1 Gentechnikfreiheit „vom Trog auf den Teller“ - eine Kernsubstanz grünen Denkens und Handelns, neben dem Kampf gegen die Atomkraft u.a.
Der Grundsatz „Vielfalt ernährt die Welt – ohne Gentechnik!“ stand bereits im September 2009 über einer von weit über 6.000 Menschen besuchten gentechnikfreien Tafel auf dem Ulmer Münsterplatz, organisiert und gefördert von einem großen und starken Bündnis von Umweltverbänden und einem wichtigen Redebeitrag von der heutigen grünen Ministerin Ulrike Höfken, seit 1989 Parteimitglied und heute in Rheinland-Pfalz Ministerin für Umwelt, Energie, Ernährung und Forsten. Insbesondere Renate Künast, als erster grüner Bundesministerin für Landwirtschaft, ist es zu verdanken, dass das deutsche Gentechnikrecht bis heute Bestand hat und eine klare Regulierung zugunsten der Gentechnikfreiheit auf dem Acker und in den Lebensmitteln bietet. Die grünen Fraktionen in der EU und im deutschen Bundestag mit den grünen Politikern Harald Ebner, Martin Häusling und Sven Giegold an der Spitze haben ein überzeugendes Mehrheits-Statement für den Erhalt einer gentechnikfreien Land- und Lebensmittelwirtschaft vorgelegt.
2 Urteil des BVG, Urteil des EuGH und das Vorsorgeprinzip in der EU als Stützen einer starken Regulierung und eines gentechnikfreien „Wegs“ vom Trog auf den Teller
Mit starker Unterstützung der Grünen und gegen den Widerstand von CDU/CSU und FDP im Bundestag hat das Bundesverfassungsgericht (BVG) am 24.11.2010 einer Deregulierung der Agrogentechnik einen Riegel vorgeschoben: „Mit der Möglichkeit, gezielt Veränderungen des Erbgutes vorzunehmen, greift die Gentechnik in die elementaren Strukturen des Lebens ein. Die Folgen solcher Eingriffe lassen sich, wenn überhaupt, nur schwer wieder rückgängig machen. Die Ausbreitung einmal in die Umwelt ausgebrachten gentechnisch veränderten Materials ist nur schwer oder auch gar nicht begrenzbar…..Der Gesetzgeber muss bei der Rechtssetzung nicht nur die von der Nutzung der Gentechnik einerseits und deren Regulierung andererseits betroffenen, grundrechtlich geschützten Interessen in Ausgleich bringen, sondern hat gleichermaßen den in Art. 20a GG enthaltenen Auftrag zu beachten, auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen.“ (Ausschnitt)
Am 25.07.2018 hat der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gegen einen weiteren Deregulierungsversuch – diesmal durch Befürworter der sogen. „Neuen Gentechnik“ - festgestellt: „Durch Mutagenese gewonnene Organismen sind genetisch veränderte Organismen (GVO) und unterliegen grundsätzlich den in der GVO-Richtlinie vorgesehenen Verpflichtungen… Diese Richtlinie sieht insbesondere vor, dass GVO im Anschluss an eine Prüfung der mit ihnen verbundenen Gefahren für die menschliche Gesundheit und die Umwelt der Genehmigung bedürfen, und unterwirft sie Anforderungen hinsichtlich ihrer Rückverfolgbarkeit, Kennzeichnung und Überwachung.“
(Presserklärung).
Das Vorsorgeprinzip ist ein Prinz der Umwelt- und Gesundheitspolitik; danach sollen die denkbaren Belastungen bzw. Schäden für die Umwelt bzw. die menschliche Gesundheit im Voraus (trotz unvollständiger Wissensbasis) vermieden oder weitestgehend verringert werden. Es dient damit einer Risiko- bzw. Gefahrenvorsorge – so wie es das BVG vorgeschrieben hat. Es wurde 1972 (!) im ersten Umweltprogramm der Bundesregierung als zentrales umweltpolitisches Handlungsprinzip festgelegt. Seit den 1980er Jahren findet das Vorsorgeprinzip zunehmend Eingang in die internationale Umweltpolitik: In die Weltcharta für die Natur, in den EU-Vertrag von Maastricht u.a. internationalen Verträgen (nach wikipedia). Dieses Vorsorgeprinzip hat gerade im Kontext der sogen. Freihandelsverträge TTIP und CETA als entscheidendes Kriterium eine wichtige Rolle gespielt. Eine starke Mehrheit der Grünen in Deutschland und der EU hat deswegen diese Verträge abgelehnt. Ähnliches gilt für die sogen. Mercosur-Verträge, in denen es u.a. auch um den Export von GVO-Soja geht.
3 Wahlfreiheit der Konsumenten und stabile Umfragewerte gegen Agrogentechnik
Allein die streng regulierte Gentechnikfreiheit „vom Trog auf den Teller“ garantiert die von den Grünen von Anfang an geforderte Wahlfreiheit der Konsumenten. Gerade in diesem Bereich ist die Kennzeichnung „ohne Gentechnik“ eine außergewöhnliche Erfolgsgeschichte grüner Politik und wird in Umfragen konstant zwischen 60 und 80 % der Konsumenten gefordert.
So ist eine Klarstellung durch die Grünen unerlässlich, dass es sich auch bei der „neuen“ Gentechnik, also beim „Genome Editing“ (CRISPR/Cas usw.) um Agrogentechnik handelt.
4 Fehlende kritische Unabhängigkeit muss durch eine wissenschaftlich fundierte Grundlagenkritik an der neuen Gentechnik ersetzt werden.
Die Grünen haben sich in ihrem Kampf gegen die Atomkraft durch eine unabhängig-kritische wissenschaftliche Gegenposition ausgezeichnet. Sie haben sich nicht durch die von industrieabhängigen Wissenschaftlern geführte Argumentation beirren lassen und haben so den erneuerbaren Energien die Zukunft geebnet.
Eine grüne Minderheit, darunter u.a. die BW-Ministerin Th. Bauer, wirbt jetzt mit geschickt formulierten Frames für die Deregulierung der „neuen“ Gentechnik („Genome Editing“): „Neue Zeiten, neue Antworten“ / „Technologie-Sprünge“ / „Innovationstempo“ / „innovative wie nachhaltige Landwirtschaft“ / „Sprunginnovationen, um den Planeten zu retten…“ , usw. usw. Selbst die nie erfüllten Heilsversprechungen der „alten“ Agrogentechnik bzgl. Welternährung und Klimawandel werden bei der Bewerbung der „neuen“ Agrogentechnik ungeniert wiederholt.
Eine unabhängig-kritische Haltung gegenüber neuen Technologien lassen sie demgegenüber in Ihren Ausführungen vermissen. Konsequenterweise fehlt geradezu vollständig eine Beachtung der wissenschaftlichen Befürworter*innen einer agrogentechnikfreien Landwirtschaft.
Darum fordern wir, den unabhängigen und kritischen Wissenschaftlern endlich zu ihrem „grünen Urrecht“ zu verhelfen. Denn diese haben längst für klare Positionen gesorgt:
- Technologien müssen zuallererst einer unabhängigen und umfänglichen kritischen Risikoprüfung unterzogen werden, bevor sie, z.B. in Freilandversuchen, eingesetzt werden. Das gilt im Bereich der Gesundheit oder der Landwirtschaft. Bei letzterer ist besonders die Frage der Rückholbarkeit entscheidend.
- Die Anwendung von CRISPR/Cas kann nicht mit einer konventionellen Pflanzenzüchtung verglichen und damit als nicht zu regulierendes Produkt in den Handel gebracht werden. Denn die Möglichkeiten für die Anwendung von CRISPR/Cas sind weitaus vielfältiger und komplexer als einzelne Punktmutationen. In der Summe gehen daraus Organismen hervor, die in bestimmten genetischen Kombinationen nicht oder nur sehr unwahrscheinlich durch natürliche und induzierte Mutagenese entstehen können“ (FGU-Zitat, gestützt auf mehrere wissenschaftliche Untersuchungen.
- Zu Nachweis und Identifizierung neuer gentechnischer Verfahren an Pflanzen stellt Y. Bertheaud, ehemaliger Forschungsdirektor des staatlichen französischen Agrarforschungsinstituts INRA fest, „dass für die meisten neuen gentechnischen Verfahren ein quantitativer Nachweis theoretisch möglich sei. Was es dafür brauche, sei der politische Wille.“
Bereits im Juli 2018 stellten drei wissenschaftliche Mitarbeiter des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) und des bundeseigenen Julius-Kühn-Instituts (JKI) fest, „dass die meisten Eingriffe mit Genome Editing eine klare Signatur im Erbgut hinterlassen. (zitiert nach dem Artikel „Genome Editing lässt sich nachweisen…“) Das aktuell veröffentlichte Nachweisverfahren für CIBUS-Raps zeigt ebenfalls auf, dass auch mit neuer Gentechnik entwickelte Pflanzen nachweisbar sind.
5 ABSCHLUSSBEGRÜNDUNG
Es kann nicht sein, dass wir Grünen unseren kritisch-wissenschaftlichen Grundansatz aus der Zeit des AKW-Widerstands über Bord schmeißen
Es kann nicht sein, dass wir Grünen uns vor den Karren einer interessengesteuerten Politik spannen lassen.
Es kann nicht sein, dass die Grünen ohne Not das Risiko eingehen, einen großen Teil ihrer Wählerschaft zu verlieren.
Vielmehr muss nach wie vor das klare politische Ziel der Grünen sein, mit allen zur Verfügung stehenden Ressourcen für eine ökologische Wende in der Landwirtschaft einzutreten und mit dieser Wende die durch Gentechnikfreiheit erreichte Artenvielfalt bei Pflanzen und Tieren - gerade angesichts des Klimawandels – zu erhalten und zu fördern.
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