniger riskant, auch für sie selbst, betrachten als die Gefahren beim Atommacht-Bleiben.
Der hiermit beantragte, ergänzende Satz konkretisiert auch die Sätze „Wir setzen auf einen zukunftsfesten Multilateralismus und Partnerschaften zunehmend auch im Globalen Süden.“, „Zugleich sind wir auf vielfältige und robuste Partnerschaften angewiesen – vor allem im Globalen Süden.“ und „Wir unterstützen Länder des Globalen Südens bei ihrem Streben nach gerechter Repräsentanz in internationalen Organisationen – nur so bleiben multilaterale Foren zukunftsfähig.“ auf den Zeilen 49/50, 1000-1002 und 1252-1254. Für diese partnerschaftliche Verbindung mit den Ländern des Globalen Südens ist die Generalversammlung der Vereinten Nationen das wichtigste Gremium. Es hat sich grade im Ukrainekrieg bewährt (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Resolution_ES-11/1_der_UN-Generalversammlung, https://www.tagesschau.de/ausland/amerika/un-vollversammlung-141-fuer-frieden-101.html , https://www.berliner-zeitung.de/news/russland-scheitert-mit-kandidatur-fuer-sitz-in-un-menschenrechtsrat-li.2147936 , https://documents.un.org/doc/undoc/ltd/n23/048/58/pdf/n2304858.pdf und https://documents.un.org/doc/undoc/ltd/n24/197/81/pdf/n2419781.pdf ). Die EU sollte in Zukunft offen auch für Forderungen des Globalen Südens sein, mit dem Mandat der Generalversammlung gut dosierten, anhaltenden Druck auf friedensgefährdende und friedensbrechende Staaten – nicht nur, aber eben auch - des Globalen Nordens auszuüben, und zwar durch gemeinsam mandatierte und gemeinsam ergriffene Massnahmen gemäß Kapitel VII der VN-Charta.
Entsprechende Generalversammlungsbeschlüsse sind rechtlich zwar insofern nicht bindend, als dass niemand zur Teilnahme an Massnahmen gemäß Kapitel VII gezwungen ist - aber die grosse Mehrheit der zustimmenden Mitgliedsländer hat durch einen solchen Beschluss eine völkerrechtlich unanfechtbare Legitimation, sich selbst an solchen friedenserzwingenden Massnahmen zu beteiligen. Nun haben wir noch stärkere Gründe, dies auch für die kommende Legislaturperiode ausdrücklich zu fordern. - Weitere Begründung mündlich.