Veranstaltung: | 45. Bundesdelegiertenkonferenz Karlsruhe |
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Tagesordnungspunkt: | GSP-I International zusammenarbeiten |
Status: | Beschluss (vorläufig) |
Beschluss durch: | Bundesdeligiertenkonferenz |
Beschlossen am: | 21.11.2020 |
Eingereicht: | 22.11.2020, 13:09 |
Antragshistorie: | Version 1 |
Kapitel 8: International zusammenarbeiten
Beschlusstext
Kapitel 8: International zusammenarbeiten
Frieden und internationale Ordnung
(327) Die großen politischen Herausforderungen unserer Zeit lassen sich nur global lösen.
Nachhaltige Politik bedarf vorausschauenden Handelns in internationaler Kooperation.
(328) Eine an Frieden, Freiheit, Solidarität, Gewaltfreiheit, Menschenrechten und globaler
Gerechtigkeit orientierte Politik braucht Bündnisse all derer, die an den Wert von
Kooperation und die Stärke des Rechts in den internationalen Beziehungen glauben – gerade
weil offene Gesellschaften und freiheitliche Demokratien immer stärker auch im globalen
Systemwettbewerb mit autoritären Staaten und Diktaturen stehen. Deutschland und Europa
müssen sich selbstbewusst dieser Auseinandersetzung stellen. Multilaterale Zusammenarbeit in
den internationalen Organisationen bleibt die beste Form, globale Politik zu gestalten.
(329) Es braucht eine internationale Ordnung, die auf der gerechten Verteilung globaler
Ressourcen und auf verbindlichen Regeln fußt, die die Rechte von Einzelnen und von
Kollektiven schützt, Konflikte verhindert oder gewaltfrei und zum Wohle der Allgemeinheit
löst.
(330) Eine friedliche und gerechte Weltordnung erfordert starke Vereinte Nationen mit dem
Ziel einer Weltinnenpolitik. Sie sind das zentrale Forum, um völkerrechtliche Normen zu
entwickeln und sich auf weltgemeinschaftliche Ziele zu verständigen. Sie haben wichtige
Institutionen und Verfahren für die Vorbeugung, Beilegung und Nachsorge von Gewaltkonflikten
entwickelt. Die Vereinten Nationen wie auch Regionalorganisationen müssen deshalb gestärkt
werden.
(331) Die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ist unsere Brücke in die
Zivilgesellschaften der Welt. Das Netzwerk ihrer Akteur*innen schafft sichere
Begegnungsräume für den kulturellen Austausch, Zugang zu Bildung und Wissen und übernimmt
Verantwortung auch aus unserer Geschichte heraus. Sie ist wertegeleitete Außenpolitik auf
individueller Ebene, die Frieden und Entwicklung, internationale Kooperation und Solidarität
in den Mittelpunkt stellt.
(332) Zur Bearbeitung globaler Herausforderungen braucht es die Europäische Union als
Friedensmacht, die sich ihrer Verantwortung in der Welt, besonders im Rahmen der Vereinten
Nationen, bewusst ist und zum Prinzip der internationalen Kooperation steht. Dieser
Verantwortung kann die EU nur gerecht werden, wenn sie nationale Spaltungen überwindet und
gemeinsam handelt. Die Antwort auf die aktuellen globalen Herausforderungen ist eine stetige
Vertiefung und Weiterentwicklung der EU, perspektivisch hin zu einer Föderalen Europäischen
Republik.
Europäische Union
(333) Die Europäische Union ist die Antwort Europas auf zwei Weltkriege und den Holocaust.
Sie ist Anker für Multilateralismus, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und demokratische
Souveränität in einer globalisierten Welt. Es gilt, das Versprechen der Europäischen Union
auf eine wertebasierte Politik nach innen und außen einzulösen. Bei Krisen gerät das Projekt
EU immer wieder unter Druck, die Nationalstaaten agieren ohne Absprachen und oft
unsolidarisch. Gerade in Krisen aber zeigt sich, dass die EU als Gemeinschaft stärker ist
als jedes Land für sich allein und dass die Europäische Union mehr ist als ein Binnenmarkt.
Sie muss weiterhin als politisches Projekt fortentwickelt werden, welches Krisen kooperativ
und solidarisch bewältigt.
(334) Es ist zentrale Verantwortung der EU-Mitgliedstaaten, die Gräben in der Europäischen
Union nicht durch nationale Egoismen zu vergrößern. Es ist ihre Verantwortung, die
Handlungsfähigkeit der EU nach innen und außen zu verbessern.
(335) Die Europäische Grundrechtecharta, freie Binnengrenzen und europäische Freizügigkeit
sind Meilensteine der europäischen Einigung, hinter die wir nicht zurückfallen dürfen. Sie
müssen für alle Menschen in der EU gelten. Wenn nationale Regierungen Minderheitenrechte
bedrohen und Freiheiten abbauen, ist die intensive Zuammenarbeit mit der Zivilgesellschaft
und pro-europäischen Kräften vor Ort umso wichtiger.
(336) Auf Grundlage der gemeinsamen Werte braucht es ein gemeinsames strategisches
Bewusstsein und Handeln der EU, das sich durch die verschiedenen Politikbereiche zieht.
Indem die EU mehr Souveränität und strategische Handlungsfähigkeit aufbaut, kann sie auch
global Demokratie schützen und den Klimaschutz voranbringen sowie in der Wirtschafts- und
Finanzpolitik an Menschenrechten und Gemeinwohl orientierte Standards setzen. Das schafft
gemeinsame Gestaltungskraft und -macht in einer vernetzten Welt.
(337) Mit dem größten Binnenmarkt der Welt hat die EU wirtschaftlich einen großen Einfluss.
Daraus erwächst die Verantwortung, Globalisierung sinnvoll zu gestalten und an
Menschenrechten, Gemeinwohl und Nachhaltigkeit orientiert zu regulieren, um Krisen zu
verhindern statt sie zu verstärken . Wer ökologisch, sozial, transparent und
menschenrechtskonform produziert, soll davon einen Vorteil haben. Wer das Gegenteil tut,
soll negative Konsequenzen spüren.
(338) Damit Herausforderungen nicht nur durch die eigene nationalstaatliche Brille
betrachtet werden und um gegenseitiges Verständnis zu stärken, braucht es einen gesamt-
europäischen Diskurs in der europäischen Öffentlichkeit sowie eine europäische
Zivilgesellschaft. Dafür sind nichtkommerzielle und europäisch geförderte Kommunikations-
und Begegnungsräume für alle Europäer*innen notwendig – digital, über die klassischen Medien
und im direkten Austausch miteinander –, ebenso wie gemeinsame Organisationsformen wie
europäische Vereine und gemeinnützige Organisationen.
(339) Nicht alle EU-Staaten wollen immer dasselbe zur selben Zeit und die fehlende Einigung
der EU-Staaten oder die Blockadehaltung einzelner Staaten dürfen nicht zur Ausrede für
kollektives Nichthandeln werden. Deshalb können Mitgliedstaaten im Rahmen verstärkter
Zusammenarbeit nächste Schritte eher gehen als andere und in bestimmten Bereichen gemeinsam
vorangehen. Dabei ist immer sicherzustellen, dass das Projekt der Europäischen Union als
Ganzes nicht gefährdet wird und dass alle Mitgliedstaaten sich jederzeit anschließen können.
So kann es in einem Bündnis der europäischen Demokratien auch gegen die nationalistischen
Kräfte und Regierungen in Europa gelingen, das europäische Einigungswerk fortzusetzen sowie
Rechtsstaatlichkeit und Demokratie zu stärken.
(340) Die EU muss weltpolitikfähig werden, um im Sinne universeller Werte und daraus
abgeleiteter Interessen die Regeln und Realitäten des internationalen Umfelds mitgestalten.
Eine geeinte Europäische Union kann in der globalisierten Welt als Akteurin wirkmächtig
handeln und demokratische und nachhaltig orientierte Gestaltungskraft entfalten. Die
Grundlage dafür bilden die Menschenrechte und die globalen Nachhaltigkeitsziele.
(341) Die EU muss ihre Soft Power nutzen, um die internationale Politik entscheidend
mitzugestalten. Dabei gilt es, nationale Interessen im Lichte des europäischen Gemeinwohls
und der Handlungsfähigkeit der EU zu definieren und die Leitlinien der Mitgliedstaaten in
einer gemeinsamen außenpolitischen Strategie zu bündeln. Das Prinzip der Einstimmigkeit soll
durch Mehrheitsentscheidungen ersetzt werden, um die gemeinsame Außen- und
Sicherheitspolitik der EU (GASP/GSVP) zu stärken und so handlungsfähiger zu werden.
(342) Das Friedensprojekt Europa ist mehr als die EU. Daraus erwachsen Verpflichtungen im
Erweiterungsprozess und in der Nachbarschaftspolitik. Die EU steht in der politischen
Verantwortung, das Vertrauen in das Beitrittsversprechen nicht zu enttäuschen und
gleichzeitig den notwendigen Reformprozess in den Beitrittsländern mitzugestalten.
Partnerschaften, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Solidarität mit den Regionen in der
Nachbarschaft der EU tragen zu Stabilität und Sicherheit bei. Die Östliche Partnerschaft der
EU ist eine wichtige Säule, die auf demokratischer Solidarität und der selbstbestimmten
Entwicklung der osteuropäischen Nachbarn basiert. Auch die Kooperationen mit Staaten in
Nordafrika und dem Nahen Osten können Demokratisierung, Durchsetzung von Menschenrechten und
wirtschaftliche Entwicklung stärken. Unter dieser Prämisse sollen sie ausgebaut werden. Die
gemeinsamen europäischen Institutionen wie OSZE oder Europarat sind im Zusammenspiel mit
einer starken Europäischen Union wichtige Plattformen einer multilateralen Weltordnung.
Multilaterale Beziehungen
(343) Die Vereinten Nationen bilden den multilateralen Rahmen der internationalen
Zusammenarbeit. Mehr Verantwortung in den Vereinten Nationen erfordert von Deutschland und
der EU, ihr Engagement finanziell, personell und diplomatisch substanziell zu verstärken,
besser zu koordinieren und die internationalen Vereinbarungen auch konsequent und kohärent
in nationale und europäische Politik umzusetzen. Dabei geht es um das Prinzip der Reform
durch Stärkung. Das ist gerade wichtig, wenn nationale Egoismen zunehmen und wichtige
Entscheidungen blockiert werden.
(344 neu) Partnerschaften der EU mit Regionalorganisationen wie der Afrikanischen Union (AU)
und der südostasiatischen Staatengemeinschaft (ASEAN) sollen intensiviert werden, um
multilaterale Kooperation, Demokratie, Menschenrechte und globale Nachhaltigkeit zu stärken.
Insbesondere die Afrikanische Union (AU) sollte beim Aufbau ihrer Kapazitäten gestärkt und
der Selbstvertretungsanspruch der afrikanischen Länder in internationalen Foren unterstützt
werden.
(344) Der Sicherheitsrat und andere Organe der Vereinten Nationen müssen an die Realitäten
des 21. Jahrhunderts angepasst werden. Das betrifft sowohl die strukturelle und finanzielle
Ausstattung von VN-Organisationen als auch eine gerechtere Repräsentation der Regionen im
Sicherheitsrat. Das Konzept der Vetomächte ist nicht mehr zeitgemäß und mit diesem Anspruch
nicht vereinbar. Das Vetorecht soll langfristig abgeschafft werden und als Zwischenschritt
muss im Falle von schwersten Verbrechen gegen die Menschlichkeit ein Veto im Sicherheitsrat
mit einer Begründung und einem Alternativvorschlag versehen werden. Wenn der Sicherheitsrat
im Falle von schwersten Menschenrechtsverletzungen anhaltend blockiert ist, soll die
Generalversammlung an seiner Stelle über friedenserzwingende Maßnahmen mit qualifizierter
Mehrheit beschließen.
(345) Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) soll als Sonderorganisation der VN und als
wichtigste Organisation im Bereich der globalen Gesundheit politisch, finanziell und
personell gestärkt werden. Ihre Aufgabe kann sie nur mit einer ausreichenden Ausstattung an
staatlichen, deutlich höheren Beiträgen und einem starken Mandat ausführen.
(346) Wenn multilaterale Prozesse in den Vereinten Nationen und der EU dauerhaft blockiert
sind, braucht es im Sinne der Stärkung des internationalen Rechts und der internationalen
Ordnung Vorreiter*innen und innovative Konzepte, die offen für möglichst alle Beteiligten
sind. Es braucht die Partnerschaft mit Demokratien und mit Demokrat*innen weltweit, um das
Völkerrecht zu stützen, demokratische Prozesse in der Welt zu erhalten, sowie für die Stärke
des Rechts statt das Recht des Stärkeren einzutreten.
(347) In Zeiten von dysfunktionalen internationalen Institutionen bauen informelle Formate
Brücken. Diese dürfen aber nicht Machtinstrumente gegenüber denen sein, die nicht an ihnen
beteiligt sind. Zum Beispiel spielen die G20 eine wichtige Rolle für die internationale
wirtschaftliche Zusammenarbeit und die Bewältigung globaler Herausforderungen. Sie müssen
für andere Akteure offen sein. Langfristig sollen die Beratungen der G20 in den Wirtschafts-
und Sozialrat der Vereinten Nationen überführt werden.
(348) Die transatlantische Partnerschaft, die seit Jahrzehnten ein Stützpfeiler der
deutschen Außenpolitik gewesen ist, muss erneuert und damit gestärkt, europäisch gefasst,
multilateral orientiert und an klaren gemeinsamen Werten ausgerichtet werden. Dazu gehören
das Eintreten für Nachhaltigkeit, für Menschenrechte, für Rechtsstaat und Demokratie und für
internationale Solidarität. Die Zusammenarbeit soll alle staatliche wie
zivilgesellschaftlichen Organisationen und Institutionen einbeziehen, die in ihrem Land und
international zu einer solchen Perspektive beitragen können. Zur Lösung der
Menschheitsherausforderungen braucht es auch Kooperation mit Russland und China. Diese darf
nicht zu Lasten von Drittstaaten oder von Menschen- und Bürger*innenrechten gehen.
Demokratie und Menschenrechte sind der Maßstab für die Vertiefung der Beziehungen.
(348) Neben der staatlichen Zusammenarbeit sind Bündnisse mit und zwischen Städten und
Regionen, Wirtschaftsakteur*innen sowie Zivilgesellschaften zentral. Nichtstaatliche Akteure
gehören stärker in Aushandlungsprozesse auf bilateraler und multilateraler Ebene einbezogen
und in ihrer Vernetzung untereinander unterstützt. Im Dialog mit der globalen
Zivilgesellschaft und Privatwirtschaft müssen neue Wege entwickelt und globale
Bündnispartner*innen gefunden werden, um die sozial-ökologische Modernisierung und die
Achtung der Menschenrechte voranzutreiben. Auch wenn es noch keine Einigung auf ein
internationales Vorgehen gibt, kann so in zentralen Bereichen wie beim Handel oder in der
Flucht- und Migrationspolitik vorangegangen werden.
(349) Zu einer fairen Globalisierung gehört die Stärkung regionaler Wirtschaftskreisläufe
genauso wie die Mitbestimmung und demokratische Organisierung auf kommunaler und regionaler
Ebene. Politik und nicht transnationale Konzerne muss die internationalen Spielregeln für
die Weltwirtschaft bestimmen.
(350) Die eigene kulturelle, sprachliche und religiöse Identität zu leben, muss
gewährleistet sein. Statt in regionale Nationalismen, Unabhängigkeitsbestrebungen oder
gewaltsame Konflikte zu verfallen, braucht es eine Politik für nationale Minderheiten, die
deren Rechte auf kulturelle und sprachliche Vielfalt stärkt sowie gleichberechtigte
gesellschaftliche Teilhabe und kulturelle Partizipation sichert und fördert.
Globale Sicherheit
(351) Eine an universeller Würde und Freiheit orientierte Politik denkt Sicherheit nicht von
nationalen Grenzen, sondern von jedem einzelnen Menschen her. Zivile Krisenprävention,
soziale Sicherheit, Menschenrechte, die Gleichberechtigung der Geschlechter, die
Ermächtigung marginalisierter Gesellschaftsgruppen, insbesondere auch von LSBTIQ*, eine
gewaltfreie Regelung von Konflikten, Wiederaufbau, Klima- und Umweltschutz, gerechte
Ressourcenverteilung und die Geltung des internationalen Rechts sind Grundlage einer
nachhaltigen Friedens- und Sicherheitspolitik. Dazu gehören auch die europäische Integration
und die Beteiligung an Systemen kollektiver Sicherheit.
(352) Über Frieden und Sicherheit nachzudenken sollte nicht erst beginnen, wenn beides schon
in Gefahr ist. Konsequent auf alle Politikfelder angewandt kann das Prinzip der Vorsorge
viel Leid verhindern. Nachhaltige Sicherheit kann nur gemeinsam erreicht werden.
Friedenslogisches Handeln muss die Interessen und Bedrohungswahrnehmungen der jeweils
anderen Seiten berücksichtigen. Gespräche setzen nicht zwingend Vertrauen voraus, sondern
Vertrauen entsteht durch den Abbau klischeehafter Feindbilder und eine gezielte
Entspannungspolitik.
(353) Zivile Krisenprävention und politische Konfliktbearbeitung müssen noch stärker
institutionell verankert werden. Dazu bedarf es ausreichender Analysekapazitäten,
Regionalkompetenz, Wirkungsforschung, eines intensivierten Wissenstransfers zwischen
Wissenschaft, Praxis und Politik und der unmittelbaren Verfügbarkeit von Personal und
Material. Zivile Krisenprävention und politische Konfliktlösung haben Vorrang vor dem
Einsatz militärischer Gewalt, was sich auch in der tatsächlichen institutionellen,
finanziellen und personellen Ausstattung widerspiegeln muss. Wo sich multiple Krisen häufen,
kommt es besonders darauf an, bei der Krisenprävention schneller besser zu werden.
(354) Das allgemeine Gewaltverbot der VN-Charta ist eine große Errungenschaft. VN-geführte
Friedenseinsätze sind ein zentrales Instrument kollektiver Friedenssicherung und als solche
trotz aller Defizite – gerade durch eine größere europäische Beteiligung an
Blauhelmeinsätzen – zu stärken.
(355) Die Europäische Union ist eine Friedensmacht. Das Primat des Zivilen und das breite
Spektrum ziviler Instrumente zeichnen sie aus. Friedensmissionen, zivile Krisenprävention,
Diplomatie, internationale Zusammenarbeit, humanitäre Hilfe und Auswärtige Kultur- und
Bildungspolitik, Mediation, die Bereitstellung von Zivil- und Sicherheitsexperten,
Rechtsstaatsförderung und gesellschaftliche Verständigungsarbeit sind die Stärken der
Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU. Sie muss institutionell, personell und
finanziell gestärkt und noch enger verzahnt werden.
(356) Eine starke Außen- und Sicherheitspolitik ist feministisch. Die gleichberechtigte
Vertretung von Frauen in der internationalen Politik sowie ihre gleichberechtigte
Beteiligung und Mitbestimmung an diplomatischen Verhandlungen oder bei der Zusammensetzung
sicherheits- und außenpolitischer Gremien ist dafür Maßgabe. Feministische Außenpolitik
folgt dem Leitbild der "menschlichen Sicherheit". Frauen und marginalisierte Gruppen sind in
besonderem Maße von Kriegen und gewaltsamen Konflikten betroffen. Die migrantische
Perspektive ist auch in außen- und sicherheitspolitische Entscheidungen zu integrieren.
(357) Die Klimakrise ist ein globales Sicherheitsrisiko. Klimapolitik ist daher ein
zentraler Bestandteil der globalen Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik. Dafür ist
ein internationales Rahmenwerk auf VN- und EU-Ebene zur Vermeidung von Klima- und
Umweltkonflikten erforderlich, um Staaten und Regionen, die besonders von den Folgen der
Klimakrise oder von Rohstoffknappheit, Dürren, Nahrungsknappheit und Überschwemmungen
betroffen sind, zu schützen und zu unterstützen: die Responsibility to Prepare.
(358) Abrüstung, Rüstungskontrolle und die Nichtverbreitung von Waffen sind und bleiben
wesentliche Pfeiler jeder Friedenspolitik. Unser Anspruch ist es, alle Länder hier
einzubeziehen, insbesondere auch die neue Supermacht China. Abrüstung und Rüstungskontrolle
bedeuten global mehr Sicherheit für alle. Es bedarf eines strengen Regelwerkes zur Abrüstung
und zum Verbot von chemischen, biologischen und nuklearen Massenvernichtungswaffen. Der
Beitritt Deutschlands zum VN-Atomwaffenverbotsvertrag und die Stärkung des nuklearen
Nichtverbreitungsvertrags gehören dazu. Dafür muss gemeinsam mit den internationalen und
europäischen Partnern am Ziel eines atomwaffenfreien Europas gearbeitet werden. Dazu braucht
es ein Deutschland frei von Atomwaffen und damit ein zügiges Ende der nuklearen Teilhabe.
Der Anspruch ist nichts Geringeres als eine atomwaffenfreie Welt.
(359) Exporte von Waffen und Rüstungsgütern an Diktatoren, menschenrechtsverachtende Regime
und in Kriegsgebiete verbieten sich. Für die Reduktion von Rüstungsexporten braucht es eine
gemeinsame restriktive Rüstungsexportkontrolle der EU mit starken Institutionen und in EU-
Gemeinschaftsrecht gegossene Exportkriterien. EU-Mitgliedstaaten, die gegen verbindliche
Rüstungsexportkriterien verstoßen, müssen mit Sanktionen rechnen. Der Einsatz von
Sicherheitsfirmen in internationalen Konflikten muss streng reguliert und private
Militärfirmen müssen verboten werden. Kooperationen mit dem Sicherheitssektor anderer
Staaten müssen an die Einhaltung demokratischer, rechtstaatlicher und menscherechtlicher
Kriterien geknüpft werden.
(360) Autonome tödliche Waffensysteme, die keiner wirksamen Steuerung mehr durch den
Menschen bei Auswahl und Bekämpfung von Zielen unterliegen, stellen eine unberechenbare
Bedrohung dar. Es ist entscheidend für Frieden und Stabilität, Autonomie in Waffensystemen
international verbindlich zu regulieren und ihre Anwendungen, die gegen ethische und
völkerrechtliche Grundsätze verstoßen, zu ächten und zu verbieten. Das gilt auch für
digitale Waffen wie Angriffs- und Spionagesoftware. Hierbei müssen Deutschland und die EU
eine globale Führungsrolle einnehmen. Weiterentwickelte, verbindliche Regeln sollen eine
Militarisierung des Weltraumes verhindern.
(361) Die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten müssen sich gegen Angriffe auf ihre
kritische Infrastruktur schützen. Um Angriffe über und auf das Internet zu verhindern,
braucht es mehr eigene Anstrengung zur Sicherung der Infrastruktur und ein internationales
Vertragswerk.
(362) Die Anwendung militärischer Kriegsgewalt bringt immer massives Leid mit sich. Wir
wissen aber auch, dass die Unterlassung in einzelnen Fällen zu größerem Leid führen kann.
Deshalb ist es so wichtig, frühzeitig auf Konflikte einzuwirken und zu verhindern, dass sie
zu bewaffneten Auseinandersetzungen eskalieren. Das Konzept der Schutzverantwortung
(„Responsibility to Protect“) verpflichtet Staaten, ihre Bevölkerung vor schwersten
Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu schützen. In diesen
Fällen können die Vereinten Nationen Zwangsmaßnahmen beschließen. Die Schutzverantwortung
verpflichtet die Staatengemeinschaft gleichermaßen, ihre Instrumente für Prävention,
Krisenreaktion und Nachsorge bzw. Wiederaufbau kriegszerstörter Gesellschaften auszubauen.
Diplomatische Initiativen, Mediation und UN-Friedenseinsätze können Gewalt eindämmen und
Voraussetzungen für Friedensprozesse schaffen. Zentral für Frieden, Versöhnung und
Gerechtigkeit ist auch der Einsatz gegen die Straflosigkeit von Menschenrechtsverbrechen.
(363) Der Einsatz von militärischer Gewalt ist immer nur äußerstes Mittel. Er kommt nur in
Betracht, wenn alle alternativen Möglichkeiten wie Sanktionen oder Embargos aussichtslos
sind. Ein Militäreinsatz braucht einen klaren und erfüllbaren Auftrag, ausgewogene zivile
und militärische Fähigkeiten und unabhängige Evaluierungen. Bewaffnete Einsätze der
Bundeswehr im Ausland sind in ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit, das heißt
nicht in verfassungswidrigen Koalitionen der Willigen, und in ein politisches Gesamtkonzept,
basierend auf dem Grundgesetz und dem Völkerrecht, einzubetten. Bei Eingriffen in die
Souveränität eines Staates oder dort, wo staatliche Souveränität fehlt, braucht es ein
Mandat der Vereinten Nationen. Wenn das Vetorecht im Sicherheitsrat missbraucht wird, um
schwerste Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu decken, steht die Weltgemeinschaft vor
einem Dilemma, weil Nichthandeln genauso Menschenrechte und Völkerrecht schädigt wie
Handeln.
(364) Die Bundeswehr ist eine im Grundgesetz und in internationalen Bündnissen verankerte
Parlamentsarmee. Daraus erwächst eine Fürsorgepflicht des Parlaments gegenüber den aktiven
und ehemaligen Soldat*innen und Zivilbeschäftigten sowie die Verpflichtung, sie entsprechend
ihrem Auftrag und ihren Aufgaben personell und materiell auszustatten. Der Auftrag und die
Aufgaben der Bundeswehr orientieren sich an den realen und strategisch bedeutsamen
Herausforderungen für Sicherheit und Friedenssicherung. Sie ist ein notwendiges Mittel
staatlicher und internationaler Sicherheitspolitik. Deutschland soll sich auf seine
Bündnispartner verlassen können und genauso sollen sich die Bündnispartner auf Deutschland
verlassen. Die Gesamtverantwortung für den Einsatz muss begründet, Informationen über alle
Operationen im Einsatz den Verbündeten vollständig zugänglich sein. Direkte Einsätze im
Rahmen der VN haben dabei Vorrang vor Kriseneinsätzen der EU und der NATO.
(365) Die Prinzipien der „Inneren Führung“ und der „Staatsbürger*innen in Uniform“ binden
die Soldat*innen an die Gesellschaft und die Werte und Normen des Grundgesetzes. Eine
Bundeswehr, die fest in unserer Gesellschaft verankert ist, muss die Vielfalt der
Gesellschaft abbilden. Das betrifft den Anteil von Menschen unterschiedlicher sozialer
Herkunft, mit und ohne Migrationserfahrung, von People of Color sowie von Frauen, die in der
Bundeswehr beschäftigt sind. Menschenfeindliche Ideologien und rechtsextremistische
Strukturen in der Bundeswehr müssen konsequent verfolgt und zerschlagen werden. Unsere
Geschichte lehrt uns, wie unersetzlich demokratische und antifaschistische Grundwerte sowie
Demokratiebildung gerade in einer Armee sind. Der bewaffnete Einsatz der Bundeswehr im
Inneren ist abzulehnen.
(366) Gemeinsam mit den internationalen Partnern muss die Europäische Union ihrer
Verantwortung für die eigene Sicherheit und Verteidigung gerecht werden. Die gemeinsame
Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU setzt eine gemeinsame EU-Außenpolitik voraus.
Es braucht eine parlamentarisch kontrollierte Sicherheitsunion. Anstatt immer mehr Geld in
nationale, militärische Parallelstrukturen zu leiten, sollte die verstärkte Zusammenarbeit
der Streitkräfte in der EU ausgebaut, militärische Fähigkeiten gebündelt und allgemein
anerkannte Fähigkeitslücken geschlossen werden. Dafür braucht es eine geeignete Ausstattung,
den Ausbau von EU-Einheiten sowie eine Stärkung und Konsolidierung der gemeinsamen EU-
Kommandostruktur.
(367) Die Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union muss strategisch,
vorausschauend, umfassend und schnell handlungsfähig sein. Dazu braucht es eine gemeinsame
Analysefähigkeit sowie eine Stärkung des Europäischen Auswärtigen Dienstes. Schritt für
Schritt sollen immer mehr Entscheidungen in diesem Bereich mit qualifizierter Mehrheit
getroffen werden können.
(368) Die NATO leidet unter divergierenden sicherheitspolitischen Interessen innerhalb der
Allianz bis hin zur gegenseitigen militärischen Bedrohung. Ihr fehlt in dieser tiefen Krise
eine klare strategische Perspektive. Trotzdem bleibt sie aus europäischer Sicht neben der EU
unverzichtbarer Akteur, der die gemeinsame Sicherheit Europas garantieren kann und der als
Staatenbündnis einer Renationalisierung der Sicherheitspolitik entgegenwirkt. Es braucht
aber eine strategische Neuausrichtung. Mit einer stärkeren militärischen Zusammenarbeit und
Koordinierung innerhalb der EU und mit den europäischen NATO-Partnern wie Großbritannien und
Norwegen können europäische Werte und strategische Interessen geschlossen und überzeugender
vertreten werden.
(369) Frieden in Europa bedeutet mehr als Frieden, Sicherheit und Stabilität in der EU.
Damit die Vision einer friedlichen Zukunft für alle Europäer*innen Wirklichkeit werden kann,
braucht es die gemeinsamen, über die EU hinausreichenden europäischen Institutionen wie den
Europarat und die OSZE, um alle europäischen Staaten einzubinden. Sie müssen gestärkt und
weiterentwickelt werden, um das Ziel eines tatsächlich effektiven und starken Systems
kollektiver Sicherheit in ganz Europa zu erreichen. Auch angesichts der nationalistischen
und rückwärtsgewandten Politik Russlands, die Europas Sicherheit und die Selbstbestimmung
der Nachbarn Russlands untergräbt, bleibt das Ziel, auf der Basis gemeinsamer Werte diesen
östlichen Nachbarn Europas für eine solche Perspektive zu gewinnen.
Globale Strukturpolitik
(370) In einer verflochtenen Welt verbinden und überkreuzen sich alle Bereiche der Politik.
Globale Strukturpolitik muss für die sozial-ökologische Transformation einen abgestimmten,
vernetzten Ansatz verfolgen, der auch inländische Politikbereiche einbezieht und innere
Widersprüche im Regierungshandeln konsequent auszuräumt. Alle politischen Entscheidungen
müssen einem verpflichtenden Nachhaltigkeitscheck unterzogen werden, um friedens-,
menschenrechts- und klimapolitisch kontraproduktive Wirkungen zu prüfen und Schädliches zu
unterlassen.
(371) Handlungsrahmen für das Gesamtregierungshandeln sind die Menschenrechte, die
Klimaziele von Paris und die Agenda 2030 mit ihren 17 Zielen für eine nachhaltige
Entwicklung. Sie sind Voraussetzung dafür, Strukturen global und nachhaltig gestalten zu
können. So konnten Erfolge bei der Bekämpfung von Armut und Hunger sowie beim Zugang zum
Gesundheits- und Bildungssystem erreicht werden. Der Einsatz für Geschlechtergerechtigkeit
ist integraler Bestandteil einer queerfeministischen Strukturpolitik. Das Recht auf
Entwicklung gilt weltweit. Um die globalen Nachhaltigkeitsziele im Rahmen der planetaren
Grenzen einzuhalten und das globale Zusammenleben möglichst krisenfest zu gestalten, braucht
es eine globale sozial-ökologische Transformation.
(372) Internationale Zusammenarbeit, insbesondere Entwicklungspolitik mit Staaten und
Zivilgesellschaften in ärmeren Regionen der Welt darf nicht einseitigen migrations-,
wirtschafts- oder sicherheitspolitischen Interessen untergeordnet werden. Internationale
Zusammenarbeit basiert vielmehr auf rechtebasierter Kooperation, dem Partnerschaftsprinzip,
auf Selbstbestimmung und hat globale Gerechtigkeit und die Sicherung globaler öffentlicher
Güter zum Ziel.
(372-2) Es besteht die gesamtgesellschaftliche Pflicht, die verheerenden Auswirkungen des
Kolonialismus anzuerkennen, aufzuarbeiten und sie zu beheben. Die Menschen und Staaten im
globalen Süden verfügen über ein enormes Innovationspotential, von dem auch Deutschland und
Europa lernen können. Die internationale Zusammenarbeit ist postkolonial und antirassistisch
auszurichten.
(373) Die Fehler der Ausbeutung von Mensch und Natur müssen überwunden werden durch ein
faires und nachhaltiges Wohlstandsmodell. Aus den Verbrechen des Kolonialismus erwächst für
Deutschland und Europa eine besondere Verantwortung, nach innen und außen. Wertegeleitete
Politik hat ihr Handeln konsequent auf friedens-, menschenrechts- und klimapolitisch
kontraproduktive Wirkungen zu prüfen und Schädliches zu unterlassen.
(374) Es braucht eine starke öffentliche Säule der Entwicklungs- und Klimafinanzierung. Sie
muss eng verzahnt, wirksam ausgeweitet und an den nachhaltigen Entwicklungszielen
ausgerichtet werden. Dabei sind evidenzbasierte Ansätze und der ständige Austausch mit der
Wissenschaft unerlässlich.
Die globale Transformation bedeutet vor allem in ärmeren Ländern massive Investitionen.
Diese nachhaltig, sozial-ökologisch und auf lokale Bedürfnisse ausgerichtet bereitzustellen,
muss ein zentrales Ziel der globalen Finanzierungsarchitektur sein. Internationale Zusagen
müssen verbindlich eingehalten und die Förderung der Geschlechtergerechtigkeit muss
berücksichtigt werden. Auch neue Wege wie Direkthilfen an Menschen über Social-Cash-Transfer
sollten strukturell verankert werden. In der internationalen Klimafinanzierung stehen die
Industriestaaten - auch aufgrund ihrer historischen Emissionen - gegenüber den ärmeren
Ländern in der Verantwortung. Sie unterstützen bei Investitionen in Klimaschutz, bei der
Anpassung an die Folgen der Klimakrise und bei der Bewältigung von Schäden und Verlusten.
Denn angesichts der Klimakrise ist globale Kooperation und Unterstützung unabdingbar.
(375) Als weltweit größte Geberin hat die EU ein großes Potential für mehr Kohärenz und
Effizienz in der globalen Strukturpolitik. Ziel ist mittelfristig die Vergemeinschaftung der
nationalen Entwicklungspolitiken der Mitgliedstaaten. Eine gemeinsame europäische
Entwicklungspolitik soll zu einem Kern des gemeinsamen europäischen Handelns werden.
(376) Nachhaltiger Frieden und Demokratie sind auf eine aktive Zivilgesellschaft und
Transparenz angewiesen. Eine lebendige Zivilgesellschaft trägt dazu bei, Korruption und
soziale Ungleichheit zu bekämpfen. Daher gilt es, die Handlungsspielräume und
Gestaltungsprozesse einer kritischen Zivilgesellschaft global zu verteidigen und die
Selbstorganisationskräfte der Zivilgesellschaft, insbesondere von Frauen, Indigenen und
marginalisierten Gruppen, zu stärken und zu erweitern. Hierfür braucht es sichere und offene
digitale Werkzeuge und Räume.
Handel
(377) Internationaler Handel verbindet Menschen und Staaten, ermöglicht Teilhabe an Gütern
und Dienstleistungen und die Verbreitung von Innovationen, schlechte Handelsregeln tragen
jedoch zu Umweltverschmutzung und Ausbeutung bei. Handel ist kein Selbstzweck, sondern dient
einem weltweit gerechten Wohlstand und damit der menschlichen Entfaltung. Er soll fair
gestaltet und demokratisch kontrolliert werden. Er muss zur Umsetzung der VN-
Nachhaltigkeitsziele und des Pariser Klimaabkommens beitragen, anstatt diese zu
konterkarieren.
(378) Eine demokratische Welthandelsordnung unter dem Dach einer reformierten WTO soll für
den regelgebundenen Ausgleich von Interessen stehen. Dazu gehört ein globales Kartellrecht,
ein transparentes Überwachungssystem des Vernetzungsgrads eines Wirtschaftsakteurs sowie
gesetzlich verankerte menschenrechtliche Sorgfaltspflichten für Unternehmen und deren
Einklagbarkeit. Auch fortschrittliche bilaterale Abkommen können wichtige Schritte auf
diesem Weg sein, wenn sie transparent und demokratisch zustande kommen und sich an globalen
Gemeinwohlinteressen ausrichten. Einer Untergrabung des Multilateralismus durch
Großmachtpolitik treten wir entgegen.
(379) Handelspolitik der EU ist ein starkes Instrument, um Umwelt-, Tier- und Klimaschutz,
die Einhaltung der Menschenrechte und soziale Standards wie den Schutz von
Arbeitnehmer*innen-Rechten mit Wirtschaftsinteressen in Einklang zu bringen und weltweit
durchzusetzen. Bereiche der Daseinsvorsorge, also öffentliche Güter wie beispielsweise
Bildung, Gesundheit, soziale Sicherheit oder Wasser, sind staatliche Aufgaben und
unterliegen einem öffentlichen Interesse. Sonderrechte und Sonderjustiz für Konzerne sind
auszuschließen. Handelsabkommen dürfen es Staaten und der EU nicht erschweren, eigene höhere
Standards in Bezug auf Klima-, Umwelt-, und Verbraucher*innenschutz festzulegen. Das
europäische Vorsorgeprinzig ist stets zu wahren.
(380) Es braucht weltweit eine regionale Versorgungssicherheit mit überlebensnotwendigen
Lebens- und Arzneimitteln. Daher dürfen diese nicht allein krisenanfälligen globalen
Lieferketten überlassen werden, sondern müssen auch im europäischen Binnenmarkt produziert
werden können.
(381) Handelsabkommen sind stark, wenn sie regionale Wirtschaftschaftskreisläufe, regionale
Wertschöpfung und regionalen Handel fördern und die Erfüllung der Nachhaltigkeitsziele
sichern, indem sie Umwelt- und Sozialstandards sowie die Einhaltung der Menschenrechte
verbindlich vorschreiben. Hierfür sind Prüf- und Beschwerdeinstrumente sowie
Sanktionsmöglichkeiten wie Handelsbeschränkungen vorzusehen.
(382) Fairer Handel braucht einen Abbau der Ungleichgewichte im Welthandel und in der
Eurozone. Deutschland hat dabei eine besondere Verantwortung und sollte mit öffentlichen
Investitionen, guten Löhnen oder einer Stärkung der Binnennachfrage seinen
Handelsbilanzüberschuss schrittweise reduzieren.
(382 b) Eine faire Handelspolitik beruht auf Gegenseitigkeit und hilft der europäischen
Wirtschaft gegen unfaire Praktiken wie Dumping oder Welthandelsrecht verletzende
Subventionen. Sie achtet auf den Schutz sensibler Infrastruktur gegenüber Investitionen aus
Drittstaaten.
(383) Ärmere Länder sind im Welthandel mit einer asymetrischen Zollpolitik zu stärken. Sie
sollen souverän entscheiden, welche Bereiche ihrer Wirtschaft sie öffnen und welche sie
schützen wollen. Industriestaaten müssen unter Berücksichtigung hoher ökologischer und
sozialer Standards ihre Märkte hingegen für diese Länder öffnen und hoch subventionierte
Agrarprodukte nicht exportieren, die lokale Märkte zerstören. Denn formal gleiche Rechte bei
ungleich verteilter ökonomischer Macht führen zu ungerechten Ergebnissen und benötigen
deshalb gemeinsame Steuerungsmechanismen und die Orientierung an globalen
Gemeinwohlinteressen.
(384)Herstellung, Produktion und Transport der Waren für den europäischen Markt müssen frei
sein von ausbeuterischer Arbeit, Menschenrechtsverletzungen, Kinderarbeit und
Umweltzerstörung, auch auf See. Fairer Handel soll Standard werden. Sorgfaltspflichten
sollen auf nationaler wie internationaler Ebene gesetzlich verankert werden. Auch der
Tierschutz ist zu beachten. Das gilt für den gesamten Weg der Lieferketten und ist über
vollständige Transparenz, etwa durch digitale Verfahren und Sanktionsmöglichkeiten
herzustellen. Dabei kommt der öffentlichen Hand als weitaus größter Beschafferin eine
besondere Verantwortung zu. Gleichzeitig tritt die EU dafür ein, dass diese Ziele auch
global gelten.
Finanzmärkte und Währungsordnung
(385) Unregulierte globale Finanzmärkte haben zu Beginn des 21. Jahrhunderts eine schwere
Wirtschaftskrise ausgelöst und weltweit für schwere Verwerfungen gesorgt. Kurzfristige,
spekulative Finanzströme sollen daher reguliert, verteuert und notfalls verboten werden.
Alle internationalen Kapitalströme sollten transparent sein. Auch mit Steuerumgehung und
nicht gesicherten Spekulationen soll künftig kein Geld mehr verdient werden. Steuersümpfe
müssen trockengelegt und internationale Steuerhinterziehung - auch mittels eines
international verbindlichen Regelwerks, das Mindeststandards für die Steuerpflichten von
Unternehmen und Staaten setzt - muss bekämpft werden. Wo und wieviel internationale Konzerne
an Steuern zahlen, muss öffentlich einsehbar sein.
(386) Nachhaltige internationale Direktinvestitionen fördern die weltweite Entwicklung und
gehören zu einer starken Außenwirtschaftspolitik der Europäischen Union. Eine gerechte
Weltwährungsordnung ermöglicht allen Ländern – nicht nur den wohlhabenden – eine
langfristige und damit verlässliche Finanzierung von Investitionen. Neben einer Regulierung
von kurzfristigem Kapitalverkehr braucht es dafür die Stabilisierung von Wechselkursen.
(387) Nur globale öffentliche Institutionen können gegen spekulative Attacken auf Staaten
und ihre Währungen absichern. Langfristiges Ziel ist daher eine weltweite Kooperation der
Zentralbanken sowie eine Stärkung und Demokratisierung des Internationalen
Währungsfonds (IWF). So soll Liquidität sichergestellt, dem globalen Finanzmarkt ein
stabiler Rahmen gesetzt und Krisen sollen so verhindert werden. Die Europäische Zentralbank
steht schon jetzt in der Verantwortung, die Auswirkungen ihrer Politik auf weniger und am
wenigsten entwickelte Länder zu berücksichtigen sowie Wechselkurse zu stabilisieren und
abzusichern. So hilft europäische Geldpolitik, spekulative Kapitalflucht aus diesen Ländern
zu vermeiden und deren Entwicklung zu fördern.
(388) Schulden können – wenn das Geld gut investiert wird – Entwicklung fördern und die
notwendige Finanzierung für die sozial-ökologische Transformation bereitstellen.
Überschuldung hingegen schadet insbesondere den Ärmsten der Armen. Insbesondere bremst sie
die Verwirklichung der Nachhaltigkeitsziele, gefährdet Gesundheitsversorgung, Bildung und
Infrastruktur in vielen Ländern. Die internationale Gemeinschaft muss regelbasierte
Verfahren schaffen, um bei Zahlungsunfähigkeit von Staaten durch Schuldenerlasse,
Zahlungsaufschübe oder einen Schuldenschnitt einen Ausgleich zu finden.
Staateninsolvenzverfahren können sämtliche Schulden für Länder umfassen, die nicht in ihrer
eigenen Währung verschuldet sind. Finanzhilfen wiederum dürfen nicht vom Abbau der
Daseinsvorsorge abhängig gemacht werden.
(389) Zu einer weltpolitikfähigen EU gehört eine sichere und starke Währung. Der Euro soll
zu einer globalen Leitwährung werden. Voraussetzung dafür sind eine gemeinsame Fiskalpolitik
der EU sowie die Herausgabe sicherer und liquider gemeinsamer Anleihen, abgesichert mit
eigenen Steuerquellen. Die strategische Handlungsfähigkeit der EU soll auch durch eigene
Zahlungssysteme und ein digitales Zentralbankgeld sichergestellt werden.
Migration und Flucht
(390) Migration hat es in der Menschheitsgeschichte immer gegeben. Sie ist und war stets
Triebfeder für Entwicklung und globale Zusammenarbeit, genauso Quelle von Austausch und
Innovation, aber auch von Leid und Verlust. Migration prägt und verändert seit Jahrhunderten
auch unsere Gesellschaft und unseren Alltag auf allen Ebenen. Die Möglichkeit zu migrieren
oder in der Heimat zu bleiben, darf nicht das Privileg weniger Menschen bleiben. Um globale
Abschottung zu beenden sind die Grundlagen zu schaffen. Unsere Demokratie ist keine, in der
Zugehörigkeit auf Herkunft basiert, sondern eine offene Gesellschaft, in der wir uns
gemeinsam darüber verständigen, wie wir zusammenleben wollen. Diskriminierungen und
Ausschlussmechanismen sind darin abzubauen und Rassismus wird aktiv und entschlossen
bekämpft. Jeder Mensch hat das Recht auf ein Leben in Würde und Freiheit.
(391) Migration ist globale Realität und braucht globale Regelungen. So stärken
internationale Vereinbarungen, wie der Globale Pakt für Migration die Rechte und die
Freiheit von Menschen, die nicht in ihrem Geburtsland leben, arbeiten oder zur Schule gehen.
Sie sind Grundlage für die internationale Verständigung zum rechtebasierten Umgang mit
Migration und soll in diesem Sinne weiterentwickelt werden. Der gleichberechtigte Anspruch
von Migrant*innen zur Durchsetzung ihrer Rechte muss national und europäisch verbindlich
umgesetzt werden.
(392) Deutschland ist ein Einwanderungsland, Europa ein Kontinent der Migration. Deshalb
braucht es sichere Zugangswege und ein Einwanderungsgesetz, das faire und
diskriminierungsfreie Kriterien für Einwanderung definiert. Das schließt ein Recht auf
Familienleben mit ein sowie dass Menschen ihren Status wechseln und zwischen ihrem
Herkunftsland und dem Wohnort hin- und herreisen können. Menschen, die hier leben, sollen
schnell den Zugang zu staatsbürgerlichen Rechten bekommen. Dafür braucht es ein modernes
Staatsbürgerschaftsrecht, das mehrere Staatsbürgerschaften ermöglicht.
(393) Menschen, die aufgrund von politischer Verfolgung, Folter, Bedrohung von Leib und
Leben, Menschenrechtsverletzungen oder Krieg gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen,
werden durch das Asylrecht geschützt. Das international verankerte Recht, in einem anderen
Land Schutz zu suchen, beruht auf den Lehren aus dem Menschheitsverbrechen der Shoah. Die
völkerrechtlich verbindlichen Regeln, insbesondere der Genfer Flüchtlingskonvention, gelten
universell und uneingeschränkt für alle Geflüchteten. Sie sind Verpflichtung und Fundament
einer Welt, in der die Würde des Menschen unantastbar ist. Das individuelle Grundrecht auf
Asyl ist Grundpfeiler einer menschenrechtsorientierten Politik und muss unangetastet
bleiben. Statt Länder politisch als sichere Dritt- oder Herkunftsstaaten einzustufen,
braucht es rechtssichere, schnelle und faire Verfahren, also unvoreingenommene Asylverfahren
und den Zugang zu einer unabhängigen Beratung während des gesamten Verfahrens. Der Globale
Pakt für Flüchtlinge steht für das Bestreben, Flucht international menschenwürdig zu
gestalten und die Rechte der Betroffenen zu schützen. Entsprechend muss der internationale
Umgang mit Geflüchteten rechtebasiert weiterentwickelt werden.
(394) Egal wo jemand herkommt, egal wo jemand hinwill oder aus welchem Grund ein Mensch in
Seenot ist: Menschen sind aus Lebensgefahr zu retten und an einen sicheren Ort zu bringen.
Dort, wo Menschen in Not sind, haben Staaten die Verantwortung, Rettungen zu koordinieren
und zu organisieren. Dafür braucht es ein gemeinsames EU-Seenotrettungssystem. Wer sich für
Menschenrechte einsetzt, ob an Land oder auf See, ist zu unterstützen und darf nicht
kriminalisiert werden.
(395) Die Klimakrise zwingt immer mehr Menschen zu Migration und Flucht, bereits bestehende
Konflikte werden weiter verschärft. Insbesondere der globale Süden ist davon betroffen. Ziel
muss sein, durch Klimaschutz, -finanzierung und -anpassung zu verhindern, dass Menschen
aufgrund der Klimafolgen ihre Heimat verlassen müssen. Wenn Menschen die Staatenlosigkeit
droht oder sie dauerhaft ihre Heimat verlieren, brauchen sie Möglichkeiten zur würdevollen,
frühzeitigen, selbstbestimmten und sicheren Migration. Sie dürfen nicht in eine Schutzlücke
geraten. Perspektivisch brauchen sie einen völkerrechtlichen Schutzstatus. Insbesondere
Staaten, die historisch wie aktuell den Großteil klimaschädlicher Gase emittieren, müssen
sich an einem globalen Ausgleich der Klimafolgen, Schäden und Verluste sowie der Schaffung
sicherer und würdevoller Migrationswege beteiligen.
(396) Menschen brauchen Perspektiven. Duldungen bedeuten einen Zustand in der Schwebe,
fortdauernde Unsicherheit und Perspektivlosigkeit. Ein solcher Ausnahmezustand muss Ausnahme
sein. Menschen, die dauerhaft hier leben, brauchen ein sicheres Bleiberecht. Kein Mensch ist
illegal, daher sollten Abschiebungen stets das letzte Mittel sein. Freiwillige Rückkehr hat
immer Vorrang. Haft ohne Verbrechen zur Durchsetzung der Ausreise ist ein massiver Eingriff
in das verfassungsrechtlich garantierte Freiheitsrecht. Abschiebungen in Kriegs- und
Krisengebiete verbieten sich.
(397) Rechtsstaatliche, zügige und geordnete Verfahren ermöglichen die Wahrnehmung der
menschenrechtlichen und humanitären Verantwortung der EU. Der Zugang zu individuellen
Asylrechtsverfahren muss in den Mitgliedsstaaten der EU gewährleistet sein. Abschottung ist
nicht nur inhuman, sondern führt zu Chaos. Rechtsstaatlich und europäisch kontrollierte EU-
Außengrenzen, eine zuverlässige Registrierung und erste Checks durch eine eigeneEU-
Asylbehörde, humane Unterkünfte sowie ein einheitliches Asylsystem, das die Verantwortung
innerhalb der EU fair verteilt, sind die Grundlagen einer gemeinsamen EU-Asylpolitik.
Grenzen sind nur rechtsstaatlich kontrolliert, wenn Menschenrechte an diesen Grenzen
geschützt werden und eine Möglichkeit zur Einreise existiert.
(398) Nicht jede*r hat das Recht auf Asyl, aber jede*r hat das Recht auf ein
rechtsstaatliches Verfahren mit individueller Prüfung sowie auf eine würdige Unterbringung
und Behandlung. Zugang zu unabhängiger, rechtlicher Beratung und zu
Widerspruchsmöglichkeiten zeichnet den Rechtsstaat aus. Ärztliche Versorgung und Zugang zu
Bildung muss in dieser Zeit und auch unabhängig vom Status gewährleistet sein. Ziel ist ein
gemeinsames EU-Asylrecht mit hohen Standards.
(399) Um eine humanitäre Versorgung von geflüchteten Menschen auch außerhalb der
Europäischen Union zu unterstützen, sind Kooperationen und Solidarität mit Nachbarstaaten
und weiteren Aufnahmeländern notwendig. Die Möglichkeit zu fliehen sowie in Deutschland und
Europa Schutz zu suchen, darf jedoch nicht durch Kooperationen mit Drittstaaten erschwert
werden und Kooperationen dürfen nicht zu Menschenrechtsverletzungen führen. Besonderen
Schutz brauchen vulnerable Gruppen wie zum Beispiel Frauen, Kinder, LGBTIQ, alte und kranke
Menschen.
(400) Das Bekämpfen von Fluchtursachen heißt, die Gründe für Flucht und nicht die Menschen
auf der Flucht zu bekämpfen. Europäische Politik muss sich danach ausrichten, die
politischen Herausforderungen global zu denken und auch lokal dafür Sorge zu tragen, globale
Gerechtigkeit zu stärken. Europäische Wirtschafts-, Finanz-, Handels-, Agrar- oder
Rüstungsexportpolitik muss konsequent auf ihre sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen
Wirkungen in Drittstaaten überprüft werden, Korruption und Patronage unterbinden und nach
dem Pariser Klimaabkommen, den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen sowie den
Menschenrechten gestaltet sein.
(401) Im Zentrum unserer Asyl- und Migrationspolitik steht der Mensch in seiner Würde und
Freiheit. Unser Ziel ist eine Welt, in der Menschen nicht zur Flucht gezwungen werden.
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