Veranstaltung: | 43. Bundesdelegiertenkonferenz Leipzig |
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Tagesordnungspunkt: | EP-W Europawahlprogramm (Kapitel 2) |
Status: | Beschluss (vorläufig) |
Beschluss durch: | Bundesdelegiertenkonferenz |
Beschlossen am: | 08.11.2018 |
Eingereicht: | 12.11.2018, 16:32 |
Antragshistorie: | Version 1 |
Kapitel 2: Stärken, was uns zusammenhält: die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion vertiefen
Beschlusstext
Jede*r Europäer*in soll sich frei entfalten können. Niemand wird zurückgelassen. Es geht
fair und gerecht zu. Diesen Anspruch haben wir an Europa. Alles in allem hat die Europäische
Union den Wohlstand auf dem Kontinent vergrößert. Aber Anspruch und Wirklichkeit passen
nicht zusammen. Die Lebensverhältnisse zwischen den Mitgliedstaaten, zwischen Nord und Süd,
Ost und West, klaffen auseinander. Genauso innerhalb der einzelnen Länder. Und die
ökonomische Globalisierung macht es immer schwieriger, soziale Gerechtigkeit zu
organisieren. Etwa wenn große Konzerne versuchen, Staaten gegeneinander auszuspielen, und
die Länder in einen Wettbewerb um die niedrigsten Steuern und die niedrigsten Löhne geraten.
Oder wenn Unternehmen und Vermögende sich ihrer Verantwortung für das Gemeinwesen mehr und
mehr entziehen oder erst gar nicht stellen. Diese Situation wird nun noch verschärft, weil
die Digitalisierung die Art, wie wir leben und arbeiten, radikal verändern wird.
In den letzten Jahren und Jahrzehnten war in der Europäischen Union sowie in vielen
Mitgliedstaaten die Auffassung vorherrschend, dass die Ökonomie Vorrang vor dem Politischen
hat, dass Regeln und Eingriffe in den freien Markt schädlich sind, dass es nur vom Willen
und Vermögen des Einzelnen abhängt, ob sie oder er glücklich wird. Diese Auffassung war
blind für die gesellschaftlichen Voraussetzungen, die unsere Leben prägen und die es einigen
schwerer und anderen leichter machen. In der Folge ist die Schere zwischen Arm und Reich
weit auseinandergegangen. Vor allem die einseitige Sparpolitik während der Eurokrise hat in
einigen Ländern eine ganze Generation ihrer Zukunft beraubt und die Europäische Union
gespalten. Das ist ein ökonomisches, ein soziales Problem und ein demokratisches Problem: Zu
viele leben in Armut, zu viele sind verunsichert, wenden sich enttäuscht ab, verabschieden
sich aus der Gesellschaft.
Wenn wir diese Probleme lösen und mehr Sicherheit, Perspektive und Vertrauen geben wollen,
müssen wir europäisch handeln. Denn angesichts der globalen Herausforderungen, angesichts
der international agierenden Konzerne, die Unternehmenssitze und Produktionen je nach
Steuer- und Lohnhöhe verlagern können, stoßen die Nationalstaaten an ihre Grenzen. Aber ein
solidarisches Europa als gemeinsamer Wirtschaftsraum kann ihnen Paroli bieten und einen
Rahmen setzen.
Für eine europäische Politik brauchen wir aber einen anderen Geist: Politik muss wieder das
Heft des Handelns aufnehmen und wir müssen für Wohlstand, Freiheit und Gerechtigkeit für
alle kämpfen. Es gilt, dafür Geld in die Hand zu nehmen. Nicht mehr ein Europa des
Sparzwangs und der Neiddebatten, sondern eines, das in die Zukunft seiner Bürgerinnen und
Bürger investiert. Die Europäische Union soll europäische öffentliche Güter, die für alle da
sind, wie Klimaschutz, innere und äußere Sicherheit, Finanzstabilität, Forschung, eine
europäische Infrastruktur für Kommunikation, Energie und Mobilität, schaffen und durch
gemeinsame Steuern solidarisch und gerecht finanzieren.
Wenn die EU Steuerdumping entschlossen bekämpft, kann es dafür sorgen, dass auch die großen
Unternehmen und alle Vermögenden ihren gerechten Beitrag zum Solidarsystem leisten. Eine
krisenfeste und prosperierende Währungsunion sehen wir als Grundpfeiler einer starken und
solidarischen europäischen Gemeinschaft. Daher möchten wir die Währungsunion so
weiterentwickeln, dass weitere Krisen vermieden werden können und im Falle einer Krise
trotzdem die nötigen Instrumente zur Stabilisierung der Wirtschaft einsatzbereit sind. Wir
dürfen nicht wieder in eine Situation kommen, in der alleine die Europäische Zentralbank
ihrer Verantwortung für die Stabilisierung der Wirtschaft nachkommt.
Der Binnenmarkt soll so ausgestaltet werden dass er die Rechte von Umwelt, Verbrauchern und
Arbeitnehmer*innen umfassend schützt.
Europäischer Zusammenhalt heißt, allen Menschen in der EU soziale Rechte zu garantieren, sie
überall durchzusetzen und einklagbar zu machen. Gerade Jugendliche brauchen eine
Perspektive. Alle Menschen in der EU müssen sich auf faire Löhne und Arbeitsbedingungen, auf
einen Schutz vor Armut und Ausbeutung verlassen können. Gerade auch, wenn sie in
unterschiedlichen Ländern leben und arbeiten. Durch die Einrichtung von
Sonderwirtschaftszonen wird dieses Ziel konterkariert.
2.1 EU-Haushalt neu aufstellen
Europa muss in allen Mitgliedstaaten spürbar sein. Aber Europa gibt es nicht umsonst. Daher
ist für uns klar: Je mehr Aufgaben wir auf die Ebene der Europäischen Union verlagern, umso
mehr Mittel müssen auch bereitgestellt werden.
Statt sich um die großen Zukunftsaufgaben zu kümmern, achten die nationalen Regierungen im
Wesentlichen darauf, dass sie den Anteil ihres Landes am gemeinsamen Budget wieder
zurückerstattet bekommen.
Dabei bieten gemeinsame Projekte, gemeinsame Beschaffung oder das Zusammenlegen von 28
Behörden auch erhebliche Einsparpotentiale. Wir sprechen uns dafür aus, den EU Haushalt
deutlich zu vergrößern, damit zum Beispiel die Sozial- oder Energieunion adäquat finanziert
werden und automatische Stabilisatoren die Wirtschafts- und Währungsunion gegen Krisen
absichern. Wir fordern einen EU-Haushalt in Höhe von 1,3 Prozent des europäischen
Bruttoinlandsprodukts, damit die Europäische Union die ihr bereits heute übertragenen
Aufgaben sachgerecht erfüllten kann. Wenn die europäische Ebene nach und nach mehr
Verantwortung übernehmen soll, dann muss das Volumen des EU-Finanzrahmens entsprechend mit
den zu erfüllenden Aufgaben wachsen. In dem Maße, wie die EU eigene
Einnahmequellenerschließt, reduzieren sich die nationalen Beiträge.
Der Mehrjährige Finanzrahmen der EU sollte an die Legislaturperiode des Europäischen
Parlaments angeglichen werden und nicht länger davon unabhängig in 7-Jahres-Zyklen
verabschiedet werden. Wir wollen die gesamten Einnahmen und Ausgaben des Mehrjährigen
Finanzrahmens an übergeordneten Politikzielen und internationalen Vereinbarungen ausrichten
wie den Zielen der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung und dem Pariser
Klimaabkommen. Mit einem verpflichtenden Nachhaltigkeits-Check wollen wir anhand von fest
definierten Nachhaltigkeitskriterien die einzelnen Haushaltslinien darauf hin prüfen, ob sie
einen Beitrag dazu leisten, diese Ziele zu erreichen. Ein erheblicher Teil des EU-Haushaltes
muss für die aktive Bekämpfung der Klimakatastrophe reserviert werden und darf nicht in
fossile Energien fließen.
Ab 2021 wird Großbritannien nicht mehr in den EU-Haushalt einzahlen. Die dadurch entstehende
Gesamtlücke im EU-Haushalt in Höhe von mindestens 12 Milliarden Euro muss geschlossen
werden. Auch Deutschland muss dafür seinen Anteil am EU-Budget angemessen erhöhen.
Heute wird das Geld der EU oftmals falsch ausgegeben. So bildet im jetzigen EU-Haushalt die
Gemeinsame Agrarpolitik der EU den zweitgrößten Posten. Diese wird aber der Anforderung,
eine nachhaltige, klimaschonende und für die Bäuer*innen auskömmliche Landwirtschaft und
damit lebenswerte ländliche Regionen zu fördern, nicht gerecht, weil sie die
Industrialisierung der Landwirtschaft und damit die Überproduktion besser vergütet. Die
Agrargelder sollen konsequent nach dem Prinzip „öffentliches Geld für öffentliche Leistung“
auf Klimaanpassung, Umweltschutz und Tierwohl umgestellt werden.
Wir wollen, dass die EU strukturschwache Regionen und die Entwicklung ländlicher Regionen
auch in Zukunft unterstützt. Ärmere Regionen wollen wir besonders fördern, um die
Lebensverhältnisse der Menschen in Europa einander anzunähern. EU-Mittel wollen wir
gezielter dort einsetzen, wo Zivilgesellschaft, Unternehmen und öffentliche Einrichtungen
europäische Unterstützung brauchen. Für eine geschlechtergerechte Verteilung der
Finanzmittel soll in Zukunft Gender Budgeting eingesetzt werden. Außerdem wollen wir die
Vergabe öffentlicher Aufträge vereinfachen, gerade für Kommunen und für kleinere Projekte.
Eigene Einnahmen stärken die EU
Mit Steuern kann man steuern – und das sollten wir auch auf EU-Ebene tun, statt einfach
jeden Mitgliedstaat einen Scheck nach Brüssel schicken zu lassen. Wer eine starke Union
will, muss ihr auch eigene Einnahmen geben.
Die Europäische Union soll dort besteuern, wo es eine faire Besteuerung besser sicherstellen
kann als die Mitgliedstaaten. Dies betrifft die Besteuerung von international tätigen
Unternehmen, deren Wertschöpfung häufig immateriell ist und sich keinem Land zuordnen lässt.
So schaffen es diese Unternehmen oft, sich der Besteuerung ganz zu entziehen. Wir wollen
eine am Umsatz orientierte europäische Digitalsteuer rasch einführen, um das Steuerdumping
digitaler Konzerne zu unterbinden.
In Zukunft muss die Unternehmensbesteuerung dann alle Branchen und Unternehmen erfassen. Wir
brauchen in einem ersten Schritt eine europaweit einheitliche konsolidierte
Bemessungsgrundlage für die Besteuerung von Unternehmen und im zweiten Schritt eine
einheitliche europäische Unternehmensteuer inklusive fairer Mindeststeuersätze, die für alle
Unternehmen gleichermaßen gilt. Einen Anteil dieser Unternehmenssteuern wollen wir den
europäischen Bürger*innen zugutekommen lassen, denn Unternehmen erwirtschaften einen Teil
ihrer Gewinne nur dank des europäischen Binnenmarkts. So schützen wir auch junge digitale
Start-ups wie auch die lokal verwurzelte Wirtschaft vor unlauterem Wettbewerb der IT-Riesen.
Um Steuerflucht durch Gewinnverlagerung in Steuersümpfe außerhalb der EU zu vermeiden,
müssen wir darauf hinarbeiten mit den wichtigsten Handelspartnern der EU die
Bemessungsgrundlage für die Körperschaftssteuer gemeinsam zu konsolidieren. Sollte dies
nicht gelingen, müssen auch unilaterale Unternehmenssteuersysteme der EU in Betracht gezogen
werden, die sich nicht umgehen lassen.
Auch CO2, Plastik und den spekulativen Handel mit Finanzprodukten können wir leichter in
Europa besteuern und damit gleichzeitig die Einnahmen der Union verbessern. Mit der
Finanztransaktionssteuer beteiligen wir Spekulanten an der Finanzierung des europäischen
Gemeinwesens, und wir beschränken den sinnlosen und gefährlichen Hochfrequenzhandel, der
solide Unternehmen und unsere Altersvorsorge bedroht.
Wer GRÜN wählt, stimmt für
- einen leistungsfähigen EU-Haushalt für gemeinsame Aufgaben,
- starke eigene Einnahmen für eine handlungsfähige Union,
- eine Beteiligung des Finanzsektors und der digitalen Wirtschaft an der Finanzierung
öffentlicher Aufgaben.
- die Einführung einer Finanztransaktionssteuer
2.2. In Europas Zukunft investieren
Die schwere Wirtschaftskrise Europas ist noch immer nicht vorbei. Ihre Folgen bestimmen nach
wie vor den Alltag vieler Menschen. Mehr als 15 Millionen Europäer*innen sind arbeitslos.
In Italien, Spanien und Griechenland finden vor allem viele Jugendliche keinen Job. Das
Leben einer ganzen Generation wird von Arbeits- und Perspektivlosigkeit geprägt.
Der harte Sparkurs als Konsequenz aus der Finanz- und Eurokrise hat die Lebensbedingungen
vieler Menschen massiv verschlechtert, die Krise in vielen Ländern verlängert und vertieft
und das Vertrauen in die EU unterminiert. Wir haben diese einseitige Sparpolitik,
vorangetrieben von Merkel und den europäischen Konservativen, immer abgelehnt. Nun ist es
Zeit für einen grundlegenden Kurswechsel.
Wir wollen massiv in Europas Zukunft investieren, vor allem in Klimaschutz, Erneuerbare
Energien, alternative Verkehrskonzepte und die ökologische Landwirtschaft. Wir Grüne denken
Klimaschutz, Gerechtigkeit und Freiheit in Europa zusammen. Sozial-, und
wirtschaftspolitische Maßnahmen müssen mit der ökologischen Modernisierung der
Industriegesellschaft verbunden werden. Unser Konzept des Green New Deal wollen wir dafür
weiterentwickeln, mit einem eigenen Haushalt für den Euro, der stabilisiert und investiert.
Neue Investitionen zum Beispiel in Klimaschutz, öffentliche Daseinsvorsorge und Bildung
schaffen Arbeitsplätze und wirtschaftliche Perspektive für viele Menschen in Europa Das ist
die Voraussetzung für Wohlstand und Lebensqualität auch in der Zukunft.
Durch die Finanz- und Eurokrise sind sowohl öffentliche als auch private Investitionen stark
zurückgegangen. Bei den öffentlichen Investitionen haben wir in Europa noch nicht einmal das
Vorkrisenniveau wieder erreicht. Es ist ein Investitionsstau von erheblichem Umfang
entstanden. Auch die EU2020-Ziele sind noch lange nicht erreicht. So fehlen allein bei den
Ausgaben für Forschung und Entwicklung noch über 100 Milliarden Euro jährlich. Wir brauchen
ein soziales Europa, das die soziale Sicherheit erhöht und Abstiegsängste mindert. Dazu
brauchen wir europäische Investitionen, die überall in Europa wirken und insbesondere den
Menschen in den strukturschwachen Regionen neue Perspektiven eröffnen und sie vor neuen
Krisen schützen. Um den Investitionsstau aufzulösen, müssen wir die Rahmenbedingungen für
nationale Ausgaben so gestalten, dass notwendige und nachhaltige öffentliche Investitionen
stärker möglich sind. Die Europäische Kommission hat hier in den letzten Jahren
richtigerweise die Spielräume für solche Investitionen erweitert. Darüber hinaus wollen wir,
dass die Anreize für staatliche Investitionen im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspakts
verbessert werden, z.B. indem Investitionsausgaben bei der Berechnung der Defizitquoten
ähnlich wie private Investitionen über mehrere Jahre abgeschrieben werden können. Damit
stärken wir öffentliche Investitionen gerade in Zeiten des wirtschaftlichen Abschwungs.
Auch die privaten Investitionen sind zu niedrig und müssen gesteigert werden. Die
Europäische Investitionsbank leistet hier gute Arbeit bei der Finanzierung von kleinen
Unternehmen und Start-ups in Europa. Wir wollen sie weiter stärken. Der Europäische
Investitionsfonds für strategische Investitionen wurde vorübergehend zur Krisenbewältigung
geschaffen. Wir wollen ihn dauerhaft fortführen, anstatt ihn, wie ursprünglich geplant, 2020
zu beenden. Allerdings muss er sich neu ausrichten. Bislang wurden Mittel aus anderen
bewährten Programmen abgezogen. Das Geld kam häufig nicht dort an, wo es am nötigsten
gebraucht wird. Finanzierte Projekte waren nicht zusätzlich, sondern wären auch ohne EFSI
zustande gekommen. Zahlreiche Investitionen waren nicht nachhaltig im Sinne der Ziele für
eine nachhaltige Entwicklung der UN. Wir wollen, dass alle geförderten Investitionen
zusätzlich sind und sich strikt an Klimaschutz, Ressourceneffizienz und Kreislaufwirtschaft
ausrichten. Die Mitgliedstaaten sollen das Eigenkapital der Europäischen Investitionsbank
erhöhen, damit diese den Fonds weiterführen kann.
Klimaschutz, der Ausbau erneuerbarer Energien, innere wie äußere Sicherheit,
Finanzstabilität, Forschung in nachhaltige Zukunftstechnologien, eine europäische
Infrastruktur für Kommunikation, Energie und Mobilität, soziale Absicherung – dies sind
europäische Gemeingüter, in die wir auch europäisch investieren wollen. So können wir die
Energiewende in ganz Europa nur dann vorantreiben und das Klima schützen, wenn wir in die
Vernetzung der bestehenden Stromnetze investieren und ein europäisches Netz schaffen. Denn
nur so kann Windenergie von den Niederlanden nach Österreich und Solarenergie von Spanien
nach Polen transportiert werden.
Europa soll verbinden. An der Grenze aber endet die Bahnfahrt manchmal abrupt oder es wird
kompliziert. Mit einem europäischen Bahnnetz verbinden wir die Menschen von Neapel bis
Tallinn. Während das Internet weltweit läuft, wird in Europa die digitale Infrastruktur des
21. Jahrhunderts noch immer in nationalen Grenzen geplant und gebaut. Das ist
anachronistisch. Wir wollen in der ganzen Europäischen Union schnelles Internet schaffen.
Und bei der Forschung zu neuen Technologien wie zum Beispiel der künstlichen Intelligenz
können wir nur gemeinsam erfolgreich sein.
Die innere Sicherheit Europas lässt sich am besten gemeinsam gewährleisten. Das spart
langfristig auch viel Geld.
Jugendarbeitslosigkeit bekämpfen
Jugendliche brauchen überall in Europa eine Perspektive. Die arbeitslosen Jugendlichen in
Griechenland, Spanien und Italien sind auch unsere Arbeitslosen. Wir wollen eine große
Offensive für die Zukunft der europäischen Jugend.
In der Theorie gibt es bereits eine europäische Jugendgarantie, die allen jungen Menschen
unter 25 Jahren innerhalb von vier Monaten, nachdem sie arbeitslos geworden sind oder ihre
Ausbildung abgeschlossen haben, ein qualitativ hochwertiges Angebot für einen Arbeitsplatz,
eine Fortbildung, einen Ausbildungsplatz oder ein Praktikum zusichert. Aber sie muss auch
funktionieren und darf nicht nur ein Tropfen auf dem heißen Stein sein. Deswegen wollen wir
die Jugendgarantie zu einem dauerhaften und besser finanzierten Instrument weiter
entwickeln. Die Ausbildungs- und Qualifizierungsangebote müssen von hoher Qualität und
auskömmlich finanziert sein, beispielsweise angelehnt an die duale Ausbildung in
Deutschland, insbesondere in Zukunftsbranchen wie dem Klima- und Umweltschutz. Wir fordern
klare Qualitätsstandards bspw. in Bezug auf Arbeitsbedingungen, Bezahlung und Befristungen.
Junge Menschen dürfen durch die Jugendgarantie nicht zum schönen Schein in unsicheren,
befristeten Beschäftigungsverhältnissen oder unbezahlten Praktika geparkt werden.
Gerade junge Menschen sind oft in besonders starkem Maße von prekären
Beschäftigungsverhältnissen und den Schlupflöchern bei bestehenden Mindestlohnregelungen
betroffen. Europa muss auch jungen Menschen soziale Sicherheit bieten. Wir wollen der
Ausbeutung in Praktikums- und Ausbildungsverhältnissen entgegenwirken. Deshalb setzen wir
uns dafür ein, dass alle, die im Rahmen ihrer Ausbildung Betriebspraktika ableisten, Teile
ihrer Ausbildung im Betrieb verbringen (wie beispielsweise in dualen Ausbildungen) oder
gerade am Anfang ihrer Berufstätigkeit stehen, fair entlohnt werden. Berufliche Ausbildung
darf nichts sein, was man sich leisten können muss. Außerdem führen gerade unbezahlte
Praktika häufig dazu, dass junge Menschen als kostenlose Arbeitskraft missbraucht werden.
Darum fordern wir, dass Praktika verpflichtend entlohnt werden.
Dazu gehört auch ein Programm der Europäischen Investitionsbank für zukunftsfähige Start-
ups, die überall in Europa von jungen Gründerinnen und Gründern auf den Weg gebracht werden,
dabei soll Geschlechtergerechtigkeit als Vergabekriterium verankert werden und insbesondere
Gründerinnen gefördert werden. Denn Länder mit leeren Kassen und Zombie-Banken können die
Jugendgarantie nicht mit Leben füllen. Viele Jugendliche haben in ihren Heimatländern
derzeit oft keine Chance auf eine Arbeit. Die EU soll ihnen dabei helfen, eine Ausbildung
oder einen Arbeitsplatz in einem anderen europäischen Land zu finden, wenn sie dies
wünschen.
Wer GRÜN wählt, stimmt für
- Investitionen in Europas Infrastruktur, Klimaschutz, erneuerbare Energie und
emissionsfreie Mobilität,
- Stärkung von Gründerinnen und Gründern,
- Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit.
- Ausbildung und Praktika mit fairer Bezahlung
2.3 Die Eurozone vor künftigen Krisen schützen
Der Euro ist unsere gemeinsame Währung. Er wurde eingeführt, um Wohlstand zu schaffen und
dazu beizutragen, dass Europa noch enger zusammenwächst. Auch in unserem Alltag. Vieles
davon hat der Euro bereits eingelöst. Wo er versagt hat, liegt das an den
Konstruktionsfehlern der Währungsunion. Wir stehen zum Euro, doch wir wollen die
Währungsunion besser machen. Gerade die deutsche Bundesregierung hat das immer wieder
verhindert. Wir wollen die Zeit der Flickschusterei überwinden und einen Euro schaffen, der
die Europäer*innen zusammenführt.
Dieses Versprechen wurde in der Vergangenheit zu oft nicht eingelöst. Mit einer harten und
übertriebenen Sparpolitik wurden Finanz- und Eurokrise unnötig verlängert. Gleichzeitig
haben sich die Staats- und Regierungschef*innen, und allen voran die Bundesregierung, einen
schlanken Fuß gemacht und viel zu sehr auf die Europäische Zentralbank vertraut, die mit
niedrigen Zinsen und weitreichenden Maßnahmen die Kohlen aus dem Feuer holen musste. Das
darf nicht so bleiben.
Denn ein Exportland wie Deutschland, das am meisten vom Euro profitiert und in dem Millionen
von Arbeitsplätzen von einer stabilen Währung abhängig sind, kann sich nicht damit zufrieden
geben, wenn wir einen Haushalt mit schwarzer Null vorlegen, anderswo aber die
Jugendarbeitslosigkeit steigt. Es liegt in unserem eigenen Interesse, dass sich alle
Mitgliedstaaten gut entwickeln und jungen Menschen eine Zukunftsperspektive bieten.
Das schließt ein, mehr als bisher auf Zusammenhalt und Solidarität in der Eurozone zu
setzen. Eine stabile und demokratische Währungsunion hat drei wesentliche Elemente: Erstens
müssen wir in europäische Gemeingüter investieren und durch ihre Finanzierung
wirtschaftlichen Krisen entgegenwirken. Zweitens wollen wir die Bankenunion vollenden, damit
einige verantwortungslose Banken nie wieder die ganze Währung gefährden können. Und drittens
wollen wir die wichtigen Entscheidungen aus den Hinterzimmern holen und demokratischer
Kontrolle unterwerfen.
Euro stabilisieren
Alle Mitgliedstaaten müssen mehr gemeinsame Verantwortung für die Stabilität des Euro
übernehmen. Die Europäische Zentralbank ist dafür nicht alleine verantwortlich. Dafür
braucht es eine gemeinsame Haushaltspolitik in der Eurozone und der EU, da die Krise gezeigt
hat, dass nationale Fiskalpolitik alleine zu Schieflagen und unnötig langen Krisen führt –
selbst bei Mitgliedstaaten, die sich wie Spanien und Irland immer an die Regeln hielten.
Außerdem braucht es ein Instrument, das im Abschwung die Abwärtsdynamik abfedert. In seiner
heutigen Form kann der EU-Haushalt diese Funktion eines automatischen Stabilisators in einer
Konjunkturkrise aber nicht erfüllen. Wir möchten dafür die Instrumente schaffen bevor es zu
einer Krise kommt. Deshalb schaffen wir einen eigenen Haushalt für den Euro, der
stabilisiert und investiert. Dieser Haushalt ist für alle Länder der Eurozone gedacht und
für alle anderen EU-Mitgliedsländer offen. Wer sich über die Bekämpfung von Steuerbetrug und
einer gemeinsamen Körperschaftssteuer an den Einnahmen des Haushalts beteiligt, macht mit.
Der eigene Haushalt für den Euro, der stabilisiert und investiert, sollte im Rahmen der EU-
Finanzen verankert sein, so dass das europäische Parlament bei der Aufstellung und Kontrolle
gleichberechtigt mitentscheidet.
Kernaufgabe des Haushalts für den Euro ist die Finanzierung von Europäischen Gemeingütern
und Investitionen. Er speist sich aus konjunkturabhängigen Einnahmen wie einer gemeinsamen
Unternehmensteuer sowie dem Kampf gegen aggressive Steuervermeidung und Steuerhinterziehung.
Dadurch wirkt er stabilisierend. Die Mitgliedstaaten werden im Abschwung entlastet, da sie
dann weniger einzahlen müssen, profitieren aber trotzdem von den Ausgaben. Das ist gelebte
europäische Solidarität und stabilisiert die gesamte EU. Um die entsprechende Wirkung zu
entfalten, bedarf es einer relevanten Größenordnung. Wir streben daher mittelfristig einen
Umfang von mindestens 1% des gemeinsamen BIP an. Der Umfang muss über die Zeit und mit den
dorthin übertragenen Aufgaben nach und nach größer werden. Dabei handelt es sich nicht um
neue Aufgaben, die durch zusätzliche Steuern finanziert werden, sondern um eine Verlagerung
der Finanzierung von solchen Gemeingütern und Investitionen in die ökologische und soziale
Modernisierung, die auf europäischer Ebene effektiver durchgeführt werden können.
Unser Ziel ist, dass perspektivisch alle EU-Mitgliedstaaten von der Funktion eines
automatischen Stabilisators profitieren können. Der eigene Haushalt für den Euro, der
stabilisiert und investiert, ist für uns nur eine Zwischenlösung, um in Richtung eines
stärker EU-eigenfinanzierten EU-Haushalts zu gelangen, der die EU noch stärker zu einer
politischen und sozialen Union macht. Der Weg dahin ist wegen des Einstimmigkeitsprinzips
schwer und lang Deswegen gehen wir mit dem eigenen Haushalt für den Euro, der stabilisiert
und investiert, den ersten Schritt mit denjenigen, die bereit sind mitzumachen. Wir
erwarten, dass durch die Sogwirkung der gemeinsam finanzierten öffentlichen Güter sich auch
die heutigen Nichteuroländer diesem Instrument schnell anschließen, indem sie sich dem
gemeinsamen Kampf gegen aggressive Steuervermeidung und Steuerbetrug anschließen und sich an
der gemeinsame Unternehmenssteuer beteiligen. Wir befürworten eine Euro-Heranführungshilfe
für Nicht-Euro-Staaten zur Unterstützung von Reformen. Alle den Euro betreffenden
Entscheidungen haben auch unmittelbare Auswirkungen auf Nicht-Eurostaaten. Deshalb müssen
neue Instrumente für alle EU-Staaten konzipiert sein oder Nicht-Eurostaaten zur Teilnahme an
weiteren Reformen ermutigen.
Auf- und Abschwung verteilen sich über die Mitgliedstaaten unterschiedlich. Um diese
unterschiedlichen Auswirkungen auszugleichen, reichen nationale und geldpolitische Maßnahmen
nicht aus. Europa braucht neue Strukturen, um mit diesen Schieflagen künftig besser umgehen
zu können. Der oben beschriebene Haushalt für den Euro ist dafür das beste Instrument und
wir fordern dies als ersten Schritt.
Eine europäische Arbeitslosenversicherung würde die ausgleichende und stabilisierende
Wirkung des Haushalts für den Euro noch verstärken. Wir wollen daher als zweiten Schritt
eine Rückversicherung der nationalen Arbeitslosenversicherungen einführen. Wir setzen uns
des Weiteren für eine Europäische Basis-Arbeitslosenversicherung ein, die durch die
nationalen Sicherungssysteme ergänzt werden soll. Wir sind uns aber bewusst, dass die
Einführung einer solchen Europäischen Arbeitslosenversicherung eher ein mittelfristiges
Projekt ist.
In der Eurokrise hat der Internationale Währungsfonds im Rahmen der sogenannten Troika stark
eingegriffen. Die Troika hat umfassende Anpassungsprogramme in den Programmländern
durchgedrückt, mit starken sozialen Verwerfungen. Das Handeln der Troika hat in vielen
Programmländern das Vertrauen in die europäische Demokratie beschädigt. Deswegen wollen wir,
dass Europa seine Krisen künftig alleine, nach eigenen Regeln, demokratischer und
transparenter löst. Wir wollen den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) in einen
vollwertigen Europäischen Währungsfonds (EWF) überführen und ihn im EU-Recht verankern,
kontrolliert durch das Europaparlament und die nationalen Parlamente. Das Europäische
Parlament soll das Recht auf Information, Kontrolle und Miternennung der Direktorin bzw. des
Direktors des Europäischen Währungsfonds erhalten. Die Entscheidungen über längerfristige
Kredite aus dem Europäischen Währungsfonds würden aber trotzdem weiterhin bei den nationalen
Parlamenten liegen, solange das Geld dafür auch aus den nationalen Haushalten kommt. Um zu
verhindern, dass ein Land plötzlich durch Spekulationen in eine tiefe Krise schlittert,
braucht der EWF zusätzlich eine Möglichkeit zur schnellen Reaktion. Dafür soll er
kurzfristig Kredite bereitstellen können, die bereits vor einer möglichen Krise präventiv
wirken. Diese präventiven Kredite schützen Mitgliedstaaten davor, Opfer rein
finanzmarktgetriebener Effekte zu werden. Eingriffe in die wirtschaftspolitische
Souveränität der Mitgliedstaaten sind hierfür nicht erforderlich. Im Falle einer Krise darf
es nicht wieder zu einer massiven Sparpolitik kommen, die ein Land in die soziale Krise
stürzt und die Wirtschaftsleistung abwürgt. Neben Auflagen zur Modernisierung der Strukturen
muss die Kreditvergabe an ein Land in Not diese Grundsätze beachten. Das Kaputtsparen ganzer
Volkswirtschaften lehnen wir ab.
Hohe Staatsschulden, das Risiko steigender Zinslasten und unverantwortliche
Regierungspolitik sind ein großes Risiko für die Stabilität unserer Währung. Alle Euroländer
brauchen daher verlässlichen Zugang zu niedrigen Zinsen und starke Anreize zu soliden
Staatsfinanzen. Der Konflikt zwischen der italienischen Regierung und der EU-Kommission
zeigt, wie hoch das Risiko durch einseitige nationale Finanzpolitik einzelner Länder für den
Euro insgesamt ist. Daher wollen wir, ähnlich wie ursprünglich vom Sachverständigenrat
vorgeschlagen, einen Altschuldentilgungsfonds einrichten, in den die Altschulden eines
Landes eingebracht werden, die 60% des BIP übersteigen. Wer sich an die gemeinsam
vereinbarten europäischen Finanzregeln hält, soll im Gegenzug von niedrigen Zinsen für die
Abzahlung der Schulden im Altschuldentilgungsfonds profitieren. So vereinen wir europäische
Solidarität und Solidität.
Probleme nicht zu Lasten der Gemeinschaft lösen
Zu einem krisenfesten Euro gehört auch, dass sich alle Mitgliedstaaten an die gemeinsamen
Regeln halten, egal ob es um Haushaltsdefizite oder Leistungsbilanzüberschüsse geht. Die
deutsche Bundesregierung kritisiert gerne andere Länder, verstößt aber mit einem hohen
Leistungsbilanzüberschuss – das heißt, Deutschland exportiert mehr, als es importiert – seit
Jahren selbst gegen europäische Regeln. Leistungsbilanzungleichgewichte müssen effektiv
begrenzt werden, um der Entstehung möglicher Krisen frühzeitig vorzubeugen. Die
Sanktionierbarkeit von Defiziten und Leistungsüberschüssen muss einander angeglichen werden.
Das bedeutet, dass sich auch Überschussländer wie Deutschland aktiv an der Verminderung von
außenwirtschaftlichen Ungleichgewichten beteiligen müssen. Dies kann sowohl durch
Lohnsteigerungen als auch über erhöhte öffentliche und private Investitionen erfolgen. Damit
stärken wir den gemeinsamen Währungsraum, die Arbeitnehmer*innen in Deutschland und die
inländische Digital-, Verkehrs- und Bildungsinfrastruktur
Bankenunion vollenden für mehr Sicherheit
Ein krisenfester Euro bedeutet auch, dass keine Bank mehr die Stabilität unserer gemeinsamen
Währung gefährden können darf. Mit der gemeinsamen Bankenaufsicht bei der Europäischen
Zentralbank, mit den neuen Abwicklungsregeln, die die Gläubiger der Banken jetzt endlich zur
Kasse bitten, und mit dem gemeinsamen Abwicklungsmechanismus ist der Einstieg in die
Bankenunion geschafft. Doch einige Elemente fehlen noch immer, damit die neuen Regeln
wirksam angewandt werden können.
Erstens dürfen Banken nicht mehr zu Lasten der Steuerzahler gerettet werden. Dafür braucht
der gemeinsame Abwicklungsfonds eine Letztsicherung über den europäischen Währungsfonds. So
wird verhindert, dass er sich im Krisenfall als zu klein erweist. Die Letztsicherung soll
als Kreditlinie gestaltet werden, die nach der Krise von den Banken zurückbezahlt wird. So
wird gewährleistet, dass nicht doch wieder die Steuerzahler einspringen müssen.
Zweitens muss ein Euro überall gleich sicher sein, egal ob er bei einer niederländischen
oder einer slowenischen Bank angelegt ist. Sonst verstärkt sich jede Krise selbst, weil
Kund*innen im Krisenfall um ihr Erspartes bangen müssen und ihr Geld abziehen. Deshalb
brauchen wir eine gemeinsame europäische Einlagensicherung. Sie soll als Rückversicherung
ausgestaltet sein, damit die europäische Sicherung erst eingreift, wenn die nationale
überfordert ist. Die deutschen Sparkassen und Genossenschaftsbanken können so weiter auf
ihre bewährten Institutssicherungssysteme setzen.
Es ist richtig, uns in Europa gemeinsam gegen Risiken zu versichern, weil nur Europa das
überhaupt leisten kann. Allerdings müssen dafür auch die Risiken der Banken in allen
Euroländern abgebaut werden. Auch Staatsanleihen dürfen sich nicht länger nur in den Banken
des jeweiligen Landes konzentrieren. Sonst führt die Krise eines Landes immer zur Krise
seiner Banken. Die Regulierung der Banken als Konsequenz aus der Krise ist auch noch immer
nicht abgeschlossen. Wir setzen uns für die Erhöhung der risikoungewichteten
Eigenkapitalquoten auf 10 % ein. Bei den Banken muss eine feste Schuldenbremse („leverage
ratio“) gelten, damit sie ihre Risiken nicht künstlich kleinrechnen können. Außerdem sollen
Großbanken ihr Handelsgeschäft von ihrem Kredit- und Einlagengeschäft trennen.
Unterschiedliche Geschäftsmodelle wollen wir nach Risiko und Komplexität unterschiedlich
behandeln. Die Aufsicht über kleine Banken wollen wir entbürokratisieren, um sie im
Wettbewerb nicht zu benachteiligen. Die ähnlichen, aber jeweils leicht unterschiedlichen
Regeln für Banken, Versicherungen und Fonds wollen wir in einem Europäischen
Finanzmarktgesetzbuch zusammenfassen und vereinfachen, um unfairen Wettbewerb zu verhindern.
Europolitik raus aus den Hinterzimmern – rein ins Parlament!
Die gemeinsame Währung ist so wichtig für alle Europäer, dass über sie demokratisch
entschieden werden muss. Das Europäische Parlament ist der Ort dafür. Keine wichtige
Weichenstellung sollte ohne seine Zustimmung erfolgen. Ausführendes Organ und Dreh- und
Angelpunkt der gemeinsamen Wirtschaftspolitik ist und bleibt die vom Parlament legitimierte
Europäische Kommission. Wir wollen, dass die zuständige Kommissarin für Wirtschaft und
Finanzen auch Vorsitzende der Eurogruppe wird.
Mit dem Euro ist ein Europa der mehreren Geschwindigkeiten im Moment Realität. Aber damit
wollen wir uns nicht abfinden. Der Euro ist die Währung der Europäischen Union. Mit dem
Vertrag von Lissabon haben sich alle EU-Mitgliedstaaten - bis auf Dänemark und
Großbritannien - zur Einführung des Euro verpflichtet, sobald sie die Euro-Kriterien
erfüllen. Bereits heute sind alle EU-Staaten über den EU-Binnenmarkt sehr eng miteinander
verflochten. Alle den Euro betreffenden Entscheidungen haben auch unmittelbare Auswirkungen
auf Nicht-Eurostaaten. Neue Instrumente sollten daher für alle Mitgliedstaaten konzipiert
sein und Nicht-Eurostaaten zur Teilnahme an weiteren Reformen ermutigt werden, so wie dies
etwa schon heute beim EU-Investitionsfonds (EFSI) oder der Bankenunion der Fall ist.
Wer GRÜN wählt, stimmt für
- einen krisenfesteren Euro und einen demokratisch kontrollierten Europäischen
Währungsfonds,
- ein Haushalt für den Euro zur Finanzierung gemeinsamer Aufgaben,
- die Vollendung der Bankenunion.
2.4 Steuersümpfe austrocknen, Steuertricksern das Handwerk legen
Unser europäisches Sozialmodell braucht eine ausreichende Finanzierung. Fehlt es den Staaten
an Steuereinnahmen, werden öffentliche Leistungen gekürzt und die Infrastruktur wird
vernachlässigt. Wir wollen, dass die Finanzierung gerecht ist: Starke Schultern sollen auch
mehr beitragen.
Der gemeinsame Binnenmarkt ist ohne Frage eine wirtschaftliche Erfolgsgeschichte. Doch er
lädt wegen seiner Lücken in der Steuerpolitik, die nach wie vor in der primären Hoheit der
Mitgliedstaaten liegt, zur Steuervermeidung ein: Große Unternehmen können derzeit überall in
Europa ihre Produkte verkaufen und gleichzeitig nur im Land mit den niedrigsten Steuern ihre
Gewinne versteuern. Damit verabschieden sich gerade große Unternehmen, die Rekordgewinne
erzielen, aus der gesellschaftlichen Solidarität. Das schädigt unser Gemeinwesen und alle
ehrlichen Steuerzahler*innen. Kleine und mittlere Unternehmen können ihre Gewinne nicht
verlagern und zahlen die vollen Steuern. Sie haben damit einen Nachteil im Wettbewerb mit
den Konzernen. Wir wollen deshalb, dass große Unternehmen genauso wie kleine
Handwerksbetriebe ihre Steuern da zahlen, wo sie ihre Gewinne erwirtschaften. Dafür wollen
wir beherzt gegen Steuerdumping vorgehen.
Steuerdumping beenden
Einige Mitgliedstaaten haben es zu ihrem Geschäftsmodell gemacht, sich gegenüber dem Rest
der EU durch niedrige Steuersätze oder großzügige Ausnahmen attraktiv für Unternehmen zu
machen. Die Einzigen, die davon langfristig profitieren, sind internationale Unternehmen,
die damit ihre Renditen steigern. Die Steuervermeidung untergräbt das Fundament unserer
Wohlfahrtsstaatsmodelle in Europa. Denn die Praxis treibt indirekt Menschen in die Armut und
Staaten dazu, dass sie nicht in das Wohl ihrer Bürgerinnen und Bürger investieren können.
Die Steuerbelastung verschiebt sich damit immer mehr zu denen, die sich ihr nicht entziehen
können: kleinen Unternehmen, Arbeitnehmer*innen und Konsument*innen. Wir wollen dieses
Geschäftsmodell beenden.
Die EU-Kommission hat – gerade unter dem Druck von uns Grünen – endlich damit begonnen,
individuelle Absprachen zwischen Mitgliedstaaten und Großunternehmen als illegale staatliche
Beihilfen zu verfolgen und auch zu ahnden. Das geht in die richtige Richtung. Aber das
reicht nicht: Wir wollen das europäische Wettbewerbsrecht so verändern, dass es zur scharfen
Waffe wird, mit der die EU-Kommission den zerstörerischen Steuerwettbewerb auf Kosten der
anderen Mitgliedstaaten bekämpfen kann.
Große Unternehmen verlagern zudem ihre Gewinne mit Buchungstricks in Niedrigsteuerländer.
Sie nutzen die gute Infrastruktur eines Landes, tragen aber nicht zu ihrer Finanzierung bei.
Damit sich aber der internationale Kaffeekonzern ebenso an der Finanzierung des Gemeinwesens
beteiligt, wie es heute schon der oder die Bäcker*in an der Ecke tut, müssen auf Zahlungen
von Zinsen und Lizenzgebühren innerhalb der EU wieder Quellensteuern erhoben werden. Dafür
ist die entsprechende EU-Richtlinie zu ändern. Dann lohnen sich solche Tricks für die
Unternehmen nicht mehr.
Europäische Unternehmensmindeststeuer
Wer europaweit verkaufen darf, muss auch europaweit gleichwertig besteuert werden. Deshalb
ist eine einheitliche Unternehmensbesteuerung die logische Fortsetzung des Binnenmarktes.
Technisch gesehen wollen wir in einem ersten Schritt eine gemeinsame konsolidierte
Bemessungsgrundlage für die Besteuerung von Unternehmen im Binnenmarkt.
Für die Unternehmen wäre das eine Vereinfachung. Gerade für kleine und mittlere Unternehmen
führt ein einheitliches Steuerrecht dazu, dass sie leichter auch in anderen Mitgliedstaaten
tätig werden können. Es soll einen europäischen Mindeststeuersatz für alle
Unternehmensgewinne geben.
Im zweiten Schritt soll dann zeitnah die europäische Unternehmenssteuer folgen, damit es
endlich eine echte europäische Einnahmequelle gibt. Ein Teil der Einnahmen aus dem
Mindeststeuersatz soll direkt in den Haushalt fließen. Die Mitgliedstaaten können und sollen
Steuersätze festlegen, die über dem Mindeststeuersatz liegen. Die Einnahmen daraus fließen
in ihre nationalen bzw. kommunalen Haushalte. In Deutschland werden wir darauf achten, dass
diese Reform nicht zu Lasten von Städten und Gemeinden geht.
Längst überfällig ist, dass alle Großunternehmen öffentlich machen müssen, in welchem Land
sie ihre Umsätze machen, wo ihre Gewinne anfallen und wie viel Steuern sie darauf zahlen.
Dann fällt sofort auf, wenn ein Konzern seine Umsätze in Deutschland erzielt, aber seine
Gewinne in einen Steuersumpf verschiebt, um darauf möglichst wenig Steuern zu zahlen.
Transparenz ist eines der wirksamsten Mittel gegen Steuervermeidung. Die deutsche
Bundesregierung und Finanzminister Scholz blockieren diese Transparenz aber in Europa.
Dadurch ermöglichen sie Großunternehmen die Steuervermeidung erst.
Steuerhinterziehung und Geldwäsche bekämpfen
Mit der Abschaffung des Bankgeheimnisses und der Einführung eines internationalen
automatischen Informationsaustauschs wurde ein entscheidender Sieg gegen Steuerhinterziehung
erzielt. Auch das Transparenzregister der EU für Unternehmen ist ein großer grüner Erfolg
gegen kriminelle Geldgeschäfte. Doch selbst in Deutschland hapert die Umsetzung. Die
Eigentümer vieler Unternehmen sind immer noch nicht transparent. Gerade Immobilien müssten
der Spekulation durch kriminelles Geld europaweit entzogen werden.
Die EU-Kommission schätzt, dass Europas ehrliche Steuerzahler*innen jedes Jahr um mindestens
50 Milliarden Euro durch Steuerbetrüger bei der Mehrwertsteuer geprellt werden. Die
Kommission hat einen Plan für ein einheitliches Mehrwertsteuergebiet in der EU vorgelegt,
der den Kriminellen das Handwerk legen soll. Die Bundesregierung blockiert auch hier in
Brüssel einen Fortschritt. Wir unterstützen das Ziel der Kommission.
Die bestehende schwarze Liste für Steueroasen in der EU ist ein erster Schritt. Wichtige
Steueroasen fehlen jedoch auf der Liste. Andere Staaten konnten schon mit vagen Zusagen
erreichen, dass sie wieder von der Liste gestrichen werden. Die Umsetzung muss nun strikt
überwacht werden. Die Erstellung der Liste ist komplett intransparent und lässt die
politische Bevorteilung einzelner Staaten vermuten. Wir wollen eine echte schwarze Liste mit
klaren Kriterien statt Absprachen im Hinterzimmer. Ein Eintrag auf der Liste muss
Konsequenzen haben. Banken, Kanzleien und Unternehmen dürfen dann keine Geschäfte in diesen
Ländern mehr machen, und Verstöße dagegen müssen sanktioniert werden.
Unser Ziel ist es, dass korrupte Individuen und ihr Kapital sich in der EU nicht länger
verstecken können. Beim Kauf von teuren Wohnungen, Luxusautos, Jachten und dergleichen soll
wie in Großbritannien kontrolliert werden können, ob das Vermögen auf legalem Weg erworben
wurde. Die EU sollte öfter Sanktionen gegen korrupte Individuen aus Drittstaaten verhängen
und ihnen die Einreise und den Aufenthalt in der EU verweigern. Aufenthaltsgenehmigungen und
Staatsbürgerschaften sollten die Mitgliedsstaaten nach fairen Verfahren vergeben und nicht
als "Goldene Visas" an Kriminelle verkauft werden können.
Europa handlungsfähig machen
Die Einstimmigkeit in Steuerfragen verhindert, dass die EU gegen Steuervermeidung vorgeht.
Ein einzelnes Land, das das Geschäftsmodell Steuersumpf betreibt, kann Fortschritte
verhindern. Um diese Blockade aufzubrechen, müssen andere Mitgliedstaaten vorangehen, damit
sich die Verlagerung von Gewinnen für die Unternehmen nicht mehr lohnt. Damit wird das
Geschäftsmodell auch für die Staaten unattraktiv.
Wer GRÜN wählt, stimmt für
- den Kampf gegen Steuerbetrug, Steuerdumping und Geldwäsche,
- eine EU, in der korrupte Individuen und ihr Kapital nicht länger willkommen sind
- eine gemeinsame europäische Unternehmensmindestbesteuerung.
2.5 Wettbewerb fair gestalten
Wettbewerb ist die tragende Säule der Marktwirtschaft und Motor für Innovationen. Fehlt der
Wettbewerb, können Monopolisten hohe Gewinne auf Kosten der Verbraucher machen und
technische und soziale Innovationen behindern. Um das zu verhindern, braucht es einen fairen
Wettbewerb und eine Begrenzung wirtschaftlicher Macht. Dafür ist es auch notwendig,
bestehende Monopole zu zerschlagen.
Mit der Globalisierung schaffen globale Konzernfusionen, wie jene von Bayer und Monsanto,
eine noch größere Marktbeherrschung mit zahlreichen negativen Auswirkungen. Unternehmen
agieren zunehmend branchenübergreifend – Volkswagen ist nicht nur einer der größten
Autokonzerne, sondern auch eine Bank, und Amazon ist nicht nur ein Onlinehändler, sondern
auch ein Medienunternehmen. Damit die europäische Wettbewerbspolitik den Anforderungen des
21. Jahrhunderts gerecht wird, fordern wir ein eigenständiges europäisches Kartellamt mit
angemessenen Mitteln und Personal. Dieses Kartellamt soll auch als europäische
Digitalaufsicht fungieren. Die Marktmacht der großen Digitalkonzerne wollen wir so gemeinsam
kontrollieren und begrenzen. Wir möchten, dass das europäische Wettbewerbsrecht bei
außereuropäischen Fusionen auch die Auswirkungen auf den globalen Markt ins Auge fasst und
sich nicht nur auf den europäischen Markt beschränkt.
Wir wollen erreichen, dass bei der Kontrolle von Fusionen auch wettbewerbsfremde Faktoren
berücksichtigt werden. Die Fusion von Bayer und Monsanto ist nicht nur für den Wettbewerb
problematisch. Sie hat auch negative Auswirkungen auf den Umweltschutz. Heute aber muss man
Unternehmen mit einer marktbeherrschenden Stellung nachweisen, dass sie diese missbrauchen.
Das ist in der Regel nicht zu beweisen. Wir treten daher dafür ein, dass man Unternehmen
auch unabhängig von einem nachgewiesenen Missbrauch aufspalten kann, wenn ihre Marktmacht zu
groß wird.
Digitale Geschäftsmodelle und die sogenannte Plattformökonomie stellen uns vor neue
Herausforderungen. Google und Facebook beherrschen den Markt für Onlinewerbung und können
kleinen Unternehmen die Bedingungen diktieren. Amazon kann hohe Gebühren von kleinen
Unternehmen verlangen, die gezwungen sind, ihre Produkte auf der Plattform anzubieten, um
Käufer*innen zu finden. Wir wollen diese Unternehmen streng regulieren. Wenn sie anderen
Firmen den Zugang zu ihren Plattformen verwehren oder absurde Konditionen verlangen, müssen
die Wettbewerbshüter*innen dagegen vorgehen. Vermietungs-Plattformen für Ferienwohnungen wie
Airbnb unterlaufen gesetzliche Regulierungen der Städte und Bundesländer und berufen sich
dabei auf die Regeln des Europäischen Binnenmarktes. Gegen die Städte, die versuchen,
Wohnraum vor Spekulation zu schützen, haben diese Plattformen sogar Beschwerde bei der EU-
Kommission eingelegt. Es kann nicht sein, dass diese Online-Plattformen die
Entscheidungsmacht der Städte und Bundesländer aushebeln. Die EU-Kommission ist gefordert,
sicherzustellen, dass diese Plattformen bei der Regulierung von Ferienwohnungen endlich
mitwirken müssen.
Facebook hat als soziales Netzwerk ein Monopol geschaffen. Kein anderes Unternehmen kann
erfolgreich ein soziales Netzwerk betreiben, weil es davon lebt, dass viele andere Menschen
es ebenfalls nutzen. Mit dem Zukauf von Instagram und WhatsApp hat Facebook seine
Monopolstellung ausgeweitet. Um für mehr Wettbewerb zu sorgen, wollen wir diese Unternehmen
wieder aufspalten. Wer von Facebook zu einem anderen sozialen Netzwerk wechseln will, muss
zudem seine Daten einfach und schnell mitnehmen können.
Die Lohnungleichheit ist nicht nur in Deutschland, sondern auch in der Gesamt-EU
beträchtlich. Extrem ungleiche materielle Verhältnisse sind eine Mitursache für Populismus,
Autoritarismus und für soziale Unruhe. Neben Lohndumping- und Steuerbetrugsverhinderung
fordern wir daher die Prüfung eines verbindlichen maximalen Abstands zwischen dem höchsten
und niedrigsten Gehalt in einem Unternehmen. Dafür möchten wir eine vielfältig besetzte
Kommission einsetzen.
Neben der Verhinderung von Monopolismus bedeutet fairer Wettbewerb aber auch, sich nicht
durch Niedriglöhne und Sozialabbau Wettbewerbsvorteile auf Kosten anderer zu verschaffen.
Gerade Deutschland hat dieses Wettbewerbsmodell in den letzten Jahren auf Kosten des eigenen
sozialen Zusammenhalts wie auch seiner europäischen Nachbarn betrieben. Es ist nicht zuletzt
auch solche Politik, die Menschen in die Fänge nationalistischer Scheinalternativen treibt.
Stattdessen brauchen wir dringend echte Alternativen, die Europa als solidarische
Sozialunion definieren: als eine Gemeinschaft, die sich geschlossen gegen das ökonomische
Ausspielen des einen gegen den anderen stellt.
Wer GRÜN wählt, stimmt für
- ein starkes europäisches Kartellamt,
- die Kontrolle digitaler Marktmacht,
- die Zerschlagung des Facebook-Imperiums.
- eine Kommission, die die europaweite Einführung eines maximalen Abstands zwischen dem
höchsten und dem niedrigsten Gehalt in einem Unternehmen prüft ("Lohnhebel")
2.6 Soziale Sicherheit garantieren
Wir stehen für ein soziales und gerechtes Europa, in dem alle Menschen gleiche Chancen
haben, an der Gesellschaft teilzuhaben. Derzeit ist dieses Ziel noch nicht erreicht. Es
bestehen weitreichende wirtschaftliche Freiheiten im Binnenmarkt. Gemeinsame Arbeits- und
Sozialstandards sind hingegen unterentwickelt. Deshalb wird die EU häufig als Bedrohung für
soziale Sicherheit gesehen. Zu Unrecht. Tatsächlich ist es so, dass die Nationalstaaten die
Kompetenz für die sozialen Sicherungssysteme wie Rente, Gesundheit, Pflege oder
Grundsicherung haben. Doch an einer Stelle kann die europäische Ebene schon heute handeln:
Sie kann gemeinsame Mindeststandards schaffen und grenzüberschreitendes Arbeiten sozial
absichern.
Soziale Grundrechte für Europas Bürger*innen garantieren
In der EU sollten alle Menschen ein würdevolles Leben führen können. Deshalb ist die
Bekämpfung von Armut, sozialer Ausgrenzung und Diskriminierung essenziell. Verlässliche
soziale Rechte sind die Voraussetzung dafür, dass Binnenmarkt und Währungsunion im Interesse
der Menschen wirken. Die in der Europäischen Grundrechtecharta verankerten sozialen Rechte
müssen als Grundrechte aller EU-Bürger*innen gegenüber den Mitgliedstaaten vor dem
Europäischen Gerichtshof einklagbar sein. So können zum Beispiel Arbeitslose, denen das
Recht auf Vermittlung in Arbeit verweigert wird, sich dagegen zur Wehr setzen.
Arbeitnehmer*innen, die keinen angemessenen Urlaub oder Ruhepausen bekommen, erhalten
Beistand von der EU. Und Bürger*innen können gegen ihr Land klagen, wenn ihnen aufgrund
eines miserablen nationalen Gesundheitssystems das in der EU-Grundrechtecharta verbriefte
Recht auf medizinische Versorgung verwehrt wird. So wird die Europäische Union zu einem
Garanten für soziale Rechte.
Wir fordern außerdem, dass das EU-Recht den sozialen Rechten und den
Arbeitnehmer*innenrechten mindestens den gleichen Stellenwert einräumt wie den
wirtschaftlichen Freiheiten des Binnenmarkts wie beispielsweise der Dienstleistungsfreiheit.
Damit der Europäische Gerichtshof bei Entscheidungen zum Binnenmarkt Arbeitnehmerrechte
nicht den wirtschaftlichen Freiheiten unterordnet, müssen die entsprechenden Gesetze
angepasst werden.
Betriebliche Mitbestimmung in ganz Europa sichern
Die Freizügigkeit in Europa darf nicht dazu führen, dass Unternehmen dort ihren Firmensitz
einrichten, wo die niedrigsten Standards in der Mitbestimmung von Arbeitnehmer*innen gelten.
Deshalb wollen wir die europäischen Betriebsräte und ihre Mitbestimmungsrechte stärken und
beispielsweise eine Parität von Arbeitnehmer*innen und Arbeitgeber*innen an Entscheidungen
in allen Unternehmen mit mehr als 1000 Angestellten über die Grenzen der Mitgliedsstaaten
hinweg nach dem Vorbild Sloweniens durchsetzen. Wir wollen starke europäische
Gewerkschaften. Grünes Ziel ist darüber hinaus, dass die freie gewerkschaftliche Betätigung
entsprechend der Kernarbeitsnormen der ILO in allen Unternehmen in Europa garantiert wird.
Soziale Mindeststandards in ganz Europa
Allen Menschen in Europa wollen wir ein würdevolles Existenzminimum garantieren. Dafür
braucht es einen europäischen Rahmen für eine Grundsicherung in allen Mitgliedstaaten. Die
EU muss gemeinsam mit den Mitgliedsstaaten wirkungsvolle Maßnahmen gegen Kinderarmut
entwickeln. Wir wollen, dass kein Kind in der EU in Armut leben muss. Wir machen uns stark
für eine europäische Grundsicherungs-Richtlinie, die soziale Mindeststandards für jedes Land
festlegt, angepasst an die jeweilige ökonomische Situation. Die Mitgliedstaaten sind
natürlich angehalten, höhere Standards zu behalten oder neu zu schaffen. Das Gleiche gilt
für die nationalen Gesundheitssysteme. Auch hier braucht es einen Mindestversorgungsstandard
in allen Ländern. Jede*r Europäer*in muss sich darauf verlassen können, bei Krankheit oder
Pflegebedürftigkeit gut versorgt zu werden; der Ausschluss von Bevölkerungsgruppen vom
Zugang zum Gesundheitswesen ist deshalb zu sanktionieren.
Wir streiten dafür, dass nationale Gesundheitssysteme als Teil der sozialen Daseinsvorsorge
nicht durch die Hintertür über das europäische Wettbewerbsrecht ausgehöhlt werden.
Europäischen Austausch und Transparenz zu Best-Practice-Modellen in den Bereichen
Gesundheitsversorgung und Pflege wollen wir fördern.
Medizinische Studien müssen die Gesundheit schützen, geschlechtsspezifische Unterschiede
berücksichtigen und transparent sein. Wir streben mehr unabhängige Forschung zu Versorgung
und Produkten sowie strengere Regelungen für den Patientenschutz und gegen die einseitige
Einflussnahme der Pharma- und Medizinprodukteindustrie an. Vor dem Hintergrund
verunreinigter Arzneimittel sind Funktion und Arbeitsweise der europäischen und nationalen
Arzneimittelaufsichtsorgane dringend zu verbessern.
Auch bei der Altersvorsorge kann Europa Standards setzen. Die Kommission hat zum Beispiel
einen Vorschlag für ein europaweites privates Altersvorsorgeprodukt (PEPP) gemacht. Leider
hat sich die Kommission dabei zu sehr von der Lobby der Lebensversicherer leiten lassen,
anstatt einen Vorschlag in Anlehnung an eines der besten privaten Altersvorsorgeprodukt in
Europa, nämlich die schwedische „Premium Pension“ zu entwickeln. In Schweden können alle
Bürgerinnen und Bürger einen bestimmten Prozentsatz ihres Einkommens in einen staatlichen
Pensionsfonds einzahlen, der einerseits fast ohne Gebühren auskommt und andererseits dank
seiner Anlagestrategie auch eine besonders hohe Rendite erwirtschaftet. Wir wollen, dass
auch die Menschen außerhalb Schwedens ihre private Altersvorsorge mit einem solchen
Bürgerfonds durchführen können. Daher soll Europa einen solchen Bürgerfonds in Anlehnung an
dieses seit über fast zwanzig Jahren erprobte Konzept einführen.
Wir benötigen in Europa eine bezahlbare und nachhaltige Energie. Energieeffizienzmaßnahmen
und die Energiewende dürfen Menschen nicht aus ihren Wohnungen treiben. Deshalb müssen diese
Maßnahmen sozial flankiert werden, damit das Wohnen für alle bezahlbar bleibt.
Die Bewältigung des demografischen Wandels ist eine der großen gesamteuropäischen Aufgaben.
Es wird in den nächsten Jahrzehnten mehr Pflegebedürftige und an Demenz erkrankte Menschen
geben. Unser Ziel ist es, diesen Menschen ein selbstbestimmtes und aktives Leben in Würde zu
ermöglichen. Dafür benötigen wir in Europa gemeinsame Anstrengungen zur Pflegepolitik, bei
denen auch Themen wie neue Wohn- und Pflegeformen, Einhaltung der UN-
Behindertenrechtskonvention, Entlastung der familiären Pflege sowie der Fachkräftebedarf in
den Mittelpunkt gerückt werden. Schon heute wird die Pflegearbeit zu einem erheblichen Teil
durch Arbeitsmigration innerhalb der Union und aus Drittstaaten bewältigt. Pflegekräfte und
Kräfte, die die häusliche Pflege unterstützen, müssen vor Ausbeutung geschützt und fair
entlohnt werden. Die Abwerbung von Pflegekräften darf nicht dazu führen, dass der
Pflegekräftemangel in ärmere Mitgliedstaaten exportiert wird. Dies gilt auch für die
Abwerbung von Ärzt*innen, die keine Verschlechterung der medizinischen Versorgung in diesen
Ländern bedingen darf. Umweltbelastungen wie Lärm, Luftschadstoffe und Rückstände in
Trinkwasser und Nahrungsmitteln bedrohen die menschliche Gesundheit. Wir setzen uns dafür
ein, dass das Vorsorgeprinzip in allen Bereichen, die die menschliche Gesundheit betreffen,
uneingeschränkt zur Anwendung gelangt.
Prävention statt Repression - Cannabis europaweit legalisieren
Wir setzen uns ein für eine europäische Drogenpolitik, die auf Prävention statt Repression
setzt sowie auf Hilfe und Entkriminalisierung statt Verbote. Anstelle der gescheiterten
Verbotspolitik fordern wir langfristig eine an den tatsächlichen gesundheitlichen Risiken
orientierte Regulierung von Drogen. Dazu gehört für uns zum Beispiel die europaweite
Legalisierung und kontrollierte Abgabe von Cannabis. Pauschale Verbote neuer psychoaktiver
Substanzen lehnen wir ab. Stattdessen wollen wir Zulassungsverfahren auf der Grundlage von
Risikobewertungen und einem strengen Jugend- und Verbraucherschutz.
Die Europäische Union soll dazu beitragen, dass überall in Europa ein gut ausgebautes
Angebot zur gesundheitlichen Versorgung von abhängigen oder suchtgefährdeten Menschen
besteht. Erfolgreiche Ansätze wie Inhaltsstoff-Analysen illegaler Drogen (Drugchecking),
Substitutionsprogramme, Konsumräume und Programme zur Originalstoffabgabe und andere
Maßnahmen zur Schadensminimierung in allen EU-Mitgliedsländern verfügbar gemacht werden.
Wir wollen, dass die Hersteller und Anbieter von gesundheitsgefährdenden Produkten stärker
verpflichtet werden, Jugend- und Verbraucherschutz sicherzustellen. Bei der Tabakprävention
hat die EU durch Warnhinweise und andere Maßnahmen neue Maßstäbe gesetzt. Dies hat zu einem
Rückgang des Tabakkonsums etwa bei Jugendlichen in Deutschland beigetragen.
Gesundheitsgefährdende Marketingstrategien der Alkohol- und Tabakindustrie wollen wir in
Europa konsequent zurückdrängen. Dazu gehört, dass Außenwerbung und Kinowerbung für Drogen
komplett abgeschafft wird. Wir setzen uns für eine Angleichung der Besteuerung von
Tabakerhitzern und Zigaretten sowie höhere Mindeststeuern und eine einheitliche Besteuerung
alkoholischer Produkte ein. Auch Marketingstrategien für Medikamente müssen kritisch
überprüft werden.
Zudem fordern wir eine europaweite Strategie zur wirksamen Prävention von nicht
substanzgebundenen Abhängigkeitserkrankungen wie beispielsweise der Spielsucht oder dem
problematischen Konsum einzelner Internetanwendungen. Ihnen muss z. B. mit Hinweisen zum
sachgerechten Umgang und Maßnahmen zur Steigerung der Medienkompetenz begegnet werden. Bei
allen Maßnahmen ist zudem die Selbstbestimmung der Menschen zu respektieren, anstatt sie zu
entrechten oder zu kriminalisieren.
Mindestlöhne in ganz Europa – gleicher Lohn für gleiche Arbeit
Alle Menschen sollen von ihrer Arbeit gut leben können. Die Mindestlöhne, die in den EU-
Mitgliedstaaten derzeit gezahlt werden, variieren jedoch stark, und nicht alle
Mitgliedsländer haben einen Mindestlohn. Um Lohndumping in der EU zu Lasten aller
Arbeitnehmer*innen zu verhindern, setzen wir uns daher für eine Mindestlohn-Richtlinie ein,
die allen Arbeitnehmer*innen in der EU, entsprechend den Lebenshaltungskosten des jeweiligen
Landes, ein auskömmliches Einkommen garantiert. Damit leisten die Arbeitgeber*innen auch
einen Beitrag zur Angleichung der Lebensverhältnisse in der EU. Außerdem fordern wir
konkrete Maßnahmen gegen die geschlechterspezifische Entgelt-Ungleichheit (Gender Pay Gap),
wie beispielsweise die Einführung einer europäischen Entgelttransparenzrichtlinie.
Viele Arbeiter*innen aus Osteuropa werden in deutschen Betrieben, z.B. in der
Fleischindustrie durch Subunternehmer mittels Werkverträgen zu niedrigen Löhnen und
unwürdigen Bedingungen beschäftigt. Osteuropäische Haushaltshilfen müssen häufig rund um die
Uhr verfügbar sein.
Wir wollen die Einrichtung von Beratungsangeboten in den Heimatländern fördern. Wir wollen
die Integrationsangebote, z.B. Sprachkurse, die mit Mitteln des Europäischen Sozialfonds
(ESF) finanziert werden auch für Arbeitnehmer*innen aus der EU und deren Angehörige öffnen,
dazu zählt die aktive Förderung der Kinder von zugezogenen Arbeitnehmer*innen.
Die in der neuen Entsenderichtlinie vorgesehene Regelung, dass Unterbringungsbedingungen für
entsandte Arbeitnehmer angemessen und im Einklang mit den nationalen Vorschriften stehen
sollen, muss mit einem wirksamen Sanktionsrahmen versehen werden. Die Entsenderichtlinie war
ein wichtiger grüner Teilerfolg, um den Grundsatz „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ in
Europa durchzusetzen. Für die Umsetzung braucht es aber mehr staatliche Kontrollen. Außerdem
müssen auch in andere Länder entsandte LKW-Fahrer*innen dringend in die Entsenderichtlinie
aufgenommen und umfassend geschützt werden. Bislang sorgen aber Konservative, Liberale und
Sozialdemokraten im Europaparlament dafür, dass ihnen soziale Rechte auf angemessene
Bezahlung und Ruhepausen weiterhin verwehrt werden.
Diskriminierung am Arbeitsplatz bekämpfen
Alle Europäer*innen haben das Recht auf Gleichbehandlung. Leider ist das für viele Menschen
am Arbeitsplatz noch keine Realität. Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, des Alters,
einer Behinderung, der ethnischen Herkunft oder Rasse, der Religion, der sexuellen
Orientierung und weiteren Merkmalen ist weiterhin Realität. Die EU hat im Kampf gegen
unfaire Behandlung bereits viel erreicht. Wir stehen für einen weiteren Ausbau von
Initiativen gegen Diskriminierung am Arbeitsplatz, um allen Menschen Gleichbehandlung zu
garantieren.
Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs gegen die Diskriminierung an von
Religionsgemeinschaften und anderen Tendenzbetrieben angebotenen Arbeitsplätzen muss in
nationales Recht umgesetzt werden.
Wer GRÜN wählt, stimmt für
- einklagbare soziale Grundrechte,
- eine Grundsicherung für alle Menschen in der EU,
- europaweite Legalisierung von Cannabis,
- europaweite Mindestlöhne.
2.7 Mobil arbeiten in Europa: Freizügigkeit sozial ausgestalten
Alle EU-Europäer*innen haben das Recht, sich in der EU frei zu bewegen, ihren Wohn- und
Arbeitsort frei zu wählen. Freizügigkeit ist Kern des europäischen Projektes.
Das Steuer- und Sozialversicherungsrecht muss so gestaltet werden, dass es mobile
Arbeitnehmer*innen stärkt. Eine Arbeitnehmerin, die sich für eine Arbeit in einem anderen
Land entscheidet, darf deshalb keine Nachteile erleiden. Bestehende Versicherungslücken für
Grenzpendler*innen müssen geschlossen werden. Die Anerkennung von Bildungs- und
Berufsabschlüssen innerhalb Europas muss weiter verbessert werden. Gleiches gilt auch für
die Anerkennung von ausländischen Abschlüssen. Noch immer ist es oftmals schwer,
bürokratisch und langwierig im Nicht-EU-Ausland erworbene Abschlüsse und Qualifizierungen
anerkennen zu lassen. Daher wollen wir die Arbeitnehmer*innenfreizügigkeit auch für
Migrant*innen aus Drittstaaten innerhalb der EU stärken.
Wir wollen die Beratung von Arbeitnehmer*innen aus anderen EU-Mitgliedstaaten vor Ort
verbessern und die EU-Beratungsstellen ausbauen. So bauen wir Hürden für Mobilität in Europa
ab.
Wir unterstützen die neue europäische Arbeitsbehörde, um sicherzustellen, dass
grenzüberschreitend tätige Arbeitnehmer gleiche Rechte in allen EU-Ländern haben. Nationale
Behörden müssen hier mit der neuen Arbeitsbehörde kooperieren. Arbeitnehmer*innen brauchen
Stärkung bei der Ausübung der Freizügigkeit und auch bei der Durchsetzung ihrer sozialen
Grundrechte - dazu gehört auch der Schutz vor sexualisierter Gewalt. Eine europäische statt
nationale Sozialversicherungsnummer muss folgen, damit, wer grenzüberschreitend arbeitet,
unkompliziert soziale Sicherheit und hinterher seine Rente genießen kann. Ein EU-
Sozialversicherungsregister ist folgerichtig, um Sozialdumping das Handwerk zu legen.
Die Mobilität von LSBTIQ* Menschen ist in besonderen Maßen eingeschränkt. In den meisten
Mitgliedsstaaten werden ihre Ehen und Lebenspartnerschaften zwar anerkannt, aber in einigen
Staaten auch weiterhin nicht. Regenbogenfamilien müssen sich vor Antritt einer Reise immer
fragen, ob sie als Eltern ihrer Kinder in einem anderen Mitgliedstaat rechtlich anerkannt
sind. Das darf nicht sein. Regenbogenfamilien, Lebenspartnerschaften und
gleichgeschlechtliche Ehen müssen europaweit anerkannt werden. Dazu gehört die Anerkennung
von Geburtsurkunden, Adoptionen und Pflegekindvereinbarungen oder anderen Dokumenten, die
den Familienstatus betreffen.
Die besondere Stärke der EU ist, dass Arbeitnehmer*innen, die in Europa mobil sind, ihre in
einem Land erworbenen Ansprüche nicht verlieren, sondern mitnehmen können. Eine
Arbeitnehmerin, die sich in Österreich eine Rente erarbeitet hat, kann ihren Ruhestand auch
in Schweden verbringen. Wir wollen, dass dies auch für Betriebsrenten uneingeschränkt gilt.
Dass die EU sicherstellt, dass Arbeitnehmer nicht aufgrund ihrer Nationalität diskriminiert
werden, ist Ausdruck des gemeinsamen Wertekanons und zugleich eine essenzielle Maßnahme
gegen Sozialdumping. Umso unverständlicher ist es, dass gerade in diesem Zusammenhang in
Deutschland immer wieder die Debatte über das Kindergeld vom Zaun gebrochen wird. Kindergeld
erhalten in Deutschland alle Arbeitnehmer*innen, die arbeiten und Steuern zahlen.
Das soll auch so bleiben. Es gibt zwar Fälle von Missbrauch durch Einzelne, allerdings ist
dies kein Grund das komplette System in Frage zu stellen.
Ein evtl. Missbrauch der Kindergeldregelungen darf jedoch nicht dazu führen, dass alle
Unionsbürger*innen in Mithaftung genommen werden, die einfach nur ihr Recht auf
Freizügigkeit wahrnehmen. Zumal das ja auch heißen würde, wenn es für Kinder im Ausland
weniger Geld gäbe, dass das auch für das deutsche Kind gelten müsste, das zum Beispiel in
Krakau studiert.
Wer GRÜN wählt, stimmt für
- einen einfacheren Arbeitsplatzwechsel in andere EU-Länder,
- Freizügigkeit mit Schutz für Arbeitnehmer*innen in Europa.