Bislang wird Menschen, die unter ständiger gesetzlicher Betreuung stehen das Wahlrecht verwehrt.
Das aktive und passive Wahlrecht steht grundsätzlich jeder Bürgerin und jedem Bürger zu (Artikel 38 des Grundgesetzes). Nach dem Bundeswahlgesetz sind allerdings all jene Menschen pauschal vom aktiven und passiven Wahlrecht ausgeschlossen, für die zur Besorgung aller ihrer Angelegenheiten ein Betreuer oder eine Betreuerin bestellt ist. Dies gilt derzeit auch noch für das Bundeswahlgesetz, das Europawahlgesetz und die meisten die Landes- und Kommunalwahlgesetze. In NRW wie auch Schleswig-Holstein wurde auch auf Initiative der GRÜNEN mittlerweile dieser Wahlrechtsausschuss aufgehoben. Im Bund und den meisten Bundesländer besteht er aber nach wie vor.
Nach geltenden menschenrechtlichen Standards stehen diese Ausnahmetatbestände im Widerspruch zu den Zielen der UN-BRK, die seit 2009 in Deutschland geltendes Recht sind (BGBl. II 2008 S. 1419). Weder der Wahlrechtsausschluss als automatische Rechtsfolge einer Betreuung in allen Angelegenheiten noch als Folge einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgrund einer strafrechtlichen Maßregel sind mit diesen Vorgaben vereinbar. Artikel 29 der UN-BRK sieht vor, dass Menschen mit Behinderungen politische Rechte, insbesondere das Wahlrecht, gleichberechtigt genießen. Darüber hinaus verpflichtet die Konvention die Vertragsstaaten, Menschen mit Behinderungen im Bedarfsfall und auf Wunsch zu erlauben, sich durch eine Person ihrer Wahl bei der Stimmabgabe unterstützen zu lassen. Die BRK unterscheidet hierbei nicht zwischen Personen, die die Fähigkeit zur Wahl besitzen und solchen, die sie nicht besitzen. Sie fordert vielmehr eine inklusive, partizipative und nichtdiskriminierende Ausgestaltung des Rechts auf politische Teilhabe und stellt die Befähigung und Unterstützung derjenigen in den Vordergrund, die ihrer bedürfen. Ein Ausschluss vom Wahlrecht ist von der BRK nicht vorgesehen und nach ihr auch nicht zulässig.
Der Fachausschuss für Rechte von Menschen mit Behinderungen der Vereinten Nationen, der entsprechend der UN-BRK für die Überwachung der Konvention zuständig ist, hat dies in seinen Stellungnahmen bereits mehrfach klargestellt. Der Ausschuss betont, dass alle Menschen mit Behinderungen, unabhängig von der Art ihrer Beeinträchtigung, ihrem rechtlichen Status oder dem Umstand, dass sie sich unter Betreuung befinden, ein Recht haben, gleichberechtigt an Wahlen.
Klar gegen jeden Ausschluss vom Wahlrecht aufgrund einer Behinderung hat sich am 16.11.2011 auch das Ministerkomitee des Europarates in seiner Empfehlung zur Partizipation von Menschen mit Behinderungen am politischen und öffentlichen Leben CM/Rec(2011)14) ausgesprochen: „3. (...)
Alle Menschen mit Behinderungen, gleich ob sie körperlich, sinnes- oder geistig beeinträchtigt, psychisch oder chronisch krank sind, haben gleichberechtigt mit anderen Bürgern das Recht zu wählen, und dieses Recht sollte ihnen durch kein Gesetz, das ihre Geschäftsfähigkeit beschränkt, und durch keine richterliche oder sonstige Entscheidung, die auf ihrer Behinderung, kognitiven Funktionsfähigkeit oder angenommenen Fähigkeiten basiert, entzogen werden. Alle Menschen mit Behinderungen sind auch berechtigt, gleichberechtigt mit anderen für öffentliche Ämter zu kandidieren, und dieses Recht sollte ihnen durch kein Gesetz, das ihre Geschäftsfähigkeit beschränkt, und durch keine richterliche oder sonstige Entscheidung, die auf ihrer Behinderung, kognitiven Funktionsfähigkeit oder angenommenen Fähigkeiten basiert, und auf keine sonstige Weise entzogen werden“ (nichtamtliche Übersetzung: Deutsches Institut für Menschenrechte, aktuell 05/2012).
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