V-52 Beschluss (vorl.): Eskalation in Nordsyrien: Völkerrechtswidrigen Militäreinmarsch der Türkei verurteilen – Rüstungsexporte stoppen – Exportgarantien beenden – Täter bestrafen
Veranstaltung: | 44. Bundesdelegiertenkonferenz Bielefeld |
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Tagesordnungspunkt: | D Dringlichkeitsanträge |
Antragsteller*in: | Bundesvorstand (dort beschlossen am: 11.11.2019) |
Status: | Verschoben |
Verfahrensvorschlag: | Verschoben zu: V-52 (D-01) |
Eingereicht: | 11.11.2019, 13:32 |
Antragshistorie: |
Kommentare
Goetz Huttel:
Walther Moser:
Christian Wein:
Sava Stomporowski:
ich habe eine sehr ausführliche Analyse zur Lage in Syrien im Kommentar eingestellt. Zwar gehe ich nicht explizit auf die PKK ein, aber auf die Kurden und die Türkei. (Es ist in der Untergliederung meines Textes relativ leicht zu finden und ich möchte es an dieser Stelle nicht ausufern lassen). Die Türkei als NATO-Partner müssten in der Frage berücksichtigt werden. Ich meine es geht nicht.
Zudem weise ich darauf hin, dass die US-Administration, die vom Rückzug seit Dezember 2018 wusste, nichts unternommen hatte, um die Kurden zu beschützen. Der Syrienbeauftragte Jeffrey - ein von Bolton eingestellter Mann, hatte es ausdrücklich verboten, dass sich die Kurden mit der syrischen Regierung einigen (Links sind in meinem Text zu finden). Das ist alles sehr heftig, weil man damit die Kurden ans Messer geliefert bzw. bewusst mit der Sicherheit der Zivilisten gespielt hat, obwohl man gar nicht die Legitimation hatte einen Abzug zu verhindern - wie im Text zitiert. Und nun beklagen sie die Opfer!
Ulrich Schmidt-Kalteich:
Walther Moser:
Sava Stomporowski:
Robert Fisk, ein sehr erfahrener Journalist, schreibt, dass alles, was uns in den letzten Jahren über den Syrienkrieg erzählt wurde, nicht stimmen würde. Was nicht für mich aber für für viele eine Überraschung ist. https://www.independent.co.uk/voices/syrian-war-bashar-al-assad-donald-trump-saudi-middle-east-robert-fisk-a9189746.html
Nicht nur Robert Fisk, sondern auch Max Abrahams, Terrorismus-Experte in den USA, entkräftet die Aussagen vieler Syrienexperten, die uns in den Jahren zuvor Expertisen und Aussagen vorgelegt haben, aber allesamt die Lage und Entwicklung falsch beurteilten.
https://www.latimes.com/opinion/op-ed/la-oe-abrahms-glaser-isis-assad-20171210-story.html
Besonders interessant ist das Beispiel des "IS" oder des Todes von Baghdadi, der sich in Idlib, nur 5 km von der türkischen Grenze aufgehalten hatte, was viele dieser Experten für unmöglich hielten. Wäre Baghdadi tatsächlich von Assad kreiert worden, wie uns jene Experten vor Jahren glaubhaft erklärt haben, hätte dieser in Damaskus und nicht in Idlib Schutz gesucht. Aber all das wird nicht hinterfragt, man wundert sich höchstens. Und natürlich war noch nie, niemals jemand für diese Islamisten in unseren Reihen. Das sind doch nur Strohpuppen, die man bzw. ich legen würde, hatte ich mir sagen lassen dürfen. Aber diese Partei und viele Leute haben beim Syrienkrieg übersehen, dass sie sich von Scheinbegriffen wie "moderaten Rebellen" oder einer von einer "Freien Syrischen Armee" (FSA) haben blenden lassen, obwohl man ihre "Substanz" auch schon viel früher beim genauen Hinsehen hätte erfahren können. Das hat zu einer Aufteilung von hier die Guten und da die Bösen geführt. Das Denken dieses Gut-und-Böse-Schematas wirkt bis heure nach und lässt sich in vielen vergangenen Aussagen belegen und man kann es nicht leugnen, dass die Politik und Leitmedien auf der Seite der Jihadisten standen, wie der Artikel im Spiegel am signifikantesten titelte als der Befreiungskampf von Aleppo tobte: „Die Islamisten sind Aleppos letzte Hoffnung“.
https://www.spiegel.de/politik/ausland/syrien-die-islamisten-sind-aleppos-letzte-hoffnung-a-1105806.html
Unsere Medien vermeiden es geschickt uns aktuelle Bilder aus dem heutigen Aleppo zu zeigen, wo die Straßen vom Schutt gereinigt sind und die Menschen einem fast normalen Alltagsleben nachgehen. Hingegen werden Bilder aus den nordsyrischen Gebieten durchaus in Arte-Sendungen gezeigt, wo einst der "IS" tobte, die Häuser im Kampf zerstört und wiederaufgebaut wurden. Dadurch verfestigt sich bei uns erneut ein verzerrtes Bild, dass es die Kurden waren, die gegen den "IS" gekämpft und ihn besiegt haben. Aber auch der syrische Staat hat gegen den "IS" gekämpft, Palmyra befreit oder mehrfach hohe Opferzahlen erbracht, um den Versuch zu starten, Deir Ezzor vom "IS" zu befreien. Aber Deir Ezzor ist ein markantes Beispiel dafür, dass es aufgrund der USA nicht möglich war, die Stadt zu erobern, weil dort Soldaten mehrfach von US-Bombern in mehrfachen Einsätzen „aus Versehen“ angegriffen und getötet wurden, wie zum Beispiel an jenem Tag im September 2017 als in Deutschland die größten Anti-TTiP-Demonstrationen stattfanden. Die Bombardierungen haben eine Befreiung vom "IS" absichtlich verhindert bzw. sollten durch die von den USA gegründeten SDF stattfinden. Deir Ezzor ist heute weiterhin von US-Kräften bewacht, weil Lindsey Graham die gesichtswahrende Sprachformel der Ölabsicherung gefunden hat. Dass es um die Verbindungsroute, eine alten Handelsstraße geht, wird auch durch den syrischen Oberkommandanten Mazloum Kobani bestätigt, der sagt, jeder weiß, dass die USA das Öl nicht brauchen.
(Vorsicht, diese Seite ist eine kommunistische Plattform!) http://www.kommunisten.de/ueber-joomla/interviews/7698-interview-mit-mazloum-abdi-oberkommandierender-der-syrisch-demokratischen-kraefte-sdf
Joshua Landis, US-Prof. für den Nahen Osten, sagt ebenfalls, dass keine Ölfirma bereit wäre Investitionen für die veralteten Anlagen zu tätigen, um das Öl zu fördern. Die inkohärente Syrienpolitik liegt daran, dass bestimmte Leute um den Syrienbeauftragten Jeffrey einen Abzug verhindert haben.
https://www.meforum.org/campus-watch/59865/q-a-syria-the-us-and-the-incoherence-of-donald
Die türkischen Milizen werden heute, da sie im Kampf gegen die Kurden eingebunden sind, eindeutig in Verbindung zu islamistischen Gruppierungen gestellt, die - wir wissen es spätestens seit Afrin - in direkter Verbindungslinie zur „Freien Syrischen Armee“ (FSA) stehen, jenen Kämpfern, die als oppositionelle Kämpfer in den westlichen Staaten anerkannt oder als „moderate Rebellen“ bezeichnet wurden. Zum Glück kann dieses Ammenmärchen einer echten freien Opposition nicht mehr erzählt werden.
Dennoch bleiben falsche Denkmuster erhalten, die in Formulierungen des Bundesvorstandes auftauchen, wenn dieser schreibt, dass „sich die Macht des syrischen Diktators Assad weiter [stabilisiert]“. Dieser Antrag von Lino zeigt ebenfalls eine Unbelehrbarkeit, die sich auf Kosten der Bevölkerung durchsetzen möchte. Nach acht, bald neun Jahren ist immer noch kein Kriegsende in Sicht und der Wertewesten, dem wir uns als Grüne in besonderer Weise zugehörig fühlen, hat dem Land eine Pest aufgehalst, die wir in ihrer Rückwirkung bei uns in der EU nicht begegnen wollen, - sei es durch die Wiederaufnahme der islamistischen Kämpfer oder die Flüchtlinge. Die wahren Fluchtursachen haben wir niemals wirklich benannt oder verändert, weil es nicht passt und daher ins Rechte Lager entschwindet. Eine „Alternative“ zu Assad, die der Wertewesten und die Regionalmächte der syrischen Bevölkerung in all den Jahren angeboten hat, ist bekannt und zynisch: Jihadisten. Zugleich haben wir uns vorgemacht, dass es eine wahre wirklich demokratische Opposition geben würde, die aber marginal war. Jegliche Maßnahmen oder Verhandlungen "unseres Lagers" in Genf waren eher kriegsverlängernd. Auch jetzt würde mit Kramp-Karrenbauers Vorschlag einer internationalen Mission ein Versuch gestartet werden, die sich abzeichnende (notgedrungene) Kriegslösung zu verhindern. Die Syrische Regierung hat mit Hilfe ihrer Verbündeten den Krieg gewonnen. Das sind wir nicht bereit zu akzeptieren. Diese Kriegslösung, die wir moralisch jedoch weiterhin anklagen und ausschlachten, musste so kommen, weil wir nichts Anderes zugelassen haben, obwohl es absehbar war, dass es keine Alternative gab.
Eine Demokratisierung und Veränderung von Staaten bekommt man nicht mit der Brechstange, sondern lediglich über die Stabilisierung von guten Lebensverhältnissen, guten Beziehungen, in denen jene Staaten nicht fürchten müssen, dass die geputscht werden (siehe auch weiter unten). In Syrien gab es unzählige solcher Putschversuche, zuletzt in den 1980er Jahren, die unglaublich blutig beendet wurden. Dennoch übersteigert das heutige Ausmaß des Krieges alles, was sich zuvor dort historisch ereignete – wegen uns.
Natürlich sollte man wie im Antrag des Bundesvorstandes primär fordern,
- dass die Zivilbevölkerung geschützt
- dass die Türkei sich zurückziehen soll,
- dass das Völkerrecht von allen Seiten eingehalten und
- Verstöße gegen das Völkerrecht geahndet werden soll.
https://antraege.gruene.de/44bdk/Eskalation_in_Nordsyrien_Voelkerrechtswidrigen_Militaereinmarsch_der_Tue-37419?commentId=2398#comm2398
Das ist dann ein hübscher Beschluss, man kann sich dabei moralisch wieder gut fühlen, ist aber nichts Weiteres als Papierverschwendung. Die Realität spielt sich andernorts ab.
Linos Antrag halte ich für fatal - besonders in Bezug auf die geforderte Sicherheitsstrategie.
https://antraege.gruene.de/44bdk/Tuerkischer_Aggression_gegen_die_Kurdinnen_wirksam_entgegentreten-23577?commentId=2464#comm2464
Er setzt sich für eine kurdische „De facto Autonomie in Nordsyrien" ein und möchte eine "längerfristige Machtübernahme sowohl durch die Türkei als auch das Assad-Regime“ verhindern. Er bleibt den obigen Fehlurteilen und Einschätzungen treu, die er in dieser Partei auch immer (gegen einen vehementen Widerspruch weniger Leute aus der BAG) mit durchgesetzt hat. Letztlich könnte man dies nur militärisch durchsetzen und sein Antrag fordert auch einen robusten militärischen Einsatz. Aber auch diese Forderung ist faktisch völkerrechtswidrig. Es gibt keinen Weg eine Autonomie umzusetzen. Abgesehen davon wird mit diesem Vorschlag ein Separatismus gefordert, den diese Partei in der Ostukraine nicht annähernd zu denken wagen oder billigen würde.
Dieser BuVo-Antrag ist insofern weniger Schmerzhaft aber er enthält Stellen, über die er sich hinweg mogelt. Dennoch brauchen wir grundlegende Antworten auf etliche Fragen und Probleme, die ich im Folgenden skizzieren werde.
Eine von Kramp-Karrenbauer geforderte internationale Mission dient nur dazu sich plötzlich wieder an die UN und das Völkerrecht zu erinnern, obwohl man es auch vom Westen lange ignoriert hat, wenn es einem nicht passte. Die früheren Mandate gegen den „IS“ sind nicht völkerrechtlich abgesichert. Hingegen ist nicht zu überhören, dass sich Kramp-Karrenbauer als Interventionistin zur Sicherung unserer Wirtschaftsinteressen für Auslandseinsätze als Führungskraft einsetzt, was strikt abzulehnen ist. Linos Antrag geht jedoch in diese Richtung, was für mich unglaublich ist! Aber seine Einstellung zur Syrienpolitik und die dieser Partei waren über all die Jahre ungeheuerlich und werden in den nächsten Jahren weiter zusammenfallen.
Eine internationale Mission würde den Tillersonplan wiederaufleben lassen, der neben einem "dauerhaften Engagement" - eine Besatzung - in Nordsyrien als Eindämmungsmaßnahme gegen die Schiiten dient und auch ein Sprungbrett ist gegen den Irak und Iran. Letztlich soll damit – wie schon gesagt- das Gebiet gegen die Resolutionen in der UN von Syrien getrennt werden und man würde das Gebiet besetzen.
https://www.theguardian.com/us-news/2018/jan/17/us-military-syria-isis-iran-assad-tillerson
https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2018/04/white-house-syria-rapid-end-trump.html
Eine solche Mission wird aber keinen Frieden mit dem Iran oder Schiiten in der Region bzw. der Hisbollah bringen, sondern die Stellung halten, bis in den USA möglicherweise ein anderer Präsident gewählt würde. Trump wird in seiner Intention, sich aus Syrien zurückzuziehen, als Präsident nicht ernst genommen, dessen Administration hintergeht seine Anordnungen mit der militärischen Führung der Kurden und führt eine andere Politik durch. Das war in mehreren US-Publikationen zu lesen, wie z.B. im Wall-Street-Journal.
“Mr. Jeffrey has asked Gen. Mazloum Abdi, the Kurdish commander of Syrian fighters, to hold off on making any deals with President Bashar al-Assad’s government while the Trump administration tries to develop its strategy. Forging an alliance with the Assad regime would be one way for the Kurdish fighters to protect themselves against a potential attack by the Turkish military and to retain some degree of control over northeastern Syria.”
https://www.wsj.com/articles/turkey-seeks-major-u-s-military-support-to-adopt-fight-in-syria-11546629658
Kramp-Karrenbauers Vorschlag würde dieses Vorgehen unterstützen. Aber es löst nicht Probleme, sondern manifestiert sie bis sich eine anders gewünschte militärische Lösung durchsetzen würde, eine „Lösung“ die eine Auseinandersetzung gegen die Schiiten und den iranischen Einfluss bedeuten würde. Über diese Konsequenz muss man sich klar sein! Zugleich wollen wir als EU nicht, dass das Atomabkommen gebrochen und ein Krieg gegen den Iran geführt wird.
Nur direkte Friedensverhandlungen und ein umfassendes sicherheitspolitisches Umdenken könnten den Krieg und neue Eskalationen verhindern. Deutschland könnte sich mit dem EU-Europa als echte Vermittlerin und Friedensstifterin für die gesamte Region einbringen, aber wir treten lediglich in die us-amerikanischen Fußstapfen und spielen dabei Neoimperialismus. Um eine Befriedung zu ermöglichen, müssten aber viele Dinge neu und ehrlich betrachtet werden. Dazu sollten wir uns zunächst einmal unsere falsche Einschätzung des Syrienkrieges eingestehen, die maßlosen Übertreibungen gegen die syrische Regierung und die falschen Vorwürfe von Giftgasangriffen anerkennen und uns – ja – entschuldigen. Deutschland und das westliche Europa haben zusammen mit den USA und den Regionalmächten die Jihadistenkämpfer politisch, finanziell oder mit Waffen und militärischer Ausbildung unterstützt. Erst diese Unterstützung führte dazu, dass die Gewalt eskalierte und sich der „IS“ ausbreiten konnte. Das hat zu unendlichem Leid geführt (siehe Link Robert Fisk oder Max Abrahms oben).
Der syrische Staat wird seine Hoheit bald vollständig zurückerobern. Eine erneute Einmischung würde nur noch mehr Todesopfer bewirken. Eine internationale Mission klingt zwar hübsch, bringt aber keinen Frieden. Eine Mission verlängert nur eine nicht mehr abwendbare Entwicklung und würde kein absehbares Ende haben. Ähnlich wie in Afghanistan würde diese Stationierung ewig dauern und uns in einen der brutalsten Kriege des Nahen Ostens hineinziehen. Zudem sollten auch Kramp-Karrenbauer und die CDU wissen, dass *die Menschen nicht in Sicherheitszonen, sondern in einem sicheren Staat leben wollen*.
Ein Umdenken in der Sicherheits- und Außenpolitik ist gefragt. Dabei müssen die primären Sicherheitsinteressen der jeweiligen Staaten realistisch eingeschlossen werden und eine Balance zwischen allen Staaten in der Region - besonders zwischen dem Iran und Saudi-Arabien – entwickelt werden. Dazu gehört es auch, die Sicherheitsinteressen Israels zu beachten, die für Deutschland Staatsräson sind bzw. die westliche Politik Faktisch unterstützt. Aber auch Israel muss sich an internationale Spielregeln halten. Das alles wäre ein langer Prozess, der nicht sofort zu Lösungen führt, aber gerade deswegen kann er nicht ewig aufgeschoben werden.
Zum "IS" und den islamistischen Kampfgruppen
Letztlich müssen sich alle ausländischen Mächte und Söldnertruppen aus Syrien zurückziehen, Idlib als letzte Hochburg der Rebellen, aufgelöst werden. Wir können Druck ausüben, dass die Kämpfer wirklich friedlich abziehen. Der Westen muss anerkennen, dass die "echte" Opposition zu marginal war, die höchstens ca. 7.000 Kämpfer laut Fisk nicht überstiegen hat. Die Regionalstaaten haben oftmals direkte finanzielle und sonstige Unterstützungen an die Gruppen geleistet. Mittels der Türkei wurden die Kämpfer eingeschleust. Aber auch Deutschland hat das Geschehen politisch unterstützt, indem wir eine von außen installierte (Marionetten)Regierung versuchten zu gründen, die in der Türkei ihren Sitz hatte, aber scheiterte.
Alle ausländischen Staaten müssen ihre Kämpfer zurückholen, wozu auch der "IS" und ihre Angehörigen zählen.
Zur juristischen Aufarbeitung von Menschenrechtsverbrechen bedarf es einer Zusammenarbeit mit Syrien, denn sonst werden die Beweise der grausamen Verbrechen des "IS" nicht ausreichen, um Täter zu verurteilen. Politisch tabuisiert wird dabei aber das Ausmaß der Verbrechen der jihadistischen Kampfmilizen, die Menschen kidnappten, in Käfige einsperrten, folterten oder töteten. Sie waren brutal und grausam, haben aber nie das Ausmaß der Empörung unserer politischen Moralwächter bewirkt wie gegenüber dem "Assad-Regime".
Der Westen sollte in diesem Kontext einen realistischen Blick auf die vorgeworfenen Verbrechen der syrischen Regierung werfen und sich dabei fragen: Was war Propaganda, was war eine notwendige Landesverteidigung und wo gab es tatsächlich Verbrechen und Vergehen?
Zum Wiederaufbau und Ende der Sanktionen
Syrien muss wiederaufgebaut werden, denn Stabilität und Wohlstand sind die wichtigsten Bedingungen gegen Terrorismus und Gewalt. Wir müssen die Sanktionen zur Verbesserung der Lebensbedingungen der syrischen Bevölkerung aufheben, denn darunter leiden die Zivilisten. Sanktionen lassen nur die Zivilbevölkerung leiden, weil sie keine Medikamente oder ausreichende Nahrungsmittelversorgung bekommen, bewirken aber nichts an den "gewünschten Reaktionen". Es kann nicht sein, dass 70 Prozent der Bevölkerung unter den härtesten Sanktionen leiden müssen, während wir der Region Idlib humanitäre Unterstützung zukommen lassen.
Zur Türkei
Eine maßgebliche Ignoranz der türkischen Sicherheitsinteressen hat dazu beigetragen, dass die Türkei sich vom Westen abgewendet und das Nato-Bündnis u.a. in eine existentielle Krise gebracht hat. Nicht umsonst spricht der französische Präsident Emmanuel Macron vom Hirntod der NATO. Nur wegen der Ignoranz führt der türkische Präsident Erdogan eine harte innenpolitische „Sicherheitspolitik“, in der mögliche Gegner präventiv eingeschüchtert und angeklagt werden. Diese Ignoranz hat im Übrigen auch zur Wendung im Syrienkrieg beigetragen. Denn dieses Bündnis forderte immer weitere Tribute von Katar oder der Türkei – (ich kann nur sagen zum Glück) – und schwächte sich somit selbst, was letztlich die syrische Regierung gegen die "Rebellen" stärkte.
Ein kurdischer Staat ist mit der Türkei als NATO-Partner nicht zu haben. Aber die geopolitischen Interessen führen dazu, dass man sich der Kurden bedienen möchte, um in Syrien sowie im Iran, aber auch im Irak den schiitischen Einfluss zurückzudrängen. Dabei riskiert man sogar neue Instabilitäten oder eine Eskalation von Gewalt im Irak oder Libanon. Der US-Krieg, der zum Sturz von Saddam Hussein sowie zur Gründung des "IS" führte, haben die gesamte Region destabilisiert. Hinzu kommen die Bürgerkriegserfahrungen. Möchte man diese Politik fortfahren? Die Frage, ob die Türkei noch zum Westen zurückkehren soll, würde nur über die kurdische Frage mit einem eindeutigen Nein beantwortet werden können. Es war Lindsey Graham, der zum Verbleib von US-Kräften auf das Öl verwies und somit zeigte, dass nicht nur Trump die NATO infrage stellt, wenn diese US-Elite weiterhin an den Kurden und ihren geopolitischen Plänen festhalten möchten. Die Sicherheit der NATO-Partner wird dadurch nicht mehr gewährleistet. Offenbar delegiert Lindsey Graham (sowie der US-Eliten) diese Sicherheitslücke an eine EU-Armee und eigene Verteidigungsallianz, um sich anderen Regionen auf Kosten ihrer Mitglieder zuwenden zu können. Tatsächlich wäre eine solche NATO gehirntot.
Die Kurden in Syrien
Aus geopolitischen Interessen dienen die Kurden anderen Zielen. Sie sind Mittel zum Zweck gegen die gegnerischen Staaten Syrien und Iran, aber auch dem schiitischen Irak. Ihre Träume von einem sozialistischen Projekt stehen nicht im Interesse der USA, die auf dem amerikanischen Kontinent gegen jede sozialistische oder linke Regierung mit der Monroe-Doktrin vorgehen.
In Syrien handelt es sich um ca. 2 mio Kurden. Rund die Hälfte von ihnen lebten vor 2011 in Damaskus mit 600.000 und in Aleppo mit 500.000 Kurden. Sie haben in den Großstädten Bildung und Arbeit gesucht, da ihre ländliche Region arm ist und nicht viel bieten kann. In einem syrischen Staat haben sie langfristige Sicherheitsgarantien gegen die Türkei - als natürliche Verbündete. Alleine können sie sich in der Tat nicht gegen die Türkei behaupten. Das Verhältnis der Kurden zum syrischen Staat war nicht für alle immer gleich, man muss es in der Tat differenzieren. Aber das Verhältnis zum Staat war nicht komplett zerrüttet. Daher ist eine Annäherung möglich.
Zum Verfassungsprozess
Syrien kann nur als ein säkularer Staat überleben. Einen dezentralen Staat Syrien wird es nicht geben, da es das Land zerreißen und erneut Tür und Tor für äußere Einmischungen öffnen würde. Die Selbstverwaltungserfahrungen von Rojava könnten, sofern möglich, auf den gesamten Staat übertragen werden, wo man lokale Rechte und Partizipation stärken und Korruption durch Selbstverwaltungen verringern/vermeiden könnte. Dazu gehört auch eine Einbindung von Frauen in den Prozess, wo ihre Rechte gestärkt würden etc. Aber bei all den möglichen Veränderungen wird Syrien ein Zentralstaat bleiben, der die hoheitlichen Fragen gerade auch aufgrund der Einmischung von außen behalten muss, um nicht auseinander zu fallen und neue Spannungen in einem Vielvölkerstaat entstehen zu lassen. Für mich ist es immer unerklärlich, dass wir in der EU auf weniger Nationalismus und auf Supranationalität setzen, aber jeglichen politischen Separatismus in diversen Staaten unterstützen und damit Konflikte entfachen.
Wir brauchen eine aufrichtige und neutrale Unterstützung des Friedensprozesses in Genf und einen Verfassungsprozess, der primär durch die eigene Bevölkerung entwickelt oder verbessert werden sollte. Dazu gehört auch eine Beteiligung der Kurden, ohne ihnen aber die Sonderrechte zu gewähren, die andere nicht bekommen würden.
Syrien braucht Ruhe und Frieden, um eine neue gerechte Gesellschaft aufzubauen. Es braucht Versöhnung und Stärkung des Dialogs, eine Unterstützung der Traumatisierten und Invaliden. Es braucht keine bevormundende Einmischung. Gerade aus deutscher Sicht haben wir nicht das Recht so einen Prozess zu verhindern.
Es bleibt die Frage, wie man mit der Verletzung von Menschenrechten umgehen soll. Bisher hat jede Intervention unter dem Vorwand einer Resposibility to Protect nichts bewirkt, sondern die Lage derjenigen vor Ort verschlimmert. In Syrien, in Libyen oder Afghanistan ist es jedenfalls unbestreitbar. Dazu muss man den Teufelskreis des bisherigen Ansatzes erkennen: Je mehr sich der Westen oder Regionalkräfte in Syrien mit destabilisierenden Maßnahmen eingemischt haben, desto stärker musste sich Syrien nach innen behaupten, desto mehr Kontrollen und weniger politische Freiheiten hat es geben. Dieser Teufelskreis gilt auch für alle anderen Staaten in der Welt. Nur durch Bestandsgarantien und Sicherheiten wäre es möglich, dass ein Staat von repressiven Maßnahmen Abstand nimmt. Als Wertewesten haben wir oft genug eine doppelbödige Politik betrieben oder mit Staaten Beziehungen gepflegt, die Menschenrechte verletzen. Aber selbst, wenn wir die Verletzungen wie in Saudi-Arabien wahrnehmen, haben wir nichts daran ändern können oder wollen. Auch der Jemenkrieg wird kaum so stark diskutiert, wie der in Syrien. Deswegen soll man nicht über Vorfälle schweigen und nicht nichts tun. Aber dazu braucht es einer grundlegend anderen Herangehensweise. Statt die bisherigen Misserfolge einzugestehen, machen wir aber weiter, so als ob nichts wäre und wir mit dieser Politik die Opferzahlen erst eskalieren lassen. Um neue Lösungen zu finden und falsche Verhaltensmechanismen zu überwinden, braucht es auch ein Eingeständnis darüber, dass wir zur Verschärfung der Lage durch jene Formen von Einmischungen und Förderung von Destabilisierungen beigetragen haben. Im Völkerrecht haben wir ein wichtiges Prinzip der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten missachtet, weil wir glauben, dass wir es durch eine Responsibility to Protect besser machen würden. Dieses Denken hat sich als eine Illusion erwiesen.
Noch ein abschließender Gedanke zu den Vorschlägen von Kramp-Karrenbauer. Mit AKKs Aussagen, dass Deutschland nicht nur an Interventionen teilnehmen, sondern wir diese auch noch selbst aktiv anführen soll, sind wir politisch direkt im 19. Jahrhundert gelandet, wo ein Neoimperialismus zur Absicherung unserer Wirtschaftsinteressen, Handelsrouten und Ressourcen dienen soll. Mit diesem Vorschlag gehen wir nicht „zurück in die Zukunft“, sondern „vorwärts in die Vergangenheit“. Ein neuer Wilhelminismus wird durch die Präsenz von Bundeswehruniformen in der Bahn vorbereitet, dem sich auch Grüne, wie Cem Özdemir oder der verteidigungspolitische Sprecher der Grünen, Tobias Lindner, nicht entziehen. Aber auch ein neuer Darwinismus wird die Sozialpolitik zerstören und die zukünftigen Felder der Politik begründen, wie man bei Friedrich März erkennen kann. Stück für Stück wird er und die CDU an die Abschaffung sozialer Standards gehen. Die Grünen müssen sich von diesem Denken strikt abwenden und massiv entgegenstellen.
Die Grünen hat in den letzten Jahren das Denken geleitet, dass ein „Weg vom Öl“ unsere Abhängigkeiten und außenpolitischen sowie die ökologischen Probleme mindern würde. Aber auch das entpuppt sich als Illusion wie in den süd- und lateinamerikanischen Staaten bereits erkennbar wird: eine Energiewende wird nicht die damit erhoffte Unabhängigkeit bedeuten, denn ein „Weg vom Öl“ bedeutet ein „Hin zu alternativen Energien“, die andere Rohstoffe, wie Lithium benötigen. Wir stehen damit wieder am Anfang vor den neuen altbekannten Problemen, die wir aus dem Nahen Osten kennen. Nur dass es dann andere Staaten sein werden, deren Ressourcen wir ausbeuten und die wir politisch destabiliseren.
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Anmerkung: dieser Kommentar ist eine überarbeitete Version, die ich beim BuVo-Antrag gestern eingestellt hatte.
Barbara Romanowski:
Januar 2018 wurde auf der BDK HANNOVER schon ein Dringlichkeitsantrag gestellt ("Verschiedenes - EINMARSCH der TÜRKEI in Syrien ist völkerrechtswidrig – Rüstungsexporte an die Türkei umgehend stoppen").
Deshalb ist zudem für eine aussichtsreichere, eine tatsächlich zu erreichende Verbesserung der Situation der Menschen dort ebenfalls und vorrangig eine z i v i l e K o n f l i k t b e a r b e i t u n g zu fordern. Diese beinhaltet die Konfliktanalyse und - wichtig - erfolgreichere Methoden der Konfliktbewältigung, ist zukunfts- und prozessorientiert.
Die NATO, auch die deutsche Regierung, steht nach meiner Beobachtung eher für militärische Aktionen, die bislang nicht wirklich zu echten Verbesserungen in Syrien (Afganisthan?), d. h. Frieden und Gewaltfreiheit, führen, und die sogenannte Sicherheitspolitik der EU tendiert derzeit stark Richtung Militär und Aufrüstung. Oder sehe ich da etwas falsch? Welche Ziele sollen also mit den Methoden des Militärs w i r k l i c h erreicht werden?