Veranstaltung: | 47. Bundesdelegiertenkonferenz |
---|---|
Tagesordnungspunkt: | D Dringlichkeitsanträge |
Antragsteller*in: | Peter Heilrath (KV München) und 66 weitere Antragsteller*innen (Frauenanteil: 42%) |
Status: | Eingereicht |
Verfahrensvorschlag: | Erklärung: Mit Beschluss vom 27.01.2022 empfiehlt die Antragskommission der BDK, diesen Antrag nicht zuzulassen. Die erforderliche formelle Dringlichkeit ist nicht gegeben. |
Eingereicht: | 26.01.2022, 23:52 |
D-07: Ausreise und Aufnahme von Hilfskräften und besonders gefährdeten Gruppen aus Afghanistan unterstützen
Antragstext
Die Bundesdelegiertenkonferenz möge beschließen:
Wir fordern das Auswärtige Amt, sowie die Bundesministerien des Inneren, der Verteidigung
und für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung dazu auf, sich stärker und gemeinsam
mit den Verbündeten einzusetzen für
- Ausreisemöglichkeiten aus Afghanistan nicht nur für Regierungsverbeamtete,
Botschaftsangehörige, Übersetzer_innen und andere Personen, die mit der BRD unmittelbar in
Verbindung standen, sondern auch für Menschenrechtsverteidiger_innen, Aktivist_innen der
Zivilgesellschaft, Akademiker_innen, Journalist_innen und andere besonders gefährdete
Gruppen
- Ausreisemöglichkeiten auch für Kinder und Familienangehörige in grader Linie der benannten
Personen
- Transparente Aufnahmekriterien, die für alle beteiligten deutschen Ministerien gelten.
- Aufnahme und Schutz dieser Menschen in Europa, sowie in weiteren westlichen Ländern, die
an den Missionen ISAF und RSM militärisch beteiligt waren.
- eine Unterstützung der Nachbarländer Afghanistans, die ihnen die Aufnahme Flüchtender und
eine Offenhaltung bzw. Öffnung der Grenzen möglich macht, insbesondere Usbekistan,
Turkmenistan, Tajikistan, Pakistan und Qatar
- eine bedingungslose Unterstützung der Nothilfe in Afghanistan, insbesondere durch eine
Unterstützung internationaler NGOs und UN-Organisationen die in und für Afghanistan tätig
sind
- eine kontrollierte Lockerung der Sanktionen, damit Bargeld in Umlauf kommt und Hilfe bei
den Menschen ankommen kann
- eine über Nothilfe hinausgehende Entwicklungshilfe, die aber möglichst nur zweckgebunden
und in Verbindung mit der Stärkung von Menschen-, Frauen- und Minderheitenrechten geleistet
wird, gegebenenfalls durch Einrichtung eines oder mehrerer Büros vor Ort (Kabul, MeS,
Termez, Islamabad, Doha…)
Antragsteller: Peter Heilrath KV München-Stadt / Alex Rohde KV Freyung-Grafenau
Begründung der Dringlichkeit
Das sichtbare Problem des fehlenden Engagements Deutschlands bei der Ausreise und dem Schutz der beschriebenen Schutzbefohlenen ist freilich nicht neu.
In den letzten Tagen sind aber Ausmaß, Dringlichkeit und Versäumnisse erst deutlich in den Vordergrund und die Wahrnehmung geraten und haben sich auch neue Entwicklungen offenbart:
- Mitte Januar hat Entwicklungsministerin Svenja Schulze zwar die Verstärkung des humanitären Engagements in Afghanistan zugesagt, die Probleme der Ausreise der Schutzbedürftigen wurden aber ausgespart.
- Mitte Januar berichtet die NGO Mission Lifeline von einer Verschärfung der Bedingungen für die Aufnahme durch Deutschland. Beklagt wird insbesondere völlige Intransparenz bei den Aufnahmekriterien und willkürliche Einschätzungen der individuellen Gefährdungslagen.
Begründung
Von 2001 bis 2021 engagierten sich bis zu 50 Nationen entwicklungspolitisch, die Zivilgesellschaft stärkend, über unzählige NGOs und militärisch in Afghanistan.
Am 29. Juni 2021 endete der Einsatz der deutschen Bundeswehr in Afghanistan und in der Folge auch größtenteils die zivilen Engagements im Land.
Bereits am 15. August 2021 übernahmen die als Terrororganisation eingestuften Taliban die afghanische Hauptstadt Kabul und installierten ihre Regierung.
Am 16. August 2021 begann die Bundeswehr die Evakuierungsoperation aus Kabul. Bis zum 27. August flog die Bundeswehr über 5.000 Menschen aus – weniger waren dies afghanische Ortskräfte mit Familien, sondern zum größten Teil Deutsche sowie Angehörige anderer Nationen.
Am 19. August 2021 proklamierten die Taliban erneut das „Islamische Emirat Afghanistan“.
Für die Taliban gelten ehemalige Ortskräfte der Bundeswehr als Kollaborateure – ihrem Kodex nach wird dies mit dem Tode bestraft. Seit der Machtübernahme der Taliban wurden Regimekritiker festgenommen, gefoltert und ermordet, Frauen ihrer Berufe verwiesen, Mädchen aus Schulen verbannt. Kunst und Musik wurden verboten, Minderheiten werden gejagt. Familien verkaufen ihre Kinder, weil sie hungern. Die Leidtragenden sind immer die gleichen: Es sind die schwächsten der jeweiligen Kultur, es sind die Frauen und Kinder, die unsägliches Leid ertragen müssen. Nun, im Winter in Afghanistan, sind sie nicht nur dem grausamen Willen der neuen Herrscher unterworfen, sondern größtenteils schutzlos der Unbarmherzigkeit dieser Jahreszeit ausgeliefert. Die Folgen sind Hunger- und Kältetod. Zum Sommer hin werden Krankheiten und Seuchen hinzukommen. Aktuell gilt das afghanische Gesundheitssystem als das am stärksten überlastete und am schlechtesten funktionierende der Welt.
Derzeit warten rund 20.000 Afghan*innen auf ihre (zugesicherte) Ausreise nach Deutschland.
Sämtliche an ISAF / RSM beteiligte Nationen tragen eine Verantwortung gegenüber Afghanistan.
Deutschland, als einer der wesentlichen Truppensteller, im Norden sogar „Lead Nation“ gewesen, trägt einen wesentlichen Anteil dieser Verantwortung.
Dem Schutz der Bedrohten, dem Schutz der Schwächsten, muss höchste Priorität eingeräumt werden!
Wie wir mit den Folgen des Afghanistan-Einsatzes umgehen, wird auch Auswirkungen auf bereits laufende oder zukünftige Engagements Deutschlands in der Welt haben.
Wenn wir denen nicht helfen, die uns geholfen haben, wird uns künftig niemand mehr helfen.
weitere Antragsteller*innen
Änderungsanträge
- D-07-012 (Juliana Wimmer (KV Berlin-Mitte), Eingereicht)
Kommentare
Winfried Nachtwei:
Alexander Rohde:
Philipp Schmagold:
Der Beschluss-Text stammt von mir, Omid Nouripour hat ihn dankenswerterweise in Freiburg eingebracht, weil ich durch die Geburt meines Kindes verhindert war.
Beschluss
Humanitäres Aufnahmeprogramm für Afghanistan
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordern den Deutschen Bundestag und die Bundesregierung auf,
rechtzeitig und spätestens vor einem Abzug der Bundeswehr
1. ein Aufnahmeprogramm in Afghanistan bzw. im Norden des Landes für diejenigen Menschen durchzuführen, welche in ihrem Leben oder in ihrer Gesundheit spätestens dann bedroht sind, wenn das Militär abzieht und die Macht neu verteilt wird. Wir möchten diesen Menschen somit eine sichere Zuflucht in Deutschland bieten.
2. einen lückenlosen Abschiebestopp für afghanische Flüchtlinge durchzusetzen, um deren Leben nicht zu gefährden,
3. sich endlich dem Resettlement-Programm [1] des UN-Flüchtlingskommissariats (UNHCR) mit einem großzügigen Kontingent anzuschließen, und die Arbeit des UN-Flüchtlingskommissariats zu unterstützen, damit weiterhin Flüchtlingen in Afghanistan und insbesondere den afghanischen Flüchtlingen in Iran und Pakistan geholfen wird.
4. Den Ausbau der zivilen Hilfe sicherzustellen, denn die Verantwortung für die Menschen hört nicht mit dem militärischen Abzug auf.
5. die weiteren am Einsatz in Afghanistan beteiligten Staaten und die EU von ähnlichen Maßnahmen zu überzeugen. In besonderer Verantwortung stehen in diesem Zusammenhang neben der NATO zudem die USA.
[1] Resettlement bedeutet die Auswahl und den Transfer verfolgter Personen aus einem Staat, in dem die
Betroffenen zunächst Schutz gesucht haben (Erstzufluchtsstaat), in einen anderen Staat, der ihrer Aufnahme als Flüchtlinge zugestimmt hat und in dem sie sich dauerhaft niederlassen können. Mit einem Resettlement-Programm soll Flüchtlingen ein dauerhafter Schutz in einem sicheren Staat gewährt und den
Menschen eine würdige Zukunftsperspektive eröffnet werden.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Beschluss: Humanitäres Aufnahmeprogramm für Afghanistan
BDK Freiburg, 19.-21. November 2010 S. 1/1
Kristóf Gosztonyi:
Hier drei 'Änderungsvorschläge:
Punkt 1: In Bezug auf die Anträge für eine Ausreise nach Deutschland muss es irgendeine Möglichkeit geben, Auskunft über eingereichte Anträge zu erhalten: sind sie überhaupt eingegangen? Wurden sie abgelehnt? Sind sie noch in Bearbeitung? Im Moment verweigert das AA mit unterschiedlichen Begründungen jede Auskunft.
Punkt 2: Der Dringlichkeitsantrag fordert: "eine bedingungslose Unterstützung der Nothilfe in Afghanistan, insbesondere durch eine Unterstützung internationaler NGOs und UN-Organisationen die in und für Afghanistan tätig sind." Grundsätzlich ist die Forderung absolut richtig. Ich würde aber gerne folgendes hinzufügen: "in Zusammenarbeit mit lokalen Entwicklungsräten (CDCs)." Diese Entwicklungsräte sind lokal gewählt und treffen ihre Entscheidungen meist partizipativ und genießen hohe lokale Legitimität. Sie nicht-staatlich, werden aber von den toleriert und können ein gewisses gesellschaftliches Gegengewicht oder lokale Interessenvertretung gegenüber den Taliban darstellen. Diese Entwicklkungsrats-Struktur muss erhalten und soweit es geht unterstützt werden.
Punkt 3: In Bezug auf die (sehr richtige) Forderung nach einer über die bloße "Nothilfe hinausgehende Entwicklungshilfe" würde ich nicht nur die "Stärkung von Menschen-, Frauen- und Minderheitenrechten" erwähnen, sondern auch den "Erhalt lokaler partizipativer Strukturen (die Struktur der Entwicklungsräte)".
Noch zu den Entwicklungsräten: Wenn diese Struktur eingeht, dann gibt es auf der lokalen Ebene nur noch den lokalen von den Taliban eingesetzten Imam als wichtigsten Repräsentanten des Dorfes, der quasi als polit-religiöser Kommissar agiert (und vielleicht den Rat der Ältesten, der aber von Imam beobachtet wird). Der Erhalt dieser Struktur ist m.M.n. nicht eine Frage der technischen Umsetzung der Nothilfe und der Entwicklungshilfe, sondern eine strategische Frage, die darüber entscheidet wieviel gesellschaftliches Kapital in Afghanistan erhalten bleibt. Deshalb sollen diese Punkte prominent und explizit im Eilantrag genannt werden.