Veranstaltung: | 1. Ordentlicher Länderrat 2023 |
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Tagesordnungspunkt: | TOP 3 Verschiedenes |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Länderrat |
Beschlossen am: | 17.06.2023 |
Antragshistorie: | Version 3 |
Für eine moderne und menschenrechtsorientierte Migrationspolitik in Deutschland und der Europäischen Union
Beschlusstext
Migration ist eine Konstante menschlicher Gesellschaften. Sie ist und war stets
Triebfeder für Entwicklung und globale Zusammenarbeit, genauso Quelle von
Austausch und Innovation, aber auch von Leid und Verlust. Ob sie freiwillig
geschieht oder erzwungen wird, aus Furcht um das eigene Leben geschieht oder auf
der Suche nach einer guten Zukunft – sie ist eine Gestaltungsaufgabe für die
Politik. Sie bietet Chancen und bringt Herausforderungen mit sich. Wir stellen
uns dieser Aufgabe. Wir buchstabieren aus, wie wir die Lage von Migrant*innen
und Geflüchteten verbessern und die aufnehmenden Städte und Kommunen
wirkungsvoll entlasten können.
Aktuell sind wir in unserer unmittelbaren Nachbarschaft mit der größten
Fluchtbewegung seit dem Zweiten Weltkrieg konfrontiert: Der völkerrechtswidrige
Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine hat Millionen Menschen aus ihrer Heimat
vertrieben. Viele Menschen haben Zuflucht auch in Deutschland gefunden.
Gleichzeitig kommen auch wieder viele Menschen aus anderen Ländern nach Europa
und suchen Schutz vor Verfolgung und Krieg, die größten Gruppen aus Syrien und
Afghanistan.
Bund, Länder und Kommunen – nicht zuletzt aber auch unzählige Freiwillige –
haben in einem gemeinsamen Kraftakt geflüchtete Menschen aufgenommen und
versorgt. Allen, die mit großem persönlichen Einsatz zum Gelingen dieser
riesigen Herausforderung beigetragen haben, danken wir. Unsere Aufgabe ist es
nun, langfristige und zuverlässige Lösungen zu finden. In vielen Städten und
Kommunen ist Wohnraum knapp, Lehrkräfte und Kinderbetreuungsplätze fehlen oder
die Mitarbeitenden in den Behörden sind überlastet. Wir wollen diesen
Herausforderungen mit wirksamen Ansätzen begegnen. Auf eine europäische Lösung
können und wollen wir dabei nicht warten. Auch bessere Bedingungen in anderen
EU-Staaten tragen dazu bei, dass weniger Menschen zu uns kommen müssen. Dafür
treten wir ein.
Entlastungen vor Ort schaffen, Integration fördern
Kommunen und Städte tragen die größte Verantwortung bei der Versorgung und
Unterbringung geflüchteter Menschen. Hier findet Integration konkret statt. Hier
muss sichtbar werden, dass diese Aufgabe leistbar ist.
Wir stehen bei der Bewältigung der Aufgaben für eine faire Lastenverteilung
zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Dabei ist für uns zentral, dass die
Kommunen Planungssicherheit haben. Wir wollen, dass der Bund sich zuverlässig
und solidarisch an der Finanzierung beteiligt. Daher braucht es langfristige
Finanzzusagen. Das gilt insbesondere für die Kosten der Integrationsmaßnahmen
und der Unterbringung. Dabei muss sichergestellt werden, dass die Mittel auch
dort ankommen, wo sie benötigt werden – nämlich vordringlich in den besonders
belasteten Kommunen und Städten. Es muss dafür Sorge getragen werden, dass
dauerhaft Unterbringungsplätze vorgehalten werden, um bei Bedarf handlungsfähig
zu sein, denn Gründe für Flucht werden uns auch in der Zukunft dauerhaft
begleiten. Kurzfristig muss der Bund den Kommunen wo möglich unter die Arme
greifen, indem er Liegenschaften des Bundes zur Verfügung stellt. Dabei legen
wir den Schwerpunkt auf kleinere und dezentrale Unterkünfte, in denen Teilhabe
und Integration besser möglich ist. Menschen, die bereits Familienangehörige
oder andere Anknüpfungspunkte haben, sollen bei ihnen oder in deren Nähe
unterkommen können. Damit entlasten wir den Wohnungsmarkt und fördern die
Integration von Beginn an. Der unbürokratische Umgang mit den Geflüchteten mit
ukrainischer Staatsbürgerschaft hat gezeigt, wie so schnell Entlastung
geschaffen werden kann. Wir unterstützen deshalb die Aufhebung der
Wohnsitzauflage. Das Asylbewerberleistungsgesetz wollen wir reformieren.
Unser Ziel in dieser Bundesregierung ist, eine echte Integrationsoffensive in
das Zentrum unseres politischen Handelns der Migrationspolitik zu stellen. Wir
investieren in Teilhabe und gesellschaftlichen Zusammenhalt und stellen dadurch
sicher, dass Migrant*innen sich schnell bei uns einleben und Geflüchtete zügig
Teil der Gesellschaft werden. Für einen schnellen Zugang zu Integrations- und
Sprachkursen müssen diese flächendeckend angeboten werden können. Wir nehmen die
besonderen Anforderungen etwa an Integrationskurse in den Blick, indem wir
beispielsweise Kinderbetreuung anbieten und damit auch betreuenden Eltern die
Teilnahme ermöglichen. Erst-Orientierungskurse müssen in ausreichender Zahl
angeboten werden. Den wachsenden Bedarf an Schul- und Kitaplätzen zu decken, ist
eine große Aufgabe für alle politischen Ebenen. Wir wollen an einer guten
Ausstattung mit Lehrer*innen und Assistenzkräften, die als Sprach- und
Integrationsmittler*innen unterstützen, arbeiten. Mit dem Kita-Qualitätsgesetz
unterstützen wir seitens des Bundes die Kommunen. Einen frühzeitigen Zugang zum
Gesundheitswesen wollen wir unbürokratisch gewährleisten. Solange dies noch
nicht erfolgt ist, könnte zunächst an die positiven Erfahrungen einiger Länder
angeknüpft werden, die eine Gesundheitskarte für Asylbewerber*innen eingeführt
haben. So entlasten wir die Behörden und stärken die medizinische sowie
psychotherapeutische Versorgung. All das kostet Geld, doch dieses Geld ist gut
investiert und trägt dazu bei, dass Geflüchtete kürzer auf Sozialleistungen
angewiesen sind und schneller erfolgreich am Arbeitsmarkt teilhaben können.
Moderne Strukturen für ein modernes Einwanderungsland und einen zukunftsfesten
Arbeitsmarkt
Deutschland ist ein Einwanderungsland und sucht händeringend nach Fach- und
Arbeitskräften. Egal ob in der Industrie, der Wissenschaft, im Gesundheitswesen
oder der Gastronomie, wir ermöglichen Zuwanderung gerade in diesen Branchen und
stärken so unseren Wirtschaftsstandort. Viele Geflüchtete die arbeiten wollen,
dürfen das nicht oder treffen auf hohe, teils unüberwindbare Integrationshürden.
Das wollen wir ändern. Für die Wahrung unseres Wohlstands und die
Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft, gerade auch der vielen
mittelständischen Unternehmen in Deutschland, liegt hier erhebliches Potenzial,
das wir heben wollen und müssen. Hinzu kommt: Ein frühzeitiger Zugang zum
Arbeitsmarkt sichert Teilhabe, fördert Integration und sorgt dafür, dass
Geflüchtete Steuern zahlen dürfen statt auf Leistungen angewiesen zu sein.
Deshalb wollen wir Arbeitsverbote aufheben. Verfahren zur Anerkennung von
Berufsabschlüssen und beruflichen Erfahrungen wollen wir vereinfachen und
beschleunigen, Unterstützungs- und Qualifizierungsangebote ausweiten. Den
sogenannten Spurwechsel in die Arbeitsmigration wollen wir vereinfachen. Das neu
eingeführte Chancen-Aufenthaltsgesetz ist beispielgebend, weitere Reformen
müssen folgen. Mit der Novelle des Staatsangehörigkeitsgesetzes sowie dem
Fachkräfteeinwanderungsgesetz gehen wir in der Bundesregierung weitere
bedeutende Schritte.
Eine wichtige Ressource zur Entlastung der Verwaltung liegt in der Vereinfachung
von Verfahren. Indem wir sie modernisieren, entbürokratisieren, digitalisieren
und zwischen Bundesländern angleichen, sparen wir unnötige Arbeit ein und
schaffen dadurch zusätzliche Kapazitäten. Gleichzeitig helfen wir den
Schutzsuchenden: Sie bekommen schnell Gewissheit. Ein wichtiger Schlüssel dafür
liegt in der Verlängerung der Geltungsdauer für Visa zur Erwerbs- und
Bildungsmigration sowie der Dauer von Aufenthaltserlaubnissen. Darüber hinaus
müssen die Einwanderungs- und Ausländerbehörden sowie andere
Verfahrensbeteiligte, z.B. Verwaltungsgerichte, personell besser aufgestellt und
mit zusätzlichen Mittel ausgestattet werden.
Sichere Wege für Flucht und Migration schaffen
Wir wollen sichere und legale Wege zur Arbeitsmigration und Flucht stärken. Wir
brauchen jetzt eine Offensive für sichere und legale Migration. Wir setzen
deshalb auf partnerschaftliche Mobilitäts- und Migrationsabkommen mit Staaten
außerhalb der EU, die vor allem Wege zur Bildungs- und Arbeitsmigration
eröffnen. Dafür werden wir auch die gesetzlichen Grundlagen der Visavergabe
modernisieren und vereinfachen. Die Visavergabeprozesse wollen wir
beschleunigen. Das schafft Planbarkeit – für die Betroffenen ebenso wie für die
Kommunen, ihre Behörden und die Menschen vor Ort.
Den Familiennachzug wollen wir stärken, vereinfachen und beschleunigen. Wir
wollen die Familienzusammenführung zu subsidiär Geschützten mit den GFK-
Flüchtlingen gleichstellen, den Geschwisternachzug gleichzeitig mit den Eltern
und beim Ehegattennachzug den Sprachnachweis erst nach Ankunft ermöglichen.
Damit tragen wir dem im Grundgesetz verankerten besonderen Schutz der Familie
Rechnung und fördern durch stabile Familienverhältnisse die Integration.
Gewaltbetroffene Frauen, deren Aufenthaltsstatus von dem Aufenthaltsstatus ihres
Ehemanns oder Partners abhängt, sollen einen eigenständigen Aufenthaltstitel
erhalten können.
Unserer besonderen Verantwortung gegenüber ehemaligen Ortskräften sowie
besonders gefährdeten Afghan*innen und ihren Familien werden wir durch
humanitäre Aufnahme und konsequente Umsetzung des Bundesaufnahmeprogramms
gerecht. Sie sind auf Grund ihrer Arbeit etwa für die Bundeswehr, internationale
Organisationen oder ihres Einsatz für Menschenrechte in Gefahr. Es ist am
Bundesinnenministerium dafür zu sorgen, dass die Sicherheitsinterviews nun
aufgesetzt werden, damit das Bundesaufnahmeprogramm schnellstmöglich wieder
aufgenommen wird.
Wir setzen auf eine Politik der Humanität und Ordnung. Pauschalen Rufen nach
mehr Abschiebungen treten wir entgegen, diese haben nichts mit den tatsächlichen
Herausforderungen bei Aufnahme, Versorgung und Integration von Schutzsuchenden
zu tun. Mit tragfähigen Migrationsabkommen, die legale Wege der Zuwanderung
aufzeigen, soll auch die Rücknahmebereitschaft in den Herkunftsländern erhöht
werden. Die Zusammenarbeit mit den Herkunftsstaaten muss partnerschaftlich und
auf Augenhöhe erfolgen und darf nicht von finanzieller Unterstützung im Rahmen
der Entwicklungszusammenarbeit abhängig gemacht werden. Nicht jeder Mensch, der
zu uns kommt, kann bleiben. Aber jeder Mensch, der bei uns Schutz sucht, hat
Anrecht auf ein rechtsstaatliches Verfahren mit individueller Prüfung. Wer nach
sorgfältiger Prüfung der asyl- und aufenthaltsrechtlichen Voraussetzungen sowie
nach Ausschöpfung aller Rechtsmittel kein Aufenthaltsrecht erhalten hat, muss
zügig wieder ausreisen – sofern dem keine Abschiebehindernisse entgegenstehen.
Für uns hat die freiwillige Rückkehr Vorrang. Eine unverhältnismäßige
Verschärfung von Abschiebe- und Abschiebehaftregeln lehnen wir ab. Der
fortlaufenden Unsicherheit und Perspektivlosigkeit durch Kettenduldungen stellen
wir uns entgegen. Menschen, die bereits in der Gesellschaft verwurzelt sind,
müssen eine Chance auf ein dauerhaftes Bleiberecht bekommen.
Das Konzept der sicheren Herkunftsstaaten finden wir falsch, denn es löst keine
Probleme. Was hilft, ist alle Asylverfahren zu beschleunigen und die Qualität
der Entscheidungen zu verbessern. Wir werden nicht mitmachen, wenn Staaten, die
systematisch Menschenrechtsverletzungen begehen, als sicher eingestuft werden
sollen. Die Einstufung der Maghreb-Staaten als sichere Herkunftsstaaten lehnen
wir ab.
Den Rufen nach einer stetigen Verlängerung und Ausweitung von stationären
Kontrollen an den Binnengrenzen stellen wir uns entschieden entgegen. Sie stehen
dem Schengener Abkommen entgegen. Ein Europa ohne Schlagbäume ist ein
wesentlicher Grundpfeiler der europäischen Idee. Wir verteidigen das
Schengensystem gegen Angriffe. Binnengrenzkontrollen behindern die Freizügigkeit
und verursachen enorme wirtschaftliche Schäden. Gerade für die Menschen in den
Grenzregionen stellen die Kontrollen und damit verbundenen Staus und
Zugverspätungen eine enorme Belastung dar, ebenso wie für die eingesetzten
Polizist*innen. Gleichzeitig sind sie völlig ungeeignet, die Zahl der
Asylanträge zu reduzieren, da Schutzsuchende nicht zurückgewiesen werden dürfen.
Mobile und anlassbezogene Schwerpunktkontrollen können eine Möglichkeit sein, um
beispielsweise gegen Menschenhandel vorzugehen.
Ein starkes Europa der Menschenrechte
Gemeinsam stehen wir für den Schutz von Menschenrechten, eine rechtebasierte und
lösungsorientierte Flüchtlingspolitik und eine handlungsfähige Europäische
Union, die sich an diesen Werten orientiert. Dafür treten wir auch bei der
europäischen Gesetzgebung ein. Wir stehen zu unseren völkerrechtlichen
Verpflichtungen wie der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen
Menschenrechtskonvention, der UN-Kinderrechtskonvention, der UN-
Behindertenrechtskonvention und dem internationalen Seerecht. Wir stellen uns
entschieden Versuchen entgegen, diese historischen Errungenschaften zu
beschneiden. Wir stehen für eine individuelle und inhaltliche Prüfung des Rechts
auf Asyl in der EU. Die Rechte von geflüchteten Frauen, LSBTIQ* und anderen
vulnerablen Gruppen müssen gewahrt und ihre besonderen Bedarfe berücksichtigt
werden.
Die derzeitige Lage an den europäischen Außengrenzen ist unhaltbar. Dabei kann
es nicht bleiben. Deshalb waren wir im Europäischen Rat zu sehr schwierigen
Verhandlungen rund um eine Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems
(GEAS) bereit – in einem sehr komplexen Umfeld mit weit auseinandergehenden und
vielen restriktiven Positionen zwischen den verschiedenen EU-Mitgliedstaaten.
Wir haben gemeinsam für eine Lösung in dieser schwierigen Situation gekämpft, um
Humanität und Ordnung zu erreichen.
In der Einigung im Innenministerrat gibt es Verbesserungen, die ohne unseren
Einsatz in den Verhandlungen nicht zustande gekommen wären, zum Beispiel, dass
unbegleitete Minderjährige von den Grenzverfahren ausgeschlossen werden müssen
oder die Verbesserung des Zugangs zu Rechtsberatung. Außerdem muss es weiterhin
eine Verbindung zu einem sicheren Drittstaat geben, für die nach einem Jahr eine
Überprüfungsklausel verabredet wurde. Antragssteller*innen dürfen demnach nur in
einen Drittstaat überstellt werden, wenn sie beispielsweise dort bereits gelebt
oder Familie haben.
Erstmals soll es jetzt in der EU einen verbindlichen Solidaritätsmechanismus
geben und Geflüchtete sollen verbindlicher registriert werden. Zwar ist die
Aufnahme von Geflüchteten nicht verpflichtend, die Teilnahme an dem Mechanismus
dagegen schon. In Zukunft sollen jedes Jahr mindestens 30.000 Geflüchtete
umverteilt werden, abgesichert über sogenannte "Dublin-Offsets". Darüber hinaus
werden wir weiterhin dafür eintreten, dass es eine verbindlichere Verteilung
gibt. Wir treten dafür ein, dass Deutschland mit gutem Beispiel vorangeht und
mindestens seinen Beitrag im Sinne des "Fair Share" leistet.Gleichzeitig konnten
zentrale Punkte noch nicht erreicht werden, wie zum Beispiel eine grundsätzliche
Ausnahme für Familien mit Kindern in Grenzverfahren. Trotzdem haben wir
verteidigen können, dass die Freiheit von Kindern nur in sehr eng definierten
Ausnahmefällen beschränkt werden darf. Zudem kommen Verschärfungen der aktuellen
Rechtslage hinzu. Die Dublinfristen wurden verlängert, auch wenn der
Verhandlungsstand auf Druck der Grenzstaaten und mit deutscher Unterstützung
noch einmal verbessert wurde. Daneben müssen Antragsteller*innen nach der
Ablehnung in Grenzverfahren verpflichtend bis zu 12 Wochen in ein
Rückführungsgrenzverfahren kommen. Obwohl verhindert werden konnte, dass
Mitgliedstaaten Menschen aus Staaten mit einer hohen Anerkennungsquote pauschal
in Grenzverfahren nehmen müssen, schmerzt uns die Tatsache, dass die
Drittstaatenregelung ausgeweitet wurde - dadurch kann sich die Situation auch
für sie verschlechtern, weil ihre Anträge als unzulässig abgelehnt werden
können.
Es handelt sich deshalb sicher nicht um einen "historischen Erfolg", wie es etwa
Bundesinnenministerin Nancy Faeser formuliert hat. Die erzielte Einigung kann
zentrale Anforderungen nicht erfüllen, die wir an eine Asylpolitik der Humanität
und Ordnung stellen – gerade weil sie im EU-Kontext vieler restriktiverer
Mitgliedstaaten nicht durchsetzbar waren. Wir sehen das europapolitische
Dilemma, denn die europäische Asylpolitik braucht maßgebliche Verbesserungen,
für die es keine Mehrheiten gibt. Der Ratsbeschluss wäre ohne unseren Einsatz,
gerade von grünen Regierungsmitgliedern, ein schlechterer gewesen. Doch er
enthält auch substanzielle Verschärfungen, die wir aus asylpolitischer Sicht
falsch finden. Wir zollen den unterschiedlichen Einschätzungen Respekt und
stehen fest zusammen beim gemeinsamen Vorhaben, weiterhin mit aller Kraft für
eine Verbesserung der Situation für Schutzsuchende um und in Europa zu kämpfen.
Denn klar ist: Die Situation der Menschen, die in Europa Schutz suchen, muss
deutlich besser werden.
Im weiteren Verfahren im Trilog zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat und
der Kommission setzen wir uns daher - im Wissen um die schwierige
Verhandlungssituation in Europa - für Verbesserungen ein. Unter anderem sind
folgende Kriterien für uns wichtig: dass Familien mit Kindern grundsätzlich
nicht in Grenzverfahren kommen dürfen und Mitgliedstaaten nicht zur Durchführung
von Grenzverfahren verpflichtet werden. Wir wollen ein effektives
Menschenrechtsmonitoring an den Außengrenzen und eine verbindliche Verteilung in
den Mitgliedsstaaten. Dafür werden wir in enger Abstimmung zwischen
Europafraktion, Bundestagsfraktion, Bundespartei und Regierungsmitgliedern
kämpfen. Auch das Ergebnis werden wir gemeinsam bewerten. Unsere jeweiligen
Positionierungen zu den Rechtsakten werden wir davon abhängig machen, ob unter
dem Strich Verbesserungen in der Europäischen Asylpolitik und auch für Europa
stehen.
Die Rechte von Menschen zu beschneiden, die durch autoritäre Staaten
instrumentalisiert werden, lehnen wir ab. Stattdessen muss es mehr europäische
Solidarität in Krisensituationen geben. Dafür setzen wir uns bei den
Verhandlungen zur Krisenverordnung ein. In Krisensituation wollen wir Menschen
in Not helfen und nicht ihre Rechte beschränken. Die Massenzustromrichtline hat
sich bewährt.
Geordnete Verfahren und europäische Solidarität verteidigen
Eine faire und gesteuerte Verteilung kann nur gelingen, wenn Menschen
zuverlässig bei der Einreise registriert werden. Wir müssen wissen, wer zu uns
kommt. Damit wollen wir auch verhindern, dass Menschen ausgebeutet oder
entrechtet werden. Eine Verteilung von Geflüchteten kann nur funktionieren, wenn
sich einzelne Mitgliedstaaten nicht einfach entziehen können. Dazu gehört auch,
dass Verfahren fair und zügig durchgeführt, menschenrechtskonforme
Lebensbedingungen sichergestellt und Weiterreisen ohne vorherige Registrierung
in andere europäische Länder vorgebeugt wird. Alle Mitgliedsstaaten müssen ihren
fairen Beitrag leisten. Geld- und Sachleistungen an Drittstaaten sind dabei
keine Kompensation. Mitgliedstaaten, die in besonderem Maße Geflüchtete
aufnehmen, müssen gestärkt und finanziell entlastet werden. Sie müssen aber auch
für ihre Verantwortung in die Pflicht genommen werden. Die Finanzierung der
libyschen Küstenwache, die sich an Menschenrechtsverstößen und an Schlepperei
beteiligt, muss ein Ende finden.
Das Konzept der sicheren Drittstaaten finden wir weiterhin falsch. Bestrebungen
die Kriterien für die Einstufung sicherer Drittstaaten aufzuweichen, treten wir
entgegen. Asylanträge von Menschen, die über einen Drittstaat in die EU
einreisen, dürfen nicht einfach als unzulässig abgelehnt oder die Betreffenden
einfach zurückgeführt werden – gerade wenn sie keine klare Verbindung, etwa
berufliche oder familiäre Bezüge, zu diesem Land haben und nicht sichergestellt
werden kann, dass sie dort entsprechend der Standards der Genfer
Flüchtlingskonvention in Sicherheit sind. Die Verankerung eines starken
Verbindungselements ist daher von großer Bedeutung. Die rechtliche Ausgestaltung
muss so erfolgen, dass die Regelung auch in der Praxis wirksam und justiziabel
ist. Das Asylrecht beruht auf der Einzelfallprüfung, das völker- und
europarechtlich verbriefte Nichtzurückweisungsgebot gilt immer und überall.
Das Leid an den Außengrenzen beenden, Seenotrettung sichern
Die aktuelle Situation an den Außengrenzen ist nicht akzeptabel. Unser Ziel ist
es daher, das Leid schnellstmöglich zu beenden. Wir nehmen nicht hin, dass
Menschen und sogar Kinder unter menschenunwürdigen Bedingungen in Lagern
verharren und keinen Zugang zu rechtsstaatlichen Verfahren haben. Die Versorgung
mit medizinischen Gütern, psychologischer Betreuung und Lebensmitteln sowie der
Zugang zu Sozial- und Rechtsberatung und Bildungseinrichtungen müssen stets
sichergestellt sein. Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen benötigen jederzeit
Zugang zu den Geflüchteten und den Grenzregionen. Der illegalen Praxis von
Pushbacks muss entschieden begegnet werden. Wir fordern die Europäische
Kommission auf, gegenüber Mitgliedstaaten einzuschreiten, die diese
rechtswidrige Praxis anwenden. Gleichzeitig muss ein wirksames, unabhängiges
Menschenrechtsmonitoring dazu beitragen, dass rechtsfreie Räume an den Grenzen
in Europa der Vergangenheit angehören. Die umfassende parlamentarische Kontrolle
der EU-Agenturen und der Finanzierungsinstrumente für die externe
Migrationspolitik müssen sichergestellt sein.
Wir wollen die europäische Seenotrettung stärken und das Sterben im Mittelmeer
beenden. Jedes Jahr sterben Tausende Menschen beim Versuch, das Mittelmeer zu
überqueren. Dieser Zustand ist nicht hinnehmbar. Seenotrettung ist eine
völkerrechtliche Pflicht. Wir treten weiter für eine zivile, flächendeckende und
europäische Seenotrettung ein. Es braucht endlich eine europäische Initiative
für eine staatlich koordinierte Seenotrettung. Die europäischen Staaten sind
gemeinsam dafür verantwortlich, dass zivile Seenotrettungsorganisationen
gefahrlos ihre Einsätze absolvieren können und dabei untersützt werden. Durch
die Behinderung ihrer Arbeit, lange Fahrtwege und Spendeneinbrüche stehen die
Seenotrettungsorganisationen auch finanziell unter Druck. Deswegen treten wir –
neben unserem Einsatz für die Organisation einer staatlich organisierten
Seenotrettung – für die Verbesserung der staatlichen, unter anderem
finanziellen, Unterstützung ziviler Organisationen ein. Wir wollen verhindern,
dass gemeinnützige Hilfsorganisationen aufgrund von finanziellen Engpässen nicht
retten können, während täglich mehr Menschen ertrinken.
Rettungsschiffe müssen die Gelegenheit haben, den nächstgelegenen sicheren Hafen
anzulaufen, damit die Menschen an Land gehen und versorgt werden können. Ein
Auslaufen von Rettungsschiffen darf nicht behindert und Seenotrettung nicht
kriminalisiert werden. Die von Seenotrettungsschiffen aufgenommenen Menschen
müssen die Möglichkeit auf eine inhaltliche Überprüfung ihres Schutzanliegens
haben.
Fluchtursachen bekämpfen
Kernaufgabe bleibt es, die Ursachen für Flucht und Vertreibung anzugehen. Wir
verfolgen eine Außenpolitik, die Diplomatie und Prävention von Konflikten in den
Mittelpunkt stellt. Wir orientieren uns an den Bedürfnissen von Menschen, die
wegen Konflikten oder Verfolgung ihre Heimat verlassen müssen. Die meisten von
ihnen suchen Schutz in ihrem eigenen Land oder in Nachbarstaaten. Hier muss
Europa handeln. Eine effektive und gut ausgestattete humanitäre Hilfe,
Krisenprävention und Stabilisierung sind ebenso ein Schlüsselfaktor wie
Entwicklungszusammenarbeit und die geregelte Aufnahme Geflüchteter. So können
wir verhindern, dass Menschen sich auf gefährliche Fluchtrouten und in die Hände
von Menschenschmugglern begeben müssen.
Eine nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit kann einen Beitrag dazu leisten,
Gesellschaften zu stabilisieren und Menschen eine wirtschaftliche und soziale
Perspektive in ihrer Heimat zu geben. Sie an die Kooperation bei
Migrationsfragen zu knüpfen, wie es Markus Söder fordert, schafft eher
Fluchtgründe. Wir lehnen dies ab.
Begründung
An den Antrag V-01 wurden durch den Bundesvorstand, aufgrund der neuen Entwicklungen zur GEAS-Reform Änderungsanträge gestellt und übernommen. Damit die Lesbarkeit des Antrages erhalten bleibt, wurde der Antragstext ab Zeile 145 geändert und teilweise umgestellt. Der so modifizierte Antrag des Bundesvorstandes wurde als dieser Antrag V-01-NEU hochgeladen.