Ein Gesellschaftsjahr ermöglicht allen jungen Menschen nach Erreichen der Allgemeinen Hochschulreife, eines Ausbildungsabschlusses oder mit Vollendung des 18. Lebensjahres, zu wählen, ob sie in sozialen, kulturellen, technischen und ökologischen Einrichtungen, in den Behörden und Stellen des Zivil- und Katastrophenschutzes, bei der Feuerwehr, beim Sport, im Gesundheitsbereich, im Rettungsdienst oder der Bundeswehr zum Wohle der Gesellschaft tätig sein möchten. Auch ein Dienst im Ausland, beispielsweise in den Mitgliedsstaaten des Europarates, soll möglich sein. Zudem werden wir auch denjenigen, die sich im Laufe ihres Berufslebens oder im Ruhestand einbringen wollen, Angebote für freiwillige Dienste schaffen und sie in ihrem bisherigen wertvollen Engagement stärken. Sehr viele Menschen leisten heute schon großartige Arbeit im Ehrenamt, für die wir zutiefst dankbar sind: Wer heute schon ehrenamtlich engagiert ist, soll ebenfalls die Möglichkeit erhalten, ihrem Dienst an der Allgemeinheit auf eigenen Wunsch hin ein ganzes Jahr zu widmen.
Die junge Generation ist schon heute durch zum Beispiel die Auswirkungen der Corona-Pandemie und der Klimakrise belastet. Sie darf nicht als Lückenfüllerin für Personalprobleme im Pflegebereich, in sozialen Einrichtungen oder im Zivilschutz herhalten. Das ist auch eine Frage der Generationengerechtigkeit. Deshalb braucht es ein Modell, das den heutigen politischen, rechtlichen und gesellschaftlichen Anforderungen entspricht. So muss zum Beispiel eine kontinuierliche Qualitätssicherung der angebotenen Einsatzorte, eine adäquate Unterbringung und eine auskömmliche Vergütung sichergestellt werden, um eine sinnstiftende Tätigkeit anbieten zu können.
Die nationalen, europäischen und internationalen Rechtsvorschriften zur Regelung einer verpflichtenden Arbeit sind zu Recht sehr streng. Deshalb bedürfte es für die Einführung eines verpflichtenden Gesellschaftsjahres einer Änderung des Grundgesetzes. Eine Lösung wäre es, Art. 12a des Grundgesetzes zu ändern und alle Geschlechter in die Pflicht mit aufzunehmen. Zudem werden wir darin nicht nur den Dienst in der Bundeswehr, sondern auch alle anderen oben genannten Einsatzorte miteinbeziehen. Dafür bedarf es einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag und Bundesrat, für die wir GRÜNE werben werden.
Es ist unsere feste Überzeugung, dass unser gesellschaftlicher Zusammenhalt, unsere Freiheit und unsere Demokratie Errungenschaften sind, die es zu schützen gilt und in die wir investieren müssen. Ein Baustein, um dies zu erreichen, ist in unseren Augen die Einführung eines Rechtsanspruchs auf Freiwilligendienst mit der Weiterentwicklung hin zu einem Gesellschaftsjahr für alle.
Unsere Gesellschaft ist polarisiert wie noch nie zuvor. Menschen leben heute zunehmend in ihren eigenen Echokammern. Desinformationskampagnen können bereits heute den Zusammenhalt unserer Gesellschaft erodieren. Auch die jüngsten Angriffe auf Politiker:innen und Wahlkampfhelfer:innen demokratischer Parteien zeigen, wie verroht die Debatte geworden ist – und wie aus Worten Gewalttaten werden können.
Mit der Entwicklung eines Gesellschaftsjahres schaffen wir neue Orte des Miteinanders unabhängig von Herkunft, Qualifikation, Alter, Religion, Weltanschauung oder sexueller Orientierung, die uns als Gesellschaft verloren gegangen sind. Wir brauchen diese Orte dringend für unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt und unsere Demokratie. Indem wir Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen und Fähigkeiten zusammenbringen, stärken wir die Vielfalt und die demokratischen Werte unserer Gesellschaft. Gemeinsam fragen wir uns: Wie wollen wir als Gesellschaft leben? Was bedeutet uns Zusammenhalt und Frieden in unserem eigenen Land? Was folgt daraus auch für unseren individuellen Beitrag dazu?
Der Rechtsanspruch auf einen Freiwilligendienst ist ein notwendiger Schritt zur Stärkung des gesellschaftlichen Miteinanders. Aus realpolitischer Perspektive ist er der einfacher umzusetzende Schritt. Viele Jugendverbände und Träger der heutigen Freiwilligendienste erhoffen sich damit eine Steigerung der jährlich zu vergebenden Plätze von heute 100.000 auf 200.000. Angesichts von etwa 700.000 jungen Menschen in einem Jahrgang wird aber genau zu beobachten sein, inwieweit tatsächlich alle gesellschaftlichen Gruppen von diesem Rechtsanspruch Gebrauch machen werden und ob nicht vielmehr die Pflicht, ein Tätigkeitsfeld für ein Gesellschaftjahr zu wählen, die alleinige Chance auf die Teilhabe aller Angehörigen eines Jahrgangs bietet. Deshalb wollen wir GRÜNE nicht beim Rechtsanspruch stehen bleiben, sondern diesen zum Gesellschaftsjahr für alle weiterentwickeln.