Die bisherige Vorgehensweise unter der europäischen REACH Verordnung betrachtet überwiegend das individuelle Risiko unter Berücksichtigung der spezifischen Verwendung des Stoffes. Auch wenn ein Stoff eine generelle Gefahr innehat, kann dieser weiterverwendet werden so lange die individuelle Bewertung kein zu hohes Risiko für Mensch und Umwelt identifiziert. Dies ist der einzelfallrisikobasierte Ansatz. Nachteile sind u.a., dass dieser Ansatz viele Ressourcen und Zeit benötigt, um ein „akzeptables“ Risiko nachzuweisen und verzögert zeitnahe Anpassungen an neue gefährliche Substanzen. Diese aufwändigen Einzelfallbetrachtungen führen dazu, dass notwendige Gegenmaßnahmen zu spät gemacht werden, z.B. dauern Entscheidungen über Chemikalienbeschränkungen länger als 4 Jahre und jedes Jahr kommen tausende neuer Chemikalien dazu [1] und die meisten registrierten Chemikalien sind noch nicht bewertet und/oder unterliegen keinen Anwendungseinschränkungen [2]. Dabei sind ist die planetare Grenze „Einbringung Neuartige Substanzen“ schon überschritten [3].
Daneben gibt es jedoch Ansätze, die eher das Präventionsprinzip stützen. Die generelle Gefahr einer Substanz und ein allgemeiner Anwendungsbereich, also nicht die Einzelfallbetrachtung, können herangezogen werden, um Bedingungen für die sichere Anwendung der Chemikalie festzustellen. Dieses allgemeine Konzept des Risikomanagements ist bspw. schon für krebserregende Stoffe in vielen Konsumentenprodukten benutzt worden. Aber was ist mit Arbeitern die ständig in Kontakt mit diesen Materialien kommen, mit anderen Produkten oder mit anderen Stoffen, die bspw. das Hormon- oder Immunsystem schädigen können? Hier müssen weiterhin individuelle und langjährige Bewertungen durchgeführt werden.
Wenn die Chemikalienpolitik schlanker gestaltet werden soll, jedoch gleichzeitig mindestens das jetzige Schutzniveau aufrechterhalten soll, ist ein solcher allgemeine risikobasierter Ansatz unverzichtbar. Das war auch Ansatz der Europäischen Kommission in der Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit [4], die jedoch derweil unter einem Fragezeichen steht.
Ein anderer wichtiger Ansatz, um diese Ziele zu erreichen sind Gruppenbeschränkungen. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass Beschränkungen von einzelnen gefährlichen Chemikalien oft durch ähnliche Chemikalien ersetzt werden. Jedoch benötigt es Zeit bis diese auch ähnlichen rechtlichen Einschränkungen unterliegen. Um solche bedauernswerten Substitutionen zu verhindern, können ähnliche Chemikalien mit der relevanten funktionellen Verbindung und die die sehr wahrscheinlich gleiche Gefahreneigenschaften enthalten, gemeinsam beschränkt werden [5].
Der jetzige Text nimmt nicht nur hierzu keine Stellung, sondern kann missinterpretiert werden, so dass der (einzelfall)risikobasierte Ansatz Vorrang hätte. Dieser würde jedoch zu einer effektiven Verringerung des Schutzniveaus führen, da es beinahe unmöglich ist so viele Einzelfallbetrachtungen durchzuführen. Daher sollten wir den präventiven risikobasierten Ansatz unterstützen, der die allgemeine Risikobetrachtung und Gruppenbeschränkungen mitdenkt und so zu einem hohen Schutzniveau beiträgt.
Da die europäische REACH Verordnung in nächster Zeit überarbeitet wird und viele konservative Narrative für eine signifikante Abschwächung plädieren, sollten wir Grüne uns konstruktiv für eine effektive und schutzorientierte Chemikalienpolitik einsetzen. Eine lasche und uneffektive Chemikalienpolitik wird der Gesellschaft mehr kosten als frühzeitig gegenzusteuern.
Nichts zuletzt, kann sehr wohl angenommen werden, dass in bestimmten Anwendungen (bspw. Brennstoffzellen) Ewigkeitschemikalien (bspw. PFAS) nur verbannt werden, wenn Alternativen vorhanden sind. Dies zu erwähnen, erübrigt sich und kann natürlich missinterpretiert werden, sodass gefährliche Ewigkeitschemikalien nur ersetzt werden sollen, wenn es Alternativen gibt, was wiederum ein immenses Risiko mit sich bringt. Daher wird vorgeschlagen den ersten Teil des letzten Satzes zu löschen.
Das Programm wird somit nicht länger durch den vorgeschlagenen ÄA.
Der ÄA berücksichtigt, dass es sich um ein Bundestagswahlprogramm handelt und konzentriert sich auf die Botschaft, ohne komplexe Details wiederzugeben.
[1]https://www.umweltbundesamt.de/themen/die-weltchemikalienkonferenz-warum-wir-sie-brauchen
[3] https://www.stockholmresilience.org/research/planetary-boundaries/the-nine-planetary-boundaries.html
[4] Chemicals strategy for sustainability -https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:52020DC0667