Veranstaltung: | 44. Bundesdelegiertenkonferenz Bielefeld |
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Tagesordnungspunkt: | WKF Wirtschaft, Klima, Finanzen |
Antragsteller*in: | Nabiha Ghanem (KV Soest) und 30 weitere Antragsteller*innen (Frauenanteil: 29%) |
Status: | Eingereicht |
Verfahrensvorschlag: | Erledigt durch die modifizierte Übernahme NEU WKF-07-1016Erklärung: Die Antragskommission hat mit der Antragstellerin vereinbart, dass der Antrag sich durch eine Ergänzung im Antrag WKF-07 erledigt. Diese Ergänzung ist gekennzeichnet als NEU WKF-07-1016. |
Eingereicht: | 04.10.2019, 19:15 |
WKF-09: Klimaschutz im ländlichen Raum fair und sozial gestalten!
Antragstext
Die existenzielle Bedrohung der Menschheit durch die Klimakatastrophe entwickelt sich
schneller als befürchtet! Die Menschen werden auch in unserem Land mit tiefgreifenden
Änderungen in ihrem Leben konfrontiert werden, entweder durch die dringend erforderlichen
drastischen Maßnahmen zur Reduzierung der klimaschädlichen Emissionen oder einige Jahre
später durch die Folgen einer ungebremsten Klimakatastrophe. Unsere Gesellschaft ist bereits
gespalten, zwischen Reich und Arm, zwischen Stadt und Land, aber auch zwischen autoritären
und liberalen Haltungen, das Vertrauen in die Politik fehlt oft. Die bereits jetzt zu
erwartenden Folgen der Klimakrise werden zu erhöhtem Druck und Spannungen führen. In einer
Demokratie kann der Umbau zu einer klimaneutralen Gesellschaft aber nur erfolgreich
gestaltet werden, wenn alle Menschen auf diesem Weg mitgenommen werden und
gesellschaftlicher Zusammenhalt herrscht.
Klimaschutz darf daher keinesfalls die Spaltung vertiefen, sondern kann und muss die
Gesellschaft wieder zusammenführen! Für uns ist daher zentral, Klimapolitik sozial
ausgewogen zu gestalten und die sehr unterschiedlichen Lebensbedingungen zwischen Stadt und
Land zu berücksichtigen. Das Grundgesetz gebietet die Herstellung gleichwertiger
Lebensverhältnisse in Deutschland, in der Realität driften die Regionen aber immer weiter
auseinander und das Stadt-Land-Gefälle nimmt zu.
Notwendige verhaltenslenkende Maßnahmen wie eine CO2-Steuer drohen, diese Spaltung zu
vertiefen, auch mit einem soziale Härten ausgleichenden Bürger- oder Energiegeld. Ein
relevanter Teil der Landbevölkerung lebt mit geringen oder durchschnittlichen Einkommen in
größerem Wohneigentum, heizt mit Öl oder Gas und ist für Teilhabe und die Grundversorgung
fast vollständig auf PKW angewiesen.
Die Anschaffung von Elektro-Autos, die Wärmedämmung von Wohnhäusern und die Umstellung von
alten Ölheizungen erfordern erhebliche Investitionen und sind für viele Menschen finanziell
nicht zu stemmen. Maßnahmen wie z. B. der Ausbau des ÖPNV können teilweise auf dem Land
ökologisch fragwürdig oder realistisch betrachtet unmöglich sein. Eine verhaltenslenkende
Maßnahme wie die CO2-Bepreisung kann aber nur dort Erfolg haben, wo alternative
Verhaltensweisen sinnvoll möglich sind. Die Menschen haben auf dem Land im Vergleich zur
Stadtbevölkerung nur begrenzte Möglichkeiten, sich CO2 – sparend zu verhalten, werden also
die volle Wucht der Preiserhöhung tragen müssen. Dafür benötigen sie dringend einen
Ausgleich!
Daher gehen wir neue Wege und unterscheiden bei politischen Maßnahmen zwischen Wohnlagen,
die von großstädtischen Ballungsräumen bis hin zu ländlichen Einzellagen differieren:
- Eine CO2-Steuer muss so ausgestaltet werden, dass das die CO2-Steuer begleitende
Energie- oder Bürgergeld nach Wohnlagen gestaffelt in unterschiedlicher Höhe
ausgezahlt wird.
- Hilfen und Anreize bei Investitionen in Photovoltaik-Anlagen oder andere
Kleinkraftwerke, auch als Bürgergenossenschaften für die dezentrale Energieversorgung,
müssen unter Berücksichtigung der ländlichen Strukturen geschaffen werden.
- Wir denken in Zukunft auch bei Verkehrskonzepten die Folgen für die umliegenden
kleinen und kleinsten Siedlungen mit und berücksichtigen deren Bedarfe.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sind aufgrund ihrer Geschichte eine großstädtisch geprägte Partei, die
Belange der Landbevölkerung sind bei uns, und mittlerweile auch in den anderen Parteien,
unterrepräsentiert. Politik wird bei uns überwiegend in Berlin und Köln gedacht. Aber ein
relevanter Teil der Menschen lebt auf dem Land unter ganz anderen Bedingungen und in für den
Arten – und Klimaschutz sehr wichtigen Räumen. Gerade in den über ganz Deutschland
verteilten kleinen Dörfern und Einzellagen könnten die Menschen eine sehr wichtige Rolle
beim Artenschutz spielen – und das Artensterben ist die zweite existenzielle Bedrohung für
die Menschheit! Dazu müssen sie aber mitgenommen, und in die Lage versetzt werden, sich um
die Biodiversität aktiv kümmern zu wollen und zu können. Dies erfordert entsprechende
Aufklärungskampagnen und Vertrauen zwischen Politik und Bürger*innen - statt diese noch
weiter abzuhängen und durch für die Unterschiede blinde Klima- und Umweltschutzmaßnahmen in
existenzielle Nöte zu bringen.
Daher nehmen wir die Menschen auf dem Land besonders in den Blick und erkennen die
unterschiedlichen Lebensbedingungen sowie die wichtige Rolle des ländlichen Raums an. Diesen
nehmen wir in allen Bereichen vor allem des Klima – und Umweltschutzes als
Querschnittsaufgabe wahr und entwickeln dafür innerparteiliche Prozesse und Strukturen. Wir
entwickeln praktikable Konzepte zur Integration des ländlichen Raums in den Umbau hin zu
einer CO2-neutralen Gesellschaft und stärken dabei die soziale und wirtschaftliche Teilhabe
der Landbevölkerung, unter anderem durch ein faires System der Staffelung nach Wohnlage bei
CO2 bezogenen Leistungen oder Steuern wie dem Bürgergeld.
Begründung
Wir Grüne aus dem ländlichen Raum erleben immer wieder, auch in unserer Partei, als eine nicht relevante Minderheit betrachtet zu werden. Die Lebenswelten liegen offenbar weit auseinander. Bei Diskussionen über zu treffende Klimaschutzmaßnahmen folgt fast immer dasselbe Muster: wir erklären die Gegebenheiten des ländlichen Raumes, und bekommen die Antwort : der ÖPNV müsse ausgebaut werden. Die Tatsache, dass ein ÖPNV ökologisch und ökonomisch widersinnig ist, wenn er ständig leer oder mit nur einer Person besetzt fahren muss, ist oft nicht durchdacht worden. Regelmäßig folgt dann der Hinweis, es betreffe ja nur sehr wenige Ausnahmen oder Einzelfälle.
Daher hier ein paar ungefähre Zahlen: Der Anteil der Landbevölkerung liegt je nach Definition zwischen 13 und 18 Millionen Menschen! Ca. 15% der Deutschen lebt in kleinen Orten (unter 5000 Einwohner) und geschätzt 3- 5% lebt in in Einzellagen oder kleinsten Siedlungen. Und sie alle haben nicht nur selbst Wahlrecht, sondern auch Familie und Freunde in den Städten. Daher sollten wir schon im eigenen Interesse diese Menschen nicht länger vergessen!
weitere Antragsteller*innen
- Burkhard Kalle (KV Soest)
- Ingrid Bäumler (KV Cochem-Zell)
- Antonia Schwarz (Berlin-Kreisfrei KV)
- Christian Hohn (KV Olpe)
- René Adiyaman (KV Ennepe-Ruhr)
- Johannes Kimmel-Groß (KV Soest)
- Bernd Gottwald (KV Soest)
- Holger Künemund (KV Soest)
- Helge Cornelis (Aurich-Norden KV)
- Werner Liedmann (KV Soest)
- Dietmar Günther (KV Dresden)
- Cordula Ungruh (KV Soest)
- Jan Wollesen (KV Soest)
- Stephan Wiese (KV Stormarn)
- Céline Madeleine Kalle (KV Soest)
- Sebastian Strumann (KV Soest)
- Lothar Kemmerzell (KV Soest)
- Dagmar Hanses (KV Soest)
- Christa Leßmann-Fischer (KV Soest)
- Jutta Maybaum (KV Soest)
- Norwich Rüße (Steinfurt KV)
- Theo Westhagemann (KV Soest)
- Sven Schumacher (KV Gütersloh)
- Thomas Reimann (KV Soest)
- Manfred Groß-Bölting (KV Soest)
- Antonius Grotenhermen (KV Soest)
- Anne-Monika Spallek (Coesfeld KV)
- Gregor Kaiser (Olpe KV)
- Marc Kersten (KV Köln)
- Beate Tietze-Feldkamp (KV Soest)
Änderungsanträge
- WKF-09-017 (Anne-Monika Spallek (Coesfeld KV), Eingereicht)
- WKF-09-041 (Anne-Monika Spallek (Coesfeld KV), Eingereicht)
Kommentare
Nabiha Ghanem:
Mein besonderer Dank gilt denen, die sich mühsam ins Grüne Netz gekämpft haben, auch den vielen, die nicht hier auf der Liste der Antragsteller*innen stehen, weil sie sich mangels Passwort nicht schnell genug einloggen konnten!
Klaus Willemsen:
Energie- oder Bürgergeld nach Wohnlagen gestaffelt in unterschiedlicher Höhe
ausgezahlt wird." ????
NEIN! Eine CO2-Abgabe muss gerecht, sozial ausgewogen, nachvollziehbar und politisch durchsetzbar sein. Mit Einnahmen von 115 € pro Tonne (wie in Schweden) würde JEDE/R ein monatliches Bürgergeld von 100€ bekommen. Damit sollten wir für eine hohe CO2-Abgabe werben. Je geringer das Einkommen, desto größer der Gewinn. So hat jede/r einen Anreiz klimaneutral zu handeln. Egal ob man in einer teuren Stadt wohnt, weite Wege auf dem Land hat oder exclusive Urlaubsziele anstrebt. Jede/r tut was und jede/r kann gewinnen :-)
Bitte nicht nach dem Motto: warum einfach, wenns auch kompliziert geht. Damit haben sich schon die Sozialdemokraten demontiert.
Nabiha Ghanem:
Ich bin aber sehr offen für bessere Ideen, wie man das durch einen hohen CO2-Preis verschärfte Abgehängtsein des ländlichen Raums verhindert. Ich bitte um Vorschläge!
Klaus Willemsen:
Nabiha Ghanem:
Im übrigen, Kern des Antrags ist, dass unsere städtisch geprägte Partei die Lebensrealitäten auf dem Land ernsthaft zur Kenntnis nimmt, statt die Unterschiede und ihre Folgen einfach wegzuschieben!
Stefani Konstanti: