Nicht den Streit_wert!
Der zivilgesellschaftliche Protest gegen umweltschädliche Mammutprojekte hat mit Vorbildern wie Wyhl, Brokdorf und Gorleben eine lange Tradition. Wegen der Klimakatastrophe steht heute die fossile Brennstoffindustrie weltweit im Fokus des ökologischen Widerstands. In Deutschland richtet sich die Umweltbewegung immer stärker gegen die unverantwortlichen Geschäftsmodelle von Unternehmen wie RWE und LEAG, die mit ihren Braunkohletagebauen im Rheinland, in der Lausitz und südwestlich von Leipzig die größten CO2-Quellen Europas betreiben.
Während sich die Anti-Atombewegung ausschließlich gegen polizeiliche und strafrechtliche Repression behaupten musste, gehen RWE und LEAG, ebenso wie manche Betreiber von Gen-Feldern, zusätzlich auch mit zivilrechtlichen Abmahn- und Unterlassungsverfahren gegen die Protestierenden vor. Auf diese Weise machen sich die Unternehmen das hohe Kostenrisiko zunutze, das sich aus der gesetzlichen Berechnungsweise von gerichtlichen und anwaltlichen Gebühren in Zivilverfahren automatisch ergibt. Diese Gebühren werden auf Grundlage des Streitwerts eines Verfahrens bestimmt. Je höher der Streitwert, desto höher fallen die konkret zu zahlenden Gebühren aus.
Bürokratisch gegen Umweltbewegte
Wer bei Protestaktionen gegen die Klimakiller vermeintlich auf deren Firmengelände angetroffen und identifiziert wurde, bekommt von den Großkanzleien hinter RWE und LEAG weitgefasste Unterlassungserklärungen zugeschickt. Mit diesen meist sehr ähnlich oder gleich lautenden Vordrucken sollen sich die Adressaten für den Wiederholungsfall zur Zahlung einer sechsstelligen Vertragsstrafe verpflichten. Vergleichbar mit dem Vorgehen der leidigen Abmahnindustrie kann schon dieser erste Brief mit vierstelligen Gebühren für den Betroffenen verbunden sein. Doch anders als Abmahnanwälte, die mit ihren Briefen nur Geld schinden wollen, geht es RWE und LEAG/MIBRAG wohl eher darum, die Klimabewegung auch mit Hilfe dieser immensen (Verfahrens-)Kosten zu bekämpfen.
Da ein Unterlassungsanspruch keinen konkret bezifferbaren Wert hat und gesetzliche Bestimmungen fehlen, müssen die Gerichte den Streitwert bei Unterlassungsansprüchen schätzen. In den bisher von RWE betriebenen Verfahren wurden Streitwerte zwischen 30.000 € und 50.000 € angesetzt. Bei einem Streitwert von z.B. 40.000 € folgen gem. der Bestimmungen im Gerichtskosten-(GKG) und Rechtsanwaltsvergütungsgesetz: Anwaltskosten für das außergerichtliche Verfahren (faktisch den Versand des Serienbriefs) iHv. 1.600 €. Geht ein mögliches Gerichtsverfahren in der ersten Instanz verloren, sind nochmal 6.700 € fällig.
Es handelt sich dabei also weder um konkrete Strafzahlungen für einzelne, strafgerichtlich festgestellte Gesetzesübertretungen, noch um reale Kosten, denen auf Seiten von RWE oder LEAG eine wirkliche Leistung oder Schäden, Ausfälle etc. gegenüberstehen. Vielmehr gehen die anfallenden Anwaltsgebühren an die Großkanzleien, von denen sich RWE und LEAG/ jeweils vertreten lassen. Eine Win-Win-Situation für die fossilen Player: RWE belastet die Klimabewegung mit zusätzlichen Kosten, die Kanzlei kann das Geld einstecken.
Rechtsstaatlich bedenklich
Das hohe Gebührenrisiko von bis zu 10.000 € macht den Zugang zu den Gerichten für die Betroffen faktisch unmöglich. Angeschriebene, die nicht klein beigeben und sich gegen die geforderte Erklärung oder ihren Umfang wehren wollen, sind mit einem enormen Kostenrisiko konfrontiert, das einzig und allein aus den geschätzten Streitwerten der speziellen Zivilklagen folgt. So ein hohes Kostenrisiko können sich, anders als RWE oder LEAG, nur wenige Menschen leisten. Die Konzerne bezahlen die Prozesse hingegen ganz locker mit dem Geld der Stromkunden.
Um dieses Ungleichgewicht bewusst zu reduzieren, und damit auch finanziell schwächeren Parteien effektiven Rechtsschutz zu ermöglichen, hat der Gesetzgeber für andere Verfahrensarten bereits in den §§ 48 ff. GKG konkrete Sonderstreitwerte festgelegt. Auch für die sonst unbezahlbaren Klagen von Umweltverbänden gegen Großvorhaben (z.B. bei Verfahren nach dem BImschG) sieht der aktuelle Streitwertkatalog der Rechtsprechung unter Nr. 34.4 einen reduzierten Auffangstreitwert vor.
In der Gegenüberstellung der Verfahrenskosten bei dem bisher durchschnittlich angesetzten Streitwert von 40.000 € und einem neuen Sonderstreitwert von 1.000 € wird der positive Effekt, bei ein und demselben Verfahrensgegenstand, sehr deutlich:
Streitwert 40.000 €
- Außergerichtliche Kosten (Brief): 1.600 €
- Kosten 1. Instanz (Gericht + 2 Anwälte): 6.720 €
- Gesamt: 8.320 €
Streitwert 1.000 €
- Außergerichtliche Kosten (Brief): 147 €
- Kosten 1. Instanz (Gericht + 2 Anwälte): 620 €
- Gesamt: 767 €
In einer Demokratie darf Protest nicht mit künstlichen Gerichts- und Anwaltsgebühren kaputt gemacht werden. Die gesetzliche Festsetzung eines Sonderstreitwerts (z.B. 1.000 €) für Verfahren wg. Unterlassungsansprüchen bei Eigentumsverletzungen im Rahmen von politischen Meinungsäußerungen und Versammlungen würde das Gebührenrisiko erheblich reduzieren. Das bedeutet nicht, dass Eigentümer keine Unterlassungsklagen mehr erheben könnten, sondern würde nur dazu führen, dass die Verfahrenskosten insgesamt erheblich billiger werden und sich alle Beteiligten effektiven Rechtsschutz auch wirklich leisten können.
Nachzurechnen, auch mit anderen Werten z.B. hier: Kostenrechner des DAV.
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