Auf das 9-Euro-Ticket folgt das 0-Euro-Ticket. Was Luxemburg kann, können wir auch: Der Öffentliche Nahverkehr soll bei der Nutzung selbst nichts kosten. Privatpersonen müssen für die Nutzung von Straßen keine Gebühr bezahlen - wieso sollten sie es für nachhaltige Moblität müssen?
Ein umlagefinanzierter ÖPNV spart Kosten für Ticketverkauf, Ticketkontrolle und administrativen Aufwand für Verkehrsverbünde ein. Außerdem ist ein umlagefinanzierter ÖPNV sozial gerecht, da er durch Steuern finanziert wird. Der Steuersatz steigt mit dem Einkommen, das Busticket kostet für alle gleich viel. Außerdem ermöglichen wir allen, unabhängig vom Geldbeutel, mobil zu sein und damit mehr am gesellschaftlichen Leben Teil zu haben.
Darüberhinaus ist Fahren ohne Fahrschein noch immer eine Straftat. Tausende Menschen - darunter vor allem Menschen ohne Job - landen deshalb jedes Jahr im Gefängnis. Dieser Straftatbestand würde durch einen ticketlosen ÖPNV hinfällig werden.
Kommentare
Brigitte Kowalsky:
Kostenlos spart Kosten.
Christoph Stadter:
würden wir das System nebenendgültig zum Kollaps bringen und somit das Auto als zuverlässiges Fortbewegungsmittel stärken. Statt den ÖV noch weiter zu subventionieren, müssen wir ENDLICH die Subventionen des Autos abbauen! Geld wird im ÖV-System an allen Ecken und Enden gebraucht, aber nicht für klimaschädliche Preissenkungen, sondern für einen massiven Angebotsausbau!
Anne Kathrin Herbermann:
Das Prinzip "Umlage" kennen viele von Semestertickets. Ähnlich finanziert sich auch der Öffentliche Rundfunk. Die "Preissenkung", die Du hier vermutest, ist also gar nicht Teil des Antrags. Im Gegenteil manche Menschen würden zum ersten Mal überhaupt für den ÖPNV zahlen.
Es gibt auch keine klassischen "Subventionen" aus Steuergeldern bzw Begünstigungen wie wir sie derzeit noch bspw. bei Dienstwagen sehen. Dass klimaschädliche Subventionen abgebaut werden müssen, stimmt natürlich. Aber diese sind überhaupt nicht Teil des Antrags sondern absolut unabhängig von der Finanzierung des ÖPNV, d.h. ob wir das Dienstwagen-Privileg abschaffen oder nicht, hat nichts damit zu tun, ob der ÖPNV Umlage finanziert ist oder nicht.
Die Datenlage, ob das 9-EUR-Ticket klima-Effekte hatte, ist zudem nicht so simpel wie Du es darstellst. So sind die Umstiegsquoten vom MIV zum ÖPNV im August sehr viel höher als im Juni (dazu u.a. "Die Lage der Nation").
Auch die "Kostenwahrheit" ist nicht gefährdet bei einer Umlagefinanzierung.
Zur Verkehrsvermeidung: Es ging bei unserer Politik m.E. immer darum unliebsame Wege zu vermeiden, also bspw den täglichen Weg zur Arbeit durch Home Office zu verringern oder weite Strecken zum Supermarkt durch eine gute Nahversorgung überflüssig zu machen. Aber es ging nie darum, dass die Menschen am Wochenende zu Hause bleiben sollen und keinen Ausflug machen dürfen. Wenn Mobilität klima- und umweltschonend ist, sollen die Menschen gerne viel und weit fahren. Es stärkt unseren Sozialen Zusammenhalt, wenn Menschen sich besuchen können und sich vielleicht auch mal andere Städte anschauen oder sich an einem See oder anderem Erholungsgebiet entspannen.
Christoph Stadter:
Verhaltensökonomisch ist es leider egal, ob der ÖPNV steuer- oder abgabenfinanziert wäre. Es käme aufs selbe heraus: Für den Nutzer entstehen null Grenzkosten, und dann fährt er entsprechend viel und weit. Sobald wegen des Nutzeranstiegs auch nur 1 Bus mehr fahren muss oder 1 Wagen an den Zug angehängt wird, hat dies klimaschädliche Effekte. Unter "Verkehrsvermeidung" verstehe ich jedenfalls nicht, Fahrten neu zu erzeugen, die zu fairen Preisen gar nicht getätigt würden. Ob man nun an den Badesee in der Nachbarschaft fährt oder 100 km weiter, macht für den Freizeitwert in vielen Fällen keinen großen Unterschied - fürs Klima aber sehrwohl!
Kostenlos ist der ÖPNV ja nie. Irgendjemand trägt immer die Kosten. Warum eine ÖPNV-Umlage als "Flat tax", wo jeder Bürger dasselbe zahlen würde à la GEZ, sozial gerechter sein sollte als eine nach Einkommen gestaffelte Steuerfinanzierung, bleibt mir schleierhaft.
Laut UBA-Zahlen verursacht ein Kilometer ÖV-Fahrt ungefähr 20% der CO2-Emissionen einer Autofahrt. Damit das 9-Euro-Ticket im Hinblick auf eine dauerhafte Umsetzung überhaupt klimaneutral wäre, hätten also 20% der zusätzlichen Fahrgäste eine Autofahrt verhindern müssen. Selbst die massiv interessensgeleitete Studie des VDV, auf die sich "Die Lage der Nation" primär bezieht, kommt hier nur auf 10%. Andere, eher wissenschaftliche Studien kommen auf 2-3%. Das Statistische Bundesamt konnte am Ende sogar gar keine Verlagerungswirkung nachweisen:
https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/09/PD22_377_12.html
Nun sind solche objektiven Statistiken, die auf Handynetzdaten beruhen, deutlich belastbarer als subjektive Kundenbefragungen, die massiv unter strategischen Antworten und dem Phänomen der sozialen Erwünschtheit gewisser Antworten leiden. Destatis kommt auf massiv schlechtere Ergebnisse als der VDV - wundert das noch jemanden? Da ich beruflich mit vielen VDV-Mitgliedsunternehmen zu tun habe, die sich großteils die Haare raufen angesichts der einseitig positiven Positionierung ihres Dachverbands, hier noch etwas "Tratsch aus dem Flurfunk": Offenbar wurden im VDV mehrere Fahrgastbefragungen mit stark abweichenden Ergebnissen gemacht. Final kommuniziert wurde nur jene mit den allerbesten Ergebnissen ... Statistik ist eben immer, was man draus macht!
Egal welche Studie nun stimmt, waren es am Ende mehr Verkehr und mehr Emissionen. Insofern ist bereits der erste Satz des Änderungsantrags, der auch im Originalantrag schon sinngleich stand, leider nicht wahr. Wenn wir GRÜNE für "Follow the Science" stehen, sollten wir aufhören, uns da was vorzumachen, nur weil unsere Leute irgendwann mal die 9-Euro-Idee hatten (die, vorübergehend, um dem Tankrabatt etwas entgegenzusetzen, sogar berechtigt war). Für eine Dauerlösung taugt es leider nix!
Anne Kathrin Herbermann:
Erst einmal Danke für die konstruktive und differenzierte Antwort! Ich kann Deine Argumentation nachvollziehen, komme aber für mich zu einem anderen Ergebnis.
Ich bin überzeugt, dass verhaltensökonomisch ein Unterschied besteht zwischen einer Steuer und einer Abgabe, wobei ich auch sagen muss, dass die Art der Umlage (Steuern, Abgaben, Gebühren) für mich nicht der entscheidene Casus knaxus ist.
Rein fiskalisch ist ein steuerbasiertes System vermutlich etwas gerechter, da hast Du recht, wobei ich bei unserem derzeitigen Steuersystem auch meine Zweifel habe (Stichwort Steuervermeidung durch Trickserei).
Der Vorteil einer Gebühr oder Abgabe besteht darin, dass es
1.) sehr viel transparenter ist,
d.h. die Menschen erkennen, was der ÖPNV (sie) kostet. Damit einher geht eine erhöhte Motivation zur Nutzung (man hat sowieso bereits den Bus gezahlt, dann möchte man nicht noch zusätzlich Sprit für den PKW verfahren). Und im ländlichen Raum wäre mal wirklich Druck, den ÖPNV zu verbessern. Machen wir uns nichts vor, wir sprechen zwar immer davon, dass der ÖPNV im ländlichen Raum besser werden muss, aber sehr viele Menschen haben sich mit dem PKW gut arrangiert und die nicht selten schwarz geprägte Politik in ländlichen Kommunen ist auch nicht für die Verkehrswende bekannt.
2.) dass die Aufwendungen/Ausgaben für den ÖPNV unabhängig von der Haushaltslage sind,
d.h. es besteht nicht die Gefahr von Kürzungen bei schwacher Haushaltslage bspw bei konjunkturellen Schwankungen oder "ungünstigen" politischen Mehrheiten
3.) dass ein Gremium, in dem neben der Politik bspw. auch Verkehrsbetriebe vertreten sind, die Höhe der Gebühr festlegen könnte und damit zu einer breiten Akzeptanz beitragen würde.
Zur Verkehrsvermeidung:
Menschen haben in aller Regel gute Gründe für Mobilität, dazu zählen für mich auch ein Museumsbesuch oder die Erholung am Badesee. Dass Menschen mit dem ÖPNV fahren um des ÖPNV-Fahrens Willen, ist sehr selten, d.h. die allermeisten Leute werden in aller Regel eine nahe gelegene Bademöglichkeit besuchen und nicht 100km mit dem ÖPNV fahren. Sprich: auch bei einem Ticket- und Entgeld-losen ÖPNV werden die allermeisten Menschen die kürzere Strecke bevorzugen und nicht sinnlos durch die Gehend fahren.
Die vielen zusätzlichen Fahrten, die das 9-EUR-Ticket generiert hat, kamen einerseits von Menschen, die es sich sonst nicht leisten können (das müssen wir sowieso ändern, wir können nicht von finanziell schwachen Haushalten erwarten, dass sie zur CO2-Sparung zu Hause bleiben und finanziell reiche Menschen nutzen einfach das Auto, das ist enorm ungerecht) und zum zweiten auch durch den "Aktionscharakter" - dass der Slogan "nur für kurze Zeit" bei vielen Menschen zu zusätzlichem Konsum führt, ist in Marketing und Handel hinreichend bekannt. Hinzu kamen Nachholeffekte nach Corona. Bei einer dauerhaften Lösung würden diese beiden Effekte deutlich abflachen.
Last but not least zeigt unsere Diskussion, dass es eine breitere Debatte geben muss, die über die Frage 29, 49 oder 69 EUR hinausgehen muss. Wir müssen uns fragen, welchen Stellenwert hat Mobilität bzw. "gibt es ein Recht auf Mobilität" und wenn ja, in welchem Umfang.
Dabei spielen Auswirkungen auf das Klima eine sehr wichtige Rolle. Aber dies kann nicht der einzige Maßstab sein. Um es zugespitzt runter zu brechen: ist es uns wichtiger, dass alle Menschen ins Museum und an den Badesee fahren können, oder ist uns die CO2-Einsparung, wenn Menschen zu Hause bleiben, lieber ?
Christoph Stadter:
Danke ebenfalls für deine Antwort!
Wenn wir die Menschen zu Verzicht für das Klima motivieren wollen, sollten wir entsprechende Anreize setzen ("Nudging") oder auch Verbote aussprechen. Beides ist in der Verkehrspolitik wichtig, siehe z.B. Tempolimits. Wir sollten aber tunlichst Anreize vermeiden, die das Gegenteil von dem erzeugen, was wir primär wollen: Klimaschutz! Unser gesamter Bundestagswahlkampf war auf die "Klimawahl" ausgerichtet. Ein Ausspielen gegen soziale Themen übernehmen hier bereits diverse andere Parteien; das müssen wir nicht auch noch nachmachen.
Natürlich fahren die Leute mehr und weiter, wenn sie es kostenfrei tun können. Als jemand, der von seiner Firma eine BahnCard 100 bezahlt bekommt, kann ich ein Lied davon singen. Anderes Beispiel: Als der Stadtbus Templin kostenlos wurde, wurden sehr viele "sinnlose" Fahrten beobachtet:
https://www.manager-magazin.de/unternehmen/artikel/nahverkehr-busfahren-umsonst-das-experiment-von-templin-a-1193404.html
Dasselbe ist auch in Regionalzügen denkbar. Oftmals hat man eine gute Aussicht, sitzt warm und trifft andere Leute...
Vielleicht sollte ich eine Sache klarstellen: Umlagefinanzierungen für den ÖPNV sind eine Super-Idee, die wir unbedingt weiterverfolgen sollten. Aber bitte nicht, um damit einen Gratis-ÖPNV zu finanzieren - sondern um damit die Verkehrswende in puncto Fahrplanangebot zu erreichen! Anders wird es kaum gehen, die von allen (auch von dir) geforderten, massiven Angebotsverdichtungen zu finanzieren. (Woher die Busfahrer und Lokführer kommen sollen, klären wir ein ander Mal ...)
Unser Winfried Hermann macht dazu in Ba-Wü einen guten Job und hat diverse Umlagemodelle konzipieren lassen, die nun in Pilotprojekte überführt werden. Wer die Abgabe bezahlt hat, darf dann denselben Betrag gegen einen ÖPNV-Abo-Gutschein einlösen. Dann fährt er immer noch nicht umsonst, hat aber nicht mehr gezahlt als vorher. "Geschröpft" werden stattdessen jene, die anders unterwegs sind (insb. in jenen Modellen, die gleich nur auf Kfz-Halter abzielen). Darin sehe ich Zukunft, und es ist toll, dass wir dort, wo wir seit >10 Jahren an der Macht sind, inzwischen so weit gekommen sind, solche Ideen salonfähig zu machen.
Wenn wir mal so radikal optimistisch sind und unterstellen, dass sich solche Ideen bundesweit durchsetzen lassen, sollten wir diese einmalige Chance auf keinen Fall für Gratis-ÖPNV verballern. Solange die Wissenschaft eindeutig sagt, dass Investitionen ins Fahrplanangebot viel mehr Verkehrswende-Effekt auslösen als Preissenkungen, müssen wir darauf hören. Alles andere wäre "grüner Populismus", und nichts anderes sind für mich die aktuellen Debatten über ein 49-Euro-Ticket - "weil es ja alle wollen".
Tim Junge:
Wird unterschrieben, sobald mein Antragsgrün aufhört rumzuspinnen (hoffentlich vor Ende der Frist).
Mela Chu:
Evelyn Rose-Thalheim: