VN-Friedenstruppen sollen die gefährdete Bevölkerung wirksam schützen, wenn es sein muss, auch gegen den Willen des Staates, in dessen Machtbereich schwerste Menschenrechtsverletzungen geschehen. Die Vereinten Nationen sollten für beides, Friedenssicherung und Friedenserzwingung, eigene ständige Truppen haben und diese auch selbst führen, anstatt der NATO, ähnlichen Bündnissen oder "Führungsnationen" von Ad-hoc-Ensembles notgedrungen die mit der Einsatzführung verbundenen politischen Entscheidungen ganz oder zu grossen Teilen zu überlassen. Die Vereinten Nationen verfügt gegenwärtig zwar über eine Führungsabteilung ( https://peacekeeping.un.org/en/department-of-peace-operations ) und kann theoretisch über das UN Stand-by Arrangements System bis zu 100.000 gemeldete Soldat*innen abrufen. Tatsächlich dauert es 6 Monate und mehr, um Sollstärken einer Mission real zu erreichen; hochwertige Ausrüstung ist schwer aufzutreiben und soweit Nationalstaaten nicht primär aus finanziellen Motiven Truppen stellen, wollen sie dabei auch politisch mitentscheiden. Das Problem besteht eigentlich seit Gründung der Vereinten Nationen (und schon zu Völkerbundszeiten), mehrere Anläufe zur Lösung sind versandet. Als Rückblick auf die multinationale UN-Eingreiftruppe SHIRBRIG, ihren Wert und ihr Ende sei https://zeitschrift-vereinte-nationen.de/fileadmin/publications/PDFs/Zeitschrift_VN/VN_2011/Heft_1_2011/05_koops_beitrag_1-11_27-1-2011.pdf, mit Übersicht auch zur historischen Entwicklung bis 2011) empfohlen. Zur Beteiligung einzelner europäischer Staaten an VN-Missionen mag https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/13533312.2016.1236430 , Stand 2016, dienen, die Aussichten auf ein stärkeres Engagement für VN-geführte Missionen haben sich in der Zwischenzeit leider nicht verbessert.
Auf unseren einschlägigen Beschlüssen "An der Vision, den VN unter Beachtung der Parlamentsbeteiligung eigene ständige Truppen zu unterstellen, halten wir fest."
- im Bundestagswahlprogramm von 2017, https://cms.gruene.de/uploads/documents/BUENDNIS_90_DIE_GRUENEN_Bundestagswahlprogramm_2017.pdf , dort S. 87, und "Wir fordern daher, ... dass Deutschland mehr Verantwortung übernimmt und sich stärker finanziell und personell an der Umsetzung von Mandaten der VN beteiligt. Direkt geführte VN-Missionen haben Vorrang vor den Militärmissionen, die zwar VN-mandatiert sind, aber von EU oder NATO durchgeführt werden. An der Vision, den VN eigene ständige Truppen zu unterstellen, anstatt nationaler Militärkontingente, halten wir fest" im Schutzverantwortungsbeschluss „Für eine Verantwortung zum Schutz der Menschenrechte" von 2012, https://wolke.netzbegruenung.de/apps/files/?dir=/1_Bundesverband/Inhalte%20%26%20Positionen/Beschlüsse%20Gremien/Bundesdelegiertenkonferenzen/2012-11-Hannover&fileid=28918531#pdfviewer , dort S. 9, und unserer EU-Politik aufbauend liegt die kombinierende Überlegung nahe:
Die EU und ihre Mitgliedsstaaten könnten mit einem grossen, leistungsfähigen EU-Modul ständige VN-Streitkräfte dauerhaft begründen und wesentlichen Anteil an ihrem Ausbau nehmen.
Gäbe es ein derartiges EU-Modul, dann könnte es nebenbei auch zur Stärkung der Europäischen Union beitragen, die ja nach unserem Willen vom Staatenverbund zum Bundesstaat, zur Föderalen Europäischen Republik werden soll. Zur Gemeinsamen Aussen- und Verteidigungspolitik eines (werdenden) Bundesstaates gehört mittel- und langfristig auch eine Integration der Streitkräfte in eine gemeinsame EU-Armee. Auf dem langem Weg dorthin könnte ein EU-Modul für ständige VN-Streitkräfte als Pilotprojekt ausgezeichnete Dienste leisten: - gemeinsame und laufend praxis-erprobte und verbesserte Ausbildungs- und Ausrüstungsstandards können qualitätssteigernd und vereinheitlichend auf die teilnehmenden EU-Mitgliedsstaaten zurückwirken, - durch gemeinsame Einsatzerfahrungen können die beteiligten Soldat*innen eine gemeinsame Sicht auf EU und Vereinte Nationen und Zusammengehörigkeitsgefühl gewinnen, - Planungen für den zukünftigen Aufbau von EU-Einheiten für die EU-Landesverteidigung könnten im gemeinsamen EU-Modul-Stab gut vorbereitet werden. Ausserdem könnte ein derartiges EU-Modul dem Europäischen Parlament perspektivisch besonders wichtige Rechte verschaffen: - die Kontrolle über dieses EU-Modul, seiner Finanzierung aus dem EU-Haushalt und über zugeordnete Einrichtungen, speziell ein EU-Ausrüstungs-Amt, - die Entscheidung über den Einsatz, nachdem die Vereinten Nationen dafür ein Mandat erteilt haben.
Der Parlamentsvorbehalt soll aufrechterhalten werden und vom Europäischen Parlament wahrgenommen werden. Die Einsatzgenehmigung durch das Europäische Parlament ist im Europawahlprogramm des EGP-Parteitags Berlin, 2018, https://europeangreens.eu/sites/europeangreens.eu/files/8.%20PROOFREAD%20Adopted%20%20EGP%20Manifesto%202019.pdf , dort S. 14, vorgesehen. Die Übertragung des Parlamentsvorbehalts von der nationalen auf die EU-Ebene ist zwingend geboten, wenn das EU-Modul der VN-Streitkräfte auch wirklich einsatzbereit sein soll. Denn eine solche Einheit kann nicht als eine lose Addition nationaler Kontingente (bei der jedes Kontingent im Prinzip alles kann) gebildet werden. Schon aus Kostengründen muss sie statt dessen als arbeitsteilig integrierte Kombination funktionieren. Und das geht nicht, wenn jeder truppenstellende EU-Mitgliedsstaat einzeln über die Sinnhaftigkeit eines Einsatzes entscheiden würde, weil dann das „Nein" beispielsweise des einzigen Transporthubschrauber beisteuernden Mitgliedsstaates automatisch das gesamte EU-Modul lahmlegen könnte. - Perspektivisch: dieser Genehmigungsvorbehalt sollte dem Europäischen Parlament auch dann verbleiben, wenn die Vereinten Nationen ein VN-Parlament erhalten. Denn die Vereinten Nationen sollten dauerhaft eine überstaatliche Organisation bleiben und nicht „Weltstaat“ werden. Ein Weltstaat könnte sich eventuell in eine Weltdiktatur verwandeln und dann gäbe es nirgendwo noch eine Macht, die dessen Diktaturverbrechen Einhalt gebieten und die Unschuldigen vor ihr schützen könnte. Also sollten die Vereinten Nationen die zukünftige Weltfriedensordung zwar formulieren können, aber nur mit (parlamentarischer) Genehmigung ihrer truppenstellenden Regionalorganisationen (wie eben der EU) zu militärischen Zwangsmassnahmen greifen können.
Zum Antrag GSP.I-01-155 beschloss die Grundsatzprogramm-BDK den Verfahrensvorschlag der Antragskommission „Die BDK bittet die grüne Europafraktion und die grüne Bundestagsfraktion, zum Konzept eines EU-Moduls für ständige VN-Streitkräfte Stellung zu nehmen. Sie beauftragt auch die BAGen Frieden/Internationales und Europa, gemeinsam mit beiden Fraktionen vor der nächsten BDK dazu eine Stellungnahme vorzulegen.“, https://antraege.gruene.de/45bdk/motion/1414/amendment/8289 -
Leider war es den beiden Fraktionen und BAGen pandemie-bedingt noch nicht möglich, diese Bitte bzw. diesen Auftrag zu erfüllen. Eine gemeinsame Stellungnahme kann ja erst nach einem gemeinsamen Meinungs- und Willensbildungsprozess erfolgen. Dazu gehört auf jeden Fall die Anhörung externer Expert*innen und die Ausprache zu den Anhörungsergebnissen.
Dies sollten wir bald nachholen. Gleich nach der Bundestagswahl sollten wir umgehend das Ob, Wann und Wie eines EU-Moduls für ständige VN-Streitkräfte gemeinsam untersuchen. Ist seine Realisierung sinnvoll und möglich, dann sollten wir sie konsequent und zügig angehen.
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