Veranstaltung: | 2. Bundesfrauenrat 2022 |
---|---|
Tagesordnungspunkt: | TOP 7 Vorbereitung BDK |
Antragsteller*in: | Bundesvorstand (dort beschlossen am: 09.09.2022) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 12.09.2022, 14:11 |
BFR-ES-01: Sichere Energieversorgung für den Winter
Antragstext
Der Angriff Russlands auf die Ukraine bedeutet unermessliches Leid für die Menschen in der
Ukraine, eine Bedrohung für die europäische Sicherheitsordnung und Risiken für die weltweite
Ernährungssicherheit. Er bringt aber auch große Herausforderungen für unsere
Energieversorgung mit sich.
Mit der von zahlreichen Vorgängerregierungen forcierten Abhängigkeit Deutschlands von
russischen fossilen Energieträgern, vor allem von russischem Gas, wurde Vladimir Putin ein
Instrument an die Hand gegeben, um direkten Einfluss auf unsere Versorgungssicherheit,
unseren Wohlstand und unsere Wirtschaft zu nehmen. Längst hat die russische Regierung
mithilfe willkürlicher Drosselungen oder Abschaltungen der Gaslieferungen einen
Wirtschaftskrieg mit Europa begonnen. Wir unternehmen daher in der Ampel-Koalition jede
Anstrengung, Deutschland aus der energiepolitischen Abhängigkeit Russlands zu befreien und
die Energieversorgung in unserem Land zu sichern.
Dabei setzen wir Grüne mit aller Kraft auf den beschleunigten Ausbau erneuerbarer Energien,
Energieeffizienz und Einsparung. Sie sind der beste Beitrag, um die dreifache
Herausforderung aus Klimaschutz, Energiesicherheit und Bezahlbarkeit zu bewältigen.
Gleichzeitig muss Deutschland gezwungenermaßen für die Übergangszeit verstärkt auf fossile
Energien zurückgreifen – Kohlekraftwerke etwa, die in den Markt zurückkehren, oder LNG-Gas,
für dessen Anlandung schwimmende und auf Wasserstoff umrüstbare feste Terminals gebaut
werden.
Diese Politik tragen wir Grüne in der Koalition mit SPD und FDP, weil wir uns unserer
Verantwortung für das Land bewusst sind und uns die Aggression Putins dazu zwingt, eine
konsequente Klimapolitik mit der Notwendigkeit der Versorgungssicherheit in Einklang zu
bringen. Die Ampelkoalition arbeitet zugleich mit Hochdruck daran, die Bürger*innen und die
Wirtschaft vor den Verwerfungen der Energiekrise zu schützen. Mit mittlerweile drei
Entlastungspaketen, die wir als Grüne maßgeblich mitgestaltet haben, unterstützen wir
Menschen und Unternehmen in Zeiten dramatischer Preisanstiege.
Vorrang für erneuerbare Energien
Gleichzeitig haben sich im vergangenen Sommer energiepolitische Krisenlagen
aufeinandergeschichtet, die zusätzlich zu den ausbleibenden Gaslieferungen auch eine Gefahr
für die Stabilität des europäischen Stromnetzes in diesem Winter befürchten lassen. So
standen zeitweise über die Hälfte aller französischen Atomkraftwerke still, die
Stromproduktion aus Wasserkraft war aufgrund der klimakrisenbedingten Dürre in vielen
europäischen Ländern auf einem Tiefstand und das dürrebedingte Niedrigwasser auf dem Rhein
ermöglichte nur eingeschränkt den Transport von Kohle an die entsprechenden Kraftwerke. Die
Verflechtungen mit unseren europäischen Nachbarn beeinflussen sowohl die Menge des zur
Verfügung stehenden Stroms als auch die Flexibilität im gegenseitigen Austausch – und damit
die Stabilität des Netzes. Hinzu kommt, dass durch den insbesondere auch von der CSU
verzögerten Netzausbau Strom, vor allem aus erneuerbaren Energien, nicht ausreichend von
Nord nach Süd transportiert werden kann. Dadurch drohen Engpässe insbesondere in
Süddeutschland. Bitter rächt sich nun, dass die bayerische Staatsregierung den Ausbau der
Windkraft und der Übertragungsleitungen massiv bekämpft hat. Damit hat die CSU nicht nur für
das Land Bayern eine schwierige Situation geschaffen, sondern für die Bundesrepublik
insgesamt.
Unsere Verantwortung für die Menschen in unserem Land und die Versorgungssicherheit gebietet
es, die Situation in diesem Winter sachlich und problemorientiert zu bewerten. Um die
Diskussion zu versachlichen, hat das Bundeswirtschaftsministerium einen zweiten Stresstest
zur Netzstabilität in Auftrag gegeben, in dem verschiedene Krisenszenarien für den Winter
2022/23 berechnet wurden. Der Stresstest hat ergeben, dass eine krisenhafte Situation im
Stromsystem für diesen Winter zwar sehr unwahrscheinlich ist, aber nicht vollständig
ausgeschlossen werden kann. Damit besteht mit geringer Wahrscheinlichkeit die Gefahr von
Lastunterdeckungen oder gar Stromausfällen aufgrund von Netz-Stresssituationen.
Um dieser Gefahr vorzubeugen, steht ein Bündel von Maßnahmen zur Verfügung. Dazu gehört die
zusätzliche Stromproduktion durch Windenergie, Photovoltaik und Biogasanlagen, die Erhöhung
von Transportkapazitäten über die vorhandenen Stromnetze, die Nutzung von alternativen
Kraftwerksreserven und die Aktivierung von Leistungsreserven bei Kohlekraftwerken sowie die
Erweiterung des Lastmanagements in enger Absprache mit der Industrie. Außerdem werden
besonders die Träger öffentlicher Gebäude zum Energiesparen angehalten und alle
Stromverbraucher*innen, vom Anlagenbetreiber über Ladenbesitzer*innen bis hin zu
Privatleuten, bei ihren Bemühungen unterstützt. Maßnahmen zur Energieeffizienz und
Energieeinsparung werden verstärkt. All das ist entscheidend, um die Versorgungssicherheit
in diesem Winter zu gewährleisten.
Das Ergebnis des Stresstestes ist eindeutig: Die Atomkraft ist nicht die Lösung für das
drohende Energieproblem in diesem Winter, sondern es braucht ein ganzes Maßnahmenbündel, um
die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Bezogen auf die Atomkraft hat der Stresstest die
lauten Stimmen widerlegt, die im Weiterbetrieb der drei noch am Netz befindlichen
Atomkraftwerke die Lösung aller Probleme sehen. Denn insgesamt spielt die Atomenergie selbst
im Worst-Case Szenario im Vergleich zu den anderen dringenden Maßnahmen nur eine
untergeordnete Rolle, wenn es darum geht, in kritischen Situationen die Netzsicherheit zu
gewährleisten. So erweist sich der Beitrag der AKW für die Versorgungssicherheit insgesamt
als begrenzt, ihr Beitrag zum Einsparen von Gas und zur Dämpfung der Strompreise als
marginal.
Eine befristete Einsatzreserve für den Notfall
Für den äußersten Notfall, so unwahrscheinlich er auch sein mag, wollen wir dennoch
vorsorgen und auf alle zur Verfügung stehenden Möglichkeiten für die Netzstabilisierung
zurückgreifen können. Deswegen stimmen wir zu, eine konditionierte, zeitlich begrenzte und
von der Atomaufsicht strikt überwachte AKW-Einsatzreserve zu schaffen. Damit endet die
Laufzeit der verbliebenen drei Atomkraftwerke regulär zum 31. Dezember dieses Jahres. Die
beiden AKW im Süden des Landes, Isar 2 und Neckarwestheim 2, werden jedoch bis Frühjahr 2023
weiter in Betriebsbereitschaft gehalten und stehen so – ohne neue Brennelemente – zur
Verfügung, um, falls nötig, einen Beitrag zur Stabilisierung des Stromnetzes in
Süddeutschland zu leisten.
Entscheidend ist für uns, dass keine neuen Brennelemente beschafft werden. Sie sind für eine
Einsatzreserve nicht erforderlich; neuer, gefährlicher Atommüll wird nicht produziert. Nur
für einen begrenzten Zeitraum und nur für die zwei süddeutschen AKW ist ein eng
konditionierter Einsatz zur Abwehr einer konkreten Gefahr für die Versorgungssicherheit
vorzusehen und damit noch vertretbar. Das AKW Emsland wird zum 1. Januar 2023 endgültig
abgeschaltet und zurückgebaut. Für den norddeutschen Raum stehen andere Instrumente zur
Verfügung, um die Netzstabilität zu sichern.
Die Risiken im Stromsystem für den kommenden Winter unterscheiden sich wesentlich vom Winter
2023/24, weil durch die längere Vorlaufzeit bereits beschlossene Maßnahmen dann stärker
wirken und noch weitere umgesetzt werden können. So erhöhen wir bis dahin die Gas-
Importkapazität über schwimmende LNG-Terminals so stark, dass keine Gasmangellage an den
Gaskraftwerken mehr zu befürchten ist. Wir steigern die Verfügbarkeit von Strom aus Biogas-
Anlagen und aus anderen Erneuerbaren. Ebenso verbessern wir die Leistungsfähigkeit der
Stromnetze, die Kraftwerkskapazitäten und flexible Lasten. Wir setzen auf Energieeffizienz
und Unterstützung beim Energiesparen. Damit werden bis Herbst 2023 die Unsicherheitsfaktoren
deutlich reduziert und die Versorgung bleibt auch in Extremszenarien gesichert. Eine
Verlängerung der Einsatzreserve über Frühjahr 2023 hinaus oder eine Wiederbelebung im Winter
2023/24 ist deshalb ausgeschlossen.
Der Einsatz der Reserve ist nicht voraussetzungslos. Sie kann im Winter 2022/23 und nur dann
eingesetzt werden, wenn klar zu befürchten ist, dass die Voraussetzungen eines
Krisenszenarios vorliegen und auch unter Ausnutzung anderer Maßnahmen eine kritische
Situation weiterhin droht. Die gesetzlichen Regelungen müssen sicherstellen, dass die
Sicherheit der Anlagen gewährleistet ist, Sicherheitsaspekte oberste Priorität haben und die
Betreiber nicht aus ihrer Verantwortung entlassen werden.
Der Atomausstieg bleibt
Die Einsatzreserve ist eine verantwortungsvolle, angemessene, zeitlich begrenzte und
zielgenaue Lösung, um auf ein Extremszenario vorbereitet zu sein und einer möglichen
Netzinstabilität im kommenden Winter vorzubeugen. Sie trägt aber auch dem Risiko Rechnung,
das der Einsatz von Atomkraft bedeutet.
Für uns ist klar: Der Atomausstieg bleibt. Atomkraft ist und bleibt eine
Hochrisikotechnologie. Weiterhin ist für die Entsorgung des hochradioaktiven Abfalls keine
Lösung in Sicht. Auch haben sich die Behauptungen von der Atomkraft als verlässlicher und
günstiger Energiequelle immer wieder als Märchen entpuppt – davon zeugt einmal mehr der
dramatische Ausfall der französischen AKW. Deutschland hat sich aus guten Gründen
entschlossen, aus der Atomkraft auszusteigen. Atomkraft ist die Vergangenheit, nicht die
Zukunft unserer Energieversorgung. Die Zukunft ist erneuerbar.
Kommentare