Veranstaltung: | 45. Bundesdelegiertenkonferenz Karlsruhe |
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Tagesordnungspunkt: | GSP-L Lebensgrundlagen schützen |
Status: | Beschluss (vorläufig) |
Beschluss durch: | Bundesdeligiertenkonferenz |
Beschlossen am: | 20.11.2020 |
Eingereicht: | 21.11.2020, 21:13 |
Antragshistorie: | Version 1 |
Kapitel 1: Lebensgrundlagen schützen
Beschlusstext
Kapitel 1: Lebensgrundlagen schützen
Klima und Energie
(53) Nach dem fossilen Zeitalter beginnt das ökologische Zeitalter. War der Fortschritt der
Moderne bislang angetrieben von Kohle, Öl und Gas und verlagerte er seine sozialen und
ökologischen Kosten zu großen Teilen in andere Weltregionen und in die Zukunft, geht es beim
Fortschritt heute darum, die natürlichen Lebensgrundlagen zu bewahren sowie den
gegenwärtigen und kommenden Generationen weltweit ein Leben in Freiheit, Würde und Wohlstand
zu ermöglichen. Je entschiedener wir handeln, umso mehr Freiheiten und Alternativen haben
wir in den kommenden Jahrzehnten.
(54) Im ökologischen Zeitalter ist das Prinzip der Nachhaltigkeit leitend. Die natürlichen
Ressourcen dürfen demnach nur in dem Maße genutzt werden, wie sie sich auch wieder erneuern
können. Das gilt für Technologien, Wirtschaftsweisen, für den privaten Verbrauch und Konsum.
Konkret bedeutet das: Politische Entscheidungen müssen daran gemessen werden, ob ihre Folgen
mit der Einhaltung der planetaren Grenzen vereinbar sind.
(55) Wir leben in Zeiten der Klimakrise. Der Anstieg der Meeresspiegel bedroht das Leben an
den Küsten. Trockenheit und Wüstenbildung zerstören Lebensräume von Mensch und Tier.
Hitzesommer und Wetterextreme sorgen für extreme Schäden und nehmen lebensbedrohliche
Ausmaße an, insbesondere im globalen Süden. Immer mehr Menschen müssen ihr Zuhause
verlassen. Es ist Aufgabe der Menschheit, die Katastrophe so weit wie möglich zu verhindern.
(56) Zentrale Grundlage unserer Politik ist das Klimaabkommen von Paris sowie der Bericht
des
Weltklimarates zum 1,5-Grad-Limit, der verdeutlicht, dass jedes Zehntelgrad zählt, um das
Überschreiten von relevanten Kipppunkten im Klimasystem zu verhindern. Es ist daher
notwendig, auf den 1,5-Grad-Pfad zu kommen. Dafür ist unmittelbares und substanzielles
Handeln in den nächsten Jahren entscheidend. Mehr erneuerbare Energien zu nutzen, ist nicht
nur günstiger und nachhaltiger, sondern führt auch schneller zu europäischer
Klimaneutralität – die deutlich vor Mitte des Jahrhunderts erreicht werden muss.
(57) Maßstab erfolgreicher Klimapolitik ist der globale Budget-Ansatz. Er zeigt auf, wie
viele Treibhausgasemissionen insgesamt weltweit noch ausgestoßen werden dürfen, um das
Pariser Klimaabkommen einzuhalten. Industriestaaten wie Deutschland als historisch größte
Verursacher von Treibhausgasen haben eine besondere Verantwortung und müssen deshalb eine
Führungsrolle bei der Dekarbonisierung einnehmen. Jede zusätzliche von ihnen ausgestoßene
Tonne CO2 ist ein bei Ländern des globalen Südens und bei nachfolgenden Generationen
aufgenommener Kredit. Daraus folgt die Notwendigkeit, jeden Tag konkret zu handeln.
(58) Der Übergang zu 100 Prozent erneuerbaren Energien und der Ausstieg aus fossilem Gas, Öl
und Kohle sind die Schlüsselaufgaben des Klimaschutzes. Eine schnelle und konsequente
Dekarbonisierung modernisiert zugleich Wirtschaft und Industrie und sichert so
gesellschaftlichen Wohlstand und Arbeitsplätze. Um alle Wirtschaftsprozesse zu
dekarbonisieren, müssen die Erneuerbaren massiv ausgebaut werden sowie effizient und
wirtschaftlich zwischen den Sektoren Strom, Wärme, Verkehr, Industrie und Landwirtschaft
über
Netze, Speicher und erneuerbare Energieträger gekoppelt werden.
(59) Der Einsatz moderner Technologien ermöglicht Klimaneutralität. Die Aufgabe von Politik
ist es daher, den Einfallsreichtum der Menschen zu aktivieren, um geeignete Technologien zu
entwickeln und clever zu nutzen. Technologische Lösungen müssen immer dem Vorsorgeprinzip
folgen und Maßgaben zur Rückholbarkeit unterliegen, denn großtechnische Eingriffe in das
Klimasystem bergen unkalkulierbare Risiken. Bei der Abwägung
von Nutzen und Schäden müssen also die mögliche Umkehrbarkeit sowie die Eingriffstiefe
berücksichtigt werden. Technologien werden grundlegende Veränderungen und schnelles Handeln
nicht ersetzen, sondern nur ergänzen können. Ebenso sind Negativemissionen kein Ersatz für
Emissionsreduktionen.
(60) Die Digitalisierung kann einen Beitrag für den Klimaschutz leisten. Über moderne
Technik und Preissignale ermöglicht sie es,
eine schwankende erneuerbare Produktion eng mit dem Verbrauch zu verzahnen. Das Potential
der Digitalisierung für Ressourceneffizienz und
sparsamen Energieverbrauch soll bestmöglich gefördert werden. Die Digitalisierung selbst
muss mit Maßnahmen flankiert werden, die den Ressourcenverbrauch begrenzen, Rebound-Effekte
vermeiden und Suffizienz unterstützen. Maßstab sind die planetaren Grenzen.
(61) Eine dezentrale Versorgung mit erneuerbaren Energien in vielfältiger Besitzstruktur ist
krisenfester als ein Energiesystem, das auf zentralen Großkraftwerken beruht. Gleichzeitig
lässt sich die lokale und regionale Versorgung durch erneuerbare Energien mittels einer
europaweiten Vernetzung optimieren. Die europäische Energieunion soll die Stärken der
vielfältigen erneuerbaren Energien miteinander verbinden. Dabei können Solarenergie und
Onshore-Windkraft in ganz Europa genutzt werden, Geothermie und Wasserkraft zum Beispiel in
Skandinavien und den Alpen, Offshore-Windkraft im Atlantik, im Mittelmeer und in Nord- und
Ostsee. Dies gelingt, wenn entscheidende Akteur*innen, wie Bürger*innen, Kommunen, aber auch
regionale Unternehmen und das Handwerk aktiv zur Energiewende beitragen – zugleich können
sie dadurch
einen unmittelbaren Nutzen haben.
(62) Bei Infrastrukturen wie Strom- und Gasleitungen, die natürliche Monopole
darstellen, hat die öffentliche Hand eine besondere Verantwortung. Entsprechend soll ihr
Anteil bei künftigen Investitionen erhöht werden.
(63) Es braucht eine vorausschauende Energieaußenpolitik auch über Europa hinaus. Sie hilft
weltweit bei der Dekarbonisierung, plant und organisiert den Übergang zu neuen Energie- und
Handelsflüssen und sichert noch notwendige Energieimporte. Zusätzlich hilft eine
Energieaußenpolitik auf Augenhöhe mit den Partnerländern beim Aufbau der entsprechenden
Strukturen für deren eigene Energiewende und anschließend für den Export. Sie stellt
außerdem sicher, dass die importierte Energie nachhaltig und unter sozial gerechten
Bedingungen
erzeugt wurde.
(64) Um die Klimakrise zu bewältigen, ist es weder notwendig noch vertretbar, zur Atomkraft
zurückzukehren. Diese Hochrisikotechnologie ist vielmehr eine weltweite existenzielle
Bedrohung für Natur, Mensch und Tier. Daher sind alle Anlagen stillzulegen, die einer
weiteren Nutzung der Atomkraft im In- und Ausland dienen oder das Material zu einem
möglichen Bau von Atombomben produzieren. Statt der Privilegierung der Atomkraft im Euratom-
Vertrag sollten erneuerbare Energien gefördert werden. Eine mögliche Energiegewinnung aus
Kernfusion kommt zu spät, um in den nächsten Dekaden einen wesentlichen Beitrag zur Lösung
der Klimakrise leisten zu können.
(65) Jetzt stellt sich die Aufgabe, einen Standort für ein Endlager für den hochradioaktiven
Atommüll mit höchstmöglichen Sicherheitsstandards und bei bestmöglichen geologischen
Bedingungen zu finden. Bei der Suche auf Basis von wissenschaftlichen Kriterien und mit
größtmöglicher Transparenz und Beteiligung der Bevölkerung, ist die gesamtgesellschaftliche
Verantwortung vor Eigeninteressen zu stellen. Ebenso müssen die Zwischenlager die höchsten
erreichbaren Sicherheitsstandards erfüllen.
Umwelt, Naturschutz und Landwirtschaft
(66) Der Verlust an Biodiversität ist so dramatisch wie die Klimakrise. Schlimmer noch: Die
beiden Krisen bedingen sich gegenseitig und können daher auch nur gemeinsam gelöst werden.
Die Roten Listen und die planetaren Grenzen müssen als „Barometer des Lebens“ zum Gradmesser
für politische Handlungsleitlinien werden, denn die biologische Vielfalt sichert das Leben
auf dem Planeten. Ökologischer Landbau, die Ökologisierung der konventionellen
Landwirtschaft, flächensparendes Planen und Bauen, der Erhalt wertvoller Lebensräume, mehr
Schutzgebiete und Biotope sowie mehr Wildnis und freie Natur an Land, in
Flüssen, Seen und Meeren sind als wirksamer Schutz für Artenvielfalt und Umwelt zu
betreiben und zu fördern. Insbesondere die Weltmeere sind durch Versauerung, Überhitzung und
Überfischung massiv bedroht. Als größte Sauerstoffproduzenten müssen sie durch wirksame
Meeresschutzgebiete, umweltgerechte Land- und Fischereiwirtschaft geschützt werden.
(67) Das Vordringen des Menschen in die letzten, noch nicht zerstörten natürlichen Gebiete
und die grenzenlose Aneignung von Umwelt und Tierwelt zum Verbrauch oder Verzehr gefährden
nicht nur die Natur, sondern auch die menschliche Gesundheit. Sogenannte zoonotische
Krankheiten können fatale gesellschaftliche Folgen haben. Der Schutz von Ökosystemen trägt
auch dazu bei, Seuchen und Pandemien zu verhindern. Bei Eingriffen in die Natur müssen
nicht-verantwortbare Risiken, wie die Ausrottung ganzer Populationen oder Arten durch
gentechnische Methoden, ausgeschlossen werden.
(68) Damit Wälder, Moore und Auen ihren unverzichtbaren Beitrag zur Sicherung der
Biodiversität, zur Grundwasserneubildung und zur Reduktion des CO2-Ausstoßes leisten können,
müssen Wiederbewaldung und Waldumbau - weg von Monokulturen und hin zu naturnahen,
klimaresilienten Mischwäldern - nach ökologischen Kriterien beschleunigt werden. Zugleich
ist es dringend nötig, die Trockenlegung von Mooren zu stoppen, ihre Wiedervernässung und
die Auenrenaturierung zu fördern. Denn Naturschutz ist Klimaschutz.
(69) Artenschutz erfordert den Schutz von Lebensräumen und mehr Wissen. Ziel ist der Auf-
und Ausbau eines vernetzten Verbundes von Schutzflächen sowie eine naturgerechte Land- und
Waldwirtschaft. Das Vollzugsdefizit im Natur-, Umwelt- und Klimaschutz gehört beendet. Die
Forschung über die verschiedenen Arten, ihre Bestandssichtung und ihr Zusammenspiel im
Ökosystem soll gefördert und digital unterstützt werden, denn geschätzt sind heute weniger
als ein Viertel aller Arten bekannt. Intensivierte Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit
erhöht das Bewusstsein für die Bedeutung des Artenschutzes und den respektvollen Umgang mit
der Natur. Zum Schutz von Arten gehört es auch, den kommerziellen Wildtierhandel und die
Trophäenjagd effektiv zu unterbinden.
(70) Ein Ende der Verschmutzung der Erde mit Luft- und Wasserschadstoffen, Plastik, Müll,
giftigen Chemikalien und Pestiziden ist essenziell für Umwelt-, Gesundheits- und
Klimaschutz. Leitlinien für die Regulierung von Umweltverschmutzungen sind das Vorsorge- und
das Verursacherprinzip. Abfall darf nicht in andere Länder ohne strenge und
kontrollierbare Umweltschutzauflagen ausgelagert werden. Schadstoffe sollen nicht Teil von
Produkten und Produktionsverfahren sein, da sich ihre Umweltauswirkungen nachträglich in der
Regel nur unvollständig und zu hohen Kosten begrenzen lassen. Vorrang hat daher der Ersatz
umweltschädlicher durch umweltverträgliche Produkte und Produktionsverfahren mittels
entsprechender Gebote, starker Anreize und gesetzlicher Regelungen.
(71) Um den Raubbau an der Natur zu beenden, muss der absolute Verbrauch von natürlichen
Ressourcen substanziell und rasch reduziert werden. Dies gilt auch für Ressourcen, die
importiert werden. Die Achtung der planetaren Grenzen bedeutet, dass Wohlstand und
Lebensqualität so weit wie möglich vom Ressourcenverbrauch entkoppelt und Ressourcen in eine
vollständige Kreislaufwirtschaft überführt werden.
(72) Eine zukunftsfähige Landwirtschaft arbeitet mit der Natur. Die wachsende Abhängigkeit
von Weltmärkten mit engen, schuldengetriebenen Produktionszwängen und wenigen Großkonzernen,
von Pestiziden und Saatgutpatenten gehört beendet. Es darf keine Patente auf Pflanzen und
Tiere sowie deren genetische Anlagen geben. Die Zukunft gehört einer klimafreundlichen,
kreislauforientierten und regional verwurzelten Landwirtschaft, die altes Erfahrungswissen
mit modernen agrarökologischen Anbaumethoden, digitalen Anwendungen und nachhaltigem
Wassermanagement kombiniert. Diese vielfältige Landwirtschaft produziert nicht für Märkte,
sondern für Menschen, die ein Recht auf sichere, gesunde und nachhaltige Lebensmittel haben.
Sie arbeitet ressourcenschonend, naturverträglich und orientiert sich am Leitbild der
ökologischen Landwirtschaft mit ihren Prinzipien Tiergerechtigkeit, Gentechnikfreiheit und
Freiheit von synthetischen Pestiziden. Eine solche Landwirtschaft steht für den Erhalt einer
vielfältigen Kulturlandschaft und die Vielfalt von Anbausystemen, Nutztierrassen und
Pflanzensorten. Die Weidetierhaltung verdient dabei eine besondere Förderung, da sie das
ökologisch wertvolle Grünland erhält und sinnvoll nutzt. Der notwendige Wandel hin zur
zukunftsfähigen Landwirtschaft gelingt nur zusammen mit den Bäuerinnen und Bauern.
(73) Jeder Mensch hat das Recht auf bezahlbare, gesunde und ausreichende Nahrung. Es muss
dafür Sorge getragen werden, dass Klima und Umwelt bei der Lebensmittelherstellung geschont
werden, gesunde Lebensmittel produziert und damit insbesondere Kinder vor
ernährungsbedingten Krankheiten geschützt werden. Zugleich müssen faire Arbeits- und
transparente Produktionsbedingungen in der Lieferkette herrschen.
(74) Die Sicherung und Versorgung mit Nahrungsmitteln ist ein hohes Gut. Der Landwirtschaft
gebührt Anerkennung, dass sie dies gewährleistet. Im Sinne der globalen
Ernährungssouveränität gilt es, bäuerliche Strukturen zu stärken, Landgrabbing und
Bodenspekulation durch Großinvestoren - in Ländern des globalen Südens wie auch bei uns - zu
unterbinden sowie regionale Wertschöpfungsketten und solidarische Systeme zu fördern.
Die Exportorientierung der Landwirtschaft zulasten anderer Regionen muss abgebaut
werden. Ziel ist, dass Bäuer*innen einen Ausweg aus dem System des „Wachse oder Weiche“
erhalten. Dazu gehört auch, dass sie für ihre vielfältigen Gemeinwohlleistungen gezielt
entlohnt werden.
Tierschutz
(75) Tiere sind fühlende Lebewesen, sie haben Rechte und dürfen nicht zu Rohstofflieferanten
oder Unterhaltungsobjekten degradiert werden. Wo immer ihr Wohlergehen aufgrund menschlichen
Handelns in Gefahr ist, muss es geschützt werden. Jede Tierhaltung ist an ihren umfassenden
Bedürfnissen auszurichten, denn auch Tieren steht ein gutes und gesundes Leben zu. Dafür
müssen die entsprechenden politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden.
Anerkannte Tierschutzorganisationen benötigen als Anwälte der Tierrechte mehr Kompetenzen
und mehr Unterstützung.
(76) Solange wir Menschen Tiere halten, um sie zu töten und zu essen, müssen wir ihnen
ein würdevolles Leben frei von Schmerzen, Angst und Stress ermöglichen - ohne
tierquälerische Zucht-, Haltungs-, Transport- und Schlachtmethoden. Eine zukunftsfähige
Landwirtschaft hat diese Ziele fest in sich verankert. Das bedeutet auch, dass künftig immer
weniger Tiere gehalten werden und entsprechend weniger Fleisch konsumiert und exportiert
wird. Das ist zugleich essenziell für den Schutz von Klima, Umwelt und Biodiversität und
einen fairen Handel mit den Ländern des globalen Südens. Auch durch eine neue
Ernährungspolitik und die gezielte Förderung pflanzlicher Alternativen sinkt der Konsum von
tierischen Produkten. Tierversuche sollen nach einem Ausstiegsplan konsequent reduziert und
durch innovative Forschungsmethoden ohne Tiere ersetzt werden.
Mobilität
(77) Jeder Mensch hat das Recht auf Mobilität. Sie ermöglicht Freiheit und Teilhabe und ist
Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge. Sie muss sich an den menschlichen Bedürfnissen
orientieren, vollständig barrierefrei gestaltet sein und zugleich die planetaren Grenzen
wahren. Eine sozial-ökologische Politik schafft die Mobilitätswende und garantiert allen
Menschen nachhaltige Mobilität. Sie sorgt für bessere Luft, weniger Verkehrslärm und stärkt
die Sicherheit. Ziel ist ein Straßenverkehr, in dem keine Menschen mehr sterben. Dazu
braucht es strenge Geschwindigkeitsbegrenzungen, auch auf Autobahnen.
(78) Die öffentliche Förderung der einzelnen Verkehrsmittel ist in Zukunft am ökologischen
Fußabdruck auszurichten. Zugleich müssen die einzelnen Verkehrsträger für ihre jeweiligen
Umweltkosten aufkommen. Statt immer neue Straßen und Autobahnen braucht das Land eine
moderne und flächendeckende Infrastruktur für Schienen- und öffentlichen Nahverkehr. Das
heißt auch, dass vorhandene Straßeninfrastruktur neu und vernetzt genutzt werden kann.
Attraktive Angebote führen zu einer Verkehrsverlagerung. Es gilt das Prinzip: Schiene,
Radfahren und Zufußgehen stärken, Straßen- und Luftverkehr dekarbonisieren.
(79) Die Mobilität im ökologischen Zeitalter ist vernetzt und digital. Die Verkehrsträger
kombinieren ihre Angebote und Verbindungen - ermöglicht von allen Anbietern und auf
Grundlage transparenter Programmierungen und Informationen. Der öffentliche Nahverkehr wird
immer stärker öffentlich finanziert, sodass seine Nutzung für alle über niedrige
Pauschaltarife bis hin zu Kostenlosangeboten gewährleistet ist. Gleichzeitig muss das
Angebot verbessert werden. Verschiedene Mobilitätsformen greifen so nahtlos ineinander und
ermöglichen individuelle Mobilität, auch für Menschen mit einer Behinderung oder
mobilitätseingeschränkte Menschen. Home-Office, Videokonferenzen und flexibles Arbeiten
tragen zusätzlich zur Verkehrsvermeidung bei.
(80) In ländlichen Räumen ist die Mobilitätswende am anspruchsvollsten, denn viele Menschen
sind dort auf das Auto angewiesen. Deshalb braucht es gerade hier einen verlässlichen Takt
bei der
ÖPNV-Anbindung. Da, wo weiterhin ein Auto gebraucht wird, wird es künftig emissionsfrei und
digital vernetzt sein. Regionale Wirtschaft zu stärken und Menschen bezahlbaren Wohnraum in
der Nähe ihres Jobs zu bieten, vermeidet unnötige Wege, Gütertransporte und Pendelwege.
(81) Der Raum in den Städten wird Stück für Stück neu aufgeteilt. Sichere und
barrierefreie Infrastruktur für Fußgänger*innen, Radfahrende und Menschen mit
Behinderung sowie ein attraktiver, für alle erschwinglicher und verlässlicher Nahverkehr
bilden das Rückgrat einer sozial-ökologischen Mobilität. Insgesamt wird es deutlich weniger
Autos und weniger unnötigen Verkehr geben, die Autozentrierung von Verkehrspolitik,
Stadtplanung und Gesellschaft gehört der Vergangenheit an. Fahrräder und E-Bikes können
Autoverkehr ersetzen und unsere Städte und Dörfer lebenswerter, sicherer und mobiler machen
- Radwege und Ladestationen vorausgesetzt. In den Städten gehört die Zukunft der autofreien
Innenstadt.
(82) Die Verkehrswende in der Stadt und auf dem Land gelingt nur mit einer starken und
zuverlässigen Bahn. Das erfordert einen Aus- und Umbau des Nah- und Fernverkehrs, eine
getrennte Bewirtschaftung von Infrastruktur und Betrieb und eine erhebliche
Angebotsausweitung. Dazu gehören die Anbindung an Regionalzentren auch über
Verwaltungsgrenzen und nationale Grenzen hinweg sowie der Ausbau und die Elektrifizierung
des Schienennetzes, damit alle größeren Städte angebunden sind.
Stillgelegte Bahnstrecken sollen reaktiviert werden. Die europäischen Großstädte sind durch
schnelle transnationale Bahnverbindungen, ein komfortables Nachtzugangebot und ein
einheitliches europäisches Buchungssystem zu vernetzen. Das sind wesentliche Voraussetzungen
dafür, dass Kurzstreckenflüge sowie viele Regionalflughäfen überflüssig werden und der
Flugverkehr – wie klimapolitisch notwendig – merklich zurückgeht.
(83) Auch der Güterverkehr muss klimaneutral und schadstofffrei werden. Für diese
Aufgabe müssen alle Möglichkeiten genutzt werden, insbesondere die Verlagerung von Straße
und Flugzeug auf Bahn und emissionsfreie Schiffe sowie der Umstieg auf alternative
Antriebssysteme, der Bau und Ausbau von Oberleitungen auf Straße und Schiene und die
Förderung des kombinierten Güterverkehrs Straße-Schiene. Es gilt, durch dezentrale
Verteilkonzepte die Städte möglichst frei von Lkw zu bekommen.
Wohnen
(84) Jeder Mensch hat das Recht auf Wohnen. Nur wer ein gesichertes Zuhause hat, kann
Freiheit und Teilhabe erleben. Allen dieses Recht zu ermöglichen, ist Teil der öffentlichen
Daseinsvorsorge. Eine sozial-ökologische Wohnungspolitik garantiert jedem Menschen ein
würdiges Zuhause innerhalb der planetaren Grenzen.
(85) Im urbanen Raum zeigen sich die Herausforderungen für die ökologische Gesellschaft wie
unter einem Brennglas. Das überholte Leitbild der autogerechten Stadt kostet Lebensqualität
und macht krank. Mehr Wohnraum und mehr Platz für Grün und Stadtnatur, städtisches Leben,
Freizeit, Begegnungen und Erholung schaffen lebenswerte Städte mit kurzen Wegen, in denen
die Menschen gerne wohnen und arbeiten. Das Stadtklima wird verbessert, die
Bodenversiegelung minimiert und das Recht auf saubere Luft sichergestellt.
(86) Die lebenswerte Stadt der Zukunft ist eine Null-Emissionen-Stadt. Dies gelingt, wenn
erneuerbare Energien, saubere Mobilität und klimaneutrales Heizen verbunden werden. Dazu
gehören Plus-Energiehäuser, Gebäude, die Solarenergie ernten, begrünte Fassaden und Dächer
sowie Gebäude, die mit kreislauffähigen, ökologischen Baustoffen errichtet, modernisiert und
gedämmt werden und die vielfältigen erneuerbaren Wärmequellen gemeinsam nutzen. So tragen
die Quartiere der Zukunft aktiv zur klimafreundlichen Stadt bei.
(87) Der gesamte Gebäudebestand soll CO2-neutral geheizt, gekühlt, belüftet und beleuchtet
werden. Klimagerechte Energiestandards für Neu- und Altbauten, die den gesamten Lebenszyklus
der Gebäude und Baumaterialien berücksichtigen, sowie Wärme- und Kühlsysteme, die auf
erneuerbaren Energien basieren, geben den Weg dahin vor. Zugleich müssen die Städte durch
klimagerechte Planung, mehr Grün und ein ausgeklügeltes Wassermanagement widerstandsfähig
gegen Hitze, Dürre, Stürme und Starkregen gestaltet werden. Klimagerechtigkeit bedeutet
auch, dass energieeffizientes Wohnen für alle erschwinglich und barrierefrei zur Verfügung
steht.
(88) Es braucht eine Bauwende, damit das Bauwesen weg kommt vom hohen Rohstoff- und
Energieverbrauch und Flächen sparsam einsetzt. Nachwachsende und recycelte Baustoffe sind
Grundlage einer Kreislaufwirtschaft. Gebäude werden in Zukunft aus gesunden und
klimaneutralen Baustoffen errichtet, instandgesetzt und modernisiert. Die Umnutzung von
Bestandsgebäuden sowie die nachhaltige Stadtentwicklung und Gebäudeplanung stellen die
Menschen mit ihren Bedürfnissen in den Mittelpunkt und sichern so das Erreichen der
verbindlich vereinbarten Nachhaltigkeits- und Klimaziele.
Soziales und Ökologie
(89) Der Übergang in das ökologische Zeitalter muss mit einem gestärkten sozialen
Zusammenhalt und mehr Gemeinwohlorientierung einhergehen. Bei allen Maßnahmen des Übergangs
gilt es, auf den sozialen Ausgleich zu achten, zum Beispiel in Form finanzieller
Kompensationen. Je schneller und verlässlicher der notwendige Umbau weg von den fossilen
Energien angegangen wird, umso besser können abrupte Brüche vermieden werden.
(90) Es muss sichergestellt werden, dass alle Menschen Zugang zu essenziellen Gütern der
Daseinsvorsorge wie Wohnen, Wasser, Strom, gesunder Ernährung, Mobilität und
Breitbandanschluss haben. Deshalb müssen sozialstaatliche Garantien immer mit Blick auf
Preisänderungen angepasst werden. Und es braucht eine
Daseinsvorsorge, die es den Menschen ermöglicht, klimaneutral zu leben. Investitionen in
eine solche Daseinsvorsorge tragen zu sozialer Gerechtigkeit und Klimaschutz bei.
(91) Die vor uns liegende sozial-ökologische Transformation bietet viele Chancen für neue
Arbeitsplätze. Zugleich bedeutet der Übergang massive Veränderungen für diejenigen, die
bisher in von fossilen Energieträgern geprägten Industrien arbeiten. Es braucht eine
vorausschauende Industriepolitik, um möglichst viele Arbeitsplätze über den Wandel hin zu
grünen Technologien und Produkten zu erhalten und neue zu schaffen. Gleichzeitig ist es
Aufgabe der Gesellschaft, den betroffenen Menschen Beteiligung an den
Transformationsprozessen sowie eine Perspektive auf gute Beschäftigung und umfassende
Möglichkeiten zu beständiger Fort- und Weiterbildung zu eröffnen.
(92) Subventionen in umwelt- und klimaschädliche Produktionsweisen und Produkte untergraben
den ökologischen Umbau von Wirtschaft und Industrie. Es gilt daher, diese zu beenden und das
Geld stattdessen zukunftsfähig einzusetzen.
(93) Eine Politik, welche die ökologischen Kosten der Produktion in den Preisen abbildet,
ist ökonomisch effizient, sie kann aber auch zu sozialen Schieflagen führen. Deswegen gilt
es, Preispolitik - auch einen anzustrebenden transnationalen CO2-Preis - immer mit Maßnahmen
zu kombinieren, die zu mehr Verteilungsgerechtigkeit führen. Indem die Einnahmen aus
ökologisch lenkenden Instrumenten an die Bürger*innen zurückfließen, werden Umweltschutz,
Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit miteinander verbunden.
(94) Die Kosten des Übergangs sollen gerecht und solidarisch getragen werden. Dem Staat
kommt hier eine relevante Aufgabe zu. Den Weg zu einer klimagerechten Gesellschaft nicht zu
gehen, würde noch wesentlich mehr kosten.
(95) Kapitalströme müssen in nachhaltige Aktivitäten umgelenkt werden. Im Rahmen von
Divestment wird auf den Finanzmärkten nicht mehr in Kohle, Öl und Gas investiert, sondern in
erneuerbare Energie, emissionsfreie Mobilität, Gesundheit und grüne IT. Der Staat und die
öffentliche Hand müssen hierbei vorangehen, indem sie Transparenz gewährleisten und ihre
Anlagestrategien an den Pariser Klimazielen und an sozial-ethischen Kriterien orientieren.
(96) Die gesellschaftliche Transformation hin zu Klima- und sozialer Gerechtigkeit braucht
Pionier*innen. Menschen, die es anders machen wollen, die in ihrem gemeinwohlorientierten,
unternehmerischen oder in ihrem privaten Handeln neue Maßstäbe setzen. Sie gilt es zu
unterstützen, statt ihnen Steine in den Weg zu legen.
(97) Es ist Aufgabe der Politik, bessere Regeln zu schaffen, nicht den besseren Menschen.
Sinnvolle Umweltpolitik begnügt sich nicht mit Appellen, sondern setzt klare Regeln und
vollzieht diese. Sie fördert neue Technologien und investiert in neue Infrastrukturen.
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