Diese Änderung ist eine wörtliche Übernahme der entsprechenden Bestimmung in unserem Europawahlprogramm von 2019 und damit eine nahezu wörtliche Wiederholung der Bundestagswahlprogramme von 2017 und 2013. Diese drei Wahlprogramme beruhen auf dem Schutzverantwortungs-Beschluss, zu dem sich die BDK Hannover 2012 nach langer, engagiert geführter Debatte durchgerungen hat. (Links und Zitate folgen im zweiten Begründungsteil.) Wir sollten diese hervorragend wichtige und immer wieder bekräftigte programmatische Entscheidung auch in unser kommendes Grundsatzprogramm tragen und dort verankern, denn:
1. Die Vereinten Nationen haben gemäß Artikel 1.1. ihrer Charta den Auftrag, "den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren und zu diesem Zweck wirksame Kollektivmassnahmen zu treffen, um Bedrohungen des Friedens zu verhüten und zu beseitigen, Angriffshandlungen und andere Friedensbrüche zu unterdrücken ..“ (vgl. https://www.un.org/en/sections/un-charter/chapter-i/index.html ). Zur wirksamen Wahrung des Weltfriedens müssen die Vereinten Nationen sich auch über die Machtinteressen einer Vetomacht oder mehrerer Vetomächte hinwegsetzen können. Um das zu können, brauchen sie die Fähigkeit, Veto-Blockaden ihres Sicherheitsrats zu überwinden. Dies geht, indem eine qualifizierte Mehrheit (also eine Zwei-Drittel-Mehrheit) ihrer Generalversammlung einspringt und selbst friedenserzwingende Massnahmen nach Kapitel VII der VN-Charta beschliesst. Das Recht dazu hat sich die Generalversammlung 1950 erstmals selbst zugesprochen. Wenn sie dieses Recht praktisch anwendet, dann geht die grosse Mehrheit der in der Generalversammlung vertretenden Mitgliedsstaaten in einen ernsthaften politischern Konflikt. Ständige Mitglieder des Sicherheitsrats werden behaupten, diese Durchkreuzung ihrer Vetomacht sei eine unzulässige Über- bzw. Fehlinterpretation der VN-Charta. Wir sollten uns der Risiken bewusst sein, die mit einem solchen Vorgehen verbunden sind, aber genauso der noch viel höheren Risiken bei einer abwartend-resignierenden Haltung. Der Machtanspruch der Vetomächte darauf, dass nur mit ihrer Zustimmung oder Duldung schwerste Menschenrechtsverletzungen, also breit angelegte, systematische Vertreibungs- oder Kriegsverbrechen und Völkermord verhindert oder gestoppt werden dürfen, kann jederzeit wieder zu ganz unerträglichen Situationen führen.
Grüne sollten dabei bleiben, auch in solchen Situationen auf keinen Fall "Koalitionen der Willigen" ohne VN-Mandat zuzustimmen. Der Anschein, auf solche Weise einfacher oder schneller die erforderliche "Feuerkraft" zur Einzelfallhilfe zusammen zu bekommen, täuscht. Erfahrungsgemäß können die Folgen für die betroffenen Länder verheerend sein und der Bruch der VN-Charta weltweit die friedenssichernde Geltung des Völkerrechts und der Vereinten Nationen massiv beschädigen. Eben deswegen ist der Ausweg, friedenserzwingende Massnahmen durch die Generalversammlung zu mandatieren, ein lebenswichtiger, entscheidender Schritt auf dem Weg zu einer gut funktionierenden Weltfriedensordnung.
Das Recht der Generalversammlung, friedenserzwingende Massnahmen mit qualifizierter Mehrheit zu mandatieren, macht die Vereinten Nationen in jeder Konfliktlage tatsächlich entscheidungsfähig.
Erst nachdem die grosse Mehrheit der VN-Mitgliedsstaaten auf dieses Recht gestützt mehrere Konflikte mit Vetomächten durchgestanden, die Stärke des Rechts gegen das "Recht des Stärkeren" durchgesetzt und Frieden erfolgreich erzwungen haben, gibt es vernünftige Gründe für die Hoffnung auf eine Welt ohne Atomwaffen. Denn erst dann werden alle Atommächte den Vereinten Nationen zutrauen, ihre eigenen nationalen, als vitalen betrachteten Interessen, auch in einem ernsthaften Konflikt mit den grössten anderen Mächten zuverlässig und dauerhaft zu schützen. Erst dann werden sie die Risiken eines Verzichts auf ihre Atomwaffen für geringer erachten als die Risiken eines Behaltens.
2. Hier die entscheidenden Stellen der vier BDK-Beschlüsse zum Mandatierungsrecht der VN-Generalversammlung:
a. Europawahlprogramm, 2019:
"Die schreckliche Situation in Syrien hat erneut verdeutlicht, welche negativen Auswirkungen die Handlungsunfähigkeit der Vereinten Nationen (VN) durch die Blockadehaltung eines Mitglieds im VN-Sicherheitsrat haben kann. Dadurch wird erschwert, dass die internationale Gemeinschaft ihrer Schutzverantwortung nachkommen kann. Eine Blockade des Sicherheitsrats bei zentralen Fragen schwächt das Völkerrecht und die VN insgesamt, da beispielsweise nicht einmal der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag mit der Verfolgung von Kriegsverbrechen beauftragt werden kann. Die Vereinten Nationen müssen wieder voll handlungsfähig werden. .... Die Vetomöglichkeit im Sicherheitsrat wollen wir langfristig abschaffen und kurzfristig mit einem Begründungszwang belegen, besonders bei der Frage der Responsibility to Protect. Bis dahin sollte im Falle einer anhaltenden Blockade des Sicherheitsrats die Generalversammlung der VN das Recht beanspruchen, nach dem Vorbild der „Uniting For Peace“-Resolution 377 von 1950 mit qualifizierter Mehrheit den Sicherheitsrat für blockiert zu erklären und an seiner Stelle friedenserzwingende Maßnahmen, also diplomatische Maßnahmen, Sanktionen oder militärische Maßnahmen, gemäß Kapitel VII der VN-Charta zu beschließen."
https://cms.gruene.de/uploads/documents/B90GRUENE_Europawahlprogramm_2019_barrierefrei.pdf , dort S. 126f. und knapp wiederholt auf S.142f
b. Bundestagswahlprogramm, 2017:
"Eine Blockade des VN-Sicherheitsrats bei zentralen Entscheidungen droht das Völkerrecht und die VN zu schwächen und muss überwunden werden. Die Vereinten Nationen müssen wieder handlungsfähiger werden. Im Falle einer anhaltenden Blockade des VN-Sicherheitsrats sollte die Generalversammlung der VN das Recht beanspruchen, mit qualifizierter Mehrheit den Sicherheitsrat für blockiert zu erklären und an seiner Stelle friedenserzwingende Maßnahmen nach Kapitel VII der VN-Charta zu beschließen."
https://cms.gruene.de/uploads/documents/BUENDNIS_90_DIE_GRUENEN_Bundestagswahlprogramm_2017.pdf , dort S. 86
c. Bundestagswahlprogramm, 2013:
"Für einen solchen Einsatz ist ein Mandat des Sicherheitsrats nach der gegenwärtigen Verfasstheit der VN die Voraussetzung. Allerdings kann ein Nichthandeln aufgrund einer Blockadehaltung einer oder mehrerer Vetomächte das Völkerrecht und die Vereinten Nationen ebenso massiv beschädigen wie das Eingreifen ohne ein Mandat. Im Falle einer Blockade des Sicherheitsrates sollte die Generalversammlung anstelle des Sicherheitsrates mit qualifizierter Mehrheit Sanktionen bis hin zu friedenserzwingenden Maßnahmen nach Kapitel VII der VN-Charta beschließen."
d. „Für eine Verantwortung zum Schutz der Menschenrechte“, 2012:
"5) Völkerrechtliche Legitimität und VN-Mandat
Ein Militäreinsatz über den Fall der Selbstverteidigung hinaus ist gemäß der VN-Charta nur zulässig zur Wahrung und Wiederherstellung der internationalen Sicherheit und des Weltfriedens. Gemäß der Abschlusserklärung des Weltgipfels 2005 zur Schutzverantwortung umfasst dies den Schutz vor Völkermord, Kriegsverbrechen, ethnischen Säuberungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Dafür ist ein Mandat des Sicherheitsrats nach der gegenwärtigen Verfasstheit der VN die Voraussetzung. Allerdings kann ein Nichthandeln aufgrund einer Blockade der Sicherheitsratsresolution das Völkerrecht und die Vereinten Nationen ebenso massiv beschädigen wie das Eingreifen ohne ein Mandat. Zur Auflösung solcher Dilemmata wäre es ein möglicher Weg, eine Problemlösung und Legitimation über die Generalversammlung der VN zu suchen, wie es auch Brasilien vorgeschlagen hat. Die Generalversammlung sollte das Recht beanspruchen, nach dem Vorbild der „Uniting For Peace“-Resolution 377 von 1950 mit qualifizierter Mehrheit den Sicherheitsrat für blockiert zu erklären und an seiner Stelle friedenserzwingende Maßnahmen nach Kapitel VII der VN-Charta zu beschließen. Die Zusammenarbeit mit den jeweiligen Regionalorganisationen soll dabei angestrebt werden. Die Stärkung des Völkerrechts hängt dabei entscheidend davon ab, dass in einem solchen Weiterentwicklungsprozess allein die Vereinten Nationen Entscheidungs- und Handlungszentrum bleiben. Eine Entscheidung des Sicherheitsrats oder der Generalversammlung ist eine bindende Voraussetzung, weil ohne ein solches Mandat das Völkerrecht und die Vereinten Nationen massiv beschädigt würden."
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