Veranstaltung: | 1. Ordentlicher Länderrat 2020 |
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Tagesordnungspunkt: | C Corona und die Folgen |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | 1. Digitaler Länderrat |
Beschlossen am: | 01.05.2020 |
Eingereicht: | 03.06.2020, 10:06 |
Antragshistorie: | Version 1 |
Damit das Leben auch in Zukunft bunt und vielfältig bleibt: Solidarität und Absicherung für die Kultur
Beschlusstext
Wegen der Corona-Krise sind Kultureinrichtungen bundesweit geschlossen, diverse
Kulturveranstaltungen und Angebote der kulturellen Bildung können in diesem Jahr
nicht wie geplant stattfinden. Schon jetzt ist die Lage vieler Kulturschaffender
und Kreativer dramatisch, denn abgesehen von ihrem großartigen kreativen und
künstlerischen Einsatz im Netz hat das Corona-Virus das gesamte kulturelle Leben
in Deutschland und weit darüber hinaus zum Erliegen gebracht.
Die Kultur liegt im künstlichen Koma: Weder Theater noch Konzerte, keine
Festivals, Club-Events oder Poetry-Slams. Viele Museen, Ausstellungshäuser und
Kulturzentren bleiben weiterhin geschlossen, auch Filmproduktionen stehen still.
Mit einem Schlag wurde unzähligen Kulturschaffenden, Künstler*innen, Kreativen
und auch Medienschaffenden die Existenzgrundlage entzogen. Die aktuellen
Entwicklungen lassen nicht vermuten, dass sich an dieser Situation bald etwas
ändert. Schon jetzt stehen etliche Kulturbetriebe vor der Pleite: Durch die
Corona-Pandemie droht unserer kulturellen Infrastruktur der Zusammenbruch – sie
wird unsere Kulturlandschaft nachhaltig, und wie wir befürchten müssen,
keineswegs positiv verändern.
Natürlich gehen Gesundheit und Infektionsschutz in der gegenwärtigen Situation
vor! Aber es zeigt sich eben auch: Kultur ist kein Sahnehäubchen, sondern die
Hefe für unsere offene und demokratische Gesellschaft – gerade in der Krise,
aber auch für die Zeit danach. Deshalb geht es nicht nur darum, das
wirtschaftliche Überleben der zahlreichen Kulturschaffenden und Kulturbetriebe
zu sichern, sondern um ein nachhaltig vielfältiges Kulturleben und die
kulturelle Grundversorgung aller Menschen. Wir Menschen brauchen die
Sinnlichkeit und unser Verstand gute Urteile in den analogen Räumen. Wir
Menschen brauchen die reale Begegnung, um uns verantwortlich zu fühlen.
Unsere über Jahrzehnte gewachsene vielfältige Kulturlandschaft, die sich in den
verschiedensten Sparten und Genres sowie diversen Branchen, Szenen und
Netzwerken immer weiter ausdifferenziert, organisiert und entwickelt hat, ist in
jeder Hinsicht elementar: als gesellschaftliche Orientierung und Inspiration,
für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die individuelle Entfaltung, für den
transkulturellen Austausch und die Bewahrung unseres kulturellen Erbes. All das
ist in der gegenwärtigen Krise in höchster Gefahr. Der Kultur droht auch noch
für die Zeit nach der Krise ein Einbruch und Kahlschlag, wie ihn unsere
Gesellschaft in den letzten 75 Jahren nicht erlebt hat. Das können und werden
wir nicht hinnehmen.
Daher stehen GRÜNE überall und gerade dort, wo sie in kulturpolitischer
Verantwortung sind, an der Seite der diversen und hybriden Kulturszene.
Wir GRÜNE setzen uns auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene für Soforthilfen
und langfristige Rettungsfonds ein, die auf die spezifischen Arbeitsbedingungen
von Kulturschaffenden und Kultureinrichtungen ausgerichtet sind, denn sie fallen
bislang noch viel zu häufig durch das Raster. Gerade Kulturschaffende und
Kreative brauchen schnelle Unterstützung und unbürokratische Hilfen, egal in
welchem Bundesland sie leben und in welcher Organisations- oder Rechtsform sie
arbeiten. Dazu gehören spezielle Programme für kleine und mittlere private
Kulturbetriebe, die nicht oder nur sehr eingeschränkt öffentlich gefördert sind,
aber auch Arbeitsstipendien für freischaffende Künstler*innen. Da die
langfristigen Auswirkungen des Shutdowns auf den Kulturbereich noch nicht
absehbar sind und stark von der Dauer von Maßnahmen abhängen, müssen
Finanzhilfen auch für die Zeit danach zur Verfügung stehen. Denn was jetzt an
kultureller Vielfalt und Infrastruktur verloren geht, wird unsere Gesellschaft
viel teurer zu stehen kommen, als jetzt die notwendigen Rettungsfonds auf den
Weg zu bringen. Freiberuflich tätige Kulturschaffende, Kreative und andere Solo-
Selbstständige, die infolge der Coronakrise deutliche finanzielle Einbußen
haben, aber keine Betriebsausgaben nachweisen können, dürfen durch die
Beschränkungen des Bundes nicht weiter diskriminiert werden: Wir fordern eine
Öffnung der Corona-Hilfen auch für Kosten des Lebensunterhalts!
Grüne Kulturpolitik will sicherstellen, dass Vertragspflichten und
Projektzusagen aus der Zeit vor und während der Schließungen umfassend erfüllt,
vorhandene Fördermittel unbürokratisch verausgabt und Honorarfortzahlungen
gewährleistet werden. Überall dort, wo es eine flexible Anwendung der
rechtlichen Bestimmungen möglich macht, drängen wir auf eine Verschiebung und
Übertragbarkeit der Mittel sowie die Umwidmung von Fördergeldern zugunsten neuer
digitaler Formate und sonstiger alternativer kreativer Angebote. Gerade in der
gegenwärtigen Krisensituation ist es wichtig, allen Menschen auch weiterhin
kulturelle Teilhabe und Bildung zu ermöglichen.
Grüne Kulturpolitik macht sich für weitere Anpassungen im Zuwendungsrecht stark.
Haushaltsrecht ist wichtig, darf aber nicht dazu führen, dass konkrete
Unterstützung an einzelnen Bestimmungen scheitert, sei es bei den Soforthilfen
oder in der laufenden Förderung. Zusätzliche Kosten für die spätere Wiederholung
von Veranstaltungen dürfen nicht den Zuwendungsempfänger*innen aufgebürdet
werden, bereits verausgabte Gelder nicht zurückgefordert werden. Neben
Mietstundungen muss es auch die Möglichkeit von Mietnachlässen für öffentliche
Immobilien und Liegenschaften geben, wenn Kultur-Mieter*innen infolge der
Coronakrise in eine wirtschaftliche Notlage geraten sind. Und wir setzen uns
dafür ein, wie in einigen Bundesländern geplant und durchgeführt, da behutsame
Öffnungen von Kultureinrichtungen zu ermöglichen, sofern die Hygiene- und
Abstandsregelungen eingehalten werden können.
Grüne Kulturpolitik macht sich dafür stark, dass Bundes-, Landes- und
Kommunalprogramme besser aufeinander abgestimmt werden und dass dafür auch der
Austausch zwischen den jeweiligen Fachministerien und -ämtern optimiert wird.
Wir fordern, dass Monika Grütters ihren Widerstand gegen eigenständige Corona-
Hilfe des Bundes für die Kultur- und Kreativwirtschaft aufgibt. Eine
Staatsministerin für Kultur und Medien, der es weder im Kabinett noch gegenüber
dem Bundesfinanzministerium gelingt, die Interessen von Kulturschaffenden und
Kreativen durchzusetzen, hat diesen Titel nicht verdient! Denn zur Rettung von
Kultureinrichtungen helfen die kurzsichtigen Vorschläge der Bundesregierung wie
verpflichtende Gutscheinlösungen nicht. Solidarität kann man nicht verordnen,
sie funktioniert nur freiwillig! So erschüttert man nachhaltig das Vertrauen der
Kulturinteressierten und verursacht langfristig negative Folgen für die gesamte
Kulturbranche.
Grüne Politik verliert auch in der Krise die Kulturschaffenden und ihre
Netzwerke in aller Welt, auf internationaler und europäischer Ebene, nicht aus
dem Blick. Denn die Coronakrise ist eine internationale Herausforderung und
betrifft Künstler*innen und Kreative sowie Kultureinrichtungen global. Im
Bereich der kulturellen Bildung und Kooperationen sind gerade auch zahlreiche
Projekte im Bereich der institutionellen und nicht-institutionellen
künstlerischen Arbeit mit Geflüchteten betroffen. Somit brauchen Menschen auf
der Flucht, Menschen, die mit Kunst und Kultur in der Flüchtlingshilfe arbeiten,
aber auch Kulturschaffende in Europa und weltweit unsere Solidarität. Wir tun
alles, damit der internationale Austausch unter Kreativen und der
Zivilgesellschaft erhalten bleibt und die vielerorts so wichtigen
Kommunikations- und Schutzräume nicht verloren gehen. Wir fordern zudem den
gleichberechtigten Zugang Kulturschaffender aus Nicht-EU-Ländern zu den
Soforthilfen und zur Grundsicherung. Künstler*innen dürfen auch nicht Gefahr
laufen, durch die indirekten Auswirkungen von Infektionsschutz und Shutdown ihre
bestehenden Aufenthaltsgenehmigungen zu verlieren, wie aktuell vielerorts
berichtet wird.
Wir GRÜNE stehen auch angesichts einer weltweiten Pandemie für aktive
Erinnerungskultur. Gerade vor dem Hintergrund von erstarkenden Nationalismen und
Rassismen darf es nicht sein, dass bundes- und europaweite Gedenken einfach
ausfallen. In Zeiten von Ausgangsbeschränkungen und Kontaktverboten bedarf es
neuer Formate des Gedenkens, die wir GRÜNE aktiv unterstützen. Zumal es für
viele Zeitzeug*innen eine der letzten Möglichkeiten sein könnte, an solchen
Gedenkveranstaltungen teilzuhaben.
Wir GRÜNE denken über die Krise hinaus: Die Corona-Pandemie hat einmal mehr
deutlich gemacht, was mit Blick auf die wirtschaftliche Lage vieler
Künstler*innen und Kreativer schon vorher offensichtlich war: Nämlich, dass wir
sehr grundsätzlich über den gesellschaftlichen Wert künstlerischer Arbeit und
eine bessere soziale Absicherung von Kulturschaffenden nachdenken müssen! Wir
brauchen deshalb eine breite Debatte über neue Wege und emanzipatorische Ideen
(Grundeinkommen o.ä.), wie eine generelle Existenzsicherung und Altersversorgung
aussehen könnte – nicht nur für den Kulturbereich, sondern für alle Menschen
dieser Gesellschaft.
Die Kultur kann und sollte hier Vorreiterin sein, indem sie einmal mehr ihre
ureigenen Stärken ausspielt: durch künstlerische Mittel Möglichkeitsräume zu
eröffnen, Diskurse in neue Kontexte zu rücken, kreativ Gesellschaftskritik zu
üben und einen Blick in unsere (nahe) Zukunft zu werfen.