Veranstaltung: | 48. Bundesdelegiertenkonferenz |
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Tagesordnungspunkt: | FS Wertegeleitet, multilateral, handlungsfähig: grüne Friedens- und Sicherheitspolitik in der Zeitenwende |
Antragsteller*in: | Gorden Isler (KV Hamburg-Eimsbüttel) und 114 weitere Antragsteller*innen (Frauenanteil: 53%) |
Status: | Zurückgezogen |
Verfahrensvorschlag: | Zurückgezogen |
Eingereicht: | 02.09.2022, 14:37 |
FS-15: Zivile Seenotrettung auf dem Mittelmeer stärken! Deutschland muss konkrete Verantwortung für die unter seiner Flagge fahrenden Schiffe übernehmen.
Antragstext
Die 48. Bundesdelegiertenkonferenz von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN beschließt:
1. Die Partei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordert die Bundesregierung dazu auf, die Bekenntnisse
des Koalitionsvertrages zur zivilen Seenotrettung noch in diesem Jahr zu konkretisieren und
die substanzielle Unterstützung bei der Rettung von Menschenleben aus Seenot an den
europäischen Außengrenzen zu leisten.
2. Dazu fordert die Partei den Bundesvorstand, die Bundestagsfraktion und die
Bundesminister*innen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ausdrücklich auf, mit den
Koalitionspartner*innen aus SPD und FDP dahingehend Einvernehmen herzustellen, dass
schnellstmöglich ein neuer und dauerhafter Solidaritätsmechanismusmit den betroffenen
Mittelmeeranrainerstaaten etabliert wird. Deutschland übernimmt hierbei insbesondere für die
unter deutscher Flagge betriebenen zivilen Seenotrettungsschiffe sowie Handelsschiffe
konkrete Verantwortung, um folgende Ziele zu erreichen:
2.1 Mindestens die von unter deutscher Flagge fahrenden Schiffen geretteten Personen werden
unverzüglich nach der Ausschiffung im Hafen eines EU-Mittelmeeranrainerstaats nach
Deutschland ausgeflogen, um dort registriert und versorgt zu werden und eine
Asylantragstellung zu gewährleisten.
2.2 In Deutschland müssen konkrete Ankunftsstrukturen errichtet und etabliert werden, die
der Bezeichnung eines “sicheren Ortes” nach den Maßstäben des Völkerrechts entsprechen.
Dabei soll die selbst erklärte Aufnahmebereitschaft diverser Kommunen und Bundesländer, über
den Königsteiner Schlüssel hinaus, unbedingt berücksichtigt werden.
3. Parallel dazu soll die Bundesregierung unverzüglich ein Aufnahmeprogramm initialisieren,
so dass schutzsuchende und vulnerable Personengruppen in Libyen z.B. durch den UNHCR
identifiziert werden und im Rahmen einer Luftbrücke nach Deutschland evakuiert werden
können, um unter den zu 2.2 beschriebenen Bedingungen in Sicherheit gebracht zu werden, ohne
die lebensgefährliche Flucht über das Mittelmeer antreten zu müssen.
Begründung
Im Koalitionsvertrag von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP heißt es: “Es ist eine zivilisatorische und rechtliche Verpflichtung, Menschen nicht ertrinken zu lassen. Die zivile Seenotrettung darf nicht behindert werden. Wir streben eine staatlich koordinierte und europäisch getragene Seenotrettung im Mittelmeer an und wollen mit mehr Ländern Maßnahmen wie den Malta-Mechanismus weiterentwickeln. Wir streben eine faire Verantwortungsteilung zwischen den Anrainerstaaten des Mittelmeers bei der Seenotrettung an und wollen sicherstellen, dass Menschen nach der Rettung an sichere Orte gebracht werden.”
Inzwischen ist die Ampelkoalition fast ein Jahr alt. Es gibt jedoch keine konkreten Fortschritte, die dazu geführt hätten, dass die zivilen Seenotretter*innen weniger behindert wurden und mehr Menschenleben gerettet werden konnten. Staatliche Rettungsleitstellen kooperieren weiterhin nicht mit zivilen Akteur*innen, um Menschenleben zu retten. Rettungsschiffe müssen oft tagelang auf die Zuweisung eines sicheren Hafens warten. In den italienischen Häfen werden zivile Rettungsschiffe unter fadenscheinigen Gründen festgesetzt. Um die rechtswidrigen Festsetzungen aufzuheben, müssen die zivilen Seenotrettungsorganisationen aufwendige, juristische Verfahren in Italien, auf Malta oder sogar vor dem EuGH führen und Ressourcen für Anwält*innen, statt für die Rettung von Menschenleben einsetzen. Zuletzt gab der EuGH den zivilen Seenotretter*innen Recht.
Mindestens für die unter deutscher Flagge fahrenden Rettungs- und Handelsschiffe, die regelmäßig im Zentralen Mittelmeer operieren, erwarten wir eine Vereinbarung mit Malta und Italien, in der die Übernahme der geretteten Personen durch die Bundesrepublik gewährleistet wird. Bisher verweigert Malta immer wieder die Koordinierung auch für jene Seenotfälle, die sich eindeutig in dem Seegebiet (SRR Zone) ereignen, für das die maltesische Rettungsleitstelle verantwortlich ist. Und nur in wenigen Fällen meldet die italienische Rettungsleitstelle aus ihrem Zuständigkeitsbereich noch Seenotfälle an die zivilen Seenotretter*innen. Rettungsleitstellen haben aber umfassende Kooperationspflichten, um Menschenleben auf See zu retten.
Wir sind davon überzeugt, dass die besagten Rettungsleitstellen zu einer kooperativen Zusammenarbeit zurückkehren, wenn Deutschland nach dem historischen Vorbild der Cap Anamur mindestens alle von deutschen Rettungs- und Handelsschiffen geretteten Personen, unverzüglich nach der Ausschiffung in einem Hafen von Malta oder Italien, nach Deutschland ausfliegt. Die Verteilung von Geretteten darf nicht erst dann zwischen EU-Mitgliedsstaaten diskutiert werden, wenn Menschen aus Seenot gerettet worden sind und Rettungs- oder Handelsschiffe vor italienischen und maltesischen Häfen blockiert werden. In Deutschland sind mehr als 200 Kommunen zur zusätzlichen Aufnahme schutzsuchender Personen bereit. Wir haben Platz.
Doch die lebensgefährliche Flucht über das Mittelmeer darf nicht der einzige Ausweg für schutzsuchende Menschen sein. Nur sichere Fluchtwege aus Libyen können das Sterben und die Verbrechen an schutzsuchenden Menschen beenden. Es sollten nicht Hilfsorganisationen dafür verantwortlich sein müssen, Menschen aus Krisen- oder Kriegsgebieten auszufliegen. In Zusammenarbeit z.B. mit dem UNHCR könnten vulnerable Personengruppen in Libyen identifiziert und nach Deutschland evakuiert werden. Italien hat solche Evakuierungsflüge aus Libyen bereits durchgeführt. Nur so können die Menschen aus den schrecklichen Bedingungen der libyschen Detention Camps befreit werden, ohne dass sie in ein nicht seetüchtiges Schlauchboot steigen müssen, um die lebensgefährliche Flucht über das Mittelmeer zu versuchen.
Die Fluchtroute über das zentrale Mittelmeer ist die tödlichste Fluchtroute der Welt. Laut IOM sind allein in diesem Jahr bereits mindestens 918* Menschen auf dieser Route ums Leben gekommen. In 2021 gab es laut IOM mindestens 2048 Tote und Vermisste im Mittelmeer, davon 1553 allein im zentralen Mittelmeer.
*Stand 27.08.2022
Zu viele Menschen gerettet: "Sea-Watch 3" in Italien festgesetzt
https://www.tagesschau.de/ausland/europa/sea-watch-211.html
EuGH entscheidet: Rettungsschiff-Kontrolle nur aus triftigem Grund
https://www.tagesschau.de/ausland/europa/eugh-sea-watch-101.html
Malta verweigert Ausschiffung: "Sea-Eye 4" in Sizilien erwartet
https://www.tagesschau.de/ausland/europa/sea-eye-4-sizilien-101.html
Evakuierungsflüge von Libyen nach Italien bringen Hoffnung
https://www.unhcr.org/dach/de/71533-evakuierungsfluege-von-libyen-nach-italien-bringen-hoffnung-fuer-gefaehrdete-asylsuchende.html
Kommentare
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