Veranstaltung: | 48. Bundesdelegiertenkonferenz |
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Tagesordnungspunkt: | FS Wertegeleitet, multilateral, handlungsfähig: grüne Friedens- und Sicherheitspolitik in der Zeitenwende |
Antragsteller*in: | Ursula Hertel-Lenz (KV Berlin-Steglitz/Zehlendorf) und 56 weitere Antragsteller*innen (Frauenanteil: 42%) |
Status: | Eingereicht |
Verfahrensvorschlag: | Erledigt durch: FS-12-033-2 |
Eingereicht: | 31.08.2022, 23:34 |
FS-08: Frieden schaffen: Kooperative Sicherheit in Europa und auf globaler Ebene
Antragstext
Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine verursacht millionenfaches
Leid, Massaker, Kriegsverbrechen, Tod und Verwüstung. Mit jedem Tag, den die Angriffe
fortdauern, werden Menschen körperlich verletzt oder traumatisiert, viele sterben. Das
Risiko einer Ausweitung des Krieges auf andere Staaten oder einer weiteren Eskalation
wächst. Die weltweite Hungerkrise nimmt immer größere Ausmaße an.
Vorbereitungen für Verhandlungen beginnen
Die Unterstützung der Ukraine durch Waffenlieferungen hat dazu beigetragen, dass sie den
Angriffen Russlands standhalten konnte, allerdings wurden weitere Gebiete – vor allem im
Süden, aber auch im Osten - durch russische Truppen besetzt. Es ist zur Zeit nicht absehbar,
inwieweit die Ukraine auch bei anhaltender Unterstützung durch Waffenlieferungen diese und
alle anderen russischen Truppen aus dem Land drängen kann.
Während in Deutschland über die Waffenlieferungen viel informiert und diskutiert wurde und
wird, ist die Frage, wann und wie dieser Krieg beendet werden könnte, als sachlich
behandeltes Thema in der Öffentlichkeit kaum präsent. Vorbereitungen für Verhandlungen
fehlen offenbar. Hier ist ein Umdenken notwendig. Denn perspektivisch ist die Ko-Existenz
der europäischen Staaten mit der Russischen Föderation alternativlos.
Sprech-Fähigkeit wieder herstellen – Eskalation verhindern
Nach einem halben Jahr Krieg und nach den verschiedenen Gipfeltreffen von EU, G-7, NATO und
G-20 sollten nun, neben den Waffenlieferungen und Sanktionen, Vorbereitungen für einen
international abgestimmten und multilateral getragenen Verhandlungsprozess beginnen, auch
auf oberster politischer Ebene. In dieser zugespitzten Kriegssituation braucht es vor allem
eine Sprech-Fähigkeit zwischen allen Beteiligten (also die Möglichkeit, wieder miteinander
in substanzielle Verhandlungen treten zu können), also auch gegenüber der gegenwärtigen
russischen Führung. Diese Sprech-Fähigkeit sollte auch für bestehende kommunikative Formate
wie die verschiedenen G-7- und G-20-Treffen gelten.
Die Unterstützung der Ukraine bei der Verteidigung ihrer territorialen Integrität ist
zentral; zugleich gilt es, die Gefahr einer atomaren Katastrophe zu verhindern. Es kann
nicht ausgeschlossen werden, dass Russland - eine atomare Supermacht auf Augenhöhe mit den
USA - taktische Atomwaffen einsetzt, um einen erzwungenen Rückzug oder eine drohende
Niederlage abzuwenden. Auch das Risiko eines Atomkriegs aus Versehenist real, z.B. auf Grund
eines Fehlalarms. Die Zerstörungswirkungen eines Einsatzes von taktischen Atomwaffen –
vergleichbar der Hiroshima-Bombe - können ein existenzielles Ausmaß annehmen, gerade auch
für die Ukraine.
Die Hoffnung auf einen vollständigen militärischen Sieg der Ukraine durch umfassende
westliche Unterstützung ist verfehlt. Auch wenn ein derartiges Vorgehen gelingen würde,
könnte Russland seine Armee entlang der ukrainischen Grenzen stehen lassen und weiter das
ukrainische Territorium mit Raketen und Bomben beschießen. So würde die Ukraine dauerhaft
destabilisiert. Um dies zu vermeiden, müsste im Gegenzug die Ukraine russisches Territorium
angreifen. Das wäre mit einer gefährlichen Ausweitung des Krieges verbunden.
Zeitfenster für Verhandlungen erkennen und nutzen können
Die Frage ist nicht, ob Verhandlungen mit der russischen Führung angestrebt werden sollten.
Diese Frage muss differenzierter gestellt werden: worüber soll wann mit ihr geredet werden,
wie sollen diese Gespräche geführt werden und wer soll sie in welcher Rolle initiieren und
moderieren.
Es gibt bereits diplomatische Lösungsvorschläge, die nur wenig Beachtung fanden, u.a. den
Zehn-Punkte-Plan, den die ukrainische Delegation im Rahmen der ukrainisch-russischen
Gespräche vom März 2022 in Istanbul vorlegte, oder das Ergebnis der Internationalen
Arbeitsgruppe, die auf Einladung des Vatikans im Juni 2022 Lösungen für einen „gerechten und
dauerhaften Frieden in der Ukraine“ vorschlug.
Sollte es in den nächsten Wochen – auch durch die Waffenlieferungen und Sanktionen – zu
einer echten militärischen Pattsituation kommen, könnte sich ein Zeitfenster für
Verhandlungen öffnen. Wann dies geschehen würde, ist kaum vorhersagbar. Daher sollte jetzt
bereits vorbereitet werden, was dann schnell einsatzbereit sein muss: eine beidseitig
akzeptierte, multilateral mitgetragene und flexibel steuerbare Struktur für moderierte
Verhandlungen.
Dilemmasituationen durch geeignete Verhandlungsführung überwinden
Die ukrainische Souveränität steht politisch zu Recht im Zentrum, aber die Verhandlungen
sollten auch darüber hinaus gehende Themen einbeziehen. Einiges spricht dafür, dass mit
Russland nur im Paket mit übergeordneten Fragen sinnvoll verhandelt werden kann. So könnte
die Macht des Stärkeren als einzige Logik für die Konfliktaustragung begrenzt und
zurückgedrängt werden. Die internationale Gemeinschaft auf UN-Ebene könnte den Rahmen für
die Aushandlung offener internationaler Fragen gestalten undstrukturieren.
Verhandlungen mit der russischen Führung – und schon der Weg dahin – können zu
Dilemmasituationen führen. Zum Beenden des Krieges braucht es früher oder später eine
Verhandlungslösung. Bei anhaltender militärischer Stärke Russlands darf diese jedoch nicht
auf Kosten der Ukraine gehen. Militärische Machtverhältnisse müssen das Ergebnis von
Verhandlungen nicht vollständig und linear bestimmen. Militärische Machtasymmetrien zwischen
Konfliktparteien können ausgleichbar sein, wenn neben den militärischen Logiken in
relevantem Ausmaß auch andere Interessen beider Seiten einbezogen werden. Entscheidend ist,
dass mögliche Verhandlungen nicht zu einem russischen Friedensdiktat führen.
Eine international abgestimmte, multilateral getragene Vermittlungsinitiative mit
realistischer Zielsetzung könnte die Aufnahme von Verhandlungen ermöglichen. Im ersten
Schritt ginge es um einen Waffenstillstand, im zweiten Schritt um einen Friedensvertrag und
die Ko-Existenz beider Staaten; der Rückzug Russlands wäre klare Bedingung und die Verfahren
wären eindeutig: die Ukraine entscheidet über ukrainische Hoheitsthemen, weitere
internationale Themen wären politisch verhandelbar.
Ein weiteres Dilemma besteht darin, dass offizielle Verhandlungen mit dem Kriegsverbrecher
Putin seinen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg, seine Machtansprüche und Kriegsverbrechen
implizit legitimieren könnten, was in jedem Fall vermieden werden muss. Jedoch weder das
Ausblenden von Kriegsverbrechen noch eine Straffreiheit Putins sind zwangsläufige Folgen von
Waffenstillstands- oder Friedensverhandlungen. Die o.g. Befürchtungen sind aber berechtigt
und es muss ihnen in Verhandlungsprozessen bewusst entgegengewirkt werden.
OSZE stärken
Sicherheit lässt sich nicht auf militärische Stärke reduzieren. Es gilt weiterhin,
langfristig eine neue nachhaltige europäische Friedens- und Sicherheitsarchitektur
aufzubauen. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) bietet trotz
des russischen Angriffskrieges – und trotz allen Reformbedarfs - eine wichtige Basisfür eine
mögliche Kooperation auch über politische Lagergrenzen hinweg. Das erfordert vor allem
diplomatische Fähigkeiten und vertrauensbildende Maßnahmen. Die OSZE wurde bisher vom
Auswärtigen Amt mit ca. 25 Mio. € jährlich gefördert. Sie müsste jedoch von den
Mitgliedstaaten mit deutlich mehr Mitteln ausgestattet werden als gegenwärtig, damit ihre
Potenziale ausgeschöpft und weiterentwickelt werden können. Im Koalitionsvertrag sind neue
Initiativen für die Stärkung von Rüstungskontrolle und Abrüstung angekündigt. Dafür hat die
OSZE wichtige Instrumente geschaffen. Diese gilt es langfristig zu stärken.
Die Debatte über Sicherheit muss sich von der Fixierung auf die militärische Dimension lösen
und auch „menschliche Sicherheit“ in den Blick nehmen. Dazu gehört der Schutz der Menschen
vor Kriegen, Krisen, Klimakatastrophen und Krankheiten und auch der Zugang zu Ressourcen und
Lebensperspektiven, also etwa Ernährungssicherheit und -souveränität. Ausreichende Mittel
für humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit müssen bereitgestellt werden, um die
Folgen des Krieges gegen die Ukraine und der Corona-Pandemie auf globaler Ebene zu
bewältigen.
Krisen und Kriegen weltweit vorbeugen
Der Koalitionsvertrag bezieht sich auf die Leitlinien „Krisen verhindern, Konflikte
bewältigen, Frieden fördern“ von 2017 und kündigt zivile Planziele an. Gerade jetzt ist es
wichtig, die Kooperation mit zivilgesellschaftlichen Akteuren auszubauen. Deutsche Politik
sollte mithelfen, Brücken zu bauen, zwischen Menschen aus der Ukraine, Russland und Belarus,
im westlichen Balkan und Südkaukasus, im Nahen Osten und in der Sahelregion. Deutschland hat
dafür eine Reihe wichtiger Instrumente geschaffen. Es wäre fatal, wenn die beschlossenen
militärischen Investitionen deren Ausbau behinderten.
Es gilt, Klimakrise, Pandemien und Artensterben aufzuhalten, gerechte Lebensperspektiven zu
schaffen und Krisen und Kriegen weltweit vorzubeugen. Und für den sozialverträglichen
ökologischen Umbau unserer Gesellschaft müssen ebenfalls ausreichende Mittel vorgehalten
werden. Auch das ist relevant für Sicherheit, denn der Zusammenhalt demokratischer
Gesellschaften hängt auch davon ab, ob sie sich so schnell wie möglich von fossilen
Energieträgern unabhängig machen können. Als Wertegemeinschaft wird sich die EU illiberalen
und rechtspopulistischen Bestrebungen mit allen Mitteln entgegenstellen und die europäischen
Demokratien gegen innere und äußere Feinde verteidigen müssen.
Längst geht es auch um die enormen Folgekrisen des Russland-Ukraine-Krieges, insbesondere
den drohenden Welthunger infolge ausbleibender Getreideexporte. Diesbezüglich ist das neue
NATO-Konzept der forcierten Aufrüstung kein Konzept, mit dem die Zukunft nachhaltig
gestaltet werden könnte. In erster Linie profitiert der militärisch-industrielle Komplex,
der schon jetzt angesichts der globalen Auftragsexplosion maximale Überprofite einfährt.
Neuen Blockbildungen entgegen wirken - Die Klimakrise gemeinsam lösen
Eine neuerliche Blockkonfrontation wie zu Zeiten des Kalten Krieges sollte unbedingt
verhindert werden. Damals dauerte es fast 25 Jahre, bis nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs
die Phase der Entspannung einsetzte. Angesichts der drängenden globalen Probleme kann sich
die Welt ein derartiges verlorenes Vierteljahrhundert nicht leisten. Nach schon jetzt 50
untätig verstrichenen Jahren seit dem epochalen Bericht des Club of Rome von 1972 und 30
Jahre nach der Klimakonferenz von Rio de Janeiro 1992 steht die Welt an einem ökologischen
Kipppunkt. Dürren und Waldbrände, Gletscherabgänge, das Schmelzen des polaren Eises wie das
Auftauen des Permafrostbodens demonstrieren: Die Klimakrise, die zunehmend zu einer
Klimakatastrophe wird, hat mit ihren vielen Toten und Geflüchteten längst Auswirkungen in
den Dimensionen eines Krieges. Und das sind nur die Folgen der CO2-Belastung der
Vergangenheit, die bereits jetzt irreversibel sind und die sich in den nächsten Jahren
weiter verstärken werden. All das zeigt: Die Bekämpfung der Klimakatastrophe ist und bleibt
die eigentliche Jahrhundertherausforderung – und jeder Krieg trägt massiv zur ökologischen
Zerstörung bei. Auch deshalb muss der Krieg gegen die Ukraine so schnell wie irgend möglich
beendet werden.
Außerdem muss die atomare Abrüstung wieder auf die Agenda gesetzt werden; denn Putins
Eroberungskrieg wie das neue NATO-Konzept drängen das Thema in den Hintergrund. Die NATO
sollte den Verzicht auf einen nuklearen Erstschlag erklären, um das Risiko einer nuklearen
Eskalation zu verringern. Nach dem Ende des INF-Vertrags über das Verbot landgestützter
nuklearfähiger Kurz- und Mittelstreckenwaffen und des „Open-Skies“-Abkommens über
militärische Beobachtungsflüge zwischen NATO-Ländern und Russland ist ein neuer Ansatz zu
Abrüstungsverhandlungen dringend geboten, auch angesichts der zunehmenden Proliferation. Das
Abkommen mit Iran droht zu scheitern. Auch in dieser Hinsicht wäre eine neue Blockbildung in
einer multipolar verfeindeten Welt verhängnisvoll.
Die Rolle der Vereinten Nationen zur Überwindung der globalen Konflikte stärken
Die mit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine sich zeigende Machtverschiebung vom
traditionellen Westen und von Russland weg zugunsten der Schwellenländer und des globalen
Südens könnte die Chancen für eine diplomatische Lösung verstärken. Denn der Druck der G-20-
Mitglieder aus dem globalen Süden für ein Ende der Kämpfe wächst. Afrikanische Länder - wie
zum Beispiel Südafrika - erheben angesichts großer ökonomischer Abhängigkeiten,
inflationären Drucks und drohender Hungerkatastrophen die Forderung, zu einem Ende der
Kämpfe zu kommen. Die südafrikanische Außenministerin Naledi Pandor forderte anlässlich des
G-7-Gipfels in Elmau im Interview mit dem ZDF vom 27. Juni 2022: „Die Welt hat eine
Verantwortung, für Frieden zu sorgen“. Und Brasiliens Präsidentschaftskandidat Lula da Silva
kritisierte, die Sanktionen würden Millionen Menschen töten.
Im kommenden Jahrzehnt wird die Konkurrenz zwischen den Großmächten um Einflusssphären
vermutlich mit unverminderter Härte fortgesetzt. Es ist notwendig, der weiteren Zuspitzung
von Konflikten durch neue Initiativen zu Abkommen auf UN-Ebene zu begegnen, die auch China
einschließen. Bestehende Konflikte müssen begrenzt werden, solange sie nicht beigelegt
werden können. Und ohne eine Einbeziehung der Schwellenländer wird es keine Lösung der
globalen Probleme geben, insbesondere nicht der völlig ungelösten Klimakrise. Aber letztlich
bedarf es eines echten Multilateralismus und einer zentralen Rolle der Vereinten Nationen.
Denn um die großen Menschheitsprobleme anzupacken, braucht die Welt wirtschaftliche und
politische Kooperation.
Begründung
Hier einige Artikel, aus denen ich für meinen Antrag Aspekte übernommen bzw. Anregungen erhalten habe:
Kommentare
Marcel Ernst:
Sabine Hebbelmann:
Stephan Voß:
wozu dieser Hinweis? Argumente zählen, Abstimmungsergebnisse beeindrucken nicht.
Beste Grüße
Stephan
Marina Ploghaus:
Horst Schiermeyer:
https://media.rtl.com/meldung/RTL-ntv-Trendbarometer-00076/
Silke Kreitz:
1. Eine Verhandlung hat nur Sinn, wenn beide Seiten bereit sind, auf den anderen zuzugehen.
2. Wenn Putins Ziele tatsächlich der Rückzug jeglichen amerikanischen Einflusses aus Europa (und somit russischen Einfluss ermöglichen) sowie die Wiederherstellung der ehemaligen Sowjetunion unter seiner Führung sind, ist eine gemeinsame Verhandlungsbasis nicht gegebenen.
3. Die Souveränität der Ukraine ist nicht verhandelbar. Somit gibt im Hinblick auf die Ukraine diese die Verhandlungsziele vor - und die westlichen Staaten nehmen lediglich die Rolle der Vermittler ein.
Trotzdem ist es notwendig, die Möglichkeiten einer Verhandlung immer wieder aufs Neue zu prüfen, Rahmenbedingungen abzustecken und die Vermittlerrolle anzubieten. Ich hoffe jedoch sehr, und schätze unsere Außenministerin auch so ein, dass dies hinter den Kulissen konstant geschieht.