Veranstaltung: | 44. Bundesdelegiertenkonferenz Bielefeld |
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Tagesordnungspunkt: | W-Buvo Wahl Bundesvorstand |
Antragsteller*in: | Ricarda Lang (KV Berlin-Friedrichshain/Kreuzberg) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 17.10.2019, 13:06 |
W-Buvo-02: Bewerbung: Ricarda Lang
Bewerbungstext
Liebe Freund*innen,
unsere Gesellschaft ist politisiert wie selten zuvor: Beim Globalen Klimastreik gingen allein in Deutschland über 4 Millionen Menschen für echten Klimaschutz und die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens auf die Straße. Meine Generation, die sich jahrelang anhören musste wie unpolitisch sie doch sei, verschiebt Schritt für Schritt unsere Vorstellung davon, was vernünftig ist. Denn als vernunftgeleitete Politik gilt schon lange nicht mehr, den Status Quo zu erhalten, sich selbst auferlegten Sachzwängen zu unterwerfen und Profite über Menschen zu stellen. Sondern sich den Herausforderungen und Umbrüchen unserer Zeit zu stellen und grundlegende Veränderungen im Sinne der Gerechtigkeit und Freiheit aller Menschen, auch der kommenden Generationen, zu gestalten.
Doch der immer politisierteren Gesellschaft steht eine Bundesregierung gegenüber, die sich so sehr von Ängsten vor der Gegenwart treiben lässt, dass sie nicht mehr in der Lage zu sein scheint, Politik für die Zukunft zu machen. Die Lücke zwischen dem wissenschaftlich Notwendigen sowie dem gesellschaftlich Möglichen einerseits und der politischen Realität andererseits klafft immer weiter auseinander. In dieser Situation kommt uns Grünen eine zentrale Rolle zu. Es liegt an uns, das Vertrauen einer ganzen Generation in die Handlungs- und Gestaltungsfähigkeit von Politik zu erhalten. Und zu zeigen, dass Demokratie in Anbetracht von großen Herausforderungen wie der Klimakrise nicht an Bedeutung verliert. Demokratie beweist gerade dann ihre Stärke, wenn erkannt wird, dass die gesellschaftlichen Verhältnisse nicht in Stein gemeißelt, sondern veränderbar sind.
Ich möchte meine Erfahrungen aus den sieben Jahren Parteiarbeit und vier Jahren im Bundesvorstand der Grünen Jugend einbringen und mich gemeinsam mit euch – egal ob schon lange mit dabei oder gerade neu dazugekommen – dafür einsetzen, dass wir dieser Verantwortung gerecht werden.
Die Tage des Patriarchats sind gezählt.
Das Patriarchat ist ordentlich am Wanken. Global stehen Frauen an der Spitze im Kampf gegen Klimakrise und Rechtsruck. Sie kündigen das Einverständnis mit einem fossil-patriarchalen System auf, das unsere natürliche Lebensgrundlage zerstört und Frauen strukturell benachteiligt. Sie werfen damit die Machtfrage auf: Wir schauen nicht mehr länger zu, wie andere über unsere Köpfe hinweg über unsere Zukunft oder unsere Körper entscheiden. Wir wollen nicht nur mitreden, sondern mitentscheiden und nehmen unsere Zukunft selbst in die Hand. Ich möchte mich dafür einsetzen, dass wir Grünen die Partei sind, die diesen Impuls in die Parlamente und die politische Debatte tragen.
Damit uns das gelingt, müssen wir Feminismus in unserer politischen Arbeit nach vorne stellen. Vor allem in den letzten zwei Jahren als Sprecherin der Grünen Jugend durfte ich viel darüber lernen, wie wir kommunizieren müssen, um Frauen in ihren konkreten Alltagserfahrungen abzuholen und für feministische Politik begeistern zu können, wie wir frauenpolitische Themen setzen und Debatten anstoßen können. Das möchte ich nun auch noch stärker in die Partei einbringen und bewerbe mich deshalb auf das Amt der frauenpolitischen Sprecherin. Ich will, dass wir im nächsten Jahr an bestehende feministische Kämpfe, wie die Proteste für reproduktive Rechte, die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen und die Abschaffung der §§ 219a und 218 StGB, anknüpfen und gleichzeitig selbst Diskussionen anstoßen. Dabei sollten wir den im Grundsatzprogrammprozess erhobenen Anspruch, dass Feminismus sich bei uns durch alle Politikbereiche zieht, weiter mit Leben füllen. Der Zusammenhang zwischen Frauenrechten und Klimaschutz, die Chancen einer feministischen Migrationspolitik oder die Rolle des Feminismus im Kontext der Digitalisierung – all diese Themen möchte ich im nächsten Jahr mit euch in den Kreisverbänden diskutieren, programmatisch weiterentwickeln und in Verbindung mit konkreten Forderungen nach außen tragen.
Dabei ist für mich klar, dass es bei Feminismus um mehr geht als ein paar mehr Frauen in Führungspositionen. Wir wollen an die Strukturen unserer Gesellschaft ran, die Ungleichheit hervorbringen. Unser Feminismus muss auch die alleinerziehende Mutter, die vom Staat alleine gelassen wird, die Geflüchtete, die von Rassismus betroffen ist, die Pflegekraft, die von ihrem Lohn kaum leben kann, die Trans*frau, die pathologisiert wird, und die Frau im Iran, die gegen islamistische Unterdrückung kämpft, im Blick haben und ausnahmslos für ihre Rechte kämpfen. Nur dann können wir das universelle Versprechen der Freiheit und Gleichheit aller Menschen einlösen.
Wir sind mehr als die Summe unserer Körperteile.
Mit meiner Kandidatur will ich auch anderen Frauen Mut machen, sich nicht unterkriegen zu lassen. Seit ich vor zwei Jahren zur Bundessprecherin der Grünen Jugend gewählt wurde, war ich Hass im Netz ausgesetzt. Immer wieder erhielt ich Beleidigungen wegen meines Gewichts, meines Aussehens und meines Geschlechts – und damit bin ich nicht alleine: Rechtsextreme und Frauenhasser haben es sich zum erklärten Ziel gemacht, progressive Frauen aus der öffentlichen Debatte zu verdrängen. Für mich war es vor allem die Solidarität innerhalb der Grünen Partei, die mich davon abgehalten hat, mich zurückzuziehen. Dafür bin ich sehr dankbar und möchte auch deshalb mit und in dieser Partei für Frauenrechte und Demokratie streiten. Diese Bewerbung soll allen Frauen, die sich unsicher fühlen oder sich nicht trauen öffentlich ihre Meinung zu vertreten zeigen, dass niemand das Recht hat, sie auf ihr Aussehen oder ihr Gewicht zu reduzieren. Wir sind so viel mehr als die Summe unserer Körperteile. Und all den Rechten, Antifeministen und Hatern will ich klar machen: Euer Hass wird mich nicht klein kriegen. Er ist für mich Ansporn, jeden Tag weiter zu kämpfen für eine Welt in der Frauen endlich selbstbestimmt über ihren Körper entscheiden können.
Strukturen voranbringen – feministisch und vielfältig.
Schon als junges Mädchen hatte ich oft das Gefühl, aufgrund meines Geschlechts anders behandelt zu werden. Doch ich konnte nicht beschreiben, was mit mir passiert, hatte keine Worte dafür. Erst in der Grünen Jugend habe ich erkannt, dass die Erfahrungen, die ich als Mädchen und Frau in dieser Gesellschaft gemacht habe, kein Zufall und erst Recht nicht meine Schuld sind, sondern dass sie gesellschaftlichen Strukturen entspringen und dass wir uns gemeinsam die Werkzeuge aneignen können, diese Strukturen im Sinne der Emanzipation zu verändern. Dieses Erlebnis hat mir sehr viel Kraft gegeben und ich möchte, dass die Grünen der Ort sind, an dem noch viel mehr Menschen diese Form der Selbstwirksamkeit erleben. Dafür müssen wir gerade als wachsende Partei Strukturen schaffen, evaluieren und verbessern. Lasst uns Frauen ermächtigen, selbst politisch aktiv zu werden und Verantwortung zu übernehmen. Konkret will ich mich für ein mehrstufiges Frauenförderprogramm stark machen, das Multiplikator*innen auf Bundesebene ausbildet, die Frauenförderung in den Ländern, aber gerade auch in den Kreisverbänden umsetzen können. Außerdem will ich Diskussionsangebote zum Thema Feminismus erarbeiten, die auch unsere feministischen Grundsätze vermitteln und sich insbesondere an kleinere Kreisverbände und Orte im ländlichen Raum richten. Denn Feminismus und Frauenförderung sind nicht auf große Städte beschränkt.
Gleichzeitig will ich, dass unsere Partei vielfältiger wird. Auch dafür müssen wir an unsere Strukturen ran. Denn die Vorstellung, dass alle Menschen dieselben Ausgangsbedingungen haben, ist eine neoliberale Lüge. People of colour, Nichtakademiker*innen oder Menschen mit Behinderung werden in unserer Gesellschaft strukturell Steine in den Weg gelegt. Wenn wir als Partei allen Menschen Partizipation und politische Teilhabe ermöglichen wollen, müssen wir diese Steine aus dem Weg räumen. Mit der Gründung der Arbeitsgruppe Vielfalt ist Gesine als frauenpolitische Sprecherin hier einen extrem wichtigen Schritt gegangen und hat einen Prozess gestartet, in dem ich mich im nächsten Jahr mit einbringen will. Die Arbeitsgruppe setzt sich damit auseinander, wie wir uns aufstellen müssen, um Menschen die gesellschaftlich diskriminiert oder strukturell benachteiligt werden, anzusprechen, einzubinden und sie auch in Führungspositionen sichtbar zu machen, und wie wir eine Willkommenskultur schaffen, die tatsächlich alle einbezieht. In dieser Arbeit steckt viel Potenzial, mehr Perspektiven in die Parteiarbeit einfließen zu lassen und eine Politik des Zusammenhalts in der Gesellschaft der Vielen zu ermöglichen.
Wir nehmen unsere Zukunft in die Hand.
Wenn wir die Klimakrise stoppen, die Demokratie stärken und Gleichberechtigung schaffen wollen, brauchen wir jede und jeden. In den letzten zwei Jahren sind wir sehr stark gewachsen, doch wir müssen noch viel mehr werden, die sich einbringen, laut werden und sich aus der schweigenden Mehrheit heraus bewegen. Denn wer heute schweigt hilft damit vor allem denen, die wollen dass alles so bleibt wie es ist. Als Grüne müssen wir Bündnisse schmieden, Kämpfe verbinden, unser Verständnis als moderne Bewegungspartei neu ausbuchstabieren und die Handlungsspielräume für progressive Politik nutzen und erweitern.
Vor allem müssen wir auch noch besser darin werden, Menschen mitzunehmen und ihnen zu zeigen, was Politik mit ihnen individuell zu tun hat und warum es sich lohnt, sich politisch einzubringen. Gerade im Europawahlkampf war ich im ganzen Bundesgebiet unterwegs. Immer wieder kamen nach Veranstaltungen Menschen auf mich zu, vor allem junge Frauen, und erzählten mir, dass sie ja nichts mit Politik zu tun hätten, um mir dann genau darzulegen, was sie gerade umtreibt, womit ich sie überzeugt habe und was sie kritisch sehen. Wenn diese Menschen immer noch denken, dass sie nicht politisch seien, dann liegt es nicht daran, dass sie zu doof sind, sondern daran, dass wir noch nicht gut genug darin sind, klar zu machen, dass Politik nichts ist, was sich nur in Vorstandszimmern und Fraktionssälen abspielt. Politik ist das, was passiert, wenn sich Menschen organisieren, um die Welt um sich herum im Großen wie im Kleinen zu verändern. Demokratie ist nichts, was wir geschenkt bekommen; Demokratie ist etwas, wofür es sich jeden Tag zu kämpfen lohnt.
Ich würde mich sehr freuen, wenn ihr mir die Möglichkeit gebt, genau das in den nächsten Jahren im Bundesvorstand zu tun. Ich freue mich auf eure Fragen, Anmerkungen, Kritik und Unterstützung. Nehmen wir unsere Zukunft in die Hand.
Eure Ricarda.
*17.01.1994
ricarda.lang@gruene-jugend.de
Twitter: @Ricarda_Lang
Instagram: @ricardalong
Politisches:
2017 - 2019: Bundessprecherin der GRÜNEN JUGEND
seit 2015: Mitglieder der Rechtsextremismuskommission
2015 - 2017: Beisitzerin im Bundesvorstand der GRÜNEN JUGEND
2014 - 2015: Bundessprecherin von Campusgrün
2014: Kandidatin bei der Kommunalwahl in Heidelberg
seit 2012: Mitglied bei den Grünen
Sonstiges:
Studium der Rechtswissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin