Veranstaltung: | 46. Bundesdelegiertenkonferenz |
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Tagesordnungspunkt: | PB-I Kapitel 6: International zusammenarbeiten |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Bundesdelegiertenkonferenz |
Beschlossen am: | 13.06.2021 |
Eingereicht: | 13.06.2021, 16:13 |
Antragshistorie: | Version 1 |
Kapitel 6: International zusammenarbeiten
Beschlusstext
Kapitel 6: International zusammenarbeiten
Die großen Herausforderungen unserer Zeit sind global: Pandemien, die Klima- und
Biodiversitätskrise, Hunger, Urbanisierung, Migration und die sozial-ökologische
Transformation als besondere Aufgabe. Wir können sie nur gemeinsam meistern. Jahrelang hat
Deutschland in Europa und der Welt aber allenfalls moderiert, oft gezögert, ist abgetaucht.
Es ist Zeit, wieder eine kooperative und aktive Politik zu betreiben und als gestaltende
Kraft voranzugehen im Sinne einer multilateralen und vorsorgenden, einer kohärenten und
wertegeleiteten Politik – stets europäisch und entlang einer verlässlichen deutsch-
französischen Zusammenarbeit, mit unseren Partner*innen innerhalb und außerhalb Europas,
transatlantisch und im Rahmen der Vereinten Nationen.
Gestützt auf die Agenda der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung, das Pariser
Klimaabkommen, internationale Menschenrechtsnormen und die rechtebasierte internationale
Ordnung setzen wir uns für eine wirkungsorientierte globale Strukturpolitik ein, die den
Schutz und die Bereitstellung globaler Gemeingüter, eine gerechte Verteilung von Ressourcen
und Wohlstand sowie Entwicklungschancen für alle als beste Vorsorge gegen die Klima- und
Biodiversitätskrise, Konflikte, Gewalt oder das unermessliche Leid von Hunger, Flucht und
Vertreibung begreift. Wir wollen dazu auch eine europäische Politik der globalen Vernetzung
und Konnektivität vorantreiben und begrüßen entsprechende Partnerschaften
Ausgangspunkt unserer Politik ist eine gestärkte, krisenfeste und handlungsfähige
Europäische Union. Die Werte, auf denen sie gründet, wollen wir nach innen verteidigen und
nach außen beherzt vertreten: Menschenrechte, Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit.
Die EU als Friedensmacht ist nicht nur Antwort auf eine lange und schmerzvolle Geschichte
von Kriegen und Feindseligkeiten auf unserem Kontinent, exportiert in die ganze Welt,
sondern vor allem ein Zukunftsversprechen, das es einzulösen gilt. Sie ist unser
schützenswertes und einmaliges Zuhause. Gerade weil wir überzeugte Europäer*innen sind,
streiten wir für ihre stetige Fortentwicklung. Wir arbeiten für eine europäische
Wertegemeinschaft, die ihre Abhängigkeit von Dritten in kritischen Bereichen ab- und ihre
Souveränität und strategische Handlungsfähigkeit ausbaut – in einem Gleichgewicht von
Kooperation, wo möglich, und Eigenständigkeit, wo nötig. So eine EU ist in der Lage,
kritische Infrastruktur und globale Gemeingüter bereitzustellen und zu schützen, global für
das Völkerrecht und die universalen Menschenrechte einzustehen. Ein wichtiges Fundament
dafür ist es, Spaltung und antidemokratischen Bestrebungen innerhalb Europas
entgegenzutreten. Mit dem größten Binnenmarkt der Welt hat die EU wirtschaftlich erheblichen
Einfluss. Diesen Hebel wollen wir nutzen, um die globale Transformation gerecht zu gestalten
und ambitionierte Standards zu setzen.
Der erheblichen Widerstände und Dilemmata, die das bedeutet, sind wir uns bewusst. Mit ihrem
autoritären Hegemonialstreben zwingen Staaten wie China und Russland, die Menschen- und
Bürger*innenrechte systematisch aushebeln, andere Staaten nicht nur in wirtschaftliche und
politische Abhängigkeit, sondern sie wollen auch Europa spalten. Zugleich wird eine globale
sozial-ökologische Transformation ohne China, auch ohne Russland oder Brasilien, nicht
möglich sein. Das allein zeigt: Der globale Systemwettbewerb mit autoritären Staaten und
Diktaturen ist real, lässt bisweilen nur die Wahl zwischen Regen oder Traufe – und stellt
uns vor derart beachtliche Aufgaben, dass jede Form des Alleingangs zum Scheitern verurteilt
wäre. Mit einer Demokratieoffensive treten wir diesem Trend entgegen und stärken die globale
Zusammenarbeit von Demokratien und Demokrat*innen. In eine Partnerschaft für Demokratie
sollten die Länder, zivilgesellschaftlichen Gruppen und Parlamentarier*innen einbezogen
werden, die sich zu ambitionierten demokratischen Standards bekennen. Zudem wollen wir die
Stärkung von demokratischer Rechtsstaatlichkeit, regionaler Integration, Zivilgesellschaft
und Menschenrechten ressortübergreifend besser koordinieren und ausbauen. Wir präferieren
die regelbasierte, multilaterale Zusammenarbeit gegenüber informellen Formaten.
Wir können die vielen Widersprüche und Grenzen außen-, entwicklungs- und
sicherheitspolitischen Handelns nicht auflösen. Die Verteidigung von Menschenrechten,
Demokratie und das klare Bekenntnis zu Freiheitsbewegungen führen an die Grenzen politischer
Handlungsfähigkeit. Wir können uns aber dieser Verantwortung nicht entziehen. Umso zentraler
ist europäische Kohärenz und sind politische Bündnisse mit allen anderen Staaten, aber
gerade auch Regionen, Kommunen und zivilgesellschaftlichen oder zwischenstaatlichen
Akteur*innen, für die der Wert von Kooperation und die Stärke des Rechts ebenfalls Grundlage
internationaler Beziehungen sind. Diese Bündnisse wollen wir stärken und selbstbewusst
mitgestalten. Deutschlands Vertretung in internationalen Organisationen wollen wir besser
aufstellen und das Engagement stärken. Souverän sind wir nur gemeinsam.
Wir setzen auf den ehrlichen Interessenausgleich, auf eine feministische Außenpolitik, die
Achtung der Rechte marginalisierter Gruppen, auf Zusammenarbeit und Rechtsstaatlichkeit, auf
Gewaltfreiheit und koordinierte Krisenprävention und regelbasierte sowie vorrangig zivile
Konfliktbearbeitung in einer eng vernetzten Welt. Unser Ziel ist eine Weltordnung, in der
Konflikte nicht über das Recht des Stärkeren, sondern am Verhandlungstisch gelöst werden.
Und wir reichen allen die Hand, die daran teilhaben wollen. Wir richten unsere Politik
postkolonial und antirassistisch aus, im Wissen um Deutschlands Verantwortung in der Welt
und im Bewusstsein um die Verbrechen des Nationalsozialismus.
Als hochentwickelter und exportorientierter Industriestaat gehört Deutschland zu den
Hauptverursachern globaler Erwärmung und agiert als entscheidender Player einer
Globalisierung, die eben nicht nur Wohlstand und Entwicklung bedeutet, sondern auch zu
Ausbeutung von Mensch und Umwelt führt. Diese Verantwortung, insbesondere auch gegenüber
Ländern des globalen Südens, verstehen wir als Antrieb für ambitionierte Veränderung und
entschiedenes Handeln mit dem Ziel globaler Gerechtigkeit und setzen dafür bei uns selbst
an.
Das bedeutet auch: Wir fordern die Einhaltung und den Schutz der Menschenrechte nicht nur
von anderen ein, sondern messen uns selbst daran. Menschenrechte sind völkerrechtliche
Pflicht und unverrückbare Grundlage einer wertegeleiteten internationalen Politik. „Alle
Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren“: Artikel 1 der Allgemeinen
Erklärung der Menschenrechte ist Leitbild unseres Engagements – auch in der europäischen
Geflüchtetenpolitik. Sie ist das große Versagen Europas. In keinem anderen Bereich scheitern
die europäischen Regierungen derart an den eigenen Ansprüchen hinsichtlich Moral,
Menschenrechten und internationalen Rechts.
Doch wir haben Möglichkeiten und Regeln, um Flucht angemessen und nach klaren,
menschenrechtsbasierten Prinzipien zu begegnen. Diese Regeln gibt es, ebenso wie es immer
wieder Momente in unserer Geschichte gab, da nach ihnen gehandelt wurde. Hier wollen wir
anknüpfen und – wenn nicht gesamteuropäisch, dann in einer humanitären Koalition der
Willigen innerhalb und außerhalb der EU – einen Paradigmenwechsel hin zur konsequenten
Vorbeugung gegen Fluchtursachen und zu einem menschenwürdigen Umgang mit Geflüchteten
vorantreiben. Wir setzen auf Rationalität und Handlungswillen, auf Humanität und
Verantwortung – und auf den unerlässlichen Pragmatismus der Nothilfe.
Die Größe und Komplexität der internationalen Herausforderungen, die da vor uns liegen,
sollte Messlatte unseres nationalen und internationalen politischen Handelns sein. Die
globalen Aufgaben sind erheblich. Wagen wir die notwendigen Antworten.
Wir treiben die sozial-ökologische Transformation voran
Schubkraft für globale Transformation
Mehr denn je bedrohen Klimaveränderungen und der Verlust von Artenvielfalt menschliche
Sicherheit und Freiheit sowie die nachhaltige Entwicklung – überall auf der Welt. Die Zeit
drängt. Darum braucht es in den nächsten Jahren einen energischen Schub für eine sozial-
ökologische Transformation. Die nachhaltigen Entwicklungsziele der Agenda 2030 und des
Klimaabkommens von Paris waren ein Aufbruch. Alle Länder sind seitdem verpflichtet, bei sich
zu Hause anzufangen und ihren Beitrag für die gemeinsame Aufgabe zu leisten – schließlich
sind es unsere Entscheidungen in Wirtschaft und Handel, bei Agrar- oder Rüstungsexporten,
die sich weltweit stark auf Klima, Artenschutz und globale Gerechtigkeit auswirken. Wir
wollen alle Politikbereiche in Deutschland auf die Transformation ausrichten und für ein
strategisches und kohärentes Handeln in allen Ressorts und Politikbereichen einen Nationalen
Rat für Frieden, Nachhaltigkeit und Menschenrechte einrichten sowie einen Nachhaltigkeits-
und Menschenrechts-TÜV einführen, mit dem relevante Gesetzesentwürfe auf Vereinbarkeit mit
den VN-Nachhaltigkeits- und -Klimazielen sowie Menschenrechtsabkommen überprüft werden. Auch
international wollen wir neuen Schwung in die sozial-ökologische Transformation bringen,
indem wir auf eine verbindliche Transformationsquote hinwirken und insbesondere die Länder
des globalen Südens in diesem Prozess unterstützen. Wir bündeln die Ausgaben für
Entwicklungszusammenarbeit, internationale Klimafinanzierung und Teile der humanitären
Hilfe, um eine globale Transformation entlang der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten
Nationen und der Pariser Klimaziele zu finanzieren. Dabei halten wir unsere internationalen
Zusagen für Entwicklungszusammenarbeit, Klimafinanzierung und Biodiversität ein.
Deutschlands Beitrag dazu ist, die ODA-Quote, also den Anteil der öffentlichen Ausgaben für
Entwicklungszusammenarbeit am Bruttonationaleinkommen, von 0,7 Prozent bis 2025 zu erreichen
und weitere 10 Milliarden Euro zur internationalen Klimafinanzierung bereitzustellen.
Klimaaußenpolitik und globale Klimagerechtigkeit
Wir verfolgen eine ambitionierte, nachhaltige und menschenrechtskonforme Klimaaußenpolitik
und setzen uns für globale Klimagerechtigkeit ein: Wir machen Klimaneutralität sowie die
Bewältigung von Klimafolgen zu einer ressortübergreifenden strategischen Priorität unseres
internationalen politischen Handelns. So wollen wir auch der historischen Verantwortung von
Deutschland und Europa gerecht werden. Internationale Kooperation für Klimagerechtigkeit ist
klimapolitisch notwendig, verfolgt die Erreichung der nachhaltigen Entwicklungsziele, beugt
Ressourcenkonflikten vor und sichert Frieden. Denn die Länder des globalen Südens haben
wachsende Energiebedarfe: Mit Klima- und Entwicklungspartnerschaften wollen wir Innovation
für Klimaneutralität global vorantreiben, den massiven Ausbau erneuerbarer Energien
unterstützen und Anpassung stärken, damit die Weltgemeinschaft auf den 1,5-Grad-Pfad kommen
kann. Wir wollen Win-win-Situationen für Europa und seine Nachbarstaaten sowie für Länder
mit großen Potenzialen für erneuerbare Energien schaffen und somit postkolonial sensibel
unseren Bedarf an grüner Energie sichern: grünen Wasserstoff statt Öl- und Gasimporte. Wir
stärken die personellen und finanziellen Mittel Deutschlands und der EU für
Klimaaußenpolitik sowie für globale Klimagerechtigkeit und richten unsere diplomatischen
Fähigkeiten gezielt auf eine klimagerechte Politik aus. Die bestehenden internationalen
Fonds für Klimaanpassung und Klimaschutz wollen wir besser ausstatten und setzen uns für
einen zusätzlichen Fonds zum Ausgleich von Schäden und Verlusten ein, um daraus zum Beispiel
Klimarisikoversicherungen zu
finanzieren. Förderungen fossiler Energieträger in unserer Entwicklungs- und
Exportfinanzierung werden wir beenden. Entwicklungs- und Investitionsbanken wie die Weltbank
oder die KfW sollen zu Transformationsbanken umgebaut werden.
Klima und Umwelt schützen, Menschenrechte achten
Der Schutz der Menschenrechte verpflichtet zum Klima- und Umweltschutz, umgekehrt schützt
Klima- und Umweltschutz Menschenrechte. Wir treten für verbindliche Mechanismen zum Schutz
von Menschen ein, die aufgrund von Extremwetterereignissen oder schleichender
Umweltveränderung ihre Lebensgrundlage verlieren und ihre Heimat verlassen müssen.
Insbesondere regionale Ansätze, die den Betroffenen eine selbstbestimmte und würdevolle
Migration ermöglichen und ihnen Aufenthaltsperspektiven schaffen, unterstützen wir. Zugleich
wollen wir jene Staaten in die Pflicht nehmen, die historisch am meisten zur Erderwärmung
beigetragen haben, um dem Verantwortungsprinzip im Umweltvölkerrecht Rechnung zu tragen und
Heimat- und Aufnahmeländer klimabedingter Migration zu unterstützen. Die „Task Force on
Displacement“ der Klimarahmenkonvention UNFCCC wollen wir strukturell stärken und setzen uns
dafür ein, dass ihre Empfehlungen ebenso umgesetzt werden wie der Globale Pakt für eine
sichere, geordnete und reguläre Migration sowie der Globale Pakt für Flüchtlinge. Es braucht
auch die Stärkung des Rechts indigener Gemeinschaften. Initiativen zur Stärkung des
Rechtswegs, auch gegen multilaterale Investitionsbanken und das Instrument der Klimaklagen
unterstützen wir. Die französische Initiative, das Umweltvölkerrecht zu kodifizieren und zu
konsolidieren, greifen wir auf und machen uns dafür stark, in einem ersten Schritt das Recht
auf saubere Umwelt in einer Resolution der VN-Generalversammlung zu verbriefen. Da
Verbrechen gegen die Umwelt nicht vor Ländergrenzen Halt machen, ist es im globalen
Interesse, dass die internationale Staatengemeinschaft eine Gerichtsbarkeit schafft, die
diese Verbrechen unabhängig und grenzüberschreitend verfolgt.
Armut und Ungleichheit weltweit bekämpfen
Durch die Corona-Pandemie sind Armut und Ungleichheit weltweit dramatisch angestiegen.
Armutsbekämpfung und gerechte Teilhabe sind zentrale Ziele unseres internationalen
Engagements. Wir unterstützen Länder dabei, eine sozialorientierte Wirtschafts- und
Steuerpolitik zu verfolgen. Wir setzen uns dafür ein, dass Menschen weltweit sozial
abgesichert werden, auch über Social Cash Transfers, und dass Kinder und Jugendliche Zugang
zu hochwertiger Schul- und Berufsausbildung erhalten. Gemeinsam mit unseren Partnerländern
wollen wir den Aufbau nachhaltiger und rechtebasierter sozialer Sicherungssysteme fördern.
Grundsätzlich sollen soziale Sicherungsprogramme einfach zugänglich sein und die
vulnerabelsten Gruppen erreichen, die Geschlechtergerechtigkeit herstellen und den sozialen
Zusammenhalt stärken. Um die Effektivität aller Maßnahmen zu erhöhen, wollen wir
Wirkungsevaluierung, Transparenz sowie den Austausch mit der Wissenschaft stärken.
Humanitäre Hilfe stärken
Mit humanitärer Hilfe unterstützen wir weltweit Menschen, die in humanitäre Notlagen geraten
sind. Die Anzahl humanitärer Krisen nimmt zu, sowohl aufgrund bewaffneter Konflikte als auch
infolge klimakrisenbedingter Extremwetterereignisse. Immer mehr Menschen müssen ihre Heimat
verlassen, humanitäre Krisen dauern länger an. Dem werden wir durch eine kontinuierliche
Anpassung der Mittel für die humanitäre Hilfe gerecht. Diese werden bedarfsorientiert sowie
verstärkt mehrjährig vergeben. Damit ermöglichen wir Planbarkeit und Flexibilität für die
Durchführungsorganisationen und erreichen Menschen in Not schnell und angemessen. Wir setzen
uns für die Achtung der humanitären Prinzipien ein und gehen durch die bessere Verzahnung
mit ziviler Krisenprävention und Entwicklungszusammenarbeit die strukturellen Ursachen an.
Wir stärken die multilaterale Zusammenarbeit
Vereinte Nationen reformieren
Ohne die Vereinten Nationen ist die multilaterale Zusammenarbeit an der sozial-ökologischen
Transformation nicht zu meistern. Ihre Institutionen versorgen überall auf der Welt
Millionen von Geflüchteten, stellen Bildungsmöglichkeiten, Nahrung und Gesundheitsleistungen
zur Verfügung. Sie vermitteln in unzähligen Kriegen und Konflikten und sind der Rahmen, in
dem die beiden wichtigsten multilateralen Abkommen der vergangenen Jahre ausgehandelt worden
sind: die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung und das Pariser Klimaschutzabkommen. Das
Engagement Deutschlands und der EU für die Vereinten Nationen werden wir finanziell,
personell und diplomatisch substanziell verstärken, besser koordinieren und internationale
Vereinbarungen konsequent in nationale und europäische Politik umsetzen. So schaffen wir die
Voraussetzungen für notwendige Reformen des VN-Systems. Der Sicherheitsrat und andere Organe
der Vereinten Nationen sollten an die Realitäten des 21. Jahrhunderts angepasst werden.
Dabei geht es um eine gerechtere Repräsentation der Regionen im Sicherheitsrat. Das Konzept
der Vetomächte ist nicht mehr zeitgemäß. Wir zielen darauf, dass das Vetorecht langfristig
abgeschafft wird. Als Zwischenschritt sollte im Falle von schwersten Verbrechen gegen die
Menschlichkeit ein Veto im Sicherheitsrat mit einer Begründung und einem Alternativvorschlag
versehen werden. Wenn der Sicherheitsrat im Falle von schwersten Menschenrechtsverletzungen
anhaltend blockiert ist, soll die Generalversammlung an seiner Stelle nach dem Vorbild der
„Uniting for Peace“-Resolution über friedenserzwingende Maßnahmen, also diplomatische
Maßnahmen, Sanktionen oder militärische Maßnahmen gemäß Kapitel VII der UN-Charta, mit
qualifizierter Mehrheit beschließen.
Resilienz gegen Epidemien erhöhen – WHO stärken
Zum Schutz vor neuen und zur Bekämpfung der alten Krankheiten setzen wir auf verstärkte
internationale Zusammenarbeit und Solidarität unter dem Dach der zu reformierenden
Weltgesundheitsorganisation als Sonderorganisation der Vereinten Nationen. Die WHO soll die
koordinierende Organisation der globalen Gesundheit sein. Dazu wollen wir sie mit deutlich
höheren Beiträgen und einem klaren Mandat befähigen. Sie soll Gesundheitssysteme weltweit
stärken können, damit eine bessere Versorgung lokaler Bevölkerungen sichergestellt ist und
die Prävention gegen nichtübertragbare wie übertragbare Krankheiten, deren Diagnose und die
Reaktion darauf verbessert werden. Ihre zentrale Rolle in der Pandemievorsorge und -
bekämpfung wollen wir weiter stärken. In den G20 werden wir uns dafür einsetzen, ihr einen
formellen Sitz einzuräumen. Mit Blick auf die Bekämpfung der Corona-Pandemie hat Priorität,
dass noch in diesem Jahr die bestehenden Kapazitäten zur Produktion von Covid-19-Impfstoffen
erhöht und Impfstoffe im Rahmen der COVAX-Allianz an einkommensschwache Länder geliefert
werden. Zusätzlich setzen wir uns für einen aktiven Technologie- und Wissenstransfer
bezüglich der Herstellung entscheidender Arzneimittel ein. Die Gewährleistung offener,
fairer und flexibler globaler Lieferketten ist dafür genauso Voraussetzung wie die Aufhebung
weltweiter Exportrestriktionen für Covid-19-Impfstoffe. Wo freiwillige
Produktionspartnerschaften nicht ausreichen, unterstützen wir Anträge auf Erteilung von
verpflichtenden Lizenzen für Covid-Impfstoffe gegen Entschädigungen und bringen uns in
diesem Sinne bei der WTO für eine temporäre Aussetzung von Patenten für Technologien zur
Bekämpfung von Covid-19 in die Verhandlungen ein. Monopole auf geistiges Eigentum zur
Bekämpfung von Krankheiten dürfen den Zugang zu überlebenswichtigen Schutzmaterialien,
Impfstoffen und Arzneimitteln nicht versperren. Wir unterstützen die Einbindung Taiwans in
die WHO inklusive eines Beobachterstatus.
50 Prozent Frauen in internationalen Verhandlungen
Wir wollen dem Multilateralismus neue Impulse für mehr Zusammenarbeit geben. Transformation
gelingt nur mit Kooperation, und die gelingt nur durch Einbeziehung der betroffenen
gesellschaftlichen Gruppen. Nach wie vor ist die gleichberechtigte und intersektionale
Teilhabe von Frauen der stärkste Indikator dafür. Wir wollen schrittweise für Deutschland
und Europa eine 50-Prozent-Quote in allen diplomatischen und multilateralen Verhandlungen,
für die Entsendung in internationale Organisationen sowie auf den Umsetzungsebenen
durchsetzen. Um das zu ermöglichen, ist eine 50-Prozent-Quote für Frauen im Auswahlverfahren
für das Personal in internationalen Einsätzen, in den international arbeitenden Ministerien
sowie im gehobenen und höheren Europäischen Auswärtigen Dienst notwendig. Es braucht
vergleichbare Kriterien, Standards, Indikatoren und Zeitrahmen für die Gleichstellungspläne
der Ministerien, vergleichbar mit dem „Gender Equality Plan“ nach dem Vorbild der
schwedischen Regierung.
Wir arbeiten an guten Beziehungen in einer multipolaren
Welt
Für eine aktive europäische Politik mit unseren Nachbarstaaten
Die EU muss vor allem in ihrer direkten Nachbarschaft mehr Verantwortung übernehmen. Die EU-
Erweiterungspolitik ist dabei eine Erfolgsgeschichte, die wir fortschreiben wollen. Deshalb
treten wir für konkrete Fortschritte bei der europäischen Integration der Länder des
westlichen Balkans ein. Wir wollen notwendige Reformen, unter anderem bei Demokratie,
Rechtsstaatlichkeit, Korruptionsbekämpfung sowie Inklusion und Schutz von Minderheiten,
insbesondere der Rom*nja, aktiv unterstützen. Die Visaliberalisierung für Kosovar*innen ist
als nächster Schritt genauso unerlässlich wie Fortschritte im Serbien-Kosovo-Dialog, die
Eröffnung der ersten EU-Beitrittskapitel für Albanien und Nordmazedonien oder die Schaffung
einer Bürger*innengesellschaft mit gleichen Rechten für alle Bürger*innen in Bosnien und
Herzegowina. Auch Aussöhnungsprozesse und die politische und juristische Aufarbeitung der
Kriegsverbrechen müssen gestärkt werden. Ethnischen Grenzverschiebungen oder
Diskriminierungen erteilen wir eine klare Absage. In Osteuropa streiten viele mutige
Menschen in Ländern wie Armenien, Georgien, Ukraine oder Belarus für Demokratie,
Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte. Wir stehen an ihrer Seite und fördern demokratische
und sozial-ökologische Transformationsprozesse in der Region, im Rahmen der Östlichen
Partnerschaft der EU und bilateral, etwa durch die stärkere Knüpfung von Geldern an die
nachhaltige Umsetzung von Reformen. Wir unterstützen die demokratische Zivilgesellschaft und
unabhängige Medien vor Ort, wollen mehr Austausch zwischen Ost und West ermöglichen und
Justizreformen vorantreiben. EU-assoziierten Ländern der Östlichen Partnerschaft wollen wir
den Weg zu einem EU-Beitritt offenhalten. Im Süden braucht es eine neue Mittelmeerpolitik,
die gemeinsam Entwicklungspotenziale für die Region realisiert und sich zugleich den enormen
Herausforderungen stellt: Terrorismus, autoritäre Regime, Staatszerfall. Gemeinsam wollen
wir im Rahmen ambitionierter Energiepartnerschaften den Mittelmeerraum zu einer Plus-
Energie-Region machen. Derweil hat zu unserem großen Bedauern mit Großbritannien erstmals
ein Land das gemeinsame Haus der EU verlassen. Es ist gut, dass mit dem Handels- und
Kooperationsabkommen die Grundlage für einen Neubeginn geschaffen wurde. Es bedarf aber
weiterer Anstrengungen, um zu verhindern, dass europäische Standards ausgehöhlt werden. Das
Karfreitagsabkommen und die offene Grenze garantieren den Frieden auf der irischen Insel.
Dieser fragile Frieden darf nicht gefährdet werden. Den Austausch von Studierenden,
Forscher*innen und in der beruflichen Bildung zwischen der EU und Großbritannien wollen wir
auch nach dem Brexit lebendig halten.
USA
Die transatlantische Partnerschaft bleibt ein zentraler Stützpfeiler der deutschen
Außenpolitik, jedoch muss sie erneuert, europäisch gefasst, multilateral und an klaren
gemeinsamen Werten und demokratischen Zielen ausgerichtet werden. Als Kern einer erneuerten
transatlantischen Agenda der EU wollen wir einen gemeinsamen starken Impuls für die
weltweite Klimapolitik, ausgehend von den Pariser Klimazielen, geben. Besonders mit der
Etablierung einer starken Klimapartnerschaft kann die transatlantische Partnerschaft
Inspiration und Treiber für eine sozial-ökologische Transformation, die weltweit höchste
Standards setzt, sein. Wir setzen auch bei der Stärkung des Multilateralismus, in
Handelsfragen sowie bei der Gesundheit auf eine gute Kooperation mit den USA. Wir wollen uns
gemeinsam für den weltweiten Menschenrechtsschutz, die Weiterentwicklung internationaler
Rechtsnormen, globale Rüstungskontrolle und Abrüstung, eine regelbasierte Weltordnung und
die Stärkung einer verantwortungsbewussten Handelspolitik einsetzen. Das schließt eine
Verständigung über den Umgang mit autoritären Staaten mit ein. Der sicherheitspolitische
Fokus der USA wird sich auch mit der neuen US-Regierung nicht wieder zuvorderst auf Europa
richten. Die EU und ihre Mitgliedstaaten müssen selbst mehr außen- und sicherheitspolitische
Verantwortung übernehmen. Das gilt insbesondere für die Sicherheit der östlichen
Nachbarländer der EU wie auch der baltischen Staaten und Polens. Wir wollen die
transatlantische Debatte auf vielen Ebenen führen, auch auf den jeweiligen
föderalen und lokalen, sowie in zivilgesellschaftlichen Foren – und damit nachhaltige,
diverse gesellschaftliche Netzwerke knüpfen.
China
China ist Europas Wettbewerber, Partner, systemischer Rivale. Wir verlangen von China ein
Ende seiner eklatanten Menschenrechtsverletzungen, etwa in Xinjiang und Tibet und zunehmend
auch in Hongkong. Es braucht auch einen konstruktiven Dialog mit China, der dort eine
Kooperation sucht, wo es zu konstruktiver Zusammenarbeit bereit ist, und klare
Gegenstrategien bereithält, wo China systematisch versucht, internationale Standards zu
schwächen. Insbesondere in der Klimapolitik streben wir gemeinsame politische,
wirtschaftliche und technologische Anstrengungen sowie eine Einhaltung von nachhaltigen
Produktionsstandards und einen transparenten Fahrplan zur Bekämpfung der Klimakrise,
beispielsweise durch einen Kohleausstieg, in China an. Kooperation mit China darf nicht zu
Lasten von Drittstaaten oder von Menschen- und Bürger*innenrechten gehen. Wir halten uns an
die „Ein-China-Politik“ der Europäischen Union und betonen, dass die Vereinigung mit Taiwan
nicht gegen den Willen der Bevölkerung Taiwans erzwungen werden darf. Gleichzeitig wollen
wir den politischen Austausch mit Taiwan ausbauen. Unsere Handelsbeziehungen mit China
wollen wir nutzen, um fairen Marktzugang für ausländische Investitionen, Rechtssicherheit
und gleiche Wettbewerbsbedingungen einzufordern. Wir erwarten, dass China die entscheidenden
Kernnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) ratifiziert und jede Form von
Zwangsarbeit beendet. Das EU-Lieferkettengesetz muss angesichts der
Menschenrechtsverletzungen – etwa in Xinjiang – Waren aus Zwangsarbeit den Zugang zum
Binnenmarkt ebenso verwehren, wie es Unternehmen für ihre Produkte in Haftung nimmt.
Deutschland sollte sich außerdem für eine Fact-Finding-Mission zu Xinjiang im Rahmen des VN-
Menschenrechtsrats einsetzen und die Unterdrückung der Uigur*innen als Völkerstraftaten
bezeichnen. Dem europäisch-chinesischen Investitionsabkommen CAI können wir in seiner
jetzigen Form nicht zustimmen. Wir werden an einer engen europäischen und transatlantischen
Koordinierung gegenüber China arbeiten.
Indo-Pazifik
Wir setzen uns für eine freie und offene indo-pazifische Region auf der Grundlage globaler
Normen und des Völkerrechts ein. Wir wollen eine umfassende Kooperation mit der Region,
insbesondere in den Bereichen Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, Stärkung des
Multilateralismus und bei Digitalisierung und Klimaschutz. Australien, Japan, Neuseeland,
Südkorea und auch Taiwan betrachten wir ebenso als wichtige Partnerländer, wie wir die
strategischen Partnerschaften mit Indien und mit ASEAN ausbauen wollen. Die Stärkung der
Zivilgesellschaften ist ein integraler Bestandteil unserer Indo-Pazifik-Strategie. Wir
entwickeln eine indo-pazifische Handelspolitik, die nachhaltige bilaterale
Handelsbeziehungen mit gleichgesinnten Partner*innen in einem multilateralen Rahmen
vorsieht, demokratisch und transparent zustande kommt und sich für globale
Gemeinwohlinteressen wie Klimaschutz, Sozialstandards und Menschenrechte einsetzt. Wir
streben an, einen intensivierten Dialog zu Frieden und Sicherheit mit Partner*innen im Indo-
Pazifik zu führen. Die vor allem vom steigenden Meeresspiegel Betroffenen verdienen unsere
verstärkte, konkrete Unterstützung. Auch soll sich Deutschland aktiv für eine globale EU-
Konnektivitätsstrategie einsetzen, um gemeinsame Infrastrukturentwicklung nach qualitativ
hohen internationalen Standards entsprechend den Bedürfnissen unserer Partner*innen zu
realisieren.
Russland
Russland hat sich zunehmend in einen autoritären Staat gewandelt, dessen Außenpolitik durch
militärische und hybride Mittel immer offensiver Demokratie, Stabilität und Frieden in der
EU und in der gemeinsamen Nachbarschaft gefährdet. Gleichzeitig erstarkt die
Demokratiebewegung in Russland. Die mutige Zivilgesellschaft, die der immer härteren
Repression durch den Kreml die Stirn bietet und für Menschenrechte, Demokratie,
Rechtsstaatlichkeit und sexuelle Selbstbestimmung kämpft, wollen wir
unterstützen und den kulturellen, politischen und wissenschaftlichen Austausch mit ihr
intensivieren. Für eine Lockerung der Sanktionen, die wegen der völkerrechtswidrigen
Annexion der Krim und des militärischen Vorgehens in der Ukraine gegen Russland verhängt
wurden, hat die EU klare Bedingungen formuliert. An diesen werden wir festhalten und die
Sanktionen bei Bedarf verschärfen. Wir verlangen, dass die russische Regierung ihre Zusagen
aus dem Minsker Abkommen umsetzt. Das Pipeline-Projekt Nord Stream 2 trägt nicht zum
Klimaschutz bei, richtet sich gezielt gegen die energie- und geostrategischen Interessen der
Europäischen Union, gefährdet die Stabilität der Ukraine und muss daher gestoppt werden. Es
braucht außerdem einen konstruktiven Klima-Dialog mit Russland, wobei bei einzelnen
Schritten die Menschenrechte geschützt werden müssen.
Türkei
Die Türkei und die EU verbindet sehr viel mehr, als sie trennt: gesellschaftlich, kulturell,
wirtschaftlich. Gerade die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei sind, auch durch
die gemeinsame Migrationsgeschichte, eng und vielfältig. Wir stehen an der Seite all derer,
die in der Türkei für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, Gleichstellung und Menschenrechte
kämpfen. Wir verurteilen die Menschenrechts- und Rechtsstaatsverletzungen, fordern eine
sofortige Freilassung aller politischen Gefangenen und die Rückkehr zu einem politischen
Dialog- und Friedensprozess in der kurdischen Frage. Wir weisen die aggressive Außenpolitik
der türkischen Regierung entschieden zurück und fordern sie auf, zu einer multilateralen
Außen- und Sicherheitspolitik zurückzukehren. Das gilt es auch in der NATO zu
thematisieren, nicht zuletzt mit Blick auf die völkerrechtswidrige Militäroffensive der
Türkei in Nordsyrien. Wir verurteilen den Austritt der Türkei aus der Istanbul-Konvention
und fordern sie auf, diesen wieder rückgängig zu machen. Die Wiederaufnahme der Gespräche
über einen EU-Beitritt ist unser politisches Ziel. Sie kann es aber erst geben, wenn die
Türkei eine Kehrtwende zurück zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit vollzieht. Die Türkei
hat mehr Geflüchtete – vor allem aus Syrien – aufgenommen als die 27 Mitgliedstaaten der EU
zusammen. Der bestehende „EU-Türkei-Deal“ untergräbt jedoch internationales Asylrecht, ist
gescheitert und muss beendet werden. Wir fordern die Türkei auf, die Genfer
Flüchtlingskonvention vollumfänglich umzusetzen. Die Türkei ist kein sicherer Drittstaat.
Eine neue Bundesregierung muss die von der Kommission angestoßenen Verhandlungen über ein
neues Abkommen dafür nutzen, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Das neue Abkommen
muss völkerrechts- und rechtsstaatskonform sein und darf nicht die Flucht bekämpfen, sondern
muss
die Perspektiven der Menschen verbessern. Daher soll es die notwendige finanzielle und
logistische Unterstützung vor Ort garantieren, die Türkei bei der Aufnahme von Geflüchteten
unterstützen und verbindliche Kontingentzusagen zur Umsiedlung schutzbedürftiger
Geflüchteter in die EU machen. Im Gegenzug muss die Türkei garantieren, Geflüchtete gut zu
versorgen und zu integrieren. Geflüchtete dürfen nicht zum Spielball gemacht werden. Solch
ein Abkommen muss im Parlament debattiert und beschlossen werden. Menschen in Deutschland
dürfen von der türkischen Regierung und ihren Unterstützer*innen weder instrumentalisiert
noch überwacht oder gar bedroht werden. Wir wollen gerade in schwierigen Zeiten den
Austausch mit der menschenrechtsorientierten und demokratischen Zivilgesellschaft in der
Türkei und Jugendaustauschprogramme ausbauen.
Naher und Mittlerer Osten
Partnerschaften mit den Staaten und Gesellschaften des Nahen Ostens und der südlichen
europäischen Nachbarschaft sind ein wichtiger Bestandteil unserer Außen-, Klima- und
Menschenrechtspolitik. Wir setzen auf vielfältige Formen der Zusammenarbeit, etwa durch
Stärkung der Zivilgesellschaften im Bemühen um mehr Beteiligung, Kooperation bei der
Bewältigung der Herausforderung Klimawandel und Förderung unabhängiger und nachhaltiger
Wirtschaftsstrukturen, gerade für junge Menschen. Eine Vermittlung zur Verständigung
zwischen dem Iran und den arabischen Golfstaaten gehört ebenso zu den Aufgaben europäischer
Außenpolitik wie Bemühungen zur Mediation von offenen Konflikten, zum Beispiel in Syrien,
Libyen und Jemen, sowie die Verhinderung von Staatszerfall, Korruption, sozialen
Verwerfungen und Vertreibungen in der gesamten Region. Durch die Bewahrung und das
Wiederaufleben des Atom-Abkommens mit dem Iran (JCPOA) kann ein nukleares Wettrüsten im
Nahen Osten verhindert
werden. Frieden, Sicherheit und menschenwürdige Lebensverhältnisse für alle Menschen im
Nahen Osten sind ein zentrales Anliegen deutscher Außen- und Sicherheitspolitik, auch und
besonders mit
Blick auf einen nachhaltigen Frieden zwischen Israelis und Palästinenser*innen. Die
Sicherheit des Staates Israel ist ein Teil der deutschen Staatsräson. Die Existenz und die
Sicherheit Israels als nationale Heimstätte des jüdischen Volkes mit gleichen Rechten für
all seine Bürger*innen sind unverhandelbar. Wir treten für die Fortsetzung der engen
deutsch-israelischen Beziehungen ein. Die anhaltende Bedrohung des Staates Israel und seiner
Souveränität in seiner Nachbarschaft und den Terror gegen seine Bevölkerung verurteilen wir.
Sowohl die Eskalation von Gewalt als auch völkerrechtswidrige Maßnahmen wie die Annexion von
besetzten Gebieten oder den fortschreitenden Siedlungsbau kritisieren wir, da sie dem Ziel
einer friedlichen und politischen Lösung des Konflikts und einer Beendigung der Besatzung
entgegenstehen. Für Frieden und Sicherheit braucht es eine Zweistaatenregelung auf der
Grundlage der Grenzen von 1967 mit zwei souveränen, lebensfähigen und demokratischen Staaten
für Israelis wie für Palästinenser*innen. Wir werden uns für Wahlen, einen
Demokratisierungsprozess sowie den Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen in den
palästinensischen Gebieten starkmachen. Europa soll sich hierfür eng mit der neuen US-
Regierung koordinieren.
Nachbarschaft und Partnerschaft mit den Staaten Afrikas
Die afrikanischen Staaten und Europa sind regional wie historisch eng verbunden. Wir blicken
differenziert auf den afrikanischen Kontinent und seine Regionen in all ihrer
Vielseitigkeit. Europäische Afrikapolitik muss sich von patriarchalen Denkmustern frei
machen, die europäische Verantwortung annehmen und die jeweiligen Interessen in Einklang
bringen. Dafür soll Deutschland im Rahmen der EU eine aktivere Rolle übernehmen. Die
Zusammenarbeit zwischen der EU und Afrika soll sich auf Klimaschutz, Digitalisierung,
Technologietransfer, zivile Krisenprävention und die sozial-ökologische Transformation
fokussieren sowie faire und sichere Migrationswege aus Afrika nach Europa ermöglichen. Mit
der Zivilgesellschaft, dem Kultur- und Wissenschaftsbetrieb in Afrika wollen wir verstärkt
zusammenarbeiten und die vielfältige afrikanische Diaspora in Europa stärker beteiligen. Die
Fortsetzung einer einseitigen Politik, die in weiten Teilen auf der Abwehr von Geflüchteten,
unfairer
Handels- und Agrarpolitik und der Ausbeutung von Rohstoffvorkommen fußt, lehnen wir ab und
machen
uns für eine gemeinsam entwickelte EU-Afrika-Strategie stark. Der Afrikanischen Union und
den Regionalorganisationen stehen wir bei der Umsetzung ihrer Agenda 2063, der afrikanischen
Freihandelszone und der regionalen Entwicklungs- und Friedensagenden zur Seite.
Lateinamerika
Wir setzen uns für eine gut abgestimmte Lateinamerika- und Karibik-Politik Deutschlands und
der EU ein, die die sozial-ökologische Transformation befördert und Menschenrechte schützt.
Viele Staaten Lateinamerikas haben in der Vergangenheit auf ein auf Rohstoffausbeutung
basierendes Wirtschaftsmodell gesetzt, was zu Schäden für die Menschen, die Natur und die
Volkswirtschaften geführt hat. Zudem sind die meisten lateinamerikanischen Staaten massiv
von der Corona-Krise betroffen. Lateinamerika beherbergt vitale Zivilgesellschaften und
starke soziale Bewegungen. Soziale Ungleichheiten, Korruption, verkrustete Machtstrukturen,
patriarchale Gesellschaftsbilder und eine Art des Wirtschaftens, die die natürlichen
Lebensgrundlagen zerstört, werden zunehmend in Frage gestellt und progressive Alternativen
entworfen. Gleichzeitig nehmen in vielen Ländern autoritäre Regierungsstile zu und der
Raubbau an der Natur weitet sich aus. Indigene, Umwelt-, LSBTIQ*-, Frauen- und
Menschenrechtsaktivist*innen sind massiv bedroht und bedürfen internationaler Aufmerksamkeit
und Unterstützung. Die Ökosysteme Lateinamerikas spielen eine zentrale Rolle beim Schutz
globaler Gemeingüter wie des Klimas und der Biodiversität. Handelspolitik, wie das Mercosur-
Abkommen, muss verbindlich an Leitlinien zum Schutz der Menschenrechte, des Klimas und der
Umwelt ausgerichtet sein. Ökologische Nachhaltigkeit, demokratische Teilhabe, Frieden und
Geschlechtergerechtigkeit stehen daher im Zentrum unserer Zusammenarbeit mit den Staaten und
Zivilgesellschaften Lateinamerikas. Die Streichung vieler Staaten Lateinamerikas als
Partnerländer der deutschen Entwicklungszusammenarbeit ist kurzsichtig, dies wollen wir
ändern.
Wir verteidigen die Menschenrechte
Menschenrechtsverteidiger*innen schützen
Menschenrechtsverteidiger*innen sind Held*innen. Sie verteidigen überall auf der Welt, oft
unter Lebensgefahr für sich und ihre Familien, die Einhaltung der Menschenrechte an
vorderster Front. Sie bedürfen unseres Schutzes, unserer Solidarität und aktiven
Unterstützung – auf allen Ebenen. An den besonders betroffenen deutschen
Auslandsvertretungen sollten deshalb Menschenrechtsreferent*innen als extra Anlaufstelle
etabliert und sollte eine ressortübergreifende systematische Berichterstattung über die
Menschenrechtslage im Land eingeführt werden. Für Menschenrechtsverteidiger*innen, die nicht
in ihrem Land bleiben können, weil sie dort akut gefährdet sind, wollen wir schneller und
häufiger als bisher humanitäre Visa bereitstellen und die neu eingerichtete Elisabeth-
Selbert-Initiative zu ihrer temporären Aufnahme ausbauen. Auf internationaler Ebene setzen
wir uns für den Ausbau von Förderungsmöglichkeiten für zivilgesellschaftliche Initiativen
und die finanzielle Stärkung der entsprechenden Schutzinstrumente und Institutionen, wie
beispielsweise Sonderberichterstatter*innen, ein. Wir werden die jüngsten Erklärungen und
Empfehlungen auf VN-Ebene zum Schutz von Menschenrechtsverteidiger*innen umsetzen. Darüber
hinaus setzen wir uns auch für den Schutz und die gezielte Förderung von
Menschenrechtsverteidiger*innen aus EU-Mitgliedstaaten ein.
Kriegsverbrecher*innen zur Rechenschaft ziehen
Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord und Kriegsverbrechen dürfen nicht ungestraft
bleiben – als Zeichen der Gerechtigkeit an die Opfer, als Signal der Abschreckung, als
Voraussetzung für Frieden und Versöhnung. Das deutsche Völkerstrafrecht bietet die
Möglichkeit der Verurteilung auch hier in Deutschland. Dazu werden wir die Kapazitäten beim
Bundeskriminalamt und bei der Generalbundesanwaltschaft ausbauen. Die Ermittlungen in Fällen
sexualisierter Gewalt sollten verbessert und die Strafprozessordnung sollte dort reformiert
werden, wo sie den Besonderheiten von Völkerstrafrechtsverfahren noch nicht Rechnung trägt.
Darüber hinaus setzen wir uns für die zivilrechtliche Haftbarmachung von Unternehmen für
schwerste Menschenrechtsverletzungen ein. International setzen wir uns für eine langfristige
finanzielle Unterstützung von zivilgesellschaftlichen Organisationen und die Vernetzung
relevanter Akteur*innen in diesem Bereich sowie für die – politische und finanzielle
–Stärkung des Internationalen Strafgerichtshofes und andere Institutionen wie den
Mechanismus der Vereinten Nationen für die Untersuchung und Verfolgung von schwersten
Kriegsverbrechen in Syrien (IIIM) ein. Wir setzen uns dafür ein, dass alle Staaten dem
Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs beitreten. Gerade Kinder und
Jugendliche, die sexualisierte und geschlechtsbasierte Gewalt, Entführungen, Rekrutierung
als Kindersoldat*in erlebt haben, leiden unter schweren Traumata. Wird dieses Leid nicht
aufgearbeitet, beeinträchtigt es das Leben dieser Menschen und ihrer Familien sowie den
gesellschaftlichen Zusammenhalt über Generationen. Die individuelle Traumabearbeitung wollen
wir durch mehr qualifiziertes Personal und sichere Traumazentren vor Ort auch mit unseren
internationalen Partner*innen und in Deutschland deutlich ausbauen.
Keine Überwachungstechnologie für Diktaturen und Autokratien
Verschlüsselte Kommunikation rettet tagtäglich Menschenleben. In den sozialen Medien werden
Menschenrechtsverletzungen, die ansonsten unentdeckt geblieben wären, für alle sichtbar. Und
ohne Satellitenbilder ließe sich etwa die Vertreibung ganzer Dorfgemeinschaften in
Kriegsgebieten gar nicht erst nachvollziehen. Zugleich sind es oft europäische
Überwachungstools, die es autokratischen Regierungen ermöglichen, unliebsame Aktivist*innen
zu verfolgen. Biometrische Erkennungssysteme, wie etwa identifizierende
Gesichtserkennungssoftware, stellen besonders für Menschenrechtsverteidiger*innen,
Medienschaffende und verfolgte Minderheiten in autoritären Staaten eine zusätzliche
Bedrohung dar. Wir zielen auf ein Verbot für die Ausfuhr, den Verkauf und die Weitergabe von
Überwachungsinstrumenten an repressive Regime. Entsprechende Schutzklauseln wollen wir in
der deutschen wie europäischen Exportkontrolle verankern. Wir fördern die
Entkriminalisierung verschlüsselter Kommunikation, stellen uns der Schwächung von
Verschlüsselungstechnologien und -standards entgegen und stärken die Multi-Stakeholder-
Governance des Internets auf internationaler Ebene. Im Rahmen unserer internationalen
Zusammenarbeit setzen wir uns für den freien Zugang aller zu digitaler Technologie ein. Den
freien Zugang zu Informationen als einem globalen öffentlichen Gut gilt es zu fördern und zu
schützen. Durch die Unterstützung von Trainings stärken wir die sichere digitale Vernetzung
zivilgesellschaftlicher Organisationen weltweit.
Für Selbstbestimmung von Frauen und Mädchen weltweit
Die Gleichstellung der Geschlechter ist ein Menschenrecht. Ohne Geschlechtergerechtigkeit
kann auch Armut nicht wirksam bekämpft werden. In vielen der ärmsten oder
konfliktgebeutelten Länder sind Frauen und Mädchen besonders von Armut, Hunger und Gewalt
betroffen. Wir setzen uns konsequent für die Rechte von Frauen und Mädchen weltweit ein, für
ein selbstbestimmtes Leben, und werden alle diplomatischen Möglichkeiten nutzen, damit die
Istanbul-Konvention Anwendung findet. Bildung und Gesundheit sind dafür die Schlüssel. Wir
engagieren uns dafür, Frauen und Mädchen den uneingeschränkten Zugang zu gleichwertiger
Bildung zu sichern sowie ihre sexuellen und reproduktiven Rechte zu schützen. Wir setzen uns
dafür ein, dass Frauen und Mädchen weltweit uneingeschränkt Zugang zu empfängnisverhütenden
Mitteln erhalten. Es braucht innovative Bildungsangebote wie kompakte nachholende
Grundbildung für Frauen oder Berufsbildung in Krisen- und Post-Konflikt-Kontexten. Unsere
internationale Zusammenarbeit werden wir darum finanziell und konzeptionell auf diese
Aufgabe hin ausrichten, die Erreichung der Geschlechtergerechtigkeit als Querschnittsaufgabe
sowie reproduktive Gesundheit und das Recht auf Bildung in allen Projekten verankern.
Menschenrechtskonventionen umsetzen, Institutionen stärken
Um Menschenrechte tatsächlich und rechtlich durchsetzen zu können, müssen internationale
Menschenrechtskonventionen ratifiziert, konsequent implementiert und
Menschenrechtsinstitutionen gestärkt werden. Es gilt insbesondere, die nun angestoßene
Umsetzung der ILO-Konvention für die Rechte indigener Völker abzuschließen, das 12.
Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention über Antidiskriminierung, das
Fakultativprotokoll zum Sozialpakt und die Wanderarbeiterkonvention der Vereinten Nationen
sowie die VN-Erklärung über die Rechte von Kleinbauern und -bäuerinnen zu ratifizieren. Das
ist für Deutschland seit vielen Jahren überfällig. Den Prozess für ein VN-Abkommen zu
Wirtschaft und Menschenrechten (sog. Binding Treaty) wollen wir unterstützen und aktiv
vorantreiben. Darüber hinaus wollen wir einen eigenen Straftatbestand „erzwungenes
Verschwindenlassen“ in Deutschland schaffen, um das Defizit in der Umsetzung der
Internationalen Konvention gegen das erzwungene Verschwindenlassen zu beheben. Auf
europäischer Ebene setzen wir uns für die Umsetzung der Urteile des Europäischen
Gerichtshofs für Menschenrechte ein. Das Instrument der gezielten EU-Sanktionen gegen
Menschenrechtsverbrecher*innen befürworten wir. Die Beauftragte der Bundesregierung für
Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe wollen wir strukturell besser ausstatten und die
finanzielle Ausstattung der Nationalen Stelle zur Verhütung von Folter und des Deutschen
Instituts für Menschenrechte wollen wir mindestens verdoppeln, damit sie ihre gesetzlichen
Aufgaben angemessen erfüllen können. Auf internationaler Ebene setzen wir uns für die
Stärkung der VN-Fachausschüsse und -Sonderberichterstatter*innen ein. Menschenrechte und
Demokratieförderung sind Grundpfeiler unserer entwicklungspolitischen Arbeit.
Rechte von Minderheiten schützen
Der Umgang mit Minderheiten ist der Gradmesser für den Menschenrechtsschutz in einer
Gesellschaft. Wir setzen uns dafür ein, die Rechte von Minderheiten auf internationaler
Ebene zu stärken – auch innerhalb der EU. Nach wie vor setzen die einzelnen Staaten den
durch die Vereinten Nationen vorgegebenen Minderheitenschutz in nationales Recht um, ohne
dass einheitlich kontrolliert wird, ob das umfassend genug ist. Damit ist der Schutz
lückenhaft. Wir werden außenpolitisch für die weltweite Umsetzung der Yogyakarta-Prinzipien
um Schutz von LSBTIQ* eintreten. In der Entwicklungspolitik wollen wir hier einen neuen
Fokus setzen und unser Engagement deutlich steigern. Selbst innerhalb der EU gibt es große
Unterschiede: Es existieren keine gemeinsamen EU-Mindeststandards, kein einheitlicher
Rechtsrahmen, der den Schutz und die Förderung von Minderheiten gewährt. Das wollen wir
ändern. Wir werden uns für die Verabschiedung der 5. Antidiskriminierungsrichtlinie
einsetzen, damit international anerkannte Menschenrechte in der EU eine Rechtsgrundlage
erhalten und die VN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen auf
europäischer Ebene rechtlich umgesetzt wird. Den EU-Aktionsplan gegen Rassismus treiben wir
national und international voran.
Wir schützen Geflüchtete
Eine menschenrechtsorientierte Geflüchtetenpolitik in Europa umsetzen
Wir treten für eine Europäische Union ein, die ihre humanitäre und rechtliche Verpflichtung,
den Zugang zum Grundrecht auf Asyl zu garantieren, und die Notwendigkeit, Verfahren nach
völkerrechtlichen Standards fair und zügig durchzuführen, einhält. So schwer das derzeit in
der EU der 27 auch ist. Deutschland spielt dabei eine zentrale Rolle. Die neue
Bundesregierung muss die Menschenrechte und das Asylrecht verteidigen. Zustände wie in den
Lagern auf den griechischen Inseln, auf dem Mittelmeer oder an der Grenze zu Kroatien
bedeuten einen Bruch mit europäischen Werten und Menschenrechten. Der Blockade einer
gemeinsamen und humanen Geflüchtetenpolitik zwischen den Mitgliedstaaten begegnen wir mit
folgendem Plan: In gemeinschaftlichen von den europäischen Institutionen geführten
Registrierungszentren in den EU-Staaten mit rechtsstaatlich und europäisch kontrollierten
Außengrenzen sollen die Geflüchteten registriert werden und einen ersten Check durchlaufen,
ob Einträge in sicherheitsrelevanten Datenbanken vorliegen. So wissen wir, wer zu uns kommt,
und werden zugleich unserer humanitären Verantwortung gerecht. Die Menschen, die nach Europa
kommen, müssen medizinisch und psychologisch erstversorgt und menschenrechtskonform
untergebracht werden. Unter Berücksichtigung persönlicher Umstände wie familiärer Bindungen
oder der Sprachkenntnisse bestimmt die EU-Agentur für Asylfragen schnellstmöglich den
Aufnahme-Mitgliedstaat für die Durchführung des Asylverfahrens. Der zugrunde liegende,
zügige Verteilmechanismus stützt sich zunächst auf die Bereitschaft von Mitgliedstaaten,
Regionen und Städten, Geflüchtete freiwillig aufzunehmen. Wer das tut, erhält Hilfe aus
einem EU-Integrationsfonds. Reichen die Aufnahmeplätze nicht aus, weiten alle
Mitgliedstaaten im Verhältnis von Bruttoinlandsprodukt und Bevölkerungsgröße verpflichtend
ihr Angebot aus oder leisten einen mindestens gleichwertigen Beitrag zu den Gesamtkosten.
Das Asylverfahren findet dann im aufnehmenden Mitgliedstaat statt. Vorgezogene
Asylverfahrensprüfungen an den Außengrenzen sind damit nicht vereinbar. Die Kommission
stellt sicher, dass die gemeinsamen Regeln und Standards eingehalten werden und für alle
Menschen gelten. Wir werden mit handlungswilligen Ländern und Regionen vorangehen, um die
derzeitige katastrophale Situation an den Außengrenzen zu beenden. Menschenunwürdige Lager
und geschlossene Einrichtungen, Transitzonen oder europäische Außenlager in Drittstaaten
lehnen wir ab.
Sichere und legale Fluchtwege schaffen
Niemand sollte für das völkerrechtlich verbriefte Recht, um Asyl zu ersuchen, das eigene
Leben oder das der Familie riskieren müssen. Genau das ist aber bittere Realität: Immer noch
reichen die Möglichkeiten für sichere Zugangswege bei weitem nicht aus und Geflüchtete sind
deshalb gezwungen, auf lebensgefährliche Routen durch die Wüste oder über das Meer
auszuweichen. Wir wollen sichere und legale Zugangswege schaffen – damit Menschen Schutz
finden und um zu verhindern, dass Schlepper aus der Not und dem Leid der Geflüchteten Profit
schlagen können. Dabei sind wir dem besonderen Schutz der Familie gemäß Grundgesetz, VN-
Kinderrechtskonvention und Europäischer Menschenrechtskonvention verpflichtet und treten
dafür ein, die Einschränkungen beim Familiennachzug wieder aufzuheben. Familien gehören
zusammen und das Kindeswohl hat oberste Priorität. Auch Menschen mit subsidiärem
Schutzstatus müssen deshalb ihre Angehörigen ohne die bisherigen Einschränkungen nachholen
können und mit Geflüchteten gemäß der Genfer Konvention gleichgestellt werden. Wir wollen
den Geschwisternachzug wieder ermöglichen. An deutschen und europäischen Botschaften braucht
es mehr Personal und die Möglichkeit, digital Anträge zu stellen, um die Wartezeiten für
Visa für Familienangehörige zu verkürzen. In Fällen, in denen die Beschaffung von
Identitätsnachweisen durch Schutzberechtigte bei Behörden ihres Herkunftsstaates dort
lebende Angehörige gefährdet, setzen wir uns für die pragmatische Erteilung von
Passersatzpapieren ein. Auch mit humanitären Visa möchten wir Schutzbedürftigen die
Möglichkeit geben, sicher nach Europa zu kommen und hier um Asyl zu ersuchen. Wir setzen uns
außerdem für die Aufnahme afghanischer Ortskräfte und ihrer Angehörigen ein, die durch ihre
Zusammenarbeit mit deutschen Institutionen wie der Bundeswehr oder der GIZ in Gefahr sind.
Das individuelle Asylrecht bleibt unangetastet.
Sichere Zugangswege durch humanitäre Aufnahmepartnerschaft
Im Rahmen des Resettlement-Programms des UNHCR werden durch die Vereinten Nationen
anerkannte, besonders schutzbedürftige Geflüchtete solidarisch und geordnet auf die
Aufnahmeländer verteilt, statt sie ihrem Schicksal auf gefährlichen Fluchtrouten zu
überlassen. Das rettet Leben, nimmt Schleppern die Geschäftsgrundlage und folgt einem
bewährten, planbaren Verfahren. Im Globalen Pakt für Flüchtlinge ist die Weltgemeinschaft
übereingekommen, das Resettlement zu verstärken. Doch faktisch sinkt die Zahl der
Aufnahmeplätze seit Jahren. Wir schlagen vor, zusammen mit der neuen US-Administration und
Kanada sowie anderen in einer globalen humanitären Partnerschaft die Aufnahme aus dem
Resettlement-Programm deutlich auszubauen und mittelfristig die Erfüllung von mindestens dem
jeweils fairen Anteil am jährlichen, vom UNHCR ermittelten Resettlement-Bedarf entsprechend
der Wirtschaftskraft zu erreichen. So stärken wir die Vereinten Nationen, werden langfristig
der globalen Verantwortung Europas gerecht, schaffen Planbarkeit auf allen Seiten, gehen mit
gutem Beispiel voran und regen andere Staaten an, dem internationalen Bündnis beizutreten.
Daneben werden wir sicherstellen, dass sich das geplante EU-Resettlement an den UNHCR-
Kriterien orientiert. Das individuelle Asylrecht bleibt durch das Resettlement unangetastet.
Landesaufnahmeprogramme und ein Patenschaftsprogramm ermöglichen
Mehrere Bundesländer und über 200 Kommunen in Deutschland sind bereit, mehr Geflüchtete als
von der Bundesregierung zugesagt bei sich aufzunehmen. Dass diese weiteren Aufnahmeplätze
dringend gebraucht werden, ist angesichts der elenden Zustände in den Lagern an den EU-
Außengrenzen, etwa auf den griechischen Inseln oder an der bosnisch-kroatischen Grenze,
offensichtlich. Wir wollen eine humanitäre Aufnahmepolitik, bei der der Bund und die Länder
kooperativ zusammenarbeiten und die die Aufnahmebereitschaft von Kommunen und Ländern nicht
mehr ignoriert. Länder, Landkreise, Städte und Gemeinden sollen mehr Mitsprache- und
Gestaltungsmöglichkeiten erhalten, wenn es um die humanitäre Aufnahme Geflüchteter geht. Mit
einer Änderung der Zustimmungsregel zwischen dem Bundesinnenministerium und den Ländern von
Einvernehmen in Benehmen wollen wir klarstellen, dass sich Bundesländer künftig über den
Königsteiner Schlüssel hinaus selbständig und frei für die Aufnahme von Geflüchteten
entscheiden können. Der Bund soll weiter die finanziellen und infrastrukturellen Aufgaben
erfüllen und die Aufnahmebereitschaft fördern. Auch europäische Gelder können im Rahmen der
aufnehmenden Staaten und Regionen eingesetzt werden. Wir werden wieder verstärkt humanitäre
Bundesaufnahmeprogramme sowie Kontingente aus den EU-Staaten mit Außengrenzen auf den Weg
bringen. Ein Patenschaftsprogramm nach dem Vorbild Kanadas kann die Willkommenskultur
fördern. Gruppen aus Mentor*innen oder Vereine können dabei die Unterstützung von
Geflüchteten zusagen und so durch Relocation- und Resettlement-Möglichkeiten konkret
Menschen helfen.
Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte an den Außengrenzen sichern
Ein gemeinsamer Raum der Freizügigkeit und ohne Binnengrenzen braucht kontrollierte
Außengrenzen. Doch Grenzen sind nur rechtsstaatlich kontrolliert, wenn Menschenrechte an
diesen Grenzen geschützt werden und der Zugang zum Recht auf Asyl gesichert ist. Dass
tausende Menschen jährlich im Mittelmeer ertrinken, weil europäische Regierungen ihnen nicht
ausreichend sichere Zugangswege ermöglichen und auch die Rettung aus Seenot verweigern, ist
eine Schande. Wir streiten weiter für eine zivile und flächendeckende, europäisch
koordinierte und finanzierte Seenotrettung. Da ein gemeinsames Vorgehen aller europäischen
Mitgliedstaaten derzeit nicht möglich erscheint, wollen wir mit jenen Staaten vorangehen,
die die Seenotrettung als völkerrechtliche Pflicht ernst nehmen, und einen eigenen Beitrag
leisten: Gerettete müssen zum nächsten sicheren Hafen gebracht werden, um dann nach einem
Verteilmechanismus unverzüglich auf aufnahmebereite Mitgliedstaaten, Regionen oder Städte
aufgeteilt zu werden. Wir stehen fest an der Seite zivilgesellschaftlicher
Rettungsinitiativen und treten dafür ein, dass die Kriminalisierung und behördliche
Behinderung ihrer Arbeit beendet wird. So wollen wir die Registrierung von Schiffen der
Menschenrechtsbeobachtungs- und Seenotrettungsorganisationen rechtssicher und einfacher
gestalten. Wir setzen auf eine europäische Grenzkontrolle, die den gemeinsamen Schutz der
Menschenrechte zur Grundlage hat und ihre Aufgaben wahrnimmt, ohne sie zur Fluchtabwehr zu
missbrauchen. Das Asylrecht beruht auf der Einzelfallprüfung, das völker- und
europarechtlich verbriefte Nichtzurückweisungsgebot gilt immer und überall. Die Genfer
Flüchtlingskonvention gilt uneingeschränkt. Ihre Aushöhlung führt weder zu mehr Sicherheit
noch zu mehr europäischer Handlungsfähigkeit in der Geflüchtetenpolitik. Dennoch erleben wir
derzeit einen systematischen Rechtsbruch an den EU-Außengrenzen: Menschen werden
misshandelt, schutzlos auf dem Wasser zurückgelassen oder ohne Zugang zu Asylverfahren
abgewiesen. Pushbacks, von nationalen Grenzpolizeien oder Frontex begangen, müssen rechtlich
und politisch geahndet werden. Deutschland darf sich an völker- und menschenrechtswidrigen
Einsätzen nicht beteiligen, Verstöße müssen verfolgt werden und Konsequenzen haben. Wir
werden uns dafür einsetzen, dass Intransparenz und Menschenrechtsverletzungen bei EU-
Agenturen wie Frontex keinen Raum mehr haben. Wir unterstützen die europäischen Initiativen,
die die strukturellen Probleme beim Menschenrechtsschutz bei den Grenzkontrollen mit
strukturellen Veränderungen beheben wollen. Das staatliche und zivilgesellschaftliche
Menschenrechtsmonitoring, vor allem durch die EU-Grundrechteagentur, wollen wir ausbauen. Es
bedarf einer engen parlamentarischen Kontrolle von Frontex-Einsätzen sowie einer
systematischen Menschenrechtsbeobachtung vor Ort.
Aufnahme- und Transitländer unterstützen
Die humanitäre Versorgung von Geflüchteten außerhalb der Europäischen Union ist Bestandteil
unserer globalen Verantwortung. Wir wollen die finanzielle und logistische Unterstützung von
Erstaufnahme- und Transitländern wie der Türkei, dem Libanon, dem Sudan, Pakistan oder
Uganda sowie der dort tätigen Hilfsorganisationen ausbauen. Die deutsche und europäische
Zusammenarbeit mit Drittstaaten muss stets so erfolgen, dass Menschen- und Grundrechte sowie
internationale Asylstandards eingehalten werden. Sie darf außerdem nicht auf die
Verhinderung von Flucht abzielen, wie es derzeit mit der sogenannten libyschen Küstenwache
und der Erdogan-Regierung der Fall ist. Die bestehenden „Migrationspartnerschaften“, die
Fluchtabwehr und Rückführungen zur Bedingung etwa von Entwicklungszusammenarbeit machen,
lehnen wir daher ab, genauso wie die Kooperation mit der libyschen Küstenwache. Statt
„sichere Herkunftsländer“ zu definieren, brauchen wir für Rückführungen
menschenrechtskonforme Rückübernahmeabkommen. Wir wollen denjenigen Ländern, die ihren
Staatsbürger*innen nach einer Rückkehr Sicherheit effektiv garantieren, im Gegenzug über
Visaerleichterungen oder Ausbildungspartnerschaften verlässliche Aussicht auf eine geordnete
Migration eröffnen. Rückübernahmeabkommen dürfen aber nicht zur Bedingung in anderen
Politikbereichen, etwa entwicklungspolitischer oder rechtsstaatlicher Unterstützung, gemacht
werden, nicht für Drittstaatsangehörige gelten oder das Einwanderungsrecht konterkarieren.
Fluchtursachen strukturell angehen
Uns ist bewusst: Nicht alle Ursachen von Vertreibung können wir beeinflussen. Viele Menschen
fliehen, weil sie verfolgt oder ihnen grundlegende Rechte vorenthalten werden. Umso
entscheidender ist konsequentes Handeln überall dort, wo auch unser Wirtschaften und
Konsumieren andernorts zu Ausbeutung oder Perspektivlosigkeit führen. So wollen wir
verhindern, dass Menschen überhaupt fliehen und ihre bisherige Heimat unfreiwillig verlassen
müssen. Deshalb rücken wir die strukturellen Ursachen von Flucht und Vertreibung und unsere
dahin gehende Verantwortung ins Zentrum unserer Politik. Denn viele politische
Entscheidungen, die wir in Deutschland und Europa treffen, haben direkte Auswirkungen auf
die Lebensbedingungen in anderen Weltregionen. Wir machen uns deshalb stark für zivile
Krisenprävention und wollen mit einer restriktiven Ausfuhrkontrolle europäische
Rüstungsexporte an Diktaturen, menschenrechtsverachtende Regime und in Kriegsgebiete
beenden. Wir setzen uns für ein gerechtes Handelssystem ein, das auch den Interessen der
Menschen im globalen Süden dient. Und wir treiben die sozial-ökologische Transformation
unserer Wirtschaft voran.
Wir streiten für eine gerechte Weltwirtschaftsordnung
Globale Krisenprävention
Die Corona-Krise führt in vielen Ländern des globalen Südens zu Kapitalflucht und
Währungskrisen und offenbart so die Schwächen der Währungsordnung. Unser Ziel bleibt
langfristig der Aufbau eines kooperativen Weltwährungssystems. Der IWF muss in
Krisensituationen sehr viel mehr Liquidität unkonditioniert bereitstellen können. Dafür
werden wir uns für eine deutliche Aufstockung der Sonderziehungsrechte einsetzen.
Deutschland und Europa könnten vorangehen und nicht genutzte Sonderziehungsrechte Ländern
des globalen Südens zur Verfügung stellen, wie Kanada es bereits getan hat. Der IWF sollte
Ländern des globalen Südens auch bei der Einführung und Durchführung von
Kapitalverkehrskontrollen helfen und dafür mit den Staaten mit globalen Finanzzentren
zusammenarbeiten. Das Stimmengewicht muss sich zugunsten von Ländern des globalen Südens
verschieben. Die EU-Staaten sollten ihre Stimmrechte zusammenlegen.
Entwicklung ermöglichen, Schuldenkrisen lösen
Viele Länder des globalen Südens befinden sich in einer Schuldenkrise. Das derzeitige
Schuldendienstmoratorium ist richtig, verschiebt das Problem aber in die Zukunft. Wir
brauchen solide Schuldenrestrukturierungen und auch Schuldenerlasse, die Ländern Luft für
eine nachhaltige Entwicklung verschaffen. Um für künftige Überschuldungskrisen vorzusorgen,
setzen wir uns für ein bei den Vereinten Nationen angesiedeltes, transparentes und
unabhängiges Schuldenrestrukturierungsverfahren für Staaten ein. Private Gläubiger*innen
müssen rechtlich dazu verpflichtet werden, an einem solchen Verfahren teilzunehmen, damit
Entschuldungen nicht mehr blockiert werden können und so etwa Geierfonds auf Kosten anderer
profitieren. Solange eine internationale Lösung nicht durchsetzbar ist, müssen Deutschland
und andere Regierungen mit koordinierter Gesetzgebung den Anfang machen. Damit wollen wir
den zu hoch verschuldeten Staaten im globalen Süden weitere Handlungsspielräume für sozial-
ökologische Transformationsprozesse ermöglichen, etwa um ihre Gesundheits-, Bildungs- und
Sozialsysteme zu verbessern.
Spekulation mit Nahrungsmitteln verbieten
Nahrungsmittelpreise sind oft starken Schwankungen unterworfen. Verantwortlich dafür sind
nicht nur Wetter und Ernten, sondern auch skrupellose Spekulant*innen, denen die
Gewinnmaximierung vor Nahrungsmittelsicherheit geht. Auch andere lebenswichtige Ressourcen,
wie Wasser, werden immer mehr zu einer spekulativen Ware. Wir werden uns in der EU für
striktere Regulierungen einsetzen, um exzessive Nahrungsmittelspekulation zu verhindern.
Dafür braucht es strenge Berichtspflichten für Händler*innen sowie strikte Preis- und
Positionslimits an allen europäischen Rohstoff-Börsen. So wirken wir unkontrollierten,
marktverzerrenden Spekulationen entgegen, ohne die für die Agrarbranche wichtigen
Absicherungsmechanismen an den Terminmärkten zu gefährden.
Wir treten ein für Frieden und Sicherheit
Vorausschauend für den Frieden
Unsere Außen- und Sicherheitspolitik zielt darauf, Konflikte zu verhindern, und setzt
deshalb auf Vorausschau gemäß der VN-Agenda für nachhaltige Entwicklung. Deutschland soll
bei der politischen Entschärfung von Konflikten und in der zivilen Konfliktbearbeitung auf
globaler Ebene eine treibende Kraft werden. Wir ergänzen den traditionellen
Sicherheitsbegriff um die menschliche Sicherheit und rücken damit die Bedürfnisse von
Menschen in den Fokus. Den Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) und die Gemeinsame Außen-
und Sicherheitspolitik (GASP) gilt es zu stärken, einschließlich der Rolle des/der Hohen
Vertreter*in. Die Leitlinien „Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern“
wollen wir um einen Aufbauplan mit zivilen Planzielen ergänzen und den Auswärtigen Dienst
für dessen heutige Aufgaben fit machen. Die personellen und finanziellen Mittel für zivile
Krisenprävention sollten gezielt erhöht und durch eine Reform des Zuwendungsrechts
langfristig planbarer werden. Wir wollen eine permanente und schnell einsatzbereite Reserve
an EU-Mediator*innen und Expert*innen für Konfliktverhütung, Friedenskonsolidierung und
Mediation aufbauen. Wir wollen mehr ressortgemeinsame Analysen, Krisenfrüherkennung und
Projektplanung, eine engere Abstimmung mit internationalen Partner*innen sowie einen
angemessen ausgestatteten Fonds „Krisenprävention, Konfliktbewältigung und
Friedensförderung“. Wir möchten lokale zivilgesellschaftliche Konzepte und Akteur*innen in
der Friedensförderung stärker unterstützen. Den Zivilen Friedensdienst (ZFD) wollen wir
weiterentwickeln und bedarfsgerecht ausbauen, das Zentrum für Internationale
Friedenseinsätze (ZIF) sowie die Friedens- und Konfliktforschung stärken. Das
Stiftungskapital der Deutschen Stiftung
Friedensforschung wollen wir erhöhen, den neu eingerichteten Fachbereich an der Deutschen
Hochschule der Polizei und andere wissenschaftliche Einrichtungen insbesondere personell und
durch Strategien der Entfristung stärker fördern. Auch die Erfolge und Chancen der zivilen
Krisenprävention und Konfliktbearbeitung wollen wir der Bevölkerung durch mehr und
zielgerichtete Öffentlichkeitsarbeit vermitteln.
Internationale Politik feministisch gestalten
Wir gestalten unsere Außen-, Entwicklungs-, Handels- und Sicherheitspolitik feministisch.
Frauen, Mädchen und marginalisierte Gruppen wie LSBTIQ*-Personen sind in besonderem Maße von
Kriegen, Konflikten und Armut betroffen. Die Wahrung ihrer Rechte und ihrer Rolle als
Gestalter*innen in der internationalen Politik fördert Frieden, Entwicklung, Stabilität und
Sicherheit. Es geht darum, die diversen Perspektiven von Frauen, Mädchen und
marginalisierten Gruppen zu stärken, zu schützen und bei allen bi- oder multilateralen
Verhandlungen immer mindestens gleichberechtigt einzubeziehen. Dazu braucht es auch
Genderanalysen für einzelne Länderkontexte in regelmäßigen Abständen und eine enge
Zusammenarbeit mit feministischen Akteur*innen in Deutschland und in Partnerländern. Wir
wollen sie nachhaltig finanziell und politisch unterstützen und bedarfsgerechte Strategien,
Gender Budgeting und eine bessere Ressortkoordinierung stärken. Es gilt die Umsetzung der
Agenda 1325 „Frauen, Frieden, Sicherheit“ innerhalb Deutschlands wie international
voranzutreiben, sexualisierte und genderbasierte Gewalt entschieden einzudämmen, die
reproduktiven Rechte von Frauen zu schützen und die Sicherheit und Partizipation von Frauen
und Mädchen in der Prävention gegen Konflikte, bei der Transformation von Konflikten und in
Stabilisierungsprozessen in den Fokus zu nehmen. Geschlechterbildern, die sich nachteilig
auf Frieden, Sicherheit und Entwicklung auswirken, möchten wir entgegenwirken. Hierzu wollen
wir gemeinsam mit Zivilgesellschaft und Wissenschaft verbindliche Leitlinien für eine
feministische Außenpolitik der Bundesregierung erarbeiten.
Koloniales Unrecht aufarbeiten und internationale Beziehungen dekolonialisieren
Ziel unserer internationalen Politik ist eine selbstkritische und gleichberechtigte
Zusammenarbeit. Wir können das Unrecht, das die Menschen in den früheren Kolonien des
Deutschen Reiches erleiden mussten, weder ungeschehen machen noch wiedergutmachen. Umso
wichtiger ist es, dass wir vergangenes Unrecht wie den Völkermord an den Ovaherero und Nama
benennen, für diese und andere begangene Verbrechen wie im Maji-Maji-Aufstand um Vergebung
bitten und dafür mit Worten und Taten Verantwortung übernehmen. Aber aus den Verbrechen der
Kolonialzeit erwächst auch eine besondere Verantwortung für unser internationales Handeln
heute. Wir wollen strukturelle Ungerechtigkeiten, wie benachteiligende Klauseln in
Handelsabkommen, ungerechte Wohlstandsverteilung und fehlende Repräsentanz im VN-
Sicherheitsrat, Stück für Stück abbauen. Auch unser Natur- und Umweltschutz muss
postkolonial sein. Das bedeutet, die Menschen- und Landrechte indigener und lokaler
Gemeinschaften zu stärken und zu achten. Die lokale Zivilgesellschaft, Menschen in der
Diaspora und Nachfahren der Opfer kolonialer Verbrechen sind Partner*innen. Mit ihnen
gemeinsam wollen wir Prozesse zur Aufarbeitung stärken und zusammen mit unseren europäischen
Partner*innen dafür sorgen, dass eine umfangreiche Aufarbeitung der kolonialen Verbrechen
stattfindet.
Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik stärken
Gerade vor dem Hintergrund des zunehmenden Autoritarismus und der weltweiten Angriffe auf
Kunst- und Wissenschaftsfreiheit wollen wir die Zusammenarbeit mit der UNESCO und dem
Europarat intensivieren und die Auswärtige Kultur-, Bildungs- und Wissenschaftspolitik
stärken. Sie sichert Zugänge zur Zivilgesellschaft, vor allem in Krisenzeiten, stärkt
demokratischen Austausch und baut neue Partnerschaften auf. Das zivilgesellschaftliche Eine-
Welt-Engagement und die entwicklungspolitische Bildungsarbeit wollen wir stärker
unterstützen. Auch die Aufarbeitung der Verbrechen des Nationalsozialismus werden wir durch
internationale Kultur- und Jugendbegegnungen und durch zivilgesellschaftlichen Austausch
stärken. Unser Ziel ist es, dass alle jungen Menschen während ihrer Schul-, Ausbildungs-
oder Studienzeit die Möglichkeit haben, europäische bzw. internationale
Austauscherfahrungen zu sammeln. Die Verantwortung für die koloniale Vergangenheit
Deutschlands wollen wir zum Beispiel in gemeinsamen Geschichtsbuchkommissionen mit
ehemaligen kolonialisierten Staaten aufarbeiten. Kulturmittlerorganisationen, wie etwa
Goethe-Institute, und die deutschen Schulen im Ausland sollen finanziell besser ausgestattet
und digital fit gemacht werden, die Programme für verfolgte Künstler*innen und
Wissenschaftler*innen sowie Maßnahmen gegen Desinformationskampagnen wollen wir verstärken.
Europarat und OSZE stärken
Frieden in Europa bedeutet mehr als Frieden, Sicherheit und Stabilität in der EU. Damit die
Vision einer friedlichen Zukunft für alle Europäer*innen Wirklichkeit werden kann, wollen
wir die gemeinsamen, über die EU hinausreichenden europäischen Institutionen wie den
Europarat und die OSZE stärken und weiterentwickeln, auch damit wir alle europäischen
Staaten einbinden. Nur so können wir tatsächlich ein effektives und starkes System
kollektiver Sicherheit in ganz Europa schaffen. Es bleibt unser Ziel, die östlichen
Nachbarstaaten der Europäischen Union auf der Basis gemeinsamer Werte für eine solche
Perspektive zu gewinnen und die demokratischen Zivilgesellschaften vor Ort zu unterstützen,
was gerade
angesichts der nationalistischen und rückwärtsgewandten Politik Russlands, die Europas
Sicherheit und die Selbstbestimmung der Nachbarländer Russlands untergräbt, nötig ist. Die
OSZE als Forum für Dialog und fairen Interessenausgleich braucht mehr finanzielle und
personelle Ressourcen sowie ein aktiveres Engagement seitens der Bundesregierung und der
teilnehmenden Parlamentarier*innen. Sie soll als Akteurin für Rüstungsbegrenzung, Abrüstung
und den gemeinsamen Kampf gegen die Klimakrise gestärkt sowie in ihren Aktivitäten zur
Umsetzung des Minsker Abkommens unterstützt werden. Den andauernden Versuchen autoritärer
Staaten, die OSZE-Agenda entlang ihrer Interessen zu dominieren, kann nur gemeinsam mit
anderen liberalen Demokratien der OSZE für eine wertegeleitete und völkerrechtsorientierte
Politik begegnet werden.
Neuer Schub für Abrüstung
Abrüstung und Rüstungskontrolle bedeuten global mehr Sicherheit für alle. Angesichts der
wachsenden militärischen Risiken in Europa ist eine Wiederbelebung der konventionellen
Rüstungskontrolle unabdingbar. Erste Schritte sollen weitere deeskalierende Maßnahmen in
Konfliktzonen sowie die Wiederaufnahme des Sicherheitsdialogs und militärischer Kontakte
zwischen NATO und Russland sein. Auch über Europa hinaus wollen wir alle Länder einbeziehen,
insbesondere auch China. Unser Anspruch ist noch immer nichts Geringeres als eine
atomwaffenfreie Welt. Nach der Aufkündigung des Vertrags über nukleare Mittelstreckensysteme
(INF-Vertrag) zwischen den USA und Russland ist eine neue Vertragsinitiative nötig. Eine
Stationierung neuer Mittelstreckenraketen auf dem europäischen Kontinent lehnen wir ab. Wir
wollen den transatlantischen Neustart nach der US-Präsidentschaftswahl und das Wiederbeleben
des New-START-Vertrags nutzen, um mit den USA über Barack Obamas „Global Zero“ ins Gespräch
zu kommen. Wir wollen ein Deutschland frei von Atomwaffen und einen Beitritt Deutschlands
zum VN-Atomwaffenverbotsvertrag. Eine Welt ohne Atomwaffen gibt es nur über
Zwischenschritte. Als ersten Schritt sollte Deutschland als Beobachter an der
Vertragsstaatenkonferenz teilnehmen. Darüber hinaus wollen wir in der kommenden
Legislaturperiode folgende Prozesse initiieren: eine internationale Initiative zur
Reduzierung der Zahl von Atomwaffen, einen Verzicht der NATO auf jeden Erstschlag und eine
breite öffentliche Debatte über die veralteten Abschreckungsdoktrinen des Kalten Krieges.
Wir wissen, dass dafür – auch angesichts der russischen konventionellen und nuklearen
Aufrüstung – zahlreiche Gespräche im Bündnis notwendig sind, auch mit unseren europäischen
Partnerstaaten, und vor allem die Stärkung der Sicherheit und Rückversicherung unserer
polnischen und baltischen Bündnispartner*innen.
Keine deutschen Waffen in Kriegsgebiete und Diktaturen
Exporte von Waffen und Rüstungsgütern an Diktaturen, menschenrechtsverachtende Regime und in
Kriegsgebiete verbieten sich. Für die Reduktion von europäischen Rüstungsexporten wollen wir
eine gemeinsame restriktive Rüstungsexportkontrolle der EU mit einklagbaren strengen Regeln
und Sanktionsmöglichkeiten. Kooperationen mit dem Sicherheitssektor anderer Staaten müssen
an die Einhaltung demokratischer, rechtsstaatlicher und menschenrechtlicher Kriterien
geknüpft werden. Für Deutschland werden wir ein Rüstungsexportkontrollgesetz vorlegen, ein
Verbandsklagerecht bei Verstößen gegen das neue Gesetz einführen und für eine wirksame
Endverbleibskontrolle sorgen. Hermesbürgschaften für Rüstungsexporte darf es nicht geben.
Den Einsatz von Sicherheitsfirmen in internationalen Konflikten wollen wir streng regulieren
und private Militärfirmen verbieten.
Autonome tödliche Waffensysteme international ächten
Autonome tödliche Waffensysteme, die keiner wirksamen Steuerung mehr durch den Menschen bei
Auswahl und Bekämpfung von Zielen unterliegen, stellen eine unberechenbare Bedrohung dar. Im
Sinne von Frieden und Stabilität wollen wir Autonomie in Waffensystemen international
verbindlich regulieren und Anwendungen, die gegen ethische und völkerrechtliche Grundsätze
verstoßen, international verbindlich ächten und verbieten. Das gilt auch für digitale Waffen
wie Angriffs- und Spionagesoftware. Hierbei müssen Deutschland und die EU eine globale
Führungsrolle einnehmen. Um eine Militarisierung des Weltraumes zu verhindern, wollen wir
weiterentwickelte, international verbindliche Regeln auf den Weg bringen.
Sicherheit im Cyber- und Informationsraum schaffen
Digitalisierung und neue Technologien bieten viele neue Möglichkeiten, schaffen aber auch
Risiken für offene, demokratische Gesellschaften und werfen in bestimmten Bereichen
schwerwiegende ethische, politische und rechtliche Fragen auf. Sie verändern Möglichkeiten
staatlicher und nichtstaatlicher Einflussnahme auf individuelle Freiheiten und
gesellschaftliche Diskurse, demokratische Abstimmungsprozesse sowie die moderne
Kriegsführung. Der Staat ist in der Pflicht, die Bevölkerung effektiv vor solchen Angriffen
zu schützen. Für Früherkennung, Analyse und das gemeinsame Vorgehen staatlicher Stellen
braucht es ressortübergreifende Strategien zur Bekämpfung hybrider Bedrohungen, klare
rechtliche Vorgaben und eine starke parlamentarische Kontrolle für das Handeln der
Bundeswehr im Cyberraum. Die Bundeswehr braucht ein an Schutz und Defensive orientiertes
Selbstverständnis im digitalen Raum. Gleichzeitig müssen alle staatlichen Institutionen
kontinuierlich ihre Resilienz stärken und gerade Betreiber*innen kritischer Infrastrukturen
hierbei unterstützt werden. Wir setzen uns für neue internationale Übereinkünfte ein, um die
üstungskontrolle digitaler Güter und das Völkerrecht zu stärken. Die Gültigkeit der VN-
Charta muss ausgedehnt und das humanitäre Völkerrecht auch im Cyberraum angewendet werden.
Hierfür muss auch die europäische Zusammenarbeit ausgebaut werden, wozu Deutschland einen
entsprechenden Beitrag leisten muss.
Internationale Schutzverantwortung wahrnehmen
Es ist wichtig, frühzeitig auf Konflikte einzuwirken und zu verhindern, dass sie zu
bewaffneten Auseinandersetzungen eskalieren. Uns leitet das Konzept der „Responsibility to
Prepare, Protect and Rebuild“ der Vereinten Nationen, das die Staatengemeinschaft
verpflichtet, Menschen vor schwersten Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen gegen die
Menschlichkeit sowie Völkermord zu schützen. Die Staaten sind gleichermaßen verpflichtet,
ihre Instrumente für Prävention, Krisenreaktion und Nachsorge bzw. Wiederaufbau
kriegszerstörter Gesellschaften auszubauen. Wir unterstützen internationale Einsätze im
Rahmen der Vereinten Nationen, die zu Stabilität, dem Schutz der Zivilbevölkerung und der
Umsetzung von Friedensprozessen beitragen. Wir streben an, Ressourcen- und Fähigkeitslücken
in diesem Bereich zu beheben und den zivilen und militärischen Beitrag zu VN-Einsätzen
signifikant zu erhöhen. Den Frauenanteil unter entsandten Einsatzkräften, Polizist*innen und
Soldat*innen, besonders auch in Leitungspositionen, wollen wir durch gezielte Rekrutierung
deutlich erhöhen. Die Anwendung militärischer Gewalt als Ultima Ratio, wenn alle anderen
Möglichkeiten wie Sanktionen oder Embargos ausgeschöpft wurden, kann in manchen Situationen
nötig sein, um Völkermord zu verhindern und die Möglichkeit für eine politische Lösung eines
Konflikts zu schaffen. Ein
Einsatz braucht einen klaren und erfüllbaren Auftrag, ausgewogene zivile und militärische
Fähigkeiten und unabhängige (Zwischen-)Evaluierungen. Bewaffnete Einsätze der Bundeswehr im
Ausland sind in ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit – das heißt nicht in
verfassungswidrige Koalitionen der Willigen – und in ein politisches Gesamtkonzept
einzubetten, basierend auf dem Grundgesetz und dem Völkerrecht. Bei Eingriffen in die
Souveränität eines Staates oder dort, wo staatliche Souveränität fehlt, braucht es ein
Mandat der Vereinten Nationen. Wenn das Vetorecht im Sicherheitsrat missbraucht wird, um
schwerste Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu decken, steht die Weltgemeinschaft vor
einem Dilemma, weil Nichthandeln genauso Menschenrechte und Völkerrecht schädigt wie
Handeln.
Moderne Bundeswehr
Der Auftrag und die Aufgaben der Bundeswehr müssen sich an den realen und strategisch
bedeutsamen Herausforderungen für Sicherheit und Friedenssicherung orientieren und in ein
gesamtstaatliches Handeln einfügen. Deutschland soll sich auf seine Bündnispartner verlassen
können und genauso sollen sich die Bündnispartner auf Deutschland verlassen können. Dazu
gehört auch, dass die Bundeswehr entsprechend ihrem Auftrag und ihren Aufgaben personell und
materiell sicher und planbar ausgestattet und bestmöglich organisiert sein muss. Dass
Soldat*innen mit nicht ausreichender Schutzausrüstung in Einsätze gehen, ist nicht
hinnehmbar. Neben einer ausreichenden und optimalen Ausrüstung zu jeder Zeit wollen wir,
dass die Soldat*innen nach Einsätzen umfassend betreut und unterstützt werden und das
Angebot für Einsatzgeschädigte ausgebaut wird. Die Bundeswehr soll die Vielfalt und
Diversität unserer Gesellschaft in ihrer Personalstruktur widerspiegeln. Menschenfeindliche
Ideologien und rechtsextremistisches Verhalten sind mit dem Auftrag der Bundeswehr und den
Pflichten der Soldat*innen in keiner Weise vereinbar. Daher werden wir dies konsequent
verfolgen und derartige Strukturen zerschlagen. Neben der umfassenden Aufklärung ist die
wirksame Prävention entscheidend, durch eine praktizierte und weiterentwickelte Innere
Führung, verantwortungsbewusste Personalgewinnung und zeitgemäße, verbindliche politische
Bildung. Die Rekrutierung Minderjähriger sowie den bewaffneten Einsatz der Bundeswehr im
Inneren lehnen wir ab und wollen den Freiwilligen Wehrdienst im Heimatschutz beenden sowie
die politische Bildung in Schulen, durch Stärkung ziviler Krisenprävention und
Konfliktbearbeitung, gleichberechtigt gestalten. Bewaffnete Drohnen wurden und werden
vielfach auch von unseren Bündnispartnern für extralegale Tötungen und andere
völkerrechtswidrige Taten eingesetzt. Ein solcher Einsatz ist für uns GRÜNE undenkbar und
mit dem deutschen Verfassungs- und Wehrrecht nicht vereinbar. Gleichzeitig erkennen wir an,
dass diese Systeme Soldat*innen in gewissen Situationen besser schützen können. Deshalb muss
klargemacht werden, für welche Einsatzszenarien der Bundeswehr die bewaffneten Drohnen
überhaupt eingesetzt werden sollen, bevor über ihre Beschaffung entschieden werden kann.
Auch technische Herausforderungen wie mögliche Hackability müssen in der Gesamtabwägung eine
wichtige Rolle spielen.
NATO strategisch neu ausrichten
Die NATO leidet unter divergierenden sicherheitspolitischen Interessen innerhalb der Allianz
bis hin zu zwischenstaatlichen Konflikten. Ihr fehlt in dieser tiefen Krise eine klare
strategische Perspektive. Trotzdem bleibt sie aus europäischer Sicht neben der EU eine
unverzichtbare Akteurin, die die gemeinsame Sicherheit Europas garantieren kann und die als
Staatenbündnis einer Renationalisierung der Sicherheitspolitik entgegenwirkt. Wir werden uns
im Rahmen des laufenden Strategieprozesses für eine Neuaufstellung der NATO und darauf
aufbauend eine Debatte über eine faire Lastenverteilung und eine ausgewogene Beteiligung der
Mitgliedstaaten einsetzen, um strategische Interessen auf Grundlage von europäischen Werten
wie Multilateralismus, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gemeinsam zu entwickeln und
geschlossener und überzeugender zu vertreten. Das nicht auf Fähigkeiten und Befähigung
ausgerichtete NATO-2-Prozent-Ziel gibt darauf keine Antwort und wir lehnen es deshalb ab.
Wir setzen uns für eine neue Zielbestimmung ein, die nicht abstrakt, national und statisch
ist, sondern von den gemeinsamen Aufgaben ausgeht, und werden mit den NATO-Partnern darüber
das Gespräch suchen. Dazu zählt auch eine stärkere militärische Zusammenarbeit und
Koordinierung innerhalb der EU und mit den europäischen NATO-Partnern wie Großbritannien und
Norwegen.
Europas Sicherheit gemeinsam gestalten
Gemeinsam mit den internationalen Partnern muss die Europäische Union ihrer Verantwortung
für die eigene Sicherheit und Verteidigung gerecht werden. Die Gemeinsame Sicherheits- und
Verteidigungspolitik (GSVP) setzt eine gemeinsame EU-Außenpolitik voraus. Wir wollen eine
EU-Sicherheitsunion etablieren mit einer starken parlamentarischen Kontrolle und einer
gemeinsamen restriktiven Rüstungsexportpolitik mit strengen Regeln und einklagbaren
Sanktionsmöglichkeiten. Anstatt immer mehr Geld in nationale militärische Parallelstrukturen
zu leiten, wollen wir die verstärkte Zusammenarbeit der Streitkräfte in der EU ausbauen,
militärische Fähigkeiten bündeln, eine effizientere Beschaffung erreichen und allgemein
anerkannte Fähigkeitslücken gemeinsam und durch eine Konsolidierung des europäischen
Rüstungssektors schließen. Dafür sind eine geeignete Ausstattung, der Ausbau von EU-
Einheiten sowie eine Stärkung und Konsolidierung der gemeinsamen EU-Kommandostruktur und
europäischer Initiativen wie zum Beispiel der Permanent Structured Cooperation (PESCO)
nötig. Gemeinsame EU-Auslandseinsätze sollten stärker vom Europäischen Parlament begleitet
und kontrolliert werden. Die Umwidmung von bisher ausschließlich für zivile Zwecke
vorgesehenen Geldern aus dem EU-Haushalt für militärische Zwecke lehnen wir ab.
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